Denn das Wahre ist ernst

 Denn das Wahre ist ernst; traue der Heiterkeit nicht.
 Es verblassen des Abends die Farben der Landschaft, auch die
 heitersten,
 und sie zeigt ihre ernsten Linien,
 wenn der dunkelnde Ölbaum gegen des Himmels Dämmergrau steht
 eingehüllt in Unbeweglichkeit.
 Oh das Gewesene, das sich abends herabsenkt
 als Ahnung des Immerseienden.
 Dann wird der Stein zum Kristall, das Tagewerk aber ruht im
 Ernste zum wahren Bleiben.

                                                Hermann Broch



 Ganymed Wie im Morgenglanze Du rings mich anglühst, Frühling, Geliebter! Mit tausendfacher Liebeswonne Sich an mein Herz drängt Deiner ewigen Wärme Heilig Gefühl, Unendliche Schöne! Dass ich dich fassen möcht In diesen Arm! Ach, an deinem Busen Lieg ich, schmachte, Und deine Blumen, dein Gras Drängen sich an mein Herz. Du kühlst den brennenden Durst meines Busens, Lieblicher Morgenwind! Ruft drein die Nachtigall Liebend nach mir aus dem Nebeltal. Ich komm, ich komme! Wohin? Ach, wohin? Hinauf! Hinauf strebts! Es schweben die Wolken Abwärts, die Wolken Neigen sich der sehnenden Liebe. Mir! Mir! In euerem Schosse Aufwärts! Umfangend umfangen! Aufwärts an deinen Busen, Alliebender Vater! Johann Wolfgang Goethe

 Ein Wort Ein Wort, ein Satz -: aus Chiffren steigen erkanntes Leben, jäher Sinn, die Sonne steht, die Sphären schweigen, und alles ballt sich zu ihm hin. Ein Wort - ein Glanz, ein Flug, ein Feuer, ein Flammenwurf, ein Sternenstrich - und wieder Dunkel, ungeheuer, im leeren Raum um Welt und Ich. Gottfried Benn

 Einer Toten Ach, dass du lebtest! Tausend schwarze Krähen, Die mich umflatterten auf allen Wegen, Entflohen, wenn sich deine Tauben zeigten, Die weissen Tauben deiner Fröhlichkeit. Dass du noch lebtest! Schwer und kalt bedrängt Die Erde deinen Sarg und hält dich fest. Ich geh nicht hin, ich finde dich nicht mehr. Und Wiedersehn? Was soll das Wiedersehn, Wenn wir zusammen Hosianna singen Und ich dein Lachen nicht mehr hören kann? Dein Lachen, deine Sprache, deinen Trost: Der Tag ist heut so schön. Wo ist Chasseur? Hol aus dem Schranke deinen Lefaucheux, Und geh ins Feld, die Hühner halten noch. Doch bieg nicht in das Buchenwäldchen ab, Und leg dich nicht ins Moos und träume nicht. Pass auf die Hühner und sei nicht zerstreut, Blamier dich nicht vor deinem Hund, ich bitte. Und alle Orgeldreher heut' verwünsch ich, Die mit verlornem Ton aus fernen Dörfern Dir Träume senden - dann gibt's keine Hühner. Und doch, die braune Heide liegt so still, Dich rührt ihr Zauber, lass dich nur bestricken. Wir essen heute Abend Erbsensuppe, Und der Margaux hat schon die Zimmerwärme; Bring also Hunger mit und gute Laune. Dann liest du mir aus deinen Lieblingsdichtern, Und willst du mehr, wir gehen an den Flügel Und singen Schumann, Robert Franz und Brahms. Die Geldgeschichten lassen wir heut ruhn. Du lieber Himmel, deine Gläubiger Sind keine Teufel, die dich braten können, Und alles wird sich machen. Hier noch eins: Ich tat dir guten Kognak in die Flasche. Grüss Heide mir und Wald und all die Felder, Die abseits liegen und vergiss die Schulden, Ich seh' indessen in der Küche nach, Dass uns die Erbsensuppe nicht verbrennt. Dass du noch lebtest! Tausend schwarze Krähen, Die mich umflatterten auf allen Wegen, Entflohen, wenn sich deine Tauben zeigten, Die weissen Tauben deiner Fröhlichkeit. Ach, dass du lebtest! Detlev von Liliencron

