Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 16. Mai 1997 neu angelaufene Kinofilme


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PALOOKAVILLE (PALOOKAVILLE)

USA 1995
Regie: Alan Taylor, Buch: David Epstein, Musik: Rachel Portman, Kamera: John Thomas, Schnitt: David Leonard, Darsteller: William Forsythe (Sid), Vincent Gallo (Russ), Adam Trese (Jerry), Gareth Wiliams (Ed), Lisa Gay Hamilton (Betty), Bridgit Ryan (Enid), Kim Dickens (Laurie), Frances McDormand (June), Suzanne Shepherd (Mutter), Nicole Burdette, Robert Lupone, Sam Coppola
Kinostart: 16/5/1997

Man muß schon ganz schön gerissen sein, um als Dieb den großen Coup zu landen. Man braucht Geschicklichkeit, Cleverness und den perfekten Plan. Russ, Sid und Jerry sind drei Freunde, die über die praktischen Seiten der Kriminalität noch einiges zu lernen haben.
Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen stehen sie diesmal jedoch unmittelbar vor dem Ziel. Die Ziegelwand ist schon durchbrochen und der Tunnel schon gegraben, an dessen Ende die Edelsteine in einem Juweliergeschäft auf sie warten. Doch statt auf Juwelen stoßen sie auf Tortenstücke. Sie sind in der Konditorei neben dem Juwelier gelandet, und die erbeuteten Doughnuts sind nur ein schwacher Trost für den entgangenen Reichtum. Dabei hätte jeder der drei das Geld so dringend gebraucht.
Denn ihre Zukunftsträume sind mindestens so hochfliegend wie ihre Lebensumstände jämmerlich. Als auch noch die Liebe ins Spiel kommt, bekommen ihre Pläne neue Nahrung. Diesmal versuchen sie es eine Nummer größer. Sie wollen einen Geldtransporter überfallen. Und das ganz professionell...

"Gekleidet ist diese sanfte Komödie in jazzige Untertöne. New York und New Jersey sind in nächtlichen Fahrten eingefangen, die an die frühen Filme von Woody Allen oder Jim Jarmusch erinnern..." (FrankfurterRundschau)

"Ein Erstlingsfilm, der auf wunderbare Weise gelungen ist: mit Zärtlichkeit und Spaß an skurrilen Schlenkern. Frances McDormand ("Fargo") hat einen Star-Auftritt und erklärt, warum Männer stets kleine Jungs bleiben." (DER SPIEGEL)

"Alan Taylors wunderbares Regiedebüt ließ sich von einigen Geschichten Italo Calvinos inspirieren... PALOOKAVILLE ist ein Juwel in der gegenwärtigen Kinolandschaft, ein vielversprechender Beginn." (Westdeutsche Zeitung)

"Alan Taylors Film ist ganz einfach Kino - pures wunderschönes Kino." (Süddeutsche Zeitung) (Info Filmladen)

(...) Alan Taylors Debütfilm zeichnet die Antihelden realistisch, glänzt mit brillanter Situationskomik und ist niemals oberflächlich. (...) (Andre Simonoviscz, tip, 25/96)

Mit "Palookaville" gelang Alan Taylor ein entwaffnend lakonisches Debüt.
Müßiggänger sind sie, wie dereinst auch Fellinis Vitelloni: zu wenig Auftrieb, um für die Utopien gleich zu kämpfen, zuviel Sturheit im Leib, um andererseits das Unglück einfach so hinzunehmen. So plant man vor sich hin, vor allem kleine Raubüberfälle, die ohne großen Aufwand großes Geld versprechen. Im Fernsehen sieht man ja, wie's geht, das muß man doch nur nachmachen. Daß die Dinge im Vorfeld rosiger aussehen als in der konkreten Anwendung, davon erzählt Palookaville ( in etwa: Wolkenkuckucksheim). Und davon, daß es leicht ist, im Planen gut zu sein, wenn es keinen gibt, der einem klarmacht, daß ein schlechter Plan einfach nur schlecht ist.
Palookaville ist in Amerikas Suburbia daheim: wo der Schauplatz an sich so öd, sowenig Kino ist, daß man zwangsläufig auf geschliffenes Schauspiel und genaue Dialoge zurückzugreifen hat. Regie-Debütant Alan Taylor verläßt sich daher, in dieser sehr freien Calvino-Adaption, mit Recht auf seine sympathischen Verlierer, auf Adlergesicht Vincent Gallo, Hundeliebhaber William Forsythe und Choleriker Adam Trese.
Von fern erinnert Palookaville an Buscemis Trees Lounge oder an Wes Andersons wunderbaren Bottle Rocket: ein Film über junge Träumer, die Geld, Spaß, Liebe wollen, wenn nötig auch auf kleinkriminellem Wege (aber nur, wenn man dabei niemandem wehtun muß). Palookaville eröffnet dem US-Independent-Kino keine neuen Wege, keine neuen Themen und keine neuen Bilder: Auf so unnachahmlich charmante Weise war allerdings schon lange kein Film mehr unwichtig. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

Der arbeitslose Alltag nagt am Selbstvertrauen: demütigend das Noch-zu-Hause-Leben bei Russ, verletzlich die Einsamkeit Sids. Die Familienpflicht ruft Jerry. Das Kriminelle scheint der einzige Ausweg. Sie wären gerne harte Burschen, greifen aber nur mit der Plastikpistole zum Äußersten. Sympathisch die Regie, ungeschminkte Realität im nostalgischen Kleinstadtkolorit weichgezeichnet. (N.I., Kleine Zeitung, 13/9/1997)

Sie wollen rififimäßig beim Juwelier einbrechen und merken beim Rauskriechen aus ihrem Tunnel, daß sie in der Konditorei daneben gelandet sind. Wie seinen lächerlichen Brooklyner Helden geht's ein bißchen auch der ganzen rührend naiv tuenden Gaunerkomödie. Sie verirrt sich im Unbedarften, trägt zu dick auf, macht aber das Beste draus. 1995 gab's dafür in Venedig einen Preis für den besten Erstlingsfilm. Provinziell nicht nur die Location.
Im Slang New Jerseys heißt eine Niete "Palooka"; das erklärt den Titel, aber nicht alles. Derart verblödete Kriminelle wurden ja schon lange nicht zu Filmrollen gewickelt - dabei haben wir die aus "Fargo" noch angenehmst in Erinnerung...
Beim Überfall auf einen Geldtransporter erleidet dessen Chauffeur einen Herzinfarkt. Sofort rasen die drei Räuber mit ihm ins Spital und vergessen darüber ganz aufs Geld. Der netteste des notorischen Verlierertrios ist immer nett zu Frauen, nett zu Kindern und nett zu Hunden. Das ist besonders nett - und nervtötend. Als verschöße eine Maschinenpistole lauter Plüschpatronen, ein elektrischer Stuhl verlegte sich auf Spiegeleierbraten und der Spürhund machte dem Ausbrecher Männchen. Gangster zum Schmusen, Verbrecher zum Kuscheln. Des Zuschauers Herz wird dabei zur Mördergrube. (Rudi John, KURIER)

