Steven Pinker... wie das Denken im Kopf entsteht

Auszüge

... daß diese häufig sexuell anziehend finden; kontrollierte Untersuchungen hierzu smd mir jedoch nicht bekannt.

Der Westermarck-Effekt erklärt auch den berühmtesten Fall von Inzest die Liebe zwischen Ödipus und Iokaste. Laios, der König von Theben wird vom Orakel gewarnt, daß sein Sohn ihn töten werde. Als seine Frau Iokute einen Sohn zur Welt bringt, fesselt er das Baby und setzt es auf einem Berg aus. Ein Hirte findet Ödipus und zieht ihn groß; später wird er vom König von Korinth adoptiert und an Sohnes Statt aufgezogen. Als Ödipus in Delphi prophezeit wird, er werde seinen Vater töten und seine Mutter heiraten, verläßt er Korinth mit dem Schwur, nie mehr zurückzukehren. Auf dem Weg nach Theben trifft er auf Laios und tötet ihn bei einem Streit. Für das Überlisten der Sphinx erhält er zur Belohnung den Thron von Theben und die Hand der verwitweten Königin Iokaste - seiner leiblichen Mutter, bei der er nicht aufgewachsen ist. Sie bekommen vier Kinder, bis er die Hiobsbotschaft erhält.

Doch den großen Triumph der Westermarckschen Theorie offenbart eine Anmerkung von John Tooby. Die Vorstellung, daß Jungen mit ihrer Mutter schlafen wollen, erscheint den meisten Männern als das Verrückteste, was sie je gehört haben. Freud ging es offensichtlich nicht so, denn er schrieb, er sei als Junge einmal sexuell erregt worden, als er seine Mutter beim Ankleiden beobachtete. Freud hatte jedoch eine Amme, und so fehlte ihm möglicherweise die frühe Intimität, die seiner Wahrnehmung signalisiert hätte, daß es sich bei Frau Freud um seine Mutter handelte. Die Theorie Westermarcks hat Freud mit seinen eigenen Mitteln geschlagen.

Männer und Frauen Männer und Frauen. Frauen und Männer. Es wird nie funktionieren. Erica Jong

Manchmal funktioniert es natürlich doch. Ein Mann und eine Frau können sich ineinander verlieben, und wichtigste Zutat. ist der Ausdruck einer starken Bindung, wie wir in Kapitel 6 gesehen haben. Ein Mann und eine Frau bruachen die DNA des anderen und können daher den Sex miteinander genießen. Mann und Frau haben ein gemeinsames Interessen an ihren Kindern, und im Laufe der Evolution hat sich die auf längere Dauer angelegte Liebe zwischen ihnen entwickelt, um dieses interesse zu schützen. Darüber hinaus können ein Mann und eine Frau einander die besten Freunde sein und die lebenslange Verläßlichkeit und das Vertrauen erleben, die die Basis der Freundschaft sind (daraufkommen wir noch zurück). Diese Gefühle lassen sich folgendermaßen erklären: Wenn der mann und die Frau monogam sind, ihr Leben lang zusammenbleiben und keine Vetterwirtschaft mit ihrer Herkunftsfamilie betreiben, dann sind ihre genetischen Interessen identisch.

Leider sind diese Voraussetzungen alles andere als selbstverständlich. Selbst die glücklichsten Paare sind sich manchmal spinnefeind, und derzeit werden 50 Prozent der Ehen in den USA geschieden. George Bernard Shaw schr5eb+ »Wenn wir von den Taten erfahren wollen, die um der Liebe wil3en begangen werden, wohin wenden wir uns da? An die neuesten Mordberichte.« Konflikte zwischen Mann und Frau, zuweilen mit tödlichem Ausgang, sind universal, und das läßt darauf schließen, daß Sex keine bindende Kraft ist, sondern eine spaltende. Auch diese Banalität muß ich betonen denn das Alltagswissen behauptet das Gegenteil. Ein utopisches Ideal der sechziger Jahre, seither von Sexgurus wie Dr. Ruth Westheimer unermüdlich beschworen, ist die intensiv erotische, für beide Seiten genußvolle, von Schuldgefühlen freie, emotional offene lebenslange monogame Zweierbeziehung. Die von der Gegenkultur propagierte Alternative war die intensiv erotische, für beide Seiten genußvolle, von Schuldgefühlen freie, emotional offene Bäumchen-wechsel-dich-Orgie, Beides wurde unseren hominiden Vorfahren, früheren Gesellschaftsformen oder noch immer irgendwo da draußen existierenden primitiven Volkern zugeschrieben. Beide sind genauso ein Mythos wie der Garten Eden. Der Kampf zwischen den Geschlechtern ist nicht einfach ein Scharmützel im Krieg zwischen zwei verschiedenen Individuen, sondern wird in einer anderen Arena ausgefochten, aus Gründen, die Donald Symons als erster erklärt hat.52 »In der menschlichen Sexualität gibt es eine weibliche Natur und eine männliche Natur, und diese Naturen sind außerordentlich verschieden. [...] Männer und Frauen unterscheiden sich in ihrer Sexualität, denn während der ungeheuer langen Jäger-und-Sammler-Phase der menschlichen Evolutionsgeschichte waren die sexuellen Wünsche und Veranlagungen, die für das eine Geschlecht adaptiv waren, für das andere der sichere Weg zu reproduktiver Bedeutungslosigkeit.« Viele Menschen bestreiten, daß es zwischen den Geschlechtern irgendwelche interessanten Unterschiede gibt. An meiner eigenen Hochschule wurde den Studenten in der Geschlechterpsychologie beigebracht, der einzige unzweifelhafte Unterschied zwischen Männern und Frauen bestehe darin, daß Männer Frauen mögen und Frauen Männer. Die beiden von Symons postulierten Naturen werden »Geschlechtsstereotype« abgetan, als sei damit bereits bewiesen, daß sie falsch sind. Die Überzeug, daß Spinnen Netze weben und Schweine nicht, ist auch ein Stereotyp, doch darum nicht weniger zutreffend. Wie wir sehen werden, haben sich einige Stereotype über sexuelle Gefühle unzweifelhaft als wahr erwiesen. Tatsächlich haben Wissenschaftler, die sich mit Geschlechtsunterschieden befassen, herausgefunden, daß viele Geschlechtsstereotype die dokumentierten Unterschiede zwischen Männern und Frauen sogar unterschätzen.53

