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Meine Welt. Die Welt der Depressionen
von Yiovanna

Das Alleinsein, der Verlust der Menschen die zuvor immer für mich da gewesen waren, die zu meinem Leben gehört hatten, zog mich in eine Depression, die immer schlimmer zu werden schienen. Klar, ich steigerte mich fürchterlich in mein Tief hinein, glaubte niemals wieder eine fröhliche Seite des Lebens zu erfahren, nur immer tiefer zu sinken. Wer konnte oder sollte mich da jetzt auch noch herausholen, mir seine Hand entgegenstrecken, an der ich mich hätte wieder hochziehen können? Jetzt, wo doch alle geflüchtet waren. Mit dieser "außergewöhnlichen" Situation konnte schließlich niemand so recht umge-hen, viele fürchteten selbst mit in diese Dunkelheit gezogen zu werden. Also gingen sie lieber auf Distanz, verschlossen die Augen vor dem, was man nicht sehen wollte. Denn was man nicht sieht, existiert auch nicht. Was war schon mit mir? Mir ging es doch gut?

Ja sicher, mir ging es gut, weil keiner meine Traurigkeit sah, jeder mich oberflächlich behandelte. Denn sich wirklich um mich sorgen, mir wirklich zuhvren wollte niemand. "Wenn ich mir das zumute und darüber nachdenke, wie gut es mir selber eigentlich geht und wie schlecht es mir gehen könnte, trifft es mich noch selber", diese Gedan-ken sah man den anderen, den Glücklichen, direkt an. Ich fühlte mich so schwach, sowohl körperlich als auch seelisch, ich war allein. Ta-gelang verkroch ich mich. Blieb zu Hause, blieb in meinem Zimmer, wollte niemanden sehen. Schließlich wollte ich selbst allein sein, ich wollte mich abgrenzen. Irgendwann war ich an dem Punkt angekommen, an dem ich glaubte mir bliebe nur die Einsamkeit. Ich hatte mich schon dermaßen isoliert, dass jeder andere eine Gefahr für mich darstellen zu schien. Alle übergingen meine seelische Verfassung, andere aber erkannten sie und rieten mir etwas zu ändern. Sagten mir indirekt, ich sei selber schuld an meinem E-lend. Na danke, das habe ich jetzt gerade noch gebraucht! Lasst mich doch alle in Ruhe, lasst mich allein, ich brauche euch und eure noch so weisen Ratschläge nicht, ich brauche niemanden!!! Meine Mitmenschen waren mir plötzlich Feinde geworden, doch um mich zu verteidi-gen war ich zu schwach. Ich verbarrikadierte mich also, zu meinem eigenen Schutz. Ich begann meine Ein-samkeit zu mögen, konnte mir gar nicht mehr vorstellen, wie es war, mich den Men-schen zu öffnen. Mich unter sie zu mischen war undenkbar. Ich hatte mir meine eigene kleine Welt geschaffen, die ich vor allem Unheil, der an-deren, gefährlichen, bedrohlichen Welt schützte . Ich schuf einen Schutzwall um mich und genoss die Ruhe. Ich widmete mein Leben nur mir selbst, kein anderer durfte daran teilhaben. Keiner, der meine Welt durcheinander hätte bringen können. Ich liebte meine eigene, geordnete Welt.

In dieser Zeit ging ich oft in die Stadt - allein natürlich -, es war damals Herbst und wurde früh dunkel. In der Dunkelheit konnte mir niemand ansehen, wie es mir ging, ich versteckte mich tagsüber zu Hause in meinem Zimmer und sobald es dämmert wagte ich mich hinaus, versteckte mich eingekuschelt in dicken Pullovern und Schals in der Dunkelheit. Außerdem hörte ich viel Musik, dachte über das Leben nach, schrieb Gedichte und arbeitete viel für die Schule. Der einzige Ort, an dem ich nicht für mich sein konnte. Schulpflicht, meine einzige Verpflichtung. Also machte ich das Beste daraus, keiner sollte etwas an mir auszu-setzen haben. Ich wollte unanfechtbar sein und schlechte Noten wären doch ein Zeichen dafür gewesen, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Ich wollte undurch-schaubar sein, schauspielerte meinen Mitmenschen vor, mir ginge es gut. "Kein Grund zur Sorge, stellt bloß keine Fragen und lasst mich in Ruhe, ALLE!" Irgendwie bin ich dann doch aus meiner Welt - meinen Horrorzug- ausgebrochen, habe die Notbremse gezogen. Ich baute mir eine Brücke, die meine eigene und die eigentlich, "große" Welt verband. Gelegentlich betrat ich diese Welt. Aber nur selten.

Ich machte mich langsam mit all dem, was ich hinter mir gelassen , wovon ich mich ausgeschlossen hatte, wieder vertraut und betrat diese eigentliche Welt immer öfter, Ich wurde wieder stärker . Allmählich schwand die Angst die sich in mir aufgebaut hatte. Doch die Brücke die mich noch immer mit meiner "Trümmerwelt" verband blieb bestehen . Längst halte ich mich viel öfter und länger in der für mich neuen, aber ja schon immer da gewesenen Welt auf die ich einst verließ, doch die verbindende Brücke, die ich mir schuf ist unzerstörbar. Es ist nicht möglich sie abzureißen und so flüchte ich noch heute immer wieder, wenn ich keinen anderen Ausweg finde, gejagt, vertrieben, ge-scheucht durch mein Leben irre, in "Meine Welt", die Welt der Einsamkeit, die Welt der Depressionen.

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