 Entfremdung In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen. Die Äste haben nicht die Blätter, die sie in den Wind halten. Die Früchte sind süß, aber ohne Liebe. Sie sättigen nicht einmal. Was soll nur werden? Vor meinen Augen flieht der Wald, vor meinem Ohr schließen die Vögel den Mund, für mich wird keine Wiese zum Bett. Ich bin satt vor der Zeit und hungre nach ihr. Was soll nur werden? Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen. Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern? Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen. Ingeborg Bachmann

 Das trunkene Lied O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? "Ich schlief, ich schlief -, aus tiefem Traum bin ich erwacht: - Die Welt ist tief, und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh -, Lust - tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh! doch alle Lust will Ewigkeit -, - will tiefe, tiefe Ewigkeit!" Friedrich Nietzsche

 Der Falke (der Kürenberger, mitte 12. Jh.) Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr. dô ich in gezamete als ich in wolte hân und ich im sîn gevidere mit golde wol bewant, er huop sich ûf vil hôhe und floug in anderiu lant. Sît sach ich den valken schône fliegen: er fuorte an sînem fuoze sîdîne riemen, und was im sîn gevidere alrôt guldîn. got sende si zesamene die gerne geliep wellen sîn! Übersetzung: Ich zog mir einen Falken länger denn ein Jahr. Als er von mir gezähmt und mir nach Wunsche war und ich um sein Gefieder goldene Bänder wand, steil stieg er in die Lüfte und flog in ein anderes Land. Fortan sah ich den Falken herrlich fliegen: er trug an seinem Fusse seidene Bänder, es glänzte sein Gefieder um und um von Gold. Gott sende sie zusammen, die sich sehnsüchtig hold.

 Der Millionär "Hier möcht ich wohnen!" rief ein Millionär Und brachte seine Familie her. Ein freies Aussichtplätzchen sucht er aus Und baute sich ein pompejanisch Haus. Die Eingebornen wussten wohl zu schätzen Den werten Gast; denn jeder wollt ihn pfetzen. Der Architekt vor allem, laut Vertrag, Stahl ihm zweihunderttausend Mark mit einem Schlag. Dann, um den Handel etwas auszugleichen, Liess er ihm eine Zuschlagsrechnung überreichen, Die forderte nachträglich ungezwungen Zweiundeinhalbmal mehr als ausbedungen. Der Gärtner, bei der passenden Gelegenheit, Fand sich zu jedem Dienste gern bereit, "Verfaulter Flor? verdorrte Bäumchen? Was Sie nur befehlen, Gnädiger Herr, Sie brauchen bloss zu wählen." Vom Milcher bis zum Metzger schnitt Ein jeder seinen saftigen Profit. Die Nachbarn links und rechts indessen Versüssten ihm das Dasein mit Prozessen. Und als er endlich, alles wohl erwogen, Fluchend mit Weib und Kind davon gezogen, Nackter als Adam vor dem Fall: "Ein schwieriger Charakter!" Munkten die Frommen: "Nicht auszukommen!" Carl Spitteler

 Die Lorelei   Ich weiss nicht, was soll es bedeuten, Sie kämmt es mit goldenem Kamme Dass ich so traurig bin; Und singt ein Lied dabei; Ein Märchen aus alten Zeiten, Das hat eine wundersame, Das kommt mir nicht aus dem Sinn. Gewaltige Melodei. Die Luft ist kühl, und es dunkelt, Den Schiffer im kleinen Schiffe Und ruhig fliesst der Rhein; Ergreift es mit wildem Weh; Der Gipfel des Berges funkelt Er schaut nicht die Felsenriffe, Im Abendsonnenschein. Er schat nur hinauf in die Höh. Die schönste Jungfrau sitzet Ich glaube, die Welllen verschlingen Dort oben wunderbar, Am Ende Schiffer und Kahn; Ihr goldenes Geschmeide blitzet, Und das hat mit ihrem Singen Sie kämmt ihr goldenes Haar. Die Lorelei getan. Heinrich Heine

