KAPITEL 3
Die Bruderschaft des Goldenen Pfades hat das Recht und die Pflicht, ihren Fortbestand zu gewähren, indem sie aus allen
Gesellschaftsschichten geeignete Männer anwirbt und ausbildet.
...
aus dem Edikt #2 (2123 n.Chr.)
Die Beschaffung des geeigneten Nachwuchses der Bruderschaft darf nicht durch persönliche Interessen einzelner behindert werden, außerdem sollte mit der Ausbildung so früh als möglich begonnen werden.
Ergänzung zum Edikt #2 (2482 n.Chr.)
Der unfreiwillige Rekrutierung unseres Nachwuchses macht bei diesen notwendig, daß durch gewisse Drogen das Erinnerungsvermögen nachhaltig blockiert wird. Außerdem steigt dadurch nachweislich die Kampfkraft um bis zu zehn Prozent.
Auszug aus dem SCHWARZEN BUCH der Bruderschaft des Goldenen Pfades
(Streng Geheim!)
Eine Mauer, genau das war es. Eine große, mächtige Mauer aus roten Ziegelsteinen, scheinbar unüberwindlich, doch nun fing sie an, ganz langsam zu zerbröckeln.
Das Bild zerfloß, andere traten wirr und scheinbar willkürlich an seine Stelle. Ein Gesicht, jenes, welches er so oft in seinen Alpträumen gesehen hatte. Und doch war es diesmal anders. Intensiver, echter. Das zweites Gesicht drängte sich vor sein geistiges Auge, ein Junge im Gewand eines Akolythen. Eine Trainingsstunde. Ein Kampf ? Die Bilder schossen wahllos und wild durch seinen Kopf und vermengten sich mit dem kürzlich erlebten. Der Schuß, eine Prüfung die fast danebenging, die Ankunft eines Meisters, und...
Er war nicht allein. Er hörte Stimmen. "Blutvergiftung." sagte gerade der eine. "Aber ich hoffe sehr, daß er durchkommen. wird" - "Gut, wir brauchen jeden unserer Brüder." Aaskir spürte vage ein Stechen an der linken Armbeuge. Er öffnete vorsichtig die Augen, und fast sofort wurde ihm übel. Er übergab sich. Sofort halfen ihm die beiden Männer und schließlich sank Aaskir erschöpft aufs Bett zurück. Sein Körper glühte und seine Schulter brannte wie Feuer. Er hatte keine Ahnung, wie er es von der GALACTIC INTERCORP bis zur Bruderschaft zurück geschafft hatte, doch das war ihm im Moment egal. Verzweifelt und ohne viel Erfolg versuchte er, seinen rebellierenden Magen unter Kontrolle zu bringen. Er erbrach sich erneut und verbrauchte dabei seine letzten Kräfte. Schließlich fiel er wieder in den fiebrigen Halbschlaf.
Er merkte kaum, wie die Tage vergingen. Er war gefangen in dem Zustand zwischen Wachen und Schlafen und er wußte nicht was ihm lieber war, denn wenn er einigermaßen bei Sinnen war, überkam ihn sofort diese furchtbare Übelkeit, bei der er kein ihm eingeflößtes Essen bei sich behielt. Und immer wieder sah er nun diese Mauer. War sie echt oder nur ein Symbol? Sie bröckelte, ohne Zweifel, doch noch immer versperrte sie die Sicht.
Einmal sah er undeutlich, wie sich Meister Oodrak mit sehr besorgtem Gesicht über ihn beugte, um ihn die schweißnasse Stirn abzuwischen. Seine Schulter schmerzte nicht mehr, doch sein Körper verbrannte regelrecht im Fieber. Tagelang warf sich Aaskir hin und her und das Feuer zehrte seinen Körper aus, nahm ihm alle Kraft. Ab und zu merkte er, wie einer der Heiler der Bruderschaft sich um ihn kümmerte, Spritzen verabreichte, und versuchte, ihn etwas Flüssigkeit einzuflößen, doch sein Magen reagierte darauf äußerst empfindlich. Die Visionen, die Aaskir noch vor Tagen hatte, vermengten sich nun mit Bruchstücken der Realität zu wirren Fieberträumen, in denen er sich immer tiefer verstrickte, bis er Traum nicht mehr von der Wirklichkeit unterscheiden konnte.
