Sachverstand2's HowTo Fahrwerk

Sachverstand2 @ Geocities.com:

HowTo Fahrwerk

started on 20.12.1999 - updated 20.12.1999

Index
  1. Für wen ist diese HowTo ?
  2. Für wen ist diese HowTo NICHT?
  3. Ein ultrakurzer technischer Abriß
  4. Das Auto fährt...
    1. ... überhaupt nicht
    2. ... langsam geradeaus, auf guter Straße
    3. ... langsam geradeaus, auf Kopfsteinpflaster
    4. ...schnell geradeaus
    5. ...langsam um die Kurve
    6. ...schnell um die Kurve
    7. ... in die Kurve hinein - oder wieder raus - oder Wechsel von linksrum auf rechtsrum
    8. ... durch die Kurve, mit Beschleunigen
    9. ... durch die Kurve, mit Bremsen
    10. ... durch die S-Kurve, überladen, auf schlechter Straße, mit verzweifeltem Bremsen

1. Für wen ist diese HowTo ?

Na, in erster Linie für alle. Getreu dem UN*X-Gedanken: Gute Software, gute Hardware, gute Ideen etc. mit anderen TEILEN und dadurch besser leben.

Wenn Sie wissen wollen,

  1. was ein Fahrwerk heutzutage leisten muß;
  2. welches Fahrwerk Sie in Ihr nächstes Auto konstruieren müssen;
  3. worauf Sie (u.a.) beim nächsten Autokauf (auch) achten sollten;
  4. warum nach einer 500-km-Spritztour manche Leute gerädert, andere dagegen erholt aus dem Auto herausklettern -
dann speichern Sie diese Datei mit C-S und lesen Sie sie in Ruhe.

2. Für wen ist diese HowTo NICHT?

  1. Für Leute, die glauben, alles müsse irgendwem gehören.
  2. Für Micro$oft-Fans.
  3. Für Leute, die ganz tief ins Thema einsteigen wollen. Ich behandele nicht:
    • Bauweisen und konstruktive Merkmale von Fahrwerken;
    • Fahrwerkshersteller;
    • extremen Einsatz wie zB offroad oder Motorsport.

3. Ein ultrakurzer technischer Abriß

Jedes Auto hat vier Räder - an jeder Ecke eins.

Wenn Sie jetzt auf alle vieren versuchen, mit 100 km/h um eine Kurve zu laufen und dem darin befindlichen Elch auszuweichen, werden Sie Folgendes merken:

Na prima. Das war der Anfang, und der war doch nicht schwer.

Und nun sehen wir uns mal die einzelnen Belastungszustände des Fahrwerks an.


4. Das Auto fährt...

4.1 ... überhaupt nicht

Dann soll es immerhin die folgenden Sachen können:
  1. Bei heftigem Wind soll es nicht umgeweht werden. Es soll nicht mal deutlich sichtbar wackeln.
  2. Beim Einsteigen sollen Ihnen die Oberkanten der Türen nicht so entgegenkommen, daß Sie sich den Kopf stoßen.
  3. Beim Einsteigen wollen Sie sich natürlich auch nicht an A-Säule, B-Säule, Sitzkante, Sitzhebeln, Armaturenbrett oder Lenkrad stoßen. Das hat zwar nix mit dem Fahrwerk zu tun, aber es soll tatsächlich noch Autos geben, wo das geht.
  4. Nach dem Einsteigen soll das Auto an der beladenen Seite nicht sichtbar herunterhängen.
  5. (Raus wollen Sie auch wieder, irgendwann - suchen Sie jetzt schon mal nach den kleinen, schön geschwungenen Hebelchen und probieren Sie, die aufzumachen, ohne sich die Fingernägel zu brechen.)

4.2 ...langsam geradeaus, auf guter Straße

Unspektakulär, würden Sie sagen? Falsch.

Achten Sie lieber mal bewußt drauf, wieviel Konzentration Sie darauf verwenden müssen, das Fahrzeug in der Spur zu halten.
Wenn Sie glauben,

  1. daß das Auto nach einer Weile allein von der Spur wegläuft,
  2. daß es das besonders gerne macht
    • eigentlich immer, und zwar immer nach links (bzw. rechts)
    • bei Gullideckeln und Zebrastreifen,
    • bei seitlich abfallender Straße,
    • beim Beschleunigen im 2. Gang,
    • beim Bremsen,
    • wenn irgendein unglaublich fetter Mensch auf dem Beifahrersitz sitzt -
  3. daß Sie zwar wissen, wie Sie das Auto wieder in seine Spur bringen:
    1. Auto läuft ein bißchen nach zB rechts weg;
    2. Fahrer lenkt ein bißchen nach zB links, um wieder zur Fahrspurmitte zu kommen;
    3. Fahrer lenkt wieder ein bißchen nach zB rechts, um nunmehr geradeaus weiterzufahren
    aber das Auto ihre diesbezüglichen Bemühungen quittiert mit
    1. keinem Ansprechen bei kleinsten Lendrad-Drehwinkeln;
    2. zeitlich verzögertem Ansprechen bei kleinsten Lendrad-Drehwinkeln;
    3. zuerst keinem, dann überzogenem Ansprechen;
    4. plötzliches Ansteuern des gegenüberliegenden Fahrbahnrandes;
    5. unmotiviertem Ansteuern irgendwelcher Punkte in der Landschaft -
dann haben wir ein verbesserungswürdiges Fahrwerk vorliegen.

