IMAX-DOKUMENTARFILM Darsteller: Ludwig Hirsch (Sprecher) Kinostart: 10/1/1997
Die 400 Quadratmeter große Leinwand des Imax-Kinos beim Technischen Museum in Wien wird den verspielten Riesen der Meere gerade gerecht. Die einzigartigen Klänge dieser Meeressäuger, von denen einige Arten vom Aussterben bedroht sind, und Aufnahmen, die ihresgleichen suchen, vermitteln eine Atmosphäre, die dem des "Whale Watching" in natura nahekommt.
Die filmische Reise in die geheimnisvolle Welt der größten Lebewesen, die unseres Wissens jemals auf Erden gelebt haben (der 30 Meter lange Blauwal stellt mit seinen 100 Tonnen jeden Dinosaurier in den Schatten), ist acht Jahre lang vorbereitet worden und von Fachleuten der National Science Foundation, der National Wildlife Federation und des Whale Conservation Institute beraten. Nach der Weltpremiere in Boston im November ist der Film ab Freitag in Wien und damit erstmals in Europa zu sehen. Es sind Blau-, Glatt-, Buckelwale und Delphine, die vor der Kamera aus der Tiefe tauchen, um gleich wieder in ihr zu verschwinden, während die Komponisten Yanni und Sam Cordon die phonetischen Brücken zwischen den Gesängen der Wale schlagen, die unter Wasser eineinhalb Kilometer weit zu hören sind.
Ludwig Hirsch als kommentierender Begleiter berichtet manch Wundersames: Im Herzen eines Blauwales hätte ein Kleinwagen Platz, in seiner Arterie könnte ein Kleinkind krabbeln. Die Mächtigkeit der Wale und ihre gleichzeitige Verwundbarkeit, ihre Einzigartigkeit unter den Meeresbewohnern zieht in den Bann und dem Film gelingt es ausgezeichnet, eben diese Stimmung von den ersten Minuten an zu vermitteln.
Die Giganten der Weltmeere loten freilich auch die Grenzen der Imax-Technik aus: Bei schneller Kameraführung wird das Bild leicht verschwommen. Das Erlebnis der dreiviertelstündigen Begegnung mit den Walen beeinträchtigt das allerdings keineswegs. (milo, DIE PRESSE)
USA 1996 Regie: Alan Parker,
Buch: Alan Parker, Oliver Stone, Tim Rice (Lyrics) und Andrew Lloyd Webber (Musik),
Musik: Andrew Lloyd Webber,
Kamera: Darius Khondji,
Schnitt: Gerry Hambling,
Darsteller: Madonna (Eva Peron), Antonio Banderas (Ché), Jonathan Pryce (Juan Peron), Jimmy Nail (Agustin Magaldi), Victoria Sus (Dona Juana), Julian Littman (Juan), Olga Merediz (Blanca), Laura Pallas (Elisa), Julia Worsley (Erminda) Kinostart: 10/1/1997
Madonna, Pop-Talent und Selbstvermarktungs-Genie, in der Rolle der Evita Perón - ein Skandal? Die Verfilmung des Evita-Musicals durch Alan Parker ist vielmehr eine Blamage.
Was immer Primadonna Madonna tut, ist gut für fette Schlagzeilen. Schon immer verstand sich das selbsternannte "Material Girl" in jeder beliebigen Pose zu vermarkten: ob sie nun in anzüglicher Unterwäsche auf der Bühne erschien und halbpornographische Texte ins Mikrophon trällerte oder mit ihrem falschen Kindfrau-Image kokettierte; ob sie für ihre Fan-Community ein filmisch-erotisches Stelldichein - In Bed With Madonna - gab oder ihre Höschen bei Sotheby's versteigern ließ.
Die Nachricht, daß ausgerechnet diese Unverschämte in der Rolle der argentinischen Nationalheiligen Evita vor die Kamera treten würde, sorgte denn auch erwartungsgemäß für einen monatelang in allen Medien breitgetretenen Skandal. Der Werbeeffekt, den die Bekanntgabe dieser Besetzung hatte, war gewaltig. Das Ergebnis - die Musical-Verfilmung Evita - allerdings rechtfertigt den Vorab-Rummel nicht.
