Zur Zeit leisten in Österreich ca. 10
Prozent der Wehrpflichtigen den Zivildienst. Ich war einer davon.
Schon vor meiner Stellung im April 1993 war mir klar geworden,
daß ich nicht im Schlamm robben, sondern etwas Nützliches
für die Gemeinschaft tun wollte. Was das genau sein würde,
darüber hatte ich aber noch keine genauen Vorstellungen.
Ich rief also bei der zuständigen Abteilung im Innenministerium
an, und fragte eine erstaunlich freundliche Beamtin bei welchen
Einrichtungen Zivildiener gebraucht würden. Als erstes zählte
sie die Caritas auf und ich dachte mir: "warum eigentlich
nicht?". Nachdem ich mich vom Streß der Matura in Griechenland
(wo sonst?) erholt hatte und zwei Monate bei der Post gejobbt
hatte, war es im Oktober 1994 soweit. Ich meldete mich bei einem
Pensionistenheim der Caritas zwecks Einteilung. Nach längerem
Hin und Her kristallisierte sich schließlich mein zukünftiger
Arbeitsort heraus: das Caritas Heim "Maria Frieden"
für geistig Behinderte in Lanzendorf. Ich muß zugeben,
daß ich etwas aufgeregt war, als ich im PKW meines Zivildienst
Kollegen das Heim erreichte. Die Direktorin war aber recht bemüht
und wies uns in die Grundzüge unserer Arbeit ein. Ich wurde
der Nachmittagsbetreuung des Hauses Anna (es gibt vier Häuser)
zugeteilt. Wie würde ich empfangen werden? Würde ich
den an mich gestellten Erwartungen und Anforderungen gerecht werden
können? Ich war mir bewußt, daß die nächsten
Tage und Wochen eine große Umstellung für mich seien
würden, da ich ja noch nie mit Behinderten gearbeitet hatte.
Mit den fix Angestellten entwickelte sich ein gutes Arbeitsverhältnis.
Die Betreuer hatten schon früher mit Zivildienern gearbeitet,
ich platzte also nicht wie aus heiterem Himmel hinein. Natürlich
gab es Leute, die einem sympathischer waren als andere, aber gröbere
Konflikte entwickelten sich nicht. Gerade am Anfang mußte
ich oft auf die Hilfe meiner fix angestellten Kollegen und Kolleginnen
zurückgreifen, da ich ja von Behindertenarbeit keine Ahnung
hatte. Ich muß sagen, daß alle bemüht waren,
mir so gut wie möglich unter die Arme zu greifen.
Leider wurde ich nach nicht einmal einem Monat, als ich gerade
angefangen hatte, mich einzugewöhnen, zum verpflichtenden
dreiwöchigen Grundlehrgang für Zivildiener bei einer
Stelle des roten Kreuzes einfinden.
Der Grundlehrgang war in 6 Lehrblöcke aufgeteilt. Dies waren:
eine allgemeine Einführung in den Lehrgang, Pflichten und
Rechte des Zivildieners, Politische Bildung und Konfliktlösungsmöglichkeiten,
Grundzüge des Zivilschutzes als eines umfassenden Katastrophenschutzes,
Dienste im Rettungswesen und in anderen Bereichen sowie technische
Hilfeleistung. Diese Blöcke mögen sich etwas trocken
anhören und sie waren es auch. Beim Zurückdenken erinnere
ich mich eigentlich hauptsächlich an ein diffuses Gefühl
des "Fadseins", vergleichbar mit den schlimmsten Mathematikstunden
in der Schule. Am nützlichsten war noch der Lernblock 5,
wo einem erste Hilfe beigebracht wurde. Prinzipiell auch nicht
uninteressant war der letzte Block; hier wurde einem die Arbeit
der Feuerwehr näher gebracht. Leider war es etwas ungemütlich
an eiskalten Novembertagen Feuerlöschübungen durchzuführen.
Wie auch immer, ich bestand den Abschlußtest des Kurses
und ging dann wieder zurück nach Lanzendorf, wo ich mich
wieder neu eingewöhnen mußte.
