Abschrift aus dem Buch „500 Jahre Schützen in Hollich – Das Buch der Bauerschaft“, 1990
Auf dem elterlichen Hof Prümers-Gerdener in Hollich Nr. 117 werden die Briefe aufbewahrt und gehütet, die ein Sohn des Hofes vor fast 120 Jahren nach Hause geschrieben hat, als er sich in das südliche Afrika aufmachte, um Missionar zu werden. Der Briefschreiber hieß Johann Gerdener und wurde am 16.11.1841 in Hollich geboren. Im Jahre 1873 ordinierte ihn die Rheinische Missions-Gesellschaft in Barmen und schickte ihn nach Südafrika. Von seiner Abfahrt und Überfahrt berichtete er in seinen Briefen, die hier in Auszügen veröffentlicht werden. Ziel der Reise war die Missionsstation Saron, wo er die Landessprache ‚afrikaans’ erlernte. Ab 1874 bis zu seinem Tode war er dann als Missionar in der Gemeinde Wupperthal am Kap der Guten Hoffnung tätig.
Diese großartig angelegte Missionsstation inmitten der Zederberge, wo sich zahlreiche Mischlinge oder Kleurlinge niedergelassen hatten, war von Johann Gottlieb Leipold (1803-1872) aus Plauen im Vogtlande gegründet worden. Er hatte am 1. Januar 1830 die verschuldete Farm Riedmond bei Clanwilliam für 20.000 Gulden im Auftrage der Rheinischen Mission gekauft und schon am 4. Januar in Wupperthal umbenannt. Damit hatte ein Ort in Südafrika schon 100 Jahr vor der heutigen deutschen Großstadt diesen Namen erhalten.
Johann Gerdener starb am 6. März 1891 an Kehlkopfkrebs. Seinen Mitbruder im Missionsamt Hermann Kreft hatte er gebeten, seinen Bruder in Burgsteinfurt von seinem Ableben zu benachrichtigen. Auch Lölfers bekamen die Todesnachricht in einem besonderen Brief mitgeteilt.
Im Jahre 1875 hatte Johann Gerdener Maria, die Tochter des deutschen Missionars Ahlheit, geheiratet, der im benachbarten Stellenbosch das Schülerheim leitete. Von den sieben Kindern Johann Gerdeners haben sich die Söhne Heinrich als Landesratsabgeordneter und Gustav als Professor an der Universität in Stellenbosch einen Namen gemacht. Letzterer war verheiratet mit Johanna, einer Tochter des rheinischen Missionars Gustav Schmolke in Wupperthal.
Diese Eheleute sind die Eltern von Theo Gerdener (*1917), Vizeminister in der Eingeborenenverwaltung und von 1970 bis 1972 Innenminister der Republik Südafrika unter Ministerpräsident Vorster. Wegen dessen Apartheids-Politik schied Theo Gerdener aus der Regierung aus. Er gründete eine eigene Partei, zog sich aber schon im Jahre 1977 aus der aktiven Politik zurück.
Zwischen den Burgsteinfurter Gerdeners und ihren südafrikanischen Verwandten besteht trotz der riesigen Entfernungen, die ihre Wohnorte trennen, ein guter Kontakt durch Briefwechsel und gegenseitige Besuche.
(Literatur: Die Gründung Wupperthals, von W.A. Moritz, Walvisbaai, in: Afrikanischer Heimatkalender 1871, Seite 85-104, herausgegeben vom Kirchenbundesrat des Deutschen Ev.-Luth. Kirchenbundes Süd- und Südwestafrikas.)“
Amsterdam, 28. 9. 1873
Liebe Mutter und Bruder!
Wie ich von Euch weg reiste, ahnte ich nicht, daß unsere Abreise so rasch erfolgen würde. Doch habe ich noch alles so eben ordnen können. Pfarrer Schimmel traf ich nicht mehr, so bald wie möglich, will ich mich brieflich von ihm verabschieden. In Mülheim war ich nur noch kurze Zeit. Von da ging ich Mittwoch Abend nach Erkrath, wo ich alles wohl fand. Anna war am Kartoffeln ausmachen, die sehr gut sind. Abends kam ich nach Barmen und am Donnerstag fragte ich für meinen Paß, verabschiedete mich von den nächsten Freunden, wohnte abends einem Abschiedsfest in Elberfeld bei der Frau Müller bei.
In Elberfeld waren über 110 Personen aus den verschiedenen Vereinen am Bahnhof, denen ich noch zum Theil die Hand geben konnte, viele waren gerührt, wir dagegen getrost und freudig. Barmer und Elberfelder Freunde begleiteten uns eine Stunde weit. Von Elberfeld abgefahren, sangen wir freudige Lieder zur Ehre Gottes. Kein Trennungsschmerz war bei uns zu spüren, weil wir wissen, der Herr hat gesagt: Siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis am Ende der Welt.
