USA 1996 Regie: Julian Schnabel,
Buch: Julian Schnabel, Lech Majewski
Musik: John Cale,
Kamera: Ron Fortunato,
Schnitt: Michael Berenbaum,
Darsteller: Jeffrey Wright (Jean-Michel Basquiat), David Bowie (Andy Warhol), Dennis Hopper (Bruno Bischofberger), Gary Oldman (Albert Milo), Michael Wincott (Rene Ricard), Claire Forlani (Gina Cardinale), Benicio Del Toro (Benny Dalmau), Christopher Walken (der Interviewer), Willem Dafoe (Greg), Jean Claude Le Marre (Shenge), Parker Posey (Mary Boone), Elina Lowensohn (Annina Nosei), Paul Bartel (Henry Geldzahler), Courtney Love (Big Pink), Tatum O'Neal (Cynthia Kruger), Rockets Redglare, Esther G. Schnabel Kinostart: 2/5/1997
New York, Anfang der achtziger Jahre. Alles schien möglich, in der Welt der Reichen und Exzentrischen, in der selbstgefälligen Subkultur prominenter Künstler, umtriebiger Händler und geschäftstüchtiger Galeristen. Begünstigt durch Reagans Wirtschaftspolitik, war eine neue Generation von Sammlern entstanden, die in der Kunst ein lukratives Investment entdeckten. Der Markt boomte, und die Preise explodierten. Völlig mittellose Künstler wurden über Nacht zu Szenegrößen und konnten ihre Bilder zu Traumpreisen verkaufen. Und (fast) alle scharten sich um die Ikone des New Yorker Kunstbetriebs: Andy Warhol. Wer zu seinem Troß gehörte, der den Meister in ständig wechselnder Besetzung zu Vernissagen, Dinners, Partys und in Discos begleitete, brauchte sich um die entscheidenden Kontakte nicht zu sorgen.
Warhol, gelangweilt von seinem Ruhm und künstlerisch ausgelaugt, suchte gegen Ende seines Lebens stets nach jungen Talenten, die mit ihm arbeiteten und ihn inspirieren sollten. Jean-Michel Basquiat war zweifellos der bedeutendste von ihnen. Mit Zwanzig wurde er berühmt, und er war noch keine Dreißig, als er im Drogendelirium starb. Die kurzen rauschhaften Jahre dazwischen sind Gegenstand dieses Films.
Was auffällt am obdachlosen Graffiti-Sprayer Basquiat, ist sein bedingungsloser Glaube an sein Talent. Seine Zuversicht ist mindestens so groß, wie seine Lebensumstände erbärmlich sind. Passend zu seinem kraftvollen neoexpressionistischen Malstil, durchsetzt mit naiven, schwer zu entschlüsselnden Elementen, gibt er sich als junger Wilder - unverbraucht und unverdorben vom Kommerz. Er ist ein begnadeter Selbstdarsteller, der sich instinktsicher zwischen Souveränität und Berechnung bewegt. Binnen kurzer Zeit liegt ihm der Kunstmarkt zu Füßen. Seine Lust an der Provokation steigert seine Bekanntheit. Der große Andy Warhol arbeitet mit ihm und fängt nach langen Jahren wieder an, mit Pinsel und Farbe zu arbeiten.
In kurzer Zeit ist Basquiat schwerreich. Er gebärdet sich als Exzentriker, der Kaviar nur im Kilo kauft und Frauen nur im Dutzend. Doch seine Rolle als Darling der Szene fordert ihren Preis. Er fühlt sich entwurzelt, ist von Selbstzweifeln geplagt, ob er als Künstler ernst genommen wird oder ob er bloß als schwarzer Clown geduldet ist, der mit seinen Possen die überwiegend weiße Schickeria erheitert. 1988 stirbt er im Drogenrausch, kurz nach Andy Warhol, mit dem er knapp vor dessen Tod gebrochen hatte.
Julian Schnabel ist Maler und gehört zu jenem Kreis von Neo-Expressionisten, die zusammen mit Basquiat die Kunstszene eroberten. Sein Regie-Debüt ist kein Künstlerportrait im herkömmlichen Sinn, sondernd bietet faszinierende kaleidoskopartige Einsichten in die Innenwelt der New Yorker Kunstszene.
Schnabel hat sich Schauspieler gesucht, die dem Thema in ungewöhnlicher Weise gerecht werden: David Bowie als Andy Warhol bewegt sich souverän zwischen anämischem Understatement und forcierter Übertreibung - eine Rolle als Hommage. Dennis Hopper alc Kunsthändler Bruno Bischofberger ist ebenso beein druckend wie Courtney Love als Big Pink.
Besondere Erwähnung verdient auch der Soundtrach des Films, dessen Grundlage Basquiats umfangreiche Plattensammlung ist. Jean-Michel Basquiat liebte Rockmusik (David Bowie, die Stones, Jimi Hendrix) und Punk (Iggy Pop, Sex Pistols) genauso wie Jazz (Charlie Parker) oder Rap (Melle Mel), gerne hörte er Bob Marley oder Leonard Cohen oder Miles Davis.
"Wie so viele junge Menschen idealisierte Jean-Michel Künstler, die ein tragisches Leben hatten. Für ihn war es simpel. Dein Leben war der Preis, den du für dein Talent bezahlst. Sein Tod bestätigt das Sprichwort, das sagt: 'Sei nicht zu talentiert, zu jung oder gar zu schön und bestimmt nicht alles zugleich.'" (Julian Schnabel)
"Daß wir das Komische (und Korrupte) der öffentlichen Person, das Tragische (und Triviale) des Menschen und das Vitale (und Rücksichtslose) des künstlerischen Talentes zugleich am Werk sehen, weltweit entfernt vom grandiosen Hollywood-Kitsch, das konnte wohl nur einem Künstler gelingen. Denn schärfer, als es ein Holly-wood-Regisseur vermocht hätte, trennt Schnabel Kunst und Kino, vermeidet jede Imitation der Kunst durch das Kino." (epd Film)
"Erfreulich wenig ist BASQUIAT ein Bio-Pic. Die falsche Dramatik dieses Genres hat Schnabel nicht in Versuchung geführt. Statt sich um Biographisches zu scheren, vermittelt der Film den Chic der New Yorker Boheme, wie sie Anfang der achtziger Jahre womöglich war, und verdichtet dabei unbekümmert Kunst, Wahrheit und Leyende." (Tip Berlin) (INFO FILMLADEN)
Jean-Michel Basquiat war der Shooting Star unter den New Yorker Malern der 80er Jahre: Sein früher Drogentod besiegelte einen Mythos, den der nicht minder berühmte Maler Julian Schnabel jetzt verfilmt hat. "Basquiat" ist die Apotheose des einflußreichsten Kunstbetriebs der Welt.
Beim Filmfestival in Venedig im vergangenen Jahr kam es zu einer symbolträchtigen Begegnung. Die Kunstwelt beehrte die Filmbranche. Im Garten des Hotel Des Bains gab Julian Schnabel Interviews, eigentlich eher Audienzen. Der Starmaler aus New York sprach über seinen ersten Film Basquiat, die Geschichte eines anderen, früh verstorbenen Starmalers aus New York. Schnabel spielte Fürst, Mäzen und Auftragnehmer in einer Person. Der Renaissancemensch gab sich als Popstar. Ein paar Schritte weiter saß Dennis Hopper, der im Film den Kunstsammler Bruno Bischofberger spielt, und sprach über seine eigene Kunstsammlung.
Der gegenseitigen Reverenzen war kein Ende. Schnabel, der Rebell gegen die Konzeptkunst, pries das Kino als die definitive Massenkunst. Hopper, der einstige Hollywood-Rebell, pries die Malerei als die Mutter aller Künste.
