Mythos 1860

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Uns von den Freunden des Sechz´ger Stadions geht es auch darum aufzuzeigen daß das Sechz´ger Stadion ein wesentlicher Bestandteil des TSV 1860 München ist. Die Faszination die von der Kombination TSV 1860 + Sechz´ger Stadion ausgeht ist unglaublich. Viele Fans haben sich seit dem Auszug des TSV aus dem Stadion an der Grünwalder Str. auf Grund des immensen Identitätsverlusts  vom Geschehen um die Münchner Löwen zurück gezogen. Der Kult um den Giesinger Arbeiterverein wurde durch den Umzug des TSV 1860 ins Olympiastadion zerstört. Ein Stück Münchner Kultur wird seit 1995 sträflich vernachlässigt.

 

Mythos 1860

(Der Versuch einer intellektuellen Auseinandersetzung mit einem Phänomen)

Teil 1 - Eine Zustandsbeschreibung

Wenn ich mich im Jahre 1997 gerade noch dazu aufraffen kann - gelangweilt und angeödet - die Heimspiele des TSV 1860 in der roten Schüssel zu besuchen, und auf dem Weg zum Stadion bunt gekleidete, rein sportinteressierte und auch ansonsten gewöhnliche Leute erblicke, und während des Spiels neue Symbolfiguren wie M.Bender, H.Cerny, M.Schwabl, o.ä. erdulden muß, die Hoffnung auf Stimmung sich meist als vergeblich herausstellt und kurz gesagt, der gesamte Samstagnachmittag eher eine lästige Pflichterfüllung als das gewohnte geile Erlebnis darstellt, stelle ich mir immer häufiger die Frage, wie das alles so enden konnte.

Gewiß bin ich nicht jemand, der jahrzehntelang kein Spiel versäumt hat, kein Allesfahrer und keiner, der ohne "den Verein" nicht leben könnte. Doch ist mir dieser Club seit der legendären "Schweinfurt-Saison" so ans Herz gewachsen, daß es mir heute in der Seele weh tut, mitansehen zu müssen, wie ein Fußballverein aus München-Giesing sich so verändern konnte, vom Kult-Image des Underdogs, vom alten Rivalen verlacht, vom DFB betrogen und trotzdem niemals untergegangen, vor allem wegen seiner treuen Anhängerschaft, seiner Tradition und bestimmten Leuten, die wußten, welche Faszination von diesem Mythos ausgeht, hin zum jeglicher Faszination entbehrenden Durchschnitts-Bundesligaclub, ohne Charakter, mit überwiegend austauschbaren Figuren auf dem Rasen geviert, weg vom Image des kämpferischen Arbeitervereins, wo trotzdem, wie unser einstiger Kult-Trainer Karsten Wettberg meinte, ein Rechtsanwalt problemlos neben einem Arbeitslosen sitzen könnte - weg vom intakten Mikrokosmos, der Einheit aus Mannschaft, Fans, Trainer und - teilweise - Vorstand, hin zum angepaßten Mittelmaß, den Konventionen von Reihenhausidylle und biedermeierlichem Bürgerbegriff der Postmoderne entsprechend, weg vom Bier, Schweiß, Tränen und Randale hin zum neonbunten Cerny-Trikot, Dauerkarte Haupttribüne-Seite, inklusive Verlassen des Stadions um 17.05 Uhr und zu all solchen Verhaltensweisen, die wir früher gehaßt, als FCB-Manier gebranntmarkt und immer gehofft haben daß keiner bei Sechzig sie je übernimmt.

Ich weiß, daß jetzt wieder einige nach so viel Kritik an den momentanen Zuständen denken, ich wollte wieder nur "alles mies machen", "verkenne, was sich alles positiv entwickelt", mache mich "über bestimmte Schichten von Löwenfans lustig" usw. usf.. Diese Meinungen sind mir allerdings vollkommen egal, ich denke überhaupt, daß mindestens die Hälfte - wenn nicht sogar entscheidend mehr - der Bayernliga-Stammzuschauerschaft von vor fünf bis sieben Jahren, sowie ein erheblicher Teil der auch heute noch dem Verein zugeneigten meine Meinung in etwa teilt, ebenfalls massive Identifikationsprobleme hat, und sich äußerst schwer tut, die Wandlung von einem in gewachsenen Strukturen verhafteten, begeisternd aufspielenden und Fußball in seiner ursprünglichen Bedeutung verkörpernden Verein hin zu einem charakter- und geistlosen Etwas, gespalten zwischen verbliebenen Reststrukturen und neuer Angepaßtheit sich befindend und jeder mystischen Anziehungskraft entbehrendem, keinerlei Ausdruck verleihendem Gebilde, zu verstehen.