Weitere Kritiken der IMDb

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DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE

D 1996
Regie: Wolfgang Becker, Buch: Wolfgang Becker, Tom Tykwer, Musik: Jürgen Knieper, Christian Steyer, Kamera: Martin Kukula, Schnitt: Patricia Rommel, Darsteller: Jürgen Vogel (Jan Nebel), Christiane Paul (Vera), Ricky Tomlinson (Buddy), Christina Papmichou (Kristina), Rebecca Hessing (Jenni), Armin Rohde (Harri), Martina Gedeck (Lilo), Meret Becker (Moni), Andrea Sawatzki (Sylvia), Peter Gavajda (Julian), Ingeborg Westphal (Jans Mutter), Richy Müller (Theo), Andreja Schneider (Brenda Lee), Heino Ferch, Ludger Pistor, Stefan Arndt, Wolfgang Becker
Kinostart: 16/5/1997

Dieser Film des ehemaligen Geschichtsstudenten Wolfgang Becker hat alle Zutaten, die ein echter Kult-Film braucht: Markige Sprüche, Skurrile Typen und viel, viel Humor. Dieser ist auf deutlich höherem Niveau angesiedelt als bei vielen der letzten Schenkelklopf-Komödien der letzten Zeit. Mit viel Ironie und auch satirischen Seitenhieben (besonders auf das Kommerz- und Quotenfernsehen), wobei der Witz oft in rein optisch ausgedrückten Details steckt, wirft er Streiflichter auf das nach geltenden Maßstäben erfolglose Leben einiger Bewohner Berlins. Ein echter Berlin-Film ist es trotzdem auf keinen Fall, da die Großstadt, der der Regisseur nur eine einzige ganz kurze Totale widmet, lediglich als ein Stilmittel unter anderen verwendet wird. Daß trotzdem eine beachtenswerte und auch recht wirklichkeitsnahe Bestandsaufnahme des Lebens in den 90er Jahren entstanden ist, liegt nicht nur daran, daß die zentralen Probleme dieser Zeit (Arbeitslosigkeit, Aids) auch die Nöte sind, mit denen sich die Filmfiguren auseinandersetzen müssen. Die im Titel enthaltene Metapher begegnet einem im Film nämlich immer wieder, und das nicht nur im wörtlichen Sinne als Bauschutt in der Umbruchstadt Berlin, sondern auch auf eindrucksvolle Art filmisch in Erzählweise und Handlungsführung umgesetzt, so daß insgesamt ein gelungener Film und ein elegantes Zeit-Essay (Hintergrund-Graffitti:"Die Liebe in den Zeiten der Kohl-Ära") entstanden ist. Nur schade, daß es immer noch kein deutscher Regisseur wagt, sich diesem Thema ohne irgendwelche Komödienzugaben zu nähern. Doch der ironische Schluß (dem Text des Schlußliedes entsprechend: It's a lie), der von der Ungewißheit eines Aids-Tests direkt zu einem idyllischen Happy End in der Natur schneidet, ergänzt den Film dann zu einem doch stimmigen Ganzen. (Jerry)

