Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 7. Februar 1997 neu angelaufene Kinofilme


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DAYLIGHT (DAYLIGHT)

USA 1995
Regie: Rob Cohen, Darsteller: Sylvester Stallone, Amy Brenneman, Viggo Mortensen
Kinostart: 7/2/1997

Rushhour in New York. Punks überfallen einen Diamantenhändler und flüchten mit der Beute. Die Polizei klebt ihnen auf den Fersen. Ein Unfall im Manhattaner Lincoln-Tunnel löst eine Katastrophe aus: Explosionen schließen ein Dutzend Menschen in den Trümmern ein. Nur 12 Menschen sollen das Inferno überleben - vorerst. Rettungsspezialist Latura läßt sich über einen Belüftungsschacht ins Innere schleusen, um den Überlebenden beizustehen. Die Zeit wird knapp, denn der Tunnel füllt sich mit Wasser.

Katastrophenfilme beginnen an einem Tag wie jeder andere auch, und er endet gern an einem Abend, an dem nichts mehr so ist wie zuvor. Dazwischen machen Menschen eine Erfahrung, zumeist eine der Elemente in extremis. Im Falle von Daylight, dem neuen Vehikel für Sylvester Stallone (Regie: Rob Cohen), sind die Erfahrungen ganz das Gegenteil des Titels.
Feucht und finster ist es für die kleine Schar der Überlebenden, die wie einst auf Géricaults Floß im steigenden Wasser schwanken, nur eben in einem Tunnel ohne Licht am Ende desselben.
Der Held, der die Mutlosen und mit einer Geschichte nur geringfügig Beladenen wieder ins Freie und ans Tageslicht führt, muß allerdings zuerst überhaupt einmal nach unten. Wie Sly Stallone sich todesmutig (er muß eine frühere Schmach tilgen) in die enormen Rotorblätter der Entlüftungsanlage wagt, um sich hindurchzustehlen, das ist ein Höllensturz, der sogar in diesen grimmigen und entschieden niemals eleganten Koloß von Film Bewegung bringt.
Auf eine paradoxe (perverse?) Weise stimmt Daylight aber sogar mit sich selbst überein: Der Haß auf Gott, die Welt und die Stadtverwaltung, mit dem Stallone zur Sache geht, färbt so direkt auf Cohens Regie ab, daß jede auch noch so banale Gelegenheit zu ein bißchen mehr Sinn und Inhalt stur zurückgewiesen wird. Die Figuren (Amy Brennegan, Viggo Mortensen) sind so nebensächlich, daß die Frage berechtigt scheint: Warum soll man sie eigentlich gerettet sehen wollen?
Konsequent ist es dann nur, wenn Stallone zwar das Fähnlein der sieben Aufrechten nach oben bringt, aber selbst im Keller bleibt. Am Ende wird er, wie Bruce Willis in Die Hard III, einfach ausgespien. Auf gewisse Typen verzichtet sogar die Unterwelt. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 11/2/1997)

Wer leidet an Klaustrophie? Jetzt gibt es die billige Therapie... Die Behandlung besteht im wesentlichen aus permanenter Reizüberflutung. Aber auch dem Schockerlebnis, daß einem in höchster Not Sylvester Stallone begegnet und versucht, neben der aussichtsreicheren anderen seinen Hirnmuskel anzustrengen...
Die Rahmenhandlung sprengt den New Yorker Holland Tunnel unter dem Hudson River per Unfall in die Luft und setzt ihn anschließend unter Wasser. Auch dem Film steht das Wasser bis zum Hals, weil er das Uraltrezept der Katastrophenfilme nicht wirklich neu beleben kann. (Rudi John, KURIER)

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PORTRAIT EINER LADY (PORTRAIT OF A LADY)

GB / USA 1996
Regie: Jane Campion, Buch: Laura Jones, nach Henry James (1881), Musik: Wojciech Kilar, Kamera: Stuart Dryburgh, Schnitt: Veronika Jenet, Darsteller: Nicole Kidman (Isabel Archer), John Malkovich (Gilbert Osmond), Barbara Hershey (Madame Merle), Mary-Louise Parker (Henrietta), Martin Donovan (Ralph Touchett), Shelley Winters (Mrs. Touchett), Christian Bale, Viggo Mortens, Valentina Cervi, Sir John Gielgud
Kinostart: 7/2/1997

Amerika 1890. Nach dem Tode ihres Vaters reist Isabell Archer nach England. Zwei Männer halten um die Hand der attraktiven Frau an, doch sie heiratet den Amerikaner Gilbert Osmond. Sehr spät lernt sie den wahren Charakter ihres Mannes kennen. Statt ihren Fehler einzugestehen, verzichtet sie auf die kurzfristig wiedergewonnene Freiheit und kehrt in die Hölle der Ehe zurück. (Verleihprogramm)

Eine junge in England weilende Amerikanerin weist ihre Verehrer ab, da sie das Leben entdecken und die Welt sehen will. In Italien wird sie von einer in England getroffenen anderen Frau einem unstandesgemäßen Mann vorgestellt. Diesen heiratet sie nach einer langen Reise, später erweist er sich als humorloser, berechnender Egoist. Eine Art komplexe Versuchsanordnung, ein ruhiges Melodrama über die Grenzen menschlicher Freiheit und in der Realität nicht funktionierende Ideale, sorgfältig gestaltet, gut besetzt, und vielschichtig. (Zoom, 12/96)

Ende des 19. Jahrhunderts kommt eine junge, emanzipierte Amerikanerin nach Europa und kann sich die Männer aussuchen. Dennoch schlittert sie in eine unglückliche Ehe mit einem berechnenden Charmeur. Nach demütigenden Erfahrungen erwacht ihr Freiheitsdrang erneut. Das Mann-Frau-Duell erstickt in edler Langeweile, gediegenem Ambiente, in Samt und Seide. Nicole Kidman und John Malkovich bieten synthetische Gefühle auf Hochglanzpapier. Emotionen sind nicht zu spüren. (M.K.)