Am Samstag fuhren wir (von Wesel) um 9 Uhr mit einem Schnellzug oder vielmehr Courierzug II. Classe nach Amsterdam ab. Endlich gegen ½ 1 Uhr lief der Zug auf dem colossalen Bahnhof in Amsterdam ein. 9 feine Wagen nebst Bedienung standen für uns auf Veranlassung der Amsterdamer Freunde bereit, um uns in unsere Quartiere zu bringen. Im rechten Trabe ging es etwa 1/2 Stunde durch die Straßen der Stadt bis wir unsere Absteigequartiere erreichten. Von der Freundlichkeit und Liebe der Holländer, aber auch von ihrem Reichtum und Nobilität macht sich ein Deutscher keinen Begriff. Die Fluren sind mit Marmor gepflastert, über die feinen Teppiche in den Stuben sind von feinem Gebild noch sogenannte Läufer gelegt. Die Wände und Thüren sind mit Spiegelglas versehen, so daß die kostbaren Tapeten fast verschwinden. Gut, daß ich etwas Bildung gelernt habe, sonst würde man sich schlecht zurechtfinden. Die Stadt Amsterdam kann mit Recht die Hauptstadt von Holland genannt werden, sie wird stark 4 mal so groß sein wie Elberfeld. Die Häuser sind, weil der Boden morastig ist, auf Pfählen gebaut, wenigstens 4 Stock hoch. Schön ist die Schiffahrt in der Stadt selbst, da die Hauptstraßen Kanäle sind und an beiden Seiten derselben eine Straße nebenherläuft, so daß man auf der einen Seite Wasser und auf der anderen Häuser hat. Gestern Morgen hörten wir hier eine deutsche Predigt, nahmen nach derselben unter der Leitung eines der reichsten Kaufleute die übrigen Kirchen, die von sehr großem Reichtum zeugen, und andere Gebäude in Ansicht, tranken dann zusammen Kaffee und besuchten nachher den schönen Hafen mit seinen 100ten Schiffen. Unser Gastgeber fuhr mit uns auf einem stattlichen Dampfschiffe eine Strecke in die Zuider See, wo wir die großen Seeschiffe in zahlreicher Menge bald näher bald ferner vor uns und um uns sahen. Es war herrlich, die Allmacht Gottes so recht in der Tiefe des Meeres erkennen zu können.
Morgen fahren Bernsmann und ich per Bahn nach Rotterdam, um mit einem Postdampfer nach England zu gelangen.
Herzliche Grüße an Flothmanns und die Freunde in Steinfurt. Gott mit Euch. Es grüßt Euch herzlich Euer Euch liebender Sohn und Bruder Johann Gerdener.
Wenn Ihr mir schreiben könntet, wie es Euch geht, wäre gut, es geliegs nach England zu schreiben, weil wir bis Freitag in London sein werden. Die Adresse ist
Rev. Joh. Gerdener, Young Men's Home, 28 Finsbury Square, London E. C.
London, 01.10.1873
Lieber Schwager und Schwester!
In der großen Weltstadt London angelangt, will ich Euch zuerst meine gute Gesundheit mitteilen.
In Rotterdam angekommen, standen die Leute, die unsere Sachen aufs Schiff befördern sollten, schon bereit, wir lösten Schiffs Billets, aßen in Rotterdam zu Mittag und fuhren, nachdem uns unsere Barmer und Rotterdamer Freunde sich verabschiedet hatten, um 2 1/2 Uhr mit dem Dampfer Avalon, der etwa 300 Passagiere, 1.000 Schafe, zahlreiche Ochsen, Rinder, Pferde, Passagier- und Frachtgut an Bord hatte, nach Harwich in England ab. Der Anblick war schön, wie sich das stolze Dampfschiff durch die hunderte von Dampf- und Segelschiffe hindurch arbeitete bis es im Canal stärkere Dampfkraft anlegen konnte. Der Anblick eines Hafens ist überaus prächtig, schöner wie ich es mir je gedacht hatte. Um 5 Uhr sahen wir noch soeben die Spitze des letzten Kirchthurms auf dem europäischen Continent. Nun gings in die offene See, wo das Meer, obwohl gänzlich Windstille, stürmende Wogen trieb, so daß unser Schiff ordentlich schwankte und viele, namentlich Frauen, von der Seekrankheit überfallen wurden. Mir wurde es auch etwas schwindlich, blieb jedoch oben auf dem Deck, um die Majestät Gottes zu bewundern. Der Sonnenuntergang und der Aufzug des Mondes, wie er sich im Wasser abspiegelte, war außerordentlich schön. Gegen 9 Uhr legte ich mich zu Bett und trotz des Schaukelns des Schiffes, des Tosens des Meeres, des Commandos des Capitäns und der Steuerleute, des unaufhörlichen Arbeitens der Dampfmaschine schlief ich ununterbrochen bis die Meldung, Harwich sei zu sehen, mich weckte.
Um drei Uhr fuhren wir per Eisenbahn nach London, wo wir gegen 7 Uhr ankamen. Hier nahmen wir eine Droschke, ließen unsere Koffer verladen und fuhren ins deutsche Vereinshaus. Nachdem wir Kaffee getrunken, gingen wir mit 9 Missionaren, die aus Labrador bei Grönland kamen, in die S t. Pauls Cathedrale, eine schönere Kirche habe ich noch nicht gesehen. Selbst der Kölner Dom kommt mir nicht so schön und kostbar vor. Von da aus gingen wir nach dem Tower, wo eine starke Besatzung die Kleinodien verwahrt. Hier stehen in Lebensgröße auf stolzen Rossen die Denkmäler der Könige, Königinnen, Admirale u.s.w. von England. Hier sind zahlreiche Waffen, Panzer, Gewehre, Säbel der schrecklichsten Art aus mehreren Jahrhunderten, hier liegen eine große Anzahl eroberter Geschütze aus Indien und China oder die Kleidung des Generals Wellington. Hier ging ich in die dunklen Kerker, wo nie ein Strahl des Lichtes hineinfallen kann, wo zur Zeit der Maria Stuart mit dem Beinamen "Die Blutige", Glieder der königlichen Familie gefangen und zum Theil auch abgethan wurden. Hier fand ich auch die schrecklichen Folterwerkzeuge, wie man die Leute zergliedert hat, und die Schafotte und Hackebeile u.s.w. Zuletzt waren wir müde, so daß wir uns nach Hause begeben mußten. Wenn man in etwa die Geschichte weiß, so ist es doppelt interessant, aber auch zugleich unheimlich in diesen alten Gewölben, wo so viele Gefangene gelegen und hingerichtet sind.
