Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 28. Februar 1997 neu angelaufene Kinofilme


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DER ENGLISCHE PATIENT (THE ENGLISH PATIENT)

USA 1996
Regie:Anthony Minghella, Buch: Anthony Minghella nach dem Roman von Michael Ondaatje, Musik: Gabriel Yared, Darsteller: Ralph Fiennes (Count Laszlo Almasy), Juliette Binoche (Hana), Willem Dafoe (Caravaggio), Kristin Scott Thomas (Katharine Clifton), Naveen Andrews (Kip), Colin Firth (Geoffrey Clifton), Julian Wadham (Madox), Jürgen Prochnow (German Officer), Kevin Whately (Sgt. Hardy), Clive Merrison (Fenelon-Barnes), Nino Castelnuovo (D'Agostino), Hichem Rostom (Fouad)
Kinostart: 28/2/1997

Zu erzählen ist zuallererst wohl von jenem Monumentalmelodram, das vor wenigen Tagen erst für ganze zwölf Oscars nominiert wurde: The English Patient von Anthony Minghella, nach dem gleichnamigen Roman von Michael Ondaatje, ist wohl ziemlich genau das, worauf unzählige Tränendrüsen seit Jenseits von Afrika vergeblich gewartet haben: Exquisite Schauspieler, hoffnungslose Liebe, erlesen exotische Kulissen.
Juliette Binoche pflegt im Italien des 2. Weltkriegs einen Piloten (Ralph Fiennes), der sich in den Ruinen einer Klosterbibliothek an die große Liebe (Kristin Scott Thomas) erinnert. Diese Rückblenden in Wüsten und diplomatische Empfänge muten an wie ein Remix, bei dem Lawrence von Arabien in Casablanca einen über den Durst trinkt.
Für dezente Zurückhaltung sorgen eigentlich nur die britischen Akzente der Hauptdarsteller. Literarische Rochaden mit einem sinistren "Spion" (Willem Dafoe) wirken gekünstelt und falsch vor einem Dreigroschenhorizont, über dem verzehrende Leidenschaft alles niederbrennt.
The English Patient sieht aus wie eine eilfertige Erfüllung sämtlicher Ansprüche, die man für ein Oscar-Paket bewältigen muß. Dieses wird der Produktion, die ironischerweise "unabhängig" finanziert wurde, wohl auch nicht mehr zu nehmen sein. "And the winner is" dann ein weiteres Mal prüder und altbackener guter Geschmack, hart an der Grenze zur Satire.(Claus Philipp, DER STANDARD, 17/2/1997)

Ein ganzes Subgenre der Filmgeschichte lebt von den technischen Fähigkeiten der Kamera, uns Mikrokosmos und Makrokosmos so hinter-und übereinander gelagert vorzusetzen, daß wir verblüfft und nur zu bereitwillig eine Mondlandschaft mit einer Käserinde oder eine versehrte Leber mit einem Meteoriten verwechseln. Mit optischem Getändel dieser Art lassen sich aber auch gewöhnliche Spielfilme gut eröffnen.
Anthony Minghella beginnt seine Literaturverfilmung Der englische Patient mit der naheliegendsten aller filmischen Ideen für diesen Stoff: Er überblendet von grobfasrigem Pergament auf feingewellte Wüste. Die Erinnerungsspuren dämmern aus dem Film hinaus; die Wüste lebt und gewinnt neues Land für Sand. Nachdem der Film hier aber erst beginnt, haben wir es mit einer Geschichte in Rückblenden zu tun. Der englische Patient: Ein Epos.
Die Geschichte: Wir schreiben den Vorabend des Zweiten Weltkriegs in jenen Breiten, in denen die Nacht schnell hereinbricht. In der Sahara sind Geographen unterwegs, die einen mit einer lauteren Mission, die anderen mit dem Hintergedanken, das Gelände auch gleich militärisch zu vermessen.
Ralph Fiennes ist Graf Almasy, ein Gentleman-Abenteurer in kurzen Hosen und windkanalgeprüfter Frisur; Colin Firth ist Geoffrey Clifton, ein Technokrat im Dienst der englischen Krone. Beide sind Flieger, beide lieben dieselbe Frau: Katharine (Kristin Scott Thomas). Am Schluß lebt nur mehr Almasy.
Er ist der englische Patient, der gegen Ende des Krieges in einem verfallenen Kloster auf seinen Tod wartet, während rundherum der Frühling in jeder Hinsicht für neue Tatsachen sorgt. Seine Krankenschwester (Juliette Binoche) turtelt mit einem Minensucher aus Indien (Naveen Andrews), ein Dieb (Willem Dafoe) besänftigt in der arkadischen Landschaft langsam seinen Zorn über zwei eingebüßte Daumen.
Wäre man zynisch, könnte man sagen: Auf dieses Gerüst einer Handlung wurde Michael Ondaatjes verspielter Roman gleichen Titels skelettiert, damit die simplen Erzählkonventionen des Kinos damit zurechtkommen. Aber das ist nicht der Punkt, wenn auch inzwischen gelegentlich bewiesen wurde, daß im Mainstream-Kino komplexer über das Erzählen nachgedacht werden kann, als Minghella mit seinen Zeitsprüngen auf Stichwort es uns zeigt.
Der englische Patient, ein betont anachronistisches Produkt, erzählt als Film vor allem Verlusterfahrungen: Wo früher Technicolor war, haben wir heute Braunfilter; wo früher CinemaScope war, haben wir heute ein Halbbreitwandformat; wo früher große Liebesszenen waren, sehen wir heute einen ehebrecherischen Quickie, während sich der gehörnte Ehemann als Weihnachtsmann im heißen Ägypten lächerlich macht.
Nicht, daß früher alles besser gewesen wäre. Aber vieles besser als dieser Film. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 29/2/1997)

