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Gentechnik
und was davon zu halten ist

Sachverstand2 @ GeoCities , 05.08.1997
Einleitung Exkurs: Demokratie Technisch gesagt... Der kleine Unterschied Politik ist Meinungs- bildung
Verantwortung und Ethik K.O.-Kriterien Bereits beendete Technik-Einführungen Eine sehr wichtige Anmerkung Conclusio

1. Wozu dieser Artikel?

Viele, ganz viele Zeitungen sind des Lobes voll über die Möglichkeiten der Gentechnologie: In anderen Blättchen, normalerweise links von der Mitte, stehen die Bedenkenträger als Kommentatoren in der ersten Reihe:

Wenn man die Diskussionen im Fernsehen und anderswo verfolgt, gewinnt man den Eindruck, eine sachliche Diskussion zu diesem Thema sei nicht möglich. Das ist natürlich eine schmerzvolle Erfahrung für den Light-food-gewohnten Fernsehkonsumenten unserer Tage: in den meisten Beiträgen und Serien ist klar, wo die Guten und die Bösen sitzen. Man läßt es in sich hineinlaufen und gut.
Auch bei mir als überdurchschnittlich harmoniebedürftigem Ingenieur stieß diese Kluft auf einen wunden Punkt. Stets fragte ich mich: Warum weiß ich so wenig darüber und bilde mir keine Meinung, und die da im Fernsehen wissen offensichtlich noch weit weniger und haben eine feste Meinung?
Ehrlich gesagt, das ist ja bei den meisten politischen Fragen so: daß über Sachen verhandelt wird, deren letzte Auswirkungen noch nicht bekannt sind.

Exkurs

Wo immer etwas geändert wird, entstehen mit der neuen Konstellation Vorteile und Nachteile gegenüber dem vorigen Zustand, egal ob Sie ein neues Möbel in Ihrem Zimmer aufstellen oder eine Windkraftanlage oder eine Nanotechnologie (letzteres natürlich nicht in Ihrem Zimmer).
Damit nicht jeder alles Mögliche macht, sondern die Sachen läßt, die anderen schaden, gibt's die öffentliche Verwaltung.
Die wird in unserem Land, weil's eine Repräsentative Demokratie ist, gelegentlich neu gewählt. Und je nachdem, wer gerade oben sitzt, kann man ungefähr die Richtung erahnen, wo es demnächst weitergeht; und wenn es auch nur das Aussitzen sämtlicher anstehenden Herausforderungen oder konzeptionsloses Gemecker ist. Und sich bei den gelegentlich stattfindenden Wahlen für das eine oder das andere entscheiden...

Nein, diese Entscheidung ist nicht immer leicht!

  • Man kann sie sich aus der Hand nehmen lassen, indem man nicht hingeht. Dann entscheiden andere über die Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich Ihr Schicksal entwickelt.
  • Oder man macht sich Gedanken, welche Alternative die weniger schlechte ist.
(Ich hätte gerne geschrieben: die bessere. Aber dazu gehört, daß sich die eine POSITIV von der anderen abhebt.)

Das Positive an dieser Geschichte ist, daß es überhaupt Leute gibt, die sich "professionell" mit den anstehenden Problemen und Lösungsmöglichkeiten herumschlagen. Und daß sie uns Rechenschaft schuldig sind, d.h. daß sie i hre Entscheidungen begründen müssen.


2. Was es ist

Gentechnik bedeutet zunächst einmal, Erbmaterial so zu verändern, daß etwas vorher nicht Dagewesenes entsteht. Üblicherweise erfolgt ein Eingriff in Zellen, wobei neues Genmaterial zu dem vorhandenen gebracht wird, in der Hoffnung, daß das Produkt (ein lebender Organismus) neue Eigenschaften aufweist, von denen mindestens eine erwünscht ist.
Beispiele: An der Herstellungsmethode kann man sehen, daß die gentechnische Veränderung (Manipulation) stattfinden muß, bevor das Lebewesen eigentlich entsteht. Das heißt, man muß entweder Mami und Papi manipulieren (bei ungeschlechtlicher Vermehrung reicht natürlich die Ausgangszelle) oder den wachsenden Fötus.
Das ist beim Menschen mit einer Generationenfolge von 15-30 Jahren (noch) ziemlich uninteressant, bei landwirtschaftlichen Pflanzen und Tieren (1-5 Jahre) dagegen sehr. Und bei Bakterien (Minuten bis Stunden) sowieso.

