Zichentrickfilm, D 1996 Regie: Michael Schaak, Veit Vollmer
Kinostart: 7/3/1997
Als ich im Jahr 1986 zum ersten Mal das Kleine Arschloch zu Papier brachte, hatte ich nicht die geringste Ahnung davon, in welcher Weise diese lächerliche Witzfigur mein weiteres Leben bestimmen würde.
Eigentlich nur zu einer kurzlebigen Existenz bestimmt, entwickelte sich das Kleine Arschloch zu einer sogenannten Kultfigur, was so etwa das Verheerendste ist, was einem Zeichner widerfahren kann. Die Entstehung einer Kultfigur hat meiner persönlichen Theorie nach nichts mit dem Willen des Zeichners zu tun, sondern ist ein bioelektro-basisdemokratisches Energiephänomen von frankensteinschen Ausmaßen: Sobald eine vom Schicksal zur Kultfigur bestimmte Comicpersönlichkeit zum ersten Mal im Druck erscheint, kommt es zu einem Energieaustausch zwischen Fan und Figur. Bisher noch nicht meßbare Kultstrahlen strömen zwischen beiden hin und her und erzeugen ein Energiekultfeld, das die Figur mit einem Eigenleben beseelt, das nichts mehr mit der Phantasie des Zeichners zu tun hat, sondern ausschließlich mit dem kollektiven Wunsch der Fangemeinde, daß dieser Figur ewiges Leben bestimmt sei. Kult ist also die kalorienärmere und demokratischere Variante von Kultur: leichter zu verdauen und nicht vom Künstler verordnet, sondern vom Volk gewollt. Was nicht heißen soll, daß daraus keine Schreckensherrschaft werden kann. Im Gegenteil.
Von diesem Augenblick an ist der Schöpfer der Figur zu ihrem Sklaven geworden, er weiß es nur noch nicht. Er sonnt sich im Erfolg seiner vermeintlich originellen Idee und hält sich vielleicht selbst für gottgleich, wenn er Fortsetzung für Fortsetzung runterreißt und dem Kunstwesen neues Leben einhaucht, dabei folgt er nur wie ein Autopilot einem Leitstrahl, der von seiner Figur und seiner Fangemeinde aufrechterhalten wird. Daß die Figur dadurch immer mächtiger wird, während ihm selbst pausenlos Energie abgezapft wird, merkt er erst, wenn es bereits zu spät ist. Manche Kultfiguren haben es auf diese Weise zu einem Machtpotential gebracht, von dem Diktatoren nur träumen können, und dies inklusive Unsterblichkeit, während ihre Schöpfer schon längst in der Urne ruhen: Mickymaus, Max und Moritz und Jim Knopf leben, aber Walt Disney, Wilhelm Busch und Michael Ende sind tot.
Rangmäßig spielt das Kleine Arschloch, im Vergleich mit solchen Größen, natürlich noch in der Amateurliga. Während die Mickymaus sozusagen der Bill Clinton unter den Kultfiguren ist, ist das Kleine Arschloch, sagen wir mal, höchstens Fürst Rainier von Monaco oder, vielleicht besser: Ghaddafi. Aber auch Napoleon hat einmal klein angefangen.
Manche Zeichner versuchen, wenn sie die wahren Machtverhältnisse realisiert haben, ihre eigene Kreatur zu zerstören, indem sie ihr immer neue Superschurken auf den Hals zeichnen. So sind unter anderen Lex Luthor, der Riddler, Galactus und der Alte Sack entstanden.
Das Studium der Comicgeschichte aber zeigt, daß solche Versuche immer zur Fruchtlosigkeit verurteilt bleiben. Derjenige, der dem Comicheft den Namen gibt, bleibt Sieger, das ist eins der Naturgesetze des Comic strips. Noch kein einziger Superschurke hat es zu einem eigenen Comicheft gebracht, egal, mit welchen kosmischen Kräften er auch ausgestattet war. Meine eigenen Versuche auf diesem Gebiet sind kläglich gescheitert, und ich muß auch zugeben, daß sie strategisch etwas zu wünschen übriggelassen haben. Wer einen alten Mann im Rollstuhl und einen blöden Hund gegen das Kleine Arschloch ins Feld führt, darf sich nicht wundern, den kürzeren zu ziehen.
