Report Mainz am  23. November 1998 im Ersten Verseuchte Wracks -  Deutsche Schiffe in Indien entsorgt
Bericht:
 Neumann, Ulrich
 Thurn, Valentin
Kamera:
 Gutland, Carsten A.
 Balzer, Christian
 Irlenborn, Frank
Schnitt:
 Roßner, Roland
Moderation Bernhard Nellessen
Guten Abend zu REPORT MAINZ. Diese unscheinbare graue Hinweistafel, liebe Zuschauer, wurde gefunden am Strand des indischen Ozeans. Sie ist alles, was von dem einstmals stolzen, über hundert Meter langen deutschen Hochseefährschiff „Theodor-Heuss“ noch übrig ist. Der Rest wurde am anderen Ende der Welt verschrottet, auf der größten Schiffsabdeckerei überhaupt. Tausende Inder arbeiten dort unter lebensgefährlichen Umständen. Mit bloßen Händen weiden sie asbest- und bleiverseuchte Schiffswracks aus. Viele Arbeiter kommen dabei um. Heute hat Greenpeace in Hamburg gegen diese menschen- und umweltverachtende Praxis protestiert. Ulrich Neumann und Valentin Thurn haben recherchiert, wie tief deutsche Firmen verstrickt sind.
B E R I C H T:
Bombay - ein Schiffsfriedhof am Strand: Hier werden Ozeanriesen aus aller Welt abgewrackt. Darunter auch Schiffe deutscher Eigentümer. Bombay - die moderne Apokalypse. Barbarisch die Arbeitsbedingungen. Verdreckt, verseucht, vergiftet: die Luft, der Boden, das Wasser. Tausende Menschen werden an den Spätfolgen elend zugrunde gehen. Der oberste behördliche Arbeitsmediziner des Landes Bremen. ein Experte für die Gesundheitsgefährdungen in der Schiffsindustrie:
O-Ton, Dr. Frank Hittmann (Landesgewerbearzt, Bremen) :
 »Das richtig zu charakterisieren, dafür fehlen mir die Worte.«
 Filmaufnahmen sind hier schon seit langem nicht mehr möglich. Nur getarnt als Fanclubs großer Handelsschiffe haben Greenpeace-Mitarbeiter deshalb diese lebensgefährlichen Zustände vor kurzem dokumentieren können: z.B. den skandalösen Umgang mit krebserregendem Asbest. Mit bloßen Händen, ohne jeden Atemschutz, wird hier mit diesem Stoff hantiert. Millionen von Asbestfasern gelangen so in die Atemluft. Eine einzige davon reicht aus, um Jahre später an Krebs zu sterben. In Deutschland dürfen nur speziell ausgebildete Experten Asbest beseitigen. Und das nur mit Schutzanzug und Atemmaske, in einem luftdicht abgeschotteten Raum. Hier in Bombay ist dagegen dieser Umgang mit Asbest ein tödliches Risiko. Der Arbeitsmediziner:
O-Ton, Dr. Frank Hittmann (Landesgewerbearzt, Bremen) :
 »Hier wird Leben und Gesundheit der Leute auf eine Art und Weise auf’s Spiel gesetzt - das ist kriminell. Und ich bin sicher, in der Bundesrepublik wäre das strafbar und da würde sich auch ein Staatsanwalt dafür finden.«
 Der Skandal - Beispiel 1: Das deutsche Hochseeschiff „Rhein“ wurde 1994 hier verschrottet. Ursprünglicher Besitzer: die Bundesmarine.
Beispiel 2: Das Schulschiff „Deutschland“ der Bundesmarine. Hier auf seiner letzten Fahrt. Für eine Million Mark verkauft an ein indisches Abwrackunternehmen in Alang, laut Bundesverteidigungsministerium. Mit an Bord in das Entwicklungsland - im Schiff verbauter Asbest! Ebenfalls gegenüber Report bestätigt. Das war 1993.
Alang im indischen Bundesstaat Gujarat im gleichen Jahr. Ein ARD-Team dokumentiert die skandalösen Zustände auf dem weltgrößten Schiffsfriedhof. Damals werden Schiffe auf einem 5 km langen Strand abgewrackt. Heute ist der Schrottplatz schon doppelt so groß. Damals wie heute - schwerste Unfälle. Explosionen, oft mit tödlichem Ausgang: Ein Schiff - ein Toter sagt man hier.
