Sehr geehrter Herr Reuter,
Mein Name ist Dr. Hartmut Kingeter und ich bin in Bruchköbel wohnhaft.
Ich schreibe Ihnen heute aber nicht aus gesundheitspolitischen Gründen sondern aus einem anderen, mich wirklich zutiefst erschütternden Grund:
Wie Sie vielleicht von Ihrer Frau wissen, bin ich bei uns Bruchköbel in der Kirchengemeinde aktiv tätig.
In meiner Funktion als Kirchenvorstand war ich im Mai dieses Jahres auch mit dem Fall der Familie Naki in unserer Gemeinde befasst.
Herr Naki lebte seit 9 Jahren in unserer Gemeinde. Er hatte, aus Angola kommend, einen Asylantrag gestellt und dieser Antrag wurde entsprechend lange bearbeitet und letztlich abgelehnt. Es folgte- wenn ich richtig informiert bin- eine Phase der Duldung der Familie Naki. Im Jahre 1994 bekamen Nakis Nachwuchs. Zwillingsmädchen, beide in Deutschland geboren, beide in unserer Kirchengemeinde getauft.
Im Mai 1999 dieses Jahres kam es nun zur Abschiebung der Familie Naki nach Angola.
Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich von den Verhältnissen in Angola keine Ahnung und ich mußte feststellen, daß es in unserer sehr einseitigen Medienwelt auch nicht einfach ist, Informationen über ein im Bürgerkrieg befindliches Land zu bekommen. Um es überspitzt zu sagen, ist es wohl so, daß wenn ein Krieg für CNN kein Thema ist, es auch bei der UN vergessen wird...
Letztlich habe ich dann in den im Internet aufrufbaren gesammelten Tagespresseerklärungen der UN doch einige Mitteilungen zu Angola abrufen können.
Sie hatten letztlich alle den gleichen Tenor: Schreckliche Verhältnisse, instabile Lage, selbst Hilfsorganisationen ziehen sich aus dem Lande zurück.
Das war also das Land, in das man von Deutschland aus abgeschoben wird...
Nun ja, ich habe das ganze seinerzeit kopfschüttelnd aber letztlich schulterzuckend zur Kenntnis genommen, was ich mir heute bitter vorwerfe.
Es kam dann wie es kommen mußte: Nach nur etwa 2-3 Wochen bekamen wir einen Hilferuf von Herrn Naki: Beide Mädchen (natürlich ohne Tropenschutzimpfungen abgeschoben) waren an Malaria erkrankt.
Und wieder war ich nur halb betroffen und dachte -böse formuliert- Dollars werden es schon wieder richten.
Mit ein paar Telefonaten im Freundeskreis waren 1000 Dollar gesammelt und es gelang uns, über eine Hilfsorganisation das Geld direkt Herrn Naki zukommen zu lassen.
Am vergangenen Montag bekam ich dann einen Anruf unseres Pfarrers:
Ruth Naki, 5 Jahre alt, in Deutschland geboren, getauft und aufgewachsen, von Deutschen im Mai ausgewiesen, ist an den Folgen der Malaria gestorben.
Ich versichere Ihnen, daß Sie sich nicht vorstellen können, wie elend und wie schuldig ich mich seitdem fühle.
Natürlich ist Asylpolitik ein sehr kompliziertes Thema und es gibt keine Patentrezepte, aber hier geht es auch meiner Meinung nach nicht um Recht oder Unrecht sondern einzig um Humanität und letztlich um unser Christsein.
Letztlich haben Sie wie ich dieses junge Leben auf dem Gewissen.
Vor kurzem ist in Berlin ein Deutscher an Gelbfieber verstorben, weil er seinen mangelnden Impfschutz geleugnet hat.
Das sterben dieses Mannes und die "Seuchengefahr" in unserem Deutschland war den Medien mehrere Tage die Top-Schlagzeilen wert.
Ruth Naki ist leise und unbemerkt gestorben.
Ich weiß, was ich falsch gemacht habe und ich weiß, daß ich alles hätte tun müssen, um Familie Naki dem Zugriff der ausweisenden Behörde zu entziehen, auch wenn ich mich damit strafbar gemacht hätte. Ich bin zur Zeit bemüht, rauszukriegen, ob man nicht zumindest das zweite Mädchen wieder nach Deutschland bekommt.
Was können oder wollen SIE tun?
Angola ist sicherlich kein Land, wohin heute abgeschoben werden darf! Hier geborene Kinder von Asylanten haben sicher an der mangelnden juristischen Finesse des Asylantrags ihrer Eltern keine Schuld. Das Abschieben hier aufgewachsener und getaufter Kinder in afrikanische Bürgerkriegsländer empfinde ich als zutiefst beschämend.
Herr Reuter, ich bin gewiß kein Moralist und kenne durchaus politische Zwänge aber über Amt und Funktion hinaus sind wir in erster Linie Mensch und sollten darum in erster Linie menschlich handeln.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr.Dr.Hartmut Kingeter
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