Andere Attentate auf das Kleine Arschloch, wie kindische Radierversuche oder die schiere Weigerung, es zu zeichnen, blieben erfolglos und wurden umgehend geahndet. Gefangener im Energiebann der Fangemeinde, wurde ich nach jedem Mordversuch genötigt, es durch kleine Göttergaben wieder milde zu stimmen, ein Kleines-Arschloch-T-Shirt hier, ein Kerzenleuchter in Arschlochform dort. Zum ersten Mal verdichtete sich bei mir der Verdacht, daß das Kleine Arschloch sich zum Zentralereignis der menschlichen Kulturgeschichte stilisieren wollte, und zwar in allen Disziplinen, sogar als Frotteehandtuch, Küchenschürze und als mit obszönen Motiven bedruckte Unterhose.
Ungefähr zu dieser Zeit erschien auch das erste Prosawerk des Kleinen Arschlochs, "Schöner Leben mit dem Kleinen Arschloch" , eine mehr schlecht als recht als Lebensratgeber getarnte Propagandapublikation, in Wirklichkeit eine allgemeine Gesetzgebung nach den wirren moralischen Vorstellungen des Kleinen Arschlochs, inhaltlich verwerflicher als die Memoiren Klaus Kinskis und schlechter geschrieben als die Mao-Bibel. Die Leute lachen über dieses Machwerk -, aber hat man das früher nicht auch bei "Mein Kampf" getan?
Es wurde mir langsam klar, daß das Kleine Arschloch eine Gesamtstrategie verfolgte, die auf den Berufswunsch "Herrscher des Universums" hinauslief. Vor der naiven Fangemeinde markierte es immer noch die bescheidene Kultfigur mit street credibility, aber mich konnte es nicht mehr länger täuschen.
Befeuert vom Energiefeld der Fangemeinde, wurde das Kleine Arschloch nicht nur immer mächtiger, sondern auch größenwahnsinnig. Es war ihm schon lange nicht mehr genug, sich von mir als Messias zeichnen oder in Form von Schlüsselanhängern, Stifthaltern oder Kruzifixen unters Volk bringen zu lassen, es wollte von der Kunstwelt gefeiert werden.
Dies war der Augenblick, in dem mir die letzte Illusion von einer Kontrolle über meine Figur abhanden kam. Es ist wahrscheinlich der schmerzhafteste Augenblick im Leben eines Künstlers, wenn er sich eingestehen muß, daß seine Schöpfung nicht ihm, sondern der ganzen Menschheit gehört. Das Kleine Arschloch wurde so etwas wie die Gertrude Stein des Comic strips, die Muse unterschiedlichster Kreativer - in Öl verewigt und in Kupfer gestochen, in Porzellan gebrannt und in Stein gehauen, in Bronze gegossen und mit Blattgold veredelt von nahezu allen namhaften Künstlern von Rang, von Warhol bis Toulouse-Lautrec, von Hopper bis Lichtenstein, von Dürer bis Miró. Daß selbst Künstler vergangener Jahrtausende das Kleine Arschloch in kruden Kreidezeichnungen feierten, wird wohl für alle Zeiten zu den unlösbaren Arschloch-Mysterien gehören, und daß so viele oft ausgewiesen eigenwillige Künstlerpersönlichkeiten wie Picasso oder David Hockney ihre Visionen einem kurzsichtigen Teenager mit Gewichtsproblemen unterordneten, ist ein weiteres Indiz für die Wahrscheinlichkeit meiner Kultstrahlentheorie.
Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann sich das Kleine Arschloch der endgültigen Kunstform des zwanzigsten Jahrhunderts, dem Tonfilm, zuwenden würde. Dabei ging es natürlich nicht darum, eine cineastische Leistung zu vollbringen, sondern es war nur ein weiterer Schritt in der allmählichen Fleischwerdung meiner Figur. Plötzlich hatte das Kleine Arschloch eine Stimme, konnte sich bewegen, singen, tanzen (na ja!) und sich in wesentlich vielfältigerer Form ausdrücken als auf einem Blatt Papier. Außerdem hatte es den Schritt vom Buch in ein zeitgemäßeres und mächtigeres Medium vollzogen: Über das bewegte Bild kann es nun zu einer wesentlich größeren Masse sprechen, wenn auch mit einer etwas knödeligen Stimme. Das Gespenstischste für mich an dieser Stimme ist, daß sie nicht etwa von einem Schauspieler gesprochen wird - Sie werden in den Abspanntiteln vergeblich nach einem Synchronsprecher-Credit suchen. Das Kleine Arschloch ist die erste Zeichentrickfigur der Animationsgeschichte, die sich selbst spricht.
