Rund um den Fußballplatz in Örhult herrschte erwartungsvolle Spannung. Die Platzmannschaft hatte sich schon umgezogen, damit die Gäste im Clubhaus Platz nehmen konnten, und hatte sich unter die etwa 30 Zuschauer gemischt. Die Jungs gingen als einigermaßen geordnete Truppe in den Umkleideraum, der Koffer wurde geöffnet, und die Sachen unter allgemeinem Krawall verteilt. Rippe, der viel Platz beim Umziehen brauchte, drängelte furchtbar mit denen, die in seiner nächsten Nähe standen, wobei er in Perssons Abwesenheit sinnlose Anweisungen für das bevorstehende Gefecht durch die Gegend brüllte. Kvax ging nach draußen und zog sich hinter einem Busch um. Danach breitete er ein mitgebrachtes Stück Papier auf dem Boden aus und verpackte umständlich seinen Anzug darin. Einige Zuschauer, die in der Nähe im Grünen saßen und heimlich verkorkte Thermoskannen und Limonadenflaschen austauschten, die wohl Wasser enthalten konnten, wenn der Gedanke nicht so abwegig gewesen wäre, beobachteten ihn mit finsterem Erstaunen.Erst als der Schiedrichter zur Aufstellung pfiff und beide Mannschaften hinaus auf den Platz trotteten, bemerkte man, daß Artisto fehlte. Nachdem man einige Minuten lang in verschiedene Richtungen gerufen hatte, gelang es, ihn aus einem angrenzenden Feld herauszulocken. Er hatte einen großen, duftigen Blumenstrauß aus Klatschmohn und Wiesenkerbel gepflückt, den er nun mit angemessenem Schritt in die Mitte trug. Das Botanisieren hatte ihn aufgehalten, und er hatte sich bisher damit begnügt, das verwaschene schwarze Trikot über sein Oberhemd zu ziehen. Im übrigen hatte er noch seine Knickerbocker und Wildlederschuhe an. Als er beim Mannschaftskapitän der Örhult-Mannschaft angelangt war, überreichte er den Duftbesen und sagte:
"Da wir zum ersten Mal auf eurem Platz sind, möchten wir gerne diese kleine - Aufmerksamkeit überreichen, wenn ich mich so ausdrücken darf. Sie ist schön, und ich hoffe, ihr wißt sie zu schätzen."
Örhults Mannschaftskapitän, ein Mann, dessen Kinn erst in Höhe der Brustwarzen aufhörte, nahm den Strauß und besah ihn sich mit tiefem Mißtrauen.
"Jaha", sagte er und ging mit schweren Schritten an die Seitenlinie, wo er ihn einem älteren Herrn mit Gummistiefeln und rotem Schnurrbart übergab. Dieser - später stellte sich heraus, es war der Spielobmann - starrte stumm auf die Blumentracht und legte sie ins Gras.
Danach fing das Spiel an.
Kvax, der als Mittelstürmer spielte, gab den Ball an Artisto, der zur Seite losrannte und dabei an drei Leuten, dicht hintereinander, vorbeidribbelte. Dann drehte er und preschte diagonal über das Spielfeld, sehr schnell an der abschüssigen Seite, wo die Gegner vergeblich nach seinen Beinen traten. An der Eckfahne angekommen, drehte er erneut, dribbelte an beiden Verteidigern und am Torwart vorbei, bis in das Tor hinein, und stellte den Fuß so auf den Ball, daß der einen halben Meter hinter der Torlinie lag. Die meisten aus der einheimischen Mannschaft lagen jetzt auf dem Boden, während unsere Jungs noch auf ihren Plätzen standen, ausgenommen Kvax, der sich dahinten abseits gestellt hatte. Artisto suchte sich seinen linken Schuh wieder, der ihm beim Dribbelangriff verloren gegangen war und ging anschließend, um seine Kleidung zu vervollständigen.