Der Film Basquiat, mit diesem Anspruch trat Schnabel auf, ist der letzte große Mythos der 80er Jahre, ein Schwanengesang auf die Ära, als Andy Warhol noch unter den Lebenden weilte, als Madonna noch nicht das Material Girl war und sich Affären mit malenden Junkies aus der Gosse leistete. Im Film wird das Pink Girl von Courtney Love gespielt – das ist nur einer aus einer Reihe von Gastauftritten: Willem Dafoe und Christopher Walken sind zu sehen, der B-Movie-Veteran Paul Bartel figuriert als der einflußreiche Henry Geldzahler.
Schnabel benennt das Motiv für seinen ersten Versuch mit dem Kino so: "Ich wollte verhindern, daß irgendein Tourist einen Film über Basquiat macht." Basquiat wäre also ein Freundschaftsdienst, den die Überlebenden leisten. Basquiat bleibt in der Familie.
Der Mythos wird von denen erzählt, die ihn erst geschaffen haben. Erzähler und Erzählte sind schwer auseinanderzuhalten. David Bowie spielt Andy Warhol. Gary Oldman spielt Albert Milo. Albert Milo ist eigentlich Julian Schnabel. Jeffrey Wright spielt Basquiat als empfindsamen Schwarzen, der unter den alltäglichen Rassismen genauso leidet wie unter den Unwägbarkeiten eines manisch-depressiven Kunstbetriebs.
Wie es sich für einen ordentlichen Mythos gehört, bleiben viele zentrale Punkte unausgesprochen und angedeutet. Schnabel umkreist sein Thema, er arrangiert es mit vielen modischen Details. Man kann sich das Geld, die Drogen, die Depression denken, oder man kann Jeffrey Wrights waidwundes Spiel für bare Münze nehmen.
Der Künstler als Instinktwesen, der anfallsartig arbeitet, stellt den Kunstbetrieb vor das größte Problem: Man könnte vor einem neuen Van Gogh stehen und ihn übersehen. Deswegen wird Basquiat sozusagen auf Verdacht ein Hype und muß dann gegen diesen Verdacht anmalen.
Das Problem des Films Basquiat ist, daß er nicht sonderlich filmisch funktioniert. Ein von John Cale zusammengestellter Soundtrack mit Pop von den Pogues oder (sinnträchtig) Public Image Limited bis zu pathetischen Opernarien illustriert das Prinzip, mit jeder Szene einen neuen Anlauf zu nehmen. Man mag das eine Dramaturgie nach dem Tod des Genie-Subjekts nennen, aber es sieht eher aus, als hätte man das Programm eines nicht sonderlich konzentrierten DJs verfilmt.
Mit Basquiat wird der Begriff Cross-Over endgültig wohlfeil. Die Einzeldisziplinen wachsen zusammen, das Pop-Geflecht breitet sich über die Kultur. Einen eigenen Mythos bekommt, wer den schönsten Heldentod stirbt. Schnabel nennt dafür einen Kronzeugen: Antonin Artaud. Dessen Buch Van Gogh, der Selbstmörder durch die Gesellschaft ist ihm wichtig.
Die Kunst funktioniert wie die Müllabfuhr, nur mit besserem Recycling: "Die Arbeit besteht darin, Dinge von der Straße aufzulesen und sie an die richtige Stelle zu setzen. Etwas fällt mir ins Auge, ich katalogisiere es im Kopf, und dann verwende ich es. Filmemachen ist für mich wie Malen. Ich denke, ich habe einen Film gemacht über etwas, das ich gut kenne." Die Kunst und das Kino arbeiten einträchtig am Mythos. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 3/5/1997)
Mit "Basquiat" hat der New Yorker Maler Julian Schnabel seinen ersten Film gedreht: Ein Interview über Mozzarella, Warhol und das Leiden für die Kunst.
Von den vielen prominenten Visagen in diesem Film sollte man sich nicht täuschen lassen. Daß Christopher Walken, Willem Dafoe, Dennis Hopper und etwa David Bowie (als Andy Warhol) in Basquiat auftauchen, ist wenig mehr als eine halbwegs geschickte Idee zur Aufsehenserregung: Mit dem Film selbst, der in erstaunlich einfachen, zurückhaltenden Bildern die letzten acht Jahre eines jungen Malers plastisch zu beschreiben versucht, hat der Zwang zum Stargastauftritt in Basquiat wenig zu tun. Julian Schnabel, selbst renommierter New Yorker Maler, hat einen Film über seinen Freund und Kollegen Jean-Michel Basquiat gemacht, der 1988, 27jährig, an einem Drogengemisch gestorben war.
Schnabels melancholischer, detailreicher Basquiat (in der Titelrolle virtuos: Jeffrey Wright) porträtiert die Kunstszene der achtziger Jahre in Manhattan: die absurden Dinnerparties und die eitlen Kunst-Flaneure, anmaßende Kunstkritiker und ein Alien namens Warhol - und das sich langsam zuziehende Netz über einem, den man in sehr kurzer Zeit vom Graffiti-Künstler zum Star-Maler gemacht hat.
Julian Schnabel ist ein unkonzentrierter Mann. Den Interviewtermin nimmt er liegend wahr, an einem Hotel-Pool in Venedig, und er schweift ständig ab, stellt Gegenfragen, plaudert unkontrolliert vor sich hin. "Natürlich stellt der Film meine Version, mein Porträt Jean-Michel Basquiats dar", kommentiert er die Mischung aus Fakten und Fiktion. "Ich habe manches nachgeschärft, um die Dinge klarer zu machen. Aber die Basis in Basquiat sind Fakten. "
"Ich bin der einzige Maler Amerikas, der tatsächlich in derselben Situation wie Basquiat war: Wir litten unter demselben Druck, wir stellten in denselben Galerien aus, wir hatten beide die Medien ständig gegen uns. Obwohl Jean-Michel schwarz war und ich weiß, waren wir einander damals sehr ähnlich."
Basquiat handelt auch von der konkreten Arbeit an der Kunst, vom kreativen Impuls, der überall, jederzeit stattfinden kann: Schnabels Basquiat hantiert, naiv fast, mit Tönen und telephonischer Kommunikation wie mit Objekten und Farbe. "Ja, er machte aus allem Kunst", sagt Schnabel, "darum geht es in dem Film. Aber es geht auch um die Kunstwelt, von der ich nicht glaube, daß sie ihn umgebracht hat. Als er starb, gab es so viele gräßliche, vulgäre Dinge zu lesen, über seine Heroinsucht und das Verlorengehen in der Schnelligkeit der Kunstszene der achtziger. Gegen all das wollte ich auch argumentieren."
"Andy Warhol, hat man behauptet, beute Basquiat aus, wie ein Vampir. Die Wahrheit ist, Andy war sein Freund, nicht sein Mentor. Sie waren wie Zwillinge, obwohl sie aus ganz verschiedenen Richtungen kamen. Als sie zusammen malten, das wollte ich zeigen, waren sie auch hilflos, unsicher, tauschten Ideen aus. So ist das mit dem Malen: Ich habe keine Ahnung, was ich tue, wenn ich male. Man macht nicht Kunst, um zu illustrieren, was man weiß. Du tust es, um etwas herauszufinden, was dir versperrt bliebe, wenn du die Kunst nicht hättest."
