"Non Scolae sed Vitae discimus!" Dies ist ein Bestandteil der Weisheit, die man uns mit Löffeln immer wieder um die Ohren schlug.
Als wir noch in die Schule gingen, also zu der Zeit, als wir noch unschuldig waren, drohte man mit dem bösen schwarzen Mann, wenn wir unseren Spinat nicht essen wollten. Später wurde dann etwas anders zum Buhmann - nämlich das Leben, bzw. sein Ernst.
Der kurze Moment, in dem sich der Mund zu einer Erwiderung öffnete, wurde stets dazu genutzt, den nächsten Löffel tief in den Rachen zu stoßen.
Schließlich sollte es einem einmal besser gehen, auch gegen seinen eigenen Willen.
Doch wie sieht das Leben aus, für das wir in der Schule lernen?
Zur Beantwortung dieser Frage sollte man ruhig mal einen Blick in die Schulbücher riskieren. Da tauchen dann so wichtige Begriffe wie zum Beispiel ...
Restriktionsnuklease, Katakaustik, Homöostase, Sinus Hyperbolikus, Infinitessimalrechnung oder die Lunar-Periodizität des Samoa-Palolo-Wurms, auf.
Merke: "Wir lernen nicht für die Schule, sondern für's Leben."
Und ich sehe ihn, der Versuchte, möglichst viel und möglichst gut fürs Leben zu lernen. Ob er sich wohl schon freut, das Leben endlich zu leben? Natürlich wird er es im Leben einfach haben, insofern es aus Integralen, Differentialen, beschleunigten Elektronen, Bohnen- und Kaninchenkreuzungen bestehen wird.
Aus unschuldigen Schülern werden Fachkräfte für Industrie und Handel gemacht.
Jeder, der unser Schulsystem durchlaufen hat, ist in der Lage, aktiv am Berufsleben teilzunehmen und hat auch die Möglichkeit eines nicht unerheblichen Verdienstes.
Einige werden wahrscheinlich selbst Forschung betreiben und neue Technologien entwickeln helfen. Wir haben alle Fähigkeiten erworben, die wir nun anzuwenden aufgerufen sind.
Doch wer hat uns gelehrt, wie man mit der Verantwortung umgeht, die unsere Stellung im Beruf mit sich bringt?
Viele sehen doch trotz beängstigender Umweltzerstörung und schleichender Verwahrlosung der ethischen Grundsätze in der Gesellschaft das Hauptziel ihrer Arbeit in der Gewinnmaximierung.
Man kann heute das Abitur machen, ohne an einer einzigen Stunde Philosophie teilgenommen zu haben. Fächer wie Erdkunde werden ihrem Anspruch als Gesellschaftswissenschaften nicht immer gerecht, zumal beispielsweise die Sozialwissenschaften von Lehrern wie Schülern aus dem naturwissenschaftlichen Bereich als simpel herabqualifiziert werden. Die Wirtschaft braucht immer mehr spezialisierte Fachleute. Fachwissen ist wichtig - dies ist unbestritten - doch es wäre fatal, die immateriellen Lerninhalte hierfür zu vernachlässigen, wie es an unserer Schule gerne getan wird. Wie sollen Schüler ein Bewußtsein für ethische Probleme entwickeln, wenn sich der Biologieunterricht bei Themen wie Ökologie und Genetik auf bloßes Faktenpauken beschränkt?
Gerade unserer Generation sagt man nach, sie sei unpolitisch. Das Schlagwort "Ja-sagertum" kursiert in den Medien.
Gerade in einer Zeit, in der ewig gestrige Rattenfänger politische Erfole feiern, sollte man sich vor Augen führen, wohin eine Demokratie ohne Demokraten führt.
Anpassungsfähigkeit ist vielfach schon in unserer Schule gefragt. Unbestritten ist, daß nicht selten eine Meinung in den Noten wiederzufinden ist, daß durch das Punktesystem Leistung vor Solidarität steht, und der Lehrer als Pädagoge versagt. Um so mehr wissen wir jene Lehrerinnen und Lehrer zu schätzen, die sich eben über dieses reine Faktenwissen hinwegsetzten und uns so mehr vermittelten, als in den Büchern stand - ein Wissen, das nicht nachlesbar ist und was man auch nicht "üben" kann. Leider erfuhren wir diesen Unterricht, der über den "Lehrplan" hinausging und unser ehrliches Interesse erweckte, zumeist in Gesellschaftswissenschaften, und das auf einem Otto-Hahn-Gymnasium.
Engagement für Schülerbelange in der SV oder in anderen Gremien kommt mehr und mehr zum Erliegen. Man sollte nicht auffallen, denn das könnte den Noten schaden, und die Noten sind das Wichtigste.
"Reden ist Silber, Schweigen ist Gold"
Obwohl sich viele Leute in unserer Jahrgangsstufe kritische Gadanken machen, ist das Äußern von Kritik die Ausnahme. Dieses Schema, in der Schule schon fast perfektioniert, findet direkt nach der Schule erneute Anwendung , wenn es um die Auseinandersetzung in der Frage der Wehrpflicht geht.
Ist dies die Perspektive für unsere Zukunft?
Denken, aber schweigen.
Non Scolae sed Vitae diszimus!
Das diesjährige Abitur wurde von dem plötzlichen Tod unseres Lehrers Herrn Hoevel überschattet.
Uns ist der Verlust eines Menschen, dem die Schüler unserer Jahrgangsstufe sehr viel zu verdanken haben, auch in dieser Stunde bewußt.
Ich möchte hiermit im Namen der 13 unser Mitgefühl aussprechen und seiner Familie wie seinen Freunden den Trost und die Kraft wünschen, die der Verlust eines Menschen, der einem nahe stand, zu lindern vermag.