(...) Die Faszination, die Jane Campion uns sonst so genial vermittelt, bleibt diesmal weitgehend aus. Mögen es gerade die dekorative Überladung vieler Szenen, die ehrgeizig-manirierten Spielereien mit Licht und Dunkel, mit bedeutungssschwangeren Dialogen ausgeklügelter Psychologisierung sein - oder ist es einfach nur die marzipanglatte Kälte der Hauptdarstellerin Nicole Kidman? Was heute sein könnte in den zwischen gesellschaftlichen Konventionen und Freiheitsdrang zappelnden Menschen, wirkt schlicht antiquiert und leblos. So schwelgerisch-gefühlvoll die Bild-Kompositionen und die Musik, so fern bleiben uns die Charaktere. (Angie Dullinger, AZ, 9.1.97)

Eine Lieblingslektüre zu verfilmen, ohne ihr Gewalt anzutun: Das ist ein Unterfangen, bei dem man zuallererst vor der verehrten Vorlage scheitert. Jane Campion hält gleich zu Beginn von Portrait of a Lady unmißverständlich fest, daß es ihr nicht um eine Adaption des Romans von Henry James zu tun ist, sondern um eine sehr subjektive Relektüre, eine Variation.
Die jungen Mädchen in Hippiegewändern, die da unverwandt in die Kamera blicken, könnten Erinnerungen Campions an ihre Jugendzeit entsprechen, in der sie das Buch erstmals gelesen hat. Und was für einen Eindruck muß damals der einzige, katastrophale Kuß, den James bei seiner Beschreibung eines Frauenlebens zuläßt, auf sie gemacht haben: Im Off spekulieren die jungen Damen über die Reize erster Berührungen und sexuelles Erwachen.
Ähnlich wie Martin Scorsese in Zeit der Unschuld entwirft Campion denn auch in weiterer, opulent kostümierter Folge eine exquisite Abfolge körperlicher Annäherungsversuche. Über diese hinweg verzichtet sie auf den Großteil von James’ geschliffenen Dialogen – was den Betrachter weniger mit "Handlung" als mit episodischen Stillständen konfrontiert.
Aufgestaute Sehnsüchte eskalieren am Ende von Campions 19. Jahrhundert bestenfalls in schallenden Ohrfeigen. Ein Mann quält seine Frau, indem er in Andeutungen auf sie einhackt, wie ein Geier mit seinem Schnabel. Eine einzige sanfte Berührung löst wilde Tagträume aus. Der Kuß selbst, mit dem die Protag_nistin hypnotisiert und in eine katastrophale Ehe hineingestoßen wird, findet bezeichnenderweise tief unten, sehr versteckt, in römischen Katakomben statt.
In all diesen Laufbild-Gemälden bleibt Campion denkbar konsequent, wesentlich radikaler jedenfalls als in ihrem letzten melodramatischen Erfolg Das Piano. Eine wesentliche Finesse von James’ Roman bedenkt ihre Lesart in all ihrer Reduktion allerdings nicht: Obwohl The Portrait of a Lady eine "Titelheldin" aufweist, hat der Roman ganz bewußt kein Zentrum. Isabel Archer, deren ursprüngliche Farblosigkeit und Unentschlossenheit Nicole Kidman im übrigen vortrefflich entspricht, ist im Ensemble der Protagonisten wie ein unbeschriebenes Blatt, auf dem und über das sich die anderen fortwährend verwirklichen. Und auch ihr Gemahl Gilbert Osmond, den John Malkovich im Film sehr forciert als kunstsinnigen Dämon anlegt, ist bei James eigentlich eher ein auf diffuse Weise langweiliger, hohler Tyrann.
Die eigentlichen Hauptfiguren, wenn man so will, sind für James jene starken, konkret leidenden Persönlichkeiten, die Isabel mit mehr oder sehr viel weniger Zuneigung prägen: Die tragische Intrigantin Madame Merle (Barbara Hershey), die Isabel mit Osmond verkuppelt (um Osmonds Leben mitzugestalten), bildet hier gewissermaßen den Gegenpol zum schwindsüchtigen ewigen Erben Ralph Touchett (Martin Donovan), für den Isabel gleichsam ein von ihm subventioniertes Ersatz-Leben führt.
Es ist eine gewisse Schwäche des Films, daß er diesen Figuren wie auch dem Rest des Ensembles zu wenig Beachtung schenkt und sie statt dessen mit ein paar darstellerischen "Glanzmomenten" abspeist. Zu sehr hat sich Campion vielleicht in die Ratlosigkeit von Isabel Archer verliebt. Und so steht Portrait of a Lady am Ende gewissermaßen wie seine Protagonistin draußen vor der Tür, in einer unwöhnlichen, künstlichen Kälte, für die man sich erst erwärmen muß. Aber die Anstrengung lohnt sich.(Claus Philipp, DER STANDARD, 7/2/1997)