2.1 Der kleine Unterschied zu bisher

Die Veränderung des Erbgutes einer Population als solche ist keine neue Idee. Bisher genügten spontane Chromosom-Umgruppierungen aufgrund kosmischer oder irdischer, radioaktiver Strahlung in Verbindung mit der Geduld von Züchtern.
Neu ist, daß die erwünschten Eigenschaften durch eine Spritze in die wachsenden Zellen gebracht werden.
In meinem alten Biologiebuch steht folgendes Experiment beschrieben: Man gibt einer Maus eine frische Mixtur aus Cholerabakterien und einer anderen Sorte Bakterien, die sich durch eine Schleimschicht vor der Magensäure schützt. Die Maus krepiert nicht, denn die Magensäure vernichtet die Cholerabakterien, bevor sie Schaden anrichten können.
Einer anderen Maus gibt man dieselbe Mixtur, nachdem sie etwas abgestanden ist. Die Maus krepiert daraufhin an Cholera, weil die Bakterien untereinander Erbmaterial austauschen und so einige Cholerabakterien mit der Fähigkeit zum Schleimschichtbilden entstehen.
Mithin kann niemand mit Sicherheit ausschließen, daß die Gene in dem Obst oder Glukosesirup, das sie gerade vertilgt haben, es in Ihren Körper, und zwar in Ihre Keimdrüsen, schaffen. Das Ergebnis sehen wir dann in wenigen Jahren.

3. Was sein könnte: Politik als Meinungsbildung

Auf dem Sektor Gentechnik wird unglaublich viel gequatscht. Das ist auch völlig normal, denn hier werden Meinungen und keine Fakten ausgetauscht.
Bei jeder neu eingeführten Technik erhofft man sich Vorteile und hofft außerdem, daß die Nachteile klein sind.

Die tatsächlichen Vorteile und Nachteile einer Technik erlebt man jedoch erst, wenn die Technik längere Zeit angewendet worden ist. Die Geschichte ist voll von Techniken, die entweder überwiegend nützlich oder überwiegend schädlich oder wirtschaftlich uninteressant waren.
Die Entscheidungen im Vorfeld, also heute, wurden deshalb immer auf der Basis ungenügender Daten getroffen. Es liegen zwar Daten vor, aber daß diese unterschiedlich bewertet und gewichtet werden, kann man in jeder Diskussion zum Thema sehen.

Irgendwann gewinnt dann eine Meinung die Oberhand, und diese wird dann mit mehr oder weniger Erfolg irgendwann in Gesetze gegossen. Mit den tatsächlichen Nutzen und Schäden müssen die kommenden Generationen anschließend irgendwie klarkommen.


4. Verantwortung und Ethik

Es tut mir immer wieder gut zu sehen, daß selbst Gentechniker, also die Leute, die die Methoden und Verfahren erfinden, nicht ganz sicher sind, daß sie das richtige tun. (Ich meine damit übrigens die Leute im Labor und nicht die Marketingstrategen der Großkonzerne.) Seit der Erfindung der Atombombe steht ein gewisser R. Oppenheimer immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik; man sagt, durch die Entwicklung habe er sich mitschuldig am Tod Tausender Zivilisten gemacht.
Das blöde ist, daß Robert das nie allein geschafft hätte. Ohne die wissenschaftlich Vorarbeit von seiten Curie, Bohr, Planck und Einstein und die entsprechenden militärischen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, z.B. die Entschlossenheit der amerikanischen Regierung, den Krieg so bald wie möglich zu ihren Gunsten zu entscheiden, wäre das Malheur nicht passiert. Insofern kann man Robert nur eine Teilschuld in die Schuhe schieben.
Sagen wir 30%? Das ist immer noch zu viel für ein Paar Menschenschuhe, finde ich.

Die Zauberlehrlinge von heute möchten eine derartige Teilschuld möglichst vermeiden. Das kann ich verstehen, sonst würden sie ihres Lebens ja nicht mehr froh. Zum Glück gibt es haufenweise Konzerne und Politiker, die freundlich auf sie zukommen und sagen: Mach dir keine Sorgen, wir regeln das schon. Wir nehmen die gesamte Verantwortung auf uns, und wir wissen auch Leute, die für eventuelle Schäden aufkommen würden.
Die Zauberlehrlinge sehen ein solches Verhalten mit gemischten Gefühlen und fragen sich, woher die hohen Herren aus Wirtschaft und Politik diese Gewißheit nehmen.

