Rheumapatienten sind oft auf schmerzstillendeArzneimittel angewiesen, um ein erträgliches Leben führen zu können. Über 200 Wirkstoffe sind weltweit im Handel, einige gelten als unverzichtbar. Groß ist auch die wirtschaftliche Bedeutung solcher Präparate, die in der Fachsprache „nichtsteroidale Antirheumatika“ heißen; rund 400 Mio. DM setzt die pharmazeutische Industrie hierzulande damit um.
 
Klassische Rheumamittel - Schmerzkiller mit Risiken
Rheumamittel können schwerwiegende Nebenwirkungen hervorrufen; Oberbauchbeschwerden,
Magengeschwüre und Blutungen, Nierenversagen und Asthmaanfälle. Besonders bei älteren
Menschen ist das Risiko, ein Magengeschwür zu entwickeln, auf das Vierfache erhöht und einer
von zweihundert Patienten, die regelmäßig Antirheumatika nehmen, muß mit einer Klinikeinweisung rechnen.
Kein Zweifel also, es besteht ein dringendes Bedürfnis nach besser verträglichen Rheumapräparaten,
das von den heute verfügbaren Mitteln nicht erfüllt wird. Welchen
Stellenwert das Verträglichkeitsproblem hat, zeigen die Werbeaussagen der Pharmaindustrie:
noch jedes neue Antirheumatikum der vergangenen Jahre ist einer gutgläubigen Ärzteschaft mit
dem Anspruch verkauft worden, besser verträglich zu sein als ältere Präparate.
Neue Rheumamittel ein Durchbruch?
Jetzt allerdings zeichnet sich ein Durchbruch ab, der fast alle heute verfügbaren Rheumapräparate
zum alten Eisen kehren und auch den Markt für freiverkäufliche Schmerzmittel tiefgreifend
verändern könnte. Verschwinden wird nicht das altbewährte Aspirin, das ja auch Herzinfarkt und
Schlaganfall verhüten hilft, vielleicht aber die Newcomer der letzten Jahre, die kühn
Verträglichkeitsvorteile reklamiert haben, wo es nur marginale Verbesserungen gegeben hat.
Die Substanzen, die den großen Fortschritt verheißen, bezeichnen Arzneimittelforscher als
spezifische Hemmstoffe der Zyklooxygenase 2 (oder kürzer - spezifische COX-2-Inhibitoren);
die Mittel repräsentieren eine neue Generation von Antirheumatika, die nicht die typischen
Nebenwirkungen der heute gebräuchlichen Präparate verursachen. Sie werden derzeit in
klinischen Studien erprobt und sollten noch vor der Jahrtausendwende die Rheumapatienten
erreichen; vor allem Nebenwirkungen am Magen-Darm-Trakt wie Geschwüre und
Blutungen gehören dann wahrscheinlich der Vergangenheit an.
Rheumamittel, wie sie wirken
Dieser Fortschritt ist möglich geworden durch wichtige Entdeckungen zum Wirkungsmechanismus
der Antirheumatika. Vane hat bereits 1971 das Enzym Zyklooxygenase gefunden, ein
Eiweißmolekül, das die Bildung von kurzlebigen Gewebshormonen, den Prostaglandinen, überall
im Organismus steuert. Prostaglandine sind maßgeblich an Entzündungsprozessen beteiligt,
wie sie etwa bei der Rheumakrankheit ablaufen. Sie schützen aber auch die Magenschleimhaut
vor den aggressiven Verdauungssekreten und gewährleisten eine ausreichende Nierendurchblutung.
Rheumamittel wirken, indem sie die Zyklooxygenase hemmen und damit die Prostaglandinbildung
unterdrücken, was die schmerzhaften Entzündungsprozesse dämpft, aber auch
den Schutz der Magenschleimhaut beeinträchtigt und damit Magengeschwüren Vorschub
leistet. So sind erwünschte und unerwünschte Wirkungen eng miteinander verzahnt.