 Hälfte des Lebens Mit gelben Birnen hänget Und voll mit wilden Rosen Das Land in den See, Ihr holden Schwäne, Und trunken von Küssen Tunkt ihr das Haupt Ins heilignüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm' ich, wenn Es Winter ist, die Blumen, und wo Den Sonnenschein, Und Schatten der Erde? Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen. Friedrich Hölderlin

 Anpassung Gestern fing ich an sprechen zu lernen Heute lerne ich schweigen Morgen höre ich zu lernen auf    Humorlos Die Jungen werfen zum Spass mit Steinen nach Fröschen Die Frösche sterben im Ernst    Totschlagen Erst die Zeit dann eine Fliege vielleicht eine Maus dann möglichst viele Menschen dann wieder die Zeit Erich Fried (1921-88)

 Die Moritat von Mackie Messer Und der Haifisch, der hat Zähne Und die trägt er im Gesicht Und Macheath, der hat ein Messer Doch das Messer sieht man nicht. Und es sind des Haifischs Flossen Rot, wenn dieser Blut vergiesst Mackie Messer trägt'nen Handschuh Drauf man keine Untat liest. An der Themse grünem Wasser Fallen plötzlich Leute um Es ist weder Pest noch Cholera Doch es heisst: Mackie geht um. An'nem schönen blauen Sonntag Liegt ein toter Mann am Strand Und ein Mensch geht um die Ecke Den man Mackie Messer nennt. Und Schmul Meier bleibt verschwunden Und so mancher reiche Mann Und sein Geld hat Mackie Messer Dem man nichts beweisen kann. Jenny Towler ward gefunden Mit'nem Messer in der Brust Und am Kai geht Mackie Messer Der von allem nichts gewusst. Wo ist Alfons gleich, der Fuhrherr? Kommt das je ans Sonnenlicht? Wer es immer wissen könnte Mackie Messer weiss es nicht. Und das grosse Feuer in Soho Sieben Kinder und ein Greis In der Menge Mackie Messer, den Man nicht fragt, und der nichts weiss. Und die minderjähr'ge Witwe Deren Namen jeder weiss Wachte auf und war geschändet Mackie welches war dein Preis? Berthold Brecht  

 An sich Sei dennoch unverzagt! Gib dennoch unverloren! Weich keinem Glücke nicht, steh höher als der Neid, Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid, Hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen. Was dich betrübt und labt, halt alles für erkoren, Nimm dein Verhängnis an, lass alles unbereut. Tu, was getan sein muss, und eh man dirs gebeut. Was du noch hoffen kannst das wird noch stets geboren. Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke Ist sich ein jeder selbst. Schau alle Sachen an: Dies alles ist in dir. Lass deinen eitlen Wahn, Und eh du fürder gehst, so geh in dich zurücke. Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kann, Dem ist die weite Welt und alles untertan. Paul Fleming



 Sachliche Romanze Als sie einander acht Jahre kannten (und man darf sagen sie kannten sich gut), kam ihre Liebe plötzlich abhanden. Wie andern Leuten ein Stock oder Hut. Sie waren traurig, betrugen sich heiter, versuchten Küsse, als ob nichts sei, und sahen sich an und wussten nicht weiter. Da weinte sie schliesslich. Und er stand dabei. Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken. Er sagt, es wäre schon Viertel nach vier und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken. Nebenan übte ein Mensch Klavier. Sie gingen ins kleinste Café am Ort und rührten in ihren Tassen. Am Abend sassen sie immer noch dort. Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort und konnten es einfach nicht fassen. Erich Kästner