Patchwork, Bricolage, Generation X. Die Ausdrücke sind so bunt wie das Phänomen, das sie beschreiben wollen: Lebensläufe im Zeichen der Postmoderne, Biografien, in denen das Fragment zum dominierenden Strukturmerkmal geworden ist. In den deutschen Komödien der letzten Jahre fand die fortschreitende Auflösung sozialer Formen, die früher einmal den Lebenszusammenhang garantieren sollten, primär nur einen Niederschlag: in der kraftraubenden Anstrengung nämlich, Brüche und Katastrophen hinter dem Blendwerk einer modischen Fassade unsichtbar zu machen. Die Konjunktur von Designer-Kleidung, Lifestyle-Chic und dem ganzen Yuppie-Gehabe inklusive ihrer filmischen Verstärkung läßt sich auch als Reaktion auf den grundlegenden Wandel und seiner Verunsicherung analysieren. In Wolfgang Beckers Film hingegen taucht solche Strategie nur als ironisches Zitat auf, als desillusionierender Kommentar am Rande, wenn Models im Halbdunkel menschenleerer Straßen von Plakatwänden lächeln oder biedere Hausfrauen bei der Dessous-Show daheim erregt ins Kichern verfallen. Ansonsten hält der Film, was sein Titel verspricht: ungehobelte Geschichten von der größten Baustelle Europas, wo eine Armada von Kränen die Sicht verstellt; Nachrichten aus dem sozialen Untergrund, in dem die Kälte regiert, Grobschnitt aus der neuen Bundeshauptstadt. Jan ist Schlachter und heißt Nebel, weil sein Vater diesen Namen trug, den er tot am Eßtisch findet, vor laufendem Fernseher mit dem Kopf in der Ravioli-Soße. So heißt er aber auch, weil er ein Tagträumer und Rumhänger ist, der nur mühsam Wege durchs Leben findet und kaum ein Fettnäpfchen unberührt läßt. Als er eines Nachts auf dem Weg zur Arbeit zwei Zivilpolizisten niederschlägt, wird er nicht nur gefaßt, sondern stellt sich auch so unbeholfen an, daß ihm der Richter überdies eine saftige Geldstrafe aufbrummt. Dabei hatte er nur einer jungen Frau namens Vera helfen wollen, die er verfolgt glaubte. Seinen Job im Schlachthof ist er jedenfalls los, und obendrein belastet ihn die Aussicht, sich unter Umständen mit AIDS infiziert zu haben. Farbe ins Leben bringt nur Jenni, die Tochter seiner Schwester, bei der er in der Rumpelkammer haust. Und jene Vera, die er beim Kaufhausbummel wiedertrifft. Eine liebenswert verrückte, aber auch ebenso patente Zeitgenossin, die mit der Leiche seines Vaters so selbstverständlich umgeht, wie sie die Kunst beherrscht, an feinen Buffets zu dinnieren oder in Nobelabsteigen zu nächtigen, ohne je zur Kasse gebeten zu werden. Warum die aus "besseren" Kreisen stammende Lebenskünstlerin morgens aber immer verschwunden ist, bereitet ihm Kopfzerbrechen. Beckers wunderbarer episodenhafter Film lebt von der Präzision seiner Beiläufigkeit. Szene reiht sich an Szene, Nebenfigur an Nebenfigur, ohne daß man immer genau angeben könnte, was Hauptstrang und was Ergänzung ist. Durch ein geschicktes Arrangement der Einzelgeschichten und -themen bleibt überraschend viel Raum für Augenblicke und kleine Beobachtungen, die sich vital entfalten können, ohne den Erzählfluß zu lähmen. Ein Nicht-Ort wie der im Neonlicht erstarrte Schlachthof mit seiner sterilen, nach kaltem Fett und Abwasser riechenden Atmosphäre findet darin ebenso Platz wie der Auftritt der Spree Teddys und ihrer schrillen 50er-Jahre-Imitation. Avantgardistisches Musiktheater steht neben drolligem Kleinbürgeridyll, Miniaturen aus dem Wartesaal eines Krankenhauses neben Bildern vom Alexanderplatz, über den ein eisiger Dezemberwind pfeift. Nur der Himmel über Berlin kommt nicht in den Blick, weil die Gegenwart jede Poesie verloren hat, heruntergekommene Altbauten nicht malerisch aussehen, Arbeitslosigkeit bitter ist und Einsamkeit unter Umständen tödlich sein kann. Becker zeigt Berlin meist nachts, wenn die Scheinwerfer erloschen, die Schatten aber nicht verschwunden sind: eine kalte, abweisende Stadt, ohne Charme und jene Imponierfassaden, die Weltläufigkeit spiegeln sollen. Auch die "Liebe in Zeiten der Kohl-Ära", wie es auf einen Bauzaun gepinselt steht, bietet gegen das rauhe Klima schon lange keinen Schutz mehr. Die bürgerliche Familie existiert meist nur noch als Erbengemeinschaft, romantische Gefühle liegen mit Bindungsangst oder dem Streben nach Unabhängigkeit im Clinch, Freundschaft und Solidarität harmonieren nicht automatisch mit erotischen Impulsen. Doch diese melancholische Komödie ist mehr als eine nüchterne, ungeschminkte Bestandsaufnahme der Großstelle "Deutsches Leben kurz vor der Jahrtausendwende", dessen leitender Architekt unbekannt verzogen ist. Mit spürbarer Sympathie folgt Becker den Versuchen seiner Figuren, inmitten aller Widersprüche und Ungereimtheiten ihres Schicksals einen einigermaßen trockenen Platz zu finden, sich in Nischen, Gewohnheiten und Marotten wohnlich einzurichten. Wo es Jenni zuhause nicht mehr aushält, übernimmt Jan eine Weile die Rolle des Ersatzvaters, sucht der Gerüstbauer Buddy in Rock'n'Roll-Schnulzen Lebensfreude, wagt Vera den schwierigen Spagat in eine andere Gesellschaftsschicht. Um Sicherheiten, wie sie in einer anderen Ära vielleicht noch vorhanden waren, braucht sich keiner von ihnen groß Gedanken zu machen, weil Schutzhelme Mangelware sind und die Schwachstellen der tragenden Pfeiler kaum übersehen werden können. Vom Eis, über das Vera und Jan in der Schlußeinstellung vergnügt und gelöst gleiten, wissen beide, daß es nur bedingt für eine Weile tragfühig ist. Vielleicht hilft diese Erkenntnis ja, nicht bei jedem Versuch auf dem Glatteis des Daseins sofort einzubrechen. (Josef Lederle, FILMDIENST)
Großstadt ist, wenn an jeder Straßenecke das Abenteuer lauert. In Wolfgang Beckers Film Das Leben ist eine Baustelle beginnt die Liebesgeschichte zwischen Jan Nebel (Jürgen Vogel) und Vera (Christiane Paul) damit, daß sie einander umrennen. Vera ist auf der Flucht vor der Polizei: Eine kleine Randale, die dem Film einen ziemlich aufwendigen Auftakt verschafft. Jan ist einfach auf dem Heimweg, ein müder Malocher mit null Bock auf nichts. Sie schleift ihn mit, in einen Hauseingang, die Treppen hoch, auswegslos.
Dann steht – in einer der schönsten Szenen dieses an genauen Beobachtungen und kleinen Merkwürdigkeiten reichen Films – ein kleiner Junge vor einer Wohnung. Er trägt das Cape von Superman, Vera stellt sich als "Catwoman" und ihren neuen Begleiter als "Joker" vor, und "Superman" greift rettend ein: Er öffnet die Tür.
Wie man mit Berliner Schnauze und viel Herz ein Leben bewältigt, das als Baustelle noch vorsichtig beschrieben ist, rückt diesen ersten größeren "realistischen" deutschen Film nach dem "Komödienwunder" in die Nähe von Ken Loach (Riff-Raff). Wolfgang Becker, Regisseur zum Beispiel der gelungenen Kinderspiele, betont diese Vorbildwirkung noch.
Er besetzt den Briten Ricky Thomlinson als schrulligen Großstadt-Hillbilly. Zugleich gibt er dem Film damit einen Tonfall, der das Skurrile nicht immer beiläufig findet, sondern richtiggehend sucht: Eine Familie, die ihren Vater auf Tonspuren härtester Horrorfilme konditioniert, damit er in einer Fernseh-Show auftreten kann; aufgedunsene Berliner im Ruderleiberl, die zu heißen Rhythmen die Buletten braten; eine stark an die alte DDR gemahnende Rock’n’Roll-Convention, die dem Geist der neuen Zeiten (Boomtown Berlin mit vielen McJobs) mit altmodischem Charme die Gefolgschaft aufkündigt. Trotz mancher Klischees: Ein erfreulicher, empfehlenswerter Film. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 26/5/1997)