Ob "Der englische Patient", neues Kinomelodram, seine zwölf Oscarnominierungen künstlerisch rechtfertigen kann, darf man bezweifeln.
Ein Pinsel ist der erste Star dieses Films. In extremer Großaufnahme imitiert er, als Unterlage zum Vorspann, alte Höhlenmalereien - in leicht zitterndem Strich, dem man die Rührung über alles, was noch kommen soll, schon ansieht. Es folgt ein Todesfall im Krieg, der Abschuß eines Flugzeugs, in dem ein Mann und eine Frau sitzen: Er lebt (gerade noch), sie nicht. Wie das kam, erzählt der Rest des Films, wofür er knappe drei Stunden braucht, obwohl man seine Geschichte in vier Sätzen nacherzählen könnte: Der englische Patient ist ein Melodram, dem man den Versuch, sich selbst zu einem Großereignis zu stilisieren, anmerkt.
Die Erzählung verläuft sprunghaft, zwischen den Zeiten pendelnd. Ein anonymer Schwerverletzter, mit vollständig verbranntem Gesicht, läßt sich von einer melancholischen Krankenschwester (Juliette Binoche) gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in einem leerstehenden italienischen Kloster pflegen. Seine Erinnerungen von Gewalt (Krieg) und Naturgewalt (Sandsturm), von Exotik (Afrika) und Erotik (Kristin Scott Thomas) bilden, in Rückblenden, die zweite Ebene des Films.
Der sieche Mann ohne Gesicht war einst, so lernt man, ein draufgängerischer junger Forscher (Ralph Fiennes als Laszlo de Almásy), der einsam die Welt studierte, aber nur die Liebe richtig kennenlernte. Kein Lawrence von Arabien: ein Almásy von Nordafrika.
Der britische Regisseur Anthony Minghella, bislang nur als Schöpfer kleiner Liebesfilme (Truly, Madly, Deeply, 1992; Mr. Wonderful, 1993) bekannt, serviert seine heiße Romanze kaltgepreßt, mit Kristin Scott Thomas im Zentrum des Begehrens und Binoche als deren Nachfolgerin: Stark, gut, dienend sind die Frauen, die Minghella, einem Bestseller von Michael Ondaatje folgend, zeichnet. Und das Herz sei ein Organ aus Feuer, bringt ein lyrisch Liebender hier irgendwann zu Papier: Wer hat Angst vor dem Großen Gefühl? Während etwa Willem Dafoe zum Stichwortgeber verkommt, spielt die Wüste bald die Hauptrolle, deren unangetastete Dünen und endlose Weite für alles stehen müssen, was Minghella selbst in seiner Inszenierung nicht zustande bringt: eine Désert d'amour, die sogar noch die Farbe des Films infiziert, der - monochrom fast - sandfarben abläuft. The English Patient ist, in jedem Sinn, ein farbloser Film.
Das Melodram kulminiert im Kriegsende - und einem Liebestod in der kalten Höhle, irgendwo in der heißen Wüste. Aber davor schreiten die Menschen durch Minenfelder, weil sie nichts mehr zu verlieren haben, oder sie retten mit einem Klavierstück am halbzerstörten Piano inmitten der Trümmer noch einmal die Menschlichkeit. Der englische Patient quillt über vor schönen Bildern, in denen anmutig Sterbehilfe geleistet wird und das Orchester die Emotionen verdoppelt und verdreifacht: genüßlich gelitten, gemütlich gestorben. Das Kunstgewerbe ist Minghella sichtlich näher als die Kunst.
Nichts von der Wildheit eines Douglas Sirk oder selbst noch von den flammenden Bildern einer Kitschoper wie Vom Winde verweht findet sich hier noch, keine Spur mehr von der Entgrenzung der Liebenden, wie das die gute amour fou im Kino vorschreibt: Der englische Patient ist - in seiner normierten Dramatik und seinen kleinbürgerlichen Schönheiten - fast ein Affront gegen Hollywoods klassisches Melodram. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

Nur noch eine Katze hat einige Leben mehr als dieser Film. Wer dessen verschiedene Leben mitlebt, miterleidet, mitliebt, mithaßt, mitkämpft - und, wenn es soweit kommt, mitstirbt -, hat alle Höhen und Tiefen durchgestanden, die ein Stück Leinwand derzeit zu bieten imstande ist. Liegt heulend, beglückt und überwältigt begraben unter dieser Lawine aus Wüstensand, Kriegsgreuel, Verrat, Herzschmerz. Ein rätselhafter Fremder, bis zur Unkenntlichkeit bei einem Flugzeugabsturz verbrannt, röchelt Ende des Zweiten Weltkriegs in einem toskanischen Klosterlazarett seiner Erlösung entgegen.
Er hängt an der Morphiumnadel, seiner rührenden, jungen Krankenschwester und Erinnerungen, die nach und nach bruchstückhaft seinen Gedächtnisverlust auffüllen. Die fügen sich zur Lebensbeichte eines ungarischen Grafen, der als Mitglied der Wüstenexpeditionen des Britischen Geographischen Instituts in eine Affäre mit der Frau eines Freundes und dann mitten in den Zweiten Weltkrieg zwischen die Fronten geriet. Seine verbotene Liebe, Schuld und Sühne sind Hauptmotive des nicht ganz dreistündigen Werks mit reichlich Knochen-, Ehe- und Treuebrüchen.
Wenn der Patient über sich Bescheid weiß (und wir mit ihm), ist dieser gewaltige Kinoschinken gegessen. Zufrieden rülpst das Tränentier. Ralph Fiennes provoziert (in den unentstellten Szenen) mit einem auch im Glück leidenden Gesicht Nachsicht für menschliche Schwächen. Kristin Scott Thomas etabliert sich als Geliebte in Hollywoods exklusivem Blondinenverzeichnis, und die Binoche flügelt verklärt als liebender Engel in Schwesterntracht.
Der große Atem von Klassikern wie "Lawrence von Arabien" oder "Casablanca" weht Einwände beiseite, einer Riesenfläche von klebrigem Kitsch auf den Leim zu gehen. Ein horizontefüllendes Panorama aus jenem Stoff, der nie außer Mode gerät, immer wieder lebt. Diese pralle 3-L-Packung (Liebe, Lust, Leidenschaft) genossen zu haben mag daher wieder einmal der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein. (Rudi John, KURIER)

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SHINE (SHINE)

