USA 1996 Regie: Steve Buscemi,
Buch: Steve Buscemi,
Musik: Evan Lurie,
Kamera: Lisa Rinzler,
Schnitt: Kate Williams,
Darsteller: Steve Buscemi (Tommy), Mark Boone Junior (Mike), Chloe Sevigny (Debbie), Michael Buscemi (Raymond), Anthony La Paglia (Rob), Elizabeth Bracco (Theresa), Danny Baldwin (Jerry), Carl Kane (Connie), Bronson Dudley (Bill), Eszter Balint (Marie), Kevin Corrigan (Matthew), Debi Mazar (Crystal), Annette Arnold, Steve Randazzo, Suzanne Shepherd, Rockets Redglare, Michael Imperiolo, Samuel L. Jackson, Larry Gilliard, Michael Storms, Bianca Bajika, Charles Newmark, Carina Finn, Seymour Cassel, Mimi Rogers, Victor Arnold, Irma St. Paule, Richard Boes, Joe Lisi, John Ventimiglia, Brooke Smith, Lo Tillet Wright, Daniella Rich Kinostart: 14/3/1997
Angelegt als Charakterstudie eines charmanten Trinkers und Taugenichts' wirft der Film ein helles, doch warmes Licht auf das Leben im Vorort-Milieu der New Yorker Arbeiterklasse.
(...) Regisseur Buscemi erzählt mit melancholischem und absurdem Humor von den Hoffnungen und Existenzpannen dieser Kleinstadt-Individualisten. Cassavetes-Star Seymour Cassel stirbt als Eisverkäufer am Steuer seines Wagens, den dann Automechaniker Tommy fährt, froh über bißchen Arbeit. (Frauke Hanck, 30.1.97)
(...) Mit seinem Regiedebüt schuf Independent-Ikone Steve Buscemi eine bittere, aber gleichzeitig auch scharfsinnige Komödie über verpaßte Chancen, großmäulige Looser und die Monotonie der Suburbs. (Gildendienst, 12/96)
Mit "Trees Lounge" stellt Charakterdarsteller Steve Buscemi sein Regiedebüt vor: eine gelassen inszenierte, überaus sympathisch gespielte Verlierergeschichte aus Amerikas Suburbia.
Es geht um wenig in diesem Film, um nichts jedenfalls, was den Begriff groß auch nur annähernd verdient hätte. Zum Beispiel um das Problem des Zeit-Totschlagens: ein allerdings wichtiger Punkt, wenn man keinen Job hat und nicht genug Freunde, die anders, aktiver sind als man selbst. So dreht sich diese Geschichte von der Stagnation, genannt Trees Lounge, im Kreis: Sie beginnt nachts, in einer Bar, die so heißt wie der Film dazu, mit einer müde daherschlapfenden Kellnerin, die einen flachliegenden Betrunkenen weckt, um ihn auf die angebrochene Sperrstunde hinzuweisen.
Der Mann heißt Steve Buscemi (im wirklichen Leben) und arbeitet, siehe Reservoir Dogs oder Fargo, als vielbeschäftigter Nebendarsteller im unabhängigen US-Kino. Nun hat er sein Regiedebüt fertiggestellt, eine entspannte Verlierergeschichte, die keine neuen Richtungen einschlägt und nichts im Schilde führt, was mit Innovation verwechselt werden könnte: die konsequente Verlängerung jener Erzählungen, die Buscemi schon als Darsteller in den Filmen anderer (von Jarmusch bis DiCillo) untergebracht hat. In seinem markanten, hypernervösen Schauspielstil hat er jene Geschichten, aus denen sich Trees Lounge rekrutiert, genau genommen immer schon erzählt: ganz nebenbei, als narrative Fußnoten zu den jeweiligen Stories, in seinem ängstlichen Blick und diesen fahrigen Bewegungen, die eben - egal, wo Buscemi auftauchte - eine Geschichte für sich waren.