Schnabel sagt, es vergehe kein Tag, an dem er nicht an den Tod denke. "Jedes Kunstwerk, das ich je gemacht habe, handelt vom Tod. Ich habe in Italien gelebt, 1976/77, als ich so mittellos war, daß ich mir nicht einmal ein Stück Mozzarella kaufen konnte. Wenn du keine Ahnung davon hast, wie es unter ganz anderen Lebensumständen ist, dann ist deine Welt etwas flach. Ich sage nicht, daß man leiden muß, um Kunst machen zu können, aber ich kenne niemanden, der, ohne ein paar Schrammen abbekommen zu haben, je etwas Interessantes hergestellt hätte." (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 3/5/1997)
Eine Art Hommage an den aus Haiti stammenden Jean-Michel Basquiat, der anfangs der achtziger Jahre von der New Yorker Kunstszene entdeckt wurde, als Maler reüssierte und ein paar Jahre später an einer Überdosis Heroin gestorben ist. Unterhaltendes Spielfilmdebüt des Malers Julian Schnabel, formal gekonnt und adäquat inszeniert, mit bestechend agierenden Darstellern. Leider geht das Porträt aber kaum in die Tiefe und ist von daher für Nichtkenner der damaligen Kunstszene weniger interessant. (Zoom, 10/96)
Dieses Porträt eines Künstlers, entstanden unter der Regie eines anderen visuellen Künstlers, vermeidet die üblichen Genre-Konventionen, obwohl es sich um die so typische Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Malergenies handelt. 1988 starb Jean-Michel Basquiat (27 Jahre) an einer Überdosis Heroin, was der Film jedoch nicht emotionell ausschlachtet, ebenso wie eine HIV-Infizierung nur angedeutet wird. In kaum zehn Jahren wandelte sich der Sohn eines Haitianers und einer Puertorikanerin vom Poesie und Aphorismen kritzelnden Graffiti-Artist der Lower Eastside mit Namen Samo zur Szene-Supernova im Soho der 80er Jahre. Ein Darling und Protigi (ein Wort, das er haßte) von Warhol verband die beiden wohl mehr als nur das Rampenlicht. Die Szenen zwischen dem Popartisten (Bowie, wunderbar) und seinem jüngsten Superstar sprühen nur so vor Energie, Humor und Leidenschaft. (...) (Andreas Fuchs, Filmecho/Filmwoche, 37/96)
Schönes, subjektives Szene-Kino gelingt dem Maler und Erstlingsfilmer Julian Schnabel mit diesem Versuch eines sehr persönlichen Porträts des haitianisch-puertoricanischen New Yorker Malers Jean-Michel Basquiat. (...) Julian Schnabels Film ist bemerkenswert, weil er konsequent den Insider-Aspekt durchzieht. (...) (Frauke Hanck, AZ, 12.12.96)
RUS 1996 Regie: Sergej Bodrov,
Buch: Arif Aliev, Sergei Bodrov, Boris Giller, nach Leo Tolstoy,
Musik: Leonid Desyatnikov,
Kamera: Pavel Lebeshev,
Darsteller: Sergei Bodrov jr. (Vanya), Alexander Bureyev (Hassan), Valentina Fedotova (Vanya's Mother), Pavel Lebeshev, Susanna Mekhralieva (Dina), Oleg Menshikov (Sacha), Djemal Sikharulidze (Abdul-Mourant), Alexei Zharkov Kinostart: 2/5/1997
Gute Bekannte trifft man im Krieg selten. Der Feind ist zugleich der Fremde. Aber nur selten nehmen Filme diese Erfahrung auch ernst, daß das Kriegführen fast immer eine Reise in ein unbekanntes Land ist. Die Amerikaner in Vietnam, die Russen in Tschetschenien – das waren Fronteinsätze als "bad trips".
Der russische Regisseur Sergej Bodrow hat über diese Erfahrungen jetzt einen Film gedreht. Gefangen im Kaukasus sind die beiden Soldaten Sascha und Wanja. Sascha, der Ältere, ist abgebrüht und professionell. Also zynisch.
Wanja ist verträumt und schreibt Briefe an seine Mutter. Die zwei Russen sind aneinandergekettet, den Schlüssel hat der Patriarch in dem tschetschenischen Dorf hoch in den Bergen, das der Ort der Handlung ist. "Nur wenige ertragen den Wind, mit dem wir leben", singen die Bewohner. Die Russen sollen gegen den Sohn des Patriarchen ausgetauscht werden. Jetzt heißt es warten, vermitteln, Bedingungen aushandeln.
Bodrows Film folgt lose einer in Rußland sehr berühmten Geschichte von Leo Tolstoi. Diese Tatsache deutet schon an, daß es nicht um die möglichst konkrete Schilderung eines bestimmten Krieges geht. Das wäre ohne ein größeres Budget, ohne Aufwand nicht zu machen. Krieg als technisches Unterfangen und Krieg als Erfahrung fallen immer mehr auseinander, auch das reflektiert der Film. Er zeigt uns die Erfahrung.
Sascha und Wanja sehen sich zuerst einmal mit Blicken konfrontiert. Im Dorf sind sie die Fremden, aber die verschlossenen Bewohner lassen sich nichts anmerken. Nur ein junges Mädchen, die Tochter des Patriarchen, bekundet schweigsame Neugierde.
Der Wächter, ein Mann, der gerne gesungen hat, bevor man ihm im Gulag die Zunge herausgeschnitten hat, wirkt zunehmend sympathisch. Das wird ihm nicht das Leben retten, wenn es hart auf hart geht.
Aber das kommt später. Gefangen im Kaukasus: Man ist vergessen von der Welt, abgeschnitten von der Kommunikation. Man muß in dieser Gegend den Postbeamten bestechen, damit er den Briefkasten leert. Die Kämpfer tauchen auf wie ein Spuk, und sie werden durch Geschrei vertrieben: In einer großartigen Szene wird Wanja von einem Rebellen zum Faustkampf Mann gegen Mann gefordert. Wanja hat keine Chance, das weiß er, also schreit er ihn an. Verdutzt zieht sich der Gegner in die Reihen seiner Kameraden zurück.
Die Wahl der Waffen entscheidet. Sascha, der die konventionellen Register zieht, stirbt. Wanja, der lieber Uhren repariert, überlebt. Das ist eine romantische Idee, aber Bodrow konfrontiert sie mit knappen, grausamen Akten von beiden Seiten in diesem Krieg, der (im doppelten Sinn des Wortes) nicht erklärt wird.
Die Bilder sind ausgebleicht, die Montage verstärkt eine Stimmung, die das Geschehen zunehmend unwirklicher werden läßt. Am Ende liegen Hochzeit und Hinrichtung, Eskalation und Waffenstillstand jeweils ein, zwei individuelle Entscheidungen voneinander entfernt. Aber gerade dann, wenn man das Gefühl hat, Bodrow würde auf eine Parabel von der Macht der Friedfertigkeit und der Sanftmut abzielen, setzt er seinen einzigen aufwendigen Effekt: Eine Schwadron Kampfhubschrauber, wie in Apocalypse Now, taucht auf und verheißt Unheil.