Die Zyklooxygenase 2
Anfangs der neunziger Jahre ist nun eine zweite Zyklooxygenase gefunden worden, die unter
Wissenschaftlern kurzerhand „COX-2“ heißt. Dieses Protein kommt normalerweise nur in
wenigen Geweben vor, wird aber vor allem bei Entzündungsvorgängen neu gebildet und setzt
dann am Entzündungsherd, z. B. in der Gelenkinnenhaut, Prostaglandine frei, die dort Schmerzen
und andere Entzündungszeichen unterhalten. Die früher entdeckte Zyklooxygenase
(die wissenschaftlich jetzt COX-1 heißt) regelt dagegen die Grundversorgung des Organismus
mit Prostaglandinen. Beide Zyklooxygenasen unterscheiden sich in ihrer Aminosäuresequenz
und ihrem räumlichen Aufbau. Trotzdem hemmen alle herkömmlichen Rheumamittel
beide Enzyme nahezu gleich stark.
Wenn es nun gelänge, die Zyklooxygenase 2 (COX-2), das Eiweißmolekül also, das durch
Entzündungsreize, z. B. in den Gelenken entsteht, gezielt zu blockieren, ohne das
Isoenzym (COX-1) zu hemmen, hätte man Medikamente an der Hand, die nur den
Schmerz und die Entzündung unterdrücken,
nicht jedoch die Schutzfunktion der Prostaglandine, dort, wo sie gebraucht wird. Tatsächlich ist es
gelungen, solche selektiven Wirkstoffe herzustellen: Celecoxib und MK-0966 sind zwei Beispiele.
Neue Indikationen?
Wie das angesehene Fachblatt „Drugs“ hervorhebt, reicht das therapeutisches Potential
dieser neuen Stoffe aber möglicherweise noch weiter, nämlich bis zur Vorbeugung gegen
Dickdarmkrebs; dazu muß man wissen, daß
dem Aspirin aber auch anderen Rheumamitteln eine Schutzwirkung gegen solche
Karzinome zugeschrieben wird, an deren Entwicklung Prostaglandine beteiligt sind.
Allerdings verbietet sich eine jahrelange Einnahme herkömmlicher Antirheumatika
lediglich zur Krebsvorbeugung: die Gefahr von Geschwüren und Blutungen im Magen-Darm-
Trakt stünde in keinem angemessen Verhältnis zum Risiko, tatsächlich einen Darmkrebs zu
entwickeln. Selektive Hemmstoffe der Zyklooxygenase 2 könnten eine solche Vorbeugung
ermöglichen, ohne daß unvertretbare Risiken in Kauf genommen werden müßten.
Bei aller Euphorie, Ärzte und Patienten solten nicht vergessen, daß auch die neuen Substanzen,
ihre Überlegenheit im klinischen Alltag noch werden beweisen müssen.
Gentherapie, eine weitere Hoffnung?
Auch die neuen Rheumamittel, von denen bisher die Rede war, lindern nur die Symptome, am Verlauf der Erkrankung ändern sie nichts. Dazu ist man auf eine zweite Kategorie von Medikamenten angewiesen, die unter Fachleuten Basistherapeutika heißen. Goldsalze gehören dazu, ebenso Mittel aus der Krebstherapie oder Transplantationsmedizin. sie bremsen die zerstörerische Aktivität des Immunsystems, können das Fortschreiten der Rheumakrankheit verzögern, Heilung jedoch bieten auch sie nicht.
Trotz vieler Fortschritte, nicht allen Rheumapatienten kann die Schulmedizin helfen. Da ist es gut, daß sich auch bei den Behandlungsstrategien, die sich gegen den eigentlichen Krankheitsprozeß richten, der Basistherapie neue Chancen andeuten. Ein Verfahren bedient sich der Gentechnologie: in die Zellen der Gelenkinnenhaut wird ein fremdes Gen eingeschleußt, das die Bildung bestimmter Proteine veranlaßt. Diese gelangen direkt in den Gelenkspalt und sollen als Gegenspieler anderer Eiweißmoleküle, sogenannter Interleukine wirken, die dort die chronische Gelenkentzündung unterhalten. Gewiß, dieser Therapieansatz, den die Universität Pittsburgh und das Düsseldorfer Unternehmen Orthogen jetzt auch an deutschen Patienten erproben, klingt verheißungsvoll, ja revolutionär, schon weil er sich einer Zukunftstechnologie bedient; er muß deshalb nicht erfolgreich sein; allerdings, ihn als Außenseitermethode abzutun, wäre verfrüht.