Warum gibt es überhaupt Sex?54 Lord Chesterfield bemerkte hierzu, der Genuß sei flüchtig, die Lage lächerlich, und die Kosten seien verdammt hoch. Biologisch gesprochen, sind die Kosten tatsächlich verdammt hoch - warum also pflanzen sich nahezu alle komplexen Organismen geschlechtlich fort? Warum bringen Frauen nicht per Jungfrauengeburt Töchter zur Welt, die Klone ihrer selbst sind, statt die Hälfte ihrer Schwangerschaften auf Söhne zu verschwenden, denen die Ausstattung fehlt, Enkel hervorzubringen, und die nichts als Samenspender sind? Warum tauschen Menschen und andere Organismen die Hälfte ihrer Gene gegen die Gene eines anderen Mitglieds der Spezies aus, um in ihren Nachkommen Variation um der Variation willen zu erzeugen? Nicht, um die Evolution zu beschleunigen, denn die natürliche Selektion richtet sich nach der gegenwärtigen Fitneß. Nicht, um sich an eine veränderte Umwelt anzupassen, denn eine zufällige Veränderung in einem bereits angepaßten Organismus hat wahrscheinlich eher negative als positive Folgen, da es weitaus mehr Möglichkeiten für eine Fehlanpassung als für eine gute Anpassung gibt. Die beste Theorie, die von John Tooby, William Hamilton und anderen vorgeschlagen wurde und mittlerweile durch verschiedene Arten von Indizien gestützt wird, lautet, daß Sex eine Abwehrstrategie gegen Parasiten und krankheitserregende Mikroorganismen ist.

Aus der Sicht eines Keims ist man ein dicker, fetter Leckerbissen, der nur darauf wartet, verspeist zu werden. Der Körper ist da anderer Meinung und hat (von der Haut bis zum Immunsystem) eine Batterie an Abwehrgeschützen aufgefahren, um die Keime auszusperren oder niederzumachen. Zwischen Wirt und Keimen entwickelt sich ein evolutionär« Wettrüsten oder, besser gesagt, ein sich ständig verschärfender Wettstreit zwischen Tresorbauer und Tresorknacker. Keime sind klein, und sie entwickeln teuflische Tricks, um die Maschinerie der Zellen zu überfallen und zu durchdringen, sich ihre Rohmaterialien anzueignen und sich als körpereigenes Gewebe auszugeben, um der Überwachung durch das Immunsystem zu entgehen. Der Körper antwortet mit besseren Sicherheitsystemendoch Keime haben einen eingebauten Vorteil — sie sind in der Ueberzahl, und sie können sich miillionenmal schneller vermehren, womit auch die Evolution schneller voranschreitet. Während der Lebensspanne eines Wirtes können sie sich grundlegend verändern. Welche molekularen Schlösser der Körper auch immer entwickelt, die Pathogene können Schlüssel entwickeln, um sie zu öffnen.

Handelt es sich nun um einen geschlechtslosen Organismus, so knacken die Pathogene mit dem Tresor seines Körpers auch die Tresore seiner Kinder und Geschwister. Die geschlechtliche Fortpflanzung bietet die Möglichkeit in jeder Generation neue Schlösser einzubauen. Durch das Austauschen der Hälfte der Gene gegen eine andere Hälfte erhält der Nachwuchs im Wettrennen gegen die ansässigen Keime einen Vorsprung. Seine molekularen Schlösser haben nun eine andere Kombination, und die Keime müssen ganz ohne Vorlage neue Schlüssel entwickeln. Ein bösartiges Pathogen ist das einzige Ding auf der Welt, das eine Veränderung um der Veränderung willen lohnt.

Die Sexualität stellt uns noch vor ein weiteres Rätsel. Warum gibt es uns in zwei Geschlechtern?55 Warum produzieren wir ein großes Ei und viele kleine Spermien statt zwei gleich große Tropfen, die wie Quecksilber miteinander verschmelzen? Weil die Zelle, aus der das Baby entstehen soll, nicht einfach ein Behälter voller Gene sein kann; sie braucht auch den Stoffwechselmechanismus einer Zelle. Ein Teil dieses Mechanismus, die Mitochondrien, hat seine eigenen Gene, die berühmte Mitochondrien-DNA, die sich beim Datieren evolutionärer Aufteilungen als so nützlich erwiesen hat. Wie alle Gene haben sich die Gene in den Mitochondrien durch natürliche Selektion zu rücksichtslosen Replikatoren entwickelt. Und aus diesem Grunde ist es problematisch, wenn zwei gleiche Zellen zu einer fusionieren. Zwischen den Mitochondrien der beiden Elternteile entbrennt ein erbitterter Kampf ums Überleben. Die Mitochondrien er einen Partei töten ihre Pendants von der anderen Partei, und die fusionierte Zelle bleibt gefährlich entkräftet zurück. Die Gene für den Rest

mus, sondern nur die nackte DNA für den neuen Zellkern bereitstellt. Die Spezies reproduziert sieh, indem eine große Zelle, die einen halben Satz Gene sowie den gesamten erforderlichen Mechanismus enthält, mit einer kleinen Zelle verschmilzt, die einen halben Satz Gene und sonst nichts enthält. Die große Zelle nennt man Ei und die kleine Zelle nennt man Spermium.

Hat ein Organismus diesen ersten Schritt getan, schreitet die Spezialisierung seiner Geschlechtszellen fort. Ein Spermium ist klein und kostengünstig, so daß der Organismus ebensogut viele von ihnen produzieren kann und sie mit Außenbordmotoren für eine schnelle Reise zum Ei sowie einem Organ ausstattet, das sie auf den Weg bringt. Das Ei ist groß und kostbar; darum tut der Organismus gut daran, ihm reichlich Proviant mit auf den Weg zu geben und es mit einem Schutzanzug zu versehen. Das treibt die Kosten noch mehr in die Höhe; zum Schutz dieser Investitionen entwickelt der Organismus Organe, die dem befruchteten Ei erlauben, innerhalb des Körpers zu wachsen und noch mehr Nahrung aufzunehmen, und die das neue Lebewesen erst entlassen, wenn es groß genug ist zu überleben. Diese Gebilde nennt man männliche und weibliche Fortpflanzungsorgane. Bei einigen Tieren, den sogenannten Zwittern,56 besitzt jedes einzelne Tier beide Arten von Organen, doch die meisten spezialisieren sich weiter und teilen sich in zwei Sorten, die jeweils ihre gesamte Reproduktionsausstattung der einen oder der anderen Art von Organ zuweisen. Diese zwei Sorten werden als Männchen und Weibchen bezeichnet.