Daß das Kino, vor allem das amerikanische, sich viel zu sehr auf Geschichten kapriziert, in denen nach thrills per minute gemessen wird, daran rüttelt im industriellen Hollywood niemand. Es bleibt somit dem Independentfilm, den billig produzierten Arbeiten abseits der großen Studios, vorbehalten, sich um die Dinge des Lebens zu kümmern, die im aktionistischen, übersexualisierten, pyromanischen Hollywood nicht vorzukommen haben. Und selten genug, zuletzt etwa in dem wunderbaren Bottle Rocket und nun auch bei Buscemi, gelingen solche Versuche über das Leben mit der Niederlage.
Trees Lounge, geschrieben und inszeniert von Buscemi, dreht sich um eine triste, nicht ungemütliche Bar in Valley Stream, Long Island, die Buscemis Leben vor dem Kino angeblich tatsächlich geprägt hat: eine semi-autobiographische Erzählung also, deren Figuren das Nichtstun im Nirgendwo praktizieren, in einem suburbanen Kaff, dessen wildeste Vorkommnisse die Herzattacke eines alten Eisverkäufers und das nächtliche Ausbleiben einer Siebzehnjährigen sind.
An beiden Ereignissen ist Buscemi, sein eigener (Anti-)Held, wesentlich beteiligt: Zum einen erbt er von seinem eigenartigen Onkel einen verkitschten Eiswagen (und einen neuen Job, mit dem er wieder nichts anfangen kann), zum anderen verbringt er die Nacht mit dem Mädchen (definitiv ein Gewinn: Chloe Sevigny, bekannt aus Kids) . Daß anderntags das Chaos losbricht, weil man in Valley Stream eben nichts verheimlichen kann, ändert wenig an der Melancholie und der Illusionslosigkeit, in die man schnell wieder verfällt. Trees Lounge endet, nicht weiter wunderlich, dort, wo er begonnen hat: in der tageslichtlosen Bar, wo ein Wild Turkey nach dem anderen unwillig serviert wird, während ein öliger Song aus der Jukebox vom Vergehen einer Liebe erzählt. Und noch immer, bis zuletzt, reden die Stammgäste nur vom Weiterkommen und vom Weggehen: eine letzte schöne Illusion in der Welt der totalen Stagnation. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)
Ein Bilderalbum für Valley Stream, den Geburtsort von Karpfenauge Steve Buscemi. Dieser Kultdarsteller wollte sich in dem siechen Vorstadtkaff nicht lebendig begraben lassen und zog lieber gen Hollywood, um dort mit windschiefem Gebiß und basedowschem Blick die Indie-Fraktion zu erobern. Aber Heimweh hat er vielleicht doch. Elegisch führt er uns das stille Örtchen vor, in dem man nicht einmal beerdigt sein möchte. Falschparken zählt bereits zu den Kapitalverbrechen.
Die Juke Box eiert seit dem Koreakrieg die ewig gleichen Songs, die Stammgäste des Stammbeisls "Trees Lounge" sind ebenso unverwechsel- wie unauswechselbar. Durchgewetzt, abgehärmt und schäbig. Geprügelte Hunde, von Big Sam an die kurze Leine genommen. Hochprozentige, sirupdicke Lethargie, konzentriert an der Endstation gescheiterter Träume. Bei diesen Barflies hat ein kleiner Tagedieb und Gelegenheitsgauner seinen Zweitwohnsitz: Tommy stolpert durchs Leben und ist doch Stehaufmännchen, das gern die Dorftrottel-Show abzieht und gemeinsam mit seinem Drink eselsgeduldig auf eine letzte Chance wartet.