Zusammen mit Oliver Stone (der ein ähnliches Filmprojekt wegen des Einspruchs vom argentinischen Staatspräsidenten Menem aufgeben mußte) hat Regisseur Alan Parker das Drehbuch zu Evita verfaßt: Ein Filmmusical nach der Vorlage des gleichnamigen, von Tim Rice (Text) und Andrew Lloyd Webber (Musik) geschriebenen Broadway-Musicals. Bereits die Nachricht, daß der Film sich auf das Textbuch des Musicals stütze, erregte in Argentinien Anstoß: Dessen einzige Quelle nämlich ist eine ziemlich unseriöse und reißerische Biographie mit dem Titel "Die Frau mit der Peitsche".
Evita ist die plankurven-gerechte Geschichte einer resoluten jungen Frau aus ärmsten Verhältnissen, die sich durch diverse Betten schläft - und so zu Geld und schließlich zu legendärer Macht kommt. Über die Details der Lebensgeschichte von Eva Duarte Perón sind sich die Biographen uneinig - Alan Parker, Regisseur, Co-Autor und -Produzenten von Evita, interessieren sie schlicht und einfach nicht.
Mit gigantischem Aufwand feiert Parker den Mythos einer Karriere - in einem Film, in dem historische Namen und Daten nichts weiter als den dekorativen Rahmen einer (im Grunde beliebig betitelbaren) Geschichte bilden. Die Sorge ums Detail gilt in Evita den bunten Kostümen, dem leuchtenden Plüsch und den operettenhaften Posen seiner Darsteller. Auf einer derart ausstaffierten Bühne tragen Arbeiter und Bauern freilich den gleichen Glamour zur Schau wie die High Society (als deren Feind Evita agiert, nachdem sie den Aufstieg geschafft hat); und wenn das Militär zu gefälligen Gitarrenriffs Demonstranten niederprügelt, geht das ebenso schwungvoll vonstatten, wie wenn Madonna/Evita einen erotisch besonders wertvollen Tango aufs Parkett legt.
Daß Parker für die Choreographie seines Spektakels keine Geschichte, sondern nur zugkräftige Images braucht, zeigt sich am deutlichsten an der Besetzung der Nebenrollen: Angefangen bei Antonio Banderas, der als in die Handlung gestellter Che Guevara und zugleich als Moritatensänger mit gepreßten Lippen das Geschehen begleitet und kommentiert - bis hin zu Oberst Perón, der in Wirklichkeit als ein von Mussolini inspirierter Rhetoriker auftrat und dessen Darsteller Jonathan Price so präsent ist wie Evitas Mikrophonständer.
Ausgerechnet Madonna, die als werbewirksames Objekt der Entrüstung dienen mußte, bietet in Evita am ehesten eine ernstzunehmende schauspielerische Leistung: Nach ihren äußerst mäßigen bisherigen Filmerfolgen darf die exzentrische Pop-Diva in Evita zeigen, daß sie nicht nur (weit besser als der klägliche Rest der Truppe) singen und hervorragend tanzen kann, sondern auch mit ihrer Darstellung - in Parkers theatralischem Papp-Ambiente einzigartig - auf glaubhafte Weise Dramatik verkörpert. Dabei dürften für die Besetzung dieser Rolle wohl andere Kriterien ausschlaggebend gewesen sein, als Madonnas schauspielerische Qualitäten. Mit der Wahl der Italoamerikanerin "Madonna" Louise Veronica Ciccone vermarktet Parker tatsächlich zwei verwandte Mythen in einem: Der Pop-Mythos Madonna bildet letztlich die ideale Basis, um von der ebenso streitbaren wie wandlungsfähigen Demagogin Evita Perón ein massenwirksames Abziehbild machen zu können. Wie die Politikerin es verstand, die Massen nicht nur für "die Sache", sondern in erster Linie für ihre Person zu begeistern - und sich dabei erbitterte Feinde schuf - darf der Pop-Star damit rechnen, daß jedes gesungene oder gesprochene Wort aus ihrem Mund - ob Zote oder etwa die Meldung, daß sie ihr Kind vom Papst taufen lassen möchte - Stürme der Entrüstung wie der Begeisterung hervorruft.
