Ohne Titel
ES hatte keine Erinnerung und keine Vergangenheit. Einst hatte ES beides
gehabt. ES hatte sogar einen Namen besessen und Freunde. Aber das war in
einem anderen Universum gewesen. Jetzt war ES allein - allein, bis auf
dieses riesige, langgezogene Ding an das es sich geheftet hatte, als das
Universum zu explodieren schien. ES war hungrig und IHM war kalt. Etwas in
IHM, etwas, das nicht zu Seinem eigenen Bewußtsein gehörte, etwas
Schwarzes, Dunkles, befahl IHM, geduldig zu warten und so tat ES das
einzige, was ES tun konnte: ES schlief ein.
*****
Auf der Suche nach einer neuen Heimat trieb die Lexx mit ihrer Besatzung
durch die Dark Zone. Zur Eile bestand kein Grund - schließlich hatten sie
ja auch kein Ziel (jedenfalls keins, daß sie gekannt hätten). Allmählich
begannen sie fast zu vergessen, daß es sowas wie den Gigaschatten je
gegeben hatte. Zev verbrachte die meiste Zeit bei Kai. Dank ihrer intensiven
Bemuehungen taute er langsam auf und begann sogar, wieder wie ein Mensch zu
fuehlen. Nur in der Nacht, wenn alles ruhig war und er schlief, tauchten in
seinen Träumen wieder die Erinnerungen auf. Es waren dunkle Träume und oft
erwachte er voller Schrecken. Doch er erzählte den anderen nie davon, um
sie nicht zu beunruhigen. Kai wußte sehr wohl, wer er war und woher seine
Lebenskraft kam. Er wußte auch, daß er das finstere Erbe des Schattens nie
ganz loswerden wuerde, solange er Protoblut - SEIN Blut - in seinen Adern
hatte. Aber im Laufe der Zeit wurden die dunklen Träume immer seltener, und
so hoerte er schließlich auf, darueber nachzudenken.
*****
Die verfuehrerische Stimme der Lexx schien fast eine Fortsetzung eines
süßen Traumes zu sein, als sie Stan aus ebendiesem weckte. Vor ihnen im
Weltraum schwebte ein Planet. Er war von grauen Wolken bedeckt und sah nicht
sehr einladend aus, aber immerhin war es eine Welt, auf der man eventuell
leben konnte. Stan wäre ja lieber daran vorbeigeflogen, aber die Lexx hatte
Hunger, also beschlossen die vier, zu landen.
Die Oberfläche des Planeten war kahl und düster. Die kleine Sonne drang
nur selten durch die Wolken, um die bizarren Felsformationen und
hochaufragenden Steinpfeiler zu beleuchten. Stan gefiel es hier überhaupt
nicht - und wie immer tat er seine Meinung laut und ziemlich ausgiebig kund.
790 wollte natürlich nicht nachstehen und begann, weitschweifig und in
Versform darzulegen, wie unwichtig die Umgebung sei, wenn er nur mit seiner
geliebten Zev zusammen war. Das Objekt seiner Bewunderung schenkte ihm
jedoch keine Beachtung. Zev und Kai waren viel zu sehr damit beschäftigt,
dem Sonnenuntergang zuzusehen. Der tauchte nämlich gerade die ganze
Landschaft in die wunderbarsten Farben und lies die eisenhaltigen Felsen in
den schoensten Rottoenen glühen. Dank Zev war Kai gegen solche Romantik
auch nicht mehr unempfindlich und so schlenderten die beiden Hand in Hand
davon und ließen die beiden Streithähne einfach stehen.
Damit war die Sache entschieden - umso mehr, als Kai eine Qülle und auch
Vegetation (wenn auch spärlich) und allerlei Tiere auf dem Palneten
vorhanden waren. Kai und Zev unternahmen oft lange Spaziergänge, was 790
natürlich ungeheür aufregte. Aber er konnte er schon tun? Er lag vergessen
in einer Ecke der Grotte, die ihnen als Unterschlupf diente, und malte sich
die schoensten Katastrophen aus, die Kai und diesen Trottel Stan vernichten
und ihn und seine alllerliebste Zev allein und für immer vereint auf dieser
oeden Welt zurück- lassen würden.