Die Behindertenarbeit ist sicher nicht einfach. Auch wenn ich
mit eher leichter Behinderten zu tun hatte, und sich die körperliche
Arbeit in Grenzen hielt, darf die psychische Komponente nicht
vernachlässigt werden. Meine Arbeit bestand hauptsächlich
in der Nachmittags und Abendbetreuung der Behinderten, die üblicherweise
als "Klienten" bezeichnet werden. Diese kamen um
16 Uhr von ihren Tageswerkstätten (wo mein Zivildienstkollege
arbeitete) nach Hause. Danach wurde eingekauft und das Abendessen
vorbereitet. Später hatten die Klienten zu duschen, wobei
manchen Hilfestellung zu leisten war. Am Abend beschäftigte
ich mich normalerweise noch mit meinen "Schützlingen";
um 10 Uhr war dann endgültig Schlafenszeit. Oft waren auch
Nachtdienste zu leisten, d.h. ich blieb über Nacht und betreute
die Klienten am nächsten Morgen, solange bis sie in die Werkstätten
gingen. Hin und wieder gab es Wochenenddienste, die sich von Freitag
nachmittag bis Montag früh zogen. Einerseits war das positiv,
da man längere Ausflüge und Unternehmung (Kinobesuch)
machen konnte, andererseits war man gegen Ende des Dienstes doch
schon etwas mit den Nerven fertig.
Es ist wichtig, zu lernen, daß jeder der Behinderten seine
eigenen Bedürfnisse hat. Dabei ist nicht unbedingt davon
auszugehen, daß leichter Behinderte "pflegeleichter"
sind als schwerer Behinderte. Die Schrullen und Marotten, sowie
das Liebesbedürfnis der körperlich und geistig weniger
Behinderten, zehren oft an sehr an den Nerven des Betreuers. Leider
stand uns Zivildienern keine Supervision zur Verfügung. Allerdings
konnte ich auftretende Probleme am Abend in der Runde der Kollegen
besprechen, ihr Rat wahr meist äußerst hilfreich.
Insgesamt kann ich jedoch mit gutem Gewissen sagen, daß
mir der Zivildienst persönlich viel gebracht hat; mir hat
sich ein bis dahin nicht gekanntes Arbeitsfeld erschlossen und
ich habe gelernt, mit Behinderten umzugehen. Leider hat sich der
Kontakt zum Haus Anna und seinen Bewohnern nach dem Abschluß
meines Dienstes im August 1995 nicht so lange gehalten wie erhofft.
Meine Arbeit war sicherlich genauso anstrengend wie der Grundwehrdienst.
Gerade deshalb finde ich es ungerecht, daß Zivildiener Grundwehrdienern
noch immer nicht gleichgestellt sind da Zivildienst vom Gesetz
her immer noch ein Ersatz und kein Alternativdienst ist. Die Zivildiensterklärung muß
folgenden Passus enthalten: "Ich kann die Wehrpflicht nicht
erfüllen, weil ich...die Anwendung von Waffengewalt gegen
Menschen aus Gewissensgründen ablehne und daher bei Leistung
des Wehrdienstes in Gewissensnot geraten würde.
Viele, auch ich, leisten aber wohl eher Zivildienst weil sie etwas
sinnvolleres für die Gemeinschaft tun wollen als 6 oder 8
Monate im Schlamm zu robben. Immerhin haben die Liberalen im März
dieses Jahres eine gleich lange Dauer für Zivil und Wehrdienst
(nämlich jeweils 8 Monate), eine Verankerung der Wahlfreiheit
in der Verfassung, eine unbürokratische Vorgangsweise bei
der Antrags und Aufschubregelung, eine stärkere Vertretung
der Zivildiener sowie eine verstärkte und unabhängige
Zivildienstinformation verlangt. Man kann nur hoffen, daß
zumindest einige dieser Forderungen auch erfüllt werden.
(5.523 Zeichen)