Morgen werde ich den Kristall Palast besuchen. Die Wege sind hier zu weit, die Stadt zu groß (sie hat fast 6 mal so viel Einwohner wie Rom zur Zeit Neros und 3 mal so viel wie das ganze deutsche Heer, das nach Frankreich rückte), als daß man zu Fuß gehen kann, man benutzt am besten die Omnibusse und Eisenbahn, die nicht bloß um die Stadt, sondern hoch über die Stadt und unterirdisch unter die Häuser geht. Morgen wollen wir mal eine solche Bahn durch die Erde benutzen, da ich die Einrichtung gerne sehen möchte. Auf meiner Straße waren wenigstens 300 Droschken etc., 3 bis 4 neben einander beschäftigt, so daß man sich wundert, daß nicht jeden Augenblick Menschen dabei ums Leben kommen.
Meine Adresse ist bis dahin nicht mehr London, sondern
Rev. Gerdener, F. W. Steinhauer, Rosen Hotel 2.3. und 4 Royal Cresent Southampton (Stiemer Anglian)
Sobald Ihr den Brief gelesen habt, schickt ihn nach Hollich, damit die Mutter keine Unruhe mit mich hat.
Das Essen hier ist sehr gut, aber alles sehr theuer. Für eine Cigarre zahlt man 2 1/2 Silbergroschen, für 1 Glas Bier 5 bis 8 Silbergroschen.
Seehafen Southampton, 05. 10. 1873
Liebe Mutter und Bruder!
Ihr werdet meinen Brief an Anna wohl empfangen haben der Euch meine Ankunft in der Weltstadt London angezeigt hat. Es würde vergeblich sein, Euch das Treiben dieser Stadt mit ihren 4 Millionen Menschen zu schildern. Über 10.000 Droschken durchfahren täglich die Stadt, dazu kommen die Eisenbahnen, die durch und über die Stadt gehen, dann die vielen unterirdischen Bahnen, mit denen ich einige Male 2 bis 3 Stunden weit gefahren bin. Es sollen sich allein um 100 Bahnhöfe und Stationen unter der Stadt befinden. Ich konnte das nie so recht glauben, bis ich es gesehen. Man geht von der Straße aus eine große Anzahl Treppen hinunter und findet, mit Gaslicht erleuchtet die Bahnhöfe, wo der Verkehr so groß ist, daß man zu jeder Tageszeit keine 5 Minuten zu warten hat, sondern jeden Augenblick geht ein Zug ab. Oft werden, da mehrere Bahnen nebeneinander liegen, 3 bis 4 Züge zusammen abgelassen. Schauerlich ist es, sie in den Abgrund hineinfahren zu sehen.
Am herrlichsten ist mir der Kristall Palast vorgekommen, der jeden Tag, ausgenommen Sonntags, wo er geschlossen wird, über 4.000 Thaler Eintrittsgeld erhebt und trotzdem mit Schulden zu kämpfen hat, weil das Capital, was es gekostet hat, alle Grenzen übersteigt. Das Ganze ist ein Glasgebäude, terrassenförmig gebaut, bald 5, bald 4 Stock hoch, etwa so groß wie von Euch nach Rottmanns. Inwendig mit herrlichen Blumenanlagen, Zierpflanzen, Palmbäumen, ägyptischen Alterthümern, köstlichen Denkmälern, riesenhaften Springbrunnen versehen. Außerdem alle Art von landwirtschaftlichen Ausstellungen als Pflüge, Eggen, allerlei Maschinen, Riesenrunkeln bis zu 3 bis 4 Fuß lang, Kartoffeln, Kohlrabi, Kappus wie Köpfe so groß wie Euer Scheffel, dabei sehr fest und gut, viele Läden, unter andern auch ein Lager der evangelischen Bibelgesellschaft. Außerdem ist noch Platz für 30.000 Menschen vorhanden. Abends fand hier noch ein Konzert der englischen Militär Musik statt, danach noch ein Orgel Konzert, alles hatte, wenn auch nicht den christlichen, so doch sittlichen Anstrich. Der Palast ist mit einer wenigstens 80 Morgen großen Anlage mit herrlichen Teichen, Fontainen, Denkmälern u.s.w. umgeben. Diese Anlage wurde abends durch bengalisches Feuerwerk 1/2 Stunde lang erleuchtet, hunderte von Raketen, Luftbalongs durchschwirrten die Luft, so daß das Ganze aufs hellste erleuchtet war.
London steht einzigartig in der Welt da. In einem Museum sah ich den Wagen, aus welchem Napoleon I. bei Waterloo, als er von Wellington geschlagen wurde, entsprungen ist. So dann sein Sopha und das Bett, worauf er in St. Helena gestorben, seine Uhr, die er getragen.
Endlich, nachdem wir 8 Tage in London verweilt, fuhren wir am Samstag, den 4ten dieses Monats nach Southampton ab, wo wir unser Absteige Quartier in einem deutschen Hotel nahmen. Heute, Sonntag, gingen wir zum Hafen, um die Schiffe anzusehen. Wir fanden auch den Dampfer Anglian, mit welchem wir morgen um 12 Uhr England verlassen und der uns nach Afrika bringen soll. Gott wolle uns geleiten. Hier wimmelt es von Seeleuten aller Art, Türken, Russen, Neger u.s.w..