Doch dann war es vorbei. Das Fieber sank und Klarheit kam in seinen Geist zurück. Einzelne Gedanken schossen erschreckend scharf durch seinen Kopf. Wieviel Zeit war vergangen? Er hatte jedes Zeitgefühl verloren. Dann spürte er, daß er nicht allein war. "Geht es dir besser?" fragte Meister Oodrak. Aaskir versuchte zu antworten, doch es mißlang. Er nickte schwach. "Gut. Die Bruderschaft braucht dich." Und als hätte er seine Gedanken gelesen, fügte Oodrak hinzu: "Du bist jetzt schon drei Wochen hier. Die Heiler haben uns versichert, daß du ganz gesund werden wirst, doch ich hatte schon Zweifel. Du hast mich aber nicht enttäuscht. Ruhe dich aus." Damit verließ er Aaskir.
Nach diesem ersten Erwachen dauerte es noch eine Woche, bis Aaskir zum ersten Mal das Bett verließ. Sein Körper war ziemlich geschwächt, doch seine Schulterverletzung war weitgehend verheilt. Noch immer nahm er nur flüssige Nahrung zu sich, und er fühlte sich eigenartig und bedrückt. Es war ein Gefühl, das mit jedem Tag wuchs und das er nicht zu beschreiben vermochte. Er konnte sich auch keinem anvertrauen, nicht einmal Meister Oodrak, nicht bevor er genau wußte, was es war. Das Haus der Bruderschaft kam ihm auf einmal seltsam fremd vor und er mied den Kontakt mit seinen Brüdern.
In diesen Tagen war die Bruderschaft ganz besonders beansprucht, um die diversen neuen Gesetze des Ultimaten durchzusetzen, beziehungsweise deren Durchführung zu überwachen. Und so geschah es, daß Aaskir, obwohl kaum erholt und noch reichlich schwach auf den Beinen, zu einer Mission eingeteilt wurde. Auch an diesem Tag hatte er nur etwas Saft getrunken, doch sein Körper fühlte sich etwas erholter als noch vor Tagen. In seinem Kopf dagegen schien es aber immer schlimmer zu werden. Ab und zu sah er wieder diese Fiebervision von einer abbröckelnden Mauer.
Man hatte ihn und Aanter dazu eingeteilt, in dem Armenvierteln nach einem bestimmten Jungen zu suchen, der möglicherweise geeignet ist, für die Bruderschaft ausgebildet zu werden. Aaskir mochte Aanter schon vor seiner Verletzung nicht, doch an diesem Tag kam er ihm besonders arrogant und hochmütig vor. Aber dieses Gefühl der Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Er war größer und hagerer als Aaskir und einige Jahre älter, doch Aanter war nur Sarda, also einen Rang über Aaskir, hatte damit aber auch die Verantwortung für ihren Auftrag.
In die Subtowns von Irind führte kein Rapid und so mußten sie sich zu Fuß einen Weg durch das Straßen- und Gassenlabyrinth bahnen. Trotz der Armut und dem Hunger herrschten in den Straßen das gleiche planlose Durcheinander von Buden und Ständen und Menschen drängten sich dicht darum, die Straßen waren total verstopft.
Doch war ihr Anblick wie immer genug, um die Menschen zur Seite springen zu lassen, der Dreck und der Gestank wichen dagegen nicht. Besonders hier fiel der gefürchtete feine Regen, der absolut jedes Kleidungsstück mit der Zeit vollkommen durchnäßte und die Subtowns ertranken regelrecht, teilweise in den Sturzbächen, die der Regen verursachte, teilweise an der Kloake und im Dreck. Schlamm bedeckte einen Großteil knöcheltief die Straßen, die teilweise dichtgesäumt war von Verkrüppelten und Mißgebildeten, die um ein Almosen bettelten. Aus den Augenwinkeln sah Aaskir, wie in einer Seitenstraße gerade ein alter Mann von einer Horde Halbstarker überfallen wurde, doch sie griffen nicht ein. Ordnung zu schaffen, war eine Aufgabe der Protektoren, aber in den Subtowns ließen sie sich nur selten blicken. Es war eine Art Stadt in der Stadt, mit eigenen Regeln und Gesetzen.
Eine junge Frau hielt Aanter am Mantel fest und bettelte um einen Bissen Brot, doch der Schwarzgekleidete trat ihr gegen den Oberkörper, so daß sie mehrere Meter zurückgeschleudert wurde. "Kein Respekt mehr vor der Bruderschaft" zischte er Aaskir zu ohne diesen anzublicken, und so entging ihm auch der befremdete Blick, der ihm zugeworfen wurde. Weiter und weiter drangen sie in die Vororte ein und immer wieder wurden sie von angstvollen Augen verfolgt: Mütter holten ihre Kinder von der Straße und die jungen Männer zogen ihre Köpfe ein, wenn Aanter und Aaskir vorbeikamen.