AUS/GB 1996
Regie: Scott Hicks, Buch: Jan Sardi, Musik: David Hirschfelder, Kamera: Geoffrey Simpson, Schnitt: Pip Karmel, Darsteller: Armin Müller-Stahl (Peter Helfgott), Noah Taylor (David Helfgott als Teenager), Geoffrey Rush (David Helfgott als Erwachsener), Lynn Redgrave (Gillian), John Gielgud (Prof. Cecil Parkes), Googie Withers (Katharine Prichard), Alex Rafalowicz (David als Kind), Sonia Todd (Sylvia), Nicholas Bell (Ben Rosen), Chris Haywood (Sam), Randall Berger (Isaac Stern)
Kinostart: 28/2/1997

Der Film rekonstruiert das Leben und die Karriere des jungen Pianisten David, der durch den zwar wohlmeinenden, aber völlig überzogenen Beschützerkomplex seines Vaters an den Rand des Wahnsinns getrieben wird. Erst die unerwartete, romantische Beziehung zu Gillian bringt Stabilität in Davids chaotische Welt, und ihre Liebe ist es, die ihn im Triumph in die Konzertsäle zurückbringt. (Verleihprogramm)

Die an der Biografie des australischen Pianisten David Helfgott orientierte Geschichte eines Mannes, der von seinem Vater zu einer Pianistenkarriere quasi genötigt wird, der als Teenager aus der Familie ausbricht, nach London geht und im Moment des musikalischen Triumphs kollabiert. Danach ist er jahrelang psychisch schwer angeschlagen, dann helfen ihm die Kunst und die Liebe aus seiner Krise. Kein bleischweres Drama über einen Kranken, sondern ein vergnügliches Stück Kino mit Tiefsinn, das zum Teil zwar auf die Tränendrüse drückt, jedoch sehr intelligent gemacht daherkommt und nicht zuletzt durch überzeugende Darsteller besticht. (Zoom, 12/96)

Begabung, Wahnsinn und Leidensdruck: Um diese bewährte Trinität des Unglücks kreist entlang der Biographie des Pianisten David Helfgott der australische Spielfilm "Shine". Hauptdarsteller Geoffrey Rush gilt jetzt schon als ein "Oscar"-Favorit. Der Gesamteindruck ist dennoch zwiespältig.
Im Grunde gibt es nichts Beruhigenderes als Genies, die gewissermaßen aus einem Trauma oder einem Defekt heraus sich entfalten. Herr und Frau Normalverbraucher können sich da, eine soeben gelesene Biographie auf dem Schoß, zurücklehnen und durchaus beruhigt sagen: Wenn das die Strafe/Voraussetzung für Meisterschaft ist – Hut ab, aber ohne uns! Wahnsinnig gewordene Schachspieler und durchgedrehte Künstler sind beliebte Anlässe für derlei lustvollen Verzicht auf Identifikation.
Es soll nun tatsächlich gar nicht so selten vorkommen, daß hochbegabte Leute mit schweren seelischen Beschädigungen ringen. Das Problem ist aber, wie darüber erzählt wird. Kultische Überhöhung eines Leidenswegs zur Kunst erweist sich dabei als ebenso fragwürdig wie ein Bildungsprogramm "Hochkultur für Quereinsteiger". Und mit beiden Lösungsversuchen verrennt sich auch Shine, ein mittlerweile schwer oscarverdächtiger australischer Spielfilm, ganz gehörig.
Vier Klavierabende strukturieren hier die (wahre) Lebensgeschichte des Pianisten David Helfgott:
Zuerst kämpft ein Kind, vom ehrgeizigen Vater vorangetrieben, mit Chopin und einem unzureichend stabilisierten Instrument. Eine halbe Filmstunde später bricht ein Musikstudent (Noah Taylor als junger Helfgott) schweißüberströmt zusammen: Rachmaninows No. 3 als Mount Everest unter den Klavierkonzerten, von Regisseur Scott Hicks zelebriert mit delirierenden Perspektiven.
Dann wiederum blüht ein psychisches Wrack (Geoffrey Rush als älterer Helfgott) bei einer Interpretation des "Hummelflugs" in einer kleinen Bar wieder auf: Musik kann auch Spaß machen, erst recht, wenn jeder mehr oder weniger mitschunkelt. Großes Finale, Triumph des Willens und der Menschlichkeit: Helfgott, mittlerweile geliebt wie vormals der autistische Rain Man, wird von Freuden und Gönnern beim Comeback (Rachmaninow ohne Sauerstoffmaske) bejubelt. So weit, so verständlich, so eindimensional: Mit Liebe geht alles, und Behinderungen sind ein weiteres Mal Anlaß sowie Material für eine sogenannte große Darstellerleistung.
Das Hilflose, um nicht zu sagen, das Zynische an Filmen wie Shine ist immer, daß Ihnen der Ausdruck von Gefühlen letztlich nur zum Transport von Sentimentalitäten verkommt. Besonders schwer fällt dies ins Gewicht, wenn, wie im Fall Helfgott brutale Unversöhnlichkeiten irgendwann harmonisiert werden.
Der Vater des Künstlers etwa, ein Flüchtling des Holocaust, wurde seinem Sohn selbst zum Folterer, ebenfalls im Dienste höchst nebuloser Ideale: Armin Müller-Stahl verleiht dieser ambivalenten Figur ein tragikomisches Format, das von Drehbuch und Regie mehr Konsequenzen verdient hätte als sonnige Versöhnlichkeit auf einem jüdischen Friedhof.
Und natürlich bedient die Rückkehr Helfgotts in das Musikgeschäft nicht nur humanistische Schöngeister, sondern auch neugierige Voyeure. Im Gefolge von Shine tourt er demnächst auch durch Deutschland. So vervielfacht sich die Spekulation mit dem Außergewöhnlichen als Markenzeichen. (Claus Philipp, DER STANDARD, 4/3/1997)