Wolfgang Beckers "Das Leben ist eine Baustelle", in Wien als "Presse"-Premiere zu sehen, läuft ab morgen regulär im Kino. Aufzeichnungen zu einem neuen deutschen Liebesfilm von erstaunlicher Schönheit sowie Splitter eines Interviews mit dem Regisseur. Ein junger Mann rennt seinem Mädchen hinterher, verzweifelt, weil ihnen beiden die Liebe zu kompliziert geworden ist. Er springt ihr nach, in eine Straßenbahn hinein, wo er mit ihr laut zu debattieren beginnt.
An sich wäre eine Szene wie diese nichts besonderes im romantischen Kino, aber hier, in diesem Film, der Das Leben ist eine Baustelle heißt, hier sehen die trivialen Liebesdinge ein bißchen anders aus. Der Mann trägt ein Küken-Kostüm in grellem Gelb und lächerlicher Flauschigkeit, weil er auf der Straße gerade einem Gelegenheits-Werbejob nachgeht. Und es ist ihm egal, ob sein Outfit zu dem paßt, was er zu sagen hat: Die Sache, um die er kämpft, ist wichtiger als solche Lappalien.
Lange nicht mehr hat man im deutschen Spielfilm, noch dazu in einem massentauglichen, eine Inszenierung wie diese erlebt (und schon gar nicht solche Schauspieler - Jürgen Vogel und Christiane Paul): eine Arbeit, die vor dem großen Gefühlskino keine Angst hat, und auch nicht davor, alt auszusehen inmitten der Renaissance der Kinoklamotte (Männerpension; Das kleine Arschloch) und der alles infizierenden Tarantino-ismen (Knockin' on Heaven's Door).
Wolfgang Beckers neuer Film Das Leben ist eine Baustelle, produziert von seiner eigenen kleinen Produktionsfirma "X Filme", findet - wie schon seine bemerkenswerten Spielfilme davor (Schmetterlinge, 1988, und Kinderspiele, 1992) - zu diesem eigenartigen Tonfall zwischen ungeschminkt und zartfühlend, zu einer Erzählung, die jeden Augenblick neue Haken schlägt und Dinge ausprobiert, zu denen wenige Filmemacher im deutschsprachigen Raum noch die Courage hätten.
Nicht, daß alles restlos aufginge, was Becker anvisiert in dieser Geschichte vom mittellosen, gerade dadurch aber eben auch erfinderischen Leben im grauen Berlin, zwischen Kaufhaus und Rock'n'Roll-Club, zwischen S-Bahn, Schlacht- und Hinterhof: Daß Beckers Baustelle aber vor allem als entschiedener Gegenentwurf zum deutschen (Zitat-)Kino der neunziger Jahre Bestand hat, scheint offensichtlich: Bei soviel Plastizität der Figuren und soviel sozialer Stimmigkeit dennoch soviel Unterhaltungswert in einem Spielfilm unterzubringen, das ist schon eine Leistung.
Stand das denn zur Debatte in der Konzeption des Films: gegen das deutsche Kino sein, wie es sich derzeit en gros darstellt? "Es gibt schon eine deutlich kritische Haltung von mir", sagt Becker im Gespräch mit der "Presse" - "eine Gegenhaltung zur neuen deutschen Komödie, die ja dieses Wort meist gar nicht verdient, weil sie vielmehr in den Bereich der Klamotte reingeht. Aber die Kritik allein reicht nicht. Zum Filmemachen braucht man langen Atem: Die negative Abgrenzung allein ist nicht genug. Mein Zugang wurzelt eben nicht nur in einer Kinorealität, sondern auch im wirklichen bundesrepublikanischen Leben: Die Menschen in meinen Filmen sind authentisch, die spielen auch so, daraufhin sind sie ausgesucht. Daß das Recyclen im Kino heute sehr erfolgreich ist, und längst auch schon das Recyclen des Recycleten, das kann man an den Verkaufszahlen deutscher Filme derzeit ablesen. Aber ich will im Kino eben nicht nur neunzig Minuten Achterbahn sehen."
Das Leben ist eine Baustelle ist bis in die Nebenrollen genau und überraschend besetzt, ohne Lückenbüßer und Füllschauspieler. "Wenn man das Casting gut machen will, ist es sehr zeitraubend. Ein Problem im deutschen Film ist ja das: Man konzentriert sich total auf die Hauptfiguren, auf vielleicht noch zwei, drei Charakterrollen, danach geht es schlagartig nach unten. Vor allem die Qualität der Komparsen ist ja oft grauenhaft: Die Gesichter stimmen nicht, und im Hintergrund tun die Menschen dann so, als ob sie miteinander redeten. Das ist alles nicht wirklich inszeniert."
Aber Jürgen Vogel war eine schnelle Wahl? "Ja, er schon. Das Leben ist eine Baustelle ist ausdrücklich für ihn geschrieben, schon deswegen, weil er gewöhnlich, vor allem im Fernsehen, sehr eindimensional besetzt wird."
Es scheint eine Linie zu geben von Beckers Filmen zurück in die frühen siebziger Jahre, als das deutsche Kino deutlich reicher war als heute, selbst wenn man absieht von den Fassbinders, Kluges und Herzogs: In Roland Klicks Supermarkt etwa, einer vergessenen, denkbar rauhen Milieustudie vom Leben auf der Straße, findet vieles statt, was ein gutes Vierteljahrhundert später bei Becker wieder auftaucht. "Supermarkt, das war der erste Film, den ich in Berlin gesehen habe, so um 1974. Der hat mich so beeindruckt, daß ich mir gleich das Plakat besorgte, das weiß ich noch. Aber das ist lange her. Obwohl, es gibt da ein paar alte Filme, die wirken auch heute noch nach bei mir, ein Film von Bernhard Wicki, in Schwarzweiß, noch aus den fünfziger Jahren; und ein paar der Filme, die Reinhard Hauff gemacht hat. Aber bewußte Rückgriffe meinerseits gibt es da nicht, das läuft wohl instinktiver ab. Im Kino ist vor allem eines wichtig: zu zeigen, daß das noch immer eine vitale Sache ist."
Der Drehort Berlin war entscheidend auch für die Erzählung des Films. "Obwohl Berlin, zur Zeit des Drehbuchschreibens, gar nicht so sehr die Baustelle war, die sie heute ist. Der Titel stand eher für den inneren Zustand meiner Figuren, die alle an der Unfertigkeit ihres Lebens basteln. Es ist viel selbst Erlebtes drin, was auf eine andere Stadt nicht zu übertragen wäre. Berlin hat eine ganz bestimmte Atmosphäre. Es gehörte zu meinen größten Ängsten, nie genau zu wissen, ob ich die Stadt in meinem Film korrekt repräsentieren würde können."
Gedreht wurde vor allem in Nebenstraßen, abseits der Touristenwege und der Berlinpostkartenbilder. "Was schwieriger war, als wir gedacht hatten, schon in der Motivsuche: Diese Stadt laboriert so sehr an ihrem Umbruch, daß Drehgenehmigungen ein Problem wurden. Ich wollte aber ein Berlin zeigen, wie es die Berliner erleben, nicht immer nur das Brandenburger Tor, sondern eine Stadt, in der man sich bewegen kann." (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