*****
ES erwachte. Das Ding, an das ES sich gehängt hatte, stand jetzt auf einer
festen Oberfläche. IHM war nicht mehr so kalt, aber ES hatte noch immer
Hunger - sogar mehr denn je. Also verließ ES SEIN Transportmittel und
machte sich auf, etwas zu essen zu suchen. ES fand wilde Tiere, aber sie
waren klein und stillten SEINEN Hunger nicht. Und dann sah ES sie: drei
große humanoide Wesen, die viel Futter versprachen. Aber ES wargewachsen,
sehr gewachsen, aber immer noch schwach, also wartete ES und beobachtete.
*****
Kai und Zev saßen auf einem Felsvorsprung und betrachteten mal wieder den
Sonnenuntergang, d.h. eigentlich waren sie mehr miteinander beschäftigt.
Ploetzlich ertoente hinter ihnen ein lautes, bedrohliches Zischen.
Erschrocken wandten sie sich um - und sahen sich einem riesigen Clusterechse
gegenüber. Gierig starrte sie die beiden an. Kai stellte sich schützend
vor Zev, wenn es auch ziemlich klar war, daß ein Kampf gegen dieses Untier
aussichtslos war. Da geschah etwas Sonderbares: Als die Echse Kai sah,
erstarrte sie. Ihr zum Angriff erhobener Kopf schwang leicht hin und her,
aber ansonsten verharrte sie regungslos. Die Gunst des Augenblicks nutzend
rannte Zev los. Sofort kam wieder Bewegung in die Echse. Sie griff Zev an.
Aber Kai warf sich geistesgegenwärtig dazwischen - und wieder erstarrte die
Echse. Sie fest im Auge behaltend befahl Kai Zev davonzu laufen. Als sie in
Sicherheit hinter den Felsen war, ging er selbst. Langsam, Schritt für
Schritt, tastete er sich rückwärts, bis der Abstand groß genug war. Erst
dann begann auch er zu laufen.
*****
Das dunkle etwas in IHM war wütend, und ES selbst hatte immer noch Hunger.
ES verstand selbst nicht, warum ES die sichere Beute hatte laufen lassen.
Irgenetwas in IHM hatte ES daran gehindert, diesen Mann anzu greifen - eine
ferne Erinnerung an vergangene Zeiten vielleicht, an ein anderes Leben. Aber
das nächste Mal würde das nicht passieren. Angetrieben vom Hunger und mehr
noch von der jetzt ständig wachsenden dunklen MAcht in IHm, machte ES sich
wieder auf die Suche nach den dreien.
*****
In der Grotte hatte die Begegnung mit der Clusterechse heftige Diskussionen
ausgeloest. Niemand konnte sich erklären, wie ein solches Tier ausgerechnet
auf diesen Planeten in der Dark Zone gekommen war. Stan war dafür, sofort
alles leigen und stehen zu lassen und in der Lexx zu verschwinden. Aber Kai
war nicht bereit, einfach so davonzurennen, solange sie nicht wußten, ob es
überhaupt noch andere Echsen hier gab oder ob die Gesehene die einzige war.
790 war ausnahmsweise auf Stans Seite (so sehr ihm das auch wiederstrebte),
während Zev natürlich zu Kai hielt (was 790s Haltung wieder relatievierte
- wie hätte er auch gegen Zev sein koennen). So ging der Streit hin und
her, bis Stan schließlich aufgab und sich beleidigt in eine Ecke
zurückzog. Was glaubten die denn, wen sie vor sich hatten! Schließlich war
ER es, dem die Lexx gehorchte. Er hatte große Lust, einfach allein
abzufliegen, aber da gab es ein Problem: Die Lexx stand einige Meilen
entfernt in einem Tal. Um zu ihr zu kommen,mußte man durch das Gebiet, in
dem Kai und Zev die Echse getroffen hatten. Also blieb Stan, wo er war und
schmollte. Und dabei sollte ausgerechnet er es sein, der schließlich den
Weg zu ihrer Rettung fand, und das kam so:
Zwei Tage später hielt Kai Wache am Eingang der Grotte, während die
anderen schliefen. Da hoerte er Steine rollen und zwischen zwei Felspfeilern
tauchte die Echse auf. Kai sprang auf und stieß einen Warnruf aus, der alle
aus ihrem Schlaf riß. Entsetzt starrte Zev auf das sich nähernde Monster.