Rachmaninoff, 3. Klavierkonzert. Die Finger des Pianisten perlen über die Tasten, die Schweißperlen strömen über sein Gesicht. Atemraubende Spannung und Anspannung bei diesem unerbittlich schweren Virtuosenstück. Plötzlich hat der Pianist Aussetzer. Seine Finger rasen weiter, doch er hört nichts mehr. Er spielt das Werk zu Ende, doch er verliert den Bezug zur Außenwelt. Frenetischer Beifall, doch er wird bald in tiefer Stille leben. In einem psychiatrischen Krankenhaus.
Ein begnadeter Musiker stürzt auf dem Höhepunkt seiner Karriere in die Psychose. "Shine" ist ein faszinierender Film über Genie und Wahnsinn und über die Macht der Liebe - ihre heilende und ihre zerstörerische Kraft. Erzählt wird die (wahre) Geschichte des australischen Pianisten David Helfgott, der vom Wunderkind zum Pflegefall wurde und der dann durch die Musik und die Liebe den Weg zurück in die Welt fand. So etwas ist kein Thema, das von vornherein die Massen anzieht. Und doch hat dieser australische Film einen Siegeszug angetreten, der in sieben Oscar-Nominierungen gipfelt.
Autor/Regisseur Scott Hicks schildert drei Lebensphasen seines Helden. Erst die Kindheit, in der David an der gnadenlosen Zuneigung seines Vaters (Armin Mueller-Stahl) fast erstickt: Der Knabe wird zum Werkzeug des Vaters, jede eigene Willensäußerung ist verboten. Das Fundament zur Psychose entsteht. Dann die Jugend, in der David Befreiung anstrebt und überschnappt. Und schließlich der erwachsene Helfgott. Diese Rolle hat Geoffrey Rush zum Oscar-Kandidaten gemacht: Als freundlicher Narr zieht er durchs Leben und erobert mit Charme und schönen Klängen alle Herzen. Auch die der Kinobesucher: "Shine" ist einer der berührendsten Filme seit langem. (Gunther Baumann, KURIER)

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WILLKOMMEN IN L.A. (WELCOME TO L.A.)

USA 1976
Regie: Alan Rudolph, Buch: Alan Rudolph, Musik: Richard Baskin, Kamera: David Myers, Darsteller: Keith Carradine (Carroll Barber), Sally Kellerman (Ann Goode), Geraldine Chaplin (Karen Hood), Harvey Keitel (Ken Hood), Lauren Hutton (Nona Bruce), Sissy Spacek (Linda Murray), John Considine (Jack Goode), Viveca Lindfors (Susan Moore), Richard Baskin (Eric Wood), Denver Pyle (Carl Barber)
Kinostart: 28/2/1997

Rudolphs Film ist ein atmosphärisch dichtes Stimmungspanorama über Menschen in den Apartments, Ateliers und Büros des reichen Los Angeles. In ihren, oberflächlichen Kontakten vollzieht sich der amerikanische Traum von der Promiskuität, der Austauschbarkeit von Gefühlen und Ersatzbefriedigungen, die, nur in seltenen Momenten der Ehrlichkeit erlischt.

Ein Musiker und Songschreiber (Keith Carradine) kommt zu Plattenaufnahmen nach Los Angeles zurück. Er begegnet Menschen, die – teils ohne es zu wissen – in komplexen Beziehungen zueinander stehen: seinem Vater, einem alternden Unternehmer (Denver Pyle), dessen Juniorpartner (Harvey Keitel), dessen Frau (Geraldine Chaplin) und dessen Geliebter (Sissy Spacek), deren Arbeitgeber (John Considine), seiner Frau (Sally Kellerman), die wiederum der Agentin des Musikers (Viveca Lindfors) dessen Wohnung vermietete.
Aus und mit diesem Ensemble entwirft Regisseur Alan Rudolph (The Moderns) eine leichtfüßige, "vielspurige" Figuren-Choreographie: Welcome to L.A. spielt um die Weihnachtszeit. Das heißt Sonne, viel Licht und – weil der Film bereits 1976 entstanden ist – fließende Pastelle, transparente Zwischentöne. Und überall Spiegel bzw. reflektierende Fensterscheiben. Die Räume werden durch sie nicht größer und das Blickfeld nicht weiter. Vielmehr wird der Raum um die Personen, die sich spiegeln, konzentriert, sie werden in ihre Umgebung eingeschrieben, verschmelzen mit der Stadt als gläserner Oberfläche. Auch Autofahrten werden so zu abstrakten Momenten verfremdet: ein Augenpaar, eine violett getönte Scheibe: "Daydreams and traffic. That’s what L.A. is all about." Die Inszenierung verfährt sehr fotografisch, studiert und arrangiert die Gesichter ganz nah in Großaufnahmen, die Stadt in dunstigen Panoramen.
Die Songs, die den Film über in einem Studio eingespielt werden, fügen sich als dezente Kommentare zu diesen Aufzeichnungen von Altern und Einsamkeit, von Überraschung und Enttäuschungen, die sich jenseits aller Abgeklärtheit in Schönheit auflösen: "I like L.A.", stellt Keith Carradine fest, bevor er sich selbst ans Klavier setzt und den Film mit seinem Lächeln endet. (irr, DER STANDARD, 27/2/1997)

) Alan Rudolphs Filmdebüt läuft, zwei Jahrzehnte danach, wieder im Kino: ein entspannt inszeniertes Gesellschaftsfresko aus der Stadt, in der Hollywood liegt.
Los Angeles ist eine Stadt, in der das klare Licht die Menschen zu verändern scheint. Nirgendwo sonst als in den Avenues und Boulevards Hollywoods haben die Menschen - offensichtlich - so wenig zu tun, so wenig Streß und soviel Hedonismus im Blick. Auch in Welcome to L.A. (1976) hat keiner besonders viel zu tun, was die Menschen allerdings nicht glücklicher macht: Ein junger Rockmusiker - Keith Carradine - kehrt heim, um im Auto durch die Stadt zu streifen, auf der Suche nach zeitvertreibenden Affären. Und die, die er kennenlernt, haben alle irgendwie - peripher oder direkt - miteinander zu tun (obwohl sie gerade miteinander meist nichts mehr zu tun haben wollen): das Kino als ein Netz der Lebenslinien und der schiefwinkeligen Beziehungen, das Kino als Kontakt-Zufallsgenerator.
Das System Altman, unverkennbar: Alan Rudolph, auteur des US-Kinos (und ein letzter der ewig unabhängigen), ließ sich Welcome to L.A., sein Filmdebüt, von jenem Mann produzieren, mit dem er davor bereits jahrelang als Regieassistent gearbeitet hatte - von Freund und Mentor Robert Altman.
Noch die schmerzhaftesten Erkenntnisse und Handlungswendungen, seine Höhepunkte inszeniert Rudolph wie andere ihre ruhigsten Phasen: Im Unterspielen unterläuft er Hollywoods liebste Strategien, das Überhöhen und Hochpeitschen, im desillusionierten Blick ergeben sich die klarsten Lebensbilder.
Wie die seltsame Geraldine Chaplin in gemieteten Limousinen an den Palmen des San Fernando Valley vorbeifährt, an sonnigen Nachmittagen der siebziger Jahre, zu einem melancholischen Song im Off, der vom "living in the city of the one-night-stands" erzählt; wie der junge Harvey Keitel seinen Lebensüberdruß in der Arbeitswut erstickt; wie der charismatische Keith Carradine am Ende, statt eines großen Finales, noch einmal - in einem abgedunkelten Studio, am Piano - nur ein Lied singt: Das alles unterscheidet sich so fundamental nicht nur von Amerikas Massenkino, sondern empfindlich auch von den sich schnell konsolidierenden Randzonen des Independentfilms, der längst selbst zur Industrie geworden ist.
So bleibt von Welcome to L.A. vor allem der ruhige Fluß der Erzählung in Erinnerung, diese fast abgründige Lethargie unter den Menschen, die die Stadt, um die es geht, so sehr charakterisiert: Los Angeles, das sieht man hier, ist schön. Aber man sieht in diesem Film auch, daß Hollywood nicht nur ein sonniger Ort im Grünen ist, sondern vor allem die Heimat einer allesfressenden Industrie. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