Trivers hat gezeigt, daß alle auffälligen Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen von der unterschiedlichen Mindestgröße ihrer Investitionen in die Nachkommen herrühren.57 Erinnern wir uns - Investitionen sind alles, was ein Elternteil tut, um die Überlebenschance eines Nachkommen zu verbessern, während dadurch gleichzeitig die Fähigkeit des Elternteils abnimmt, andere lebensfähige Nachkommen zu produzieren. Bei den Investitionen kann es sich um Energie, Nährstoffe. Zeit oder Risiko handeln. Das Weibchen beginnt per defmitionem mit einer größeren Investition - der größeren Geschlechtszelle - und geht bei den meisten Spezies dann noch umfangreichere Verpflichtungen ein. Das Männchen liefert ein kümmerliches Päckchen Gene ab und beläßt es normalenweise dabei. Da jeder Nachwuchs auf die Beteiligung beider Elternteile angewiesen ist, legt das Weibchen mit seinem Beitrag fest, wie viele Nachkommen erzeugt werden können - höchstens ein Nachkomme pro Ei, das sie produziert und ernährt. Dieser Unterschied löst zwei Kaskaden von Konsequenzen aus.

Erstens kann ein einziges Männchen mehrere Weibchen befruchten, was bedeutet daß andere Männchen leer ausgehen. Das führt dazu, daß die Männchen um den Zugang zu Weibchen konkurrieren. Ein Männchen kann andere Männchen gewaltsam vertreiben, um sie von einem Weibchen fernzuhalten, es kann um die Ressourcen kämpfen, die es zur Partnersuche benötigt, oder es kann ein Weibchen umwerben, um von ihm erwählt zu werden. Die Männchen pflanzen sich daher mit unterschiedlichem Erfolg fort. Ein Sieger kann viele Nachkommen zeugen, ein Verlierer zeugt gar keine.

Zweitens hängt der Fortpflanzungserfolg der Männchen davon ab, mit wieviel Weibchen sie sich paaren, doch der Fortpflanzungserfolg der Weibchen hängt nicht davon ab, mit wieviel Mannchen sie sich paaren. Das hat zur Folge, daß Weibchen wählerischer sind. Die Männchen umwerben die Weibchen und paaren sich mit jedem Weibchen, das es zuläßt. Die Weibchen unterziehen die Männchen einer genauen Prüfung und erwählen zur Paarung nur die besten — die Männchen mit den besten Genen, die Männchen, die am ehesten bereit und fähig sind, den Nachwuchs zu ernähren und zu schützen, oder die Männchen, die von den anderen Weibchen offensichtlich bevorzugt werden.

Konkurrenz zwischen den Männchen und Auswahl durch die Weibchen sind im Tierreich allgegenwärtig. Darwin wies auf die beiden Phänomene hin, die er geschlechtliche Zuchtwahl nannte (heute sagen wir »sexuelle Selektion«), konnte sich aber nicht erklären, warum gerade die Männchen konkurrieren und die Weibchen einen Partner wählen und nicht umgekehrt. Die Theorie der elterlichen Investitionen löst dieses Rätsel. Das Geschlecht mit den größeren Investitionen trifft die Wahl, das Geschlecht mit den kleineren Investitionen muß sich gegen die Konkurrenz behaupten. Die unterschiedlich großen Investitionen führen somit zu den Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Alles andere -Testoste-ron, Östrogen, Penisse, Vaginas, Y-Chromosomen, X-Chromosomen - ist zweitrangig. Männchen konkurrieren, und Weibchen erwählen nur deshalb, weil die etwas größere Investition in ein Ei, die das Weiblichsein definiert, von dem übrigen Fortpflanzungsverhalten des Tieres vervielfacht wird. Bei einiges Spezieswird der anfängliche Investitionsunterschied zwischen Ei und Spermium umgekehrt, und in diesen Fällen sollten dieWeibchen konkurrieren und die Männchen eine Auswahl treffen. Tatsächlich bestätigen diese Ausnahmen die Regel. Bei einigen Fischarten brütet das Männchen d5e Jungen in einer Bruttasche aus. Bei einigen Vögeln sitzt das Männchen auf den Eiern und füttert die Jungen. In diesen Spezies sind die Weibchen aggressiv und versuchen, die Männchen zu umwerben, die wiederum ihre Partnerin sorgfältig auswählen.