Die Bar ist der ideale Umschlagplatz, um alte Rechnungen zu begleichen. Hier rückt man sich zu Leibe oder an die Wäsche. Denn als Tommy von der adoleszenten Tochter seines besten Freundes verführt wird, läuft die Tratschmühle auf Hochtouren. Obwohl die Loser-Partie anfangs wenig Sympathie verströmt, schleichen sich die schrulligen Käuze beharrlich ins Zuschauerherz. Denn das feuchtfröhliche Menschenbiotop im urbanen Niemandsland erzählt von Allerwelts-Problemchen und kleinen Reibereien, die zum reinigenden Gewitter eskalieren. Sentimentale Geschichten ohne Anfang und Ende ticken lakonisch vor sich hin. Die Kinderbuchversion einer Charles-Bukowski-Episode. Gern wüßten wir, wie es mit Tommy und seinen Saufkumpanen weitergeht, da ist der Film schon zu Ende... (Monika Vanecek, KURIER)
ROMEO UND JULIA (WILLIAM SHAKESPEARE'S ROMEO & JULIET)
USA 1996 Regie: Baz Luhrmann,
Darsteller: Leonardo DiCaprio (Romeo), Claire Danes (Julia) Kinostart: 14/3/1997
Darf man mit Shakespeare so umspringen? Das ist hier nicht die Frage, auch wenn Regisseur Baz Luhrmann seine Verfilmung von Romeo und Julia allerorten als bilderstürmische Ehrenrettung für den großen Dichter verstanden haben will. Shakespeare muß niemand retten, und das Abendland geht auch mit einem MTV-Romeo nicht unter. Dazu ist Leonardo DiCaprio viel zu porentief rein, und auch seine Herzdame Claire Danes paßt hervorragend in jeden Clearasil-Spot.
Ein paar Beobachtungen lohnt diese Fortsetzung des Regietheaters mit den Mitteln des postmodernen Fernsehens allerdings doch: Luhrmann aktualisiert den Stoff nicht, er schickt ihn in einen Malstrom. Dieser Strudel ist die Flimmerkiste, die zu Beginn im schwarzen Bildrahmen steht.
Aus dieser Maschine des "anything goes" taucht Romeo und Julia als Seifenoper wieder auf (siehe die knalligen Titel, mit denen die Schauspieler eingeführt werden), aber die Szenerie ist apokalyptisch.
Das ist vielleicht Luhrmanns stärkstes Bild: Sein Film spielt in einer imaginären Metropole der halbdritten Welt. Im Zentrum ein monumentaler Christus, flankiert von den Firmenzentralen der Montagues und Capulets. Ein Schwellenland, ein Moloch, in dem die Rivalitäten der Gangs immer auch ethnisch bestimmt sind.
In den besten Momenten ist Luhrmann nicht allzu weit von den visuellen Räuschen der außerordentlichen Strange Days von Kathryn Bigelow entfernt. In den schlechtesten Momenten aber ist Romeo und Julia nur ein Abklatsch von Rocky Horror und Pulp Fiction – Drag Queens und gleißende Waffendesigns inklusive.
Viel verdankt Luhrmann zweifellos der katholischen Kitschwelt, wie sie mit Madonnas Like a Prayer in die populäre Kultur eingegangen ist. Madonna hat auch sehr häufig den umgekehrten Transfer vollzogen: Sie hat ihre Musikvideos mit Filmgeschichte aufgeladen, den Vater besungen und in den Bildern Rosebud beschworen.
Luhrmann unternimmt dazu die Gegenbewegung: Er nimmt einen kanonisierten Text und sucht damit ein Kino, das doch wieder nur das größte gemeinsame Vielfache des Fernsehens ist. Rasende Zooms täuschen nicht über die konventionelle Auflösung der Liebesgeschichte hinweg, und der Schlegel-Tieck-Text aus dem Mund hispanischer Gangster belegt am Ende nur Fredric Jamesons These, daß Musikvideos so etwas wie Surrealismus ohne das Unbewußte sind. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 12/3/1997)
Mit William Shakespeare hat die Kino-Neuauflage von "Romeo & Julia" kaum noch etwas zu tun: das Basismodell aller Liebesmelodramen, zum Bandenkriegsfilm und Jugend-Passionsspiel umgedeutet.
Die Nachrichtensprecherin intoniert Shakespeare, im Rahmen eines Fernsehapparats, der da im luftleeren Raum zu schweben scheint. Live und direkt, als wär's ein Stück aus CNN, bringt sie ihrem Publikum - gute vierhundert Jahre zu spät - die hot news vom "ancient grudge" der Familien Capulet und Montague nahe. In manierierter Zunge kündigt sie die Tragödie von den "star-crossed lovers" an, die sich bald zutragen soll. So startet Romeo & Julia, ein neuerlicher Versuch, Shakespeare für das (Jugend-)Kino nutzbar zu machen, möglichst abseits der konservativen Pfade Zeffirellis oder Branaghs.