Wieder eine geglückte Ausgrabung des Wiener "Stadtkinos": OneNight Stands, ziellose Wege, unstetes Leben... Auf den Spuren seines Lehrmeisters Robert Altman drehte Musterschüler Alan Rudolph 1976 seinen episodenhaften Erstling über das verkommene Lebensgefühl einer sogenannten Traumstadt und das Scheitern eines jungen Liedermachers aus reichem Hause. Sozialkritik pur. (Rudi John, KURIER)

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JERRY MAGUIRE - SPIELE DES LEBENS (JERRY MAGUIRE)

USA 1996
Regie: Cameron Crowe, Buch: Cameron Crowe, Musik: Nancy Wilson, Darsteller: Tom Cruise (Jerry Maguire), Cuba Gooding Jr. (Rod Tidwell), Angela Goethals (Kathy Sanders), Renee Zellweger (Dorothy Boyd), Kelly Preston (Avery Bishop), Jerry O'Connell (Frank Cushman), Jay Mohr (Bob Sugar), Regina King (Marcee Tidwell), Bonnie Hunt (Laurel Boyd), Jonathan Lipnicki (Ray Boyd), Todd Louiso (Chad The Nanny), Mark Pellington (Bill Dooler), Glenn Frey (Dennis Wilburn)
Kinostart: 28/2/1997

In aller Kürze, der Anti-Tip des Berliner Tip: "Ein fieser Sportagent darf erst als Familienvater genießen, was ihm als ehrgeiziger Single mit attraktiver Freundin verwehrt war: Erfolg." So what? (FALTER)

Echter Einsatz, der sich lohnt; ehrliche Leistung wird geschätzt – mit diesen Slogans wurde unlängst ein Bier beworben, das angeblich wie ein Handschlag schmeckt.
Jerry Maguire, der neue Film mit Superstar Tom Cruise, sieht zu Beginn einschlägigen Spots gefährlich ähnlich und ist im Prinzip auch eine überlange Überlegung zu zeitgemäßen Synergieeffekten aus der Werbegesellschaft: Leistung und Liebe; Tränen und isotonische Getränke; der Agent und sein Klient – eine zweckdienliche Romanze.
Es beginnt damit, daß ein Mann eine Nachdenkpause einlegt: Jerry Maguire, ein Top-Sportagent, kann nicht mehr mit im zynischen Geschäft. Er schreibt ein Memorandum an die Firma und gibt eine skandalöse Devise aus: Weniger Klienten, weniger Geld, mehr Menschlichkeit.
Er wird dafür gefeiert und gefeuert in einem Handstreich – so funktioniert diese Branche. Der Rest ist Plot nach Schema: Eine Frau (Renee Zellweger) mit Sohn hält zu ihm, ebenso ein Klient, der schwarze Footballspieler Rod Tidwell (Cuba Gooding, jr.), und aus der Asche, die sich der Business-Büßer zu Beginn auf sein Haupt streut, steigt er empor wie ein Phönix samt Footballstar aus Arizona.
Das ist Ideologie in purer Ausprägung, simpel gedacht und (honi soit...) scientologisch skandiert. Aber inmitten dieses Fitnessprogramms für humanisierte Spät-Yuppies leistet Regisseur und Drehbuchautor Cameron Crowe (Singles) auch durchaus komische Zersetzungsarbeit.
Sie betrifft zuerst das Image des Stars: Tom Cruise fegt im Cabrio über die Landstraße und singt lauthals Tom Pettys Free Falling mit; Cruise hält seine letzte Rede im Großraumbüro und gipfelt in dem Satz: "Das ist jetzt peinlich"; Cruise spielt einen Betrunkenen als Elefant im Porzellanladen und "spielt" dabei genau sein exaltiertes "Schauspiel".
Selbstverständlich bleibt der Star intakt, aber allein die gedankenlose Art, wie er seinen Heiratsantrag vorbringt, ist durch kein Happy-End mehr zu tilgen: Dieser Mann ist gefährlich hohl, und selbst die ehrlichsten Gefühlsregungen hat er, weil er neidisch ist. Neidisch auf Rod Tidwell.
Cuba Gooding, jr. hat den hinreißendsten Auftritt in Jerry Maguire. Am Ende einer schnellen Montagesequenz, in der Maguire und sein Konkurrent Sugar um die Wette telefonisch um die Gunst der Klienten buhlen, bleibt für Maguire nur mehr dieser hedonistische, sentimentale Schwarze mit einer großen Familien-Posse aus Arizona.
Er läßt am anderen Ende der Leitung die Breakbeats aus dem Blaster wummern und brüllt dazu die Devise in den Hörer: "Führ mich zum Schotter!" (Deutsche Synchronfassung!) Die Pointe ist, daß Tidwell mehr vom Leben will, als Schotter, und mehr vom Leben hat, als Maguire.
Davon schneidet sich Maguire eine Scheibe Weisheit ab. Deswegen bleibt am Ende doch wieder nur Moral und Triumph des Stars. Jerry Maguire hätte eine schöne Paraphrase auf Tashlins Will Success Spoil Rock Hunter? werden können, aber er erliegt den eigenen Widersprüchen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 1/3/1997)