Die Erwartungen waren hoch, dreieinhalb Jahre nach The Piano: In Cannes 1993 hatte Jane Campion den Hauptpreis des Filmfestivals gewonnen - mit einem klug gezügelten Melodram aus einer Welt, so schien es, jenseits von Raum und Zeit. Nach langem Schweigen stellt sie nun ein neues Elaborat vor: wieder in historischem Kostüm, erneut ein Melodram, eine Literaturverfilmung diesmal, nach Henry James: The Portrait of a Lady. Im Vorfeld operierten Campions Öffentlichkeits-Strategen mit opulenten PR-Materialien, verrätselten Plakaten und gediegen-kostspieligem Presseheft-Design. Geld, Geist, Ästhetizismus: Wer Welterfolge inszeniert, hat höchsten Ansprüchen gerecht zu werden.
Filmfestival Venedig, September 1996, eine Weltpremiere, ein Festivalereignis: The Portrait of a Lady, Prestigeprodukt des Weltkunstfilms, startet seinen ersten Durchlauf. Man erwartet einen Ausstattungsfilm, einen Schicksalsroman, auf Höhe der edlen Feder Henry James', man vermutet rekonstruktive Pracht, inszeniert mit der hohen audiovisuellen Intelligenz einer Erzählerin, deren Filmographie noch makellos ist. Man erwartet (zuviel): Literatur, aber filmisch; Emotion, aber zart; Ikonoklasmus, aber kontrolliert; Reflexion, aber unpädagogisch; Kino, aber hochliterarisch.
Was man zu sehen kriegt, ist die Summe dieser Erwartungen und dennoch nicht genug: alles Gute zugleich, von jedem etwas, nichts ganz. Im Prolog des Films schon macht Campion ihr Kino erstmals mit dem Stil gutgemeinter Werbespots bekannt: Eine Serie lyrischer Mädchen- und Frauenporträts, als wär's ein Clip von Calvin Klein, eröffnet in CinemaScope das Spiel, moderne Alltagsheldinnen, die direkt in die Kamera lächeln und öffentlich das Phänomen Kuß besprechen. Bildnisse einiger Damen: Was folgt, kann nur a girl's own story sein.
Danach das erste Tableau der Story, die erste Landschaft, eine Seelen- Landschaft - Nicole Kidmans irritiertes Gesicht führt in eine alte Geschichte, die von der Zerrüttung eines Lebens handelt und von der Zerschlagung eines Glücks: Eine Amerikanerin in Europa, umringt von Lungenkranken und Biedermännern, scheitert an ihren Utopien von der Freiheit, an ihren Träumen von der Selbstbestimmung.
Die Entscheidungen werden, a girl's own fate, von anderen getroffen: Die amoralische Barbara Hershey spielt, trügerisch sensitiv, Schubert am Piano, obwohl sie Böses plant, und der arrogante Lebemann John Malkovich, für den sie arbeitet, reproduziert seine Dangerous-Liaisons- Dekadenzen an Leib & Seele Kidmans.
Während das Netz der Intrigen sich also konstituiert, nimmt Campion das Problem der Schauplätze und der Kostüme in Angriff. Die idyllischen Landsitze in England, Florenz und Rom werden, zwanghaft fast, in den Hintergrund gedrängt: Campion zieht sich, gleich nach dem Start, aus dem Grünen zurück, um Bilder gegen die Pracht, wider die Opulenz zu fabrizieren. Ist es glaubwürdiger, seine Geschichten unphotogen zu erzählen? In blassen Farben und halbdunklen Räumen spielen Campions Helden bald nur noch Theater, rund um die kongenial blasse Nicole, die die falsche Ehe schließt und am Geld seelisch zugrunde geht, das ihr ein Wohltäter nichtsahnend überlassen hat. Die Dialoge nehmen überhand im Schuß-Gegenschuß-Gewitter, von einer schnellen Fluchtbewegung Kidmans am Ende konterkariert, die allerdings wieder nirgendwohin, in ein offenes Ende (und ein geschlossenes Standbild) führt. The Portrait of a Lady reibt sich auf im Versuch, einem Text zu genügen; und wo es zwischendurch doch um das Kino geht, da wird nervös beschleunigt und verlangsamt, gefroren und wieder aufgewärmt, und einmal wird gar ein kleiner Trickfilm im Stil alter Stummfilme eingeschaltet, der formal nicht paßt und nichts zu illustrieren weiß.
Dennoch gelingen Campion, bei genauerem Hinsehen, immer wieder wunderbare Szenen, die das Herz, die offenen Wunden dieser schrecklichen Geschichte zu berühren scheinen: der Schatten eines nervös rotierenden Sonnenschirms am Boden eines mausoleum-artigen Museums, wo sehr leise Horribles stattfindet; ein Ball, bei dem den Mädchen die Luft abgeschnürt wird und die Liebenden - hastig zwischen Silbergeschirr und marmornen Interieurs - nur heimlich miteinander reden dürfen; und zwei Nebendarsteller, Martin Donovan und Barbara Hershey, retten schließlich auch das Schauspiel dieses spröden Films, der von Campion zu großer Ruhe, zur Erstarrung fast gezwungen wird: Jane Campions Portrait, das ist - immerhin - eine letzte seriöse Literaturverfilmung geworden, die den Ivorys, den Schlöndorffs und den Vilsmaiers (glücklicherweise) alles andere als nahesteht. Auch wenn sie nebenbei davon erzählt, daß es eigentlich unmöglich ist, manche Texte seriös zu verfilmen. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

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LA SECONDA VOLTA (LA SECONDA VOLTA)

I / F 1995
Regie: Mimmo Calopresti, Buch: Heidrun Schleef, Francesco Bruni, Mimmo Calopresti, Musik: Franco Piersanti, Kamera: Alessandro Pesci, Schnitt: Claudio Cormio, Darsteller: Nanni Moretti (Alberto), Valeria Bruni Tedeschi (Lisa), Valeria Milillo (Francesca), Roberto De Francesco (Enrico), Marian Confalone (Adele), Simona Caramelli (Sonia), Francesca Antonelli Paolo De Vita, Antonio Petrocelli, Rossana Mortara, Orsetta De Rossi, Nello Mascia
Kinostart: 7/2/1997