Gründe für die o.g. Scheußlichkeiten können übrigens sein:

  1. ungleicher Luftdruck auf einer Achse;
  2. sehr billige Reifen;
  3. Rad-Geometrie verstellt durch Unfall, Bordstein, Korrosion;
  4. 100.000 km mit einem unglaublich fetten Fahrer
Erst später würde ich die folgenden Sachen überprüfen:
  1. festgegangene Stoßdämpfer;
  2. unglaublich großes Spiel im Lenkgetriebe.

4.3 ...langsam geradeaus, auf Kopfsteinpflaster

Unspektakulär? Weit gefehlt.

Schade, daß Sie nicht nebenherlaufen oder -fahren können, um Ihren Rädern beim Ein- und Ausfedern sowie beim Hüpfen zusehen zu können.
Bestimmt merken Sie dabei irgendwelche rhythmischen Geräusche - vom Bollern über Scheppern und Schnarren bis zum simplen Geklapper... aber die sind schwer zuzuordnen. Leichter ist es zu merken, ob der Wagen heftiger nickt oder rollt wie ein Vergleichsfahrzeug, und ob er dabei überschwingt.
Im letzteren Fall können Sie testen, ob Ihnen die Hochgeschwindigkeitsstabilität und der Schlaglochschluck- Komfort noch genügen, oder ob ein neuer Satz Stoßdämpfer (vorne, hinten oder beide - Markenfabrikate sind überlegen) fällig ist.
Etwas Komfort können Sie durch Absenken des Luftdrucks (im lt. Betriebsanleitung erlaubten Rahmen) noch erzwingen - der Preis ist allgemein schlechtere Straßenlage, größere Lenkradkräfte und höheres Plattfuß-Risiko.


4.4 ...schnell geradeaus

Nur zu, das kann sehr interessant werden.

Sie merken ja selber, ob Sie sich trauen, bei Höchstgeschwindigkeit - 20km/h das Lenkrad loszulassen. Für 1 sec...

.

für 2 sec...

.

.

man glaubt gar nicht, wie lang bei manchen Autos 2 sec sein können...
Der extreme, brutale Test für professionelle Bruchpiloten besteht übrigens darin, das Lenkrad mal kurz anzustupsen und dann zu sehen, ob der Wagen von selber wieder zur Ruhe kommt. Wenn nicht, werden Sie mit der empfindlichsten Fahrzeugseite voran in irgendein stabiles Hindernis brummen oder einen Highsider machen, das wäre dann das Ende.

Und: ein Auto, daß sich leer völlig stabil zeigt, kann beladen zur üblen Heckschleuder werden...

Die meisten Autofahrer merken unterbewußt, ob ihr Auto hochgeschwindigkeitsstabil ist oder nicht. Die einen kommen schweißnaß und völlig verspannt an, die anderen locker und gut gelaunt.


4.5 ...langsam um die Kurve

Tja... Kurven sind keinesfalls lästige Übel, sondern das Salz in der Suppe beim Autofahren. Und machen wie alles, was man richtig gut kann, auch noch Spaß! - Überlegen Sie vorher, ob Sie Ihren Beifahrer nochmal dabeihaben wollen.

Sie bemerken:

  1. die Karosse neigt sich in Kurven zur Kurvenaußenseite - verschiedene Autos verschieden weit;
  2. das Auto macht genau - oder ungefähr - oder in Andeutungen - das, was Sie am Lenkrad vorgeben.
  3. Im prinzip soll sich das Auto genauso verhalten wie bei langsamer Geradeausfahrt:
    • bei festgehaltenem Lenkrad soll es einen Kreis fahren.
      • NICHT nach einer Weile mehr in die Kurve hineinsteuern;
      • NICHT nach einer Weile ein bißchen aus der Kurve hinauswollen;
      • bei kleinen Lenkradbewegungen OHNE Verzögerung und/oder Unsicherheit den neuen Kurvenradius fahren.
Tip: Am Lenkrad fühlen Sie, daß das Auto wieder geradeaus will. Und: wie doll es das will.
Die Stärke der Rückstellkraft gibt Ihnen Aufschluß darüber, wie gut gerade der Fahrbahnkontakt ist. Also wenn Sie im Winter irgendwann erfreut feststellen, daß sich ihr Lenkrad bei 100 auf der Autobahn ganz leicht lenken läßt -

dann ist vermutlich Glatteis.