Tom Cruise singt in "Jerry Maguire" ein heiseres Loblied auf Sportagenten, Liebespaare und den gesunden Selbsthaß. Die Ironie ist nicht zu überhören. Natürlich war Wall Street ein verzerrtes Selbstporträt der Epoche. Die achtziger Jahre waren nicht so, wie Oliver Stones Film und sein Börsenspekulant Charlie Sheen es uns glauben machen wollten. Wall Street war so, wie man sich die achtziger Jahre vorstellte: hedonistisch und aufs schnelle Geld aus. Mit einer Moral, die erst zum Schluß kam, dann aber umso fürchterlicher zuschlug.
Zehn Jahre ist das nun her, höchste Zeit für neue, wirksame Zeitbilder: Cameron Crowes Jerry Maguire - Spiel des Lebens zeigt, was man dereinst wohl von den neunziger Jahren halten wird. Man darf beruhigt sein. Wenn diese milde Komödie recht behält, dann waren es keine schlechten Zeiten. Auch der Agent Jerry Maguire (Tom Cruise, wie gehabt, mit manchmal verzweifeltem Erfolgslächeln) ist ein Spekulant, aber er hantiert nicht mit Aktien, sondern mit jungen Sportlern, die in ein paar Jahren vielleicht das große Geld machen werden.
Jerry ist der Mann, der dann die Provision bekommen wird. 270mal pro Tag wird er angerufen, 74 Klienten und eine anspruchsvolle Geliebte (Kelly Preston) wollen betreut werden. Aber ist Jerry stark genug für seinen Erfolg? Nein, er ist zu schwach. "Ist aus mir auch nur so ein Aasgeier im Anzug geworden?", fragt er sich, nachdem ihm der kleine Sohn eines sportverletzten Klienten seine Verachtung gezeigt hat. In den achtziger Jahren wurde man von den anderen gehaßt. Heute haßt man sich lieber selbst. Aber die Folgen sind nicht minder schlimm.
Jerry schreibt sich im einsamen Hotelzimmer einen Essay von der Seele und fabuliert von "weniger Klienten und menschlicheren Beziehungen". Als seine Vorgesetzten die Vorschläge zu Gesicht bekommen, ist Jerry den Job los. Die Stange hält ihm nur, wer nicht ganz bei Trost ist. Rod Tidwell (Cuba Gooding, Jr.) gehört zu diesen Unverdrossenen: ein egomanischer Footballspieler, der wirklich Rundum-Betreuung braucht. Mit dabei ist auch die Sekretärin Dorothy (Renee Zellweger), eine alleinerziehende Mutter. Auch sie träumt vom Leben erster Klasse und meint, Jerry könne ihr dazu verhelfen. Also greift sie sich Jerry, als er ganz unten ist, und übt sich danach in Geduld. Man muß warten können auf bessere Zeiten.
Aus dem ursprünglichen Egotrip ist für Jerry damit schon eine Dreiergeschichte geworden. Der letzte Klient therapiert Jerry, der Agent im Gegenzug den Sportler - und aus der Vernunftbeziehung mit Dorothy wird langsam Liebe. Jerry Maguire ist ein Film der letzten Hoffnungen: auf die intakte Familie, auf Liebe und auf Arbeit. Und weil man am Anfang moralisch war, gibt es am Ende auch das große Geld. Beinahe wie in Wall Street. Nur umgekehrt. Und mit Selbstironie erzählt. Vielleicht sind ja die neunziger Jahre nur die Achtziger im Rückwärtslauf. (Robert Weixelbaumer, DIE PRESSE)

Die Oscar-Jury ist berüchtigt für Scherze, die außerhalb ihres Zirkels keiner versteht. Der Witz dieses Jahres heißt "Jerry Maguire". Das ist ein nettes kleines Lustspiel über einen netten jungen Mann, Sportler-Manager von Beruf, der von bösen Geldgeiern geschäftlich ausgebremst wird. Doch dann lernt er eine nette, brave Frau kennen, die ihm auch an düsteren Tagen wacker zur Seite steht, und als die beiden füreinander entbrennen, meint es das Schicksal doppelt gut mit ihnen. Die Liebes-Sonne lacht, und das Geld fließt wieder in Strömen. So weit, so belanglos. Verblüffend wird die Sache erst dadurch, daß das Filmchen mit fünf Oscar-Nominierungen protzen kann. Der Rezensent schüttelt den Kopf: Bester Film? Das Werk ist gewiß routiniert und temporeich abgedreht, doch fehlt ihm jeder Hauch von genialer Eigenart. Bester Darsteller? Die Nominierung von Tom Cruise müßte vor allem Tom Cruise mißfallen. Denn während er in "Mission: Impossible" einigermaßen atemraubend war, hält er hier ein mäßig begabtes Mini-Repertoire von Gesten und Gesichtsausdrücken vor die Kamera. Von seiner jungen Partnerin Renee Zellweger wird er an die Wand gespielt. Bestes Drehbuch? Cameron Crowes Script ist ein Schatz an güldenen Binsen, wonach das Gute stets siegt, wenn man es nur ordentlich erstrebt, während das Böse unterliegt, wenn... etc., etc. - Fazit: Gelobt sei die Einfalt. (Gunther Baumann, KURIER)

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DIE ABENTEUER DES JUAN QUIN QUIN (AVENTURAS DE JUAN QUIN QUIN)

CUB 1967
Regie: Julio Garcia Espinosa, Buch: Julio Garcia Espinosa, Samuel Feijo ("Juan Quin Quin en el pueblo Mocho") Musik: Leo Brouwer, Kamera: Jorge Haydu, Darsteller: Julio Martinez (Juan Quin Quin), Erdwin Fernández (Jachero), Adelaida Raymat (Teresa), Enrique Santiesteban (der Feind)
Kinostart: 28/2/1997

Die Entwicklung eines jungen Kubaners vom Gehilfen eines Pfarrers zum rebellischen Kleinbauern, der mit Gleichgesinnten den Aufstand wagt. Im Stil eines Schelmen-Romans inszenierter sozialkritischer Film; ein streckenweise recht derbes, insgesamt aber mit vielen vergnüglichen Einfällen parodistisch angelegtes Plädoyer für die Revolution. (Lexikon des Internationalen Films)

siehe IMDb

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MARS ATTACKS! (MARS ATTACKS!)