Doch bei einem typischen Säugetier kommen fast alle Investitionen von den Weibchen. Die Säugetiere haben sich für einen Körperbau entschieden, der es dem Weibchen ermöglicht, den Fötus in sich zu tragen, mit seinem Blut zu ernähren und nach der Geburt zu säugen und zu schützen, bis der Nachwuchs groß genug ist, um für sich selbst zu sorgen. Der Beitrag des Männchens besteht in einigen Sekunden Kopulation und einer Samenzelle, die ein Zehnbillionstel Gramm wiegt. Es überrascht daher nicht, daß männliche Säugetiere um die Gelegenheit kämpfen, sich mit weiblichen Säugetieren zu paaren. Die Einzelheiten werden von der sonstigen Lebensweise des Tieres bestimmt. Die Weibchen leben allein oder in Gruppen, in kleinen oder großen Gruppen, in festen oder wechselnden Gruppen, und richten sich dabei nach rationalen Kriterien, beispielsweise wo sie Nahrung finden, wo es am sichersten ist, wo sie ihre Jungen gut zur Welt bringen und aufziehen können und ob eine große Zahl von Nutzen wäre. Die Männchen gehen dahin, wo die Weibchen sind. So sammeln sich weibliche See-Elefanten an schmalen Stranden, die ein Männchen gut kontrollieren kann. Ein einziges Männchen kann die Herrschaft über die gesamte Gruppe besitzen, und die Männchen tragen blutige Kämpfe um diesen Jackpot aus. Größere Kämpfer sind die besseren Kämpfer, und daher haben sich die Männchen im Laufe der Evolution so entwickelt, daß sie jetzt viermal so groß wie die Weibchen sind. Bei den Menschenaffen findet man alle möglichen Arten von Geschlechterbeziehungen.58 Das heißt übrigens, daß der Mensch nicht so etwas wie ein "Menschenaffenerbe" besitzt, das ihm eine ganz bestimmte Lebensweise aufzwingt. Gorillas leben in den Randgebieten von Wäldern in kleinen Gruppen aus einem Männchen und mehreren Weibchen; die Männchen kämpfen um die Herrschaft über die Weibchen und sind demzufolge mittlerweile doppelt so groß wie sie. Gibbonweibchen sind Einzelgänger und leben weit verstreut; das Mannchen findet das Territorium eines Weibchens und bleibt als treuer Gefährte bei ihr. Da sich die Männchen in verschiedenen Territorien aufhalten, müssen sie nicht mehr Kämpfe austragen als die Weibchen und sind daher auch nicht größer als sie. Orang-Utan-Weibchen sind Einzelgänger, leben aber so nahe beieinander, daß ein Männchen zwei oder mehr Reviere beherrschen kann, und die Männchensind etwa 1,7 mal größer als die Weibchen. Schimpansen leben in großen, instabilen Gruppen, die kein Männchen dominieren könnte.

Gruppen von Männchen leben bei den Weibchen, und die Männchen kämpfen um die Vorherrschaft, weil sie dann mehr Gelegenheiten zur Paarunghaben.Die Männchen sind etwa 1,3 mal so groß wie die Weibchen.

Umgeben von einem Haufen Männchen, wird ein Weibchen mit vielen Männchen zu paaren; daher kann ein Männchen nie sicher sein, ob es sich bei einem Jungen um seines handelt oder nicht, und wird demnach das Junge auch nicht töten, um die Mutter in die Lage versetzen, ein von ihm gezeugtes Junges zur Welt zu bringen.59' Die Weibchen der Bonobos (Zwergschimpansen) sind nahezu wahllos promiskuitiv: die Männchen bekämpfen sich seltener und sind ungefähr so groß wie die Weibchen. Sie konkurrieren auf eine andere Art miteinander - im Körper der Weibchen.

Spermien können in der Scheide mehrere Tage überleben, und so kommt es vor, daß bei einem promiskuitiven Weibchen die Spermien mehrerer Männchen um die Befruchtung des Eis wetteifern. Je mehr Sperma ein Männchen produziert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß eines seiner Spermien als erstes das Ziel erreicht.60 Das erklärt, warum Schimpansen für ihre Körpergröße riesige Hoden haben. Größere Hoden erzeugen mehr Spermien, die dann im Körper promiskuitiver Weibchen eine größere Chance haben, sich durchzusetzen. Ein Gorilla ist viermal so schwer wie ein Schimpanse, aber seine Hoden sind viermal kleiner. Die Weibchen seines Harems haben keine Gelegenheit, sich mit einem anderen Männchen zu paaren, und so braucht sein Sperma keine Konkurrenz zu fürchten. Die monogamen Gibbons haben ebenfalls kleine Hoden. Bei fast allen Primaten (ja sogar bei fast allen Säugetieren) sind die Männchen als Väter wahre Nieten, die ihrem Nachwuchs nur die DNA mit auf den Weg geben. Andere Spezies sind väterlicher. Die meisten Vögel, viele Fische und Insekten sowie soziale Fleischfresser wie Wölfe haben Männchen, die ihre Jungen beschützen oder füttern. Die Evolution väterlicher Investitionen wird durch mehrere Faktoren untersttzt. Der erste ist die extrakorporale Befruchtung, die bei den meisten Fischen vorkommt und bei der das Weibchen die Eier ablegt und das Männchen sie im Wasser befruchtet. Das Männchen kann sichergehen, daß die befruchteten Eier seine Gene enthalten, und da sie ausgestoßen werden, wennsich die Jungen noch nicht entwickelt haben, hat das Männchen d,e Möglichkeit zu helfen. Doch bei den meisten Säugetieren haben aufopferungsvolle Väter schlechte Karten. Das Ei ist in der Mutter versteck, wo es von einem beliebigen Männchen befruchtet werden kann, so daß ein Männchen nie mit Gewißheit sagen kann, daß es sich bei einem Jungen um seinen Nachwuchs handelt. Es läuft Gefahr, seine Investitionen an die Gene eines anderen Männchens zu verschwenden. Überdies wächst der Embryo größtenteils in der Mutter heran, wo der Vater ihn nicht erreichen kann, um ihn, direkt zu helfen. Und schließlich kann sich der Vater leicht davonmachen und sein Glück bei einem anderen Weibchen versuchen, wogegen das Weibchen mit seiner Fracht zurückbleibt und den Fötus oder den Nachwuchs nicht loswerden kann, ohne erneut den gesamten Prozeß der Embryonalernährung zu durchlaufen, bis es wieder genau am Ausgangspunkt angekommen ist. Väterliches Verhalten wird auch gefördert, wenn eine Spezies so lebt, daß der Nutzen die Kosten übersteigt - wenn der Nachwuchs ohne Vater angreifbar wäre, wenn der Vater die Jungen problemlos mit konzentrierter Nahrung wie Fleisch versorgen kann und wenn es leicht ist, die jungen zu verteidigen.

