Sachverstand2's Tips zum Fahrradkauf

Es gibt noch gute Fahrräder!
Schwatzt sie euren Großeltern ab!

Sachverstand2 @ Geocities.com, 14.06.1998

Zusammenfassung

  1. 70er Jahre Schaltungen klickten nicht, sondern funktionierten.
  2. 70er Jahre Tretlager sind genormt, zerlegbar und einstellbar.
  3. 70er Jahre Naben sind genormt, zerlegbar und einstellbar.
  4. 70er Jahre Felgen sind zwar auch unstabil, aber leichter und hübscher, weil schlanker.
  5. 70er Jahre Lenker sind hübscher und ergonomischer als Heizungsrohre.
  6. 70er Jahre Sättel sind auch kein Lichtblick.
  7. 70er Jahre Gepäckträger halten zwar auch nicht, aber dafür versprechen sie auch nix.
  8. 70er Jahre Schutzbleche sehen zwar scheiße aus, aber gehen wenigstens laut und fröhlich kaputt.
  9. 70er Jahre Bremsen zeichnen den wahren Könner aus.
  10. 70er Jahre Beleuchtung funktioniert auch nicht, aber wenigstens liegt das nicht am User.

  11. 70er Jahre Schrauber sind zwar lästig, aber haben immer recht!

10 Beispiele, warum 70er Jahre Fahrräder besser sind


Normalerweise hört niemand auf einen alten Fahrradschrauber, der da sagt: "Wenn du willst, daß etwas richtig gemacht wird, dann mach es selber!", und damit meint: Nichtsdestotrotz gibt es nichts, was seit den 70er Jahren am Fahrrad besser geworden ist, eher schlimmer. Seit Joshitsu Shimanzo seine Foten überall drin hat, sind auch hier japanesische Sitten eingezogen: wenn's neu ist, geht's gut, aber wenns schon älter ist, kauf dir lieber was Neues...

1. Schaltung

In den 70ern hochbeliebt waren Heutzutage schleichen überall die Mauntenbeiker auf ihren überdimensionalen, heulenden Stollenreifen herum. Das sollen sie meinetwegen tun; wenn sie nur aus dem Weg gingen, wenn man mal eben vorbei möchte.
In einer flachen Stadt wie Hannover braucht man eigentlich nur drei Gänge: einen zum Anfahren, einen für Gegenwind (die Regel) und einen für Rückenwind (die Ausnahme).
Spätestens bei 18 Gängen hört bei mir das Verständnis auf. Nicht nur, daß der 1. Gang allemal reicht, um auf den Lindener Berg zu klettern - es macht auch keinen Sinn, 2mal zu treten und dann 1mal zu schalten.
In einer bergigen Stadt wie Stuttgart kann man mit mehr Gängen leben. Aber auch nur, wenn man nach dem Flicken des Plattens am Hinterrad nicht zum Händler muß, zerbröselte Plastikteile nachkaufen.

Was gibt es denn heutzutage schon zu schalten?


2. Tretlager

In den 70ern waren sie komplett zerlegbar und einstellbar. Einstellbar heißt, man dreht an ein paar Schrauben, und schon halten sie die nächsten 3.000 km. Zusammen mit einer gelegentlichen Gabe Fett ad infinitum...
man konnte sich aussuchen, ob man Kugelhalter dazugab oder nicht. 9 von 10 defekten 70er Tretlagern haben defekte Kugelhalter. Dabei sind einzelne Kugeln (wo man mehr von nehmen muß, so daß sich die Kräfte besser verteilen) doch viel schöner! Bei echten Holland-Rädern waren Einzelkugeln Serie... und sie fielen doch nicht heraus.
Beide Bauarten (Thompson und BSA) waren genormt, es gab zirka 3 Größen für jede.

Das ist heute vorbei! Mauntenbeiks verlangen manchmal Unter-, manchmal Übergrößen, die kein gescheiter Händler alle am Lager hat. Ja sogar bei den Lenkern gibt es 1 mm dickere ... und 1 mm dünnere Modelle.
Die Achsen müssen verschieden lang sein, damit die Kettenblätter nicht am Rahmen scheuern, aber noch im Schaltbereich des vorderen Umwerfers bleiben.
Die Tretlager selbst sind heutzutage gekapselt, "Industrielager". Das bedeutet, daß Industriebetriebe daran verdienen, wenn wir sie alle 10.000 km auswechseln. - Natürlich nur, wenn sie solange halten. Nicht nur die Lager, sondern auch das Lagerfett ist teuer - sonst würde die Hersteller wohl mehr davon hineintun...