Stan verschwendete gar nicht erst seine Zeit damit, es anzusehen. Er sprang
auf und rannte so schnell wie möglich in den hintersten Winkel der Grotte.
Er merkte nicht einmal, daß er in seiner Eile über 790 stolperte und ihn
mit einem Kick in die nächste Felsnische befoerderte. Jetzt kam auch
Bewegung in Zev, Sie klemmte sich 790 unter den Arm und folgte Stan. Kai
blieb hinter ihnen, aber diesmal schien sein Anblick die Echse nicht
aufzuhalten: langsam folgte sie ihrere Beute. Die war inzwischen an der
hintersten Wand angekommen. Sie saßen in der Falle! Unaufhaltsam kroch die
Echse näher. Da bemerkte 790, dessen Roboteraugen hin und wieder
unschätzbare Vorteile hatten, einen schmalen Durchgang auf der einen Seite.
Rasch schlüpften Stan, Zev und Kai hindurch. Auf der anderen Seite fanden
sie einen engen Gang, der tiefer in den Berg hineinführte. Finsternis umgab
sie und die feuchten Felsen schienen immer mehr zusammenzurücken. Alles in
allem war der Weg nicht sehr einladend. Aber hinter ihnen ertoente das
wütende Zischen der Clusterechse. Steine fielen auf sie herab, als sie
versuchte, sich ebenfalls durch das Loch zu qütschen. Es blieb ihnen keine
andere Wahl, also stolperten sie in die Dunkelheit vor ihnen. Wie lange sie
so durch den Berg gewandert waren, wußte keiner von ihnen (außer
vielleicht 790 - aber der machte sich nicht die Mühe, es ihnen zu sagen. Er
war nur einfach selig, weil er von Zev - seiner Zev - getragen wurde.
Ploetzlich hoerte der Gang auf und sie standen in einem offenen Raum, einer
Hoehle. Sie gingen nach links, der Wand entlang, um den Ausgang zu finden -
aber es gab keinen. Sie saßen wieder in der Falle. Und gerade als ihnen das
klargworden war, kam die Echse! Sie hatte sich endlich doch durch den Gang
vorgearbeitet. Kai stellte sich ihr entgegen. Er konnte sie nicht sehen,
dafür um so besser hoeren. Laut zischend und fauchend fuhr sie in der Höhle
herum, um ihre Beute zu finden. Kai begann, laut zu rufen und versuchte sie
so auf sich zu lenken. Seine Rufe hatten ungeahnten Erfolg: wie bei ihrem
ersten Treffen erstarrte die Echse. Regungslos verharrte sie in der
Finsternis und lauschte dem Echo von Kais Stimme. Stan konnte es nicht mehr
aushalten. Er flüchtete sich in das einzige, was er wirklich gut konnte:
das Noergeln. Zürst leise, dann immer lauter begann er, seine Meinung zu
der verfahrenen Situation kundzutun. Schließlich gipfelte seine Tirade in
der Feststellung, das dieses Monster offenbar einen Narren an Kai gefressen
hatte oder vielleicht sogar mit ihm bekannt war. Er solle es doch bitten,
sie einfach gehen zu lassen. Stans qüngelnde Stimme riß die Echse aus
ihrer Versunkenheit. Mit einem Schrei nahm sie die Verfolgung wieder auf.
Ganz anderen Erfolg hatten Stans Worte auf Kai. Jetzt stand er wie erstarrt,
während sich eine Ahnung in ihm zur Gewißheit entwickelte: Squish! Diese
Echse mußte Squish sein! Sein Baby, das sich schon einmal an eine der
Motten geheftet hatte, um mit ihnen zu kommen. Daß es jetzt so groß und
boese war, konnte nur daran liegen, daß es ja das Gehirn des Gigaschattens
gefressen hatte. Dabei mußte es etwas von seinem Wesen übernommen haben.