Jeder bastelt an seinem Gerüst. Und ab und zu purzelt einer runter. "Das Leben ist eine Baustelle", behauptet der Berliner Regisseur Wolfgang Becker in seiner neuen Kinokomödie, die er nicht mit Klamauk verwechselt sehen möchte.
Mit relativ magerem Budget (nicht ganz 30 Millionen Schilling) sicherte sich Becker eine interessante Besetzung: Jürgen Vogel ("Mit ihm hatte ich einen ,Tatort' gemacht, ein Riesentalent"), Christiane Paul (schöne Partnerin von Tobias Moretti aus "Workaholic"), Ken Loachs Lieblingsschauspieler Ricky Tomlinson, Martina Gedeck (sinnesfrohe Kellnerin aus "Rossini") oder Namensvetterin Meret Becker (in einer relativ kleinen Rolle).
"Alles", so Wolfgang Becker, "begann mit der von Ricky Tomlinson gespielten Buddy-Figur. Ein Typ, der die Musik von Buddy Holly liebt, aber selbst nie richtig Karriere gemacht hat. In einem Berliner Mietshaus hatte ich einmal einen Nachbarn wie ihn. Als schließlich Jürgen Vogel für die Hauptrolle zusagte, wuchs der Zettelberg, bis ein 15-Seiten-Treatment da war."
Da ahnte Wolfgang Becker noch nicht, daß dies der schwierigste Film seiner Karriere werden würde: "Das Drehbuch entstand im heißen Sommer 1995, gedreht wurde in einem der kältesten Winter überhaupt. Das brachte uns immer wieder Probleme. Ein Beispiel ist die Friedhofszene: Just an diesem Tag schloß die Kripo den Friedhof, weil eine Kinderleiche entdeckt wurde, die offenbar zu okkulten Zwecken ausgebuddelt worden war. Mit viel Bastelei - die Schauspieler standen mir ja nicht immer zur Verfügung - wich ich auf eine Liebesszene im Hotel aus. Als wir dann auf den Friedhof durften und der Sarg - laut Drehbuch bei strömendem Regen - im Wassergraben versank, drehte ein Feuerwehrmann das Wasser mit solchem Druck auf, daß der in der Grube liegende Schlauch in die Höhe stieg und alle Beteiligten, bei Tiefsttemperatur, total durchnäßte. Prompt waren am nächsten Tag einige Darsteller krank, einer hatte fast eine Lungenentzündung. Es gab noch eine lange Latte von Pannen, umso glücklicher bin ich, daß - wenn ich unbescheiden sein darf - ein so schöner Film rauskam."
Wolfgang Becker hat übrigens österreichische "roots": "Mein Urgroßvater war Eisenbahner in Graz, ich bin in Westfalen aufgewachsen, doch in der Familie gehörte es zur Tradition, in Österreich Urlaub zu machen, und zwar immer wieder in einem Bauernhof in Mörtschach am Fuß des Großglockners in Kärnten. Die Gastgeber waren unsagbar liebe Menschen, und ich besuche sie noch heute ab und zu." (Ludwig Heinrich , Kleine Zeitung)
(...) Sensibel und leise, schrill-komisch und laut erzählt der Film von Menschen in Berlin, der Stadt im Umbruch, von ihren Träumen, Ängsten und Sehnsüchten. Ein Film über und für die Neunziger. (Thomas Engel, Der Gildendienst, März 97)

(...) Lebens-Bruchstücke aus Lebensbrüchen: Man nimmt sich, was gerade herumliegt. Traurig, wenn die Kinder im Hinterhof nach TV-Thriller-Vorbild "foltern" spielen - und grimmig komisch, wenn das Liebespaar Vernissagenbüffets plündert und Hotels abzockt. Diese Atmosphärebilder des neuen Gameshow-Proletariats in der Berliner Arbeitslosengesellschaft der Neunziger sind liebevoll und bitter zugleich: Auch Baustellenschrott hat seine Ästhetik. (Ponkie, AZ, 27.3.97)

Ein verträumter Großstadt-Loser, ein Rock'n'Roll-Nostalgiker und eine junge Frau, die sich nicht traut, wirklich zu lieben. Sie schlagen sich mit den Unbillen des Alltags herum und trotzen dem Leben ein Stückchen Glück ab. Ob es hält, wissen sie nicht. Der Regisseur erzählt von der Liebe in den Zeiten der "Ära Kohl", zeichnet das Kaleidoskop einer Großstadt und die Verlorenheit von Menschen - das Leben, traurig und komisch. (M.K.)

No future für Hans im Pech.
Diese schwarze Zukunftsaussicht aus der Zeigevogel- und Knallfroschperspektive, dieses funzeltrübe Spotlight auf no future in Germany wird als deutsche Komödie gehandelt. Welch fatale Fehleinschätzung! Wer sich aber Mühe gibt, das falsche Etikett mit der Aufschrift Lachnummer abzurubbeln, findet dahinter den Totenkopf mit gekreuzten Knochen aufgesprayt. Vorsicht, Gift, ein schweres Depressivum. Der bitterlustige Geschmack galligen Humors und der eingerührte, romantische Süßstoff sollen nur von der niederschmetternden Wirkung dieser Roßkur-Medizin ablenken. Davon abgesehen hat selten ein Deutscher die urbane Multikultipleite ihrer Großstädte samt emotionellem Katastrophenalltag so stimmig ins Schwarze gepfeilt.
Dem Autorenfilmer Becker gelang eine satirisch scharfe Bestandsaufnahme kaputter Befindlichkeiten im trauerumflorten Rahmen, wenn auch mit grotesker Penetranz. Jan heißt der Hans im Pech, der durch ein unheimelndes Berlin müllgemütlicher Hinterhöfe und abgeblättert-verbrunzter Stiegenhäuser, demonstrantenprügelnder Bullenschweine und aidsverseuchter Sexualpartner wandert, als wär er ein alternativer Parsifal. Apropos Bullen und Schweine: Bevor er dramaturgiegerecht arbeitslos wird, schlachtete Jan solche als Fleischergeselle. Der Polizist, der ihn dann prügelt, hat die Berufsangabe freilich ganz anders verstanden. Auch das kesse Girlie, das Jan mehr über den Haufen rennt als erobert, versteht ihn mehr falsch, als sie ihn richtig liebt.
Eindeutig ist nur der Tod, auch wenn er Jans Vater mit dem Gesicht in einem Teller Ravioli landen läßt statt im Himmel. Die Rockabilly-Garnierung mit Nostalgie dient für die Baustelle Leben allerdings nur als schützende Plakatwand. Wie übrigens auch jener matte Mini-Thriller, der sich auf die Spur von Jans spröder Geliebten Vera setzt, die sich zur Unzeit in Luft aufzulösen pflegt. Aber anders als übliche Bauzäune gibt es reichlich Lücken und Löcher, durch die der Blick auf den chaotischen Inhalt freigegeben wird. Und es erweist sich, daß wir wohl mit der Erkenntnis leben müssen, daß das Leben, hier oder anderswo, viel weniger eine aufbauende Konstruktion zu sein scheint als vielmehr ein totaler Abriß. (Rudi John, KURIER)