Mit Evita schließlich zeigt Alan Parker ein weiteres Mal, daß ihm jeder Sturm recht ist, um turbulentes, aber völlig belangloses Kino zu machen. Dieser die Schmerzgrenze zum Boulevard-Kitsch weit überschreitende Film hat die Aufregung nicht verdient, die Madonna ihm beschert hat. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE)
Evita Duarte-Peron steigt vom armen Provinzmädel und mäßig begabten Schauspielerin zur First Lady Argentinien auf, zum Idol der Massen. Durch ihren Einsatz für die Armen und die Rechte der Frauen wird sie politisch wichtig, ihr Tod 1952 erschüttert das Land. Das Andrew Lloyd-Webber Musical verfilmt mit Madonna in der Hauptrolle und jeder Menge Ohrwürmer. Ein glanzvolles Kostümspektakel mit eindrucksvollen Massenszenen, aber ohne zeitpolitische Aussage. (M.K.)
Die Werbung verheißt seit Wochen ein "Kinoereignis des Jahres", Madonna spricht von der Rolle ihres Lebens. Endlich, nach langem Zagen und Zaudern, ist das Musical "Evita" verfilmt worden – und wirft eigentlich nur eine Frage auf: Wozu der ganze Aufwand?
Es ist wohl allseits bekannt, daß Evita über viele Jahre und wechselnd kolportierte Hauptdarstellerinnen hinweg eigentlich ein Herzensprojekt von Oliver Stone war. In Kenntnis der schnell geschnittenen Laufbild-Stürme von JFK und Nixon kann man sich auch gut vorstellen, wie der US-Regisseur die Biographie des umstrittenen argentinischen Polit-Superstars Eva Peron als Filmmusical der delirierenden Art gestaltet hätte.
Ein Königinnen-Drama mit abschließendem Höllensturz quer durch historisches Archivmaterial, eine neue Variation korrumpierter Ideale schwebte ihm wohl vor, rund um forciertes method acting von Meryl Streep beispielsweise: forciert kontroversielles Kino also, schwer unabhängig und sehr diskutabel. Aber obwohl Stone im Vorspann des jetzt fertiggestellten Films immer noch als Co-Autor genannt wird, ist von seiner Handschrift kaum noch etwas spürbar.
Einen mehr als zweistündigen Musikclip hat Alan Parker hier vor allem gefertigt, weitgehend ohne Kanten und Ecken, in dem die direkte Zweitverwertung einzelner "Nummern" auf einschlägigen TV-Sendern besser funktionieren dürfte als die im großen ganzen von Szene zu Szene stolpernde Erzähldramaturgie, die letztlich in große Versöhnung mit einer tragischen, halt allzumenschlichen Heldin gipfelt. Evita – ein Opfer der Geschichte, und mehr noch: einer schwachbrüstigen Nacherzählung.
Keine Frage, daß in diesem honigfarbenen Seim aus eingängigen Tonfolgen, aufwendigen Kostümen und nostalgischem Licht Madonna in der Titelrolle ihre bisherige Erfahrung mit Musikvideos ausspielen kann. Halbwegs gut funktioniert dies, wenn sie die Songs von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice gleichsam autobiographisch interpretiert, also eine Skrupellosigkeit in Sachen Karriere lediglich ausleben muß, anstatt großartig das historische Vorbild zu imitieren.
Heiterer wird die Sache schon dort, wo Parker ihrem perfekten Posieren duschende Offiziere entgegenstellt, die bei der Beseitigung von Achselschweiß im Chor Evitas Schlampenhaftigkeit besingen. Und spätestens wenn zu marschierenden Militärs und tobendem Volk die E-Gitarren aus Andrew Lloyd Webbers Rockmusical-Frühphase losjaulen, können Herr und Frau Kinogeher wählen: fliehen, leiden oder eines der (unfreiwillig) komischsten Werke des Jahrzehnts belachen.
Entscheidet man sich für letztere Variante, dann bietet Evita in epischer Breite geradezu eine Überfülle an Pointen: Allein die an eine Kautschuk-Badehaube erinnernde Perücke, die Jonathan Pryce als Juan Peron verpaßt wurde, macht immer wieder perplex. Antonio Banderas’ Mienenspiel eines empörten Che Guevara reduziert sich auf monotones Zähnefletschen. Einige geradezu anachronistisch veraltete Songs bezeugen in Dolby-SR-Lautstärke nur schleißige Machart.
Warum dieser ganze Wirbel und warum gerade jetzt? Politik und Geschichte werden nicht transparenter. Melodramatik will nicht entstehen. Man kommt schwer umhin, den einzigen Sinn in einer Großinvestition in die zuletzt ins Stocken geratene Madonna-Maschine zu sehen.