Die Vororte boten einen traurigen Anblick: hier war früher das Herz von Irind, doch die recht niedrigen Stahlkonstruktionen waren verrostet und aus den Eisenträgern, die über den Straßen früher die Rapid trugen, spielten nun abgemagerte Kinder. Der Nieselregen wurde immer stärker und Aanter begann, leise vor sich hin zu fluchen. Sie bogen in eine weitere Seitenstraße ein, die noch düsterer und verwahrloster war.
"Hier muß es irgendwo sein." brummte Aanter und betrat ein mehr als baufälliges Haus. Aaskir blieb im Türrahmen stehen. Das Schwindelgefühl, das ihn schon den ganzen Morgen plagte, wurde immer stärker und er hielt sich am bröckelnden Putz fest. Das Bild des Hauses verschwamm vor seinen Augen, wurde ersetzt durch ein anderes, sehr ähnliches. Es war auf einer Straße vor vielen Jahren...
Das Geschrei weckte ihn aus seinen Tagträumen. Während er noch nach dem Stab griff, sprang er geduckt ins Innere. Ein rascher Blick sagte ihm, daß das Erdgeschoß leer war. Die Schreie kamen von der Etage über ihm. Er hastete die Treppen hinauf und noch im Laufen hörte er, wie die Stimmen erstarben.
Oben bot sich ihm ein Bild des Grauens: Aanter stand mit seinem glühenden Stab in der Mitte eines dämmrigen Zimmers. Vor ihm lagen ein Mann und ein Jugendlicher schwer verletzt oder tot am Boden und eine junge Frau hatte sich wimmernd in die dem Schwarz gekleideten am entferntesten gelegene Ecke gedrückt. Sie hielt ein Kind in den Armen, ein Junge, vielleicht drei oder vier Jahre alt. "Scher dich aus dem Weg, Bursche!" zischte Aanter gerade dem Halbwüchsigen zu, der mit einem Knüppel bewaffnet, versuchte, seine Mutter und seinen kleinen Bruder zu beschützen. Trotz seiner panischen Angst hielt er den Knüppel fest in der Hand und wich auf Aanters Drohungen nichts zurück. "Ah, da bist du ja, Aaskir. Schnapp dir den Jungen." Dabei hob er seinen Stab und schlug dem Knaben, der höchstens vierzehn war, mit einer unglaublich schnellen Bewegung den Knüppel aus den Händen.
Aaskir blieb wie angewurzelt stehen. Die Szene zerfloß und ihm war, es explodierte etwas in seinem Kopf. Die Mauer zerbarst und plötzlich sah Aaskir: zum ersten Mal waren es nicht nur wirre Eindrücke, sondern ein klares Bild formte sich, daß die ganze Zeit von der Mauer verdeckt wurde: es war nicht in Irind, aber auch in den Armenvierteln; genau wie jetzt waren zwei Mitglieder der Bruderschaft in die Armenviertel gegangen, um nach Nachwuchs zu suchen und kamen schließlich zu einem kleinen Stand. Ein vierzehnjähriger Junge verkaufte dort allerlei Kleinkram und paßte auch noch auf seinen vier Jahre alten Bruder auf. Die beiden Schwarzen forderten ihn auf, ihnen seinen Bruder zu überlassen. Der weigerte sich, auch als die beiden ihn bedrohten. "Es ist sowieso besser, wenn er keine Angehörigen hat." meinte einer der beiden, dann flammte ein Kampfstab auf und Aaskir sah in einer Art Zeitlupe, wie dem Halbwüchsigen der Kopf von den Schultern flog. Noch eine Sekunde stand er aufrecht da, dann brach er zusammen. Das einzige, was Aaskir ein wenig verwunderte, war die Perspektive, aus der er diesen Vorgang betrachtete, doch dann dämmerte es ihm langsam. Er war der Junge, den die beiden Brüder haben wollten und auch bekamen! Aaskir war wie vom Blitz getroffen. Und da war noch etwas, er konnte es noch nicht klar erkennen, doch er wußte ohnehin, daß es keine angenehme Erinnerung sein konnte.