Er war allerdings einer von der langsamen
Truppe, außer manchmal, wenn er den Ball hatte, und kam,
genaugenommen, erst am Ende der ersten Halbzeit zurück. Örhult
führte zu diesem Zeitpunkt mit 6 : 2, und die Zuschauer waren
hochbegeistert. Rippe hatte es schwer gehabt, denn er spielte als
Mittelläufer an der sumpfigsten Stelle des Feldes und schaffte
es selten, seine kolossalen Beine vom Boden zu zerren, bevor es
zu spät war. Als die Platzmannschaft ihr sechstes Tor schoß,
stand er wie angewurzelt zwischen den Grassoden. Kvax lief
schnell zu ihm und sagte:
"Verflucht noch mal, wie spielst du denn eigentlich ?"
"Der flitzte nur so vorbei", keuchte Rippe. "Wie ein Blitz war ich hinterher, aber..."
"Hast du Blitz gesagt, du blöder Glockenturm", sagte Kvax, der anfing, sich aufzuregen.
"Ruhig, Jungs", sagte Artisto, "bloß ruhig. Wir geben nicht auf, wenn nicht heute, dann eben später mal."
"Wo warst du", keuchte Rippe.
"Geht dich gar nichts an, du dämlicher Weihnachtsbaum", sagte Kvax rotäugig.
"Das ist unkameradschaftlich", sagte Rippe, "uns allein..."
"Halt die Fresse, du dusseliges Denkmal", kläffte Kvax.
"Hört mal, Freunde, wir wollen doch nicht einen angenehmen Sonntag verderben", sagte Artisto.
"AUFPASSEN", gröhlte Rippe plötzlich und löste sein rechtes Bein vom Boden.
Das Spiel war wieder in Gang gekommen und der Ball kam angeflogen. Rippe schwang sein Bein, und im nächsten Augenblick landete er seinen berüchtigten Direkttreffer. Er bekam den Ball genau auf den Fußrücken, und wie aus einer Rakete geschossen, flog das Leder hoch in die Luft.
"Der geht in den Bach", sagte Kvax mißmutig,
Der Ball stieg weiter, wahnsinnig hoch, und fiel dann steil gegen das gegnerische Tor. Wie eine Bombe kam er, völlig im toten Winkel, unter dem Querbalken herunter, und der überrumpelte Torwart hatte ihn hinter sich, ehe weder er noch jemand anders sehen konnte, wohin er ging. Rippe riß die Arme hoch und fiel Kvax mit ohrenbetäubendem Siegergeschrei an die Brust, der sofort unter dieser Last zu Boden ging.
"Bravo, Junge, bravo, du schießt am höchsten im ganzen Land", sagte Artisto und klopfte Rippe auf den Rücken.
"Bist du nicht ganz klug, du blödsinniger Kachelofen", sagte Kvax von unten. Es hörte sich an, als spräche er aus der Tiefe eines Brunnens.
Kurz danach pfiff der Schiedsrichter Halbzeit, und die Mannschaften hauten ab auf ihre jeweilige Spielfeldhälfte, um zu rauchen und zu verschnaufen.
"Jetzt, Jungs, jetzt legen wir vor und gewinnen", sagte Rippe, erfolgstrunken.
"Es steht doch 3 : 6, Mann", sagte einer der anderen sauer.
"Wir werden schon gewinnen", sagte Rippe. "Wir müssen kämpfen und direkt ins Tor schießen."
"Leck mich", sagte Kvax nachtragend.
Die Stimmung im Lager der Platzmannschaft war ausgezeichnet. Man hatte einen erkennbaren Vorsprung gesichert und betrachtete die Gastmannschaft mit Nachsicht, fast mit Wohlwollen. Die Zuschauer, die im Schatten der Haselbüsche saßen, zückten etwas unvorsichtig die Flaschen und riefen ein ums andere Mal: Heja, Rotblau, jetzt mal vor - wann sehn wir das nächste Tor, obwohl Pause war und obwohl die Farben der Mannschaft gelb und schwarz waren. Der Mann mit den Gummistiefeln und dem roten Bärtchen stapfte los und drohte den Radaumachern mit der Linienfahne. Man wollte einen guten Eindruck machen.