Wie heißt sehr bezeichnend der einzige Song, der für den Film zusätzlich komponiert wurde: You must love me. Wo Zuneigung und Begeisterung derart strikt verordnet werden, scheint Madonna der Übergang ins hausbackene Rollenfach (zumindest vorläufig) gelungen: Ja, sie ist fleißig und talentiert. Die Zeiten der Erotica liegen hinter ihr, und alle haben sie gern, wenn sie am Ende unberührbar und sehr sauber im Glassarg liegt (Claus Philipp, DER STANDARD vom 9/1/1997)
Der Gebrauchslyriker Oliverio läßt Frauen, die nicht in der Lage sind, seinen poetischen und sinnlichen Höhenflügen zu folgen, durch den Klappmechanismus in seinem Bett ins Bodenlose fallen. Am Ende von Oliverios obsessiver Suche nach der Traumfrau läßt ihn Subiela in seiner erfrischenden Komödie einer Frau begegnen, die Oliverio endlich die dunkle Seite des Herzens erleuchtet. Mit ironischen, poetischen und surrealen Elementen beschreibt Subiela eine Männerwelt, in der Frauen eher Versatzstücken als ernstzunehmenden Wesen gleichen und in die eine Frau emanzipatorisch eingreift.
Eliseo Subielas dritter Spielfilm ist ein Poem zum Thema Liebe, Erotik und Tod. Oliverio, ein Dichter um die Dreißig, huldigt der Suche nach dem Absoluten in der Liebe - ob eine Frau schön oder häßlich ist, kümmert ihn nicht, nur fliegen muß sie im Liebesakt können. Ana, eine Dirne, ist schließlich die Frau, die sich emanzipatorisch seiner Unreife annimmt. Ein Film der fraglos ernstgenommenen Gefühle, schön in dieser poetischen Unbedingtheit, in keinem Augenblick anstößig, obgleich auch Obszönes sehr gegenständlich vorhanden ist. (Zoom)
HONGKONG 1995 Regie: Wong Kar-wai,
Buch: Wong Kar-wai,
Musik: Frankie Chang, Roel A. Garcia,
Kamera: Christopher Doyle,
Darsteller: Leon Lai Ming, Michele Reis, Takashi Kaneshiro, Charlie Young Kinostart: 10/1/1997
Ein Killer zweifelt an seinem beruflichen Kodex. Er löst sich von seiner Partnerin und schließt sich einer Fremden an und durchlebt mit ihr Exzesse. (...) "Fallen Angels" schildert verschiedene Geschichten und Schicksale aus den Nächten von Hongkong. Doch anders als bei "Chungking Express" sind sie diesmal enger miteinander verknüpft, einer etwas gradlinigeren Erzählstruktur folgend, den Zugang für den Zuschauer erleichternd. Die dynamische Vision ist die gleiche. (Gildendienst, 12/96)
Hongkongs Tage als britische Kronkolonie sind gezählt. Die damit einhergehende Verunsicherung hat für die
Filmindustrie längst einschneidende Konsequenzen gezeitigt: Einige Kreative und Produzenten kokettieren seit
geraumer Zeit mit Arbeits-und Verwertungsmöglichkeiten in den USA – allen voran Superstar Jackie Chan und der
Regisseur John Woo, wobei letzterer nach Broken Arrow bereits einen zweiten Film mit John Travolta vorbereitet.
Letztlich sind jedoch, zumindest, wenn man dem Filmemacher Wong Kar-wai Glauben schenken darf, die Abwanderungstendenzen weitaus geringer, als eigentlich erwartet. Er selbst, der zuletzt mit Chungking Express auch im Westen Erfolge in Programmkinos verbuchen konnte, denkt gar nicht an Emigration. Gerade der Umbruch bzw. die kommende Konfrontation mit chinesischen Traditionen weckt sein Interesse. Und der Titel seines neuen geplanten Projekts Summer in Bejing verspricht bereits erste Schritte über Grenzen, die ab 1. Juli ohnehin fallen werden.
