Sachverstand2 @ geocities.com:

Ein Nachmittag bei den Modellfliegern


Intro

Sommerferien 2005 in Rodgau. Gewitterambosse türmen sich westwärts. Ich krame das beste und schönste Mopped der Welt (eine GS400, versteht sich) hervor und starte gen Woolworth Frankfurt, ein 7cm langes Bootsmodell der Firma Nikko für 7,99 Euro abzugreifen.

Vorher schaue ich noch kurz beim Modellflugplatz Rödermark vorbei.

Anmerkung: Ich kenne die Namen nicht und habe sie daher frei erfunden.


Rödermark

Ein Hyundai Bus mit einem Modell-Rumpf darin. Horst (ca. 50-60) sitzt in der Laube.

Horst erfüllt sich gerade einen Traum: ein Modell im Maßstab 1:1. So'n Quatsch, sage ich, das würde ja Originalgröße bedeuten. Ja, genau.

Er zeigt mir Fotos der französischen Cree. Ca. 2m Rumpflänge, 2-3m Spannweite, und obendrauf ein ziemlich häßlicher Buckel. Für den menschlichen Pilot.
Auf einem der Fotos sitzt der Pilot drin. Das Flugzeug wiegt flugbereit 180kg.

Ein Haufen Probleme gelöst, ein Haufen noch am Kochen, sagt er:

Hier fliegt heute nix. Ich sag tschüs und mach mich auf den Weg, zum Woolworth.

Dietzenbach

Als ich am Industriegebiet vorbeibrettere, fliegt links ein kleines Motorflugzeug herum. Die beißen nicht, das weiß ich inzwischen, also biege ich ab.
Hecken. Sie grenzen die Bastel-Zone vom Flugfeld ab. Auf dem Flugfeld soll man nicht spazierengehen.

Tom 1

Ich stell mich neben den Typen mit Schlabberhut, Sonnenbrille und Fernbedienung und guck ihm mal über die Schulter. Nennen wir ihn Tom.
Ich: 4 Kanäle?
Tom: Acht, glaube ich. Drei Ruder und ein Vergaser, jeweils vorwärts und rückwärts.
Ich: Sind für mich vier.
Tom: Ist mir egal. Dies ist mein Jungfernflug mit dieser Maschine. Mein erster Motorflug. Hatte bisher nur Motorsegler.
Ich verstehe die Warnung und halte den Mund.
Der Flieger fliegt von links nach rechts, Kurve, von rechts nach links, Kurve, von links nach rechts...
Ich: Sieht gut aus. Kann der auch auf dem Kopf fliegen?
Tom: Das Modell schon. Ich nicht.
Die Fernbedienung piepst. Tom dreht den Flieger gegen den Wind und versucht zu landen.
Zu hoch. Gas geben und nochmal versuchen. Touchdown! Sanft. Er will wenden und das Flugzeug zu sich herfahren lassen. Gibt zuviel Gas - bupp, liegt der Flieger auf der Nase, und der Motor ist aus.
Tom spaziert rüber und zieht ihn zu seinem Tank- und Startplatz. Er hat zwei Metallbügel in den Rasen gesteckt und stellt den Flieger mit den Rädern davor.