O-Ton, indische Arbeiter, Alang:
 »Man verletzt sich schnell. Arme werden abgerissen. Verbrennungen sind an der Tagesordnung. Es gibt auch schon mal Tote.«
 Bretterbuden - die Behausungen der Arbeiter. Direkt neben dem Schiffsfriedhof. Ständig dem giftigen Qualm ausgesetzt. Tageslohn für zwölf Stunden Schinderei - fünf Mark. Arbeiter älter als dreißig Jahre trifft man hier kaum. Alang - der größte Schrottplatz der Weltmeere im Oktober 1998: Aufnahmen des Greenpeace-Teams. Besonders gefährlich hier für die 40 000 Arbeiter - die Qualmwolken durch Schweißarbeiten und Schwelbrände. Die Atemluft - ein Giftcocktail aus Schwermetallen, Dioxinen, Asbest und verschwelten Kabelisolierungen. Der Arbeitsmediziner:
O-Ton, Dr Frank Hittmann (Landesgewerbearzt, Bremen) :
 »All diese Schwelgase enthalten ihrerseits wieder krebserregende Stoffe, die eingeatmet, sich mit der Wirkung des Asbestes verstärken, so daß hier ein Krebsrisiko in einer Höhe entsteht, wie man das eigentlich gar nicht mehr beziffern kann. Und wenn jemand tatsächlich so eine Arbeit einige Jahre durchhält, dann hat er ein Krebsrisiko, gerade für Lungenkrebs, aber auch für andere Krebserkrankungen, das so hoch ist, daß man sagen kann: Hier wird wahrscheinlich mindestens ein Viertel der so Beschäftigten Krebserkrankungen erleiden durch die Beschäftigung.«
 Frage : 40.000 Beschäftigte in Alang hieße 10.000 Krebstote langfristig?
O-Ton, Dr. Frank Hittmann (Landesgewerbearzt, Bremen) :
 »Das wird man befürchten müssen, ja.«
 10.000 Krebstote! Beispiel 3 - der jüngste Fall: die Columbus New Zealand am Strand von Alang vor wenigen Wochen. Ein Containerschiff einer renommierten Hamburger Reederei. Trotz strenger Beobachtung gelingt es dem Greenpeace-Team Proben zu nehmen - von den Schiffsfarben und den Isolierstoffen an Rohren und Wänden. Ein unabhängiges Hamburger Labor analysiert diese. Ergebnis: drei Proben von Isolierstoffen - dreimal Asbest: brauner Asbest, Blauasbest und Weißasbest.
Ein Arbeiter, der Blauasbest sortiert. Die gefährlichste Sorte dieses Krebsstoffes. Diese Tätigkeit, vier Wochen ausgeübt, verdoppelt sein Krebsrisiko, so der Arbeitsmediziner.
Hamburg: Der ehemalige Besitzer der Columbus New Zealand - die Hamburg - Südamerikanische Dampfschifffahrtsgesellschaft, kurz Hamburg Süd. 75 Ozeanriesen. Weltweit 2.000 Beschäftigte. Jahresumsatz 1997: 2,1 Milliarden Mark. Ein renommiertes Traditionsunternehmen - über 125 Jahre alt, gehört zum Imperium des Puddingfabrikanten Dr. Oetker.
Die Columbus New Zealand bei ihrer Jungfernfahrt vor 27 Jahren: Mehrmals sei sie modernisiert worden. Dabei habe man über 90 Prozent des Asbestes beseitigt - angeblich. Ein Mitglied der Geschäftsführung über die Asbestmenge der Columbus New Zealand:
O-Ton, Dr. Ottmar Gast (Geschäftsführer, Hamburg Süd):
 »Nach unserer Auffassung wird das eine Größenordnung sein von vielleicht fünf Kubikmeter.«
 O-Ton, Dr. Frank Hittmann (Landesgewerbearzt, Bremen) :
 »Das ist ziemlich gleich, ob es ein oder fünf oder fünfzig Kubikmeter sind, wenn Sie sich vorstellen, daß Sie bei unsachgemäßer Verarbeitung, auch aus einem Kubikzentimeter Milliarden von Fasern machen können, daß Sie mit einem Kubikzentimeter Asbest die Atmosphäre an einem Arbeitsplatz so belasten können, daß Sie das Krebsrisiko an diesem schon Arbeitsplatz steigern.«
 Trennschweißen an der Columbus New Zealand. Die Farben enthalten Schwermetalle, so das Analyseergebnis. Beim Schweißen gelangen sie in die Atemluft.
Frage :Greenpeace kritisiert ferner, daß umweltschädigender Farbanstrich dieses Schiff enthalten oder bei sich gehabt habe. Was ist ihre Meinung dazu?
O-Ton, Dr. Ottmar Gast (Geschäftsführer, Hamburg Süd):
 »Das ist nicht richtig. Das Schiff ist regelmäßig Nordamerika angelaufen und in Nordamerika herrschen die strengsten Gesetze in der Beziehung.«
 Frage : Also keine Schwermetalle, keine toxischen Stoffe mehr im Farbanstrich?