In London ließ ich etwas am Reisekoffer machen, was in Steinfurt 2 Silbergroschen gekostet hätte, hier zahlte ich 15 Silbergroschen. Eine Schachtel Streichhölzer, wo noch keine 100 drin sind, kostet 10 Pfg.
Es grüßt Euch herzlich Euer Euch liebender Sohn und Bruder, Johann Gerdener
Am Bord des Dampfschiffes Anglian, 11. October 1873
Liebe Mutter und Bruder!
Ihr werdet den Brief, welchen ich Euch von Southampton aus am 5. und 6. d. M. geschrieben und den ich beim Besteigen des Schiffes an Euch abgesandt, wohl erhalten haben. Wir verließen am 6. October 12 1/2 Uhr den Hafen. An dem Tage ging noch alles gut, aber des abends fühlte ich wie mein College Schwindel und Unwohlsein, da wir das Schaukeln auf offenem Meere nicht gewohnt waren, wir legten uns zu Bett und schliefen trotz des Unwohlseins. Am andern Morgen standen wir auf, kleideten uns an und versuchten aufs Deck zu gelangen, aber auch da hielten wir es nicht lange aus, wir eilten hinunter, legten uns zu Bett und ich versuchte zu schlafen, was auch zum Theil gelang. Übergeben wollte ich mich nicht, aber etwas essen konnte ich auch nicht, außer eingemachte Gurken, die ich von Elberfeld geschenkt bekommen. Unsere Seekrankheit dauerte ungefähr 2 Tage, dann konnten wir stehen oder spazieren gehen, eine Cigarre rauchen.
Es sind vielleicht 150 Passagiere auf dem Schiff, darunter eine große Anzahl Juden, die alle nach Afrika wollen, um die entdeckten Diamanten zu kaufen, darunter ein sehr vornehmer Jude aus Cassel, der mit seiner ganzen Familie, Frau, 6 Kinder, eine Erzieherin und 3 Mägde, nach Afrika geht, um Diamanten zu kaufen. Außerdem eine Anzahl Ingenieure, Unternehmer, Arbeiter u.s.w. aus England, die eine Eisenbahn dort bauen wollen. Alle sehr redliche Leute aus England und auch zum Theil aus Deutschland. Der Wind war bis jetzt günstig, so daß neben der Dampfkraft auch noch Segel angelegt sind.
Was sonst die Seefahrt mit sich bringt, will ich, wenn wir unter Gottes Schutz wohlbehalten in Afrika angekommen sind, schreiben, da ich das auf dem Schiff nicht kann, weil es zu sehr schwankt. Die eine Zeile schreibe ich vielleicht 6 Fuß über dem Wasser, die andere darin. Tische und Bänke sind festgeschraubt, oft rollen Teller vom Tisch herunter.
Die Schiffsmannschaft besteht aus einem Capitän, 3 Offizieren, 3 Köchen, 2 Metzgern, 1 Bäcker, vielleicht 8 bis 10 Diener, die unsere Stuben besorgen, die Speisen auftragen usw. und einer Anzahl Matrosen und Steuerleute. Schafe, Gänse, Schweine, Hühner, Enten, 1 Kuh sind zum Schlachten mitgenommen, dazu eine große Menge Gemüse aller Art. Die Ladung im untern Schiffsraum ist Frachtgut für die Capstadt.
Auf der Insel Madeira gebe ich diesen Brief an Euch ab.
Gott sei mit Euch, grüßt herzlich Flothmanns und die übrigen Nachbarn und Freunde. Bitte sagt auch den Pastoren Hawe und anderen, daß es mir bis Madeira gut ginge.
Es grüßt Euch herzlich Euer sich wohlbefindender Sohn und Bruder Johann Gerdener
Stellenbosch, 8. Nov. 1873
Liebe Mutter und Bruder!
Durch Herrn Pastor Schimmel werdet Ihr ein ausführliches Schreiben von mir erhalten. Seid unbesorgt um mich, es geht mir innerlich und äußerlich gut. Während es bei Euch vielleicht schneit und friert, steht hier alles im schönsten Sommerschmuck. Die Äpfel und Birnbäume blühen, die Weintrauben sind halb reif, ebenso die Bananen und Feigen. Die Apfelsinen Bäume brechen fast unter der Last zusammen. Kartoffeln, die es hier jährlich 4 mal neue gibt, sowie Strauch- und Stangenbohnen, Salat, Kappus, Wurzeln stehen wunderschön. Roggen und Weizen stehen in der Blüte, dagegen ist der Hafer schon gemäht. Die mehrere Morgen großen Weinberge und die zahlreichen Viehherden zeugen von einem außerordentlichen Reichtum der Bauern. Die Temperatur ist wie bei Euch im Mai, soll aber im Dezember sehr heiß werden. Saron, wohin ich vorläufig gehen werde, soll noch schöner sein als Stellenbosch.
Bitte recht bald zu schreiben, wie es Euch geht. Viele Grüße an Flothmanns, Bernhard Köster u.s.w., so auch an Onkel Hermann und Kinder.
Gott sei mit Euch und mit mir.
Es grüßt Euch herzlich Euer sich wohl befindender Sohn und Bruder
Johann Gerdener
Bitte um Entschuldigung, daß der Brief von Madeira nicht frankiert war, derselbe wurde von einem Dampfschiff mitgenommen, wo wir das Porto nicht bezahlen konnten.