Mit Fallen Angels, einer Fortsetzung gleichsam zu Chungking Express, macht Wong Kar-wai aber noch einmal die Megacity Hongkong zur Hauptdarstellerin in einem Episodengeflecht über Stillstände und Beschleunigungen, Beengtheiten zwischen Menschenmassen und nächtliche Einsamkeiten, erhellende Blendungen (auch durch Neonlicht) und nutzlose Klarstellungen. Wie schon sein Vorgänger ist Fallen Angels ein Stadtporträt, daß sich erst als Gangsterfilm und dann wieder als Liebeskomödie tarnt. Und die beiden Romanzen, die hier ineinanderkippen, könnten jeweils Alpträume der einander gegenüber gestellten Paare sein.
Hier ein "Killer" und eine "Agentin". Dort "Cherry" und "Blondie". Hier zwei Auftragsmörder, dort zwei Neurotiker. Wachsfiguren, direkt vom Reißbrett in gekippte Bilder hineingeworfen. Kleine Absteigen und Wohncontainer halten diese Protagonisten nie lange in Ruhe: Rastlos hetzen sie durch U-Bahn-Stationen und Einkaufspromenaden. Beinahe schon in Agonie verfallen sie nachher in Bars, vor Jukeboxs, in denen CDs schimmern, die beim Abspielen das Paradox von Fallen Angels am besten auf den Punkt bringen: Rasender Umdrehung können nichtsdestotrotz melancholische Foxtrotts entlockt werden.
Die wenigen Bezeugungen von gegenseitiger Sympathie sind sprunghaft wie Wong Kar-wais Verzicht auf lineare, logische Erzählstränge. Immer wieder scheinen sich sogar die Figuren aufzusplittern in verschiedene, sehr unterschiedliche Subcharaktere. Der Killer wird zum Komiker; Sonnenbrillen und Perücken, Lack und Leder tarnen und stilisieren zugleich, so wie sich Gefühle oft hinter großen Zahlen verstecken: Der "Jukebox Song 1818", den die einsame Agentin am Ende wählt, lautet "Forget Him".
Nicht nur über solche exzentrische Attitüden hinweg ist Fallen Angels noch artifizieller als Chungking Express geraten. Gemeinsam ergeben diese beiden Filme aber eine durch und durch anrührende Liebeserklärung an eine neurotische, beständig auswuchernde Stadt. An ihre regennassen Straßen, die groben Graffitis auf ihren glatten Oberflächen, die Tunnels, durch die man gemeinsam auf Motorrädern gleiten kann – ins Leere, möglicherweise. Aber die Engel unter dem Nachthimmel von Hongkong, die Wong Kar-wai zu besingen weiß, haben mit Stürzen ohnehin schon einige Erfahrung. (Claus Philipp, DER STANDARD)
Die Szenerie ist grell und schrill. Hongkong Mitte der neunziger Jahre: eine Stadt im Aufbruch. In den Straßen Hektik und Unruhe. Hier "wird alles gegessen, was vier Beine hat - Tische ausgenommen". Jeder scheint sich an jedem zu reiben. Der süße Geruch des Erfolgs lockt an jeder Ecke: Geschäfte mit High-Tech, Seide, Gold, Glücksspiel. Heuschrecken kosten zwischen fünf und dreißig Dollar. Alles wirkt überfüllt, wirr, überdreht. Hongkong ist eine Stadt der Lichter, in denen die Nacht keine Chance hat.
Der junge Filmemacher Wong Kar-Wai , 1958 in Shanghai geboren, doch seit 1963 in Hongkong ansässig, entwirft seine Visionen vom Überleben in der Stadt der Geld- und Bürotempel wie ein Gemälde in Bewegung: als photographische Subjektivität in der Zeit. Er sucht das gültige Bild hinter den Turbulenzen von Geschäft und Vergnügen. Wie ein Berserker schneidet er manchmal zwischen die Szenen, als wollte er verhindern, daß man der fernöstlichen Glitzerwelt erliegt. Er deutet an, bricht ab und beginnt am anderen Ort zur anderen Zeit, setzt erneut an, um sofort wieder die Szene zu wechseln. Die skizzenartigen Geschichten mäandern in zahllose Richtungen und fügen sich dennoch zu Bildern einer fremden, fernen Kindheit. Sein Film, so Wong selbst, handele "von den zwei Seiten einer Münze... Er hat damit zu tun, sich das eigene Glück zu erhalten."