4.6 ...schnell um die Kurve

Wenn Sie Kurven auf Autobahnein- oder -ausfahrten normalerweise mit quietschenden Reifen fahren, oder mit noch nicht quietschenden Reifen dort vehement zu bremsen, dann ist entweder Ihr Fahrzeug gut - oder Sie sind blöd.

Das Auto soll NICHT

  1. mit dem Heck nach außen drängen.
    Falls doch: Gegenlenken. NICHT beschleunigen. NICHT bremsen.
    Und zum Anlegen des Gurtes ist es jetzt zu spät...
  2. über die Vorderräder nach außen drängen.
    Falls doch, müssen Sie weiter in die Kurve hineinlenken. Natürlich fangen dann irgendwann die Reifen an zu quietschen. Das macht nix - normalerweise quietschen die lange, bevor der Wagen richtig außer Kontrolle gerät...
    ... und etwas weniger Gummi ist besser als Bäume oä. totfahren.
Sie dürfen das auch mal auf schlechter Straße probieren. Sie werden dann schon merken, daß bei Bodenunebenheiten oder rutschigem Grund zuerst die Vorderachse, dann die Hinterachse einen Satz zum Außenrand der Kurve macht... und Sie werden merken, ob Sie den Wagen nachher wieder fangen können...

... wer das nie übt, kann's im Notfall nicht!


4.7 ...... in die Kurve hinein - oder wieder raus - oder Wechsel von linksrum auf rechtsrum

Was jetzt kommt, sind bloß ein paar Zehntelsekunden am Anfang und am Ende jeder Kurve: wenn Sie nämlich das Lenkrad von Kurvenradius A nach Kurvenradius B stellen.
Verschiedene Fahrer haben dabei verschiedene Gewohnheiten:
  1. Fahrer A sieht die Kurve, bremst vorher nicht ab, schlägt am Kurvenanfang das Lenkrad schnell ein, hält es dort und durchfliegt die Kurve im Geschwindschritt.
  2. Fahrer B sieht die Kurve, bremst vorher herunter und schlägt das Lenkrad LANGSAM ein. Dann eiert er da durch.
Fahrer B ist offenbar nicht sicher, daß das Auto so reagieren wird, wie er das möchte. Deshalb schlägt er erst ein bißchen ein, beobachtet das Einschwingen des Fahrzeuges auf den neuen Kurvenradius und nimmt notfalls Korrekturen vor.
Er hat offensichtlich nicht das Gefühl, daß sein Wagen auf unsichtbaren Schienen um die Kurve gleitet.

Man kann nicht pauschal sagen, daß es am Fahrer - oder am Fahrzeug - allein liegt.

Es gibt Autos, die auch bei Geradeausfahrt mehr oder weniger schlittern statt gleiten. Und wenn die in die Kurve müssen, sprich: das Auto zur Seite fährt, dann suchen sich die verschiedensten Fahrwerksteile erstmal neue Positionen (innerhalb der vorgegebenen Toleranzen, versteht sich). Und das dauert.
Man kann auch hierbei kein bestimmtes Fahrwerksteil angeben, daß für dieses schwiemelige Gefühl verantwortlich ist. Von einer losen Schraube am Lenkgestänge bis zu serienmäßig seitlich zu weichen Gummilagern an der Hinterachse ist alles möglich.

Und dann gibt's auch unsensible, unkonzentrierte Fahrer, die auf die Signale von Lenkrad und Karosse nicht achten.


4.8 ... durch die Kurve, mit Beschleunigen

Tjaaa... wenn Sie sich bis hier durchgekämpft haben, kommen wir so langsam in die hohe Schule der Fahrwerksbeurteilung. Denn hier ist es wichtig, ob Ihr Auto Front- oder Heckantrieb hat.

THEORETISCH soll Ihr Auto auf Beschleunigen oder Bremsen in der Kurve ("Lastwechsel") überhaupt nicht reagieren - nicht mit Wackeln, nicht mit Ändern des Kurvenradius.
Praktisch reagieren die meisten Autos doch ein bißchen:

  1. Fronttriebler ziehen bei niedrigen Geschwindigkeiten (< 100 km/h) ein bißchen in die Kurve hinein, bei höheren ziehen sie ein bißchen nach außen.
    Diese Effekte können Sie im normalen Betrieb durch ein bißchen Gegenlenken stets ausgleichen.
  2. Hecktriebler schieben bei niedrigen Beschleunigungen ein bißchen über die Vorderräder nach außen - bei hohen Beschleunigungen rutscht die Hinterachse weg, und das Fahrzeug strebt nach innen.