Sobald Männchen zu liebevollen Vätern werden, verändern sich die Regeln des Paarungsspiels. Nun wählt ein Weibchen seinen Partner möglicherweise danach aus, ob er willens und fähig ist, in die gemeinsamen Nachkommen zu investieren, sofern sie das beurteilen kann. Nicht nur die Männchen, sondern auch die Weibchen konkurrieren um die Partner, doch haben sie andere Prioritäten; die Männchen konkurrieren um fruchtbare, paarungswillige Weibchen, die Weibchen um vitale Männchen, die zu Investitionen bereit sind. Dann bedeutet Polygamie nicht länger nur, daß ein Männchen alle anderen ausschaltet oder daß alle Weibchen von dem wildesten oder hübschesten Männchen befruchtet werden wollen. Wenn, wie wir gesehen haben, die Männchen mehr als die Weibchen investieren, entwickelt sich möglicherweise eine polyandrische Spezies, bei der sich starke Weibchen einen Männchenharem halten, (Der Körperbau der Säugetiere verbietet diese Möglichkeit.) Verfügt ein Männchen über eine viel größere Investitions-kapazität als andere (weil es beispielsweise ein besseres Revier beherrscht), so ist es für die Weibchen möglicherweise von Vorteil, wenn sie das Männchen mit anderen Weibchen teilen (Polygynic), als wenn jedes einen eigenen Partner hat, denn ein Teil einer umfangreichen Ressource kann besser sein als eine vollständige kleine. Sind die Beiträge der Männchen etwa gleich groß, so erhält die ungeteilte Aufmerksamkeit eines Männchens einen größeren Stellenwert, und in der Spezies setzt -sich die Monogamie durch.

Viele Vögel scheinen monogam zu sein. In Manhattan sagt Woody Allen zu Mariel Hamingway: »Die Menschen sollten sich fürs ganze Leben paaren -- so wie die Tauben oder Katholiken.« Der Film kam heraus, bevor Ornithologen begannen, die DNA der Vögel zu untersuchen, und zu der schockierenden Einsicht gelangten, daß auch Tauben es mit der Treue nicht so genau nehmen.61 Bei einigen Vogelartcn besitzt ein Drittel der Jungen die DNA eines Männchens, das nicht der Gefährte des Weibchens ist. Das Männclien begeht Ehebruch, weil es versucht, die Jungen des einen Weibchens aufzuzichcn und sich gleichzeitig mit anderen Weibchen zu paaren, in der Hoffnung, daß deren Junge dann ohne seine Hilfe oder, noch besser mit Hilfe eines gehörnten Partners groß werden. Das Weibchen begeht Ehebruch, weil es so die Chance hat, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen -- die Gene des Männchens mit der größten Fitneß und die Investitionen des zuverlässigsten Männchens. Der Hahnrei steht schlechter da, als wenn er sich gar nicht gepaart hätte, denn er hat seine irdischen Güter an die Gene eines Konkurrenten verschwendet. Bei Spezies, deren Männchen in den Nachwuchs investieren, richtet sich die Eifersucht des Männchens demzufolge nicht nur gegen männliche Rivalen, sondern auch gegen das Weibchen. Das Männchen bewacht das Weibchen, folgt ihm auf Schritt und Tritt, begattet es wiederholt und meidet Weibchen, die sich offensichtlich vor kurzem gepaart haben.

Das menschliche Paarungssystem unterscheidet sich von dem aller anderen Tiere. Doch das heißt nicht, daß es von den Gesetzen unberührt bleibt, die für die Paarungssysteme gelten und die für Hunderte von Spezies dokumentiert worden sind. Jedes Gen, das die Chance erhöht, daß sein männlicher Träger betrogen wird oder daß sein weiblicher Träger weniger Unterstützung bei der Aufzucht des Nachwuchses erfährt als seine Nachbarn, wurde in kurzer Zeit aus dem Genpool geworfen. Jedes Gen. das einem Männchen ermöglichte, alle Weibchen zu schwängern, oder das einem Weibchen erlaubte, die bestumsorgten Nachkommen des besten Männchens zur Welt zu bringen, würde schnell die Oberhand gewinnen. Dieser Selektionsdruck ist nicht gerade klein. Wäre die menschliche Sexualität »gesellschaftlich determiniert« und von der biologie unabhängig wie die derzeitig populäre Lehrmeinung lautet, so müßte sie diesem machtvollen Druck nicht nur wie durch ein Wunder entgangen sein, sondern auch einem ebenso machtvollen Druck anderer Art widerstanden haben.

Würde ein Mensch eine gesellschaftlich determinierte Rolle spielen, so können andere Menschen diese Rolle auf seine Kosten und zu ihren Gunsten formen. Mächtige Personen könnten die andere per Gehirnwäsche dazu bringen, mit Vergnügen partnerlos zu leben oder betrogen zu werden, um die Frauen für sich zu haben. Jegliche Bereitschaft, gesellschaftlich konstruierte Geschlechterrollen zu akzeptieren, würde ausselektiert, und die rollenresistenten Gene würden die Herrschaft übernehmen. Welche Art von Tier ist Homo sapiens?62 Wir sind Säugetiere, und deshalb sind die elterlichen Mindestinvestitionen einer Frau sehr viel größer als die eines Mannes. Ihr Beitrag besteht in neun Monaten Schwangerschaft und zwei bis vier Jahren Stillzeit (in einer natürlichen Umgebung). Sein Beitrag besteht in ein paar Minuten Sex und einem Teelöffel voll Samen. Männer sind etwa l,15 mal größer als Frauen, woraus zu schließen ist, daß sie in der menschlichen Evolutionsgeschichte miteinander konkurriert haben, wobei ein Teil der Männer mit mehreren Frauen Sex hatte und der andere leer ausging. Anders als Gibbons, die isoliert, monogam und relativ enthaltsam leben, und Gorillas, die in Gruppen mit Harems relativ enthaltsam leben, sind wir gesellig, wobei Männer und Frauen in großen Gruppen zusammenleben und sich ständig Gelegenheiten zur Paarung ergeben. Im Verhältnis zu ihrer Körpergröße haben Männer kleinere Hoden als Schimpansen, aber größere als Gorillas und Gibbons, was vermuten läßt, daß die Frauen der Urzeit nicht ausschweifend promiskuitiv, aber auch nicht immer monogam gelebt haben. Kinder werden hilflos geboren und bleiben eine lange Zeit ihres Lebens von den Erwachsenen abhängig, vermutlich weil Wissen und Fertigkeiten für die menschliche Lebensweise von so großer Bedeutung sind. Demnach sind Kinder auf die Investitionen ihrer Eltern angewiesen, und Männer können etwas investieren, weil sie bei der Jagd Fleisch und andere Ressourcen erbeuten. Männer steuern weitaus mehr bei als die Minimalinvestition, die von ihrer Anatomie her ausreichen würde -- sie ernähren, beschützen und unterweisen ihre Kinder. Demzufolge sind Männer daran interessiert, von ihrer Frau nicht mit anderen Männern betrogen zu werden, und Frauen sind daran interessiert, einen Mann zu bekommen, der willens und fähig ist, in die Kinder zu investieren. Weil Männer und Frauen wie Schimpansen in großen Gruppen leben, aber die Männchen wie Vögel in ihren Nachwuchs investieren, haben wir das System der Ehe entwickelt, bei der ein Mann und eine Frau eine Fortpflanzungsallianz eingehen, die die Ansprüche dritter Parteien auf sexuellen Zugang und elterliche Investitionen einschränkt.