Als dies alles vor meinen staunenden Augen Wirklichkeit wurde, begriff ich, daß sich das Kleine Arschloch tatsächlich zu einer der kulturellen Führungskräfte in unserem Sonnensystem hinaufgearbeitet hatte - und ich bin an allem schuld. Ich bin ein moderner Dr. Frankenstein, ich habe ein Monstrum geschaffen, das eines Tages seinen Erzeuger vernichten wird. Noch stehen wir in der Mitte des Prozesses, das Kleine Arschloch hat zwar schon eine Stimme, aber noch keinen Körper aus Fleisch und Blut. Ich weiß aber von gentechnischen Experimenten fanatisierter Biochemiestudenten, bei denen man unter Absingen der "Satanischen Verse" das Erbgut von Nacktmullen mit den ersten Samenergüssen zwölfjähriger Brillenträger kreuzt, die schon recht fortgeschritten sein sollen. Ziel dieser Forschungen soll es sein, das Kleine Arschloch für jedermann im Blumentopf züchtbar zu machen, zum Preis einer Tüte Zwiebelsamen.
Das mag im Moment noch wie der Alptraum eines geisteskranken Comiczeichners klingen, der ein paar Sprechblasen zuviel gezeichnet hat, aber ich weiß, daß das Kleine Arschloch nach einem eigenen Fernsehkanal, einem eigenen Freizeitpark und einer lebensgroßen Plüschpuppe lechzt, die "Mahlzeit" sagen kann. Dies alles aber werden nur kleine, behutsame Schritte sein, Teile eines teuflischen Masterplans, dessen apokalyptische Ausmaße ein normaler Sterblicher wie ich nur ahnen kann; die ganze schreckliche Wahrheit weiß nur die Comicfigur selbst. Denn, wie das Kleine Arschloch zum Abschluß seines Films sagt: "Ist das Leben nicht wie ein Mosaik? Erst am Ende fügt es sich zu einem Ganzen." Und dann gnade uns Gott. (Walter Moers, DIE ZEIT vom 28/2/1997)
In schwierigen Zeiten haben Arschlöcher Saison; große und kleine. Dieser unappetitliche Umstand beschert uns jetzt einen beschissenen Zeichentrickfilm. Dessen Striche gehen sozusagen auf dem Strich. Zeigen ein Hurenstück ultimativ schlechten Geschmacks. Heldenballade für einen Widerling. Kotzbrockens Lehrjahre im Pubertertiär. Das Tagebuch Fleisch gewordener Diarrhöe. Das kleine Arschloch: der Anus als Ohr am Volksgemurmel. Bei diesem Dreckstück handelt es sich um eines jener Mußgesehenhaben, die man um jeden Preis konsumieren möchte, auch wenn sich nachher vorm Spiegel der leise Ekel einstellt: Über so was hast du gelacht?
Ein psychisches und physisches Ungustioso, das sein Publikum mehr entlarvt als seinen Täter. Selbiger käut auf der Leinwand wieder, was er seit 1990 in etlichen Bänden mit dem Schmuddelstift aus dem Leben seines Taugenichts erzählte: Die Dreckschleuder des deutschen Comiczeichners Walter Moers rotzt und motzt darin über alles, was sein Erfinder glaubt, daß andere für heilig halten. Derlei wäre vor zwei Jahrzehnten bestenfalls in die Undergroundan(n)alen eingegangen (nicht, daß die Mehrheit damals besseren Geschmack gehabt hätte, aber wenigstens noch die gute alte Doppelmoral).
Jetzt wurde Moers' Held zum deutschen Volksgut, zum Kultartikel: das kleine Arschloch eben. Moers' Themen: Arschlochs Scheißverhalten, Scheißansichten, Scheißumgangsformen und seine Scheißsprüche.
Die Analyse eines zwölfjährigen Mistkerls und Unklugscheißers, der unter anderem einen wehrlosen Hund mit LSD vivisekkiert, den gebrauchten Slip seiner älteren Schwester an den geilen Schulfreund gegen Comics verkauft und mit der von ihm rädelsgeführten Rockband die christliche Gemeinschaft eines Kirchentags durch Satanistensongs zu erbauen (nieder)trachtet.
Dabei schafft er lässig, daß einem Sex als schmutzigste Sache der Welt vorkommt, alte Leute als unappetitliche Schmarotzer und Rockmusik als willfährige Begleiterscheinung von Hunds- und anderen Gemeinheiten halbwüchsiger Abschaumschläger. Werner Beinhart, kesser Kessler, wir leisten reuige Abbitte; angesichts dieser Schmutzkonkurrenz verleihen wir dir einen Heiligenschein und deinem Zeichner auch. (Rudi John, KURIER)
USA 1996 Regie: Stephen Herek,
Buch: John Hughes, Dodie Smith,
Musik: Michael Kamen,
Kamera: Adrian Biddle ,
Schnitt: Trudy Ship,
Darsteller: Glenn Close (Cruella De Vil), Jeff Daniels (Roger), Joely Richardson (Anita), Joan Plowright (Nanny), Hugh Laurie (Jasper), Mark Williams (Horace), John Shrannel (Skinner) Kinostart: 7/3/1997
Glenn Close entwickelt in dem Spielfilm-Remake des Disney-Zeichentrickfavoriten von 1961 als die hexenhafte (Hunde-)Pelzliebhaberin Cruella De Vil eine fatale Attraktion für einen Wurf knuddeliger Dalmatinerwelpen.