Siehe IMDb

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BEAVIS UND BUTTHEAD MACHEN'S IN AMERICA (BEAVIS & BUTTHEAD DO AMERICA)

Zeichentrickfilm, USA 1996
Buch: Mike Judge, Joe Stillman, basierend auf "MTV's Beavis and Butt-head" kreiert von Mike Judge, Musik: John Frizzell
Kinostart: 16/5/1997

Der Alltag der beiden Zeichentrickfilm-Anti-Helden ist eine endlose Kette schwarzer Löcher. (Verleihprogramm)

"Beavis & Butt-head", Amerikas einzige TV-Helden mit Anti-Scherz-Subniveau, machen sich ab sofort in ihrem Kinodebüt, einer bösen neuen Animationsgroteske, wichtig.
Die Idee ist so simpel wie perfekt: Um die beiden (neben den "Simpsons") bedeutendsten Zeichentrick-Anti-Helden der US-Fernsehkultur, die man ja - seit 1993 bei MTV - vorwiegend vor dem Fernsehgerät sitzen sah, um diese Figuren nun für das Kino loszueisen, mußte man ihnen den Fernseher nehmen. Beavis & Butt-head Do America, der erste Kinofilm des B-&-B-Schöpfers Mike Judge, beginnt folgerichtig mit einem Diebstahl. Zwar brauchen die beiden eine Weile, ehe sie kapieren, was da passiert sein könnte, aber dann geht's los. Weil sie fernsehen müssen wie andere essen, schlafen oder Drogen nehmen, begeben sich Beavis & Butt-head, zwei amerikanische Teenager mit radikal eingeschränktem Vokabular, auf die Straße: auf die Suche nach der verlorenen Bildermaschine.
Judge verzichtete für sein Filmdebüt auf die Musikvideos, die die Beavis-&-Butt-head-Fernsehshow so charakteristisch durchziehen, heiser bis hysterisch kommentiert von den idiotisch kichernden couch potatoes. Daß diese Helden auch ohne MTV bizarr sein können, beweist nun Judges Zeichentrick-Road-movie, das B & B durch eine Geschichte hetzt, die einen Killer, eine Femme fatale, das Weiße Haus und zwei Heavy-Metal-T-Shirts involviert. Anders gesagt: Zwei gezeichnete Vierzehnjährige, die es auch nicht uncool finden, wenn der Blitz zwischendurch in sie einschlägt, reisen im Touristenbus durch Amerika - vorbei am Grand Canyon und unzähligen faszinierenden Pissoir-Spülungen, an wahllos konsumierten Tabletten aus den Handtaschen älterer Damen und obsessiven FBI-Agenten. Beavis & Butt-head Do America treibt die Farce so weit, wie es nur geht: bis in den denkbar kruden Anti-Disney-Zeichentrick, bis in die pointenfreie Zone, wo die Pointenlosigkeit die eigentliche Komödie ist. Ein kleines Meisterstück des abwegigen Animationsfilms. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

"Sie sind völlig vertrottelt, ganz uncool, und sie werden ständig verprügelt." (Mike Judge über seine Helden)

Die Erfindung der totalen Stagnation im amerikanischen Animationsfilm: Ein "Presse"-Gespräch mit "Beavis-&-Butt-head"-Schöpfer Mike Judge.
Mit dem Mann zu sprechen, der Beavis & Butt-head nicht nur erfunden, sondern auch so unnachahmlich synchronisiert hat, ist eine eigenartige Erfahrung. Man hört seine absurden Figuren, aber man sieht: einen introvertierten Texaner, der mit feiner Ironie die eigene Arbeit kommentiert. Mike Judge, 35, Regisseur, Musiker, Autor und Zeichentrickkünstler (derzeit mit der neuen Serie, "King of the Hill" im US-Fernsehen), plauderte beim Filmfestival in Cannes aus der Schule.
DIE PRESSE: Wo wurden Beavis & Butt-head geboren?
Judge: Sie fingen in meinem Haus an, mit einem Zwei-Minuten-Film, den ich ganz billig selbst produzierte. Ich meine, wenn ich mit einem Script begonnen hätte, wäre da ja wenig mehr als "Huh-huh, huh-huh" zu lesen gewesen. Welchen Einkäufer hätte das denn interessiert? Der Humor von Beavis & Butt-head war immer etwas ganz anderes als die typisch smarte Sitcom, wo ein cooler Witz den anderen jagt. Meine Helden sind richtig blöd, und oft ist gerade die Tatsache, daß die Scherze so lahm sind, das eigentlich lustige.
Repräsentieren Beavis & Butt-head eine Generation in Amerika - oder haben sie gar eine kreiert?
Judge: Ich hoffe, sie haben keine kreiert, ehrlich. Es ist vielleicht auch befreiend, Figuren im Fernsehen zu sehen, die nicht den ganzen Tag darauf achten müssen, was sie sagen und wie sie sich benehmen. Es ist ihnen einfach egal, dumm zu sein. Das macht offensichtlich Spaß.
Haben Sie je befürchtet, mit den beiden die Tendenz zu Null-Bildung und Analphabetismus in Amerika zu legitimieren?
Judge: Nein, die sind ja völlig vertrottelt, ganz uncool, und sie werden ständig verprügelt. Man kann Komiker ja lieben, ohne so sein zu wollen wie sie. Ich weiß nicht, ich kenne eigentlich niemanden, der Beavis & Butt-head je ähnlich sein wollte.
Glauben Sie, der Erfolg von Beavis & Butt-head steht in einer Beziehung zur grassierenden Political Correctness in Amerika?
Judge: Ja, das wird wohl so sein. Obwohl man kaum jemanden finden würde, der von sich behauptet, er sei von ganzem Herzen politically correct. Aber diese Art zu denken ist immer noch weit verbreitet, speziell in Hollywood, speziell in der Fernsehbranche.
Ist Fernsehen denn gefährlich?
Judge: Keine Ahnung, ich bin kein Soziologe. Als MTV erstmals im Fernsehen war, habe ich mich ungefähr eine Minute lang gefreut, endlich all diese Bands sehen zu können. Dann, drei Stunden später, kommst du drauf, daß du gerade drei Stunden da vor dem Bildschirm verbracht hast. Was für eine Zeitverschwendung. Für mich sind Beavis & Butt-head ein klar negatives Porträt unserer Zeit.
Hatten Sie je Probleme mit der Zensur bei MTV?
Judge: Na ja, MTV ist bekannt dafür, daß seine moralischen Standards etwas undurchschaubar sind. Ameisenzertreten im Zeichentrickfilm etwa ist da streng verboten. Und im Film gab es ursprünglich eine Szene, die mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und Beavis' Mangel an Klopapier zu tun hatte. In der Testvorführung lachte da seltsamerweise absolut niemand. Ich dachte, entweder wissen die nicht, was die Declaration of Independence ist, oder das sind alles echte Patrioten. Aber die sahen eigentlich eher wie Mitglieder einer Gang aus. Andererseits sehen ja heute alle Teenager wie Mitglieder einer Gang aus.
Den Film zu schreiben, war das leichter als für das Fernsehen?
Judge: Das Format der TV-Serie ist ja ein bißchen ärgerlich: Immer nur viermal fünf Minuten konzipieren zu müssen, geht einem irgendwann auf die Nerven. Und dann muß ja alles an Handlung den beiden irgendwie passieren, weil sie charakterlich und intellektuell zu Plänen nicht in der Lage sind. Das macht das Schreiben kompliziert. Aber das ist eine Situation, die an Peter Sellers als Inspektor Clouseau erinnert, der eine wesentliche Inspiration war.
An "Beavis & Butt-head", der Fernsehserie, war ja immer bemerkenswert, daß sie so sehr nach Low-Budget, nach Billigprodukt aussah. Im Film blieb diese Qualität erstaunlicherweise erhalten.
Judge: Ja, da sind wir immer dabei geblieben: Wir verwenden immer noch die model sheets der allerersten Folge. Man sagt ja: Wenn es nicht kaputt ist, reparier's auch nicht. Die Grundidee war immer: Es muß so aussehen, als wär's mit echter Verachtung gezeichnet, als wäre der Regisseur wirklich angeekelt von seinen Figuren.
Wie sehen denn Ihre nächsten Pläne aus?
Judge: Wir reden gerade von einem zweiten Beavis-&-Butt-head-Film, weil der erste so erfolgreich war. Vielleicht machen wir das dann mit realen Figuren. Ich habe da ein paar Drehbücher geschrieben.
Werden Beavis & Butt-head die Pubertät je hinter sich lassen?
Judge: Solange ich das Kommando habe, sind sie wohl dazu verdammt, 14 zu sein. Aber ich will das ja nicht noch zwanzig Jahre machen. Die Show ist jetzt, nach der nächsten Staffel und weit über 200 Episoden, abgeschlossen. Man muß zu etwas Neuem kommen. In "King of the Hill", meiner neuen Serie, gibt es zum Beispiel so etwas wie eine Stimme der Vernunft. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

