Lori B. Andrews leitete die ethische Begleitforschung zum Humangenomprojekt. In ihrem Buch "The Clone Age" beschreibt die Juristin die Folgen der Bio- und Gentechnik
Was hierzulande diskutiert wird, ist in den USA bereits Realität. Ein Interview mit der Ethikrechtlerin Lori B. Andrews
DIE ZEIT: Sie waren die Leiterin jener Arbeitsgruppe, die die ethischen, rechtlichen und sozialen Auswirkungen des Humangenomprojekts untersuchen sollte. Doch schon nach einem Jahr gaben Sie den Posten auf. Warum?
LORI ANDREWS: Das Problem war, dass wir im Prinzip von den Wissenschaftlern bezahlt wurden, die wir eigentlich überwachen sollten. Wir sollten die Funktion eines Wachhundes ausüben, mussten aber feststellen, dass unsere Arbeit den Forschern eher als Feigenblatt diente. ,Schaut her', so konnten sie öffentlich sagen, ,wir tun auch etwas für die Ethik.' In Wahrheit aber kontrollierten sie unsere Tagesordnung und bestimmten etwa, dass wir uns nicht um die Frage der Genpatentierung kümmern sollten.
ZEIT: Was hatte Ihr Rücktritt für Folgen?
ANDREWS: Es gab beträchtliche Aufregung. Ein Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet. Der empfahl schließlich, für die Begleitforschung ein unabhängiges Komitee beim Kongress einzurichten. Aber das kam nie zustande.
ZEIT: Sie selbst haben als Anwältin früher in vielen Prozessen für Elternpaare das Recht erstritten, neue Techniken der künstlichen Befruchtung -wie das Einfrieren oder genetische Testen von Embryonen - nutzen zu dürfen. In ihrem jüngsten Buch The Clone Age (Verlag Henry Holt, New York) schildern Sie „Abenteuer in der Neuen Welt der Reproduktionstechniken" und beurteilen solche Methoden inzwischen sehr kritisch.
ANDREWS: Jedes Jahr kommen allein in den USA 60 000 Geburten durch Samenspenden zustande, 15 000 durch künstliche Befruchtung und etwa 1000 durch Leihmutter-Arrangements. Doch nur drei US-Staaten haben Gesetze verabschiedet, um den Umgang mit den neuen Reproduktionstechniken zu regeln. Dabei wäre das dringend notwendig. Ein Beispiel: Ein unfruchtbares kalifornisches Ehepaar zeugte mithilfe eines Samenspenders und einer Eizellenspenderin ein Kind und ließ es von einer Leihmutter austragen. Doch dann ließ sich der Ehemann scheiden und lehnte jede Verantwortung für das Kind ab. Wessen Baby ist es? Wer sind die rechtlichen Eltern? Und wer ist verantwortlich für seine Erziehung?
ZEIT: Abgesehen von solchen Juristischen Fragen — welche gesellschaftlichen Probleme sehen Sie?
ANDREWS: Zu viele Amerikaner betrachten die Fortpflanzung heute mit einer Art Einkaufsmentalität. Die Erzeugung eines Babys beginnt einem Autokauf zu ahnein, bei dem man die Ausstattung und das Extrazubehör wählt. In seriösen Reproduktionskliniken wählen viele Eltern ihre Kinder nach Haarfarbe, Hobbys oder Intelligenzquotienten des Samenspenders aus. Und im Internet kann man das Sperma eines jungen Mannes für 4000 Dollar kaufen, dessen Stammbaum angeblich zu zwei europäischen Königsfamilien und sechs katholischen Heiligen zurückreicht.
ZEIT: Und was geschieht, wenn das Wunschkind später nicht den Erwartungen entspricht?
ANDREWS: Manche Eltern erwarten eine Art Produkthaftung. In einer Klinik in Utah wählte ein Ehepaar für eine künstliche Befruchtung Samenspender Nr. 183, der braunes Haar hatte wie der Ehemann. Die Frau bekam Drillinge, doch eines der Kinder war rothaarig. Ein Bluttest ergab, dass aus Versehen Spender Nr. 83 gewählt worden war. Das Paar verklagte die Klinik und die Frau sagte vor Gericht aus, die Kinder von Nr. 183 seien sicher attraktiver gewesen. Sie verloren zwar den Prozess, aber nur nach knapper Abstimmung.
ZEIT: In Europa versucht man, einen solchen Babyhandel zu verhindern, indem man die Bezahlung von Ei- oder Samenspenden verbietet. Wäre das nicht auch in den USA möglich?