Schade, daß es so leicht ist, einem Wissenschaftler ein fertig entwickeltes Spielzeug aus der Hand zu drehen, während dieser sich nach neuen, interessanten Herausforderungen umsieht... Und falls sich doch mal sein Gewissen meldet, rennt er selbst im Kollegenkreis gegen Mauern aus Desinteresse. Beständige Zweifel am Wert der eigenen Arbeit verringern den Elan, es wird lieber totgeschwiegen.

5. K.O.-Kriterien

Wenn Sie sich ein Auto kaufen, gehen Sie von mindestens den folgenden Forderungen aus: Die ersten beiden Forderungen müssen erfüllt sein, sonst nehmen Sie ein angebotenes Auto nicht. Das sind K.O.-Kriterien.

Das mit dem Auto war leicht. Und nun stellen Sie sich vor, die Regierung eines großen Landes wünscht, einen Krieg zu beenden, bei dem täglich 1000 Marines sterben, und erteilt Ihnen deshalb den Auftrag, eine Waffe zu entwickeln, mit der man eine kleine Großstadt ausradieren kann.
Wobei die Leute, die verdampft werden, noch am besten wegkommen. Andere sterben tage- oder jahrelang am Strahlenkrebs, und Dritte merken erst anläßlich der Geburt unansehnlicher Fleischklumpen, daß sie näher an Ground Zero waren als sie gedacht hatten. Und alle diese Leute sind weit weg, in Feindesland.

Was wir hier soeben betrieben haben, ist scenario-writing . Das bedeutet, daß man die weitere Entwicklung, soweit das der Kenntnisstand erlaubt, einschätzt. Man kommt dadurch nicht zu einer genauen Vorhersage, aber man kann den bestmöglichen Verlauf und den schlechtestmöglichen Verlauf skizzieren und sich daran weiter orientieren.
Man kommt allerdings nicht drumherum, Fachspezifisches zu lernen. Schon allein, um Meinungen von Fakten zu unterscheiden.


6. Technik-Einführungen in der Geschichte

Wie gesagt, es gibt wenig Fakten zu dem Thema, weil die Gentechnik noch in den Kinderschuhen steckt. Das bedeutet unter anderem, daß man jetzt Fehler vermeiden kann, die sonst sehr große Ausmaße annehmen würden. Oder daß andere die Chance, die wir nicht ergriffen haben, aufnehmen. Und damit sämtliche Chancen und Risiken und die Verantwortung wenigstens teilweise noch dazu.
Aber wir können einen Blick in die Geschichte der Technik werfen und sehen, was bisher in verwandten Bereichen so gelaufen ist.

6.1 Atomkraft

Die Erfindung der Atomkraft wurde gefeiert.
Heute stehen wir vor den Trümmern:

Wenn Sie nochmals die Wahl hätten, wie hätten Sie entschieden, im Januar 1955?


6.2 Schnelle Brüter

Die Erfindung der Schnellen Brüter wurde gefeiert. Das ist eine Methode, mit der man aus unbrauchbarem Uran (falsches Isotop) verwendbares Uran (richtiges Isotop) fabrizieren kann. Dabei fallen jede Menge hochradioaktiver Substanzen an, die munter strahlen und sich alle Naselang in andere Elemente verwandeln: giftige, gasförmige...

Der Widerstand eines Teils der bundesdeutschen Bevölkerung hat die Realisierung dieser Technologie von Staats wegen verhindert.

Wo waren Sie im Sommer 1991?


6.3 Wiederaufarbeitung

Das Abtrennen des noch verwendbaren Urans vom unbrauchbar gewordenen Uran in verbrauchten Brennstäben macht die Atomkraft erst wirtschaftlich.
Südlich von Frankfurt steht eine größere Industriebrache zum Verkauf...

6.4 Anmerkung

Alle drei Technologien (Atomkraft, Schnelle Brüter, Wiederaufarbeitung) wurden von den obersten Deutschen gewollt. Dennoch war es möglich, daß zwei von ihnen ganz und die dritte halb abgeschafft wurden, bevor sie größeren Schaden anrichteten. Die Bewegung, die dahintersteckt, sitzt heute im Gewand einer politischen Partei in den Parlamenten.

Sagen Sie also nicht: Widerstand ist zwecklos. Jedenfalls nicht zu mir.