In Turin trifft ein Wirtschaftsprofessor zufällig eine politische Terroristin wieder, die ihn vor Jahren bei einem Attentat schwer verletzt hat. Zur schicksalshaften Begegnung kommt es, weil die Frau, zu einer langen Haftstrafe verurteilt, tagsüber in Halbfreiheit einer normalen Arbeit nachgehen kann. In seinem Spielfilmdebüt geht der italienische Dokumentarfilmer Mimmo Calopresti der komplexen Frage nach, wie eine derartige Konfrontation zwischen Opfer und Täter, die zweite Begegnung also, aussehen könnte. Ein Film über die Schwierigkeiten der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Nächstenliebe, von schauspielerischer, narrativer und dramaturgischer Sensibilität und Kraft geprägt und mit nachhaltiger Wirkung. (Zoom, 10/96)

Man muß einen Menschen treffen, um hundert zu erziehen: Diese Logik des Terrorismus erscheint im Westen jetzt, da etwa das Kapitel RAF in Deutschland quasi offiziell abgeschlossen wurde, schon wie ein Schemen aus dunkler Vergangenheit. Heute geht es um liberalen Strafvollzug an Tätern, die sich von der umstürzlerischen Mission losgesagt haben, und um Therapie für Opfer, die überlebt haben.
Die Stimmung ist melancholisch, wie nach einer Revolution, die nicht stattgefunden hat. So erzählt es jedenfalls Mimmo Caloprestis Film La seconda volta, eine Episode aus Italien, in der von Versöhnung keine Rede sein kann, allenfalls von einer Normalisierung. Das erste Bild zeigt einen Mann, der in einem kleinen Hausschwimmbecken mit einem Rudergerät trainiert. Später werden wir begreifen, daß es dabei nicht um Fitness geht, sondern um Gleichgewicht. Alberto Sajevo, ein Universitätslehrer, hat eine Kugel im Kopf – das Relikt eines Attentats.
Nanni Moretti spielt Alberto Sajevo in der Manier, die ihn in Italien zu einem Idol werden ließ: Cholerisch und introvertiert, hartnäckig und mit einer deutlichen Ladung Selbsthaß, den er aber immer wieder nach außen richtet (man erinnere sich an den Pfarrer in La messa è finita).
Ihm gegenüber agiert eine der zur Zeit großartigsten europäischen Schauspielerinnen: Valeria Bruni-Tedeschi, hier als ehemalige Terroristin Lisa Venturi bei ihren Tagesfreigängen in Rom radikal ohne jeden Glamour, stattdessen "mit ein paar Kilo zuviel", wie man sie im Gefängnis schnell zulegt.
Calopresti erzählt, wie sich diese zwei Menschen begegnen. Er läßt uns dabei über den Moment im Ungewissen, in dem Lisa erkennt, daß ihr der Mann gegenübersitzt, auf den sie einmal geschossen hat. Einen zu treffen, um hundert zu erziehen: Alberto Sajevo war für die Täterin ein anonymer Zufallstreffer.
Der Alltag bestimmt den Rhythmus der Begegnungen: Das Mittagessen im Selbstbedienungsrestaurant, die Busfahrten von der Arbeit an die Peripherie. Dazwischen erzählt Calopresti von anständigen Menschen in einem Italien, das auffällig ohne seine hysterischen Anteile gezeigt wird (das Fernsehen zum Beispiel kommt nicht vor).
Ein Richter, ein Vorgesetzter an Lisas Arbeitsplatz, die Frauen im Gefängnis, die Schwester von Sajevo: Sie alle etablieren eine Atmosphäre der Anteilnahme und Solidarität, ohne jedes Gutmenschentum. Und auch die "Redekur", zu der Sajevo seine Attentäterin förmlich nötigt, verläuft ohne große Worte.
La seconda volta vermittelt den Eindruck, als wäre es durch die ganze reiche Tradition des italienischen Kinos hindurchgegangen (von Rossellini bis zum Politkino der 70er Jahre) und am Ende bei den einfachsten Dingen angelangt: Rom als offene Stadt, und die Wege seiner Bewohner. Allenfalls eine winzige Neigung zu Symbolen trübt ein wenig den Eindruck.
Deswegen ist auch von den beiden Schlußworten das von Valeria Bruni-Tedeschi das richtigere: Während Sajevo auf einer Zugfahrt nach München noch einen Brief schreibt, ihn dann aber zerreißt und aus dem Fenster wirft, verläßt ihn Lisa Venturi zuvor bei ihrem letzten Treffen im Film mit einem knappen Wort: "pazienza". Geduld. Man muß einen Menschen treffen, um einen zu erziehen. Alles andere ist Terrorismus. Bert Rebhandl, DER STANDARD 8/2/1997)