3. Naben

Ich liebe Naben, die man zerlegen, neu fetten und einstellen kann...
Aus die Maus! Welchen Vorteil haben Rillenkugellager, außer daß man sie nach Benutzung wegwirft? Zwar sind die Nabengehäuse heutzutage dicker, aber die Achsen sind bei ihrem Spargelmaß von 8mm geblieben.
Und was ist in 10 Jahren, wenn ihr Vorderrad anfängt zu schlackern? Hat dann ihr Fahrradhändler die passenden Lager da?
Nur zu, werfen Sie nur einen Blick hinten in seinen Laden, wo jemand fröhlich pfeifend die immer noch nicht geklaute Nabe seines immer noch nicht geklauten 70er Jahre Fahrrades nachstellt und 5 min später schon wieder in den Sonnenuntergang unterwegs ist.

4. Felgen

Heutzutage kommen Fahrräder zumeist auf dicken, heulenden Puschen daher.
Die sind entweder nicht richtig aufgepumpt, und die Herrschaften kommen wegen der herben Walkverluste nicht vom Fleck.
Oder sie sind es, dann kommen die Herrschaften wegen der größeren zu beschleunigenden Massen nicht vom Fleck. Merke: Masse am Radumfang zählt beim Beschleunigen doppelt.

Insgesamt bringt eine richtige, gleichmäßige Speichenspannung die größte Sicherheit gegen Speichenbrüche und krumme Felgen. Teile, die größer aussehen, sind entweder schwerer (wozu auch immer) oder dünner, und was letzteres für die Stabilität bedeutet, da kommen Sie auch noch selber drauf.


5. Lenker

Die Geschichte des Fahrradlenkers ist eine Geschichte voller Mißverständnisse.
Irgendwann muß es mal den optimalen Lenker gegeben haben: die Enden leicht nach hinten geneigt, so wie es unsere Handgelenke lieben, und leicht nach unten geneigt, wie es unsere Schultern lieben. Leicht variierend in der Breite, genau wie die Schultern der BenutzerInnen, und dem Oberkörper eine leichte Neigung nach vorne andienend, wie es die Lendenwirbelsäule liebt.
Der war allerdings auch in den 70ern rar. Am ehesten kommt noch der "Trainingsbügel" an dieses Idealbild heran, den wir vom ungeliebten Hausfrauenrad der frühen 80er kennen (sie wissen schon, das mit der unverwüstlichen Positron-Schaltung, die am Schaltwerk rastete).

6. Sattel

Es gab 80 Jahre Fahrradgeschichte mit einem Sattelmaterial: Leder. Den muß man zwar einsitzen und gelegentlich fetten, aber wer einen hatte, will nix anderes mehr.

Leider haben das auch die Hersteller gemerkt. Ledersättel sind heutzutage schweineteuer und ausschließlich mit zölligen Schrauben und Nieten, die zum Herausfallen neigen, versehen.
Gelsättel (so eine Art Wasserbett in klein) gibt es in teuer und billig. Die billigen unterscheiden sich dermaßen von der Radfahrer-Anatomie, daß auch das beste Gel diese Unterschiede nicht mehr ausgleichen kann. Die teuren sind nur teuer.


7. Gepäckträger

Die gute Nachricht: Bei den Gepäckträgern hat sich nicht viel verändert.

Die schlechten Nachrichten:

  1. Mineralwasserkisten fallen immer noch gelegentlich runter.
  2. Sie zerbröseln immer noch vor sich hin - oder kosten DM 170 und sind aus geschweißtem CroMoly-Rohr.
  3. Die Spannbügelfedern leiern immer noch aus, wenn man sie benutzt.
  4. Die heutigen Fahrräder weisen immer seltener Platten und Augen zur sicheren Befestigung von den Dingern auf.
Hatte ich schon gesagt, daß seit 1979 alles schlechter geworden ist?

