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Aus dem Schulzenhofer Kramkalender

Großmutters Korb

Gestern, als ich im Keller aufräumte, fand ich ihn - Großmutters Korb. Es ist ein rechteckiger Henkelkorb aus steifen Weidenruten, der sich zum Boden hin verjüngt, den oben zwei Klappdeckel abschließen. Ich säuberte ihn, denn er war von silbergrünen Schimmelpilzen überzogen, und ich sah Großmutter Steinpilze, Pfifferlinge, Blaubeeren oder Preiselbeeren im weißgescheuerten Korb in die fünfzehn Kilometer entfernte Kreisstadt tragen. Wenn Großmutter müde aus der Stadt kam, enthielt der Korb zuweilen etwas für mich: eine Leckerei, als ich klein war, und später, als mir das Lesen zur Leckerei wurde, ein billiges Büchlein.

Als ich auszog, um das Gruseln zu erlernen, verwahrte Großmutter in diesem Korb die kleinen Sachen, die mir lieb waren: ein Tüchlein von der ersten Geliebten, mein Dorfschulzeugnis, merkwürdige Steine, eine weiße Kornblume und die gepresste Zwillingsblüte einer Heckenrose. Wenn ich zu Besuch heimkam, holte Großmutter die kleinen Dinge hervor. "Du weißt wohl nicht, was du alles noch hast?"

Nun ist Großmutter in die Fremde gegangen und weiß wohl nicht, dass sie diesen Korb noch hat, der jetzt in meiner Arbeitsstube steht.

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