Werden die Karten in der Rheumatherapie neu gemischt?

von Win Chit Oo

Sulfasalazin, Methotrexat, Gold, Hydroxychloroquin, vielleicht noch Ciclosporin und Penicillamin - das sind die wichtigsten Basistherapeutika in der Rheumatologie. Die Fachwelt wird sich bald einen weiteren Namen merken müssen: Leflunomid, ein Hemmstoff der Pyrimidinsynthese hat in den Vereinigten Staaten die Zulassungshürden genommen und ist dort am 12. Oktober als AravaÒ eingeführt werden. In der Europäischen Gemeinschaft befindet es sich seit Februar im zentralen Zulassungsverfahren und könnte im Sommer 1999 auch in Deutschland verfügbar sein

Mit AravaÒ möchte die Frankfurter Hoechst-Gruppe von den weltweit mehr als 6 Millionen Polyarthritispatienten (etwa 1% der Bevölkerung) profitieren; das Unternehmen hofft, besonders den Anbietern von Sulfasazin- und Methotrexatpräparaten den Rang ablaufen zu können : Rund 750 Mio. DM jährlich soll die Novität in die Konzernkassen spülen, wenn sie erst einmal in den wichtigsten Märkten (USA, Japan, Deutschland, Großbritannien) zugelassen ist. Ein ambitiöses Ziel, denn gegenwärtig wächst der Markt der Basistherapeutika nur moderat (in der Bundesrepublik von 51,6 auf jetzt 55 Mio. DM) und therapeutische Neuerungen wie monoklonale Antikörper gegen den Tumonekrosefaktor a (z. B. Etanercept (EnbrelÒ )oder Centocors Infliximab (RemicadeÒ ) könnten die forsche Prognose verdüstern.

Paul Emery aus Leeds, eine Autorität in Sachen Polyarthritis ist weniger euphorisch; zwar nennt er (so das Fachblatt Scrip) Leflunomid eine "major addition" für das Repertoire der Basistherapeutika, allerdings als Mittel der ersten Wahl will er den neuen Wirkstoff nicht einsetzen.

Die Zurückhaltung mag überraschen, denn in plazebokontrollierten Studien, im Vergleich mit den Hauptwidersachern Sulfasalazin und Methotrexat hat sich Leflunomid achtbar geschlagen: das gilt gleichermaßen für Frühformen der rheumatoiden Arthritis und für Fälle, bei denen die Krankheit schon mehr als zwei Jahre besteht; drei große klinische Studien aus Nordamerika, Europa und Südafrika belegen die Wirksamkeit des neuen Mittels, selbst wenn man harte Parameter heranzieht, die röntgenologische Verlaufskontrolle erkrankter Fuß- und Fingergelenke beispielsweise. Gerade die schleichende Zerstörung dieser Gelenke macht viele Rheumapatienten schließlich zu Invaliden. Glaubt man einer Arbeitsgruppe amerikanischer Rheumatologen, bremst Leflunomid, im Röntgenbild nachweisbar, die fortschreitende Gelenkdestruktion besser als Methotrexat.

Erhöhte Leberwerte, Haarausfall, Diarrhoen, Rush, seltener ein leichter Blutdruckanstieg; für ein Immunsuppresivum, das die Pyrimidinsynthese hemmt, klingt das Spektrum der häufigsten Nebenwirkungen eher günstig, jedenfalls wenn man es an den Risiken einer Methotrexattherapie mißt. Prof. Scott vom King´s College in London vergaß denn auch nicht, das vorteilhafte Verträglichkeitsprofil auf dem ACR-Kongress in San Diego gebührend zu würdigen. Gewiß, Leflunomid ist hepatotoxisch, ein Transaminasenanstieg nicht unbedingt selten. Für Rheumatologen jedoch ist das ein handhabbares Risiko, denn Sulfasalazin und Methotrexat erfordern ebenfalls eine regelmäßige Kontrolle der Leberfunktion.

Leflunomid ist eine Präkursorverbindung, die im Serum nur in geringen Konzentrationen vorkommt; die klinische Wirkung geht von einem aktiven Metaboliten A77 1726 aus, einem Nitril, das durch Spaltung des Isoxazolrings aus der Muttersubstanz entsteht und eine Halbwertszeit von gut zwei Wochen besitzt.

Die lange Halbwertszeit des Wirkmetaboliten A77 1726 ist nur scheinbar ein Nachteil, auch wenn überraschend Nebenwirkungen auftreten: die Substanz wird überwiegend mit der Gallenflüssigkeit ausgeschieden und unterliegt einem enterohepatischen Kreislauf. Notfalls läßt sich A77 1726 mit Aktivkohle oder Cholestyramin innerhalb von zwei Tagen weitgehend aus dem Organismus entfernen.

Die lange Halbwertszeit hat sogar ihr Gutes; sie ermöglicht ein einfaches Therapieschema: in den ersten drei Tagen nehmen die Patienten zur Aufsättigung einmal täglich 100 mg Leflunomid, danach als Erhaltungsdosis einmal 20 mg jeden Tag. Angepaßt an diese Dosierungsschema ist AravaÒ in drei Stärken verfügbar: als 10-, 20- und 100mg-Tablette.

Trotz aller Fanfarenklänge - Leflunomid hat auch Nachteile, die Teratogenität beispielsweise: Frauen im gebärfähigen Alter sollten das Präparat nur erhalten, wenn eine zuverlässige Empfängnisverhütung gewährleistet ist. Und wer sich zu einem Kind entschließt, muß sich erst einer Entgiftungstortur unterziehen: 8 g Cholestyramin dreimal täglich - 11 Tage lang bis der Plasmaspiegel des Wirkmetaboliten unter 0,02 mg/Liter liegt. Das etablierte Sulfasalazin bietet da entscheidende Vorteile: Es kann auch während der Schwangerschaft genommen werden.

Auch sonst bleibt einiges unklar: A77 1726 erhöht die Plasmakonzentration von freiem Ibuprofen und Diclofenac, verbreitete Antirheumatika, mit denen Rheumapatienten ihre Schmerzen bekämpfen. Da ist die Frage nach häufigeren Nebenwirkungen dieser Mittel durchaus berechtigt.

Wo hat nun Leflunomid seinen Platz? Um eine spontane Einschätzung gebeten, möchten es deutsche Rheumatologen bei Patienten einsetzen, die mit etablierten Mitteln nicht zurechtkommen. Eine zusätzliche Behandlungsoption, kein Präparat, das die Therapie umkrempeln wird. Tatsächlich, vielen Patienten, deren Krankheit mit Sulfasalazin oder Methotrexat alleine nicht zu beherrschen ist, helfen ausgefeilte Kombinationstherapien beider Medikamente weiter. Hoechst hat diesen Trend in der Rheumatologie erkannt und arbeitet ebenfalls an Kombinationsstudien.

 

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