Die Firma Disney freut sich, der Welt ein neues hochprofitables Produkt zur Ansicht vorzulegen: "101 Dalmatiner", Remake eines Zeichentrickklassikers, trennt die Welt noch einmal in Gut (Streichelzoo) und Böse (Glenn Close).
Alles wie gehabt. Das Böse wird geteert & gefedert, weil es eben böse ist, während das Gute siegt, nicht weil es klüger wäre oder schneller, sondern weil es moralisch besser kommt, wenn im Kino am Ende nicht das Böse siegt. Disneys schlichte Rezeptur läßt sich ad infinitum reproduzieren: Die Moral kennt, wie die Gleichschaltung von Mensch und Tier, kein Ablaufdatum.
Sie heißt nur jetzt ein wenig anders, die Antiheldin dieses Films, mit Sadistengrinsen und Zigarettenspitz. Damals, als sie noch eine Zeichentrickfigur war, 1961, nannte man sie Cruella de Ville. Das war lustig, weil die Grausamkeit, der Teufel und die Stadt sich hinter diesem Namen verschanzten. Heute aber, fast vier Jahrzehnte später, sagt man die Dinge besser klar, sonst versteht einen ja wieder keiner. So heißt sie jetzt, im Realfilm-Remake, Cruella DeVil. Will man satanisch sein für alle Welt, dann kann man die Subtilität eben nicht überstrapazieren.
Und, ja, ja, diesmal sind die Hunde echt, wie die Fernsehwerbung einem derzeit lust- und geräuschvoll eintrichtert: Daß auch das zwar nicht ganz stimmt, weil immerhin Jim Hensons teurer Creature Shop nun für die Spezialeffekte (und für maschinenbetriebene Kunstdalmatiner) sorgt, das tut der Illusion ja keinen Abbruch, weil man die Realtiere von ihren Replikanten ohnehin nicht unterscheiden kann.
So bleibt nur die niedliche Geschichte, die Story vom verliebten Pärchen (Jeff Daniels, Joely Richardson) und ihren parallel verliebten Dalmatinern, die bald Nachwuchs produzieren: 17 (nicht 101) Dalmatiner sind es zunächst, als Cruellas Intrige in die erste Phase tritt. Sie verschleppt die lieben Kleinen in ihr bereits Dalmatiner-überfülltes Schloß, um einen Pelz zu fabrizieren. Regisseur Stephen Herek hält sich dabei auftragsgemäß aus allem heraus, was man Handschrift nennen könnte, während Superstar Glenn Close, tatsächlich amüsant, die erste Geige spielt: In einer deftigen Selbstpersiflage demontiert sie hier - makellos arrogant - sich bis ins finale Jauchebad selbst, flankiert von zwei Gangstertrotteln, die direkt aus Home Alone stammen könnten.
Wenn die Neufassung von 101 Dalmatiner etwas zeigt, dann wenigstens die Tatsache, daß Disneys Süßstoff längst ganz Hollywood infiziert hat: So künstlich, so familiär und so berechenbar wie dieser Film hat heute eben alles auszusehen, was die US-Weltfilmindustrie, Abteilung Jugendfrei, en gros zu bieten hat. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)
Wuff! Japs! Fiep! Nix verstanden? Eben. Genau da liegt der Hund begraben. Die Realverfilmung des Disney-Zeichentrick-Klassikers hätte Hund Beethoven und Schwein Babe locker in den Zwinger verweisen können wenn man den Dalmatinern nur Worte in die feuchte Schnauze gelegt hätte! Aber die niedlichen Original-Dialoge wurden einfach ersatzlos gestrichen. Frustrierend. Den Welpen wurde der Maulkorb umgehängt, sie fristen ihre Hundstage wedelnd, sabbernd, jaulend.
