Im Jahr 1900 trat Ferdinand Porsche auf der Weltausstellung in Paris mit einem Elektrowagen in das Rampenlicht der Öffentlichkeit. Doch der Lohner-Porsche wird oft als Irrweg des großen Konstrukteurs betrachtet: Porsche hätte doch erkennen müssen, dass die Zukunft dem Verbrennungsmotor gehörte.
Grundsatzüberlegungen über Antriebsarten hatte Porsche aber damals gar nicht anzustellen - er führte lediglich einen Konstruktionsauftrag aus. Der junge Techniker aus Maffersdorf in Böhmen arbeitete erst seit wenigen Jahren in Wien, ein Foto aus dem Jahr 1898 zeigt ihn im Alter von 23 Jahren als Betriebsassistenten bei der Electrici-täts-AG Egger & Co neben einem 125 PS starken, mehr als mannshohen Elektromotor. Als Antriebskraft für die Industrie hatte die Elektrizität zu dieser Zeit die Dampfmaschine und auch die stationären Gasmotoren weitgehend verdrängt, bei den Schienenfahrzeugen gewann sie schnell an Bedeutung. Aber auch für den Antrieb von Straßenfahrzeugen wurde sie längst mit Erfolg genutzt, besonders in England und in Amerika liefen Elektrowagen in großer Zahl als Taxis und Privatwagen. Porsches Auftraggeber, der Wiener Kutschwagenfabrikant Ludwig Lohner, gedachte sich diesem Trend anzuschließen.
1897 hatte Lohner in Berlin an der Gründungsversammlung des "Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins" teilgenommen und war in den Vorstand gewählt worden. Der Präsident des Vereins, Oberbaurat a. D. Klose, führte am 30. September 1897 unter anderem aus: „Als Motorfahrzeuge, welche ihre Energie zur Fortbewegung mit sich führen, machen sich zur Zeit drei Gattungen bemerkenswert, nämlich: durch Dampf bewegte Fahrzeuge, durch Oelmotoren bewegte Fahrzeuge und durch Elektrizität bewegte Fahrzeuge. Die erste Gattung dürfte voraussichtlich in Zukunft hauptsächlich für Wagen auf Schienen und schwere Straßen-Fahrzeuge in Betracht kommen, während das große Gebiet des weiten Landes von Oelmotorfahrzeugen durcheilt werden und die glatte Asphaltfläche der großen Städte wie auch die Straßenschiene von mit Sammlerelektrizität getriebenen Wagen belebt sein wird."
Ferdinand Porsche im Jahr 1902
An der Nutzung des leisen und problemlosen Elektroantriebs im Stadtverkehr bestand allgemeines Interesse. Emil Rathenau, Gründer und Generaldirektor der AEG, wurde zu einem der beiden stellvertretenden Präsidenten des Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins gewählt. Lohner bevorzugte die elektrische Energie, be-fasste sich allerdings auch mit den Alternativen. Wie aus einer 1900 erschienenen Anzeige der „K.u.K. Motorwagen- und Automobil-Fabrik Jacob Lohner & Co" hervorgeht, hatte er die Absicht, außer „Elektrischen Luxus-Wagen für 2 bis 8 Personen" sowie „Elektrischen Breaks und Omnibussen für 8 bis 20 Personen" auch „Benzin-Wagen für 2 bis 4 Personen mit 4 bis 6 HP-Motoren" anzubieten. Solche Motoren konnte er über die Wiener Daimler-Niederlassung beziehen. Aber so lebhaft auch die „Explosionsmotoren und unter diesen der Daimlersche Motor zuerst" (Klose) als Zukunftslösung diskutiert wurden - mit ihrer Zuverlässigkeit war es nicht weit her, auch wurde ihnen aufgrund ihrer Geräusch- und Abgasentwicklung die gesellschaftliche Anerkennung noch nicht zuteil. In der Geschwindigkeit konnten Benzin-Motorkut-schen mit 25 bis 30 km/h die elektrisch oder mit Dampf betriebenen Wagen nicht übertreffen. Der absolute Geschwindigkeitsweltrekord wurde um die Jahrhundertwende von Elektrowagen gehalten - 1898 noch mit bescheidenen 63,2 km/h (Chasseloup-Laubat, Frankreich), ein Jahr später schon mit 105,9 km/h (Jenatzy, Belgien), 1902 mit 145 km/h (Baker, Amerika).