Die Naseweisen werden weisnasen, daß in den Kinos einem "Kleinen Arschloch" aus Deutschland mit Beavis und Butt-Head nunmehr zwei große aus den USA gefolgt sind. Genauso dümmlich gepolt, gleichfalls schmierig hingekritzelt und wie durch ein offenes Hosentürl gefilmt. Glaubt den Weisen nicht. Bei aller gemeinsamer Analität: Den Unterschied zwischen dem germanischen Wichsvorleger und den amerikanischen Teeniemonstern möchte man heimwerken können. Während sich die deutsche Zeichenübung exhibitionistisch an der pubertären Widerlichkeit eines hinterhältigen Ekelpakets begeilt, werden Mike Judges weltberühmte Armleuchter durch satirischen Hintersinn eher zu abschreckenden Beispielen aufgebaut.
Couchpotatoes, die ihren Lebensersatz vor dem elektronischen Freudenspender absitzen, deren einzige Lust aus Frust und deren Plus-Minus-Konversation beim Dauerkonsum von Videoclips ausschließlich aus "Cool" und "It sucks" ("Das schlaucht") besteht. Militante Heavy Metal Freaks, die an so schwerwiegenden Existenzfragen scheitern, wie Mädchen flachzulegen und Dollars einzusacken sind. Weltweit beliebte Cartoonhelden, vom Jugendkultkanal MTV in 180 Episoden und 71 Ländern verbreitet, wurden diese beiden 13jährigen Zahnspangen- und Pickelträger zur entlarvenden Karikatur einer Generation und machten Zotenquoten.
Durch Diebstahl ihres Fernsehers mobilisiert, sehen sie sich hier ungeahnten Abenteuern ausgesetzt, wanted by FBI und in den Fängen einer Domina und anderer Angstgegner. Gelbmähne Beavis, für dessen Geisteskapazität Blondinenwitze intellektuelle Leistungen darstellen. Braunlocke Butt-Head, der Legasthenikertum zum Lebensstil erklärt. Der Nichtsnutzismus in der Welt, hier wird er gültig personifiziert. Die nützlichen Idioten des Medienzeitalters, hier sind sie zum Verlieren gefunden. (Rudi John, KURIER)

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TURBULENZ (TURBULENCE)

USA 1997
Regie: Robert Butler, Buch: Jonathan Brett, Musik: Shirley Walker, Kamera: Lloyd Ahern, Schnitt: John Duffy, Darsteller: Ray Liotta (Ryan Weaver), Lauren Holly (Teri Halleron), Hector Elizondo (Stubbs), Brendan Gleeson (lt. Aldo Hines), Ben Cross (Capt. Sam Bowen), Rachel Ticotin (Rachel Taper)
Kinostart: 16/5/1997

Ein gerissener Serienmörder bringt ein Passagierflugzeug in seine Gewalt. Statt eines männlichen Actionheldes muß ihm die zierliche Lauren Holly als Stewardess Paroli bieten und die Passagiere retten. (Verleihprogramm)