Der Ort der Story heißt, spaßig getitelt, Verona Beach: eine Großstadt im Nirgendwo, gegen Ende dieses Jahrtausends, dreckig, sonnig, kriminell. Die feindlichen Sippen werden von mafiosen Gestalten geführt, die Coppolas Paten wie einen Steuerbeamten aussehen lassen, während ihre Sprößlinge, mit losem Mundwerk und goldglänzenden Zahnreihen, mit Handfeuerwaffen jonglieren, um einander das Leben schwer zu machen: In offenen Chevrolets reiten sie ein, um das, was sie in den Filmen Tarantinos gelernt haben, genüßlich zu reproduzieren.
Daß Romeo & Julia so tragisch seine Vorlage verfehlt, liegt nicht daran, daß hier eine "Modernisierung" stattfinden soll, sondern am marktschreierischen Stil des Films: Baz Luhrmann, Regisseur des Tango-Tanzfilms Strictly Ballroom, schaltet - grundsätzlich außer Atem - seine Bilder an jeder Ecke auf Zeitraffer, kippt die Kameras und zoomt die Zooms, im ständigen Schnellsuchlauf nach den allercoolsten, dynamischsten Bildern.
So findet Romeo (Leonardo DiCaprio) zu seiner Julia (Claire Danes), wird trotzdem - ein rebel with a cause - zum Killer, was ihn zur Flucht zwingt und die Liebe zwangsunterbindet. Es tanzen die Zeichen der Jugendkultur: Pater Laurence (Pete Postlethwaite) trägt eine monumentale Tätowierung, und Mercutio taucht in drag bei einem Maskenball auf, wo die Musik nach Village People klingt und Ecstasy die gute Laune fördert. Aber seltsamerweise wagt Luhrmann die lückenlose MTV-isierung dann doch nicht und zieht sich immer wieder - zum Lieben und zum Sterben - ins Kostümdrama zurück, in Räume, denen man die Zeit nicht ansieht; er flüchtet in Masken- und Kleidungsspiele, die plötzlich nicht mehr nach Tarantino-Kino, sondern nach Theater riechen. Die Liebe und der Tod sind in diesem Film ihrer Zeit enthoben, nur das Geld und die Gewalt finden im Hier & Jetzt statt.
Zwischen Hochhäusern und Helikoptern brüllen die Akteure ihren Shakespeare, in Überdrehungen und Übertreibungen, im totalen overdrive , wie sich das kein Theaterregisseur der Welt leisten könnte: die Karikatur einer Tragödie.
Und weil Lärm und Streß allein nicht abendfüllend sind, braucht Luhrmann noch den Kitsch zur Emotionsgesamtausgabe: DiCaprio sorgt also leidend im Gegenlicht für Teenage- Pathos, bis ins bittere Finale in der Kirche; und Wind und Wetter assistieren grundsätzlich bei der Findung jener Stimmung, die das hysterische Orchester nebenbei schon so geräuschvoll vorbuchstabiert. Man wird, konfrontiert mit Luhrmanns Romeo & Julia, volle zwei Stunden lang den Eindruck nicht los, daß das alles nichts als eine Persiflage sein soll: Wer die (hier übrigens radikal gekürzte und gebügelte) Sprache Shakespeares mit Hollywoods Gangster- und Rebellenromantikmelodramen so gedankenlos konfrontiert, kann nur ein Komödiant sein.
Romeo & Julia ist, wie das Fernseh-Einstiegsbild schon nahelegt, so absurd wie luftleer und also in jeder Hinsicht televisionär: Von diesem Film, das kann man garantieren, bleibt nichts im Kopf als dumpfes melodramatisches Dröhnen. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)
"ROMEO UND JULIA" .Der alte Shakespeare auf Designerdrogen.
Roll over Beethoven. Rock me, Amadeus. Und jetzt: ecstasy, Shakespeare. Der alte Klassiker, hier total hipp und wie auf Designerdrogen. Netzhaut und Trommelfell in Ekstase, das Herz schlägt Beat, sämtliche körpereigenen Hormone voll in Einspritzung. Echt cool. William Shakespeares ultimative Liebestragödie "Romeo und Julia" - seit bereits über 400 Jahren für immer jung und die berühmteste der Welt - diesmal als furioser, actionwahnsinniger, todessüchtiger Übertrip.