Gefangen im Kaukasus zählt zum Besten, was Film zum Krieg zeigen kann, ohne selbst kriegerisch zu werden. Jetzt im Kino. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 5/5/1997)
"Keiner versteht uns. Die Berge schützen uns. Der Wind hier läßt jeden Fremden verzagen." Das Lied, das Frauen und Kinder im tschetschenischen Bergdorf singen, kann Wanja nicht verstehen, obwohl es ihn meint. Er ist hier Fremder, Gefangener. Täglich fordern die Dorfältesten seinen Bewacher auf, er möge Wanja und den anderen russischen Soldaten doch erschießen. Wanja (Sergej Bodrov Jr., der Sohn des Regisseurs) begegnet man erstmals bei seiner Musterung: "Tauglich!" für Tschetschenien. Zwei Szenen später krümmt sich der Gefreite Wanja neben einem Schützenpanzer. Ein paar Meter weiter liegt sein Leutnant Sascha. Die beiden überleben als Handelsware. Als Geiseln nimmt sie Abdul-Mourat in sein Dorf, um sie gegen seinen von den Russen gefangenen Sohn auszutauschen. Frei nach einer Erzählung Leo Tolstojs ("Ein Gefangener im Kaukasus") folgt Bodrov den Soldaten auf ihrer Reise in ein archaisches Dorf am Südrand des russischen Imperiums. Wanja und Sascha finden sich gefangen, gezwungen, einander kennenzulernen. Sascha plant Flucht und Rache; Wanja entscheidet sich für einen eigenen Weg, mit den Kerkermeistern umzugehen. Er knüpft eine unmögliche Freundschaft mit der Tochter Abdul-Mourats.
Auf dem Weg zur endgültigen Entscheidung bewegt sich Bodrov mit seinem Ensemble aus Laien und Profis von Impression zu Impression, durch die Weiten des Berglandes. Und wie in der Wirklichkeit geht alles schief: die Armee betrügt, die Fluchten mißlingen, gemordet wird umsonst. Am Ende muß ein (teuer erkauftes) Wunder geschehen, damit das Töten aufhört. Es sieht so wirklich aus, daß einem angst wird, um die Menschen in diesem Film. (wei, Die Presse, 17/5/1997)
A 1996 Regie: Ebba Sinzinger,
Buch: Ebba Sinzinger,
Musik: Wolfgang Mitterer,
Kamera: Wolfgang Lehner,
Schnitt: Karina Ressler,
Kinostart: 2/5/1997
"Die ganze Welt ist ja ziemlich schwachsinnig geworden", sagt Erwin Chargaff, 92, Biochemiker und Zivilisationskritiker - und: "Die Summe des Leides ist konstant geblieben." Ein Poseur im besten Sinn, elegant im gefrorenen Grant, in der Würde der Verweigerung. Ebba Sinzinger hat ihm zugehört, zugesehen, mit aller Aufmerksamkeit, zu der eine Kamera fähig ist. Selbst wenn sie, ansonsten ein abgeschmackter Effekt, Chargaffs Gesicht im Standbild ruhen läßt, wirkt das wie eine Bezeugung des Respekts.
Die Gegenwelt zur alten, in Werten festen, im Café Schottentor logierenden Welt, von der Chargaff erzählt - oft in selbstironischer Brechung, etwa wenn er über die Leidenschaft der Wissenschaft spricht - hat der Porträtierte selbst vorgegeben: New York, die "Senkgrube des Mordes, des Hasses, der Grausamkeit". Sinzinger weiß um die polemische Pose in solchen Worten und zeichnet kein aggressives Gomorrha, sondern einen melancholischen Moloch. Zwischen den Geräuschen der Technik steht bei ihr noch immer ein großer Mond in den Wolken. Als Leitmotiv hat Sinzinger Chargaffs Sohn gewählt, der als Polizist auf andere Weise als sein Vater nach der Ordnung sucht. "I like this look of predictability", sagt er, ein Glatzenträger, und streift durchs urbane Chaos. Selten verbindet ein Filmporträt so organisch Rührung und Bitterkeit, Engagement und Resignation. "Für die Wissenschaft ist das Leben nichts als aktivierter Schleim", sagt Chargaff. Dieser Film ist auch ein unaufdringliches Plädoyer gegen diese Weltsicht. (DIE PRESSE)
Gegen eine Völkerwanderung von Ungebildeten: Erwin Chargaff im Gespräch
"Wir leben in einer autistischen Zeit". Erwin Chargaff, Pamphletist, Querdenker und Pionier der Genforschung: Ab Donnerstag wird im Wiener Votiv Kino ein Porträt dieses Einzelgängers gezeigt. Für die Präsentation der Videodokumentation stattete der große alte Mann seiner Geburtsstadt Wien einen Besuch ab.
Vereinigte Staaten von Amerika, die an der ungelösten Minderheitenfrage zerbrechen; Lügen und Heuchelei als tägliche
Symptome eines Ausverkaufs demokratischer Staatsformen; Sprachparalyse und Konsumerismus: "Der Teufel hat sich schon einen
erstklassigen Logenplatz für das kommende Jahrtausend reserviert."
Armes Amerika – arme Welt: Unter diesem Titel verfaßte Erwin Chargaff, der legendäre Pionier der Biochemie, zuletzt eines jener
berückend scharfzüngigen Pamphlete, denen er seit seinem Rückzug aus der Wissenschaft ein, wie er sagt, "zweites Leben"
widmete.
STANDARD: Arbeiten Sie derzeit wieder an einem Buch?
Erwin Chargaff: Nein, ich bin gegenwärtig wohl so eine Art Schlußmacher. Ich bin jetzt 92 Jahre alt, fühle mich nicht sehr wohl,
gehe schon sehr schlecht. Vielleicht wird noch ein kleineres Buch erscheinen, mit Texten aus Zeitschriften, die noch nicht gesammelt
vorliegen.
Standard: Ihr letztes Pamphlet bestach durch eine gelassene Härte, die eher an Schriften aus dem 19. Jahrhundert erinnert.
Chargaff: Ja, auch meine Lektüre besteht ja hauptsächlich aus alten Büchern, und da ich auf keinem Gebiet ein Fachmann bin –
aus der Wissenschaft bin ich ja auch schon seit 22 Jahren heraus –, stammt meine Gelassenheit wohl aus dieser Unwissenheit. Ich
sehe mich auch nicht als Prophet, mache keine Vorhersagen, außer der, daß es immer mieser werden wird.
Aber das ist die Perspektive eines alten Mannes, für den naturgemäß alles immer mieser wird, und es sollte von jungen Menschen
nicht allzu ernst genommen werden.
STANDARD: Glauben Sie nicht an aufklärerische Wirkung?
Chargaff: Wir leben in einer autistischen Zeit, autistisch wie diese nach innen gestülpten Kinder: Kein Interesse an der Welt. Es ist
wie eine Völkerwanderung von absichtlich Ungebildeten.
STANDARD: Das klingt schon sehr nach resignativem Kulturpessimismus.
Chargaff: Ich bin ein behördlich approbierter Pessimist. Weil die Pessimisten irgendwie immer recht haben. Man muß nur warten.
STANDARD: Meinen Sie das, wenn Sie über den Film sagen, er sei das Porträt eines unangenehmen Menschen?
Chargaff (lacht): Ich habe vor kurzem einen Artikel gelesen, dessen Autor sich fragt, warum der Chargaff, der so viele Bücher
geschrieben hat, in Deutschland so unbekannt ist. Er kommt zum Schluß: Der Chargaff erklärt alle zu Trotteln, und wer gibt schon
sein Geld aus, um beschimpft zu werden. Aber das ist, glaube ich, ein allgemeines Symptom heute: Früher wurden Pamphlete ja
gerne gelesen.
STANDARD: Aufsehen erregten Ihre Attacken gegen die gegenwärtige Praxis der Wissenschaft. Wann hat Ihre Skepsis
diesbezüglich begonnen?
Chargaff: Mitte der 60er explodierten die Naturwissenschaften derart, daß sich die Zahl der ausgebildeten Forscher fast
verzehnfachte. Das geht zusammen mit der Gründung der sogenannten Molekularbiologie, die schon ein Schwindelunternehmen
war. Typen wurden davon angezogen, die zuallererst an finanzielle Verwertung dachten, an einen lukrativen Beruf. Die Industrie
vergab auf einmal hochdotierte Aufträge. Daß wir Objekte einer Mode wurden, hat mich abgestoßen. Ich war immer ein
Einzelgänger und habe da angefangen, mich zurückzuziehen.