Turin in den neunziger Jahren: In einer Sporthalle rudert ein Mann verbissen. Monoton schlägt er das Wasser mit den Rudern, aber sein "Boot" ist ein fixiertes Trainingsgerät. Die Bewegung verdrängt das Wasser, der Athlet bleibt auf der Stelle. Dieses Bild ist eine Analogie: Das Leben des Mannes ist zum Stillstand gekommen, als ihm Terroristen vor einem Jahrzehnt eine Kugel in den Kopf geschossen haben. Mit dem Rudern beginnt Mimmo Caloprestis La Seconda Volta, eine außergewöhnliche Filmgeschichte vom italienischen Terrorismus und seinen Opfern.
Die Klischees, die man mit dem Thema verbinden mag, sie werden in diesem Film durchkreuzt. Die Täter verhalten sich so unberechenbar wie ihre Opfer. Seit zwölf Jahren weigert sich der Universitätsprofessor Alberto Sajevo (Nanni Moretti), eine Kugel aus seinem Kopf schneiden zu lassen. Statt mit einer Operation das Vergessen zu lernen, zieht es der Professor vor, sich zu erinnern. Der Zufall will es, daß Sajevo in Turin jenes Mädchen wiedersieht, das im Prozeß gegen seine Attentäter zu einem halben Leben Haft verurteilt wurde. Lisa (zurückhaltend gespielt von Valeria Bruni-Tedeschi) ist eine Freigängerin. Tagsüber arbeitet sie im Büro, danach kehrt sie ins Gefängnis zurück.
In La Seconda Volta steht diese Begegnung am Anfang einer merkwürdigen Annäherung, in der die persönliche Konfrontation die politische Diskussion verdrängt.
Calopresti hat, ehe er auf das Filmsujet Terrorismus gestoßen ist, Dokumentationen gedreht und in einem Gefängnis einen Videokurs für Ex-Terroristen geleitet: Zeit für Gespräche über gewaltmarkierte Biographien. Zugleich wurde ein Gesetz verabschiedet, das Häftlingen erlaubt, draußen zu arbeiten. "So ist mir die Idee gekommen", sagt Calopresti im "Presse"-Gespräch, "daß ein Terrorist sein Opfer treffen könnte."
Ein Zusammentreffen, bei dem der Wunsch, alles zu verdrängen, so stark ist wie der Wille, endlich Klarheit über die Motive von damals zu bekommen. "Manchmal wirkt der Film wie ein Krimi, manchmal wie eine Liebesgeschichte. Man soll einer Story gespannt zusehen, in der eigentlich nichts Besonderes geschieht. Wenn Täterin und Opfer hier aufeinandertreffen, dann als Individuen. Nicht als Symbole, die eine Ideologie als Gegner identifiziert."
Calopresti, Jahrgang 1955, hat die "bleiernen Jahre" in der Arbeiter- und Studentenbewegung der Siebziger erlebt. Allerdings war auch für ihn an einem bestimmten Punkt alles zu Ende. Auch wegen des Terrorismus: "Weil die Terroristen an einem bestimmten Punkt für alle entschieden haben. Und niemand hatte sie darum gebeten." Seiner leisen Inszenierung zum Trotz wurde La Seconda Volta in Italien vor allem politisch diskutiert. Zum Bedauern des Regisseurs: "Die Diskussion ist sehr politisch und sehr polemisch. Ohne große Ergebnisse zu haben."
Italiens Umgang mit Terrorismus vergleicht Calopresti mit einer Berlusconi-Show, in der Menschen unter dem Geständniszwang der TV-Kameras ihr Intimstes preisgeben und dann darüber streiten. "Einer Sache kann man sich bei diesen Shows sicher sein: Am Ende gibt es Applaus und alle sind zufrieden. So war das auch beim Terrorismus." (Robert Weixelbaumer, DIE PRESSE)

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LIEBE HAT ZWEI GESICHTER (THE MIRROR HAS 2 FACES )

USA 1996
Regie: Barbra Streisand, Darsteller: Barbra Streisand (Rose Morgan), Jeff Bridges (Gregory Larkin), Pierce Brosnan (Alex), George Segal (Henry Fine), Mimi Rogers (Claire), Brenda Vaccaro (Doris), Lauren Bacall (Hannah Morgan), Austin Pendleton (Barry), Elle Macpherson (Candy), Ali Marsh, Leslie Stefanson
Kinostart: 7/2/1997

Auf der Suche nach einer einzig auf dem Intellekt basierenden Beziehung fernab körperlicher Attraktion stößt der von Liebe nachhaltig enttäuschte Mathematikprofessor Larkin auf seine Literaturkollegin Rose. Das häßliche Entlein ist von Larkin so angetan, daß sie gar in eine Ehe ohne Sex einwilligt. Doch dann meldet sich die Liebe, und die Dinge werden kompliziert.

Barbra Streisand denkt in ihrem neuen Film über das absurde Wesen der Liebe - und die Veränderbarkeit der Frauen - nach. Eine Tragikomödie alter Schule, produziert, agiert, musiziert und (harmlos) inszeniert von Barbra S. Superstar.
In Hollywood denkt man derzeit wieder gern zurück. An Screwball-Comedy und Zartbitter-Starmelodram, an das Kino der vierziger und fünfziger Jahre, an die gepfefferten Dialoge und die dezidiert jugendfreien Liebesfilme von einst. Barbra Streisands jüngster Film, ihre dritte Regiearbeit, scheint den Blick zurück gut zu beherrschen. The Mirror Has Two Faces / Liebe hat zwei Gesichter hätte wohl eine Tragikomödie wie aus den süßen Fünfzigern werden sollen: Kino, das seiner Zeit fern ist. Auftritt Barbra Streisand, daheim mit Gesichtsmaske und gierigem Biß in den Krapfen zwischendurch. Man sieht das gleich: Die Frau hat ein Problem mit ihrem Aussehen und sie ißt halt gern. Und weil Hollywood solche Dinge, einmal etabliert, gern in Evidenz hält, pocht Streisand, ein Kind der Unterhaltungsindustrie, an jeder Ecke dieser Story auf den Zwang zum Süßen (in jedem Sinn) und auf das Problem mit der Fassade. "Ich seh' aus wie eine Senioren-Barbiepuppe", sagt sie hier mitleidlos, genervt vom eigenen Cocktailkleid. Natürlich verfügt sie, trotz allem, über ein großes (studiertes) Herz: In ihren Literaturvorlesungen preist sie unter tosendem Applaus die Liebe, privat leidet sie unter der Einsamkeit. Weil die Liebe aber nun, schon des Kinos wegen, ein seltsames Spiel ist, taucht der weltfremde Uni-Professor Jeff Bridges auf, der selbst auf der Suche ist: Müde von tausend sinnlosen Sexkapaden sucht er per Annonce eine Frau zwecks gemeinsamer platonischer Zukunft. Er findet, wen sonst, die liebe Barbra, die gleich mit allem einverstanden ist. Ein Makel bleibt: Jeffs Sexmüdigkeit.
Es folgt die Peinlichkeit der Hochzeitsnacht, komplett mit butterweichem Saxophon, mit Kerzenlicht und Streisand im Neglige. Es nützt alles nichts: Sex soll zwischen ihnen, so will es Bridges, keine Rolle spielen. Dem Ehedrama mit assoziiertem Mutter-Tochter-Konflikt steht nichts mehr im Weg. Um die Liebe der kleinen Menschen soll es gehen, um hilflose Beziehungsamateure, die ihrem Publikum eben damit Identifikationshilfe leisten sollen. Und Streisand, der der weibliche Blick so wichtig ist, setzt die Frauentypen unsubtil gegeneinander: da die blonde Gefühlskalte, dort die neurotische Mutter (Lauren Bacall) und, zwischen ihnen, die gute, warmherzige, linkische Barbra, die nur ein bißchen Veränderung braucht, um am Ende - Visagist sei Dank - doch noch großartig auszusehen. So "sexy", "klug" und "schön", daß plötzlich auch der Rest der männlichen Welt (Pierce Brosnan) für sie verfügbar wird. Vanity kills: Daß Streisands Eitelkeit diesen Film tatsächlich umbringt, ist unübersehbar. Mit Las-Vegas-Orchester und Pavarotti-Arie geht's dennoch ins amouröse Finale, wo die Liebenden dann in den Straßen tanzen wie weiland Gene Kelly: Königin Barbras Glück und Ende, sozusagen. (Stefan Grissemann, Streng nach Formel läuft die Melancholiekomödie weiter, die immer wieder jenen Punkt erreicht, an dem Showstar Streisand, glückselig - wie stimuliert vom adrett dahinhüpfenden Soundtrack - fast zu singen und zu tanzen beginnt. DIE PRESSE, 6/2/1997)