Als das Spiel wieder anfing, bekam Artisto ganz unvermutet Spaß daran, und in der ersten Viertelstunde hatte fast nur er den Ball. Er schoß sogar zwei Tore in dieser Zeit, und es stand somit 6 : 5 für Örhult. Auf dem Abhang verbreitete sich Nervosität, und die Gruppe bei den Haselbüschen schrie durcheinander "heja Rotblau" und "macht sie fertig, die Scheißer" und "hau ihn rein, Oskar" mit zunehmender Heiserkeit und Besessenheit. Der Mann mit der Linienfahne versuchte nicht länger, sie zur Ruhe zu bringen.
Etwa gleichzeitig entdeckte Artisto etwas, was
ihm mehr Spaß machte als Tore zu schießen, die Möglichkeit
nämlich, den Ball in den Bach zu kicken. Zwischen der
zwanzigsten und fünfundzwanzigsten Minute der zweiten Halbzeit
gelang ihm dieses Kunststück dreimal, und jedesmal brauchten die
Örhulter sechs, sieben Minuten, bis sie den Ball ein Stück
weiter unten mit Hilfe von Stangen wieder bergen konnten, wobei
sie vorher auch noch zwei Stacheldrahtzäune überklettern
mußten. Jedemal mußte der Schiedsrichter das Spiel entsprechend
verlängern, schließlich mußte er sogar ein Zeitprotokoll
führen. Artisto verlor aber recht bald die Lust an diesem
Vergnügen und ging weg und hielt sich eine Weile für sich
allein im Hintergrund, ohne am Spiel teilzunehmen. Doch seine
Aktion hatte die Platzmannschaft dermaßen demoralisiert, daß
sie mehr auf Verteidigung spielte. Da diese Taktik aber einer
gewissen Systematik bedarf, war das zum Scheitern verurteilt. Vor
dem Tor wurde wild gebolzt, der Ball prallte mit dumpfem
Geräusch hin und her, während die Mannschaften wie eine Herde
Ardenner dahertrotteten. Nach einer Weile landete der Ball
irgendwie im Tor, und zehn Minuten später lag er wieder da. Kvax
hatte sich hervorgetan, und lief federnd auf die Mitte zu, wobei
er wie ein dämlicher Schimpanse schnatterte, während die
Spieler der Platzmannschaft durch die Zähne fluchten und die
Gruppe bei den Büschen sich unter bedrohlichem Gemurmel erhob.
Der Schiedsrichter blickte auf die Uhr. Die B-Mannschaft lag mit
7 : 6 in Führung. Rippe war völlig außer sich und schrie
Anweisungen durch die Gegend.
"Jetzt behalten wir den Ball, Leute!"
"Jetzt gewinnen wir", brüllte er, "der Ball
bleibt bei uns, Jungs."
Nun fand Artisto, es sei an der Zeit, einen Einsatz zu machen. Er hatte, wie alle anderen auch, Rippes Wink verstanden: Spielverzögerung. Das lag ihm, egozentrisch wie er war, und sowie er den Ball gekriegt hatte, fing er an, ihn vor sich her zu spielen, eine Kunst, die er fast bis zur Vollendung beherrschte. Die Gegner waren müde und wußten außerdem nicht, wie er zu stoppen sei, was eigentlich nicht so schwierig war, weil er immer um seine Beine besorgt und ein ziemlich wehrloses Opfer war. Er konnte nur täuschen und dann schnell vorbeiziehen. Er blieb oft ganz stehen und wartete, bis der Gegenspieler angerast kam. Dann täuschte er durch eine Finte, lobbte und rannte vorbei, immer in die leichteste Richtung und mit großem Sicherheitsmarginal, denn sein Spiel war l'art pour l'art in reinster Form, nicht zweckgebunden. Artisto war jetzt ausgeruht und irrte lange im Mittelfeld herum, ehe die Örhulter, angefeuert durch die lauten, blutrünstigen Zurufe des Publikums und der Spielleitung, ihn ernsthaft bedrängten. Zweimal wäre ihm beinahe ein Durchbruch gelungen, aber da ihm die Puste ausging und er Gegner vor sich sah, drehte er um und kam auf diese Weise langsam immer weiter auf die eigene Spielfeldhälfte, wo er, den Ball immer noch gesichert, stehenblieb und erstmal Atem schöpfte.