Wupperthal, 29. Jannuar 1881
Herzlich geliebter Bruder und Schwägerin !
Es ist schon recht lange her, wo ich Euch das letzte Mal schrieb, deshalb drängt es mich, Euch wenigstens ein Lebenszeichen zukommen zu lassen. Ich erinnere mich an jene Zeit zurück, wo wir als Kinder im elterlichen Hause uns mitfreuten, wenn der Vater von seinen Brüdern aus Holland Briefe empfing und wie das jedesmal Festtage waren, wenn der Onkel aus Sellen kam, um gemeinschaftlich derartige Briefe zu beantworten. Wo ist die Zeit geblieben? Die Alten ruhen schon lange von ihrer Arbeit und wir Kinder gehören schon bald wieder zu den Alten, und vielleicht nur noch kurze Zeit, dann sind auch wir nicht mehr.
Doch wie damals der Vater froh war, von seinen Brüdern zu hören, so wirst auch Du als der einzigste, der in der Heimat verblieben, auch zufrieden sein, von einem Bruder aus dem fernen Afrika etwas zu vernehmen. Will Dir denn hiermit kund thun, daß ich mich mit Frau und Kindern recht glücklich fühle. Meine Frau steht mir liebend und helfend zur Seite. Unsere 3 Kinder Wilhelm, Hedwig und Heinrich spielen munter um uns herum. Meine Gesundheit ist jetzt ziemlich zufrieden stellend, obwohl ich recht viel Arbeit habe, worunter mein körperlicher Zustand mitunter etwas leidet. Wie Du weißt, bin ich nicht allein Prediger und Seelsorger, sondern auch Vorsteher von einem großen Bezirk Landes, wo ich im letzten Jahr für Erdarbeiten und Wasserwerke über 3.000 Mark an Tagelohn ausgab. Dieses Geld kommt aber nicht von Barmen, sondern wird hier verdient. Hätte ich einen guten Aufseher, den ich über solche Arbeiten setzen könnte, wäre mir viel werth, aber solche Leute sind nicht gut zu haben, weshalb ich alle Arbeiten selbst überwachen muß.
Unser Land ist fortwährend im Kriege, der uns nicht gerade berührt, aber doch schwere Steuern auflegt.
Daß Prinz Napoleon (* 16.03.1856 in Paris, + 1. 6.1879, er nahm 1879 am Zulukriege im Kapland teil und wurde auf einem Erkundungsritt getötet) hier seinen Tod gefunden, ist Dir wohl bekannt geworden? Und daß nachher die Exkaiserin (Eugenie, * 05.05.1826, + 11.07.1920, war seit 1853 die Gemahlin Kaiser Napoleons III., 1808-1873) hier war, um an Ort und Stelle, wo ihr Sohn durch wilde Barbaren getödtet, sich auszuweinen, hast Du vielleicht auch gehört? Augenblicklich sind wieder an 3 Stellen recht blutige Kriege ausgebrochen, und der Bruder meiner Frau steht ebenfalls als Feldprediger im Felde.
Vor einigen Wochen fiel der tüchtige deutsche Hauptmann, Herrn von Linsingen, nebst seinem Sohn, der ihn retten wollte. Es thut mir leid um den Mann, weil ich ihn persönlich kannte und er ein sehr lieber Mann war. Hätte er deutsche Soldaten gegen den Feind geführt, so hätten sie ihn herausgeschlagen, aber da seine Mannschaften aus Engländern und Afrikanern bestanden, die die Gefahr sahen, ließen sie ihren tapferen Hauptmann im Stich. Wären 2 Regimenter deutsche Truppen mit deutschen Offizieren hier, so wären alle die Kriege bald ausgefochten, jetzt aber sind sie ein wahres Kinderspiel, da die Engländer ihre Truppen anwerben und solche nehmen, die für nichts anders zu gebrauchen sind. Sie nehmen Leute, die kaum ein Gewehr handhaben und gar nicht eingeübt sind. Daß solche Leute, wenn Gefahr droht, auseinanderlaufen, wirst Du als alter Soldat gewiß begreifen.
Inspektor Fabri hat neulich mal geschrieben, daß man einen großen Krieg zur rechten Zeit mit einigen Dutzend guter Polizeidiener hätte verhindern können, und er hat ganz recht gehabt.
Während Ihr Euch vor der Kälte zu schützen sucht, herrscht hier eine gewaltige Hitze, so daß man sich ohne Sonnenschirm nicht wohl aus dem Hause wagen darf. Die Erndte ist in diesem Jahr beinah ganz vertrocknet, das Obst, was sonst meiner Gemeinde gute Dienste leistete, durch einen Hagelsturm meistens zu Grunde gerichtet, so daß wir sehr theuerer Zeit entgegen gehen.
Gerne würde ich wissen, wie die Brauer das deutsche Bier fabriciren, was in diesem heißen Lande so sehr entbehrt wird. Da ich sehr gute Gerste habe, es auch an gutes Wasser nicht fehlt, so glaube ich, selbst Bier machen zu können. Sei so gut und gib mir doch mal eine Beschreibung, wie man aus Gerste Malz macht, und laß Dir von einem Bierbrauer sagen, wie das Bier hergestellt wird, ich glaube, dann es selbst, wenigstens so machen zu können, daß es genießbar ist.
