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27.02.2007
Die Nichtkritik

Welche Gründe gibt es für einen kunstinteressierten Menschen, um eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst zu besuchen? Diese Frage scheint ein wenig blöde gestellt, denn es ist ja klar, daß ein gewisses Interesse für den Gegenstand vorausgesetzt werden muß. Es gibt aber auch indirekte Gründe, die dann Geltung erhalten, wenn die Voraussetzung des Interesses erfüllt ist. Hierzu gehört der Komplex der Empfehlungen. Kritiker sprechen diese ebenso aus wie der Zugnachbar. Aber was sollte diese Empfehlung denn mitgeben? Zumindest so viele Informationen, daß eine positive oder negative Entscheidung möglich wird. Und präziser: Es sollten mindestens ein paar Worte über das gefallen sein, was es zu sehen gibt.

Sicher, eine Ausstellungskritik sollte noch andere Kriterien erfüllen. Aber es kommt immer wieder vor, daß selbst erfahrene Rezensenten es nicht schaffen, ein paar Fakten zu nennen, die als Orientierungshilfe für den Besuch einer Ausstellung dienen. Dieter Bartetzko ist sicher ein versierter Architekturkritiker. In seiner Rezension über die Ausstellung "Wartopia I" (FAZ, 27. Februar 2007) fehlt so ziemlich alles, was die Rezension einer Kunstausstellung ausmacht. Der Autor nähert sich dem Thema der Ausstellung über das Gebäude, in dem die Ausstellung nicht stattfindet: Warschaus Nationalmuseum. Schnell findet er zu seinem ureigenen Thema, der Architektur. Er berichtet von der "deutschen Stadt" Warschau, wie sie durch das Kalkül der kalten Herzen der Planungsstäbe der Nazis zu einer Nekropole in Stein werden sollte. Und dann auch mit Ausblick: die "Arbeit" der Stalinisten später. Doch das wäre Teil II der Ausstellung mit Videoarbeiten der Künstlerin Aleksandra Polisiewicz. So, wir sind belehrt über die Nazis und ihr degeneriertes Steinleiden. Wir bekommen aber gesagt, dass "ander als die gefilmten realen Bauten und die suggestiv inszenierten Modelle des NS-Propagandafilms 'Worte in Stein' die Bildtafeln und Computeranimationen der polnischen Videokünstlerin Aleksandra Polisiewicz nicht Realität [fingieren]. Stattdessen verdichtet die Künstlerin die hinterlassenen Skizzen der Nazis zu einer surrealen Szenerie, die den Wahrheitskern hinter den visuellen Ablenkungsmanövern der Fassaden und des Dekors zum Vorschein bringt." Danach beschreibt Bartetzko noch ein wenig die Farben. Das war's zum Thema Kunst. Bildtafeln und Computeranimationen. Mit diesen spärlichen Angaben muß sich der Leser begnügen, wenn er sich vorstellen möchte, was es denn in der Ausstellung zu sehen gibt. Keine Titel, keine nähere Beschreibung der Arbeiten. Keine Details, warum die Künstlerin, von der wir nichts erfahren, sich dieses Themas angenommen hat. Dafür aber viele Gründe, warum Warschau so ist wie es ist. Ich armer Leser werde diese Ausstellung wohl nur deshalb besuchen mögen, weil mir so viel an dieser Rezension fehlt. Es ist typisch: Für Architektur ist der Architekturkritiker zuständig. Selbst wenn er nicht dazu in der Lage ist, zu beschreiben, welche Kunst sich mit der Architektur auf welche Weise beschäftigt. Schade.

Bei einer Empfehlung von Freunden kann man mühelos alle möglichen rhetorischen Redeformen akzeptieren. In einer Ausstellungsrezension sind derartige Versäumnisse und Wortranken tödlich.

2007-02-28 06:22:50 GMT
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