STANDARD: Empfinden Sie, wenn Sie heute die Auswirkungen der Genforschung beobachten, so etwas wie Schuld?
Chargaff: Man hat keinen Anlaß, Schuld zu empfinden, wenn man die Dinge so gestaltet hat, daß man sich keine Vorwürfe
machen muß. Ich habe mich bei Versuchen immer auf Bakterien und Hefepilze beschränkt. Über 40 Jahre habe ich kein Tier
getötet, was in der Chemie wahrscheinlich Rekord ist.
STANDARD: Es fällt auf, daß Sie trotz Ihres langen Lebens in Amerika immer noch ein sehr wienerisches Deutsch ohne
US-Akzent sprechen.
Chargaff: Mit meiner Frau, die ich hier an der Wiener Universität kennengelernt habe und mit der ich 66 Jahre zusammenlebte –
im Vorjahr ist sie leider gestorben – habe ich immer deutsch gesprochen. Ich habe auch kein Problem mit Wien.
STANDARD: Dennoch haben Sie bei der Premiere von Chargaff lakonisch angemerkt, Ihr guter Eindruck von der Stadt und
ihren Einwohnern sei vermutlich falsch.
Chargaff: Was mich immer gestört hat: Nur eine sehr kleine Schicht interessiert sich hier wirklich für Kunst. Und in Amerika war
mir immer angenehmer, daß man mehr allein ist. Die Nachbarn stecken ihre Nase nicht in alles hinein. Hier wird man irgendwie
immer betratscht. Auch wie die Wiener damals einen begeisterten Anschluß an NS-Deutschland später in eine Annexion
verwandelten – ein sehr sympathisches Volk ist das hier nicht.
Ich bin jedoch freiwillig nach Amerika ausgewandert. Ich bin kein Flüchtling. Meine Mutter wurde zwar in Auschwitz umgebracht,
aber warum soll ich plötzlich auf meine Muttersprache verzichten? Ich schreibe auch lieber deutsch als englisch. Englisch hat zwar
das größere Vokabular, aber es ist eine häßlichere, praktischere Sprache. (Claus Philipp, DER STANDARD, 30/4/1997)
USA 1996 Regie: Peter Hyams,
Buch: Amy Jones, John Raffo, Rick Jaffa, Amanda Silver, nach Douglas Preston,
Musik: John Debney,
Kamera: Peter Hyams,
Schnitt: Steven Kemper,
Darsteller: Penelope Ann Miller (Dr. Margo Green), Tom Sizemore (Lt. Vincent D'Agosta), Linda Hunt (Dr. Ann Cuthbert), James Whitmore (Dr. Albert Frock), Clayton Rohner (Det. Hollingsworth), Chi Muoi Lo (Greg Lee) Kinostart: 2/5/1997
Eine wissenschaftliche Expedition entdeckt 1995 einen verborgenen Schatz, der besser hätte unentdeckt bleiben sollen. Ein Geheimnis, das alles in seiner Umgebung in Angst und Schrecken versetzt. Es macht Mysterien zu Alpträumen und gewährt eine Ahnung der bodenlosen Abgründe des Bösen. Es ist etwas, dessen Macht so groß ist, wie die Sicherheit, mit der es den Tod bringt. Es ist das Relikt einer längst vergangenen zeit, das unter dem Mantel des Vergessens hätte begraben bleiben sollen. (Verleihprogramm)
"Er hatte die Gestalt eines großen Hahns, Leib und Beine einer Kröte, warzenbesetzte Krallenpfoten, wunderlich flammten die Augen..." Keiner aus dem Streichelzoo, dieser Basilisk, der einst Anrainer der Wiener Schönlaterngasse schreckte. Jetzt gibt's einen ebenso furchterregenden US-Kollegen, der uns vollsabbert, durch endlose Gänge hetzt.
Natürlich fließt Blut - hektoliterweise. Dabei meint man gegen die Schablonenstory geeicht zu sein. Wohin das führt, wenn ein DNA-verkrüppelter Kröterich ins Chicagoer Naturhistorische Museum eingeliefert wird, ist seit "Alien" bekannt. Splatter-Freunde können sich also freuen. Ein heroischer Polizist malt den Basilisken an die Wand. Wäre nur halb so spannend ohne vergebliche Warnungen, die sich beim großen Fressen dann als berechtigt erweisen.
Diese Kreatur, neben dem Gigers "Alien" wie eine Hausmaus aussieht, delektiert sich an Menschenhirnen, die Enthauptungen sind in blutsudelnder Breite ausgeschlachtet: Köpfe links, Hirne rechts, der Rest paßt ins Marmeladeglas. Nur der Thrill mit dem Grauen vor Unsichtbarem fehlt. Trotz schauriger Schocker wird's fad, das Biest wetzt so oft durchs Bild, daß man es auf der Straße wiedererkennen würde. So gehen wir ihm sicher nicht auf den Schleim. (Monika Vanecek, KURIER)
USA 1996 Regie: Michael Hoffman,
Buch: Terrel Seltzer, Ellen Simon,
Musik: James Newton Howard,
Kamera: Oliver Stapleton,
Schnitt: Garth Craven,
Darsteller: Michelle Pfeiffer (Melanie Parker), George Clooney (Jack Taylor), Mae Whitman (Maggie Taylor), Alex D. Linz (Sammy Parker), Charles Durning (Lew), Jon Robin Baitz (Yates jr.), Ellen Greene (Elaine Lieberman), Joe Grifasi (Manny Feldstein), Pete Hamill (Frnak Burroughs), Anna Maria Horsford (Evelyn), Gregory Jbara, Sheila Kelley, Barry Kivel, Robert Klein, George Martin, Michael Massee, Amanda Peet, Bitty Schram, Holland Taylor, Rachel York Kinostart: 2/5/1997
(...) Tempo und Dramaturgie sind routiniert, die Komik kommt nicht immer ohne Klamauk aus. Alles in allem ein ansprechender Familienfilm mit ein paar guten Songs. (Thomas Engel, Der Gildendienst, Febr. 97)
Der ganz normale Wahnsinn: So hieß einmal eine Fernsehserie. Inzwischen ist sie ein wenig veraltet, denn nicht nur Schussel wie Towje Kleiner hetzen heutzutage ihren eigenen Vorhaben hoffnungslos hinterher. Der Wahnsinn ist tatsächlich ganz normal geworden. Kind und Karriere, Sonnenschein und Regen: Alles muß sich am besten zugleich ausgehen.
Diese Tatsache ist so evident, daß ein Hollywood-Film kommen mußte, der davon erzählt. Tage wie dieser (One Fine Day) trifft dazu noch eine weitere Entscheidung: Regisseur Michael Hoffman erzählt relativ gemächlich davon, wie eine Architektin (Michelle Pfeiffer) mit Sohn und ein Journalist (George Clooney) mit Tochter einen Tag lang so hektisch Kind und Handy aus-und vertauschen, daß daraus nur Liebe werden kann.
Das Genre der romantischen Komödie ist, wiewohl bei aller Hollywood-Megalomanie ein wenig an den Rand geraten, noch immer fester Bestandteil des US-Kinos. Man kann es scharf würzen (wie bei Jerry Maguire), und damit die Ideologie entschärfen; oder man kann es mild abrunden (wie bei One Fine Day), sofern die Ingredienzen stimmen.