Doch wie kann sich ein Verein so umwandeln, warum können einige Potentaten die Entwicklung des Clubs in eine Richtung lenken, die vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Da ich nun permanent in der Vergangenheit schwelge, möchte ich kurz an ein paar Schicksalsspiele erinnern, die ich - ebenso wie wohl viele andere - bis heute nicht vergessen kann und die entscheidend zur Versinnbildlichung der glorreichen, wunderschönen alten Zeiten beitragen können: (wer)


Teil 2 - Unvergeßliche Ereignisse

Beginnen möchte ich mit einem der zahlreichen legendären Augenblicke, die ich als Fan des TSV 1860 erleben durfte:
Ein wunderbarer Moment der Freude war er sicher, der erste Zweitligaaufstieg, der ´91 gegen Neukirchen mit einem 2:1 sichergestellt werden konnte, zuvorderst, weil er nach 9 Jahren die erste Wiederkehr in den Profifußball bedeutete, aber auch, weil er nach dem mäßigen Aufstiegsrundenauftakt kaum noch erwartet werden konnte. Das 2:0 in Kassel unter der Woche war der wichtigste Schritt, der Heimsieg am Schlußwochenende der entscheidende und gleichzeitig der Anlaß für einen überschwenglichen Freudentaumel im Grünwalder Stadion. Abertausende feierten auf dem Rasen, trugen Karsten Wettberg als "König von Giesing" auf Händen, Walter Hainer (jetzt Spvgg Moosburg, A-Klasse) tanzte auf dem Dach der Trainerbank usw. usf.. Bei der Aufstiegsfeier waren mehr Menschen (natürlich auch mit mehr Euphorie und Hingabe) auf dem Marienplatz als bei den Meisterschaften der Bayern in den Jahren zuvor. Als der Wiederaufstieg in die 2.Liga das zumindest alljährliche Duell gegeneinander wieder ermöglichte, fand das in meinen Augen bisher aufregendste Derby statt, vor 35 000 Zuschauern im Olympiastadion. Der Haß aufeinander war sofort wieder spürbar, spätestens nach der roten Karte gegen S. Effenberg war die Atmosphäre äußerst aufgeheizt. Die Zuschauerstruktur in der Nordkurve entsprach noch nicht dem heutigen plumpen Zappelhaufen mit neonbunten Trikots und fünf verschiedenen Freundschaftsschals an Hals und Händen, 90 Minuten wurde durchsupportet, das 0:0 gefeiert wie ein Sieg, und ich war einer ganz speziellen Art und Weise stolz darauf ein Löwe zu sein; nicht allein wegen der Abgrenzung zu normalen Fußballvereinen oder dem damals noch stärkeren Feindbild FCB, nicht wegen Karsten Wettberg oder einzelnen Spielern, nein, einfach wegen der damals vorherrschenden Einheit, die in ihren verschiedenen Ausprägungsformen den Charakter von 1860 wesentlich bestimmte und sich zu einem wiedererstarkenden Mythos auszubilden schien.

Fortfahren möchte ich mit einem Spiel, welches aufgrund seiner speziellen Begleitumstände wahrlich Legende ist: Das Zweitligaspiel Lok Leipzig gegen den TSV 1860 (Abstiegsrunde, Mai ´92). Nach den Gewalttätigkeiten beim ersten Spiel in Leipzig war allen Mitfahrenden klar, was sie erwarten würde. So machten sich an einem Sonntag morgen 3500-4000 Blaue auf dem Weg nach Leipzig, viele davon in dutzenden von Bussen, die als Konvoi ab der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze ein prächtiges Bild abgaben. Schon vor Leipzig verließ man die regulären Straßen zum Stadion und wich auf Klein- und Kleinststraßen aus, um einer Eskalation außerhalb des Stadions vorzubeugen. Auf dem Weg ins damals von Lok benutzte Zentralstadion erblickte man schon etliche gewaltbereite Menschen mit haßerfüllten Gesichtern, die vom Straßenrand oder von Brücken aus drohten oder wild gestikulierten. Nach dem drei verschiedenartigen Sperren auf dem Gelände rund ums Stadion überwunden waren und man in der baufälligen Baracke platzgenommen hatte, hoffte man auf den nötigen Punkt oder wenigstens darauf, daß in der Parallelpartie Mainz gegen Darmstadt (ich glaube so lautete die Paarung) ein bestimmtes Resultat eintrifft. Das Spiel der Löwen war katastrophal, nach dem schnellen 0:1 stolperte man nur über den Rasen, doch noch schien der Klassenerhalt gesichert. Auch schützten uns ohne Übertreibung mindestens 500-600 Polizisten vor heranstürmenden Leipzigern. Doch in den letzten Minuten erzielte eine der beiden Mannschaften in der anderen, für Sechzig so wichtigen Partie zwei Tore und wir mußten in die Relegation. Kurz darauf war Karsten Wettberg seinen Job los und es ging erneut zurück in die Bayernliga. Der ohnehin schon marode Auswärtsblock glich nach einer kurzen, aber intensiven Phase des Abreagierens wahrlich einem Schlachtfeld, und noch heute prangern Werbebanden in diesem Teil des Stadions um die Verwüstung zu kaschieren. Auf dem immer noch von hundertschaften von Polizei abgesperrten Gelände hinter dem Stadion stand wirklich beinahe Allen bitterste Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, und ich werde mein Leben lang nicht vergessen, wie unserem Bus 45 erwachsene Männer fast ausnahmslos entweder hemmungslos weinten bzw. ihre Wut im Alkohol ertränkten oder in Tankstellenplünderei ihr Heil suchten. Der Zugvandalismus bei der Rückfahrt durch die ehemalige CSFR sei hier nur am Rande erwähnt. Diese totale Verbundenheit, diese offene, ehrliche Liebe und Treue zum Verein offenbarte sich mir bei Sechzig selten stärker als vor, während und nach dem Spiel. Dieses waren nur kurze Berichte zu Spielen, die, so glaube ich, gezeigt haben, was Sechzig vor nicht allzulanger Zeit für ein Verein gewesen ist. (wer)

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