Was sich die Hundebabies dauernd zuraunen, muß sich der Zuschauer zusammenreimen. Nach dem australischen Schweinehit (darin radebrechten alle Tiere in verschiedenen Dialekten), wirkt die Wuff-Strategie vorsintflutlich und billig. Ansonsten blieb alles beim alten: die extravagante Modeschöpferin Cruella DeVil ist die wahre Tierfreundin. Am liebsten mag sie Pelztiere, aber gehäutet und gegerbt. Glenn Close verströmt als mondäne Pelzbesessene krötengiftigen Pesthauch, der das Comic-Vorbild noch übertrifft.
Als die Nemesis aller Fellträger bei einer Angestellten 15 Dalmatinerwelpen entdeckt, lechzt sie nach einer neuen Kollektion: schwarz auf weiß - Echtfell, natürlich. Also entführt sie reihenweise Dalmatiner, die sie in ihrem sinistren Landhaus zur Stola verarbeiten will. Die drolligen Kläffer indes riechen den Braten und reißen aus. Damit gehen der Regie die Leinen durch. Man sieht das Rudel treppauf, treppab hecheln, von links nach rechts galoppieren, über Felder, Wiesen... Liebevolle Großaufnahmen mit den schwarzweiß getupften Rackern?
Kann man vergessen. Hauptsache, es sind möglichst viele Dalmis ins Bild gepfercht. Abgesehen davon haben die Hunde weder
Profil noch Charakter. Die echten Lacher verbucht nur Glenn Close, die mit Lack-Stilettos und faszinierender, stinktierfarbener
Coiffure daherstöckelt. Daß aber gerade die fiese Bestie in Menschengestalt den putzigen Welpen die Schau stiehlt - damit ging
der Echttier-Zirkus vor die Hunde. (Monika Vanecek, KURIER)
D 1995 Regie: Rosa von Praunheim,
Buch: Rosa von Praunheim, Mike Kuchar,
Musik: Alexander Kraut,
Kamera: Lorenz Haarmann ,
Schnitt: Mike Shepard,
Darsteller: Désirée Nick, Lotti Huber, Evelyn Künneke, Luzi Kryn, Eva Ebner, Friedrich Steinhauer, Ichgola Androgyn, Tima die Göttliche, Bev Stroganoff, Ovo Maltine, Frank Schäfer, Valentin Passoni, Volker Eschke, Rainer Kranich, Ursula Rollwage, Carsten Hädler, Vardis Marinakis, Brandon Judell, Mae Sackeroff, Lindzee Smith Kinostart: 7/3/1997
Als sich Holger Mischwitzky vor nunmehr fast 30 Jahren das erste Mal öffentlich filmisch zu Wort meldete, dauerte diese Äußerung zwölf Minuten und
hieß "Von Rosa von Praunheim" (1967). Einer seiner damals - 1971 - bekanntesten Filmtitel hieß dann "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die
Situation, in der er lebt". Damit stand das Programm für die nächsten drei Jahrzehnte fest.
Unter dem Künstlernamen Rosa von Praunheim verbergen sich natürlich eine Vielzahl schillernder Persönlichkeitsfacetten - vor allem aber das fleißige
Lieschen. Mit etwa fünfzig Filmen hat Rosa uns im Laufe der Jahrzehnte beglückt. Der jüngste heißt "Neurosia" und beginnt mit einem Alptraum des
Künstlers. Bei einer Filmvorstellung wird Rosa vor der Leinwand niedergeschossen und verschwindet. (...)
Wie stets ist Rosa von Praunheim auch hier eine Mischung aus Oberlehrer der Nation, der sich eitel in jede Debatte wirft und sich selbst für den Nabel der
Welt hält, immer auf seine historischen Verdienste und seine vergangene Schönheit aufmerksam machend. Diesmal entblößt er sich einmal mehr vor der
Kamera und macht sich, wie andere Herren seines Jahrgangs, Gedanken über seinen umfangreicher gewordenen Bauch. Das allein wäre noch kein echter
Praunheim, wenn es nicht filmisch unbekümmert amateuerhaft zuginge, was man als erfischend empfinden könnte, wäre es, wie alles bei Praunheim, nicht
längst zur Masche geworden. (...) (Bodo Fründt, SZ, 2.11.95)
(...) Mega-peinlich bleibt auch die Szene aus einem Ihrer Werke, in der Sie sich mit einem Pornodarsteller vor den laufenden Kameras Ihrer
Filmhochschüler vergnügen. Aber so richtig turbo-peinlich wird's erst, wenn Sie am Telefon Ihrem verflossenen Lover nachweinen. Live und ungeschminkt,
Rosa zum Anfassen? Wollen wir ja gar nicht.