In diesem Fall ergeben der Schauplatz New York, die geheimnislos charmante Grundgüte von George Clooney und die tapfer jeden neuen Ketchup-Fleck erduldende Michelle Pfeiffer ausreichend Gründe, sich einen relativ erfreulichen Film anzusehen, der kaum in die Kinogeschichte eingehen wird. Es sei denn für die Tatsache, daß hier erstmals buchstäblich individuelle Identitäten dem Handy zugeordnet werden und nicht dessen Besitzer. Der ganz normale Wahnsinn eben. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 6/5/1997)
USA 1997 Regie: Phillip Noyce,
Buch: Leslie Charteris, Jonathan Hensleigh, Wesley Strick,
Musik: Graeme Revell,
Kamera: Phil Meheux,
Darsteller: Val Kilmer (Simon Templar), Elisabeth Shue (Dr. Emma Russell), Rade Serbedzija (Ivan Tretiak), Valeri Nikolayev (Ilya Tretiak), Henry Goodman (Dr. Lev Botvin), Alun Armstrong (Scotland Yard Detective), Michael Byrne (Tretiak's Aide, Vereshagin), Yevgeni Lazarev (President Karpov), Irina Apeximova (Frankie), Lev Prygunov (General Sklarov) Kinostart: 2/5/1997
TV-Serienhelden als Verwandlungskünstler erobern in letzter Zeit die Kinoleinwand: Nach Harrison Ford in "The Fugitive" und Tom Cruise in "Mission: Impossible" rettet nun Val Kilmer als "The Saint" Simon Templar die Welt. Das Gesetz der Fernsehserie ist zunächst einmal eines der refrainartigen Wiederholung: Berühmt wird so die Titelmelodie, bis man zu ihr, siehe Mission: Impossible, sogar bei Techno-Clubbings abtanzt. Und das Handlungsschema "Krise – Auftrag an den/die Helden – Lösung" muß man als Betrachter förmlich verinnerlicht haben, sonst würde die Konfusion angesichts einer auf 50 Minuten verdichteten Story zu groß – erst recht, wenn sie, wie in vielen Serien der 60er und 70er Jahre, von Verkleidungskünstlern getragen wird.
Qualität ist hier vor allem Mut zur Reduktion, nicht zuletzt auf das Bildschirmformat. Und wenn Hollywood, immer wieder begeistert von Serien-Ideen, sich also an Adaptionen alter Straßenfeger wagt, dann stoßen seine Autoren und Regisseur naturgemäß an sehr enge Limits: Die längere Erzählzeit darf nicht in zusammenhanglose Episoden zerfallen. Gleichzeitig will das Publikum die vormals kultisch gefeierten Repetitionen wiederfinden.
An beiden Fronten gerät jetzt Val Kilmer in der Rolle des einst von Roger Moore verkörperten Gentlemanbetrügers und Trickkünstlers Simon Templar in beträchtliche Turbulenzen.
In The Saint soll er – eher wie ein verspäteter James Bond – eine umweltschonende Energieformel zuerst für radikale russische Patrioten stehlen und dann für die Welt wieder retten. Im Endresultat bedeutet dies weniger einen logisch aufgebauten Spannungsbogen als vielmehr alle zehn Minuten neue Anläufe in Richtung schnell versandender Action: Tresorknacken, Titelmelodie, schöne Frau verführen, Titelmelodie, durch Moskauer Kanäle hetzen, Titelmelodie. Das ist zwar flott, aber es hebt nie ab. Gleichzeitig strapaziert der Film europäisches Flair, aber es wirkt – in Studio-Oxford etwa – wie billiges Parfüm.
Interessant ist der neue Hang zu wandelbaren Protagonisten aber schon. Clint Eastwood etwa wird demnächst in unseren Kinos auch so einen Meisterdieb verkörpern, wenn er in Absolute Power den amerikanischen Präsidenten eines Verbrechens überführt. Er kommt dabei rund um ein beständig maskiertes Äußeres, mit dessen Hilfe korrupte Machthaber ausgespielt werden, denn auch zu ähnlichen Ergebnissen wie Brian De Palma in Mission: Impossible.
Dort, wo so ein Nichtheld gewissermaßen gesichtslos wird, wo er sich auf pragmatisch eingesetztes technisches Know-how anstelle drastischer körperlicher Aktion beschränkt – dort muß das Kino selbst zu einem rhythmisierten Gefüge werden, in dem man gewissermaßen untertauchen kann. Schnitt und Bewegung geben dann Harmonien, Mißklänge und refrainartige Wiederholungen vor, in denen sich der Handlungsträger gewissermaßen als Identifikationsfigur auflöst. Es geht dann, wie in den TV-Serien, mehr um Stimmungen als um Charaktere.
Ein Actionfilm als Tanz der Masken: Verkappte mächtige Gauner gegen verhüllte Retter. The Saint, inszeniert vom australischen Regisseur Phillip Noyce, entwickelt dafür weder die Grandezza noch den nötigen Schwung und Klang. Nur am Ende, wenn Templar sich aufs Neue den Guten und den Bösen entzieht und die Kamera sich über die Anonymität einer Großstadtlandschaft erhebt, darf man erahnen, was das heißen könnte: Untertauchen, Unordnung stiften und daraus ein wenig Lebensgefühl entwickeln. (Claus Philipp, DER STANDARD, 29/4/1997)
Ob der Brite Leslie Charteris sich wohl ausgemalt hat, daß "Simon Templar" eines Tages so aussehen würde? Aus dem Zwanziger-Jahre-Dandy ist ein Blondschopf geworden, der Körper bis zum Hals durchtrainiert, mit himmelblauen Augen und einem sinnlichen Mund.
Val Kilmer, der jüngste "Simon Templar", macht auf den ersten Blick einen weniger gewitzten Eindruck als sein TV-Vorgänger Roger Moore. Wie einen Berliner Bauarbeiter, der einen Privat-Jet bar bezahlen könnte, wollte Kilmer die Figur aussehen lassen. Das kommt dem Ergebnis ziemlich nahe. Der neue Simon Templar ist ein sympathischer Zwangsneurotiker, ein Tatmensch, der seit seiner Kindheit besessen davon ist, eine traumatische Schuld auszugleichen.
Als Einbruchsspezialist arbeitet er für Auftraggeber, die er so schnell wechselt wie seine Identitäten. Die Masken, die er dabei verbraucht, helfen ihm nebenbei auch, vor dem eigenen Selbst zu fliehen.
Das Wiederverwerten von Moden erzeugt manchmal aus rundum gelungenen Konsumartikeln noch wundervollere Produkte. Phillip Noyces Neuauflage der "Simon Templar"-Geschichte ist das vergnüglichste Kinoremake seit langem geworden.
Noyce und Val Kilmer haben in "The Saint" nicht nur den entspannten Ton der TV-Serie gerettet, sondern auch Motive aus Charteris Originalvorlagen. Technikverliebt werden Templars kleine Spielzeuge vorgeführt. Dabei sieht manch eines seiner High-Tech-Gimmicks noch aus wie handgemacht.
Für Sixties-Esprit sorgt bereits die Story: In Rußland trachtet ein Ölmilliardär, eine charmante Kreuzung aus Schirinowski und Rasputin, nach der Macht. Was ihm fehlt, ist eine Formel, die eine junge Wissenschafterin (Elisabeth Shue) in Oxford in ihrem Kopf herumträgt. Aber der Held, beauftragt die Formel zu stehlen, verliebt sich rettungslos in sein Opfer. Die Erfindung nimmt er Shue schließlich mehr zum Schutz denn aus Gier ab und macht sich davon: Flucht nach vorne, nach Moskau.
