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Funken im Abrund ______________________ Soma Morgenstern "Wenn Sie jetzt sterben, gehören Sie schon mit diesen hundert Seiten zur Weltliteratur", urteilte Robert Musil in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts über das Romanmanuskript. Heute ist Soma Morgenstern, der eng mit Joseph Roth und Alban Berg befreundet war, ein vergessener Autor, seine Bücher werden auch in Kindlers Literaturlexikon nicht erwähnt, obwohl der erste Band noch 1935 in Berlin erschienen ist, die beiden folgenden nur in amerikanischer Übersetzung. Erst im Jahre 1996 ist die Romantrilogie "Funken im Abgrund" vollständig in der deutschen Originalsprache erschienen. Wie es dazu kam hängt mit der Biographie Morgensterns zusammen, der 1890 in Budzanów/Ostgalizien als Kind einer strenggläubigen jüdischen Familie geboren wurde und 1976 in New York starb. Obwohl man zuhause traditionell Jiddisch sprach, lernten er und seine Geschwister früh Deutsch, denn nur wer Deutsch sprechen und lesen konnte galt dem Vater als gebildeter Mensch. Gegen den Widerstand dieses strengen, chassidischen Vaters löste er sich aus der jüdischen Tradition, besuchte das katholische Gymnasium in Tarnopol und studierte anschließend Jura. Nach der Promotion zum Doctor juris arbeitete Morgenstern für mehrere Zeitungen, zuletzt als Kulturkorrespondent der "Frankfurter Zeitung" in Wien, bis er die Stelle seiner jüdischen Herkunft wegen verlor. Am Tag der Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich flüchtete er nach Frankreich und eine Odyssee durch mehrere europäische Staaten und Internierungslager begann, bis er endlich 1946 -am Ende seiner Kräfte- die amerikanische Staatsbürgerschaft erlangte. Die Manuskripte der Fortsetzungen waren verloren und mußten von ihm selbst mühevoll und unter seelischen Qualen rekonstruiert werden. Im Zentrum der Trilogie "Funken im Abgrund" steht Alfred Mohylewski, ein 19jähriger Wiener Architekturstudent und Sohn eines konvertierten Juden. Der Vater war als Offizier der Landwehr gleich zu Beginn des I. Weltkrieges gefallen, als Alfred noch ein Kind war und dessen Verbindung zur "Dopropoljer Sippschaft" somit vollständig abgerissen, bis er in Wien von seinem Onkel Welwel aufgespürt wird. Daher der Titel des ersten Bandes "Der Sohn des verlorenen Sohnes". Zunächst probeweise folgt Alfred seinem Onkel Welwel nach Galizien in die Heimat, die der Vater verlassen hatte. Vom spöttischen Beobachter eines jüdischen Weltkongresses in Wien wandelt er sich zu einem staunenden Neuling und Bewunderer des jüdischen Lebens in Dobroplje, der unschuldig und mit offenen Augen erst noch lernen muß, wie kompliziert und verletzlich das soziale Geflecht in einem kleinen Dorf ist und wie schön und ergreifend das Gemeinschaftserlebnis eines jüdischen Sabbats im Hause Welwels. Im zweiten Band "Idyll im Exil" wird Alfred von Welwel in die jüdischen Gesetze und Riten eingeführt, während Jankel Christjampoler, der Verwalter, versucht einen brauchbaren Gutsherrn aus ihm zu machen. Die ständigen Reibereien und Wortwechsel der beiden Antagonisten Welwel, dem "Klerikalen", und Jankel, dem pragmatischen Ökonomen, machen viel vom besonderen Reiz des Buches aus. Sie produzieren beim Leser plötzliche Lachanfälle, liefern aber auch viel Nachdenkliches. Überhaupt ist der alte Jankel die am besten gelungene Figur des Buches. Das Landleben ist natürlich auch und gerade in Galizien nicht nur Naturromantik und Idylle. Ostgalizien ist Grenzland und die latente Feindseligkeit zwischen dem Alten und dem Neuen Dorf, zwischen Polen und Ukrainern und - zwischen allen Stühlen - den Juden, eskaliert im zweiten Band zu einem bewaffneten Konflikt, der - wie von einem guten Roman zu erwarten - unausweichlich zu einer schrecklichen Katastrophe führt. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Ob Alfred in Dobropolje bleibt und ob ihm die Rückkehr zum geistigen Fundament seines Judentums gelingt, obwohl die politische Situation und persönliches Leid seine gesamte Existenz in Frage stellen, erfährt der Leser im dritten Band der Trilogie: "Das Vermächtnis des verlorenen Sohnes". Aus dem Großstadtkind Alfred wird ein überzeugter Zionist, der bereit ist den väterlichen Anteil am Landgut zu übernehmen, um eine Vorbereitungsstätte für die Auswanderung nach Palästina zu gründen. Denn "Gott hat dem Menschen zwei Beine gegeben, damit er auch eine Heimat verlassen kann, wenn sie feindselig und bösartig geworden ist". Geistreich und liebevoll, oft melancholisch, aber nie kitschig, schildert Morgenstern die Gestalten seiner Kindheit und Jugend. Auch die Beschreibung der Landschaft ist ihm hervorragend geraten. Kraftvoll und originell vermittelt er sofort die nötige Atmosphäre und man erlebt zusammen mit Alfred den Sonnenaufgang über wogendem Hafer, sieht die Weißkleefelder leuchten und freut sich schon auf den nächsten Band. Diese Trilogie ist ein authentisches Panorama jüdischen Lebens in den Dörfern Ostgaliziens, einer Welt, die im Krieg zerstört wurde und nur noch in der Erinnerung der Holocaust-Überlebenden existiert. Soma Morgenstern hat die Veröffentlichung der drei Bände in der Originalsprache nicht mehr erlebt. Eine geplante Gesamtausgabe in Deutschland scheiterte 1967 am Tode des Verlegers Joseph Witsch. Dem zu-Klampen-Verlag in Lüneburg ist jetzt die vollständige Herausgabe zu danken. Trotz Förderung durch das Land Niedersachsen sind die Bücher nicht gerade billig, aber auf jeden Fall ein erstklassiges Leseerlebnis. [Leseprobe]
© G!G 09.12.97 Lese!zeichen
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