Unter diesem Titel wurde die Erstfassung des
Reformkonzepts der österreichischen
Zukunftskommission am 17. 10. 2003 im Festsaal der
Nationalbibliothek in Wien von BM Elisabeth Gehrer und
den Mitgliedern der Zukunftskommission vor 200 geladenen
Gästen vorgestellt.
Die Bundeselternverbände waren zu dieser
"Kick-off" Veranstaltung ebenfalls eingeladen, und so
konnten wir dieses Reformpapier am ersten Tag seines
Erscheinens in Augenschein nehmen. Dieses Reformkonzept
ist in einer eigens dafür eingerichteten
Internetplattform für alle Österreicherinnen
und Österreicher zugänglich und soll auch als
öffentliche Diskussionsgrundlage verstanden werden.
Alle, die sich für Schule interessieren, sind
aufgerufen, sich in den Text im Internet unter: www.klassezukunft.at
einzulesen und Kommentare zu den einzelnen Themen zu
verfassen, die für alle einsehbar zur Diskussion
beitragen. Der Umfang eines einzelnen Beitrages eines
Lesers soll 1000 Zeichen nicht überschreiten.
Zur Geschichte der Zukunftskommission:
Im Zusammenhang mit der im letzten Schuljahre
beschlossenen Stundenkürzung wurde von Elternseite
und von LehrerInnen auch eine pädagogische
Inhaltsdiskussion und nicht nur eine
Stundenplandiskussion eingefordert. Frau BM Gehrer hat in
diesem Zusammenhang die "Zukunftskommission"
eingerichtet. Diese Zukunftskommission unter Vorsitz von
Herrn Univ. Ass. Prof. DDr.
Günter Haider, (Erziehungswissenschafter
und Psychologe) Uni Salzburg,
Frau Univ. Prof. DDr.
Christiane Spiel, (Erziehungswissenschafterin
und Psychologin) und Vorstand am Institut für
Psychologie, Uni Wien,
Herrn Univ. Prof. Dr.
Ferdinand Eder, (Erziehungswissenschafter und
Germanist) am Institut für Erziehungswissenschaften
der Uni Salzburg und
Herrn Mag. Dr. Werner
Specht, Leiter des Bereichs II des Zentrums
für Schulentwicklung in Graz (ein Institut des
bm:bwk) und Honorarprof. für
Schulqualitätsforschung an der Uni Salzburg, wurde
von Frau BM Elisabeth Gehrer beauftragt, ein
Grundlagenpapier zu entwerfen, das als
Diskussiongrundlage für eine großangelegte
öffentliche Schuldiskussion dienen soll.
Der Umfang dieses Papiers ist mit 98 DIN A4 Seiten
inhaltlich sehr komplex und hat nach seiner
Veröffentlichung schon die kontroversesten
Diskussionen in den Medien ausgelöst.
Die ersten 50 Seiten sind mit der Ist-Analyse und der
Darstellung der Ausgangslage des Österreichischen
Schulsystems "diagnostisch" beschäftigt, von Seite
51 bis zum Schluß folgen dann Vorschläge
für Reformmaßnahmen und "Therapien", die
wissenschaftlich auch auf die Kenntnis der weltweiten
Schulsysteme zurückgreifen. Univ. Prof. DDr. Haider
ist ja in Österreich für die PISA Studie und
deren Evaluation zuständig und so ein sehr guter
Kenner der 28 OECD Länder und deren Schulsysteme,
deren Leistungsfähigkeit bei der PISA Studie in zwei
schmalen Bereichen miteinander verglichen werden.
Tatsächlich schadet es aber nicht, bei der
Diskussion auch über den österreichischen
Tellerrand hinaus zu schauen und sich zu überlegen,
inwieweit sich andere Strukturen und eine andere
Organisation auch auf unser Schulsystem positiv auswirken
könnten.
Es würde hier diesen Bericht sprengen, wenn ich
versuchen würde, alle Themen dieses schon
verdichteten 98 Seiten-Reformpapiers anzusprechen. Ich
kann hier nur einzelne Themen die Eltern besonders
betreffen aufgreifen:
(Seite 14) So ist erwiesen, dass in Österreich
anders als in den meisten anderen OECD Staaten, die
Leistungen der österreichischen SchülerInnen
stark von der Herkunftsfamilie (kulturelles Milieu) und
dem Geschlecht bestimmt werden. Die Zusatzleistung der
Familie zum schulischen Erfolg ist nach wie vor sehr
stark. Kinder aus benachteiligtem sozialen Milieu haben
geringere Chancen die gleichen Standards zu erreichen,
als Kinder aus unterstützendem sozialen Milieu.
(Seite 15) So orteten die Autoren auch große
Leistungsunterschiede innerhalb gleicher Schularten. Laut
PISA unterscheiden sich die untersuchten Leistungen in
den besten und den schlechtesten AHS und BHS enorm. Es
wurden aber auch Hauptschulklassen gefunden, deren
Leistungen über dem Niveau einzelner AHS-Klassen
lagen.