"Hau ab hier", rief Rippe hysterisch, weil der Ball dem eigenen Tor so nah war.
Als Artisto immer noch dastand, Luft holte und
mehrere Gelbschwarze sich näherten, änderte Rippe seine Taktik
und flehte:
"Gib ihn mir, ich hau ihn direkt ins andere Tor."
Aber Artisto dachte nicht daran. Mit einer plötzlichen Finte täuschte er zwei Gegner in die falsche Richtung, drehte um und raste auf das eigene Tor zu, dribbelte sich vom linken Verteidiger frei und lief dicht an Rippe vorbei, der völlig die Beherrschung verlor und ihm von hinten ein Bein stellte. Darauf war Artisto nicht gefaßt, er fiel platt auf den Bauch, und der Schiedsrichter, der so etwas noch nie erlebt hatte, blies verzweifelt in seine Trillerpfeife.
"Strafstoß!" sagte er kategorisch und zeigte auf den sogenannten Elfmeterpunkt.
"Na, was denn nun", sagte Rippe.
"Verwarnung", sagte der Schiedsrichter.
"Du spinnst wohl", sagte Kvax, der, wie alle anderen, sich an diesem unruhigen Punkt eingefunden hatte.
"Verwarnung", sagte der Schiedsrichter.
"Find ich völlig richtig, Strafstoß ist das mindeste", sagte Artisto und kam mühsam wieder auf die Beine.
"Ruhe", sagte der Schiedsrichter.
"Den möchte ich schießen", sagte Artisto mit großem Ernst. "Mich hat er ja umgelegt."
"Verwarnung", sagte der Schiedsrichter.
"Warum das?", sagte Artisto.
Der Schiedsrichter pfiff und ein Örhulter schoß direkt auf den Torwart. Der Ball prallte zurück, und Kvax, der wieder rote Augen hatte - ein schlimmes Zeichen - fing den Ball und schmiß ihn dem Schiedsrichter mit aller Kraft an den Kopf, von wo er abprallte und im Tor landete.
Dieser Schiedsrichter war auch nur ein gewöhnlicher Mensch, und der Fall war nun so kompliziert, daß er bereits entschlafene Fußballjuristen bestimmt hundert Jahre lang im Paradies beschäftigen würde. Er wußte, daß er irgendwie einen Fehler gemacht hatte, daß es aber nun zu spät war, und da er ja irgend etwas tun mußte, wurde Kvax ausgewiesen und das Tor anerkannt. Kvax räusperte sich und spuckte ihm ins Gesicht, wurde danach von mehreren anderen Spielern übermannt und vom Platz geführt. Das Publikum jubelte rauh.
Beide Mannschaften waren jetzt völlig aufgelöst. Örhult spürte den nahenden Sieg nach diesem merkwürdigen Erfolg.
"Auf sie, Leute", krächzte der rotbärtige Spielobmann und gestikulierte mit der Linienfahne.
"Schieß in den Bach", schrie Rippe Artisto zu, der gerade an den Ball gekommen war.