Ehe als rein platonische Freundschaft; das kommt - nach jahrelanger Abnut- zung bzw. gegen deren Ende - bekanntlich öfters vor. In diesem besonderen Fall gilt Sexverzicht freilich als Heiratsgrund und Vorbedingung. Womit es sich bei dem Unlustspiel nur um ein Lustspiel handeln kann. Beim bekannten Perfektionismus der inszenierenden, produzierenden, hauptrollespielenden, komponierenden und singenden Komödiantin sogar um ein garantiert lustiges.
Barbra Streisand benutzt die wild hakenschlagende Situationskomödie weidlich, indem sie sich ausgiebig über sich, ihre Nase und Psychosen selbst lustig macht, aber am Ende dem Zuschauer doch noch den Ernst ihres Lebens begreiflich; dieser heißt: Barbra ist die Größte, Klügste, Verführerischste, Talentierteste - und auch die Schönste, wenn man sie nur läßt. Sie läßt sich dann ausgiebig. Betreibt außerdem hemmungslose Kindheits- und Vergangenheitsbewältigung, indem sie aus Star-Oldie Lauren Bacall das ewig stichelnde Ekelpaket ihrer eigenen Rabenmutter formte; die ätzt sich glänzend zur Anwartschaft auf den Nebenrollen-Oscar durch.
Rose, die farblose, mit sarkastischem Intellekt gesegnete Uni-Dozentin, hat sich als Mauerblümchen zum knorrigen Mauerbaum ausgewachsen. In diese Tristesse schneit das inserierte Heiratsangebot eines Professorenkollegen, den sein Sexlife mit aufregenden Beauties frustiert. Zu oft ist ihm sein ganzer Verstand in die Hose gerutscht und hat sich dort auf ein Abenteuer versteift, statt im Kopf sein Licht leuchten zu lassen. Der Mann will jetzt die unattraktive Frau als Kumpel, Gesprächspartner, Kusche- lecke und sonst nix. Doch nach anfänglich inniger Harmonie bekommt seine neue Partnerin plötzlich Lust auf Lust... (Rudi John, KURIER)

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HAUSARREST (HOUSE ARREST)

USA 1996
Regie: Harry Winer, Buch: Michael Hitchcock, Musik: Bruce Broughton, Tim Sexton, Kamera: Ueli Steiger, Schnitt: Ronald Roose, Darsteller: Jamie Lee Curtis (Janet Beindorf), Kevin Pollak (Ned Beindorf), Jennifer Tilly (Cindy Figler), Kyle Howard (Grover Beindorf), Amy Sakasitz (Stacy), Ray Walston (Rocco), Christopher McDonald (Donald Krupp), Sheila McCarthy (Gwenna Krupp), Wallace Shawn (Vic Finley), Caroline Aaron (Louise Finley), Jennifer Love Hewitt (Brooke Figler), Mooky Arizona (Matt Finley), Russel Harper (T.J. Krupp)
Kinostart: 7/2/1997

Welch grandiose Idee! Eltern, die sich nicht mehr vertragen, sich als unfähig erweisen, ihren Kindern als Vorbild zu dienen und ihre Zeit damit verschwenden, sich permanent zu streiten, werden kurzerhand so lange vom Nachwuchs eingesperrt, bis der elterliche Haussegen wieder gerade hängt. Kinderpower ist angesagt! (Verleihprogramm)

Was wäre, wenn einmal nicht Eltern ihre Fratzen, sondern umgekehrt die lieben Kleinen ihre unartigen Erzeuger zu Hausarrest verdonnerten? Die Alten von Grover, 14, und Stacy, 8, (mit Jamie Lee Curtis überbesetzt als Mami) wollen sich nämlich trennen und sollen nun im Keller bei Wasser und Brot schmachten, bis sie sich versöhnt haben.
Ein paar Schulkollegen leiden unter ähnlichen Problemen mit den Oldies - ab in die Isolationshaft mit ihnen. Ab dann geht«'s zu wie in einem lustigen Eintopf - kleingehackte Pointen, Gags, Szenenkomödiantik und Irrwitz aller Art -, aber dann so lange eingekocht, bis man vor lauter Brei nicht mehr lachen kann. (Rudi John, KURIER)