SchülerInnen in ländlichen Hauptschulen
brauchen bis zu 10 Intelligenzpunkte mehr um in die erste
Leistungsgruppe aufgenommen zu werden, als ihre
gleichaltrigen KollegInnen in Hauptschulen der
städtischen Ballungsgebiete.
Demgegenüber finden sich AHS Klassen, deren
Durchschnittsleistungen in Mathematik und
Naturwissenschaften niedriger liegen, als die
Durchschnittsleistung von 2. Leistungsgruppen in
ländlichen Hauptschulen.
Es gibt eine große Begünstigung von Kindern
aus Großstädten, die mit deutlich geringeren
Leistungen Zugang zu Berechtigungen erlangen und
aufnahmeprüfungsfrei weiterführende Schulen
besuchen, als Kinder von ländlichen Schulen. Dieses
starke Ungleichgewicht in den Chancen begünstigt in
Summe Kinder aus Großstädten und höherem
sozio-kulturellen Milieu.
(Seite 16) Hier wird auch die Studie von Ferdinand
Eder angeführt, die zeigt, dass es in unserer Schule
eine kontinuierlich negative Entwicklung im Bereich von
Motivation und Befinden gibt. So beginnt für
SchülerInnen mit 10 Jahren ein spürbarer
Rückgang der Freude am Schulbesuch, des Interesses
am Lernen und der Zufriedenheit mit Schule und
LehrerInnen.
Es nehmen Schulangst, Stress und psychosomatische
Beschwerden zu und die SchülerInnen verlieren ihr
positives Selbstkonzept. Es fehlt vielen
SchülerInnen die Einsicht in den Sinn des Lernens.
Mädchen bemühen sich mehr ihre Leistung zu
steigern, während Buben dem Minimalismus als
Lösung für diesen Schulfrust nachgehen.
(Seite 18) In diesem Zusammenhang muß auch die
ungelöste Problematik der Leistungsbeurteilung
gesehen werden.
(Seite 19) Analysen zur Entwicklung der Notengebung
während der Schullaufbahn zeigen, dass die
Notendurchschnitte aus den Hauptgegenständen
während der Schullaufbahn kontinuierlich schlechter
werden. Der durchschnittliche Gesamt-Zeitaufwand für
die Schule steigt von 37 Wochen-Stunden auf 45 bis 60
Stunden und trotz dieses steigenden Aufwandes und der
größeren Leistung der SchülerInnen werden
die Noten immer schlechter.
Hier besteht eine Diskrepanz zwischen dem steigenden
Anspruchsniveau der Schulen und der (Un?)Fähigkeit
der LehrerInnen, dieses Anspruchsniveau durch einen
stimulierenden Unterricht auch einzulösen. In diesem
Zusammenhang wird die Notengebung sehr in Frage gestellt.
Es wird weiters vermutet, dass das Verhältnis
Aufwand zu (Noten) Ertrag während der Schullaufbahn
nicht stimmig ist und einen der Gründe bildet, warum
die Lernmotivation immer mehr zurückgeht.
(Seite 20) Beziehungsmanagement versus Leistung:
SchülerInnen kommen zum Schluß: Es ist in der
Schule wichtiger sich mit den LehrerInnen gut zu stellen,
als etwas zu lernen oder etwas zu können. Denn das
sichert bessere Noten. Auch Eltern werden hier genannt,
die dahingehend tendieren, mit LehrerInnen nicht "echt"
zu kommunizieren, sondern strategisch, um ihren Kindern
nicht zu schaden.
(Seite 35ff) Die Ziele des Reformkonzepts sind
daher
Systemziele:
Leistungsförderung, Chancenausgleich, Integration
und Gerechtigkeit.
Bildungsziele:
Entwicklung der Persönlichkeit,
(Selbstkompetenz), Qualifikationsvoraussetzung für
den Arbeitsmarkt, Bewusstsein und Kompetenzen für
die Zivilgesellschaft.
Qualitätsziele
für den Unterricht:
"Guter" Unterricht ist ein Kernanliegen. Dieser ist in
Österreich noch nicht ausreichend erforscht, daher
wird eine systematische Forschung über Lehr- und
Lernprozesse im Unterricht als Qualitätsstrategie
gefordert. Es folgen eine Liste von Definitionen und
zentralen Bausteinen einer Qualitätskultur im
Unterricht.
Hier hinein kommen auch die Zielvereinbarung zwischen
LehrerInnen und Schülern und die Konsequenzen bei
Nichteinhaltung.
Fächerübergreifender Unterricht und eine
alte Forderung von Schülern und Eltern: Das Einholen
von Rückmeldungen (feedback) wird hier als Beitrag
zur Selbstevaluation der LehrerInnen gesehen. Hier
können wir nur hoffen, dass die allgemeine Angst der
LehrerInnen vor einem Feedback dem Nutzen der Evaluation
des Unterrichts weicht.
(Seite 41ff) "Wo Neuerungen auf eine unterentwickelte
Evaluationskultur wie in Österreich treffen, bleibt
die Begrenztheit der Wirkung oft unbemerkt." Dieser kluge
und wahre Satz leitet das Kapitel: Innovationsansatz und
seine Konkretisierung ein.