Vier, fünf Geschichten auf und zwischen den Straßen von Hongkong: mal laufen sie nebeneinanderher; mal überschneiden sie sich. Da ist der junge Killer, der ungerührt seinen Job erledigt, oft gegen sechs, sieben Gegner. Seine traumhaft schöne Agentin, die für ihn die Tatorte erkundet, die Termine festlegt und danach die persönlichen Spuren in seinen Appartements verwischt. Und seine blonde Geliebte, mit der er seinen days of being wild frönt. Da ist der stumme He Quiwu, der jeden Gelegenheitsjob annimmt, mit Vorliebe in der Nacht, um für andere die Geschäfte in Gang zu halten. Und die unglückliche Charlie Young, die darüber verzweifelt, daß ihr Freund nun eine andere hat, und deswegen für einen Abend Trost sucht bei dem Stummen, ohne ihn wirklich anzuschauen. Das Motto des Films: Fools walk where angels fear to tread.
Chi-ming, der Killer, bekennt, er sei a lazy person. "Ich treffe keine Entscheidungen. Ich bin glücklich, wenn andere für mich entscheiden." Dennoch sucht er sich am Ende von allem zu befreien - von den Frauen, den Jobs, der düsteren Stadt. Also zieht er ein letztes Mal los, mit zwei großkalibrigen Pistolen in der Tasche. "Auch ob ich sterbe, wo und wann, werden andere entscheiden."
Mit einer Münze, die in die Luft geworfen wird, fängt es an. Kopf oder Zahl? Der Zufall dominiert die Ordnung der Dinge. Die Schießereien des Killers, der seinen Gegnern keine Chance läßt, entsprechen der Obsession des Stummen, der - als Fast-food- oder Eisverkäufer - seine Kunden nötigt, bis sie ihm Geld anbieten, um nicht weiter behelligt zu werden. Die Melancholie der Agentin, die nicht zurechtkommt mit ihren Gefühlen für den Killer, korrespondiert mit den Tiraden der blonden Punkie, die weiß, daß sie für den Killer nur ein Abenteuer bleiben wird. Es gibt keine Dramaturgie, die das alles formt und ordnet; bloß lose Fäden, die zu keinem festen Punkt führen. Immer aufs neue treibt das Tun der einzelnen alles auseinander. Immer aufs neue aber kommen auch - an einer Straßenecke, einer Garküche, einem Guesthouse - die Helden für einen Moment zusammen. Eine Geschichte im üblichen Sinne ergibt das nicht. Nur Fragmente, die eine Komposition schwärzester Momente bilden, einen Reigen um Tumult, Tod und Trauer.
Wong Kar-Wai ist ein Fanatiker der Bewegung. Seine Helden rennen, hetzen, rasen. Und die Kamera fährt und fliegt um sie herum, als sei allein mit schwindelerregender Beweglichkeit ihrem Treiben zu folgen. Es ist, als choreographiere Wong seine Bilder und Szenen, um ganz neue Formen im Zusammenspiel von Stadt und Mensch zu entdecken. Hongkong ist Hongkong - und doch zugleich die ganze Welt. Voller Staunen folgt man dem Fluß der Bilderfetzen und fühlt sich am Ende irritiert und mitgenommen - wie nach einem unbegreiflichen Traum.
Was dabei zwischen den Menschen entsteht, sind nur Arrangements, nie Gefühle. Partner zu sein, so Chi-ming einmal zu sich selbst, bedeute, die Gedanken des anderen lesen zu können. Als er dann das Interesse seiner Agentin spürt, hinterläßt er ihr eine Münze für die Jukebox, für den Song: Forget him! / It's like forgetting the joy of life. / Forget him! / It's like forgetting yourself.
"Fallen Angels" ist ein Film über Professionalität und die Unfähigkeit zur Perfektion, über einen Narren und seine Fähigkeit zur List, über Einsamkeit und die Unfähigkeit zur Liebe. Noch stärker als 1994, in "Chungking Express", hat Wong hier Anleihen bei den frühesten Filmen der französischen Nouvelle vague gemacht. Er will, wie damals die Bande um Godard und Rivette, das Konventionelle und Eindeutige verbannen, um zu einer neuen Poesie des Brüchigen und Flüchtigen zu kommen. Dafür arbeitet er oft im Freien und mit wenig Licht. Die Handkamera von Chris Doyle nutzt gerne die Wirkung der Weitwinkelobjektive, die die Akteure in Distanz bringt, während sie doch aus größter Nähe gefilmt sind. Die Wirklichkeit zerreißt, und an ihre Stelle treten Schatten, Impressionen, Phantasien. Das Leben, so die Botschaft von "Fallen Angels", existiert bloß im verwunschenen Augenblick.