Wie geht es Dir denn mit Frau und Kindern? Weißt du etwas von Anna? Sie schreibt mir ziemlich geregelt, hat aber mehr Noth, um durchzukommen, wie sie klagt. Du bist gewiß in der Lage, ihr ein wenig helfen zu können. Vergiß das nicht, sie ist Deine einzige Schwester. Ich unterstütze ihr so viel ich kann, jedenfalls kannst Du als Erbe des elterlichen Nachlasses etwas mehr thun.
Grüße an die alten Bekannten dort: Flothmanns, Kösters, Beckers, Beckwilms, Boker, Kerkhof, Gerdeners in Sellen und im Haggarten. Leben sie alle noch? Grüße die Herren Schimmel, Grevel, Hawe und alle, die sich meiner erinnern. Gehst Du mit Deiner Frau fleißig zur Kirche? Und habt Ihr Hunger nach dem Lebensbrod, was Eurer Seele unentbehrlich ist? Früher waren die Hollicher fast alle geistlich todte Leute, die kein Ohr und kein Bedürfnis für das Edelste und unbedingt Nothwendige zur Seligkeit hatten. Wie steht es jetzt?
Lebt der Photograph H. Winter noch? Frage ihn dann, ob er im Stande ist, von unserm alten Gruppenbild 2 Bilder von Vater und Mutter in ungefähr 2 Fuß Durchmesser Größe herzustellen und was die ungefähr kosten werden.
Wenn Du meine Briefe nicht durch das Missionshaus schicken willst, so können sie auch direkt gehen. Das Porto ist dann 7 bis 8 Groschen, die Du wohl übrig haben wirst. Du mußt ein starkes Couvert nehmen und den Brief nicht zu schwer machen. Eine Adresse wie sie nach Afrika direkt nöthig ist, schließe ich ein. Ist Dir das Geld aber zuviel noch, schicke meine Briefe nur nach Barmen. Vor kurzem war Prinz Heinrich [Bruder Kaiser Wilhelms II., er war im I. Weltkrieg Generalinspekteur der Marine und starb als Großadmiral a. D. im Jahre 1929] mit einem deutschen Kriegsschiff hier gelandet. Da ich aber 14 Tage-Reisen von der Hafenstadt, wo er das Land betreten, entfernt wohne, habe ich ihn nicht sehen können.
In aufrichtiger Liebe:
Dein Bruder Johann Gerdener
Wupperthal, 27. Mai 1881
Herzlich geliebter Bruder!
Heut zu Tage geht alles mit Dampf, auch selbst die Post nach dem noch so unbekannten Afrika. Früher gebrauchten die Schiffe 7 bis 8 Monate von England bis hieher. Jetzt trotzen die Dampfschiffe Sturm und Wetter und fahren 20 Fuß tief gehend in 20, mitunter in 18 Tagen von England bis zum Kap. So kam es denn, daß ich Deinen ausführlichen Brief vom 18. April schon am 16. Mai hier auf Wupperthal empfing.
Was Du mir über die Photographien schreibst, ist ganz recht. Ich habe nicht gemeint, daß die Figur 2 Fuß Durchmesser haben muß, sondern der Rahmen. Und wenn die Figur 8 bis 9 Zoll groß ist, dann wird der Rahmen 4eckig oder rund, jedenfalls 15 bis 20 Zoll Durchmesser haben können. Wollte Dich nun bitten so gut zu sein und mir bei dem Photographen in Burgsteinfurt 2 Brustbilder zu bestellen, nämlich eins von dem verstorbenen Vater und eins von der verstorbenen Mutter, so groß wie die Bilder von der heimgegangenen Frau des Herrn Pastor Schimmel waren. Du schriebst, daß sie 14 bis 15 Zoll Durchmesser haben und 20 Mark kosten. Sorge nur, daß sie recht bald in Arbeit genommen und naturgetreu ausgeführt werden. Am liebsten würde es mir sein, wenn der Photograph sie einrahmen könnte. Kann er es nicht gut, so können es die Buchbinder Fürstenaw, wenn sie noch leben. Der Rahmen muß aber ganz dem Bilde entsprechend sein, und von guten Goldleisten gemacht. Die, welche ich hier habe von meinen Schwiegereltern, sind die Leisten 2 1/2 Zoll breit, wozu sie in etwa passen müssen. So bald die Bilder fertig sind, so lasse eine platte Kiste machen, etwas größer wie die Bilder, kaufe einige Tafeln Watte, füttere die Kiste damit aus, lege zwischen den Bildern noch einige Tafeln, so daß sie nicht schaben können und schicke sie per Eisenbahn unter der Adresse: Missionar J. Gerdener an das Missionshaus in Barmen. In diesen Tagen wird man Dir von Barmen ungefähr 40 Mark zu schicken, die ich dort mit der Bitte, sie Dir zu schicken, auszahlte. Bezahle damit die Bilder und schreibe mir alle anderen Unkosten, die ich Dir gerne zukommen lassen will. Empfange ich etwas Gutes, so will ich gerne noch einmal 40 Mark schicken, sind aber die Bilder schlecht, dann ist es weggeworfenes Geld. Will es mit dem Einrahmen nicht gehen, dann schicke sie nur ohne Rahmen, ebenfalls nach Barmen.
Sollten die Bilder gut werden und Du willst auch 2 haben, so kannst Du die folgenden jedenfalls billig bekommen. Sollte Anna gerne ein Paar haben wollen, so will ich ihr 2 schenken, wenn sie mir schreibt. Verstehe gut Deinen Bericht über die Fabrikation des Biers, fürchte aber, daß es nicht geht, weil ich kein Eis machen und keine Hefe bekommen kann. Hefe kennt man hier nicht und jede Hausfrau backt ihr Weißbrod mit Most von Rosinen.