Lohners Entscheidung für den Elektro-antrieb war also weder revolutionär noch rückständig, sondern entsprach dem technischen Stand. Sein junger Partner Porsche kam aus der Elektrobranche und sah einen wichtigen Vorteil des Elektroantriebs darin, dass weder Getriebe noch sonstige mechanische Elemente zur Kraftübertragung erforderlich waren. Der Nachteil des hohen Batteriegewichts konnte dadurch teilweise kompensiert werden. Nach dem Vorbild britischer und amerikanischer Elektrowagen hatte er sich dafür entschieden, die gelenkten Vorderräder („Lenkräder") anzutreiben und dafür Platz sparende Radnabenmotoren zu verwenden. Es entstand eine ingeniöse Konstruktion, die nicht nur wegen des Platz sparenden Elektroantriebes, sondern auch als fahrzeugtechnische Lösung überzeugt. In der Österreichischen Patentschrift Nr. 19645 für Ferdinand Porsche und Ludwig Lohner, betreffend ein „Antriebslenkrad mit Elektromotor", heißt es unter anderem: „Dem Bestreben, für elektrisch angetriebene Lenkräder die Lenkachse derart anzuordnen, daß ihre Verlängerung die Auflagerfläche des Rades trifft, stand das Hindernis entgegen, daß man die Lenkachse nicht in die Mittelebene des Rades legen konnte, da sich dort der die Feldmagnete tragende Achsstummel befand. Es ließe sich wohl der Schnittpunkt der Lenkachse in das Auflager des Pneumatiks dadurch bringen, daß man die Lenkachse entsprechend schrägstellt. Bei seitlich außerhalb des angetriebenen Lenkrades angeordneter Lenkachse (brit. Patentschrift Nr. 18099) würde jedoch diese Schrägstellung eine so große werden, daß dadurch die leichte Lenkbarkeit des Fahrzeuges beeinträchtigt würde. Um die Lösung dieser Aufgabe für Elektromotorlenkräder mit auf dem Achsstummel sitzenden Feldmagneten zu ermöglichen, wird nach vorliegender Erfindung der die Feldmagnete tragende Achsstummel hohl ausgeführt, um den die Lenkachse tragenden Lagerkopf möglichst nahe der Radebene bringen zu können."
Es handelt sich also um einen in der Geometrie exakt ausgebildeten,
von Einflüssen auf die Lenkung freien Vorderradantrieb, wie er bei
Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor erst Jahrzehnte später möglich
wurde. Noch beim VW Käfer hat Porsche den Frontantrieb nicht zuletzt
deswegen verworfen, weil befriedigende Antriebsgelenke nicht zur Verfügung
standen. Der elektrische Radnabenantrieb erlaubte es, zusätzlich die
nicht gelenkten Hinterräder anzutreiben. Schon im September 1900 wurde
ein Lohner-Porsche mit vier Radnabenmotoren an den britischen Sportsmann
E.W. Hart für Renn- und Rekordzwecke ausgeliefert. Dieser erste voll
funktionsfähige Vierradantrieb war allerdings mit einem Batteriegewicht
von 1800 Kilogramm verbunden und machte die Grenzen der Energiespei-cherung
in Bleiakkumulatoren erkennbar. Porsche zog noch während seiner Zusammenarbeit
mit Lohner die Konsequenz und stellte 1902 seinen „Mixte"-Wagen vor: Ein
Daimler-Vierzylinder erzeugte über einen Generator den Strom für
die Radnabenmotoren - Vergaser und Zündung waren unterdessen erheblich
verbessert worden. Dass Porsche nicht gleich die Antriebskraft vom Motor
direkt auf die Räder übertragen ließ, hatte einen realistischen
Hintergrund:
Kupplungen und Getriebe konnten hohen Ansprüchen an Zuverlässigkeit
und leichte Handhabung noch nicht genügen. Auch bot das Mixte-Prinzip
die Möglichkeit, bei Stillstand des Verbrennungsmotors mit der Energie
aus einer zwischengeschalteten Batterie weiterzufahren. Dies entspricht
heutiger Hybrid-Technik; der reine Elektro-antrieb ist in Verbindung mit
der Brennstoffzelle wieder aktuell geworden. Die Radnabenmotoren nutzte
Porsche noch während des Ersten Weltkrieges in militärischen
Konstruktionen. Und Porsches Kinder Louise und Ferry wurden im Lohner-Elektrowagen
zur Schule chauffiert.
Foto Seiffert Mit Frontantrieb:
Elektromotoren sorgen im Lohner-Porsche für Vortrieb
Ein Irrweg ist Porsches Debüt-Konstruktion also nicht gewesen.
Sie zeigt eher die Vielseitigkeit und Konsequenz, mit der er jede ihm gestellte
Aufgabe anging, ohne sich jemals auf ein bestimmtes technisches Prinzip
festzulegen. Den Titel „Autoingenieur des Jahrhunderts", den ihm eine internationale
Jury Ende 1999 zuerkannt hat, verdient er gerade deswegen, weil er stets
mehr gewesen ist als nur Autoingenieur.