Diese grundsätzlichen Fakten des Lebens haben sich nie verändert, andere dagegen sehr wohl. Bis vor kurzem waren die Männer Jäger und die Frauen Sammler. Frauen heirateten bald nach der Pubertät. Es gab keine Empfängnisverhütung, keine institutionalisierte Adoption durch Nichverwandte und keine künstliche Befruchtung. Sexualität bedeutete Fortpflanzung und umgekehrt. Es gab keine Nahrung von domestizierten Pflanzen und Tieren und somit auch keine Baby-Fertignahrung; alle Kinder wurden gestillt. Es gab auch keine Kinderbetreuung gegen Bezahlung und keine Hausmänner -- Babys und Kleinkinder waren ständig mit ihren Müttern und anderen Frauen zusammen. Diese Lebensbedingungen haben 99 Prozent unserer Evolutionsgeschichte bestimmt und unsere Sexualität geformt. Unsere sexuellen Gedanken und Gefühle sind an eine Welt angepaßt, in der Sex Babys zur Folge hatte63 -- unabhängig davon, ob wir jetzt ein Baby wollen oder nicht. Und sie sind an eine Welt angepaßt, in der sich eher die Mütter um die Kinder zu kümmern hatten als die Väter. Wenn ich im folgenden Wörter wie »sollte«, »beste« oder »optimal« verwende, so bezieht sich das auf die Strategien, die in jener Welt zu einem Fortpflanzungserfolg geführt hätten. Es geht nicht darum, was moralisch richtig, in der modernen Welt machbar oder dem Glück forderlich ist -das steht auf einem völlig anderen Blatt.

Die erste strategische Frage lautet, wie viele Partner man haben möchte. Da die Mindest-Investition in die Nachkommen, wie wir gesehen haben, für die Frauen größer ist, kann ein Mann mehr Nachkommen haben, wenn er Sex mit vielen Frauen hat, doch eine Frau hat nicht mehr Nachkommen, wenn sie Sex mit vielen Männern hat - ein Mann pro Befruchtung reicht. Nehmen wir an, ein Wildbeuter mit einer Frau hat von ihr zwei bis fünf Kinder zu erwarten. Eine vor- oder außereheliche Liaison, aus der ein Kind hervorgeht, würde seine Fortpflanzungsrate um 20 bis 50 Prozent steigern.Verhungert das Kind oder wird es getötet, weil sich der Vater nicht darum kümmert, hat er natürlich keinen genetischen Gewinn erzielt. Die optimale Liaison wäre also die mit einer verheirateten Frau, deren Ehemann das Kind großzieht. In Wildbeutergesellschaften sind fruchtbare Frauen fast immer verheiratet, so daß ein Mann normalerweise Sex mit einer verheirateten Frau hat. Selbst wenn sie ledig ist, gibt es mehr vaterlose Kinder, die überleben, als vaterlose Kinder, die sterben, so daß auch eine Liaison mit einer unverheitateten Partnerin die Vermehrungsrate steigern kann.64 All dieseBerechnungen treffen auf Frauen nicht zu. Demzufolge sollte sich ein Teil des männlichen Bewußtseins um der bloßen Abwechslung willen eine Vielzahl sexueller Partnerinnen wünschen.65 Sind Sie auch der Meinung, der einzige Unterschied zwischen Männern und Frauen sei, daß Männer Frauen mögen und Frauen Manner? Jeder Kneipenwirt und jede Oma würde Ihnen sagen, daß Männer eher einmal die Blicke schweifen lassen, doch das ist vielleicht nur ein altmodisches Vorurteil. Der Psychologe David Buss hat nach der Bestätigung diese, Vorurteils gesucht und sich dabei an die Personen gewandt, die es am ehesten zurückweisen würden -- Männer und Frauen an den liberalen Elitehochschulen Amerikas eine Generation nach der feministischen Revolution, in der Blütezeit sensibelster politischer Korrektheit. Das Verfahren war erfrischend direkt.

In vertraulichen Fragebögen wurde eine Reihe von Fragen gestellt. Wie intensiv sind Sie auf der Suche nach einem Ehepartner? Die Antworten waren im Durchschnitt für Männer und Frauen identisch. Wie intensiv wünschen Sie sich ein Abenteuer für eine Nacht? Die Frauen sagten, nicht besonders intensiv; die Männer sagten, ziemlich intensiv. Wie viele Sexualpartner hätten Sie gerne im kommenden Monat? In den beiden kommenden Jahren? Im ganzen Leben? Die Frauen sagten, im kommenden Monat wären (statistisch) acht Zehntel eines Sexualpartners gerade richtig. Für die beiden kommenden Jahre wünschten sie sich einen und im ganzen Leben vier oder fünf. Die Männer wünschten sich für den nächsten Monat zwei Sexualpartner, acht in den beiden kommenden Jahren und für ihr ganzes Leben 18. Könnten Sie sich vorstellen, mit einem begehrenswerten Partner zu schlafen, den Sie schon seit fünf Jahren kennen? Seit zwei Jahren? Seit einem Monat? Seit einer Woche? Bei einem Mann, den sie seit einem Jahr oder länger kannten, sagten die Frauen »wahrscheinlich ja«, »unentschieden« bei einem, den sie sechs Monate lang kannten, und »bestimmt nicht« bei jemandem, den sie höchstens eine Woche kannten. Bei einer Frau, die sie seit einer Woche kannten, sagten die Männer »wahrscheinlich ja«. Wie kurz ist die Zeitspanne, die ein Mann eine Frau kennen muß. um zu wissen, daß er bestimmt nicht mit ihr schlafen würde? Buss hat es nie erfahren -- seine Skala besaß keine Zeitangabe unterhalb von »eine Stunde«. Als Buss diese Ergebnisse an einer Universität präsentierte und sie mit elterlichen Investitionen und sexueller Selektion erklarte, hob eine junge Frau die Hand und sagte: .Professor Buss. ich hatte eine einfachere Erklärung für Ihre Daten.« »Ja. und die wäre?« »Män-ner sind Schweine.«