Ihre Verdienste um die Schwulenbewegung in allen Ehren, aber verfügt Ihre Berliner Altbauwohnung nicht vielleicht doch über genügend Raum, damit Sie
sich diese sehr, sehr privaten Filme alleine ansehen und uns derlei exhibitionistische Selbstbespiegelung im Kino ersparen können. (W.O.P. Kistner, AZ, 23.3.96)
(...) Pervers ist ein Schlüsselwort im Schaffen Rosa von Praunheims. Seit seinen frühen Filmen schon, seit der wunderbaren Kleinbürger-Groteske Die Bettwurst (1970) oder der seriösen Studie Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1971), untersucht Praunheim soziale Extrempunkte wie Zierpolster, Kinogefühle und Homophobie. Dabei ist er stets ernsthaft und selbstironisch zugleich, nur eines nicht: leicht kategorisierbar. So ist er heute, ein gutes halbes Jahrhundert alt, noch immer im Underground aktiv, als großer Unberechenbarer des deutschen Films.
Praunheims Sympathien liegen - grundsätzlich - bei den Liebenden, bei denen, die kompromißlos im Kampf für ihr Glück vor keiner (vor allem auch geschmacklichen) Perversion zurückschrecken. Nun liegt Neurosia vor, eine neue Kinokomödie, mit der Praunheim, vor gut einem Jahr, seinen 50. Geburtstag feierte.
Neurosia - 50 Jahre pervers ist, jeder Kurzfilm mitgerechnet, seine 52. Kinoarbeit, und das Schöne ist, daß man das nicht sieht: Praunheims Liebe gilt den Amateuren und das hat eben auch mit Stil zu tun. Rosa jedenfalls wird umgebracht, gleich zu Beginn, und eine journalistische Recherche - unternommen von der zickigen TV-Lady Desirée Nick - will dunkle Punkte im Leben des nun Wehrlosen zutage fördern, während alte Freunde zu Erbschleichern mutieren und der Film zu einer szenischen Biographie des Verstorbenen.
Natürlich verliert auch Neurosia schnell jede Kontrolle über die filmischen Mittel, natürlich lebt auch dieses neue Praunheim-Epos von sehr billigen Erzählformen und absichtsvoll dilettantischer Inszenierung: Rosa von Praunheim ist ein Kind der Arte povera - und als solches ist er perfekt.
Der Film kennt nur ein Zentrum: Rosa als Heulsuse, Rosa mit Andy Warhol, Rosa als selbstherrlich-theatralischer Schwulenretter. Neurosia liebt aber auch sonst die Selbstdarstellung: Evelyn Künneke und Lotti Huber tauchen auf in dieser komischen Lebensbeichte, die allerlei Albernes mit Praunheims Politik - Schwulen-Outing! - satirisch verquickt. Tagebücher und Home-Movies, alte Photos und neues Laientheater: Neurosia ist sowohl exhibitionistisch als auch selbstausbeuterisch, ein wildes Kreisen um ausschließlich sich selbst: Das steht einem an seinem Geburtstag doch auch zu.
In diesem Sinne: Gratulation, wenn auch - dem Verleih sei Dank - viel zu spät; und alle Macht den Amateuren, gerade auch den perversen, denn das Praunheimsche Perverse ist, schon seines Unterhaltungswertes wegen, den vielen Formen des (Kino-)Konformen wohl jederzeit vorzuziehen. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)
Deutschlands Paradeschwuler Rosa von Praunheim ist fünfzig geworden. Deshalb beschenkt er sich mit einer süß parfümierten, penetranten Selbstbeweihräucherung und bestraft sein Publikum mit tödlicher Langeweile und Magenfläue. Gleich zu Beginn wird Rosa erschossen, die Leiche verschwindet. Worauf eine halbdebile Reporterin auf den Spuren seiner Spritztouren recherchiert, die von verlurchten Homotreffs bis zu verschleimten Pissoirs führen.
Skandalnudel Praunheim verwurstet in seinem autobiographischen Filmdenkmal sattsam Bekanntes: Strangulierungen, Latexexzesse, seine Musen und Lebensfreunde Lotti Huber und Evelyn Künnecke. Trotzdem bleibt das rosarote Outing hohl, das Röslein hat Angst vor den eigenen Dornen. Die Selbstbespöttelung schönt und schmeichelt, Aggression und Obsession bleiben hinter der schillernden Kunstfigur gut versteckt.
