HORROR DER DEKADENZ

EIN AMBITIONIERTES, SAUBER INSZENIERTES B-PICTURE

 

Im Jahre 1652 untersagte der König von Holland die Heirat innerhalb aristokratischer Familien. Seine Ärzte hatten entdeckt, daß das Blut seines adligen Standes durch Vererbung von Anämie, der Bluterkrankheit und anderen genetischen Schwächen verunreinigt wurde.

Doch Eva Van Daam war eine große Narzißtin. Unfähig, sich selbst einen Nachkommen zu schenken, gab sie sich dem Menschen hin, der ihr am nächsten war: ihrem eigenen Zwillingsbruder. Als sie vom Erlaß des Königs hörte, versammelte Eva Van Daam ihre ganze Familie, ihren Bruder, ihre Cousins, ihre Nichten und Neffen, und zog mit ihnen in die neue Welt. Dort ließ sie ein stattliches Herrschaftshaus erbauen. Im Laufe der Jahre schlossen sich die Tore des Anwesens für Außenstehende, und letztlich war die Erinnerung an die Famile Van Daam aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden ...

 

Dr. Marlow (Rutger Hauer) macht eine furchtbare Entdeckung

 Wenn Dan O'Bannon, der Drehbuchautor von DARK STAR und ALIEN, an einem Film mitarbeitet, dann kann er eigentlich nicht schlecht sein, und so ist der Genre-Fan geneigt, HEMOGLOBIN schon vorab eine Chance zu geben, obwohl er sich auf den ersten Blick kaum aus dem Wust der üblichen Videopremieren heraushebt. Rutger Hauers Einsatz als Hauptdarsteller hat ja auch mittlerweile nicht mehr viel zu bedeuten, da der verdiente Mime sich nur noch von B-Film zu B-Film durchkämpft. Was heiß "kämpft", eigentlich wird der agile JUGGER von einst immer träger und hat deutlich Fett angesetzt ( voriger Satz spiegelt natürlich nicht die Meinung des Homepageerstellers wieder). Hauer hat aber auch eher eine größere Nebenrolle, im Mittelpunkt steht nämlich Roy Dupuis, der uns als Partner von Peter Weller in SCREAMERS noch in bester Erinnerung ist. Dupuis spielt John Strauß, den Sproß einer alten Familie, der eine Insel an der US-Ostküste aufsucht, von der er stammen soll, doch keiner der Anwohner des kleinen grünen Eilands kennt jemanden, der Strauß heißt. Es sind ohnehin nur die Frauen (und Doktor Marlow alias Rutger Hauer) an Land, denn die ganze männliche Einwohnerschaft ist derzeit auf Fischfang. Während Johns Ankunft wird gerade von der örtlichen Bestattungsunternehmerin der Friedhof geleert, die Leichen siedeln aufs Festland um, weil die Behörden dahinterkamen, daß die geldgierige Lady zu mieses Holz für die Särge verwendet hat. Damit aber nimmt das Unheil auf der einsamen Insel seinen Lauf ...

HEMOGLOBIN ist ein Film, der sich langsam entwickelt, aber einer, der sich wirklich entwickelt und nicht nur dumme Genre-Klischees drischt. Zwar ist die Story mit Sicherheit nichts Neues, aber die Art und Weise, wie das Drehbuch sie in Gang bringt, wie plastische Charaktere entwickelt werden und eine überzeugende Küstendorf-Atmosphäre aufgebaut wird, hebt den Film, ohne daß er ein Meisterwerk wäre, weit über das Gros der Veröffentlichungen hinaus.

Schon der Beginn mit Bildern aus der Vergangenheit, als die Inzucht der Van Daams begann, ist stimmungsvoll und macht klar, daß man einen Film zu erwarten hat, der auch emotional durchaus etwas zu bieten hat. Die Van Daams verkamen in der Neuen Welt immer mehr und wurden zu Kannibalen. Vor 75 Jahren brannte die erboste Dorfbevölkerung ihren Herrensitz nieder, worauf sie sich in die unterirdischen höhlen der Insel zurückzogen und dort weiter degenerierten ...

Dieses Konzept erinnert ein bißchen an die Horror-Story "Die lauernde Furcht" von H.P.Lovecraft, die von B-Produzent Charles Band 1984 als LURKING FEAR (deutscher Titel SHOCKING FEAR) verfilmt wurde und ebenfalls von zu Höhlenmenschen mutierten inzüchtigen Hinterwäldlern handelt, die in einer abgelegenen Gegend Jagd auf Menschenfleisch machen. Auch der Familienhintergrund der männlichen Hauptfigur weist Parallelen auf.

Während Bands Film aber nicht mehr war als eine sauber inszeniert lange Nacht der Kretinmonster, gelingt Peter Svatek, dem Regisseur von HEMOGLOBIN, einiges mehr. Er und seine Drehbuchautoren versuchen nie auf der reinen Monsterschiene zu reiten, Schon durch die Pre-Sequenz aus der Vergangenheit schwebt vor dem inneren Auge des Zuschauers das Bild einer einst hocharistokratischen, genußsüchtigen, im wahrsten Sinne des Wortes in sich selbst verliebten Familie, die sich über die Zeiten immer mehr von menschlichen Maßen entfernt hat, aber trotz ihres monströsen Aussehens noch immer menschlich ist. Somit sind Ungeheuer ein Spiegelbild dessen, das wir werden können, wenn wir bestimmten Umständen ausgesetzt sind, und genau wie bei Lovecrafts Erzählung liegt darin das Erschreckende.

Die persönliche Verbindung zwischen dem Zuschauer und den Monstern schafft der Held John, der natürlich nicht Strauß heißt, sondern ein später "normaler" Sprößling des Van-Daam-Klans ist. Und als solcher leidet John unter großer Blutschwäche und reagiert allergisch auf Sonnenlicht. Und dann ist da noch diese Gier, dieser Hunger, nach etwas, das weder ein üppig belegtes Sandwich noch der Sex mit seiner Frau stillen kann ...

 

 

Im Höhlenlabyrinth unter der Insel stoßen

Dr. Marlow (Rutger Hauer) und Kathleen Strauß (Kristin Lehman)

auf die Brut des Grauens.

 

 

Horror-Fans sollten sich HEMOGLOBIN unbedingt ansehen, weil dieser Film etwas darstellt, was heutzutage selten geworden ist: nämlich einen B-Film, bei dem alle Beteiligten an einem Strang ziehen und etwas schaffen, das innerhalb seiner Grenzen gelungen und sogar ein bißchen innovativ ist. Und das ist mehr als man von vielen Hollywood-Großproduktionen sagen kann, die zwar mit Effekten um sich schmeißen, aber sich inhaltlich in Wirrnis stürzen oder mit Platten Formeln begnügen.

Innovativ an HEMOGLOBIN ist z.B. das Ende, das hier nicht verraten werden soll, das aber eine willkommene Abwechslung darstellt im Wust der ewigen Ätsch-das-Monster-schlägt-doch-wieder-zu-Schlußpointen. Da erweist sich HEMOGLOBIN endgültig als ein modernes, so schwarzhumoriges wie tieftrauriges Gruselmärchen, das den Zuschauer mit leichtem Schauder zurückläßt, der nicht nur dank der melancholischen Abspannmusik noch eine Weile anhält.

 

 

USA 1996

Auslieferung: 9. März 1998

Vertrieb: BMG VIDEO / UFA

Länge: 89 Minuten

FSK: ab 18 Jahren.

 

 

 

Quelle: MOVIESTAR - Ausgabe 4 - April 98

 

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