new NSARs by Win Chit Oo, November 3, 1997


Neue Rheumamittel - ist die Euphorie berechtigt?


von Dr. Martin Baumgärtner und Win Chit Oo

 

Rheumapatienten sind oft auf schmerzstillendeArzneimittel angewiesen, um ein erträgliches Leben führen zu können. Über 200 Wirkstoffe sind weltweit im Handel, einige gelten als unverzichtbar. Groß ist auch die wirtschaftliche Bedeutung solcher Präparate, die in der Fachsprache „nichtsteroidale Antirheumatika“ heißen; rund 400 Mio. DM setzt die pharmazeutische Industrie hierzulande damit um.

 

Klassische Rheumamittel - Schmerzkiller mit Risiken

Rheumamittel können schwerwiegende Nebenwirkungen hervorrufen; Oberbauchbeschwerden, Magengeschwüre und Blutungen, Nierenversagen und Asthmaanfälle. Besonders bei älteren Menschen ist das Risiko, ein Magengeschwür zu entwickeln, auf das Vierfache erhöht und einer von zweihundert Patienten, die regelmäßig Antirheumatika nehmen, muß mit einer Klinikeinweisung rechnen. Kein Zweifel also, es besteht ein dringendes Bedürfnis nach besser verträglichen Rheumapräparaten, das von den heute verfügbaren Mitteln nicht erfüllt wird. Welchen Stellenwert das Verträglichkeitsproblem hat, zeigen die Werbeaussagen der Pharmaindustrie: noch jedes neue Antirheumatikum der vergangenen Jahre ist einer gutgläubigen Ärzteschaft mit dem Anspruch verkauft worden, besser verträglich zu sein als ältere Präparate.

Neue Rheumamittel ein Durchbruch?

Jetzt allerdings zeichnet sich ein Durchbruch ab, der fast alle heute verfügbaren Rheumapräparate zum alten Eisen kehren und auch den Markt für freiverkäufliche Schmerzmittel tiefgreifend verändern könnte. Verschwinden wird nicht das altbewährte Aspirin, das ja auch Herzinfarkt und Schlaganfall verhüten hilft, vielleicht aber die Newcomer der letzten Jahre, die kühn Verträglichkeitsvorteile reklamiert haben, wo es nur marginale Verbesserungen gegeben hat.

Die Substanzen, die den großen Fortschritt verheißen, bezeichnen Arzneimittelforscher als spezifische Hemmstoffe der Zyklooxygenase 2 (oder kürzer - spezifische COX-2-Inhibitoren); die Mittel repräsentieren eine neue Generation von Antirheumatika, die nicht die typischen Nebenwirkungen der heute gebräuchlichen Präparate verursachen. Sie werden derzeit in klinischen Studien erprobt und sollten noch vor der Jahrtausendwende die Rheumapatienten erreichen; vor allem Nebenwirkungen am Magen-Darm-Trakt wie Geschwüre und Blutungen gehören dann wahrscheinlich der Vergangenheit an.

Rheumamittel, wie sie wirken

Dieser Fortschritt ist möglich geworden durch wichtige Entdeckungen zum Wirkungsmechanismus der Antirheumatika. Vane hat bereits 1971 das Enzym Zyklooxygenase gefunden, ein Eiweißmolekül, das die Bildung von kurzlebigen Gewebshormonen, den Prostaglandinen, überall im Organismus steuert. Prostaglandine sind maßgeblich an Entzündungsprozessen beteiligt, wie sie etwa bei der Rheumakrankheit ablaufen. Sie schützen aber auch die Magenschleimhaut vor den aggressiven Verdauungssekreten und gewährleisten eine ausreichende Nierendurchblutung. Rheumamittel wirken, indem sie die Zyklooxygenase hemmen und damit die Prostaglandinbildung unterdrücken, was die schmerzhaften Entzündungsprozesse dämpft, aber auch den Schutz der Magenschleimhaut beeinträchtigt und damit Magengeschwüren Vorschub leistet. So sind erwünschte und unerwünschte Wirkungen eng miteinander verzahnt.