Dann wurde er unsanft in die Realität zurückgeholt. "Aaskir, was ist los mit dir?" Aanter stand vor ihm, ein schreiendes Kind unterm Arm und den schwarzen Umhang mit Blut bespritzt. Aaskir sah sich benommen um. Es konnte nicht viel Zeit vergangen sein, doch Aanter hatte ganze Arbeit geleistet: der Junge, der es gewagt hatte, sich gegen Aanter zu stellen, lag mit gespaltenem Schädel in einer großen Blutlache und die junge Mutter war ebenfalls verdächtig still in einer Ecke zusammengesunken. "Was hast du getan?" schrie Aaskir entgeistert und Tränen füllten seine Augen. Aanter trat einen Schritt zurück. "Was meinst du?" - "Du hast sie alle umgebracht!" - "Was sollte ich denn sonst tun? Freiwillig hätten sie mir ihn nicht gegeben." meinte er abschätzig. Erneut brach in Aaskir ein Damm. "Diesmal werde ich es nicht zulassen! Nicht noch einmal!" Er riß seinen Stab hoch und schlug nach Aanter. Nur das extreme Training der Bruderschaft und Aaskirs durch die lange Krankheit verlangsamten Bewegungen rettete Aanter das Leben. Er sprang rückwärts, stieß das Kind von sich und ließ seinen Stab aufflammen. "Was soll das? Hör auf!" Doch Aaskir antwortete nicht und unter der Wut der Angriffe taumelte Aanter weiter rückwärts. "Na gut, Aaskir!" schrie Aanter, und seine Stimme schwankte etwas, denn noch nie hatte er es mit einem annähernd gleichwertigen Gegner zu tun gehabt. "Du hast es nicht anders gewollt!" Damit ging er zum Angriff über und ließ seinen Stab durch die Luft wirbeln. Aaskir parierte die wuchtigen Hiebe mit einiger Mühe, denn noch immer war sein Körper von der Blutvergiftung sehr geschwächt.
Mehrmals trafen sich die gefährlichen Enden der Stäbe und die Luft knisterte vor Entladungen. Mehr und mehr verflog des Gefühl der Kraft, die ihm die Erinnerung und erste Woge des Hasses gegeben hatte, doch das Gefühl blieb bestehen. Er hechtete unter einem ausholenden Hieb weg und trat nach Aanters Körper, doch der wich geschickt aus, schlug mit dem Unterarm Aaskirs Schenkel beiseite. Aaskirs Atem ging nun schon schwer und sein Puls raste, während Aanter mit ausdruckslosem Gesicht auf ihn einschlug. Doch es gab für Aaskir kein zurück. Seine Reflexe wurden langsamer und seine Deckung bekam Löcher. Und dann traf zum erstenmal Aanters Stab sein Ziel. Aaskir versuchte, den Hieb abzufangen, doch das blendend weiße Ende fraß sich in Aaskirs rechten Oberarm. Er schrie auf und hörte Aanter lachen. "Darauf habe ich schon lange gewartet." sagte er. "Ich wollte schon immer wissen, wer von uns der bessere ist, und ich glaube, heute wird Meister Oodrak seinen Lieblingsschüler verlieren." Die folgenden Schläge konnte Aaskir nur noch mit größter Mühe parieren. Der Arm brannte wie Feuer und er konnte ihn kaum noch bewegen. Aanter setzte nach und ließ seinen Stab kreisen. Eine geschickte Schlagkombination fegte Aaskirs Deckung beiseite, der Stab zuckte nach vorne und Aaskir warf sich zur Seite und das grelle Weiß traf nur noch den Oberschenkel, auf den es eine blutige Spur hinterließ.
Aanter griff nach umstehenden Möbeln und warf sie in Aaskirs Richtung. dieser hatte Mühe, den Geschossen auszuweichen, dabei näherte sich Aanter und sprang. Der Tritt traf ihm knapp neben dem Solarplexus und preßte ihm die Luft aus den Lungen. Aaskir stolperte einige Schritte rückwärts, konnte das Bein nicht mehr richtig belasten, Aanter sah seine Chance, setzte sofort nach und ein Faustschlag traf erneut die Brust und Aaskir hörte und spürte, wie mehrere Rippen brachen.
"Nun, wie fühlt man sich als Verlierer?" fragte Aanter höhnisch. Er hatte seine Maske fallen lassen und zeigte offen seine Verachtung und Eifersucht auf den Jüngeren. "Meister Eelar hätte dich dort verrecken lassen sollen. Ich weiß sowieso nicht, warum die Bruderschaft so einen Wirbel um dich gemacht hat!" Dabei deutete er einen Schlag nach Aaskirs Kopf an, fintete aber und dann sah Aaskir, wie sich der Kampfstab unendlich langsam auf ihn zu bewegte und konnte doch nicht ausweichen. Das Ende traf ihn voll ihn die Seite, oberhalb der Hüfte. Er fühlte fast keinen Schmerz, doch plötzlich gaben seine Beine nach, der Stab fiel ihm auf der Hand und erlosch. Er brach zusammen.
Letzte Änderung 22. January 2001 / Bei Fragen und Anregungen Mail an nazkor@gmx.de