Tim

Tim kommt mit seinem Segelflieger an. "Biste fertig?" - "Ja. War mein erster Motorflug." - "War ne klasse Landung!"
Ich schaue einen Moment nicht hin, da hat Tim seinen Segelflieger schon waagrecht weggeworfen, und mit ordinärem Sirren startet der Segler seine Schraube. Er steigt, stetig schneller werdend, mit 45 Grad hoch.
4 Sekunden später seh ich ihn nicht mehr.
Ich: "Verdammt! Wo isser?"
Tom: "Da." (Zeigt. Ich seh ihn aber nicht.)
Das Sirren hört auf, vermutlich segelt er jetzt. Ich suche den Himmel nach einem majestätischen Gleiten ab. Leider steht die Sonne ziemlich tief.
Ich: Ich seh ihn immer noch nicht.
Tom: Da wo's pfeift.
Es pfeift wie ein unfallbeschädigter Opel mit 120 Sachen auf Konfrontationskurs. Ah! - jetzt seh ich ihn - wusch - mit ungefähr 80km/h macht der Segler in 10m Höhe einen Bogen und steigt in die Gegenrichtung, 40m hoch.
Bin ich froh, daß ich nicht im Weg stehe, der würde mich halb durchschneiden am Bauch oder am Hals, bei der Geschwindigkeit.
Da kommt er schon wieder, pfeift und saust wieder nach oben. Kurz vorm Wendepunkt zeigt er uns eine Rolle (= Drehung um die Längsachse), wofür er ca. 1 Sekunde braucht.
Jetz fliegt er ruhiger, zieht so in 10 bis 20m Höhe ein paar Kreise und gleitet majestätisch. Wie's sein soll (finde ich). Komischerweise sinkt er dabei nicht sichtbar.
Aber ach, schon ist's vorbei mit der Majestät, und der infame Propeller zieht den Segler fast senkrecht nach oben, bis fast außer Sichtweite. Wenigstens weiß ich, was jetzt kommt... jau, da ist das Pfeifen wieder... und wusch ist er vorbei.
Tom hat währenddem seinen Vogel wieder aufgetankt und wartet jetzt mit brabbelndem Zweitakter. Der Segler saust noch ein paarmal vorbei und legt dann eine Bilderbuchlandung hin.

Tom 2

Ich: Hat er jetzt mit dem Propeller gebremst?
Tom: Nee. Das geht nicht.
Ich: Wieso geht das nicht, braucht man doch bloß rückwärts laufen zu lassen.
Tom: Nicht diesen Propeller.