O-Ton, Dr. Ottmar Gast (Geschäftsführer, Hamburg Süd):
 »Nein.«
 O-Ton, Dr. Frank Hittmann (Landesgewerbearzt, Bremen) :
 »Wir haben aber mit 34 Gramm pro Kilo oder 34.000 Milligramm relativ hohe Bleiwerte. Bleiwerte, bei denen man befürchten muß, daß es bei jemand, der jetzt Bleche , die so beschichtet sind, durch Hitze von diesem Blei befreit, daß es zu massiven Bleivergiftungen kommen kann.«
 Erlös für Hamburg Süd durch den Verkauf der Columbus New Zealand nach Indien: 1,6 Millionen Mark. Übrigens: Die beiden Schwesterschiffe - Columbus Australia und Columbus Amerika - stehen ebenfalls zur Verschrottung an. Ziel: - wiederum Südasien.
O-Ton, Dr. Ottmar Gast (Geschäftsführer, Hamburg Süd):
 »Es ist in Europa, wie wir jetzt nochmal , ein zweites Mal erfragt haben, zumindest in Westeuropa, wo Bedingungen besser wären, nicht möglich. Weder möglich, noch von den Kosten her tragbar. Von daher kommen nur diese Länder wie Indien, Pakistan, Bangladesch in Frage.«
 O-Ton, Björn Voigt (Präsidium Bundesvereinigung Stahlrecycling):
 »Man müßte also riesige Schwimmdocks benutzen, dieselben Docks auf denen die Seeschiffe gebaut wurden. Man kann das. Aber es ist eine Frage der Kosten. Und die Kosten sind immens, das hier in Europa umweltschonend zu machen.«
 Das Basler Giftmüllübereinkommen. Es verbietet seit dem 1. Januar 1998 eigentlich den Export von kontaminierten Schrottschiffen aus EU-Ländern in die Dritte Welt. Doch findige Reeder meinen, ein Schlupfloch entdeckt zu haben. Sie schicken die Schiffe nicht direkt aus der EU nach Indien, sondern wählen z. B. den Umweg über Australien. So wollen sie das Gesetz aushebeln. Sogar die neue grüne Staatssekretärin im Bonner Umweltministerium meint, gegen diesen Giftmüllexport nichts machen zu können.
O-Ton, Gila Altmann (Parlamentarische Staatssekretärin, Umweltministerium):
 »Wir können nicht da eingreifen, wo wir keine gesetzliche Grundlage haben. So traurig das auch ist und so unbefriedigend das auch ist.«
 O-Ton, Andreas Bernstorff (Giftmüllexperte Greenpeace):
 »Es kommt nicht auf den Ort der Tätigkeit des Schiffes an, der wirtschaftlichen Tätigkeit, sondern es kommt auf den Eigentümer an und dessen Verantwortlichkeit. Der Eigentümer bzw. Reeder bzw. Operator in der internationalen Sprache ist nach internationalem Seerecht der materiell Verantwortliche für alles, was mit einem Schiff geschieht. Die Eigentümer sitzen in Deutschland, hier in Hamburg gar nicht weit von uns.«
 Die grüne Staatssekretärin ist zwar entsetzt, meint aber gegen die Reeder nicht vorgehen zu können, findet die Abfallgesetze bestens und delegiert das Problem zurück in die Dritte Welt.
O-Ton, Gila Altmann (Parlamentarische Staatssekretärin, Umweltministerium):
 »Wir haben auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene im Moment wirklich das Optimale getan und jetzt geht es darum, daß z.B. auch Indien handelt.«
 Übrigens: In den letzten 10 Jahren sind mindestens 55 Hochseeschiffe bundesdeutscher Eigentümer direkt nach Asien geschafft worden. Darunter Ozeanriesen renommierter Reedereien wie Hapag-Lloyd, Deutsche Fischfangunion. Dies ermittelte die weltweit größte Schifffahrtdatenbank „Lloyd’s List London“ im Auftrag von REPORT MAINZ. Die Zukunft: 17.000 Hochseeschiffe stehen weltweit vor der Verschrottung. Das bedeutet: Doppelt so viele Schiffsskelette wie heute.

From: <Rainer.Scheuffele@swr-online.de>
SWR.de Mainz
SÜDWESTRUNDFUNK
Redaktion SWR.de
Am Fort Gonsenheim 139
55027 Mainz
Tel. +49(0)6131/929 3210
Fax +49(0)6131/929 2079
Internet: www.swr.de
E-Mail (d): Rainer.Scheuffele@swr.de



Druecken Sie den ZURÜCK-knopf in Ihrem Browser oder klicken Sie hier, um zurück zur Übersicht zu gelangen.
 
  1