Aber zu dieser extremen Verfremdung wirken die fast unverfälschten, hoch- gespreizten Worte des Originals, als wären sie vertrackte Undergroundpoesie. Sword heißt die edle Automatikwaffenmarke, mit der die Fehden zwischen den Streetgangs der mafiösen Capulets und Montagues ausgeballert werden; derlei Tricks nivellieren etwaige Anachronismen. Das alles ist niemals nur eine weitere Filmversion im Rahmen der derzeit grassierenden Kinorenaissance des Dichters. Bei weitem nicht.
Wie grandios der Australier Baz Luhrmann sich als totaler Designer des Stoffs annahm, den Seidenbrokat zum grell-geil gemusterten Schmachtfetzen umschneiderte, verdient Respekt und spontane Hingabe. Wie der revue- und musicalerfahrene Regisseur ("Strictly Ballroom") unverfroren die Familienfehde samt haßüberbrückender Liebschaft vom düsteren Verona der Frührenaissance ins grellzeitgeistige Verona Beach zeitreisen ließ, hat vor allem optisch den Wahnsinnsdrive der neuen Loopingbahnen.
Und doch bleiben die erschlichenen Zweisamkeiten der verboten Liebenden innig, romantisch, und lyrisch. Wer darauf abfährt, sich einklinkt in diese rasende Bilderjagd, dem bleibt auch bald die Spucke weg. Ein Soundtrack, der das Blut verflüssigt: Des'ree, Cadrigans, Garbage, Butthole Surfers dröhnen sich voll ins Zuschauergehör. Die Handlung in ein Monster von Videoclip verwandelt, wie von sämtlichen Werken Rossachers und Dolezals abgekupfert, eine Woche Viva-Programm in zwei Stunden gepreßt. Luhrmann schneidet die Bilder virtuoser als Haubenkoch Gerer die Karotten und Zwiebeln.
Geschmäcklerisch, ja, aber mit überwältigenden Geschmacklosigkeiten, wird hier die Modehochzeit von Oper und Comic gefeiert. Die Ausstattung ein Sodom und Gomorrha an katholischem Kitsch. Engel, Heilige, Madonnen zieren Pistolengriffe und Interieur, stehen in innenbeleuchtetem Plastik umher, Kerzen- und Neonlicht wetteifern in Tausenden von Lux. Latinolook strotzt vor Tätowierungen und Nickel, Haargel und Machoismus. Alles Outfit protzt bunt wie ein Aquarium mit Tropenfischen.
Demi Moores Lustknabe Leonardo DiCaprio (James) deant als vollkommener Adonis, Claire Danes ist süß, aber flach in jeder Beziehung. Überzeugender ihre Mutter als aufgetakelte Miami Bitch. Die Überlänge eines Korridorzugs und das Pathos eines Reliquienschreins sind drastische Mittel, um Sex und Romantik, Liebe und Krieg als Kräfte von unverwüstlicher Aktualität zu feiern. (Rudi John, KURIER)
D 1995 Regie: Nicolas Humbert, Werner Penzel,
Buch: Nicolas Humbert, Werner Penzel,
Musik: Fred Frith u.a.,
Kamera: Chilinski,
Darsteller: Robert Lax, Aghali al Rhissa u.a. Kinostart: 14/3/1997
Fünf Jahre nach STEP ACROSS THE BORDER ist ein neues Stück "Cine Nomad" - Nomadenkino entstanden. Über zwei Jahre waren die Regisseure unterwegs mit den Artisten des französischen CIRQUE O, mit Tuareg-Nomaden in den Berggebieten der südlichen Sahara und mit dem amerikanischen Dichter, Clown und Philosophen Robert Lax. Aus der großen Sammlung von suggestiven Bildern und Tönen ist im Verlauf eines lahres am Schneidetisch ein Schwarzweiß-Film entstanden, den die beiden Realisateure 'cinepoem' nennen, ein Filmgedicht.