Elisabeth Shue ist hinreißend, stets mit einem verschmitzten Zug um die Lippen. Zwar läßt sie sich erst überrumpeln. Aber nach einer Liebesnacht, die ihre psychosomatischen Herzbeschwerden vertreibt, denkt sie gar nicht daran, ihn so einfach ziehen zu lassen - und reist ihm und ihrer Formel nach.
Moskau, der Schauplatz der zweiten Filmhälfte, sieht aus wie eine Kreuzung aus den Roaring Twenties und der chaotischen Gegenwart. Extrem forsch wird hier das Erzähltempo, unterbrochen nur von Momenten, die der Romanze weiterhelfen. Ein Film mit Aufmerksamkeit fürs Detail und Glauben an die Liebe.
Kilmer hat seine laufend wechselnden Verkleidungen und die Romanze gegen den Widerstand der Produzenten durchgesetzt. Die fürchteten zu viele Ähnlichkeiten mit "Mission: Impossible". Aber "The Saint" ist der bessere, schnellere und vor allem witzigere Film geworden. Fortsetzungen sind geplant. Auch in ihnen werden wir vermutlich lernen, daß die Vergangenheit unsere Zukunft ist. (Robert Weixelbaumer, DIE PRESSE)
In nicht allzu ferner Zeit saßen in comicstrippenden Heldensagen wie dieser aufregende Beauties dem Recken auf dem Schoß. Inzwischen muß es ein Laptop sein. Die obligate Schöne dient nach Freund Apple nur noch als unverzichtbares Sexualobjekt. Damit finden die meisten Verfolgungsjagden des Gentlemangauners von heute auf dem Datenhighway statt. Verschlagen surft er im Internet, homebankt sein gestohlenes Geld und mouseklickt sich durch Geheimpläne.
"Simon Templar" ist hier trotz seiner pseudonymen Heiligennamen, einem edlen Antrieb hinter seiner kriminellen Energie und anderen gemeinsamen Genen nicht wiederzuerkennen. Nicht nur die Dauerbenutzung elektronischen Werkzeugs unterscheidet den frisch Verfilmten von seinem Fernsehserienvorbild aus den kommoden Sechzigern (114 Folgen).
Auch die Tatsache, daß Roger Moore damals maliziös und vornehm, Val Kilmer heute mehr neurotisch und kaputt wirkt, wenngleich als Monsterfresser ebenfalls überzeugend. Auch galt einst eher als Handwerk, was heute ein Feuerwerk nach dem anderen hochgehen läßt: zündeln gehört zu den Leidenschaften der zeitgenössischen Actionreißerszene. Und Russen. Russenmafia-Rasputin Ivan Tretiak und sein mordlüsterner Sohn trachten in dieser raffiniert aufgeschäumten Trivialitätenrevue dem vom Kriminellen zum Kriminaler konvertierten Verwandlungskünstler nach dem Leben.
Nicht nur daß er die beiden Herrschsüchtler bestiehlt, will er auch noch jene Forscherin beschützen, welche ihnen mit einer Formel für alternative Billigenergie gerade recht käme. Abgekautes Zeug im Grunde, aber im Wiederkäuen macht die geklonte Kuh eine gute Figur. Und als Ergebnis besser ihr saftiger Fladen als ein trockener Beweis korrekter Nachverfilmung. Nach "Mission Impossible", dem vorangehenden Kopierversuch eines TV-Serienhits der sechziger Jahre als Singlepack fürs Kino, konnte es ja nur noch besser kommen. Und zuletzt triumphiert auch noch Vals shueförmiges Objekt der Begierde über seinen Notebook-Computer. Wer hätte so was gedacht? (Rudi John, KURIER)
CH 1995 Regie: Wolfgang Panzer,
Buch: Wolfgang Panzer,
Musik: Filippo Trecca,
Kamera: Wolfgang Panzer (Hi8-Video), Edwin Horak (35mm),
Schnitt: Claudio di Mauro,
Darsteller: Martin Huber (Fried Adelphi), Ameenah Kaplan (Ashaela), Michael Moriarty (Father Mulligan), Colonel Kapoor (Direktor der Immigrationsbehörde), Ligia Thompson Kinostart: 2/5/1997
Ein Kartäusermönch wird von seinen Mitbrüdern nach Indonesien geschickt, um bei der dort weilenden Besitzerin den Pachtvertrag für sein Kloster zu verlängern. Er lernt eine junge, kranke Afroamerikanerin kennen und reist mit ihr auf dem Landweg durch Indien. Zwischen den beiden entwickelt sich zaghaft eine Beziehung. Vor der Rückkehr ins Kloster beichtet der Mönch in einer Kirche in New York. Der versierte Fernsehregisseur Wolfgang Panzer erzählt den abenteuerlichen Ausflug des Mönchs in die profane Welt in großen Rückblenden. Entstanden ist ein kleiner, feiner Film über spirituelle Dimensionen des Alltags, lebendig und berührend. (Zoom, 2/96)
(...) Auch wenn manches, Dialoge eingeschlossen, arg hausgemacht wirkt, in Panzers Arbeit werden alles in allem Dokument und Argument auf schöne und sinnvolle Weise miteinander verbunden. Typisch für die in dem Film gepflegte Dialektik ist die Frage: "Was hat Gott vor der Erschaffung der Welt getan?". (Thomas Engel, Der Gildendienst, 514/15)
"Broken Silence": ein Mönch, eine Frau und ein Glaube-Liebe-Leben-Konflikt - Schweizer Kinomelodram im Rohkost-Outfit.
Deutschland, Juli 1996: Ein unscheinbarer Film aus der Schweiz startet mit sieben Kopien in diversen Großstadtkinos. Ein Film, zu dem einem allerlei über den Sinn des Lebens und die Poesie des Kinos einfällt. Die Kritik jubelt - und der Film wird ein beachtlicher, mancherorts gar ungeheurer Erfolg.
Broken Silence heißt das Werk, dessen Behandlung als Delikatesse aus dem Naturkostladen wohl einem allgemeinen Film-Versorgungsmangel zu verdanken ist. Der Film beginnt mit der Beichte eines Kartäuser-Mönchs, der - nach 25 Jahren Schweigeübung - nach Fernost reist und dort vom Leben (einer Frau) überrascht und weichgebogen wird. In ausgedehnten Rückblenden erzählt Regisseur Wolfgang Panzer von der seltsamen Bekanntschaft und dem zähen Kennenlern-Prozeß zwischen dem weltfremden Gottesdiener und der lebensfrohen New Yorkerin - und, man ahnt es, von dem nagenden Konflikt, den der Mann erlebt, weil die Frau eine Frau und er selbst auch nur ein Mensch ist.
