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Der englische Patient
______________________ Michael Ondaatje

Ein schwarz verbrannter Körper und eine Stimme, das ist der englische Patient. Ein abgestürzter Flieger, der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von Hana, der kanadischen Krankenschwester, in einer zerbombten Villa bei Florenz gepflegt wird. Sie wäscht ihn und liest nachts -wenn beide keinen Schlaf finden- aus Büchern vor, die sie in der Bibliothek gefunden hat - Kipling und Stendhal. Aber nicht nur der namenlose Körper ist verletzt, auch bei Hana hat der Krieg Wunden, emotionale Wunden, hinterlassen. Ihr Vater ist verbrannt; Mann und Kind sind umgekommen.

Später kommen noch zwei Personen in die Villa. Caravaggio, ein alter Bekannter Hanas aus Kindertagen, Freund ihres Vaters, und Kirpal Singh, genannt Kip, ein junger Sikh und Offizier der britischen Armee, Spezialist im Entschärfen von Bomben.Der erste kommt, um Hana zu beschützen, der zweite, um die von den abziehenden deutschen Truppen zurückgelassenen Bomben unschädlich zu machen. Auch sie sind Strandgut am Rande des Krieges; jeder auf seine eigene Art verwundet.

Vorsichtig und zaghaft entwickeln sich die intimen Beziehungen der vier Gestrandeten zueinander. Ebenso behutsam, wie Hana alle vier Tage den englischen Patienten wäscht. "Sorgfältig und zeitlos" wie Kip, der ganz allein, immer mit dem Radio am Ohr, die Gegend nach Bomben absucht und die Drähte freilegt, die bei jeder falschen Bewegung den Sprengstoff zur Explosion bringen können. Ganz leise und zaghaft beginnt auch die Liebe zwischen Hana und Kip, wenn Hana nachts draußen im Zelt des Inders schläft.

Der englische Patient ist so schwer verwundet, daß er jede Berührung nur mit einer Dosis Morphium erträgt, die Hana ihm verabreicht. Im Gegenzug -"treibend auf einem Floß aus Morphium"- erzählt er Geschichten aus dem Brunnen seiner Erinnerung. "Manche der Geschichten, die der Mann ruhig in das Zimmer hinein erzählt, gleiten wie Falken von Schicht zu Schicht." Aus diesen Erinnerungsbildern, die in Form von Rückblenden immer wieder auftauchen, enthüllt sich allmählich die Lebensgeschichte des geheimnisvollen Patienten. Bilder von Expeditionen in der sengenden Sonne der nordafrikanischen Wüste, von der Suche nach der legendären Oase Zarzura und der verbotenen Liebe des ungarischen Grafen Almásy zu der schönen, aber hochmütigen Katharine Clifton.

Caravaggio, der Dieb und Spion der alliierten Armee, verstümmelt jetzt, denn die Deutschen haben ihm beide Daumen abgehackt, nutzt sein Talent und die Reste seiner Geschicklichkeit, um die Gruppe mit Lebensmitteln -vor allem Wein- zu versorgen, die er in der Umgebung organisiert. Er ist der Katalysator, der die Handlung in Bewegung und den englischen Patienten zum Sprechen bringt, indem er ihm immer mehr Morphium gibt. Caravaggio glaubt die geheime Identität des englischen Patienten zu kennen, vermutet, ihm früher - im Krieg - schon einmal begegnet zu sein, als Caravaggio noch in Kairo für den Geheimdienst spionierte. Ist der Unbekannte vielleicht gar kein Engländer, sondern der verschollene Graf Almásy?

Die Zündung der ersten Atombombe über Hiroshima -von der Kip über seinen Detektor erfährt- zerreißt auch das fragile Beziehungsgeflecht der vier Kriegsversehrten. Entsetzt über die Mißachtung und Gewalt, die die so bewunderte westliche Kultur, der Inbegriff der Zivilisation, seiner Heimat Asien antut, flieht Kip aus Europa, nachdem er alle militärischen Abzeichen von seiner Uniform abgetrennt hat. "Niemals hätten sie eine solche Bombe auf eine weiße Nation abgeworfen." Die Zukunft der Zurückgebliebenen bleibt im Dunkeln.

Abschnitte äußerlicher Ruhe und höchster Spannung wechseln in diesem Roman, der seine ganze Schönheit erst nach mehrmaligem Lesen entfaltet, miteinander ab. Ondaatjes poetische Verdichtung und sein Sinn für visuelle Details machen die Faszination dieses Buches aus.

"Dieser Roman trägt eine dreifache Krone: er ist tiefgründig, schön und läßt das Herz schneller schlagen" Toni Morrison

© G!G 8.5.97  Lese!zeichen

Michael Ondaatje: Der englische Patient. Roman
aus dem Englischen von Adelheid Dormagen
Carl Hanser Verlag, München 1997, 315 Seiten,
Sonderausgabe 24,00 DM

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