Jetzt wo der Segler am Boden liegt, kann ich ihn besser sehen. Er hat gar keine Schraube. Aber dafür zwei dicke Barthaare, die aus seiner Nase sprießen und seitlich am Flieger liegen...
Ich: Ach so, eine Klappschraube. Genial! Wenn man den Motor anschaltet, klappt sie wegen der Fliehkraft aus und treibt den Flieger voran. Und wenn man ihn ausmacht, legt sie sich an den Rumpf und stört nicht beim Segeln. Genial.
Tim nimmt seinen Segler und trägt ihn zum Tisch. Er macht die vier Inbusschrauben M4x30 ab, die die Flügel am Rumpf halten, trennt die Kabel und trennt die Flügel in der Mitte.
Nanu? in jedem Flügel ein Servo?
Mann! Mit Elektromotoren dieser Leistung kann man WasAuchImmer ja senkrecht steigen lassen!
Tom ist währenddessen schon wieder gestartet und fliegt von links nach rechts und von rechts nach links... und erzählt ein bißchen.
"Das letzte Mal hab ich das vor zwanzig Jahren gemacht. Jetzt bin ich nur dabei, weil meine Söhne auch damit angefangen haben. Mittlerweile haben wir 15 Modelle zu Hause.
Nö, die Servos bauen wir nicht jedesmal um, dazu sind wir zu faul. Jedes Modell hat seine drei oder vier Servos, seinen Empfänger und sein Akkupack. Stückpreis etwa 500 Euro, die Zeit nicht gerechnet.
Letzte Woche hatte ich Pech. Da ist wohl so eine Kuhle im Platz, jedenfalls ist mir der Flieger in die Luft gehopst und kam mit dem Flügel zuerst runter. War nicht mal einen Meter hoch. Kernschrott. Na, wenigstens die Servos haben wir noch.
Keine Ahnung, was der trinkt. 350ml Tank, müßte für 15min reichen. Kauf ich so. (Auf dem 5-l-Kanister steht: Methanol, 15% Öl.)
Das ist ein 10ccm-Zweitakt-Motor. Man hörts nicht sofort, ist ein guter Schalldämpfer. Man kriegt alles, von 1 bis 150 ccm. Dieser hat inclusive Schalldämpfer 60 Euro bei ebay gekostet. Tom sagt, das war ein Schnäppchen, normal kostet der Motor alleine 150 Euro, und ich hab den guten erwischt, mit Kugellager.
Dieses Modell hier fliegt sich anders als die Dickie-Dinger. Ich bewege hier fast nichts (das sind ca. 2mm Weg am Ende des Fernsteuerhebels), und schon geht er in die Kurve.
Das Modell ist ausgelegt für 7,5 bis 10ccm. Steht auf der Packung. Ich hab jetzt den große Motor dran, aber ist trau mich noch nicht mit Vollgas. Das hier ist ungefähr Halbgas.
(Wäääääh, mit 30 Grad steigt das Modell in den Himmel.)
Wenn man ein Resonatorrohr dran macht, kommt da richtig Leistung raus.
Viertakter gibts auch. Ja, beim Basteln nicht niesen, sonst suchste die Ventile ewig. Einzylinder, Reihenvierer, Boxer, Achter-Stern... klingt gut, und die lassen wir auch meist nur mit 6000 rpm laufen. Ja, das klingt vom Drehzahlniveau ungefähr wie's Original.
Ja, theoretisch kann das Modell auch auf dem Kopf fliegen. Hat einen Pendelrüssel im Tank. Aber ich kanns nicht - jedenfalls nicht am Modell - am Flugsimulator gehts.
Ja, kein Problem, hier unten an der Fernbedienung ist ein Stecker, da kommt ein Kabel rein, das andere Ende in die USB-Buchse am Rechner, und dann kann man da ein Flugzeugmodell mit der eigenen Fernbedienung fliegen. Es gibt Freeware-Flugsimulatoren im Internet, aber wenn man was richtiges will, muß man schon ein paar Mark hinlegen.
Zum Lernen ist das aber nichts, da stöpseln wir lieber zwei Fernbedienungen zusammen, über die DIN-Buchse da, dann ist der eine Lehrer und zieht das Flugzeug erstmal auf eine gewisse Höhe, und dann kann der Schüler mal probieren. Mit Geradeausfliegen fangen wir an, ist schon schwer genug.
Und wenn er dann abschmiert, übernimmt halt der Lehrer, fängt ihn und zieht ihn wieder hoch oder landet. Neulich stand ich mit meinen Söhnen hier, verkabelt, da kam einer vorbei und sagte: Ah, Papa lehrt dem Sohn was, nee, sag ich, ich lern Loopings von meinem Sohn hier.
Ja, da sind viele Schalter an dieser Fernbedienung. Ich hab aber nur zwei belegt: dieser hier für MotorAus, und dieser hier für Landeklappen.
Die Reichweite? Ist weiter, als ich gucken kann.
Ja, der braucht nicht viele Kühlrippen, sonst kommt er nicht auf Betriebstemperatur. Bei den Modellauto-Dingern ist das was anderes, die sind ja ringsherum zu.
Nein, es sind tatsächlich keine Landeklappen an dieser Maschine. Ich nehm die Querruder dafür. Ich stell sie beide etwas hoch - das gibt mehr Auftrieb, und gleichzeitig hebt der Flieger die Nase hoch - und stell gleichzeitig das Höhenruder auf Runter, dann nimmt er die Nase wieder runter. Hab ich so programmiert. Ich kann insgesamt 12 verschiedene Modelle in dieser Fernbedienung mit 5-zeiliger Dot-Matrix-LCD-Anzeige programmieren.
Ja, wir haben Öffnungszeiten: Mo-Fr, 09-12 und 14-20 Uhr. Am Wochenende bis 18 Uhr."


Joe

Joe und Jim kamen und packten ihre Helikopter aus, d.h. sie holten sie aus dem Kofferraum und stellten sie auf die Tische.
Dann bereitete Joe seinen zum Fliegen vor: Er klappte die Rotoren aus, schaltete die Elektronik an und überprüfte die Servos auf Funktion.
Dann trug er ihn aufs Flugfeld, schaltete den Motor ein und gab dem Rotor einen Schubs. Mit metallischem Sirren fingen die Rotoren an zu laufen, bis nur noch ein 1,5m großer Kreis über dem 90cm langen Modell zu sehen war.
Ich konnte noch sehen, daß der große Rotor (mit der senkrechten Achse) über zwei Drähte gesteuert wird, die unterhalb des Rotors einen Kreisring bewegen, und der hindere durch einen einzelnen Draht, der den Anstellwinkel der hinteren Rotorblätter bestimmt. Der hintere Rotor wurde beim einen Helikopter durch einen langen Zahnriemen, beim anderen durch eine Welle direkt vom großen Rotor aus angetrieben.
Ich staunte, was man heutzutage an Leistung aus Akkus holen kann. Auch wenn sie ringsherum passive Kühlelemente tragen.