Artisto gehorchte, und eine Sekunde später lag er bewußtlos im Wollgras. Der bärtige Mann war auf das Feld gelaufen und hatte mit der Linienfahne auf ihn eingeschlagen, die aus dem Stiel einer alten Hacke gemacht und deshalb unerhört robust war. Der Schiedsrichter kam zu Hilfe gelaufen.
"Du bist vom Sportplatz verwiesen", sagte er und zeigte auf den Spielobmann, der vor Wut zitterte.
Er starrte den Schiedsrichter mit
fürchterlichen, wäßrigen Augen an. Dann stieß er den
Fahnenstiel in eine Grassode hinein, stellte sich breitbeinig hin
und sagte:
"Platzverweis, wie? Das hier ist meine Wiese, du Lümmel.
Und sag nicht 'du' zu mir, ich könnt ja dein Vater sein, und
mach, daß du von meinem Grund und Boden wegkommst, Lümmel. Und
der da -", er zeigte auf Artisto, in dessen Gesicht gerade
ein verschreckter kleiner Frosch landete, - "der da, erst im
Roggen rumgammeln und uns dann so'n Heu überreichen und denn
viermal den Ball in'n Bach bolzen! Der hat nur gekriegt, was er
verdient hat, so wahr es einen Gott im Himmel gibt."
Der Schiedsrichter fing an, unsicher
auszusehen, nahm sich aber zusammen und sagte:
"Das hier ist ein Sportplatz, und Schiedsrichter bin ich.
Ich bitte Sie, den Platz zu verlassen."
Diejenigen vom Örhulter SC, die noch
vernünftig genug waren, führten den Grundbesitzer vom
Spielfeld. Er folgte ohne größeren Widerstand, sagte aber
kläglich:
"Und ihr seid auch noch gegen euren Spielobmann, ihr
Lumpen."
Artisto wurde zur gegenüberliegenden Seite fortgetragen, der Ball wurde herausgeangelt, und das Spiel begann von neuem. Einer unserer Jungs schmetterte den Ball mit einem hohem Schuß weit auf das Feld, ein Verteidiger versuchte, abzuwehren, was ihm nicht ganz gelang, ein anderer genauso, und dann ballte sich ein Klumpen von Spielern vor dem Örhulter Tor zusammen. Der Ball ging hin und her, mißhandelt, lehmig, durch und durch naß. Immer wieder neue Schrägschüsse, immer wieder prallte der Ball ab. Während diese Schau ablief, näherte sich Rippe in langsam schneller werdendem Laufschritt.
"AUFPASSEN", brüllte er plötzlich und stürzte mitten ins Gewimmel.
Mit dem Ball vor sich, rauschte er mitten durch die Horde, Mit- und Gegenspieler fielen wie die Kegel in verschiedene Richtungen, und unter langgezogenem Triumphgeschrei galoppierte er, den Ball auf der Brust balancierend, geradewegs ins Tor. Es war nicht Rippes Schuld, daß er nicht stehenbleiben und daß das Netz ihn nicht halten konnte. Mit einem 'ritsch' riß das Netz von den Haken und fuhr mit dem Spieler hinaus in die Landschaft, der Querbalken löste sich aus seiner morschen Verankerung und fiel mit auf den Boden. Eingewickelt in das Netz wie in einen etwas verrutschten Kokon, raste Rippe geradeaus in den Sumpf und fing an, zu versinken.
Der Schiedsrichter gaffte fünfzehn lange Sekunden, bevor er zu sich kam und "Tor" pfiff. Das Publikum stürmte unter schrecklichen Flüchen auf das Spielfeld, und die meisten Spieler verloren, unter dem Druck des Geschehens, jegliche Beherrschung. Unsere Jungs waren damit beschäftigt, die Torlatte in den Sumpf zu schieben, um Rippe zu retten, was ihnen nach einiger Zeit gelang. Der Schiedsrichter, der sich wie unter Hunderten von Wahnsinnigen vorkam, obwohl es doch nur einige zwanzig ganz normale Menschen waren, pfiff zum Anstoß, sah symbolisch auf die Uhr und tat den Schlußpfiff. Er war formal bis zum bitteren Ende. Inzwischen kam eine hysterische Frau herbeigelaufen und zerkratzte ihm das Gesicht. Das allerdings war eine Weibertat und somit eine Situation, in der alle dem armen Mann beisprangen, was zu einer kurzen Atempause führte. Eine halbe Minute später kam einer der Helfer zurück und schlug den Schiedsrichter k.o.