6.5 Rechner

Im Jahre 1968 wurde das beste Betriebssystem der Welt (UNIX!) entwickelt.
Inzwischen sitzen 50% der bundesdeutschen Angestellten täglich vor der Flimmerkiste und leiden unter Bewegungsmangel, Verkrampfungen und Haltungsschäden.
Die wirtschaftliche Bedeutung des Rechnereinsatzes zur Datenverarbeitung, Prozeßkontrolle und Produktivitätssteigerung rechtfertigt allerdings den Einsatz. Auch wenn die meisten privaten User mit einem dummen Betriebssystem dumm gehalten werden.

6.6 Auto

Zunächst nur ein milde belächeltes Spielzeug für die Reichen, ist der Pkw heute aus dem Privatleben der Bundesbürger nicht mehr wegzudenken.
Auch hier sind jedoch unter dem Motto "Freie Fahrt für freie Bürger" Fehlentscheidungen gefallen, die heute noch eindrucksvoll in Laatzen-Mitte besichtigt werden können. Lärm, Sommersmog, sterbende Wälder, CO2-Katastrophe und 5000 tote Bundesbürger pro Jahr sind der Preis für ein wesentlich selbstbestimmteres Leben.

6.7 Telefon

Das Telefon bietet die wirtschaftliche Grundlage zur Kommunikation und Koordination. Es hilft, soziale Kontakte zu pflegen, und ermöglicht u.a. den Zugang zum Internet.
Man kann es auch zum Schmieden krimineller Pläne mißbrauchen. Und selbst der Bundestag hat einen Anschluß.
Weil zwischenzeitlich fast alles übers Telefon läuft, kann der Staat seine Bürger effizient kontrollieren. Nicht so sehr die echten Kriminellen (die haben ihre Webmaster, ihre Stealthcodes und ihre Firewalls), sondern Sie, die Sie unverschlüsselte Nachrichten empfangen.
Oder glauben Sie , der Verfassungsschutz wüßte nicht, daß Sie gerade diese Seite lesen?
Die gesundheitlichen Nebenwirkungen sind vergleichsweise vernachlässigbar, außer bei Marketing-Vieltelefonierern und Handy-Usern.

6.8 Kühlschränke

Kühltechnik verhindert den frühzeitigen Verderb von bestimmten Lebensmitteln. Überall auf der Welt bekommen Sie Fisch, und Fisch ist meistens gesund...
Auch hier gibt es jedoch, wie bei der Atomkraft auch, ein Entsorgungsproblem. Wenn nun 1 Milliarde Menschen mehr in den Genuß der Annehmlichkeiten kommt, die ein Kühlschrank mit sich bringt, fürchte ich, daß die vergessen, auch gleich westliche Entsorgungstechnik mitzuimportieren.
Insofern steht zu erwarten, daß das Ozonloch wachsen wird; ja, auch das über Mitteleuropa.

Was werden Sie Ihren Kindern sagen, wenn die Sie eines Tages fragen: Was hast du dagegen getan, daß ich immer im Raumanzug draußen spielen muß?
Außerdem muß die elektrische Leistung für die Kühlschränke ja auch irgendwo herkommen. Vertrauen Sie chinesischer oder russischer Atomkraft-Sicherheit oder nehmen Sie ein weiteres Wachsen des CO2-Gehaltes in Kauf?


6.9 Zusammenfassung der Technikgeschichte

Wir haben gesehen, daß einige Techniken sofort, andere später irgendwelche häßlichen Nebenwirkungen hatten.

Und ich denke, Gentechnik fällt ebenfalls in die letzte Kategorie.


7. Conclusio

Die Versprechen, die von industrieller und politischer Seite gebetsmühlenhaft auf die Bundesbürger herabprasseln, behandeln ausschließlich die möglichen positiven Aspekte.

Die Befürchtungen, die laut, polemisch und grammatikalisch nicht immer einwandfrei geäußert werden, beinhalten ausschließlich mögliche negative Aspekte.

Sie, genau Sie, Verehrter Leser, müssen sich die Frage stellen:


Oben hab' ich Ihnen meine Meinung versprochen, hier ist sie: sage ich NEIN zur Gentechnik auf allen Gebieten inclusive medizinischer, prä- oder postnataler Diagnostik.

Falls Sie aufgrund der obigen Fragen zu einem Ergebnis gekommen sind:
  • Vertreten Sie Ihre Meinung!
    Warten Sie nicht, bis man Sie fragt. Sprechen Sie dort besonders deutlich, wo man sie nicht unbedingt hören will.
  • Suchen Sie Gleichgesinnte.
  • Werden Sie aktiv!

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