USA 1996
Regie: Tim Burton, Musik: Danny Elfman, Darsteller: Jack Nicholson (President Dale/Art Land), Glenn Close (Marsha Dale), Annette Bening (Barbara Land), Pierce Brosnan (Donald Kessler), Danny DeVito (Rude Gambler), Martin Short (Jerry Ross), Sarah Jessica Parker (Nathalie Lake), Michael J. Fox (Jason Stone), Rod Steiger (Gen. Decker), Tom Jones (Himself), Lukas Haas (Richie Norris), Natalie Portman (Taffy Dale), Jim Brown (Byron Williams), Lisa Marie (Martian Girl)
Kinostart: 28/2/1997

"Mars Attacks!" should have been titled "Tim Burton Attacks."
This messy science fiction comedy, opening today at Bay Area theaters, blows most of its inspired moments because of its mean-spirited, deafening siege mentality, which turns rich promise into a tiresome parade of half-baked skits. Hilarity never seemed so tedious.
It's surprising that Burton's romp -- based loosely on an obscure 1960s Topps bubble-gum trading-card series -- generates so little heat, considering that the movie stars Jack Nicholson, Glenn Close, Annette Bening and many more heavyweights. But although they're overwhelmed by a hodgepodge of pyrotechnic and laser special effects -- plus leaden puppetlike Martians -- none of the all-star cast is given much of real use to work with.
Burton's rubbery plastic Martians, pint-sized bipeds who arrive one day in hundreds of aluminum flying saucers, seem to be the main reason for the film's existence. Ultimately they're not much more interesting than rubber duckies, though they do some arresting stuff, such as indiscriminately vaporizing humans and animals with ray guns. They also attach Sarah Jessica Parker's head to a Chihuahua, whereupon she kisses the disembodied head of Pierce Brosnan.
The Martians are bullies with bulbous brain matter visible through clear plastic- bubble craniums. They speak a staccato language resembling ducks quacking. They get off on mowing down earthlings, even when the latter greet them in a spirit of peace. The death-to-humans concept is perversely funny for a while, then turns tiresome.
Almost in spite of itself, though, "Mars Attacks!" has a silly, adolescent satirical appeal in its manic attacks on pop culture. It jabs at old-movie and TV science fiction, the pomp of the executive branch in Washington, the extravagant kitsch of Las Vegas.
And the film occasionally shows brilliant insight into humankind's cloddish approach to the cosmos. In this, the script by Jonathan Gems has a consistently provocative H.G. Wells attitude, turned on its ear.
The title pretty much tells the story. The opening credit sequence showing squadrons of saucers leaving the reddish environment of their home planet and heading for Earth is really all you need to see -- it's a knockout.
Nicholson has dual roles, a thoughtful president of the United States who worries about what suit to wear to greet the invaders, and a slick Vegas casino developer. Close, in the running for the year's best ham award, plays the first lady. In Vegas, Bening is great as Nicholson's wife, a 12- step advocate chasing New Age cosmologies.
The president's advisers are a super- hawkish nuke-'em general played by Rod Steiger, a more liberal general (Paul Winfield), a sleazeball Oval Office spin doctor (Martin Short) and Brosnan as a scientist who believes that the Martians deserve respect.
Parker is a ditzy TV fashion-talk-show hostess married to a TV news reporter played by Michael J. Fox. The amazingly buff Jim Brown plays a casino greeter in Vegas, and somewhere in the mess lounge lizard Tom Jones shows up to find out that his backup singers are aliens.
Others wasted talents are Lukas Haas as a Kansas hayseed and Sylvia Sidney as his absentminded grandmother whose musical tastes turn the tide against the Martians. Lisa Marie is featured in an amusing, twisted sequence as a seductive Martian dressed as a D.C. hooker.
The PG-13 rating was given for cartoonish violence, body dismemberment, depictions of cruelty to animals, vulgar language and a couple of suggestive adult moments. (PETER STACK, San Francisco Chronicle, 13/12/1996)

Amerika freut sich. Außerirdischer Besuch kündigt sich an, friedlich, wie man hört. Kleine Marsmännchen, eklig-grün, freiliegendes Hirn, kommen schwerbewaffnet in der Wüste an, sprechen "We come in peace" (These) - um sogleich die heroisch daherschwebende Friedenstaube zu grillen (Antithese). Sie töten zum Spaß noch ein paar Dutzend Amerikaner, live und direkt im Fernsehen, dann sind sie wieder weg. Wenig später entsenden sie eine formelle Entschuldigung, mit der Bitte um ein neues Treffen: Das Desaster läuft.
Mars Attacks! handelt auch davon, daß man Amerika alles einreden kann (wenn es nur Geld verspricht): Präsident Nicholson träumt von einer Schmalzansprache zur prime time, Armee-Chef Rod Steiger vom massierten Einsatz atomarer Waffen, und die TV-Yuppies von immensen Quoten. Zwischen Vegas und Washington pendelt Mars Attacks! , wo in Schutt und Asche bald alles liegt, was US-Kultur war.
Sarah Jessica Parker, luftleere Talk-Show-Tante, gerät außerdem in ein Liebesmelodram mit abgetrenntem Kopf - und Hollywood-Methusalem Sylvia Sidney rettet mit einem Schlagersänger (Tom Jones) die Welt. Tim Burtons absurde Komödie agitiert mit infantiler Energie gegen alles, was Amerika lieb & teuer ist: das lustigste Schreckensbild der Welt, ab sofort im Kino. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