Dem unverkrampft reduzierten Schauspiel des Schweizers Martin Huber ist es zu verdanken, daß man diesem Glaubenskrisen-Szenario eine Zeitlang noch ein wenig unverbrauchte Dramatik zugesteht. Panzer aber sorgt bald dafür, daß der Gottesmann die Qualitäten des Lebens bis zur bittersüßen Neige einer klassischen Love-Story auszukosten hat. Und, als bürgte der Einsatz einer Videokamera für "authentisches" Alternativ-Kino, mutet der Regisseur Postkartenästhetik in TV-Qualität zu. Am Ende weiß man über Gott, die Welt und deren Vermittler-Nöte so viel wie eh und je. Und man hat einen Film kennengelernt, der ohne mediales Sprungtuch wohl eher unspektakulär am Bauch gelandet wäre. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 3/5/1997)
Ein Schweizer Kartäusermönch beichtet einem New Yorker Geistlichen seine Odyssee durch Fernost im Auftrag seines Ordens: Wegen eines lebenswichtigen Vertrags mußte er in die fremde Welt, seines Schweigegelübdes entbunden, und wird durch Zufall (das Mädchen hat seine Brieftasche "sichergestellt") Reisegefährte einer jungen Afro-Amerikanerin (die Schlagzeugerin Ammenah Kaplan) um die halbe Welt. Panzers unterschiedliche Bildqualitäten (die Reise erscheint durchs Umkopieren von Video auf 35-mm-Film wie geträumt) fragen nach Selbstfindung und Tod, Zuneigung und Liebe, Fremdheit und Nähe. (Hansjörg Spies, KLEINE ZEITUNG, 31/5/1997)
USA 1997 Regie: Thomas Carter,
Buch: Randy Feldman,
Musik: Steve Porcaro,
Kamera: Fred Murphy,
Schnitt: Peter E. Berger,
Darsteller: Eddie Murphy (Scott Roper), Michael Rapaport (Kevin McCall), Carmen Ejogo (Ronnie Tate), Michael Wincott (Michael Korda), Denis Arndt (Capt. Frank Solis), Art Evans (Lt. Sam Baffert), Donal Logue (Earl), Paul Ben-Victor (Clarence Teal), Kim Miyori (Det. Kimura) Kinostart: 2/5/1997
Scott Roper hat trotz seines nervenaufreibenden Jobs - er ist Verhandlungsspezialist bei Geiselnahmen und gilt als bester seines Fachs - seinen Mutterwitz noch nicht verloren. Als ihm ein junger Scharfschütze mit nervösem Zeigefinger an die Seite gestellt wird, muß er ihn erst einmal in die hohe Kunst der psychologischen Kriegsführung einweisen. Ihr Gegner: ein Psychopath, den sie zu Beginn schnappen, der aber aus dem Gefängnis ausbricht und ihnen ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel liefert. (Verleihprogramm)
Eddie Murphy ist ein Verhandlungstalent. Seine Devise: Immer am Wort bleiben. Im Vergleich mit dem schwarzen Filmstar sind Rapper wie Ice-T geradezu maulfaul. Am Ende hat Murphy noch jeden Übeltäter mürbe geredet. Mit diesem Talent bestreitet er auch den Auftakt zu Thomas Carters Action-Thriller Metro. Ein Bankräuber sitzt mit Geiseln fest.
Der Mann ist ein Dilettant. Er schwitzt. Er sieht jämmerlich aus. Eddie Murphy schießt ihn – nach einem strategischen Wortschwall – aus der Hüfte über den Haufen. Schon in dieser Szene deutet sich an, daß Metro mehr ist als ein routiniert um einen Star aufgebauter Dutzend-Thriller.
Hier operiert das US-Kino gezielt an der Grenze von Cartoon-Gewalt zu purem Sadismus. Die Handlung ist stereotyp und übernimmt von Speed das Prinzip der drei Akte. Die Exposition: Eddie Murphy erledigt einen Komparsen. Die erste Klimax: Die Autoverfolgungsjagd. Das lange Finale: Der Gegner (Michael Wincott) spannt die Freundin von Murphy auf das Folterrad.
Die alte Weisheit, daß Action-Kino nur ein Minimum an Plausibilität braucht, aber keine läßliche Sünde in der Dramaturgie verzeiht, wird sträflich vernachlässigt. Metro ist inszeniert, als wollte ein geistig zurückgebliebener Junge mit Bauklötzen eine Hochschaubahn bauen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 13/5/1997)
Die Satire ist jenes Lachkabinett, in dem die Realität so lange zwischen Zerrspiegeln aufgerieben wird, bis sie ihr wahres Wesen gestanden hat. Zum Beispiel die groteske Komik polizeilichen Einschreitens; das ergötzende Dilemma vom Dienst nach Vorschrift.
Rotzfrechschnauze Eddie Murphy als personifizierte Satire auf einen Bullen: ein oft erprobter Lachschlager, hier wieder einmal so gut wie neu aufgelegt. So gut aufgelegt, wie wir nachher sind. Eddie also wieder einmal unter Mundwerksvertrag. Ein Mann, so schwarz wie sein Humor, bei dem die Grenzen zwischen Actionklamotte und Gaudikomödie quecksilberquick fließend sind. Die angewandte Psychologie wurde wieder von der Firma Schaden & Spott zugeschnitten. Erprobter Spezialist für Geiselnahmen, agiert Eddie als gewiefter "Vermittler" zwischen Geiselgangster und Behörden.
Arbeitet fleißig mit allen faulen Tricks. Vor allem übertölpelt er immer wieder die Verbrecher, die sich erdreisten, in seinem Rayon Banken unter Zuhilfenahme von Geiseln berauben zu wollen (übertölpeln - ein treffendes Wort). Bei Eddies turbulenten Bosheiten wird man aufgekratzt, ohne Reue zu bluten. Manchmal explodiert ein Gag, dann ist's wieder nur eine Handgranate. Auf jener Uraltschiene, auf welcher Cops mit ungeliebten neuen Partnern unterwegs sind, rumpelt die Krimikarre die Straßen von San Francisco rasant rauf und runter.
Beweist, daß auch ein altmodisches Cablecar zur Verfolgungsjagd taugt und Autos hüpfen können wie Gummibälle. Ein origineller Gefängnisausbruch und eine attraktive Freundin putzen auf, schon sind greller Spaß und lockere Spannung wieder mit Blaulicht unterwegs. Da macht man rasch schnellen Pulses dem Lachen Platz und fragt nicht lang nach tieferem Sinn. (Rudi John, KURIER)
USA 1997 Regie: Bernard Rose,
Buch: Bernard Rose nach Leo Tolstoy,
Musik: Sergei Prokofiev, Sergei Rachmaninov, Pyotr Ilyich Tchaikovsky,
Kamera: Daryn Okada,
Darsteller: Sophie Marceau (Anna Karenina), Sean Bean (Vronsky), Alfred Molina (Levin), Mia Kirshner (Kitty), James Fox (Karenin), Fiona Shaw (Lydia), Danny Huston (Stiva) Kinostart: 2/5/1997
Schwülstige Knierutscherei vor Literatur
Überrascht die große Greta Garbo im St. Petersburger Palais des Grafen Wronskij die kleine Sophie Marceau mit dem Hausherrn im Bett. Giftet die Garbo wütend: "Hör zu, du Pariser Schlampe, so göttlich wie ich wirst du nie im Leben sein!" Zischt die Marceau zurück: "Ja, aber dafür bin ich umso lebendiger!"
In der Tat ist Sophie von so süß blühendem Leben, daß man sowohl den Grafen Wronskij gut verstehen kann, wenn er Anna um jeden Preis als Geliebte, aber auch den alten Alexej Karenin, daß er sie unbedingt als Gattin behalten will. Schon erheblich weniger versteht man Regisseur Rose, weil er sich diese schwülstige Knierutscherei vor dem literarischen Hochadel Rußlands angetan hat. Offensichtlich fühlt er sich weder in der Story noch auf den Originalschauplätzen zuhause.
Begeht einen peinlichen Fauxpas nach dem anderen, flüchtet sich einerseits in gipsabdrückende Werktreue, kokettiert andererseits auch mit zeitgeistig britischem Kostümsnobismus. Nach einer Tragödie in nächster Nachbarschaft verfaßt, ist "Anna Karenina" Graf Leo Tolstois populärste Dichtung und Wahrheit. Unzählige Verfilmungen beweinten schon das traurige Schicksal einer allerhöchsten Fremdgängerin, welche ihre Liebe verraten sieht und den einzigen Ausweg im Freitod. Jetzt gibt es eine weitere unnötige Version. (Rudi John, KURIER)