Als Kontrastprogramm pflückt die Reporterin verrunzelte Gummis vom Strauch und hängt sie sorgfältig über ihren Ringfinger. In einem davon soll angeblich Rosas Vorhaut versteckt sein... Und für derlei infantilen Schmuddelschwachsinn mußte er fünfzig Jahre alt werden? Gratuliere. (Monika Vanecek, KURIER)
A 1996 Regie: Max Linder,
Kamera: Hans Selikovsky,
Darsteller: Wolfram Berger, Helmut Berger, Petra von Morzé Kinostart: 7/3/1997
Linders "kurzweiliger Film über das Töten" erzählt die Geschichte zweier Brüder (einer ist Schlagersänger, der andere sein Manager), die sich plötzlich in einem Alptraum wiederfinden, aus dem es kein entkommen gibt... Ö-Farce mit kriminalistischem Einaschlag. (FALTER)
Ein böser, zügiger Auftakt als Versprechen: Da verirrt sich der Schauspieler Wolfram Berger in den Bunker-Gängen im ORF-Zentrum am Küniglberg, um schließlich mit seinem Bruder Helmut Berger den Vorhof einer Schlagerparade-Hölle zu betreten, in der Peter Rapp die Moderation übernommen hat.
Helmut B. darf dann eine Showtreppe hinunterstolpern und als zweiter Hansi Hinterseer Dein ist mein ganzes Herz covern, während Wolfram von der Beleuchterkabine aus auf eine weitere Steigerung des gemeinsamen Marktwerts hofft. Er ist der Agent, sein Bruder das Zugpferd; beiden wird in Max Linders Thriller Stille Wasser aber ziemlich übel mitgespielt.
Mehr sollte einem Kinogeher, der das inklusive aller Überraschungsmomente noch sehen will, nicht verraten werden. Es geht jedenfalls um doppelten Totschlag und immens mühselige Beseitigung von Leichen. Ungeliebte Groupies spielen ebenso eine Rolle wie eine falsche Selbsteinschätzung: "Für mich bist du der Dean Martin oder der Sammy Davis Jr." "Wieso? Der Sammy Davis war immer der Häßliche. Schau ich so aus?"
Würde Stille Wasser für solche Absurditäten nur 70 Minuten in Anspruch nehmen, wäre das – auch angesichts seines niedrigen Budgets und gleichzeitig professionellen Fertigung (Kamera: Hans Selikovsky) – ein sehenswertes B-Picture geworden. Der junge österreichische Regisseur Linder vermag aber nicht immer das Tempo so zu steigern, daß man zunehmende Abstrusitäten übersehen könnte.
Ein Vergewaltigungsversuch in einem Haus, in dem der Gastgeber sehr offensichtlich mit einer geladenen Pistole herumspielt, ist etwa nur schwer mit dem Satz: "Ich kann nicht schlafen" plausibel zu machen. Andererseits enthalten sich immerhin die Darsteller einer überflüssigen Drastik. Insbesondere Wolfram Berger entfaltet unaufwendig so etwas wie ein Drama eines verpfuschten Lebens – auch keine Kleinigkeit. Derzeit im Kino. (C. Philipp, DER STANDARD, 11/3/1997)
Max Linder, Filmemacher aus Wien, stolpert über die Ambition, österreichisches Milieu-Drama und europäischen Thriller zu paaren.
Was darf man von einem Film erwarten, der als die "österreichische Variante" nordeuropäischer Thriller wie Nightwatch oder Shallow Grave angekündigt wird? Der ausgefallene Mord im einprägsamen Lokalkolorit - damit lassen sich anscheinend respektable Positionen in der europäischen Kinolandschaft erobern.
Wie es sich für gestandene Thriller geziemt, beginnt der Film in der Windstille des Alltags: Harry Kurtz (Helmut Berger) ist Schlagersänger, Tommy Kurtz (Wolfram Berger) sein Bruder und Manager. Nach langjähriger Flaute endlich im Aufwind, proben die beiden den korrekten Umgang mit dem Erfolg: Harry, indem er bei jeder Gelegenheit seinen Bierzelt-Charme hervorkehrt; Tommy, indem er den jüngeren Bruder mit tolpatschigem Selbstbewußtsein zu Markte trägt und dessen Star-Allüren im Zaum zu halten versucht. Die Zeit, die sich Regisseur Max Linder bei der Schilderung einer alltäglichen Situation - Vorbereitung und Auftritt des Schlagerstars in einer TV-Show - läßt, hilft ihm beim Entwurf einer eindrucksvollen, unaufdringlich unterhaltsamen Fallstudie über Showbiz made in Austria.
Dazu kommt die Glaubwürdigkeit durch den weitgehenden Verzicht auf landläufige Kabarettismen. Hinter der Einführung der Protagonisten lauert jedoch bereits das Unheimliche, dramaturgisch eingefädelt durch eine nächtliche Autofahrt mit Gewitter, eine Panne im Wald und das Auftauchen einer mysteriösen Retterin (Petra von Morzé). Die junge Frau lädt die beiden ein, das Unwetter in ihrem abgelegenen Haus abzuwarten: Was für sie und ihren zänkischen Gatten tödliche Folgen hat.