Sind Männer Schweine, oder versuchen sie nur, so zu wirken? In Fragebögenversuchen Männer vielleicht, ihre Qualitäten als Hengst zu übertreiben, wohingegen Frauen nicht als leichtes Mädchen dastehen möchten Die Psychologen R.D.Clark und Elaine Hatfield66 engagierten attraktive Männer und Frauen, die ihnen fremde Angehörige des anderen Geschlechts auf dem Campus eines Colleges ansprechen und zu ihnen sagen sollten: »Du bist mir hier auf dem Campus aufgefallen. Ich finde dich sehr attraktiv.« Dann sollten sie ihnen eine der drei folgenden Fragen stellen a) »Würdest du heute abend mit mir ausgehen?« b) »Würdest du heute abend zu mir in meine Wohnung kommen?« c) »Würdest du heute abend mit mir ins Bett gehen?« Die Hälfte der Frauen war bereit zu einer Verabredung. Die Hälfte der Männer war bereit zu einer Verabredung. 6 Prozent der Frauen waren bereit, mit dem Lockvogel aufs Zimmer zu gehen. 69 Prozent der Männer waren bereit, mit dem Lockvogel aufs Zimmer zu gehen. Keine der Frauen war zu Sex bereit. 75 Prozent der Männer waren zu Sex bereit. Von den übrigen 25 Prozent entschuldigten sich viele und baten, auf das Angebot später zurückkommen zu dürfen, oder erklärten, sie könnten leider nicht, weil ihre Verlobte in der Stadt sei. Das Experiment wurde in mehreren Staaten mit den gleichen Ergebnissen wiederholt. Zum Zeitpunkt der Studie waren Verhütungsmittel überall zugänglich, und Safer-Sex-Praktiken wurden stark propagiert, so daß man die Ergebnisse nicht einfach mit der Begründung abtun kann, Frauen wären möglicherweise mehr darauf bedacht, eine Schwangerschaft oder die Ansteckung mit einer sexuell übertragbaren Krankheit zu vermeiden.

Die Erregung der männlichen sexuellen Begierde durch eine neue Partnerin wird, nach einer berühmten Anekdote, Coolidge-Effekt genannt.67 Eines Tages besuchten Präsident Calvin Coolidge und seine Frau eine Farm der Regierung und besichtigten getrennt voneinander die Anlagen. Als Mrs. Coolidge die Hühnerställe gezeigt wurden, fragte sie, ob der Hahn mehr als einmal täglich kopuliere. »Dutzende Male«, erwiderte der Führer. »Sagen Sie dies bitte dem Präsidenten«, bat Mrs. Coolidge. Als man dem Präsidenten die Hühnerställe zeigte und ihn über den Hahn aufklärte, fragte er: »Jedesmal dieselbe Henne?« »O nein, Mr. President, jedesmal eine andere.« Der Präsident bat: »Sagen Sie das Mrs. Coolidge.« Viele männliche Säugetiere sind unermüdlich, wenn ihnen nach jeder Paarung ein neues Weibchen zur Verfügung steht. Dabei lassen sie sich auch nicht an der Nase herumführen, wenn ihnen der Experimentator eine vorherige Partnerin unter einer Maskierung oder mitverfälschtem Geruch erneut präsentiert. Das zeigt übrigens, daß männliche, sexuelles Verlangen nicht wirklich »wahllos« ist. Möglicherweise ist es den Männchen egal, mit welcher Art von Weibchen sie sich paaren, doch sie registrieren äußerst genau, mit welchen, individuellen Weibchen sie es gerade zu tun haben. Dies ist ein weiteres Beispiel für die logische Unterscheidung zwischen Individuen und Kategorien, deren große Bedeutung ich bei der Kritik des Assoziationismus in Kapitel 2 dargelegt habe.

Männer besitzen zwar nicht das sexuelle Durchhaltevermögcn eines Hahns, doch auch bei ihnen ist über längere Zeiträume eine Art Coolidge-Effekt zu beobachten. In vielen Kulturen, unsere eingeschlossen, nimmt das sexuelle Verlangen von Männern nach ihren Frauen in den ersten Ehejahren nach eigenem Bekunden stark ab. Der Auslöser sind nicht die äußere Erscheinung oder andere Eigenschaften der Frau, sondern allein die Tatsache, daß es sich immer um dieselbe Person handelt. Die Lust auf neue Partnerinnen ist nicht einfach ein Beweis dafür, daß Abwechslung dem Leben seine Würze gibt, so wie Erdbeereis mit der Zeit langweilig wird und man gerne einmal Stracciatella probieren möchte. In Isaac Bashevis Singers Geschichte »Schlemihls große Reise« begibt sich ein Einfaltspinsel aus dem mythischen Dorf Chelm auf eine Reise, verirrt sich und kehrt, ohne es zu wollen, nach Hause zurück. Er glaubt, auf ein Dorf gestoßen zu sein, das durch einen verrückten Zufall seinem Heimatdorf aufs Haar gleicht. Dann trifft er auf eine Frau, die genauso aussieht wie die Ehefrau, deren er überdrüssig geworden ist, und findet sie atemberaubend.