ANDREWS: Dadurch würden sich nur die Wartezeiten für Ei- oder Samenspenden verlängern. Die Folgen sieht man in Frankreich: Dort sind die Wartezeiten so lang, dass unfruchtbare Ehepaare sich das Sperma oder die Eizellen via Internet in den Vereinigten Staaten bestellen. Wir brauchen dringend internationale Regelungen.
ZEIT: An den USA können wir uns dabei ja kaum orientieren. Weshalb ist die Kontrolle dort so lax?
ANDREWS: Das liegt ironischerweise unter anderem am Druck der Lebensschützer. Ihr Einspruch gegen die künstliche Befruchtung hat dazu geführt, dass Embryonenforschung nicht mit staatlichen Geldern gefördert werden darf- dafür wird sie nun weitgehend unkontrolliert in privatwirt-schamichen Instituten vorangetrieben. Dasselbe gilt für das Klonverbot, das Präsident Clinton ausgesprochen hat. Auch dies bezieht sich auf staatliche Forschung. Die private Klonforschung ist dagegen in 46 von 50 US-Staaten erlaubt. Die USA sind wirklich der Wilde Westen der Medizin.
ZEIT: Immerhin haben sich die amerikanischen Reproduktionskliniken freiwillig Zurückhaltung bezüglich des Menschenklonens verordnet.
ANDREWS: Ja, weil sie Missbildungen, geringe Erfolgsquoten und einen Imageschaden fürchten. Im Tierversuch sterben immer noch 25 Prozent aller geklonten Tiere bei oder kurz nach der Geburt. Ich glaube aber, dass noch zu meinen Lebzeiten der erste Mensch in den Vereinigten Staaten geklont werden wird.
ZEIT: Befürchten Sie eine Eugenik von unten? ANDREWS: In Umfragen zeigt sich immer wieder, dass viele Menschen Eingriffe ins Erbgut zur Verbesserung der genetischen Eigenschaften eines Babys befürworten. Kürzlich gab ein Drittel aller Befragten an, dass sie - falls dies möglich wäre - genetisch konttollieren würden, dass ihr Nachwuchs später einmal heterosexuell ist. Noch bedenklicher finde ich es; dass kürzlich ein kalifornisches Gericht ernsthaft die Möglichkeit erwog, ein behindertes Kind könnte einmal seine Eltern dafür verklagen, dass sie es nicht abgetrieben hätten. Man stelle sich die Prozesswelle vor!
ZEIT: Zurück zum Genomprojekt. Dort erleben wir derzeit einen Wettlauf von CraigVenters Firma Celera mit den öffentlich geförderten Forschern. Vielen gilt Venter, der das menschliche Erbgut quasi im Alleingang erforschen und patentieren will, als der große Bösewicht. Ist diese Sichtweise richtig?
ANDREWS: Nein. Auch die staatlich geförderten Forscher der National Institutes of Health (NIH) lassen sich heute Gensequenzen patentieren. In gewisser Weise ist die Politik der NIH sogar schlimmer als die der privaten Bio-Tech-Firmen. Noch Anfang der neunziger Jahre forderten die NIH eine Preiskontrolle für alle Medikamente oder Tests, die mithilfe von Steuergeldern entwickelt wurden. Doch 1995 warf NIH-Direktor Harald Varmus diese Regelung über Bord. Heute verdienen auch NIH-Forscher mit Genpatenten bis zu 150 000 Dollar pro Jahr zusätzlich, und es ist beinahe unmöglich geworden, überhaupt Genforscher zu finden, die keine wirtschaftlichen Interessen haben. Ärzte, Patienten und Politiker wissen kaum noch, auf wessen Urteil sie sich verlassen können.
ZEIT: Liegt der Fehler nicht schon darin, Gensequenzen zur Patentierung zuzulassen?
ANDREWS: Normalerweise sind „Erzeugnisse der Natur" oder wissenschaftliche Formeln wie E = mc2 von der Patentierung ausgeschlossen. Gene scheinen beides zu sein. Sie dennoch patentieren zu lassen kommt mir vor, als wolle man sich das Recht am Alphabet erkaufen. Mittlerweile hat diese Praxis die gesamte biotechnische Forschung dramatisch verändert, der kommerzielle Aspekt der Lifesciences ist erdrückend.
ZEIT: Können Sie ein Beispiel für diese Entwicklung nennen?