 Sehnsucht Was zieht mir das Herz so? Was zieht mich hinaus? Und windet und schraubt mich Aus Zimmer und Haus? Wie dort sich die Wolken Um Felsen verziehn! Da möcht' ich hinüber, Da möcht' ich wohl hin! Nun wiegt sich der Raben Geselliger Flug; Ich mische mich drunter Und folge dem Zug. Und Berg und Gemäuer Umfittigen wir; Sie weilet da drunten, Ich spähe nach ihr. Da kommt sie und wandelt; Ich eile so bald, Ein singender Vogel, Zum buschichten Wald. Sie weilet und horchet Und lächelt mit sich: "Er singet so lieblich Und singt es an mich." Die scheidende Sonne Verguldet die Höhn; Die sinnende Schöne, Sie läßt es geschehn, Sie wandelt am Bache Die Wiesen entlang, Und finster und finstrer Umschlingt sich der Gang. Auf einmal erschein' ich, Ein blinkender Stern. "Was glänzet da droben, So nah und so fern?" Und hast du mit Staunen Das Leuchten erblickt: Ich lieg' dir zu Füßen, Da bin ich beglückt! Johann Wolfgang Goethe

 Selige Sehnsucht Sag es niemand, nur den Weisen, Weil die Menge gleich verhöhnet: Das Lebendge will ich preisen, Das nach Flammentod sich sehnet. In der Liebesnächte Kühlung, Die dich zeugte, wo du zeugtest, Überfällt dich fremde Fühlung, Wenn die stille Kerze leuchtet. Nicht mehr bleibest du umfangen In der Finsternis Beschattung, Und dich reisset neu Verlangen Auf zu höherer Begattung. Keine Ferne macht dich schwierig, Kommst geflogen und gebannt, Und zuletzt, des Lichts begierig, Bist du Schmetterling verbrannt. Und so lang du das nicht hast, Dieses: Stirb und Werde! Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde. J.W. Goethe

 Sterne und Träume - Markus Bomhard - Weißt Du noch, wie ich Dir die Sterne vom Himmel holen wollte, um uns einen Traum zu erfüllen? Aber Du meintest, sie hingen viel zu hoch ...! Gestern streckte ich mich zufällig dem Himmel entgegen, und ein Stern fiel in meine Hand hinein. Er war noch warm und zeigte mir, daß Träume vielleicht nicht sofort in Erfüllung gehen; aber irgendwann ...?!

 Türmerlied   Zum Sehen geboren, So seh ich in allen Zum Schauen bestellt, Die ewige Zier, Dem Turme geschworen, Und wie mirs gefallen, Gefällt mir die Welt. Gefall ich auch mir. Ich blick in die Ferne, Ihr glücklichen Augen, Ich seh in der Näh Was je ihr gesehn, Den Mond und die Sterne, Es sei, wie es wolle, Den Wald und das Reh. Es war doch so schön! Goethe

 Wir leben mit Rissen Wir leben mit Rissen in den Wänden, ist es dir aufgefallen? Wir leben auf sich entfärbenden Dielen, unter beweglicher Decke. Das Fensterkreuz ist längst von Fäulnis durchgefressen, es zieht im Sommer schon die kalte Nachtluft hindrungslos herein. Wir wohnen illegal, mach das dir täglich neu bewusst, dass sonst wir beide auf der Strasse sässen. Wir hausen im Prenzlauer Berg, vier Treppen hoch unter dem Dach. Tauben gehn fast aus und ein. Die Asseln töt ich unbemerkt von dir ganz schnell unterm Fensterbrett, die schwarze Spinne unterm Becken, fünfzig Jahr alt, in der Küche erschlage ich trotz grossen Ekels, obwohl der Anblick sehr ästhetisch, und Schauer mir den Rücken kämmen. Ich strich die Türe schwarz, wodurch Besucher, viel zu seltne, hergelangen, unter Frageblicken: ein Sarg? auf diese Art betont die Unerträglichkeit? neinnein, laut schlage ich ein Zupfinstrument, bewirte euch mit heissem Tee, euch freundliche Erschöpfte, hier oben wirklich Angelangte und lache noch im Hagelrauschen, wenn der Himmel finstrer wird, lache noch im Tränenfluss und in der Kälte zwischen uns. Im Staub der Körperdünstung lach ich, geniessend unter Kraftaufwand die uns gebotne Sicherheit. Uwe Kolbe

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