Linders Bemühen, dem Zuseher die Wendung des Films ins Alptraumhafte nahe zu bringen, führt allerdings bald zu zäh-klischeehaften Thriller-Stimmungsbildern mit überzeichneten Schockmomenten. Die Geduld, mit der er die Star-und-Familien-Tragödie der Gebrüder Kurtz zu erzählen begonnen hat, wird zur Geduldsprobe: Die schulmäßig aufgebaute Spannung zerplatzt wie billige Genre-Zitat-Blasen im ständig wachsenden Raum, den die Abhandlung der brüderlichen Psycho-Beziehungs-Krise einnimmt.
Bis die Gebrüder Kurtz ihre erste Leiche produziert haben, ist der Zuseher bereits durch derart redundante Bilder auf das Geschehen vorbereitet, daß ihm die Lust auf Mordszenarien vergangen ist; bis sie ihre Leichen beseitigt haben, mag er kaum noch glauben, daß der absurde Gewaltakt mehr als nur Dekor sein könnte: das Dekor einer Story, der man offenbar nicht zutraute, daß sich die in ihr angelegte Dramatik ohne aufgepfropftes Spektakel entfalten könnte.
Ein "kurzweiliger Film über das Töten" hätte Stille Wasser werden wollen. Gemeint war wohl eher: ein Film über das kurzweilige Töten. Daraus geworden ist nichts als ein bedauerlicher Akt der schrittweisen, durch Gefallsucht verursachten Selbstverstümmelung. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE)
Wer sagt denn, daß Spannung immer steigen muß? Hier fällt sie. Tief. In jenes Loch, das sich Regisseur und Drehbuchautor selbst geschaufelt haben. Was umso bedauerlicher ist, weil sich die beiden bei ihrem Erstling als echte Talente erweisen. Erweisen, nicht beweisen. Leider. Die Hindernisse: mangelnde Erfahrung, Professionalität, Konsequenz. Regisseur Linder muß noch lernen, mit der Logik umzugehen - und den Schauspielern.
Autor Martin Ambrosch sollte den Unterschied zwischen schwarzem und unfreiwilligem Humor trainieren; bei ihm liegen beide im Wettstreit - der unfreiwillige siegt. Alle vielleicht einzeln gar nicht so gravierenden Fehler zusammen erzeugen im packenden Plot von Anfang an falsche Töne; die schwellen dann mit der Zeit zur Unüberhör- und vor allem sehbarkeit an, bis die Mißtöne vorherrschen. Sie entwerten auch die stimmigen Psychoszenen dieser Schauerromanze mit dem bösen Zufall. Deren pechschwarze Atmosphäre hat den hämischen Blick auf menschliche Erbärmlichkeiten und die Antenne für Selbsthaß, Dummgeilheit und minderwertigkeitswurzelnde Arroganz.
Eine Karriere pfeilgerade ins Verderben: Schnulzenheuler Harry blickt auf zwanzig Jahre chronischen Mißerfolg in der Provinz zurück, in denen demütigende Auftritte in vollgegröhlten Bierzelten von lächerlichen bei billigen Betriebsfeiern abgelöst wurden. Und jetzt plötzlich jäher Ruhm mit einem späten Hit: "Dein ist mein ganzes Herz", die Rockversion. Harry singt nur vom Herzen, gesteuert aber wird er von erwachenden Allüren, der ewig trockenen Kehle und seiner Dauererektion. Tommy, Bruder und Manager, steht da auf verlorenem Posten und auch etwas daneben. Ein triumphaler Fernsehauftritt - und dann die Heimfahrt, die Panne, die unheimliche Begegnung der simplen Art in tiefster Waldeinsamkeit mit einem mürrischen Menschenverächter und dessen Frau, die Harrys leichte Sexbeute sein sollte - und sein Mordopfer wird.
Die branchenbekannten Gebrüder Berger spielen Brüder auf Gedeih und Verderb, als gelte es ihr eigenes Leben: die haben Klasse, auch wenn ihr Duo zur Überdosis wird. Wie alles andere auch. In Ansätzen erkennbar die erklärten Vorbilder "Nightwatch" und "Shallow Grave"... nur ein Rubbelabbild von denen gelang. Die österreichische Nachkriegsfilmszene weist eine lange Chronologie der versäumten Gelegenheiten auf und vertanen Chancen. Damit ist's eine mehr... (Rudi John, KURIER)