8. Schutzbleche

Die gute Nachricht zuerst: Was nicht mehr da ist, kann auch nicht mehr klappern.
Dafür spritzt es einem allerdings Gesicht und Arsch (Tschuldigung) voll.

Zu den Schutzblechen aus Alu und Stahl, die aufgrund wackelnder Vernietungen fröhlich klapperten und irgendwann durchwackelten, kamen seitdem die genausoleichten Schutzbleche aus Kunststoff, die aufgrund wackelnder Vernietungen dumpf klappern und noch schneller durchwackeln, sowie die praktischen Steckschutzbleche, die wegen fehlender Haltemöglichkeiten Phantasie beim Dranbasteln verlangen und bei Regen fast noch lieber geklaut werden als Regenschirme.


9. Bremsen

Alle Welt fährt mittlerweile Ausleger-Bremsen (engl.: Cantilever). Schade, daß niemand weiß, wie man die Dinger einstellt (außer mir natürlich: die beiden Strippen, die zu den Ärmchen hingehen, sollten so horizontal wie möglich laufen, (und die Lager haben übrigens nichts gegen Fett!))
Trotzdem finde ich es bescheuert, daß das probate System der 70er Seitenzugbremse so in Vergessenheit geraten ist. Nur einige Trottel aus dem Rennsport (ja, alle! Leistungssportler sind ja wohl auch alle Trottel!) hängen da noch dran und benutzen sie sogar in den Bergen.

Aber die haben ja auch ihre Mechaniker, die die Dinger alle 3.000 km zerlegen, fetten und neu einstellen, während Otto Normalbiker halt damit lebt, daß sie irgendwann nicht mehr gehen.
Was dann natürlich Schuld der Bremsen ist und niemals, niemals am faulen User liegt.


10. Beleuchtung

Seufz! Wie sag ich's meinem Kinde?

Es gibt keine gescheite Fahrradbeleuchtung!
Es gibt nur schaurige Fehlkonstruktionen verantwortungsloser Spinner!

In den 50ern und 60ern waren Dynamos zwar doppelt so groß und schwer wie die heutigen Modelle, dafür waren sie aber wenigstens zerlegbar und kugelgelagert.
Moderne Dynamos, die nicht durch Reibung, sondern durch den Formschluß eines Drähtchens vom Rad mitgenommen werden, verfügen intern über Reibgetriebe, damit sie bestimmt kaputtgehen.
Nabendynamos sind nach wie vor schweineteuer.

Ich hatte mal einen Rollendynamo, der auf dem Hinterradreifen lief. Trotz dieser unpassenden Stelle, wo er nun wirklich alles abbekam, was so an Dreck und Wasser vom Hinterrad hochgerissen wurde, ging er sogar bei Schnee.
Seine Oberfläche war womöglich so verschleißfest wie der Hinterreifen selbst. Nur daß sie 20 Bodenkontakte hatte, während mein Hinterreifen selbst 1 Bodenkontakt hatte, und somit wesentlich schneller bis auf die Innereien weggefiedelt war als der Reifen.

Das "Standard-Kabel" mit seinen "Standard-Kabelaugen" war und ist ein bedeutungsloser Witz, schutzlos Hecken ausgeliefert, die es abreißen, und Niederschlägen, die es unter den Augen der Besitzer zerfressen. Richtiges Kabel, wie man es am Auto oder Mopped verwendet, hält mindestens 100mal so lange, obwohl es nur 3 Gramm mehr wiegt.

In den 70ern gab es Lampen, die beim Kontakt mit festen Gegenständen (z.B. Eiern) zerbröselten. In den 80ern wurden Lampen erfunden, bei denen das Auswechseln der Birne richtig schwierig war.
Die 90er endlich haben uns Lampen beschert, die beides haben, d.h. die beim Auswechseln der Birne zerbröseln.

Wenigstens bescherten uns die 80er Reflektoren, die Radfahrer erfreulich oft vor Autokontakten bewahren.
Und die 90er illegale LED-Blinkerchen, die lange halten und Frontalzusammenstöße unbeleuchteter Radler minimieren. Hatte ich schon erwähnt, daß uns die 90er auch die grassierende Pest der Inlineskater und Handyuser bescherte?


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