Trotz allem scheint es doch auch Beispiele würdevollen Verhaltes gegeben zu haben. Man erzählt sich, daß drei von Örhults und zwei von unseren Spielern mitten auf dem Spielfeld für einander Hurrarufe ausgebracht und sich die Hand geschüttelt hätten. Diese Helden kümmerten sich auch später um den Schiedsrichter und mehrere andere Opfer. Der Spielobmann, der für einige Zeit verschwunden gewesen war, kam wieder zurück, bewaffnet mit einem großen gelben Hund. Den ließ er auf Rippe los, der sich verschmiert in seiner ganzen Länge im Umkleideraum aufhielt, wo er ein ums andere Mal "Wir haben gewonnen, wir haben gewonnen" rief. (Die B-Mannschaft hatte vorher längere Zeit keinen Sieg nach Hause gebracht, schon gar nicht bei Auswärtsspielen). Geduckt und röchelnd fiel der Hund ihn an, und Rippe, der eine panische Angst vor Tieren überhaupt hatte, besonders vor solchen mit Zähnen, versuchte, sich durch das kleine Fenster des Clubhauses zu retten. Das hatte allerdings ein ungeeignetes Format, und er blieb auf halbem Wege stecken. Als die Draußenstehenden ihm helfen wollten, kam erst der Fensterrahmen mit, danach die ganze Wand, worauf der Schuppen ganz und gar in sich zusammenfiel und einen Hund und zwei Halbliter-Flaschen unter sich begrub.
Als der Schnurrbärtige Blut, Brägen und Schnaps zwischen Bretterhaufen und Steinsockel hervorsickern sah, bekam er einen Schock und kippte um. Jemand schmiß frische Pferdeäpfel auf Kvax' Anzug.
Der Rest der Geschichte ist genauso deprimierend und uninteressant wie jede andere groß-schwedische Wochenendschlägerei. Im Polizeibericht werden mehrere der üblichen Schlagwaffen erwähnt, leere Flaschen, Ledergürtel und Holzbretter mit Nägeln, und was das anbelangt, so ist es sicher auch korrekt. Von unseren Jungs hatte sich wohl Kvax am besten verteidigt - er schlug schnell und mit tollem Schwung und war der einzige, der ganze drei Monate auf Bewährung vom Gericht bekam -, und Rippe kriegte am meisten Dresche, weil er durch den Fensterrahmen, der um seine Hüften saß, in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt war.
Der Pfarrer, der in der Nähe wohnte, alarmierte Polizei und Arzt, aber als die ankamen, war die Schlacht schon beendet, und allein die Auffassung des Landpolizeikommissars, es handele sich um einen Aufruhr, vermochte die Sache von neuem zu entfachen. Als man die Mannschaften durchzählte, zeigte sich, daß Artisto verschwunden war. Man befürchtete, daß auch er einen Schock bekommen hätte und nun im Wald herumirrte, aber als man die Gegend durchkämmte, fand man ihn einige Stunden später seelenruhig beim Pilzesuchen, noch immer in Fußballstiefeln und Turnhosen, und das Trikot hatte er zu einem Beutel zusammengebunden.
Als wir ihn fragten, was zum Donnerwetter... sagte er, er hasse Gewalt.
Nach diesen Ereignissen hörte der Volkssport in seiner edelsten Form auf, in Örhult zu existieren.
Aus: Foul Play von Per Wahlöö, 1959