Der unkontrollierte Flugkörper ist der ideale Aktionsraum für den Action-Katastrophenfilm: Zum einen ist der beängstigende Schwebezustand eines defekten und/oder führerlosen Flugzeugs die beste Voraussetzung für die haarsträubend verzögerte last minute rescue (die eine respektable Leistung erst zur richtigen Heldentat macht); zum anderen ist der kollektive Sturzflug auf engem, geschlossenen Raum der beste Nährboden für allerlei psychodramatische Wucherungen des Menschlichen.
Daß diese "ideale" Katastrophen-Situation eigentlich nur Vorwand für die Konstruktion herkömmlicher Helden- und Psychodramen ist, wird in Turbulance deutlich: die (freilich im letzten Moment verhinderte) Katastrophe als pures Hintergrundmotiv für einen in jedem beliebigen Setting funktionierenden Krimi-Thriller.
Ein fast leeres Passagierflugzeug wird Schauplatz eines fatal mißlungenen Gefangenentransports. Zwei Schwerverbrecher sollen von New York nach L. A. in die Todeszelle überstellt werden: ein brutaler Bankräuber, der nach kurzer Zeit die Kontrolle über das Flugzeug an sich reißt und damit den Beginn des Chaos einleitet; der des Serienmordes angeklagte Weaver (Ray Liotta), der seinen Mitgefangenen ausschaltet und den weiteren - zunächst ziemlich überraschenden - Verlauf der Dinge bestimmt.
Regisseur Robert Butler gab sich erfolgreich Mühe, den für Hollywood-Figurenkonstruktionen empfänglichen Zuseher bereits in der ersten halben Stunde auf eine falsche Fährte zu führen - und in der Folge das verläßliche Reiz-Reaktion-Schema im Verhalten dieser Figuren mehrfach frech zu unterwandern.
Daß die Piloten bereits den ersten "Turbulenzen" dieser Reise zum Opfer fallen, daß das lädierte Flugzeug in eine Schlechtwetterfront gerät und am Ende über Los Angeles abzustürzen droht - das alles dient lediglich als zusätzliches Aufputschmittel für den bereits ordentlich an den Nerven gepackten Zuseher. Wäre dieser Katastrophen-Plot alles, was Turbulance an Aufregendem zu bieten hat, bliebe die weibliche Hauptdarstellerin Lauren Holly (als Stewardess, die den schweren Vogel schließlich wacker auf die Erde zurückmanövriert) reine Pappmaché-Heldin.
Butler jedoch weiß mit seiner Protagonistin weit mehr anzufangen. Neben Ray Liottas reizvoller Unberechenbarkeit, läßt er Holly ein ganzes Charakteren-Register ausfahren: vom zarten Engel bis zur energischen Schlägerin, vom wankelmütigen Sensibelchen - inklusive virtuos dargebotenem Angst-Schüttelkrampf - zur Frau ohne Nerven.
Das alles macht diesen großzügig budgetierten Film noch lange nicht zu Alternativ-Kino. Turbulance ist Hollywood-Mainstream, in dieser (in der Regel recht einfallslosen) Sparte jedoch ein sehenswertes Beispiel soliden Handwerks, ohne restlos glattgebürstete Typen- und Plot-Konventionen. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE)

Am ultimativen Nervenkitzel wird bereits gearbeitet: die perfekte Kreuzung aus Praterattraktion und Kino, die atemberaubenden Schockillusionen der Leinwand mit physischen Sensationen wie Riesenschaukel und Loopingbahn fusioniert. Bis das (bald) Premiere hat, muß man sich mit herkömmlichen Katastrophenfilmen wie diesem begnügen. Begnügen, aber nicht bescheiden. Denn ziemlich üppig werden hier die Schrecken eines Alptraumfluges verstreut, nackter Psychoterror entfesselt und Ängste beschworen. Es genügt ganz und gar nicht, daß ein Jumbojet führerlos auf das Zentrum eines riesigen Sturmtiefs zusteuert. Da muß auch noch Heiliger Abend sein.
Und dann müssen in der Boeing 747 ein irrer Serienkiller und ein brutaler Geiselgangster in 10.000 Meter Höhe auf die Passagiere und Stewardessen losgelassen werden nachdem sie sich ihrer Handschellen entledigen konnten. Der Satz von einander überschlagenden Ereignissen kommt einem angesichts des Horrorszenariums, das zu 95 Prozent echt schwindelerregt hoch zu Luft läuft, so kindisch vor wie der Purzelbaum eines Olympiaathleten in einem Schrebergarten. Statt einer etwaigen Handlung erfolgt hier eher eine Be-Handlung: abwechselnde, hochvoltige Stromstöße auf das Publikum mit Angst und Grauen, Entsetzen und Verzweiflung.
Das simple Gemisch geht direkt in die Blutbahn. Alles, was wir uns immer schon rechtzeitig kurz vor dem baldigen Urlaubsflug erträumt haben, im Inklusivangebot. Ray Liotta quält sich zwischen sympathisch und faszinierend abscheuerregend und wird aber von den beeindruckenden Special effects brutal überrollt. Aber wer mit der gnadenlosen Schubkraft von vier Turbinen in eine mehrjährige Flugangst katapultiert werden will, hat sowieso keine andere Wahl. (Rudi John, KURIER)

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MADAME BUTTERFLY (MADAME BUTTERFLY)

F 1995
Regie: Frédéric Mitterand, Buch: Frédéric Mitterand nach G. Puccini, Musik: Giacomo Puccini, musikalische Leitung James Conlon, Kamera: Philippe Welt, Schnitt: Luc Barnier, Darsteller: Ying Huang (Butterfly), Richard Troxell (Pinkerton), Ning Liang (Suzuki), Richard Cowan (Sharpless), Jing Ma Fan (Goro)
Kinostart: 16/5/1997

Nagasaki, Japan, Ende des 19. Jahrhunderts. Pinkerton, ein Offizier der amerikanischen Marine, erwirbt ein Haus samt Bediensteten und einer Ehefrau, der 15jährigen Butterfly. Der amerikanische Konsul Sharpless weist Pinkerton darauf hin, daß er die Beziehung zu der jungen Frau nicht nur als exotische Affäre begreifen sollte; für sie ist die Hochzeit eine sehr ernste Angelegenheit, um derentwillen sie mit ihrer Familie, ihrer Kultur und ihrer Religion brechen mußte. Als Pinkertons Landaufenthalt beendet ist, geht er zurück auf sein Schiff. Drei Jahre vergehen. Madame Butterfly wartet treu und hoffnungsvoll auf ihn und lehnt den Antrag eines reichen Ehrenmannes ab. Als Pinkerton schließlich zurückkehrt, bringt er eine neue Ehefrau mit. Die Tragödie nimmt ihren Lauf...

"Madame Butterfly" wurde für 35 Mio. Francs in Tunesien gedreht, nur die Musikaufnahmen entstanden in den Pariser Studios von Radio France. Vom Typ her handelt es sich bei Mitterands Werk genau wie im Fall "Don Giovanni" nicht um eine verfilmte Oper, sondern um einen echten Opernfilm - vergleichbar mit Ingmar Bergmans "Zauberflöte", Francesco Rosis "Carmen" oder auch "Carmen Jones" von Otto Preminger". (Lorenz Winter, Filmecho)








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