Feuer, Gift & Galle: Das Spaßkino als Alptraum - Regisseur Tim Burton über das Unbewußte, Tom Jones und Stimmen vom Mars.
"DIE PRESSE": "Mars Attacks!" scheint ein drastisch unpatriotisches Gegenbild zu "Independence Day" sein zu wollen.
TIM BURTON: Von Independence Day erfuhr ich überhaupt erst, als wir zu drehen begannen. Und bis heute hab' ich den Film nicht gesehen. Mit Independence Day hat Mars Attacks! wenig zu tun. Das sind eher unbewußte Prozesse: Wenn man Science-fiction mag, dann ist das eben etwas, was einen nachhaltig prägt.
Ihre Filme sind voll regressiver Anarchie. Aber es gibt da, jenseits des Spaßes, immer auch gespenstische Bilder: die brennende Rinderherde etwa - oder die giftfarbenen Skelette der Mars-Opfer...
Diese Qualität liebe ich aber auch an alten Filmen. Als Kind war ich etwa von Invaders From Mars fasziniert: Das war, als sähe man einen Alptraum. Es gibt große lineare Geschichtenerzähler im Kino. Aber von den Filmen, die ich mochte als Teenager, blieb mir keine der Geschichten in Erinnerung, nur die Verstörung, die gewisse Bilder produzierten. Ich weiß noch, wie ich Invaders From Mars mit meinen Klassenkollegen besprochen habe: Die Bilder gingen direkt in dein Inneres, sie hatten die Macht, nicht die Story. Wie in einem Märchen liegen die eigentlichen Inhalte meiner Filme in den Bildern, den Subtexten.
Die Stimmen der Marsmenschen klingen hochinteressant...
Sie sind auf einem ganz billigen Walkman aufgenommen, nur als Test eigentlich, als Tonprobe. Das war dann aber so gut, daß wir wochenlang alles versuchten, sie im Studio zu imitieren: Aber die besten Tonmenschen Hollywoods waren dazu nicht in der Lage. Deswegen mußten wir schließlich die paar Sekunden Probeband kompliziert umschneiden und vervielfachen.
Haben Sie je versucht, "Mars Attacks!" als kleineren Film zu realisieren, als echtes B-Movie ?
Wir haben versucht, ihn billig zu halten, schnell zu drehen, die Gagen niedrig zu halten. Aber ganz billig ist er wohl trotzdem nicht geworden.
In meinen Filmen geraten die Dinge immer durcheinander, das Billige und das Teure in Mars Attacks! etwa - und es war tatsächlich am billigsten, die Marsianer via Computer zu erschaffen, weil meine Aliens alle gleich aussehen. Außerdem machte das die Dreharbeiten spontaner, wenn es auch surreal anzusehen war, wie Nicholson da gegen eine Wand zu spielen hatte. Allerdings hat Jack ja in den Filmen Roger Cormans begonnen, der war das ohnehin gewöhnt.
Sie arbeiten - in "Batman", "Ed Wood" oder auch in "Mars Attacks!" - mit Kinogenres, aber Sie bleiben dabei erstaunlich persönlich: Woran liegt das?
Der Mensch ist ja das Produkt seiner Erziehung, und das B-Kino ist Teil meines Lebens. Meine Arbeit ist persönlich, das ist wahr. Auch wenn man Filme macht mit Dingen und Stories, die nicht real scheinen, sind sie es eben doch, weil sie für dich und dein Leben real sind.
Was verbinden Sie mit diesem Song - "Indian Love Call" - , der in "Mars Attacks!" eine so zentrale Rolle spielt?
Slim Whitmans Stimme - und speziell sein "Indian Love Call" - war für mich immer mit Science-fiction verbunden. Ich mag Country-Music nicht, aber diesen Song liebe ich. Er handelt von Kommunikation, er paßte einfach. Vieles in Mars Attacks! ist nicht wortwörtlich zu nehmen, der Film hat viele Ebenen: In "Indian Love Call" steckt ja auch amerikanische Geschichte.
Tom Jones scheint eine groteske Wahl zu sein...
Nein, den finde ich großartig, für mich ist er ein Abenteurer. Man sieht ihn auf der Bühne, wo er brillant ist, dann trifft man diesen unglaublich netten Menschen - man muß einfach glauben, daß er alles kann: ein großes Konzert singen, Mars-Angreifer bekämpfen, ein Flugzeug fliegen. Er ist ein klassischer Actionheld. Wenn Sie mich fragen: Mit Tom geh' ich jederzeit überall hin. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

Gequirlte Puddingmasse.
Vielleicht, ja wahrscheinlich, wird dieser Science-fiction-Gschnas ein Kultfilm von übermorgen sein. Heute aber geht dieser Blödfilm noch weit über unsere stützigen Begriffe. Und so mögen Nachgeborene schon jetzt die folgenden Uneinsichtigkeiten, Irrtümer und Fehlurteile verzeihen... Mehr Fahrdienstleiter als hier waren wohl noch nie an einem katastrophalen Zugsunglück beteiligt. Oder, weniger metaphorisch: Jack Nicholson (x2), Glenn Close, Pierce Brosnan, Danny DeVito, Tom Jones, Rod Steiger, Martin Short, Sarah Jessica Parker, Michael J. Fox stellten ihre Starqualitäten in den Dienst gequirlter... na ja: Puddingmasse.
Tim Burton, Hollywoods entfesseltstes Kre(a)tin, hat seinen Ganglien wieder einmal etliche bizarre Blähungen entlockt. Diesmal rottet eine Invasion totenkindsköpfischer Marsmännchen in absolut friedlicher Absicht die halbe Menschheit aus, bevor die Laserwaffenträger durch das Abspielen alter Schlager zu Tode musiziert werden. Dazu treiben ein Pinscher mit dem Kopf einer dämlichen TV-Moderatorin, der wie mit einer Tiara aus Jacketkronen gekrönte Grinserpapst Nicholson als US-Präsident und Las-Vegas-Tycoon und zahllose Special Attacks, pardon, Special Effects Kurz- sowie Langweil.
Eingestreute Satireflocken über den Homo americanus sind oft köstlich, werden aber meist von unkontrolliert erbrochenem Nonsensbrei überdeckt. Irr, witzig und irrwitzig war jene Devise, die wahrscheinlich nur wenig Devisen bringen wird: Verrissener als dieser mit voller Absicht erzeugte Anwärter auf den Golden-Turkey-Award (für den schlechtesten Film des Jahres) war heuer noch kein Movie. Ein Truthahn, der keine goldenen Eier legt, als Schlachtplatte für Kritiker. (Rudi John, KURIER)

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