Am 30. März d. J. wurde uns ein Söhnlein geboren, was in der h. Taufe den Namen Gustav Bernhard August empfing. Wir sind also jetzt reicher wie Ihr, da wir 4 Kinder, nämlich 3 Knaben und ein Mädchen haben. Ihre Namen sind Wilhelm, Hedwig, Heinrich und Gustav.
Sei mit Frau und Kinder aufs herzlichste gegrüßt und dem Herrn und Seiner Gnade befohlen von Deinem stets in Liebe verbundenen Bruder Johann Gerdener
Wupperthal, 10. November 1883
Herzlich geliebter Bruder, Schwiegerin und Kinder!
Vor einigen Wochen schrieb ich Euch, daß ich recht krank bin. Heute theile ich Euch mit, daß mir der Herr wunderbar wieder aufgeholfen hat. Ich bin wieder ziemlich wohl und habe am letzten Sonntag nicht allein gepredigt, sondern auch an 230 Personen das h. Abendmahl ausgetheilt und 12 Kinder getauft. Heute ist der 400ste Geburtstag des Dr. Martin Luther, dessen wir hier ebenso wohl wie Ihr in Deutschland gedenken. Die Festpredigt gedenke ich zu halten über Psalm 126, 3: "Der Herr hat Großes an uns gethan, deß sind wir fröhlich."
Großes an die evangelische Christenheit, Großes an die schwarzen Kinder Afrikas, die die Segnungen des Wortes Gottes, was durch Luther wieder auf den Leuchter gestellt wurde, zu Theil geworden ist. Großes hat der Herr auch an mir gethan. Er hat mir aufgeholfen und aufs Neue an die Arbeit gestellt. Möge mein Leben und mein Werk nur Ihm gehören.
Habt Ihr vielleicht den Missionsfreunden und Bekannten mitgetheilt, daß ich krank sei und zwar so, daß ich mich nach menschlicher Meinung dem Tode nahe glaubte, so theilt ihnen jetzt mit, daß mir der Herr wieder aufgeholfen und gebrauche als Arbeiter in Seinem Weinberge.
Hier ist es jetzt Erndtezeit. Der Hafer ist schon größtentheils geschnitten, und mit Weizen und Roggen ist ein Anfang gemacht. So lange ich in Afrika bin, haben wir noch nie so viel Regen gehabt wie in diesem Jahr. Wurde das Land in den früheren Jahren durch Dürre heimgesucht, so daß Tausende verarmten, ja etliche am Hungertode starben, so hat in Folge des Regens der Herr uns mit irdischen Gütern reich gesegnet. Die Erndte fällt sehr reich aus, und alle Noth hat der Herr gestillt. Es ist wunderbar mit einem Tropenlande. Ausgebrannt wie eine Wüste gleicht es 14 Tage nach einem guten Regen einem Paradiese. Alles blüht und grünt so prächtig, daß man sich nicht satt daran sehen kann. 1000de der herrlichsten Blumen, Schlingpflanzen und Ziersträucher, die man in Europa selbst in den botanischen Gärten vergeblich sucht, wachsen wild.
Ausgehungertes Vieh wird in einem Monat glänzend fett. Während in der trockenen Zeit an Milch, Butter und Honig nicht zu denken ist, haben wir jetzt alles in Überfluß. Wir besitzen einen Bienenstock, den ich in eine große Kiste gesetzt habe. Alle 4 Wochen lasse ich 30 bis 40 Pfund Honig herausnehmen und nach 4 Wochen ist die Kiste wieder voll. Das Gewicht des einen Stockes ist ungefähr 300 Pfund. Etwas was in Europa kaum vorkommt.
Dem Herrn die Ehre für alle Wohlthaten. Seid allesamt von uns gegrüßt und dem Herrn befohlen.
Euer Johann Gerdener. Herzliche Grüße an Herrn Pastor Schimmel, Grevel, Hawe, Jakob, Gyer u.s.w. sowie an unsere und Deiner Frau Familie.
Wupperthal, 11. April 1885
Lieber Bruder, Schwiegerin und Kinder!
Ende Januar empfing ich von Euch einen Brief, den ich jetzt endlich beantworten möchte.
Was die Photographien betrifft, so möchte ich, lieber Bruder, ersuchen, mir von den kleinen Album Bildern von 4 Zoll lang und zwei Zoll breit, die das Stück 75 Pfennige kosten, die Ansichten von der Stadt und dem fürstlichen Bagno zu schicken. Nachdem Du schriebst zu urtheilen, werden es 15 bis 20 Stück sein. Sage Herrn Bothe, im Fall er Landschaften aufgenommen hat, mir einige Ansichten davon beizusetzen. Schicke die Bilder, gut in einer Paquet verpackt, an das Missions Kontor in Barmen und bitte Herrn Kämpfer, für das weitere zu sorgen. Die Rechnung schicke ebenfalls nach Barmen, von wo aus man Dir das Geld zukommen lassen wird. Wenn ich die kleinen Bilder sehe, so kann ich die großen einigermaßen beurtheilen, und wenn sie mir gefallen, so werde ich, wills Gott, später einige von den großen kaufen.