Dann blieb mir der Mund offen stehen, denn Joe begann zu fliegen.
Erstmal hopste der Heli 1m in die Luft und stand dort wie angenagelt. Einen nennenswerten Drehzahlabfall bemerkte ich nicht. Dann schwenkte er den Heli um je 60 Grad nach links - und ließ ihn in der Luft stehen - und um 120 Grad nach rechts - und ließ ihn in der Luft stehen.
Dann flog er ihn ruckelig und in konstanter Höhe aufs Flugfeld, riß ihn 10m in die Höhe und wieder runter. Mit dem Schwung aus dem Sturz drehte er sofort einen Looping von 20m Durchmesser und ließ den Heli anschließend wieder 2m über der Erde stehen.
Und setzte ihn wieder ab. Es dauerte zwei Minuten, bis der Rotor stand. Der Flug kam mir vor wie 90 Sekunden.


Tom 3

Tom guckte nach dem Wind, ich guckte mit. Wir waren gerade im Wolkenschatten, 200m weiter war Sonnenschein.
"Ich hoffe", sagte ich, "wenn wir auch in der Sonne sind, flaut der Wind ab, daß das nochmal geht."
"Hoffentlich", sagte Tom, "viel Wind ist auch viel ruckeliger Wind."
2 Minuten später tankte er mit einer handbetriebenen Benzinpumpe seinen Flieger wieder auf. Der Tank ist druckdicht. Eine Leitung geht zum Vergaser, die andere zum Auspuff. Der Auspuffdruck drückt das Benzin aus dem Tank.
Der Vergaser ist wenig mehr als ein Röhrchen mit servobetätigter Drosselklappe und regelbarer Düse, ungefähr so groß wie das oberste Glied vom kleinen Finger.
Tom zog die Kabel ab und schloß eins an die Punpe an. Kurbelkurbelkurbel. "Und woran erkennst du, daß der Tank voll ist?" - Supp. - "Daran, daß er überläuft."
Starten. Der Flieger stand, Schraube zu Tom, vor seinen Metallbügeln. Tom schloß die Glühkerze an einen mitgebrachten 9-V-Akku an.
Eine Glühkerze ist ein hohler Zylinder mit Außengewinde, in dem ein dünner Draht aufgewendelt ist.
Der Draht wird warm, wenn man Strom hindurchschickt. Im Betrieb, wenn der Motor läuft, bleibt er von alleine warm.
Einen gescheiten Zündzeitpunkt bringt man damit nicht hin, aber es reicht zB für 700Watt bei 18000rpm aus 3,5ccm.
Dann nahm er ein altes Stück steifen Gartenschlauch und drehte den Propeller. Nach fünfmal werfen war der Motor an.
Er hielt die Hand davor. "Aha", sagte ich, "um zu sehen, ob er richtigherum läuft." - "Ja", sagte Tom, "in 50 Prozent der Fälle springt er falschherum an."
Wenn die Metallbügel nicht gewesen wären, wäre die Maschine auf Tom zugefahren und hätte ihm die Eier zerfetzt. - So aber nahm er sie am Schwanz, zog sie zum Flugfeld und rollte zur Startposition.
Mit dem Schwung vom Rollen gab er etwas mehr Gas. Das Flugzeug legte zu. Vollgas durfte er nicht geben, sonst wäre es aufs Gesicht gefallen.
Es wurde langsam schneller. Gegen Ende des Platzes hörten die Vorderräder auf zu arbeiten - bißchen mehr Gas - und da hob er ab. Ging gar nicht erst in die Waagrechte, sondern surrte in 30 Grad in Schleifen hoch.
Und dann flogs wieder von rechts nach links ... und zurück ... und wieder hin...

Ich fuhr nicht zum Woolworth. Ich fuhr zum Modellbauladen in Urberach.


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