Neue Schlankheitsmittel - ein Milliardenmarkt

Win Chit Oo und Dr. Martin Baumgärtner

 

Letzte Meldung: Orlistat kommt am 21. 09. 98 in deutsche Apotheken.  

Allerletzte Meldung: Früher als erwartet, Orlistat ist da; eine Packung mit 42 Kapseln kostet 105,00 DM (EK 69,43); eine Packung mit 84 Kapsen 198,00 DM (EK 131,30).  

Schon mäßiges Übergewicht, in den Industriestaaten die häufigste Stoffwechselerkrankung schlechthin, gilt als Wegbereiter für Leiden wie Zuckerkrankheit, Bluthochdruck, Arteriosklerose, Gicht und vorzeitigen Gelenkverschleiß. Die Folgen der Völlerei verschlingen zwischen 5 und 10% des Gesundheitsbudgets: 100 Milliarden US$ sollen es jährlich in den Vereinigten Staaten sein.

Medikamente, die die Körperfülle wirksam begrenzen könnten, sind deshalb ein dringendes medizinisches Bedürfnis. Allerdings, die Schlankmacher der Vergangenheit, allesamt Verwandte der Aufputschdroge Amphetamin, haben sich als risikoreich und wenig wirksam erwiesen. Sie sind alle vom Markt verschwunden. Welche Gefahren von diesen Mitteln ausgehen, zeigt schlaglichtartig das Verbot von Dexfenfluramin (Isomeride) und Fenfluramin 1997. Beide Präparate, von unbedarften Presseleuten zu „Lifestyledrogen“ hochgeschrieben, sollen, so die Indizien, die Herzklappen schädigen. Todesfälle hat es gegeben und amerikanische Anwälte rüsten jetzt zu Schadensersatzklagen in Millionenhöhe.

Neue Arzneimittel, die 1998 und 1999 auf diesen umsatzträchtigen Markt drängen, könnten erstmals seit Jahrzehnten einen Fortschritt einläuten: Orlistat, eine Entwicklung des Basler Pharmariesen Hoffmann La Roche, die mittelfristig weltweit eine Milliarde Jahresumsatz einspielen könnte, soll mit einem neuartigen Wirkprinzip die Kalorienflut senken: anders als die gescheiterten Amphetaminverwandten, die die Wahrnehmung von Hunger im Gehirn unterdrücken, hemmt der Stoff die fettspaltenden Verdauungsenzyme, die sogenannten Lipasen; die im Dünndarm die Fette erst in Bruchstücke zerlegen, die der Körper verwerten kann; ein Teil des Nahrungsfetts wird deshalb unverdaut wieder ausgeschieden und belastet das Kalorienkonto nicht. Orlistat nutzt auch das Prinzip von Belohnung und Strafe: Nur wer Butterstullen und Schlachtplatten konsequent meidet, kann mit einer beschwerdefreien Verdauung rechnen; Disziplinlose müssen sich dagegen auf schmierige Durchfälle einstellen; sogenannte Fettstühle.
Trotz des vielversprechenden Wirkprinzips, Orlistat hat bei der amerikanischen Arzneimittelbehörde zunächst Stirnrunzeln und kritische Fragen ausgelöst: der böse Verdacht, die Substanz könne Brustkrebs fördern, machte die Runde. In der Basler Konzernzentrale von Hoffmann La Roche stoßen solche Bedenken auf Unverständnis. Xenical, so der künftige Handelsname von Orlistat, wird nämlich aus dem Darm nicht in den Organismus aufgenommen und sollte schon deshalb vergleichsweise risikoarm sein. Trotz der Querelen in Amerika, die Chancen stehen gut, daß Orlistat in der zweiten Jahreshälfte in deutsche Apotheken kommt. Eine Vorreiterrolle hat Neuseeland übernommen, dort ist das Mittel seit einigen Wochen am Markt. Mittlerweile bahnt sich auch in den USA ein Umdenken an: die Arzneimittelbehörde hat kürzlich die Zulassung in Aussicht gestellt - trotz anhaltender Kontroversen unter den eigenen Experten.

Bei manchen Patienten dürfte Orlistat wegen der Fettstühle, die es verursachen kann, wenig Anklang finden. Eine therapeutische Alternative ist gefragt; sie kommt von der BASF-Tochter Knoll in Ludwigshafen: ihr Wirkstoff Sibutramin, ursprünglich als Mittel gegen Depressionen gedacht, hat im November 1997 die hohen Zulassungshürden in Amerika genommen und ist dort unter dem Warenzeichen Meridia verfügbar. Deutsche Kun- den, müssen noch bis zum Herbst 1998 warten, ehe sie mit Reductil (wie Sibutramin in Deutschland heißen wird) abnehmen können. Das Mittel dämpft ähnlich wie frühere Präparate das Hungergefühl direkt im Gehirn. Teuere 125,- DM soll die kleinste Packung mit 28 Kapseln in Deutschland kosten. Auch wenn die gesetzlichen Krankenkassen keine Kosten übernehmen sollten, Sibutramin verspricht Erlöse in dreistelliger Millionenhöhe, schon weil es die Lücke füllen kann, die Dexfenfluramin und Fenfluramin hinterlassen haben: Knoll rechnet, wenn das Produkt erst einmal weltweit vermarktet wird, mit Jahresumsätzen von rund 700 bis 900 Millionen DM.

Bei aller Umsatzeuphorie, eine dauerhafte Gewichtsabnahme ist auch mit Sibutramin und Orlistat nur zu erzielen, wenn sie als Teil eines ausgefeilten Therapiekonzepts eingesetzt werden, bei dem die Umstellung der Eßgewohnheiten und körperliche Bewegung die Hauptrolle spielen. Ob sie Übergewichtigen tatsächlich helfen werden, hängt auch von den Marketingstrategien ab, die Knoll und Hoffmann La Roche verfolgen werden: sie müßten eine Änderung des Lebensstils thematisieren.

Last update: September 14th, 1998

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