Was ist denn nun besser? Tjaaa... das kommt auf den Standpunkt an.

  1. Wenn Sie einfach nur von A nach B wollen und dabei ein Auto brauchen, daß Sie gelangweilt und gutmütig durch die Kurven zieht, dann sind Sie vermutlich mit einem Fronttriebler besser dran.
  2. Wenn Sie allerdings
    • durch gefühlvolles Modulieren des Gaspedals die Kurvencharakteristik Ihres Fahrzeugs steuern wollen;
    • gerne mit ausgebrochenem Heck und durchschleifenden Antriebsrädern Kurven räubern;
    • auch ansonsten bei Ihrer fahrerei sportliche Ambitionen entwickeln und nicht gar so streng auf Benzin-, Öl-, Reifen- und Bremsenverbrauch achten -
    dann sollten Sie den einen oder anderen Hecktriebler ausprobieren, inwieweit das spezifische Verhalten Ihnen im einzelnen zusagt.

4.9 ... durch die Kurve, mit Bremsen

Sie lesen diesen Artikel, um Tips vom Fachmann zu kriegen. Also gut.

Mein Tip zum Bremsen in Kurven:

Lassen Sie's !!!

Ich meine damit nicht die Notbremsung - die kommt im nächsten Kapitel.

Aber allgemein gesprochen, vertragen sich Kurven und Bremsen nicht besonders gut.
Beim Bremsen wird das Fahrzeug langsamer, was an sich ein schöner und auch wünschenswerter Effekt ist. Allerdings taucht es dabei vorne ein und kommt hinten hoch (es "nickt"). Dabei ändern sich eine ganze Reihe Fahrwerksparameter (zB Vorspur, Sturz, Nachlauf, evtl. seitliche Position der Hinterachse), und die Kraftverteilung an den Rädern ändert sich auch: die vorderen werden zusammengedrückt, die hinteren werden entlastet.
Da Seitenkräfte vom Auto zur Fahrbahn ausschließlich durch Roll-Reibung übertragen werden, braucht jedes Rad eine Andruckkraft auf die Fahrbahn, damit es das kann. Wenn Sie ein Rad entlasten, kann es viel leichter seitlich wegrutschen.
Andererseits ist die Tangentialkraft, die ein Rad übertragen kann, insgesamt begrenzt. Wenn Sie also mit dem Bremsen bereits dieses Limit ausschöpfen, bleibt keine Seitenkraft mehr übrig.

Man kann also nicht genau sagen, welche Achse zuerst wegrutscht. Das hängt außerdem noch von der Fahrbahnbeschaffenheit, dem seitlichen Gefälle und der Beladung des Fahrzeugs ab.
Man kann aber sicher sagen, daß in 90% aller Fälle, wo eine Achse wegrutscht, dem Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug abhanden kommt. Und das heißt, daß es kracht. Und das darf nicht passieren.


*Seufz*
Die meisten Anfänger kennen diese Situation nicht. Sie fangen zögerlich an und werden dann immer frecher. Und brauchen Jahre, um herauszufinden, daß zügiges, aber entspanntes Rollen für sie, ihre Passagiere, das Auto und den restlichen Verkehr am besten ist.

Also wird es krachen. Und wenn dann nur Blechschaden eingetreten ist, haben wir alle noch viel Glück gehabt...

Allen Fahranfängern wünsche ich wunderschöne Blechschäden!


4.10 ... durch die S-Kurve, überladen, auf schlechter Straße, mit verzweifeltem Bremsen...

Allen, die jetzt sagen: Das kann mir nicht passieren, möchte ich gratulieren. Mahlzeit!
Die geschilderte Situation tritt nach meiner Schätzung etwa alle 40.000 Auto-km ein. Sie endet - und da setze ich Konsens voraus - mit
Wir haben heutzutage wesentlich bessere Fahrwerke als in den 60er Jahren.
Sie machen weniger Mätzchen, halten länger, schlucken wesentlich mehr Fahrbahnunebenheiten und erzeugen dabei wesentlich weniger Geräusche. Wir könnten so viel Spaß damit haben...
Das schwache Glied der Kette sitzt - wie in den 60er Jahren auch - hinterm Lenkrad.
Und wenn Sie nun in Ihrem neuen Auto fahren, das Sie dann zeigen Sie doch bitte die angemessene geistige Größe, indem Sie weder hasten noch trödeln noch den Verkehrspädagogen raushängen lassen. Merke:

Im Straßenverkehr ist der der beste, der ganz und gar nicht bemerkt wird.


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