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HERZEN IN AUFRUHR (JUDE)

GB 1996
Regie: Michael Winterbottom, Buch: Hosein Amini nach Thomas Hardy, Musik: Adrian Johnston, Kamera: Eduardo Serra, Schnitt: Trevor Waite, Darsteller: Christopher Eccleston (Jude Fawley), Kate Winslet (Sue Bridehead), Liam Cunningham (Phillotson), Rachel Griffiths (Arabella), June Whitfield (Tante Drusilla), Ross Colvin Turnball (Little Jude), James Daley (Jude als Kind)
Kinostart: 7/2/1997

Ein Traum vom Leben, der sich trotz aller aufrichtiger Mühen nicht erfüllt, eines aufgeschlossenen jungen Mannes und einer starken, unabhängigen jungen Frau in der bigotten Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. (Verleihprogramm)

Wir lesen Romane, hat Walter Benjamin einmal geschrieben, weil wir unser fröstelndes Leben an einem fremden Tod wärmen wollen. An Thomas Hardys Jude, the Obscure, diesem Endspiel des 19. Jahrhunderts, bleiben aber wahrscheinlich auch dem sonnigsten Leser das Herz und die Finger klamm.
Michael Winterbottoms Verfilmung Herzen in Aufruhr rettet von diesem Frost erstaunlich vieles in die Bilder. Keine Weichzeichner verklären den kalten Lichteinfall in die Kamera. Das Kontrastmittel dazu sind die strahlenden Aufnahmen der englischen Provinz, die der Held Jude (Christopher Eccleston) bei immer neuen Versuchen, anderswo neu anzufangen, mit dem Zug durchquert.
Jude ist ein Steinmetz, der sich zu Höherem berufen fühlt und damit eine höhe Schulbildung meint. Es wirkt heute fast komisch, wenn er sich mit dem Anfang der Ilias in Altgriechisch plagt; er kommt nie weit über das Aufsagen von Klassikerzitaten hinaus. Die Zurückweisung durch die Institution zeigt Winterbottom in einem mächtigen Bild: der Einzug der hohen Schule von "Christminster", mit Musik von Händel. Jude ist Zaungast.
Aber im Film hat Judes Ambition einen Sinn: Er vertritt den verzweifelten Rationalismus der Aufklärung, und er muß ihn durch Schicksalsschläge hindurch bewähren. Das Schicksal – eine Idee, die Jude ablehnen muß – sucht ihn heim als Amor und Eros und in Gestalt seiner Cousine Sue (Kate Winslet).
Die freigeistige Beziehung der beiden jungen Schwärmer dauert nur ein paar Minuten Filmzeit, dann fällt die puritanische Ordnung wieder wie ein Schatten der Vergangenheit auf ihr Glück. Das Paar kann nicht heiraten, weil Jude schon verheiratet ist. Das Paar bekommt keine Wohnung, aber drei Kinder. Das Ende ist fatal: Die alte Ordnung schlägt noch einmal zurück.
Letztlich steuert Herzen in Aufruhr auf einen Moment zu: Am Ende treffen sich Jude und Sue auf einem Friedhof, natürlich im Winter. Sue hat sich aus den Widrigkeiten der Welt und der Liebe in den Glauben zurückgezogen. Jude steht ihr todtraurig gegenüber, doch für einen Moment muß er fast lächeln: ein Rationalist bis zuletzt, ein lächerlicher Mensch und darin schon ein Mensch der Moderne. Im 20. Jahrhundert blieb es dann kalt. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 10/2/1997)

Um derlei triste Schwarzmalerei zu ertragen, muß man masochistische Züge haben. Wer diese Warnung ignoriert, sollte seine Hausapotheke vorsorglich mit Antidepressiva aufstocken. Eine Liebe, die am Schmutzrand der Gesellschaft zwischen Inzest und Tabus blüht. In totale Selbstzerstörung taumelt, an zerbrochenen Träumen und Diskriminierungen scheitert. England um 1880: jene Zeit, in der sich auch die Jane-Austen-Verfilmungen tummeln.
Gegen deren verlogene Heile-Welt-Bilder enthüllt Thomas Hardys Roman brutalsten Hyperrealismus. Er schönt nicht, legt Bigotterie und Kälte der viktorianischen Gesellschaft bis aufs Skelett frei. Trotzdem die Verfilmung die starre Psychogrammatik der anspruchsvollen Lektüre abschüttelt, den Kostümstoff sprachlich zeitgemäß dramatisiert, ist diese obsessive, deprimierende Geschichte nur schwer verdaulich.
Einen hageren, renitenten Dörfler - mit einer feschen, aber strohdummen Schweineliesl unglücklich verheiratet - treibt begieriges Verlangen nach Wissen in die nächste Universitätsstadt. Dort verfällt er seiner schönen Cousine; für diese umwerfende, emanzipierte Frau gibt er alles auf - sogar das Studium. Dennoch verkehren beide unbefriedigt in verschiedenen Ehebetten, bis sie sich zu wilder Ehe und Flucht aus allen Konventionen entschließen.
Wie Lemminge in eine Zukunft stürzen, die sie lebendig begräbt. Die kaltherzige Gesellschaft indes veranstaltet eine Hatz auf die beiden Outlaws. Das grausige Ende ihrer drei Kinder schließlich würgt dem vor Gram Halberstickten auch noch das letzte Quentchen Luft ab. Uns auch. (Monika Vanecek, KURIER)