Es wird hier im Text ein umfangreiches Szenario
entwickelt, wie diese Innovationen zu einer nachhaltigen
Schulreform führen könnten:
- Transparente Ziele in der
Öffentlichkeit,
- Stärkung der innovativen Kräfte für
die Umsetzung,
- unerwünschte Nebenwirkungen sind schon in der
Planungsphase mitzubedenken und durch prophylaktische
Maßnahmen zu entschärfen.
- Weiters wird steigende Schulautonomie und
- verstärkter Einfluß des Staates, um die
Chancengleichheit und die Durchlässigkeit des
Schulsystems zu gewährleisten, gefordert.
- Auch hier ist regelmäßige Evaluation
der Fortschritte,
- Aus- und Fortbildung des Personals und
- konsequente Ergebnis-Rückmeldung (Feedback)
für das Gelingen der Innovation
unverzichtbar.
- Dieses Szenario (Seiten 41-50) ist in seiner
Komplexität wünschenswert aber sicher ein
Dekadenprojekt.
- So wird Systemisches Qualitätsmanagement
gefordert,
- Transparenz durch System-Monitoring,
- mehr Autonomie und Eigenverantwortung der
Schulen,
- Professionalisierung des lehrenden Personals,
- mehr Geld für Unterstützungssysteme und
Forschung und Entwicklung (F&E)
- weiters Forschungsprojekte für :
Effektivität des Förderunterrichts,
- Forschung für "Flächenfächer in der
Sekundarstufe I",
- Struktur- und Prozess-Standards zur Sicherung von
Qualität in der Sonderpädagogik.
Nach dieser "Einleitung" sind die folgenden Seiten mit
den notwendigen Handlungsbereichen, den
Reformmaßnahmen gefüllt. Eine verkürzte
Zusammenschau mit wenigen exemplarischen Themen soll hier
nur zum Nachlesen im Internet anregen.
Die 7
Haupthandlungsbereiche, welche die
Zukunftskommission vorschlagen, gehen zum Einen sehr an
die Substanz der "gewohnten" Schule: Anderes wiederum ist
heute schon möglich und könnte umgesetzt
werden, ohne die Schulgesetze speziell anpassen zu
müssen.
- Personelle Autonomie der Schulen,
- Evaluation des Unterrichts (Feedbackkultur),
- Standards für den Unterricht,
Basisindikatoren für System-Monitoring,
- Jahresbezogene Aufteilung und autonome Anordnung
der Unterrichtszeit, (statt Wochenstunden)
- Finanzielle Selbstverwaltung (Globalbudgets),
- sprachliche Frühförderung, (neu, ein
Jahr vor der gesetzlichen Schulpflicht ein
Überprüfen der Unterrichtssprachkompetenz,
bei Defiziten Frühförderung durch Schule
oder Kindergarten)
- Unterrichtsgarantie der Schulen,
(verläßlicher Unterricht, kein
Unterrichtsausfall über 5 %)
- Entscheidungen über ganztägige
Betreuungsformen, (gesetzlicher Anspruch auf
tägliche Betreuung über den Unterricht
hinaus)
- Optimierung des Beginns des Schuljahres, (eine
Woche vor Schulbeginn beginnen die LehrerInnen in der
Schule mit den Vorbereitungen für das kommende
Schuljahr.)
- Einschränkung der Klassenwiederholung,
(Jahrgangsklassen versus Leistungsklassen, Kurse)
- Erweiterung des Schulsprengels &endash; mehr
Wettbewerb, mehr Angebote,
- Professionalisierung des Lehrberufs, Aufwertung
durch Leistung,
- Qualität prüfen und sichern,
- Sytem-Monitoring, (um Qualität auch
überregional vergleichbar zu machen)
- Bildungsindikatoren, (notwendig für
Vergleiche)
- Standards, (an Nahtstellen 4, 8, 12)
- Überregionale Inspektorate &endash;
unabhängige Qualitätskontrolle der
Schulen
- Unterstützungssysteme einrichten,
(Helfersysteme und Spezialisten auch für F&E
etablieren)
- Regionales Bildungsmanagement und
Schulverbünde schaffen.
Das sind einige Überschriften aus dem
Maßnahmenkatalog, die zu einiger Aufregung
geführt haben. Für uns Eltern ist wichtig, dass
es diese Diskussion gibt, dass sich auch Eltern aus allen
Schularten daran beteiligen und ihren Beitrag an die
Internetplattform www.klassezukunft.at
senden. Einige Perspektiven wurden aus
Elternsicht gar nicht angesprochen, doch es ist ja gerade
in unserem Interesse uns hier bei dieser Diskussion zu
Wort zu melden und die Elternmitwirkung stärker als
vorgesehen einzufordern.
Frist:
Bitte bedenken sie auch, dass diese öffentliche
Diskussion bis April 2004 abgeschlossen sein soll. Dann
werden die abgegeben Meinungen evaluiert und
fließen in ein modifiziertes Reformpapier II ein.
Beteiligen sie sich &endash; rechtzeitig!
28. Oktober 2003
Gerhard H.J.
Fruhmann