Der Komponist und Musiker Fred Frith, um dessen Leben und Reisen STEP ACROSS THE BORDER kreist, hat auch bei MIDDLE OF THE MOMENT Wunderbares beigetragen: Die Musik Fred Friths und die Original-Töne ergänzen sich, verstärken sich, wachsen förmlich ineinander. (Filmladen)
Es ist ihr Traum gelebten Lebens, dessen Erfüllung für sie in spannungsgeladenen oder auch besonders entspannten Augenblicken aufblitzt: den Sekunden, bevor der Artist das Seil betritt, der Stunde, in der die Geburt eines Kamels einsetzt, auch beim nächtlichen Tanz in der Wüste, bei dem der Sand, Symbol der nichtigen wie ewigen Materie, Funken gleich unter den Füßen der ekstatischen Männer aufstiebt. (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Die Kraft von MIDDLE OF THE MOMENT ist die Gegenwart der Bilder und Töne- bei sich sein, ohne sich niederzulassen, wandern durch die äußere und die innere Welt... nur wer selber noch fließen kann, kommt mit auf die Reise, die auch eine Reise in die verschütteten kollektiven Erinnerungen ist. (WochenZeitung, Zürich)
(...) Der Film zeigt in poetischen Schwarz-Weiß-Bildern Nomadentum in seiner ältesten noch existierenden Form und einer modernen Variante: die Tuareg in der südlichen Sahara und Artisten des französischen "Cirque O". Humbert/Penzel sind unverbesserliche Romantiker, sie zeigen das Nomadendasein als Utopie. Und wo könnte man sich besser danach sehnen, den Ballast der Seßhaften und Besitzenden abzuwerfen, als im Kino, dem Ort der Träume. (tip, 23/95)
Funkenflug steht am Beginn von Middle of the Moment, dem neuen Film der Schweizer Humbert/Penzel. Funken fliegen frei im Wind, sie sind damit sozusagen die Idealform jener nomadischen Bewegung, von der dieses Bildgedicht vom Leben ohne festen Wohnsitz erzählt.
Die Auflösung in die Atmosphäre als mystisches Spätstadium nomadischer Weltferne wird hier aber nur angedeutet. Middle of the Moment sucht den Augenblick, in dem die sinnliche Gewißheit alle Differenzen geographischer, kultureller, spiritueller Art aufhebt in einen Film, der wie ein Mantra funktioniert.
Er bewegt sich damit in einem esoterischen Grenzbereich, in einer Grauzone, die durch die grobkörnige Fotografie an lichtschwachen Lagerfeuern auch ein visuelles Äquivalent hat.
Die Nomaden des nördlichen Afrika und die fahrenden Gesellen in unseren Breiten werden dabei umstandslos parallel montiert: Ein Kamel kalbt, ein Artist jongliert mit Keulen. Die Sonne geht überall unter und dann wieder auf.
Das Rad der Zeit dreht sich. Ein Reifen tanzt in einem Lichtkegel, bis er zur Ruhe kommt. Middle of the Moment handelt von Schwerkraft und Trägheit, von brütender Hitze und Aufbruchsbewegungen.
Humbert/Penzel haben zuletzt einem anderen fahrenden Ritter, dem Improvisationsmusiker Fred Frith (Mitglied unter anderem der großartigen Skeleton Crew) einen Film gewidmet: Step Across the Border. Die kauzige Form war damals den musikalischen Idiosynkrasien von Frith durchaus angemessen. Hier aber bleibt nicht nur das Abendlicht diffus, sondern vor allem das Argument.
Parallelmontage und Impressionismus vertragen sich nicht besonders gut, und wenn auch die eindringliche Tonspur manchmal an große Vorbilder wie Raymond Depardon (Die Gefangene der Wüste) erinnert, so bleibt doch in der vagen Aneinanderreihung von Gesten und Eindrücken fahrender Gesellen wenig mehr als eine banal gewordene Idee von nichtseßhaftem Weltbürgertum. Jetzt im Kino. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 14/3/1997)
Igors Vater "importiert" und beherbergt illegale ausländische Arbeitskräfte, der Fünfzehnjährige denkt dartüber nicht weiter nach. Erst nachdem Roger einen afrikanischen Arbeiter nach einem Unfall sterben läßt, regt sich soetwas wie ein Gewissen. Ein halbdokumentarisch anmutendes Sozio-Melodram, ausgezeichnet gespielt und inszeniert. Empfehlung! (FALTER)
Ein kleines Meisterwerk ist derzeit im Wiener Stadtkino zu entdecken: Die belgischen Gebrüder Dardenne beobachten in "La Promesse" den langsamen Zusammenbruch einer Vater-Sohn-Beziehung.