Eine weitere Eigenart der männlichen Sexualität besteht darin, leicht von der Aussicht auf eine mögliche Sexualpartnerin erregt zu werden -- ja sogar von der kleinsten Spur einer möglichen Sexualpartnerin. Zoologen haben herausgefunden, daß die Männchen zahlreicher Spezies eine große Vielzahl von Objekten umwerben, die dem Weibchen auch nur entfernt ähnlich sehen - andere Männchen, Weibchen der falschen Spezies, Weibchen der richtigen Spezies, die ausgestopft an ein Brett genagelt sind, Teile ausgestopfter Weibchen, wie zum Beispiel ein Kopf, der in der Luft schwebt, sogarTeile ausgestopfter Weibchen, denen wichtige Bestandteile, wie Augen oder Mund, fehlen. Das Männchen der menschlichen Spezies wird durch den Anblick einer nackten Frau erregt, und zwar nicht nur in natura, sondern auch in Filmen, auf Fotografien, Gemälden, Postkarten oder in Form

von Puppen und Pixeln auf dem Computerbildschirm. Männer ergötzen sich an diesen Trugbildern, und davon lebt eine weltweite Pornoindustrie, die allein in den USA einen Bruttogewinn von zehn Milliarden Dollar im Jahr erziehlt -- fast soviel wie die Zuschauersportarten und die Filmindutrie zusammen.68 In Wildbeuterkulturen malen junge Männer Kohlezeichnungen von Brüsten und Vulven auf Felsvorsprünge, schnitzen sie in Baumstämme und kritzeln sie in den Sand. Pornographie tragt auf der gnazen Welt ähnliche Züge und war vor einem Jahrhundert nicht viel anders als heute. Sie enthält detailgetreue Darstellungen immer wieder neuer annoymer nackter Frauen, die Lust auf beiläufigen, unpersönlichen Sex signalisieren.

Es hätte wenig Sinn, wenn sich eine Frau vom Anblick eines nackten Mannes leicht erregen ließe. Einer fruchtbaren Frau stehen immer genügend bereitwillige Sexualpartner zur Verfügung, und auf diesem Käufermarkt kann sie sich den besten Ehemann, die besten Gene oder andere Gegenleistungen für ihre sexuellen Angebote aussuchen. Würde sie vom Anblick eines nackten Mannes erregt, so könnten Männer sie zum Sex verführen, indem sie sich zur Schau stellten, und ihre Verhandlungsposition würde geschwächt. Die beiden Geschlechter reagieren höchst unterschiedlich auf Nacktheit -- Männer empfinden nackte Frauen als eine Art Einladung. Frauen empfinden nackte Männer als eine Art Bedrohung. 1992 gab es in Berkeley einen Studenten (bekannt als »the Naked Guy«), der im Adamskostüm joggte, die Vorlesungen besuchte und zum Essen ging, um gegen die repressiven sexuellen Traditionen der abendländischen Gesellschaft zu protestieren. Nach den Beschwerden einiger Studentinnen, die sein Verhalten als sexuelle Belästigung empfanden, wurde er von der Hochschule verwiesen.

Frauen haben kein Bedürfnis nach Darstellungen fremder nackter Männer oder anonymer sexueller Handlungen, und es gibt im Grunde keinen Pornographiemarkt für Frauen. (Playgirl, das angebliche Gegenbeispiel, richtet sich offenkundig an schwule Männer. In den Anzeigen werden keine Produkte angeboten, die eine Frau kaufen würde, und wenn eine Frau als Gag ein Abonnement geschenkt bekommt, erscheint ihr Name plötzlich aufVersandlisten für Schwulenpornographie und Sex-toys). Bei einigen trüben Experimenten sollte gezeigt werden, daß Männer und Frauen mit der gleichen körperlichen Erregung auf eine pornographische Textpassage reagierten. Die Männer zeigten jedoch eine stärkere Reaktion auf die neutrale Passage im Kontrollmaterial als die Frauen auf die Pornographie.

In der sogenannten neutralen Passage, die von den Versuchsleiterinnen ausgewählt worden war, wurden ein Mann und eine Frau beschrieben, die sich darüber unterhielten, ob ein Anthropologiestudium einem Medizin-Studium vorzuziehen sei. Die Männer fanden das ausgesprochen erotisch. Frauen, die bereit sind, Darstellungen des Geschlechtsverkehrs zu betrachten, werden manchmal davon erregt, unternehmen aber keine Anstrengung, um solche Darstellungen aufzutreiben. (Symons weist darauf hin, daß Frauen zwar wählerischer als Männer sind, wenn es um die Einwilligung zum Sex geht, doch wenn sie erst einmal eingewilligt haben, gibt es keinen Grund zu der Annahme, daß sie auf sexuelle Stimulation weniger stark reagieren.) Einer Pornographie für Frauen am nächsten kommen Liebesromane und Geschichten mit feurigen Liebhabern, wo Sex im Zusammenhang mit Gefühlen und Beziehungen beschrieben wird und nicht als bloße Rammelei.

Das Verlangen nach sexueller Abwechslung ist eine ungewöhnliche Anpassung, weil es unstillbar ist. Die meisten Fitneßlieferanten weisen mit der Zeit abnehmende Erträge oder ein optimales Maß auf.
Man verlangt nicht nach Unmengen von Luft, Nahrung und Wasser, und man möchte sich nicht zu heiß oder zu kalt fühlen, sondern gerade richtig. Doch je mehr Sexualpartnerinnen ein Mann hat, desto mehr Nachkommen hinterläßt er; zu viel ist nie genug. Das erweckt im Mann einen unbändigen Appetit auf unverbindliche Sexualpartnerinnen (und möglicherweise auch auf die Güter, die ihm in der Urzeit zu vielen Partnerinnen verholfen hätten, wie Macht und Reichtum). Im täglichen Leben bieten sich den meisten Männern nur wenig Gelegenheiten, ihren Gelüsten hemmungslos zu frönen, doch gelegentlich ist ein Mann reich, berühmt, gutaussehend und amoralisch genug, um es zu versuchen. Georges Simenon und Hugh Hefner haben behauptet, mit Tausenden Frauen geschlafen zu haben. Wut Chamberlain schätzte, er habe 20 000 Frauen gehabt. Selbst wenn wir davon ausgehen, daß er kräftig übertrieben hat, und annehmen, daß ein Zehntel der von ihm genannten Zahl der Wahrheit schon näher käme, würde das immer noch heißen, daß eintausendneunhundertneunundneunzig Sexualpartnerinnen noch zu wenig waren.

Symons bemerkt, daß homosexuelle Beziehungen einen guten Einblick in die unterschiedlichen Wünsche der beiden Geschlechter geben.70 Jede heterosexuelle Beziehung ist ein Kompromiß zwischen den Bedürfnissen eines Mannes und den Bedürfnissen einer Frau, so daß die geschlecho...


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