Was findet man nicht alles, wenn man umzieht, u. a. eine
Schmutzfinken-Poetik
Vgl. Bausteine zu einer Poetik der Moderne - für
Walter Höllerer
Hg. Norbert Miller, Volker Klotz, Michael Krüger München
1988
Nicht nur, aber auch wegen solcher peinlicher Figuren
ist die Germanistik eine sterbende
Hose
"Der Beobachter muß es ertragen, sich beobachten zu lassen" (ja, das
so eine Sache für die Voyeure, beim Voyieren voyiert zu werden, siehe
weiter unten). So jedenfalls fängt diese Voyeurspoetik an
("Einige Beobachtungen über das Sehen auf Menschen
und Dinge, mitsamt einer immanenten und deskriptiven Wahrnehmung")
an. Der Beobachter hier ist nicht Bräsig
selbst, nein, es ist das Objekt dieser "Ehrung", Höllerer, der
Schriftsteller (Schriftsteller=Beobachter, nach Bräsig), der von einer
Fotografin beobachtet wird.
Danach: "Szenenwechsel vom Profil zur Rückenansicht" (die
Voyeursperspektiven, alles, nur nicht nur nicht en face): Höllerer wird
in einem folgenden Zitat von anderen beobachtet, - und der Rest ist ein
Zitatengeröll nach dem Motto "Man spielt Kik!". Z. B. "Man hat vielleicht
tausend Fenster passiert. In jedem war etwas zu erwarten, in kaum einem hat
man etwas gesehen" (pauvre Schmützefiñke!)
Unfehlbar kommt Bräsig auf den Fritz Reuter, und ebenso unfehlbar auf
eine Episode, in der "die Beobachter der Beobachter in den Graben fallen"
- der Wunschtraum des erwischten Voyeurs: Wenn er beim Voyieren beobachtet
wird, seinen Beobachter in den Graben fallen zu lassen. "Entscheidend ist,
daß sich der Beobachter nasse Füße holt, indem er in den
Graben fällt" - jaaa. Und der Wunsch wird dann "wissenschaftlich": "Wir
wollen dies den dynamischen Prozeß eines multiplen Beobachtungsvorgangs
nennen". Boah! "Dynamischer Prozeß!" Goistroich! "Erheblicher Tiefsinn!"
- dem unser Autor aber nicht zu folgen versucht, das ist nicht seine Sache.
Er ist zwar eine Qualle, kann aber nicht tauchen. Zum nächsten Zitat
heißt es (ins Wasser fallen reicht nicht als Strafe für das Voyieren
von Voyeuren): "Wir sehen: der reine Prozeß des Beobachtens, befreit
von einem konkreten Objekt und beschwert von dem Rückfall in eine
romantische Sehnsuchtshaltung, fällt auch ins Wasser, er erblindet".
"Wir wollen an dieser Stelle weitere literarhistorische Reminiszenzen
unterdrücken" - woran unser Autor sich mangels Gedanken über die
bereits zitierten aber nicht halten kann. Er läßt weitere Zitate
mit waberndem Darumherumgesülze folgen, alles, bloß keine Gedanken.
Selbst zu Dürrenmatts naheliegender Geschichte fällt ihm nichts
ein, außer: "Auch hier und mit alledem zeigt sich: künstlerische
Texte sind die vermutlich komplexesten Infomationsträger, die wir uns
bislang denken können". Boah.
Wenn jemand, wie Höllerer, so einem einen Professorentitel beschafft,
dann hat er auch so eine Laudatio verdient. Ein Quallen-"Baustein", ab ins
Meer des Vergessens.
Allerdings hat Bräsig zum 70. Geburtstag Höllerers einen weiteren
Baustein angekündigt. Das ist seine Spezialität: Versprechen, was
er schon mal nicht halten konnte.
Das Meer ist tief und an Abfall gewöhnt.
Die Schlußpointe hat was: "Lieber Walter, ich stimme mit Dir überein.
Das wollte ich Dir hiermit sagen." (Wie er sich windet und dreht: Hier schleimt
und sülzt der Schmock)
Projektionswahn pur: Erst muß Höllerer sich in einer ihm gewidmeten
Festschrift als Voyeur darstellen lassen, und dann in schöner Offenheit
hören, daß der Laudator auch ein Schmutzfink ist.
Voyeure sind eben blosse Exhibitionisten. - allerdings ziemlich undankbare:
ohne den verblendeten (? vielleicht auch bloß
ein Schmokk, nochmal kukken) Höllerer hätte dieser
Gemüts-Schmock keinen Professorentitel
bekommen. Erst saugt der sich fest, wenn er satt ist, kann er das Wasser
nicht halten und bepisst seine ihn genährt habende alma mater . Das
Wirtstier muss es büßen.
© Hartmut Dietz