In der Gemeinde geht es, Gott sei Dank, gut. Die Gottesdienste sind stets gut besucht, sowohl von Christen wie auch von Heiden. Selten, daß ein Platz in der Kirche leer ist, und Bänke und Wände zu predigen, kenne ich, Gott sei Dank, nicht. Das Weihnachtsfest, was in der allerheißesten Zeit fällt, gibt mir jedes Jahr, zumal die Festgenossen von 6 bis 10 Stunden Entfernung hier zusammen kommen, viel zu thun. Freilich darf ich nicht behaupten, daß alle Hunger nach dem Worte des Lebens hätten. Viele kommen aus Neugierde, weil hier ein Weihnachtsbaum gemacht wird, wo jeder freien Zutritt hat, da ein solches Ding in Afrika nicht bekannt, sondern erst durch die Missionare eingeführt wurde. Andere kommen um Medicin, weil ein Arzt eine Seltenheit und der Missionar auch zugleich Doktor sein muß. Bei solchen Gelegenheiten muß man darauf bedacht sein, vor allem den Heiden auch das Evangelium nahe zu bringen. Da ich mich nicht ganz wohl fühlte, bat ich von Tulbagh, wo augenblicklich 2 Missionare sind, um Hilfe, die mir auch gewährt wurde. Natürlich muß ich die Reisekosten, die hier zu Lande sehr groß sind, tragen, was aber gar nicht leicht ist, da dieselben sich für 4 Wochen Aushülfe auf 300 Mark beliefen. Seitdem arbeite ich nun wieder allein, und der Herr hat meine Gesundheit so weit gestärkt, daß ich am Osterfeste die Arbeit allein thun konnte.
Mein Kehlkopfleiden ist nicht gehoben und kann, menschlich gesprochen, auch nicht gebessert werden. Es ist lästig und hindert mich oft sehr, macht mir aber bis jetzt nicht ganz unfähig für meinen Beruf. Außerdem habe ich oft mit Schwindel und Kopfschmerzen zu thun. Ein Leiden, was ich mir durch die Hitze zugezogen habe, was aber in der kühleren Jahreszeit fast ganz verschwindet. Das Blut scheint mir, sich bei dem Europäer sehr zu verdünnen, wodurch man gegen Kälte sehr empfindlich wird. Mit April beginnt hier der Winter, wo die Temperatur den Euerigen im September gleichkommt. Eine sehr angenehme Zeit, nicht zu kalt und nicht zu warm. In dieser Zeit trage ich aber ziemlich dicke wollene Kleider in der Studierstube, beim Ausgehen einen mäßigen Überzieher, und beim Reiten muß ich von einem dicken Mantel, wie man ihn in Europa im Winter zu tragen pflegt, Gebrauch machen. Meine Frau und Kinder, die hier geboren sind, fühlen den Unterschied viel weniger. Unsere 5 Kinder: Wilhelm, Hedwig, Heinrich, Gustav und Mathilde sind recht gesund. Die drei ältesten gehen alle Tage zur Schule und lesen schon ziemlich gut, sprechen auch viel von Deutschland, können aber nicht begreifen, daß es so weit sein soll. Auch meine Frau ist, Gott sei Dank, recht wohl. Unsere Lebensweise ist ähnlich wie in Europa. Nur daß wir fast das ganze Jahr hindurch frisches Gemüse und Obst haben. Wir halten 2 Kühe, die uns Milch und Butter genug liefern, im Stall, ebenso Schweine, die wir mit Obst, Mehl und Eicheln mästen. Außer Schaf- und Rindfleisch gibt es noch Wild und Hühner. Letztere halten wir ziemlich 50 bis 60 Stück, weil Platz genug für dieselben vorhanden ist.
Unser Land ist durch anhaltende Dürre sehr heimgesucht, was um so mehr gefühlt wird, da dasselbe sich vom Ackerbau und Viehzucht nähren muß. Die Wein Anlagen haben ebenfalls sehr gelitten. Geld ist in Folge dessen sehr rar geworden und der Handel sehr schwach. Ich darf aber gar nicht klagen, sondern loben und danken, habe ich doch, ohne jeglichen Zuschuß von Barmen alle Ausgaben bestritten und im letzten Jahr einen Überschuß von 2.200 Mark der Gesellschaft zur Unterstützung der Wittwen und andern Stationen abgeben können. Hätte ich Pferde verkaufen können, dann wäre der Überschuß viel größer gewesen. Weil aber kein Geld im Lande, sind junge Pferde unverkaufbar. Kommen bessere Zeiten, dann sind sie wieder gesucht. Jetzt hat es hier auf Wupperthal ziemlich gut geregnet und alle Hoffnung auf bessere Zeiten sind vorhanden.
Deutschland hat sich in der elften Stunde noch aufgemacht, um Antheil an überseeische Länder zu haben und zwei von unseren Missions Stationen Bethanien und Rehoboth haben sich unter deutschen Schutz gestellt. Die deutschen Kriegsschiffe besuchen uns jetzt häufig, und demnächst werden wir wohl auch deutsches Militaer zu sehen bekommen. Möge dieser Schritt für Deutschland und Afrika zum Nutzen und Segen sein.
Suche mit Weib und Kind Jesum und sein Licht. Alles andere hilft Dir nicht! Grüße mit Gelegenheit die Herrn Pastoren Hawe, Gyer, Hilge, Husmann, Jakob und alle Freunde, die sich meiner erinnern. Ebenso die Nichten, Vettern, die Familien Floth- mann, die Familie Deiner Frau, wie alle, die nach mir fragen.
Seid allesamt von uns aufs herzlichste gegrüßt und dem treuen Gott und Vater in Christo Jesu befohlen.
In herzlicher Bruderliebe
Johann Gerdener.
Beim Missionshause habe ich für Euch und Hawe je 1 Exemplar des "Vergißmeinnicht" bestellt, was Ihr bald empfangen werdet.