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KIERKEGAARD IN CASABLANCA

Der Laibacher Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek über Gesten der Liebe und der Grausamkeit in der definitven Abschiedsszene der Filmgeschichte

Eine Filmszene, die das Kino überhaupt in sich zusammenfaßt? Natürlich der Schluß von Michael Curtiz' Casablanca.

Schauen wir den Tatsachen ins Gesicht: Film ist Hollywood, und Hollywood ist die Erzeugung von Liebespaaren. Das Problem besteht natürlich darin, wie Jaques Lacan geschrieben hat, "daß es keine sexuelle Beziehung gibt": eine radikale Asymmetrie, die auf ewig die Vollendung eines hamonischen Paares verhindert.

Ein neuer englischer Werbespot für eine Biersorte beginnt mit der wohlbekannten Märchensituation: ein Mädchen geht an einem Fluß entlang, entdeckt einen Frosch, nimmt ihn zärtlich auf den Schoß, küßt ihn, und natürlich verwandelt sich der häßliche Frosch wundersamerweise in einen gutaussehenden jungen Mann. Die Geschichte nimmt dann eine unerwartete Wendung: der junge Mann wirft einen lüsternen Blick auf das Mädchen, zieht sie an sich, küßt sie - und sie verwandelt sich in eine Bierflasche, die der Mann triumphierend in der Hand hält.

Für die Frau ist signifikant, daß ihre Liebe und Zuwendung (signalisiert durch den Kuß) den Frosch in einen gutaussehenden Mann verwandeln, in eine vollständige phallische Präsenz; für den Mann ist wesentlich, daß er die Frau auf ein Partialobjekt reduziert, auf die Ursache seines Begehrens. So haben wir entweder eine Frau mit einem Frosch oder einen Mann mit einer Bierflasche - was wir nie bekommen können, ist das "natürliche" Paar, bestehend aus einer schönen Frau und einem Mann...

Hollywood (d.h. das Kino überhaupt) ist immer dann am besten, wenn es versucht, sich von dieser Unmöglichkeit Rechenschaft abzulegen. Aus diesem Grund ist das Ende von Casablanca (die abschließende, pathetische Rede von Humphrey Bogart, der Ingrid Bergman erklärt, daß er in Casablanca bleiben wird und sie mit ihrem Heldengatten das Flugzeug nach Lissabon nehmen läßt) zurecht berühmt als der definitive Kino-Schluß.

Er ist deshalb so zutiefst befriedigend, weil er in ein und derselben Geste drei unvereinbare Gründe bündelt, warum man der Erfüllung einer sexuellen Beziehung entsagen soll. Diese drei Gründe entsprechen Kierkegaards Triade des Ästhetischen, des Ethischen und des Religiösen.

Die erste, ästhetische Leseart von Bogharts Geste besteht darin, in ihr das Bewußtsein wahrzunehmen, daß, obwohl sie sich leidenschaftlich lieben, die Erfüllung ihrer Beziehung (daß sie zusammenbleiben) mit Notwendigkeit schal werden würde: die Befriedigung entsteht aus der bloßen Erkenntnis, daß sie getan haben könnten, was sie wollten.

Dieses Paradox wurde zuerst in Kierkegaards Dialektik der Verfügung formuliert: die Realisierung des Prozesses der Verfügung im sexuellen Akt macht das Ziel, nach dem der Verführer die ganze Zeit gestrebt hat, in seiner Vorläufigkeit und Vulgarität sichtbar. Die einzige Möglichkeit, den Horror der Desublimierung zu vermeiden, ist es, kurz davor aufzuhören, wodurch man den Traum von dem, was hätte geschehen können, am Leben erhält - indem der Verführer die Liebe in der Zeit verliert, gewinnt er sie für die Ewigkeit.

Die zweite Lesart ist die ethische: Boghart stellt die universelle politische Sache über sein privates Vergnügen (seine Liebe zu Bergmann) und erweist sich auf diese Weise ihrer Liebe würdig. Man begegnet diesem ideologischen Taschenspielertrick in fast jedem Melodram, das die Bereitschaft des Mannes, seine Liebe der öffentlichen Sache zu opfern, als höheren Beweis seiner Liebe deutet, d.h.: "daß sie ihm alles bedeutet." Der sublime Moment des Wiedererkennens tritt ein, wenn die Frau schließlich begreift, daß der Mann sie aus Liebe zu ihr verlassen hat: sie ist sich bewußt, daß "in einem tieferen Sinne",wie man sagt - er es für sie getan hat, um ihrer Liebe würdig zu werden.

Es gibt nun noch eine dritte Leseart, die Bogarts finale Entsagung als grausam, narzißtischen Racheakt an Bergman deutet, d.h. als Bestrafung dafür, daß sie ihn in Paris im Stich gelassen hat: nachdem er sie zu dem Geständnis gebracht hat, daß sie ihn wirklich liebt, ist er nun am Zug, sie mit einer Geste zurückzuweisen, deren zynische Botschaft lautet: "Vor einem Jahr in Paris hast Du Deinen Ehemann vorgezogen - nun bleib gefälligst bei ihm!" Dieser Logik einer rachsüchtigen und erniedrigenden Abrechnung macht Bogarts Geste zu einer religiösen, nicht bloß zu einer ästhetischen.

Natürlich wäre es nun falsch zu fragen: "Welche Leseart ist wahr?" Die nachhaltige Wirkung von Bogarts Geste beruht eben darauf, daß sie als eine Art neutraler "Behälter" für alle drei libidinösen Haltungen dient, so daß ein und dieselbe Geste eine Vielzahl unvereinbarer, ja widersprüchlicher Wünsche befriedigt (die Enttäuschung vermeiden, die im erfüllten Begehren liegt; die geliebte Frau faszinieren, indem man die moralische Position des Selbstopfers einnimmt; Rache zu nehmen für eine narzißtische Kränkung).

Darin liegt die definitive Leistung des Kinos: unfähig, unsere Antagonismen (die sexuellen, sozialen etc.) wirklich zu lösen, triumphiert es über sie in einer "leeren" symbolischen Geste. Und liegt nicht im Geheimnis dieser Geste das Geheimnis von Ideologie überhaupt?

Übersetzung: Peter Körte


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