Einleitend sollen einige Zitate an das Thema Wissenschaft und Politik im Spannungsfeld heranführen.
Seitdem die Macht, über andere zu herrschen, als Gut gilt, als Gefäss, worin der Wein perlt, der die eigenen Kräfte ins Unendliche vervielfacht, bemühen sich die Irdischen um sie. Das Ringen um die Macht kennt alle nur möglichen Formen und Bindungen der Gewalt, der Vergewaltigung, des Verrats. Mannigfaltig und dennoch eintönig, wie die vergänglichen Tage, äussert sich diese Gier, die von den Kindern der Erbsünde so unzertrennlich ist wie das Gewicht von ihren Körpern.
So schreibt Valeriu Marcu in seinem Buch Machiavelli - Die Schule der Macht. Er setzt fort:
Vor, während und nach Machiavelli muss nicht nur der Tyrann, nicht nur der Diktator, sondern auch der Politiker im allgemeinen und der Demogoge im besonderen ein großer Versteller, ein begabter Simulant, ein eindringlicher Kenner der Gelegenheit, ein virtuoser Nutzniesser aller Schwächen, ein Berechner der Vergesslichkeit, ein Einpeitscher der Eitelkeiten, ein gewandter Jongleur mit Idealen, ein Liebhaber der Schlauheit und ein Anbeter der Gewalt sein.
Auf die Frage Marcello Ficinos, was meinst du, dass Glück bedeute - der Geist?, antwortete Lorenzo di Medici (Cosimo di Medicis Enkel und Erbe), nein, der Wille.
Es ist dieser Wille zur Macht, dem wir tagtäglich ausgesetzt sind. Dieser Wille lenkt unsere Geschicke und formt die Wirklichkeit, in der wir leben. Galileo Galilei hat unserer Welt ihre exponierte Lage als Zentrum des Weltalls genommen. Er entriß den Menschen den Glauben daran Auserwählte zu sein. Die Aufklärung hat dem Menschen die Einzigartigkeit zurückgegeben, als alleiniger Souverän über ihr Schicksal zu entscheiden. Damit geht jedoch der Verlust der alten Sicherheit einher. Kein Gott hält seine schützende Hand über das Menschengeschlecht. Die Aufklärung hat sich die Entzauberung der Welt zum Ziel gesetzt. Die Überlegenheit des Menschen soll im Wissen liegen. Das Wissen soll den Aberglauben hinwegspülen und die altem Mythen ausbrennen.
Die glückliche Ehe zwischen dem menschlichen Verstand und der Natur der Dinge, die er im Sinn hat ist patriarchal: der Verstand, der den Aberglauben besiegt, soll über die entzauberte Natur gebieten. Das Wissen das Macht ist, kennt keine Schranken, weder in der Versklavung der Kreatur noch in der Willfährigkeit gegen die Herren der Welt. Wie allen Zwecken der bürgerlichen Wirtschaft in der Fabrik und auf dem Schlachtfeld, so steht es den Unternehmenden ohne Ansehen der Herkunft zu Gebot.
... Was die Menschen von der Natur lernen wollen, ist, sie anzuwenden, um sie und die Menschen vollends zu beherrschen. Nichts anderes gilt. Rücksichtslos gegen sich selbst hat die Aufklärung noch den letzten Rest ihres eigenen Selbstbewußtseins ausgebrannt. Nur noch solches Denken ist hart genug, die Mythen zu zerbrechen, das sich selbst Gewalt antut.
Max Horkheimer und Theodor W. Adorno - Dialektik der Aufklärung.
Welche Schlüsse lassen sich aber nun aus diesen einleitenden Zitaten in Hinblick auf das Thema Wissenschaft und Politik ziehen.
Mit der Aufklärung und der damit einhergehenden Anerkennung eines wissenschaftlichen Zugangs zum Vertsändnis der Welt, wird es für die Wissenschaftler unumgänglich als Multiplikatoren in die Meinungsbildung einzugreifen und ihre Erkenntnisse so zu Allgemeingut zu machen.
Im Detail heißt das, die Wissenschaftler müssen neben ihrer Forschung und der Teilnahme an Diskussionen in der fachlichen Gemeinschaft zudem auch an eine breite Öffentlichkeit herantreten. Hier müssen sie ihre Forschungsthemen vorstellen unter besonderer Berücksichtigung ihrer Ziele und der Relevanz für das tägliche Leben. Es muß offengelegt werden, was Forschung kostet und in welchem Verhältnis Forschungsaufwendungen zu anderen Ausgaben in den öffentliche Haushalten stehen.
Neben einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit muß es das erklärte Ziel der Wissenschaftler sein, sich in Strukturen zu organisieren, die es ihnen erlauben selbstbewußt an Politiker heranzutreten und die Interessen der Forschung mit Nachdruck zu formulieren. Es kann nicht angehen, daß Sparmaßnahmen ohne jeden Protest hingenommen werden. Unsere Gesellschaft ist eine Mediengesellschaft. Alles was nicht öffenlich gesagt wird, sprich im Fernsehen, in Zeitungen oder Hörfunk, gilt als nicht existent. Wissenschaftler müssen fähig werden, vor einem nicht Fachpublikum aufzutreten, ohne die häufig charakteristische intellektuelle Ohnmacht eines Weltfremden vorzuführen.
Energisch muß gegen den öffentlichen Eindruck vorgegangen werden, daß wissenschaftlicher Fortschritt lediglich die Öde einer entzauberten Welt mit sich bring. Mythologie und Wissenschaft müssen keine Widersprüche sein. Der Mythos des Ikarus, der mit seinen Flügeln der Sonne entgegenzieht, wird auch im Zeitalter von Mondflügen die Menschen immer noch bewegen. Ein Regenbogen verliert doch seine Schönheit auf keinen Fall dadurch, daß sein Farbenspektrum nun auch durch eine Formel dargestellt werden kann. Diese Mythen bieten alle die Bilder, in denen sich die ältesten Menschheitsträume darstellen.
Selbstbewußt könnten vor allem die Naturwissenschaften auftreten. Ihnen ist doch der allgemeine Wohlstand zuzuschreiben und nicht den Menschen und Mächten, die auf unzähligen Seiten in Geschichtsbüchern verewigt worden sind.
Und da stellt sich die Frage, warum eigentlich in der gegenwärtigen Öffentlichkeit, die ja doch offensichtlich durch und durch vom technischen Fortschritt gekennzeichnet ist, die Wissenschaft am politischen Entscheidungsfindungsprozeß nur einen kleinen Anteil hat. Dies hat, wie eingangs bei Valeriu Marcu erwähnt, einen Grund, es fehlt bei der Wissenschaft am Willen zur Macht. Man gefällt sich in der Rolle des dienenden Vasallen der Mächtigen, die mit dem Willen zur Macht ausgestattet sind. Es läge an den Wissenschaftlern in dieses anscheinend zeitlose System von Macht und Abhängigkeit einzugreifen.
Es soll nicht behauptet werden ,daß eine Regierung aus Wissenschaftlern erstrebenswert sein soll. Zu viele Menschen wollen nicht von dem alten Aberglauben lassen, sie wollen nicht von den alten Fesseln der althergebrachten Ornung lassen und den Schritt in eine offene Gesellschaft (Karl Popper) wagen (Einfalt ist selbstgenügsam). Aber die Wissenschaftler sollten sich verpflichtet fühlen, all denen eine Heimat zu bieten, die eben doch wollen.
Dietmar Johlen , johlen@tu-harburg.d400.de