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SPACE JAM (SPACE JAM)

USA 1996
Regie: Joe Pytka, Darsteller: Michael Jordan, Charles Barkley, Larry Bird, Larry Johnson, Danny DeVito (Swackhammer), Shawn Bradley, Wayne Knight (Stan Podolak), Patrick Ewing, Theresa Randle (Juanita Jordan)
Kinostart: 7/2/1997

Um das Kidnapping der Warner-Cartoon-Stars auf einen fernen Planeten zu verhindern, geht Bugs Bunny einen gewagten Coup ein: Bugs, Wile E. Coyote, Roadrunner, Tweety und Sylvester sowie die anderen Comiclegenden sollen gegen ein intergalaktisches Basketball-Team um ihren Verbleib auf der Erde spielen. Nur einer kann jetzt noch helfen, aus Bugs' Bande ein Dreamteam zu machen: NBA-Star Michael Jordan.

Tief im Inneren der Erde soll es angeblich sehr heiß zugehen. Die Wissenschaft plädiert für Feuer - während Warner Bros. dort eher eine lustige Spezies künstlicher Lebewesen ansiedelt und für allerlei Turbulenz verantwortlich macht.
In Erweiterung des Science-Fiction-Topos "Begegnung mit den Außerirdischen", exerziert Space Jam also die Begegnung der Irdischen mit den Innerirdischen. Im Gegensatz zu den Aliens aber sind letztere keine Unbekannten, sondern allesamt Superstars: Sie heißen Bugs Bunny, Daffy Duck, Porky Pig, Sylvester, Yosemite Sam, Elmer Fudd und gehören dem Clan der "Looney Tunes" an - jenen unverwüstlichen Zeichentrickfiguren, zu denen im Vergleich Walt Disneys Familie immer schon ein müder Haufen war. Daß die "Looneys" plötzlich Kontakt mit den Menschen aufnehmen, liegt erstens daran, daß sie Hilfe im (sportlichen) Wettkampf gegen feindselige außerirdische Gnome brauchen - und zweitens, daß der Wechsel von der klassischen Zeichentrick-Technik zur Computeranimation ein Spiel ohne physische Grenzen ermöglicht. Und weil diese Begegnung doch ein wichtiger historischer Moment ist, mußte auch die Wahl des ersten Menschen in der Welt der "Looney Tunes" wohl erwogen sein.
Der Star dieses Films - für nicht-basketball-kundige Europäer wohl etwas unverständlich - heißt Michael Jordan, ein für die "Chicago Bulls" spielender Basketballer, der in Amerika wie ein Pop-Star verehrt wird. Konsequenterweise spielt Jordan in Space Jam - wie die Cartoonfiguren - sich selbst: als Basketball-Genie, das sich in den Kopf gesetzt hat, auf Baseball umzusteigen. Weil ihn die "Looneys" entführen, um seine Basketball-Künste in einem Match gegen die Außerirdischen in Anspruch zu nehmen, greift er jedoch wieder nach dem Korb.
Dank des erstaunlichen Ideenreichtums in Dialog und Komik-Inszenierung, machen die klassisch derben Gags der "Looney Tunes" hier einen überraschend jungen Eindruck. Und wenn dann ein Komiker wie Bill Murray (ebenfalls sich selbst darstellend) hinreißende Neben-Einlagen bietet, hat das etwas von jener ziellosen Ausgelassenheit, die auch die Aktionen der Cartoon-Family so überflüssig (und unwiderstehlich) macht.
Man kann Space Jam freilich unterstellen, selbstverliebt in der Geschichte US-amerikanischer Medien-Sozialisation zu schwelgen: macht er sich doch die Prominenz seiner Protagonisten zunutze, um aus deren Auftritt eine - als turbulentes Abenteuer verkleidete - Party zu machen. Was sollte aber auch dagegen einzuwenden sein, mediale "Liebschaften" aufzufrischen; vor allem dann, wenn man das so flink & flott über die Bühne bringt? (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE)

Otto Konrad, der Salzburger Torvernagler, müßte die Hauptrolle spielen oder Aufschlagetod Thomas Muster. . . Aber wer kennt hier schon Körberlgeldmilliardär Michael Jordan? Mit diesem (durchaus läßlichen) Bildungsmangel unserer Kids aber erweist sich höchstwahrscheinlich die Grube schon ausgehoben, der Sarg bereits verlötet und dieser Film als Leiche beerdigt, bevor er ein bißchen länger gelebt hat. Das wiederum ist sehr tragisch, weil das Spektakel - witzig und äußerst trickreich - das Zeug zum Kinohit hätte.
Eines Tages kommen bösartige, haifischzahnmäulige Zeichentrick-Aliens von einem bizarren Cartoonplaneten auf unsere Erde geschossen, um terrestrische Attraktionen für ihren abgehalfterten Vergnügungspark zu kidnappen. Knusper-Ente Duffy Duck, Schlau-Schweinchen Porky Pig, vor allem der langohrig-freche Karottenkiller Bugs Bunny kämen den Außerirdischen als Showbusineß-Sklaven für ihre Vergnügungsgaleere gerade recht.
Warum die bedrohten Strichmännchen-Stars von Warner Brothers nur Michael "Air" Jordan retten kann - der berühmteste Basketballspieler Amerikas und aller Zeiten, von Millionen Fans vergöttert und angebetet -, darf praktisch als Nebensache abgetan werden. Der Zauber des turbulenten Märchenabenteuers besteht darin, Realfilm und Zeichentrick zu verquicken, wie uns dies schon in "Falsches Spiel mit Roger Rabbit" der Disneysche Konkurrenzhase vergnüglich vorgehoppelt hat. Vielleicht sollte man auch Otto Konrad fürs Kino entdecken lassen... (Rudi John, KURIER)








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