(Norbert Grob, DIE ZEIT Nr.4 vom 17. Januar 1997)
KOMÖDIE, USA 1940 Regie: George Cukor,
Buch: Donald Odgen Steward, nach Philip Barry,
Musik: Franz Waxman,
Kamera: Joseph Ruttenberg,
Schnitt: S,
Darsteller: Cary Grant (C.K. Dexter Haven), Katherine Hepburn (Tracy Lord), James Stewart (Macaulay Connor), Ruth Hussey (Elizabeth Imbrie), John Howard (George Kittredge), Roland Young (Onkel Willie), John Halliday (Seth Lord), Mary Nash (Margarete Lord), Virginia Weidler (Dinah Lord), Henry Daniell, Lionel Pape, Rex Evans Kinostart: 10/1/1997
Demnächst
Die extravagante, zu den "Oberen Zehntausend" von Philadelphia zählende Tracy Lord ist seit einiger Zeit von ihrem ersten Ehegatten geschieden und plant, eine neue Ehe mit George Kittredge einzugehen. Eine Nachricht von höchster Wichtigkeit für das Gesellschaftsmagazin "Spy", das sofort den Reporter Macaulay Connor und die Fotografin Elizabeth Imbrie auf die Story ansetzt. Familie Lord ist davon gar nicht begeistert, zumal nicht klar ist, ob Tracys Vater Seth Lord, der von seiner Familie getrennt lebt, zur Hochzeit erscheinen wird. Aber Tracy und auch ihr anwesender Ex-Gatte empfangen die Journalisten selbstbewußt und zuvorkommend, und die Nacht vor der Hochzeit wird für alle, außer dem Bräutigam, ein feuchtfröhliches Vergnügen.
Die Frechheit versteht sich von selbst. Mit kleinen Gemeinheiten (und ganz ohne Worte) eröffnet Regisseur George Cukor die Partie: Amazone Katharine Hepburn bricht da ihrem Ex-Mann Cary Grant zum Abschied noch einen seiner geliebten Golfschläger übers Knie, wofür sie im Gegenzug von Grant verächtlich auf die Matte gesetzt wird. Szenen einer Ehe, oder - Beziehungskrisentheater, für das Kino adaptiert. The Philadelphia Story (1940) läuft - Original mit Untertiteln - wieder in Wien.
Viel läßt sich lernen vom alten US-Unterhaltungskino, von der Selbst- und Stilsicherheit, mit der man einst Komödien in den Raum stellen konnte, die die Liebe und die Klassenverhältnisse nebenbei noch mitzudenken imstande waren.
The Philadelphia Story dreht sich um eine simple Idee: Eine Gruppe sehr verschiedener Menschen kommt, zum Kräftemessen, am Vorabend einer Eheschließung zusammen. Ein Ort, eine Nacht - und eine Serie heftiger Komplikationen, die sich alle aus dem Nicht-mehr und dem Noch-nicht ergeben: aus reversiblen Scheidungen und absagbaren Hochzeiten, aus den variablen Zielen übler Intrigen und den Machtspielen unter Liebenden, die dafür sorgen, daß Hepburn plötzlich zwischen drei Ehe-Anwärtern (und vor dem Zwang zur allumfassenden Neukalkulation) steht.
Mit im Spiel: Klatschkolumnist James Stewart, der mit schneidendem Witz die Society aus der Fassung bringt.
Nach einem Drama von Philip Barry drechselte Autor Donald Ogden Stewart, der wie James Stewart einen Oscar erhielt, die Dialoge: Die Effizienz von Cukors Philadelphia Story erschöpft sich, einem populären Vorurteil zum Trotz, keineswegs im Verbalen. Seine Komödie, so sehr sie die Mimen liebt, lebt entscheidend vom Visuellen, von raffiniert gesetzter Körper- und Kamerabewegung: Cukor, Liebhaber der Improvisation, plädierte stets dafür, den Witz auf der Leinwand passieren zu lassen.
Und weil eben die Frechheit, nicht nur hier, sondern überall in der Kunst siegt, sieht das Ende dieser luxuriösen Komödie vom (imaginären) Geistreichtum der Reichen nicht nur happy, sondern vor allem auch hochprozentig aus. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)