ANDREWS: Einer der dramatischsten Fälle ist mit dem Namen John Moore verknüpft. Dieser kalifornische Arzt ließ 1990 heimlich die Zellkultur eines Patienten ohne dessen Wissen patentieren. Während der Patient über Jahre immer wieder auf eigene Kosten zu angeblich notwendigen Untersuchungen einflog, verkaufte Moore dessen Erbgut für mehrere Millionen Dollar an die Bio-Tech-Firma Sandoz. Und der Oberste Gerichtshof in Kalifornien bestätigte, dass der Arzt (und nicht der Patient) das Eigentumsrecht an den Zellen besitzt.
ZEIT: Sehen Sie eine Chance, diese Patentierungswut einzudämmen?
ANDREWS: Vielleicht. Inzwischen spüren auch die Forscher und die Firmen die Nachteile. In den USA hält etwa eine Firma das Patent auf das Brustkrebs-Gen und verlangt über 2500 Dollar für einen entsprechenden Test. Nun gibt es aber nicht nur ein Gen, sondern mehrere hundert mögliche Mutationen davon - und jede einzelne ist patentierbar. Das treibt die Kosten für Gentests in astronomische Höhen, nicht nur für Patienten, sondern auch für die Bio-Tech-Fir-men selbst: Ein Viertel aller Gentestlabors muss-ten ihre Arbeit einschränken, weil die Tests zu teuer wurden. Möglicherweise führt das zu einem Umdenken in der Patentpolitik.
ZEIT: In den USA ist der Einsatz von Gentests bereits viel stärker verbreitet als in Europa. Welche sozialen Auswirkungen hat das?
ANDREWS: Wer das Patent an einem Gen hält, hat natürlich ein Interesse, den entsprechenden Test kräftig zu vermarkten. Das kann dazu führen, dass sich eigentlich gesunde Menschen auf mögliche Erbkrankheiten testen lassen, für die es in den allermeisten Fällen keine Erfolg versprechende Therapie gibt. Das hat enorme soziale Implikationen: Zum Beispiel muss der Patient plötzlich mit dem genetischen Risiko zurechtkommen, in 10 oder 20 Jahren an Krebs zu erkranken. Und er muss damit rechnen, dass seine Krankenversicherung den Versicherungsschutz aufkündigt oder höhere Beiträge verlangt.
ZEIT: Ein Patient könnte doch auch auf seinem Recht auf Nichtwissen bestehen?
ANDREWS: Schwierig wird es, wenn Arbeitgeber, Versicherungen oder gar Gerichte solche Erbgutuntersuchungen verlangen. In einem Scheidungs-prozess in South Carolina forderte der Ehemann das Sorgerecht für das Kind mit dem Hinweis auf eine mögliche Anfälligkeit seiner Frau für die Erbkrankheit Huntington (die unheilbar Körper und Geist zerstört). Er konnte das Gericht überzeugen, von seiner Frau einen entsprechenden Gentest zu fordern. Die Frau verzichtete auf das „giftige Wissen", wie das manche bereits nennen — und damit auf das Kind.
ZEIT: Wie müsste der Umgang mit Gentests rechtlich geregelt werden?
ANDREWS: Es muss sichergestellt werden, dass jeder die Kontrolle über seine Erbinformation behält. Weder Gerichte noch Versicherungen dürfen Gentests anordnen. Und falls sich jemand einem Test unterzieht, muss geregelt werden, wer zu dieser Information Zugang erhält. Heute führen selbst Schulen Gentests auf Erbkrankheiten durch - ergeben sich dabei bei einem Kind Risikofaktoren, verliert möglicherweise die ganze Familie ihren Versicherungsschutz.
ZEIT: Sie selbst leiten heute in Chicago das Institute for Science, Law and Technology, das versucht, die sozialen und ethischen Folgen neuei Techniken vorherzusehen. Geht das überhaupt?
ANDREWS: Es gibt eine Tendenz, von den stürmischen Fortschritten der Technik überwältigt zu werden. Dem versuchen wir zu begegnen, indem wir Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen - von der Gentechnik über die Umweltforschung bis zur Psychologie - zusammenbringen und gemeinsam Lösungen suchen. Meine Arbeit als Juristin gleicht dabei ein wenig der eines Sei-ence-Fiction-Autors: Man muss sich künftige Probleme vorstellen und dann nach neuen juristischen Wegen suchen, damit umzugehen.
Das Gesprach führte Ulrich Schnabe