Squish mußte den Gigaschatten verlassen haben, kurz bevor er zusammen mit
dem Fraktalen Sog vernichtet worden war, und dann hatte es sich an die Lexx
gehängt. Jetzt verstand Kai auch, warum er in seinen Träumen noch immer
den Einfluß des Schattens gespürt hatte: weil er eben noch immer da war.
Während Kai so ein Rätsel nach dem anderen loeste, hatte die Echse endlich
eine Beute gefunden: Zev! Mit einem entsetzten Aufschrei versuchte sie, sich
in eine Nische zu drücken. Dieser Schrei brachte Kai wieder zurück in die
Wirklichkeit. Laut rief er Squish´ Namen, schrie ihn immer wieder hinaus.
Und tatsächlich ließ die Echse von Zev ab und wandte sich Kai zu. Mit
beruhigender Stimme versuchte er, sie an ihre Freundschaft zu erinnern und
daran, daß sie ihn einst für ihre Mutter gehalten hatte.
*****
Reglos hoerte ES diesem Menschen zu. Was er sagte, schien tief in IHM
irgendein Echo hervorzurufen, eine entfernte Erinnerung an etwas, was einmel
Wirklichkeit gewesen war. Da war aber immer noch dieses dunkle Etwas, dieser
Schatten in IHM, der IHM befahl, den Angriff fortzusetzen und alle zu
toeten. Und dieser Befehl wurde mit jedem Augenblick stärker und
drängender. Trotzdem konnte ES sich nicht dazu überwinden, dem Befehl zu
gehorchen. ES versuchte sich zu erinnern. Squish - war das SEIN Name
gewesen? Woher kannte er diese Stimme, die IHM sagte, sie seien Freunde? Je
tiefer ES in seine verloren geglaubten Erinnerungen eindrang, desto leiser
wurde die Stimme des Schattens in IHM, aber desto wütender wurde dieser
auch. Als er erkannte, daß ES seiner Kontrolle zu entgleiten begann, ging
er zum Angriff über.
*****
Kais Versuche schienen von Erfolg gekroent. Die Echse zeigte keine Anzeichen
dafür, daß sie den Angriff fortsetzen würde. Zev und die anderen
schoepften schon Hoffnung, da baumte sie das Tier ploetzlich auf. Laut
brüllend begann es, in der Hoehle herumzuwüten. Aber es schien jetzt nicht
mehr auf der Jagd zu sein, sondern tobte wild und ziellos durch die
Finsternis, als ob es mit einem unsichtbaren Gegner kämpfen würde - oder
mit einem Feind in seinem Inneren. Dann begann die Echse, sich gegen die
Felswand zu werfen. Immer und immer wieder tonnerte sie gegen den Stein, bis
dieser schießlich über ihr zusammenbrach und sie unter Tonnen von Fels
begrub.
Kai, Zev, Stan und 790 hatten sich vor der tobenden Echse in einen
moeglichst entfernten Winkel der Hoehle geflüchtet. Wie durch ein Wunder
wurden sie deshalb durch den Einsturz der Hoehlenwand nicht verletzt. Das
wesentlich groeßere Wunder aber war das, was sie sahen, als sich der Staub
und der Steinregen endlich legte: Der Einsturz hatte einen Ausgang
freigelegt und die Sonne schien durch einen Spalt im Fels. Noch immer
benommen stolperten die vier ins Freie und fanden sich in einem grünen,
paradiesischen Tal voll Baume und Blumen und mit einem Bach, der froehlich
in seiner Mitte dahinplätscherte.
*****
Als Kai und Zev an diesem Abend zusammensaßen, um den Sonnenuntergang zu
beobachten, ertappte er sich dabei, daß seine Gedanken immer wieder zu
Squish schweiften. Die Tatsache, daß der Schatten von Squish Besitz
ergriffen hatte, hätte das Ende für sie alle bedeutet, aber letztendlich
hatte es ihnen auch den Weg in eine neü Heimat geoeffnet. Wie sagte die
Litanei des Gigaschattens? `ICH BIN DAS ENDE - UND DER ANFANG.´
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