Die Zyklooxygenase 2

Anfangs der neunziger Jahre ist nun eine zweite Zyklooxygenase gefunden worden, die unter Wissenschaftlern kurzerhand „COX-2“ heißt. Dieses Protein kommt normalerweise nur in wenigen Geweben vor, wird aber vor allem bei Entzündungsvorgängen neu gebildet und setzt dann am Entzündungsherd, z. B. in der Gelenkinnenhaut, Prostaglandine frei, die dort Schmerzen und andere Entzündungszeichen unterhalten. Die früher entdeckte Zyklooxygenase (die wissenschaftlich jetzt COX-1 heißt) regelt dagegen die Grundversorgung des Organismus mit Prostaglandinen. Beide Zyklooxygenasen unterscheiden sich in ihrer Aminosäuresequenz und ihrem räumlichen Aufbau. Trotzdem hemmen alle herkömmlichen Rheumamittel beide Enzyme nahezu gleich stark.

Wenn es nun gelänge, die Zyklooxygenase 2 (COX-2), das Eiweißmolekül also, das durch Entzündungsreize, z. B. in den Gelenken entsteht, gezielt zu blockieren, ohne das Isoenzym (COX-1) zu hemmen, hätte man Medikamente an der Hand, die nur den Schmerz und die Entzündung unterdrücken, nicht jedoch die Schutzfunktion der Prostaglandine, dort, wo sie gebraucht wird. Tatsächlich ist es gelungen, solche selektiven Wirkstoffe herzustellen: Celecoxib und MK-0966 sind zwei Beispiele.

Neue Indikationen?

Wie das angesehene Fachblatt „Drugs“ hervorhebt, reicht das therapeutisches Potential dieser neuen Stoffe aber möglicherweise noch weiter, nämlich bis zur Vorbeugung gegen Dickdarmkrebs; dazu muß man wissen, daß dem Aspirin aber auch anderen Rheumamitteln eine Schutzwirkung gegen solche Karzinome zugeschrieben wird, an deren Entwicklung Prostaglandine beteiligt sind. Allerdings verbietet sich eine jahrelange Einnahme herkömmlicher Antirheumatika lediglich zur Krebsvorbeugung: die Gefahr von Geschwüren und Blutungen im Magen-Darm- Trakt stünde in keinem angemessen Verhältnis zum Risiko, tatsächlich einen Darmkrebs zu entwickeln. Selektive Hemmstoffe der Zyklooxygenase 2 könnten eine solche Vorbeugung ermöglichen, ohne daß unvertretbare Risiken in Kauf genommen werden müßten.

Bei aller Euphorie, Ärzte und Patienten solten nicht vergessen, daß auch die neuen Substanzen, ihre Überlegenheit im klinischen Alltag noch werden beweisen müssen.

Rheuma online: Informationen für Ärzte und Patienten

Gentherapie, eine weitere Hoffnung?

Auch die neuen Rheumamittel, von denen bisher die Rede war, lindern nur die Symptome, am Verlauf der Erkrankung ändern sie nichts. Dazu ist man auf eine zweite Kategorie von Medikamenten angewiesen, die unter Fachleuten Basistherapeutika heißen. Goldsalze gehören dazu, ebenso Mittel aus der Krebstherapie oder Transplantationsmedizin. sie bremsen die zerstörerische Aktivität des Immunsystems, können das Fortschreiten der Rheumakrankheit verzögern, Heilung jedoch bieten auch sie nicht.

Trotz vieler Fortschritte, nicht allen Rheumapatienten kann die Schulmedizin helfen. Da ist es gut, daß sich auch bei den Behandlungsstrategien, die sich gegen den eigentlichen Krankheitsprozeß richten, der Basistherapie neue Chancen andeuten. Ein Verfahren bedient sich der Gentechnologie: in die Zellen der Gelenkinnenhaut wird ein fremdes Gen eingeschleußt, das die Bildung bestimmter Proteine veranlaßt. Diese gelangen direkt in den Gelenkspalt und sollen als Gegenspieler anderer Eiweißmoleküle, sogenannter Interleukine wirken, die dort die chronische Gelenkentzündung unterhalten. Gewiß, dieser Therapieansatz, den die Universität Pittsburgh und das Düsseldorfer Unternehmen Orthogen jetzt auch an deutschen Patienten erproben, klingt verheißungsvoll, ja revolutionär, schon weil er sich einer Zukunftstechnologie bedient; er muß deshalb nicht erfolgreich sein; allerdings, ihn als Außenseitermethode abzutun, wäre verfrüht.

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