Roger (Olivier Gourmet), lebt von der Unterbringung und Beschäftigung illegaler Einwanderer. In einer langen Sequenz zu Beginn werden sehr rasch viele kleine "Dienstleistungen" und Geldtransaktionen etabliert, in deren Abwicklung sein Sohn Igor (Jérémie Renier) selbstverständlich eingebunden ist.
Eines Tages stürzt ein Schwarzarbeiter vom Baugerüst und nimmt, schwer verletzt, Igor das Versprechen ab, für seine Frau und sein Kind zu sorgen. Roger verhindert eine medizinische Versorgung des Mannes, Igor muß ihm beim Vergraben des Leichnams helfen. Dieses Ereignis, in dem die Unglaubwürdigkeit der angemaßten väterlichen Autorität überdeutlich wird, hat Nachwirkungen.
La promesse ist sehr roh, ruppig. Die Brüder Luc und Jean-Pierre Dardenne, die seit Mitte der 70er als Produzenten und Regisseure von Dokumentarfilmen fungieren, erzählen geradlinig, ohne viel Umfeld. So eng wie sie die Bilder, vor allem in der ersten Hälfte des Films, fassen, so eng, aufs Notwendigste reduziert, bleiben sie auch an ihren Protagonisten und deren unmittelbarer Umgebung. Wenn die Personen handeln – und eigentlich wird in La promesse bis auf rare Ausnahmen die meiste Zeit gearbeitet oder zumindest klar zielorientiert gehandelt –, sitzt jeder Handgriff in einer Atmosphäre gespannter Konzentriertheit.
Igor und Roger leben zu zweit, keine Mutter wird je erwähnt, Marie, die Freundin Rogers bleibt eine Randfigur. Roger verwickelt seinen Sohn in eine Männerkumpanei, die nicht auf Gleichwertigkeit beruht, sondern nur, bei grundsätzlicher Wahrung traditioneller familiärer Machtstrukturen, väterliche Verantwortung aufhebt und vielleicht ein Stück Einsamkeit zudeckt.
Seine Zuwendungen und Ansprüche werden von Igor mit einer Mischung aus Stolz und hilflosem Befremden angenommen, der Vater bestimmt sein Leben. Der Werkstattbesitzer, bei dem Igor in die Lehre geht, wirft in schließlich hinaus, weil Roger zu oft die Anwesenheit seines Sohnes bei den eigenen Geschäften fordert. Kindliche Erfahrungen, die im Unterschied zur straffen Arbeitsroutine von einer verschwenderischen Ökonomie gekennzeichnet wären, bleiben auf Minuten beschränkt: eine kurze Go-Kart-Fahrt mit Freunden, eine kleine Maskerade, ein Glücksmoment, das Vater und Sohn singend auf der Bühne eines Pubs vereint.
Über all das wird in La promesse nie groß ein Wort verloren. Die Sprache entspricht der Lebenssituation, die der Film entwirft. Es gibt keinen Austausch von Befindlichkeiten, das wäre Luxus. Auch auf Off-Musik wird verzichtet. Das Ende läßt vieles offen. La promesse ist einer der herausragendsten Beiträge dieses Kinojahres. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 19/3/1997)
Um tragische Geschichten erträglich zu machen, greift das Erzählkino gern auf Täuschungsmanöver und Schönfärbereien zurück. Das Ergebnis sind, in den allermeisten Fällen, bloß attraktive Helden mit geglätteten Schicksalen: Man läßt die Menschen zwar einen Beruf haben, zeigt sie aber nicht bei ihrer Arbeit; man stellt ihnen zwar Konflikte in den Weg, verleiht ihnen aber Flügel zu deren Überwindung; man konzentriert sich auf Gefühlswelten, die eher eine ungestillte Sehnsucht an- als Wahrheiten aussprechen.
Das Leben, von dem die belgischen Filmemacher Luc und Jean-Pierre Dardenne erzählen, kommt ohne Kino-Schminke aus: das des Teenagers Igor (JÝrÝmie Renier), der die Kunst des Überlebens als dreckiges Handwerk kennenlernt, aber auch das seines Vaters Roger (Olivier Gourmet), der den Menschen Illusionen verkauft und seine eigene Verzweiflung hinter kalter Geschäftigkeit verbirgt. Schließlich gibt es in La promesse noch das Leben der illegalen Immigrantin Assita (Assita OuÝdraogo), die im feindseligen "Gastland" Belgien ihren Mann verliert. Die Brüder Dardenne nähern sich ihren Figuren in dokumentarischen, rohen Bildern und in unberechenbaren Erzählbewegungen: Igor bei seiner eintönigen Arbeit als Mechaniker-Lehrling und angehender Immigranten-Schieber oder (immer wieder) auf den Fahrten mit seinem Motorroller - das sind Momente, auf die man, herkömmlichen Erzählmodi entsprechend, ohne weiteres verzichten würde, Momente aber, die in La promesse wesentlich zum Reichtum in der Darstellung des scheinbar Banalen beitragen.
Die Geschwindigkeit, mit der in diesem Film Erzählräume gewechselt und doppelte Böden unter lapidar gezeichneten Oberflächen sichtbar gemacht werden, ist erstaunlich: Zwischen einem "Fehltritt" Igors und der brutalen Züchtigung, mit der Roger seinen Sohn daran erinnert, daß illegale Einwanderungshilfe Geld einbringen und nicht kosten soll, bedarf es keiner umständlicher Erzählschleifen; und wenn hinter Rogers menschenverachtendem Handeln Spuren verzweifelter Liebessuche auftauchen oder Igor von seinem Gewissen überrascht wird (als es gilt, sein Versprechen einzulösen, nämlich sich um Assita, die Frau des verunglückten Gastarbeiters, zu kümmern), verzichten die Filmemacher auf alle pseudo-psychologische Motivmalerei.
La promesse braucht zum Thema Rassismus keine weitschweifigen Ausführungen, und die Widersprüche im menschlichen Handeln und Fühlen werden hier nie als spektakuläre Entdeckung gefeiert: Der beiläufige Blick auf den Alltag reicht völlig aus, um eine unmißverständliche politische Aussage zu treffen. Und ein einziger Blickwechsel genügt, um Charaktere tiefer zu ergründen, als es das melodramatisch in Gefühlen schürfende "große" Erzählkino üblicherweise zustande bringt. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE)
Wenn Fiktion von Realität eingeholt wird, schlägt sie im Kino doppelt aufs Gemüt. Was in diesem belgischen Schlepperbandenfilm zu sehen ist, spielt sich auch an Österreichs Grenzen ab. Sattelschlepper, darin 52 Flüchtlinge zusammengepfercht. Todesangst im Nacken. Hinter ihnen Kriegshölle, vor ihnen vermeintlich bessere Zukunft.
Auch die junge Assita ist durch den Maschendraht zur ersten Welt geschlüpft. Ihr ist egal, ob sie in Burkina Faso oder anderswo verhungert. Also folgte sie ihrem Mann nach Belgien, der das Nest schon vorgewärmt hat. Doch wird er vom Kopf eines Schlepperrings zu einer modernen Form von Sklaverei erpreßt. Ein Arbeitsunfall kostet Assitas Mann das Leben. Sein Leichnam wird wie der eines räudigen Köters verscharrt. Banges Warten, bis Gras über die Sache wächst.
Nur Assita will wissen, wo ihr Mann geblieben ist. Beharrlich gräbt sie nach, droht mit Anzeige... Nicht grobe Mißhandlungen, beiläufig eingeflochtene Kleinigkeiten zeichnen dieses Leben im Untergrund so kompromißlos und ergreifend. Angesichts des tristen Themas wäre es leicht gewesen, auf die Tränendrüsen zu drücken.
In diese Standardfalle tappt der Film nicht. Taschentücher kann man zu Hause lassen, dazu ist die Geschichte viel zu kühl und distanziert erzählt. Denn durch welchen Dreck Menschen zweiter Klasse für ein kleines Stückchen Glück und Freiheit waten (Monika Vanecek, KURIER)