GB / USA 1997 Regie: Fred Schepisi, Robert Young,
Buch: John Cleese, Iain Johnstone, William Goldman (uncredited),
Musik: Jerry Goldsmith,
Kamera: Ian Baker, Adrian Biddle,
Schnitt: Robert Gibson,
Darsteller: John Cleese (Rollo Lee), Jamie Lee Curtis (Willa Weston), Kevin Kline (Vince McCain/Rod McCain), Michael Palin (Adrian "Bugsy" Malone), Ronnie Corbett (Reggie Sea Lions), Carey Lowell (Cub Felines), Robert Lindsay (Sydney Lotterby), Bille Brown (Neville), Derek Griffiths (Garry Ungulates), Cynthia Cleese (Pip Small Mammals) Kinostart: 20/6/1997
Ameisenbären in Gefahr: Wie rettet man als Tierpfleger bepelzte Langnasen und andere harmlose Exoten vor den neuen PR-Konzepten eines Zoos, der nur noch gefährliche Raubtiere – Wilde Kreaturen – ausstellen soll? Die Idee zu einem Sketch, in dem solche Lebewesen also als reissende Bestien ausgewiesen werden, ist angeblich älter als Monty Pythons Flying Circus. Sie zur Grundlage eines zweiten Langfilms mit dem Erfolgsteam von Ein Fisch namens Wanda zu machen, gestaltet sich jedoch selbst für ein lachfreudiges Publikum strapaziös.
Einige wenige Auftakt-Minuten etablieren John Cleese als militanten, doch letztlich gutmütigen Zoodirektor: Wie er die (vermeintlichen) Gräber exekutierter Stachelschweine und Erdhörnchen zuschaufelt, das ist schon exzellente Schmiere. Wenn aber in weiterer Folge mit Kevin Kline (in einer Doppelrolle), Jamie Lee Curtis und Michael Palin so etwas wie Ensemblespiel oder gar die Motorik einer perfekten Farce versucht wird, dann verkommt das gar schnell zu beharrlich wiederholten humoristischen Fehlzündungen. Zoten zu Curtis' Oberweite, unüblich jämmerliche Outrage vonseiten Klines, und Palin wird im forcierten Tohuwabohu, das der versehentlichen Ermordung eines US-Wirtschaftsgiganten mündet, überhaupt nur sehr spärlich mit Pointen versorgt.
Alarmierend waren schon die Vorzeichen dieser Produktion. Nach langen Jahren, in denen die gesamte Wanda-Manschaft immer wieder den Willen zur Reunion verkündete, mußte das Drehbuch zu Fierce Creatures noch während des Drehs mehrmals umgeschrieben werden, bis schließlich Fred Schepisi nicht nur für eine geänderte Schlußsequenz den ursprünglichen Regisseur Robert Young ablöste.
Beiden, wie auch dem Drehbuch, mißlingt, was im Fall Wanda der britische Comedy-Routinier Charles Chrichton so fulminant zuwegebrachte: Hanebüchene Voraussetzungen bei zunehmend beschleunigtem Tempo grotesk überhöhen. Was dort aber Momente wie jenen bescherte, in dem ein stotternder Tierfreund mit Pommes Frittes in der Nase den Tod von Zierfischen beobachten muß, gelingt im "Equal" Fierce Creatures auch nicht annähernd.
Die Handlung, in Wanda sorgfältig hinaufgerschraubt, zersplittert in diverse Gags. Und wo gerade im eng abgegrenzten Terrain des Tiergartens höchste Erzählökonomie herrschen sollte, leistet sich der Film so manchen Seitenschlenkerer. Unzählige Plakate real existierender Freizeitfirmen, die eigentlich nur die neue PR-Linie des Zoos illustrieren sollen, wirken so, als hätten die Produzenten selbst auch versucht, per Schleichwerbung den Gewinn an den Kinokassen zu maximieren.
Einzig Cleese ist, wie gesagt, den Kinobesuch wert. Einmal leckt er einer Frau über ein zerschundenes Bein, um sie des Schwindels mit Kunstblut zu überführen. Mehr solcher Gratwanderungen in Richtung Nervenkrise vermißt man schmerzlich. (Claus Philipp, DER STANDARD, 20/6/1997)
Ein Interview mit John Cleese erschien am gleichen Tag im STANDARD.
Eine Karrierefrau, die eigentlich ein Radiounternehmen aufbauen sollte, wird mit der Geschäftsführung eines Londoner Zoos beauftragt, dessen Geschäftsphilosophie die Zurschaustellung nur ausgesprochen gefährlicher Tiere ist. Zur Erschwerung der ungewohnten Aufgabe trägt bei, das der Zoodirektor ein ausgemachter Einfallspinsel und Schmalspur-Casanova ist. Eine über weite Strecken turbulente Satire auf die Freizeitindustrie und ihre Auswirkungen, die trotz einiger geschmacklicher Entgleisungen mit viel schwarzem Humor gemischte vergnügliche Unterhaltung bietet.
In multinational operierenden Unternehmen geht es bisweilen doch recht hektisch zu. Das muß auch Willa Weston erfahren, als sie ihre neue Stelle im Hauptquartier der Firma Octopus in Atlanta antreten will. Eigentlich war sie engagiert worden, um einen neuen Radiosender zu leiten, doch nun eröffnet ihr der Medienmogul Rod McCain plötzlich, daß er das Network soeben verkauft hat. Aber sie solle sich keine Sorgen machen. Man werde in einer anderen Octopus-Firma schon irgendeinene Beschäftigung für sie finden. Zum Beispiel habe er da in England gerade so ein Freizeit-Unternehmen gekauft, zu dem auch ein Zoo gehöre. Er habe zwar schon einen neuen Direktor eingesetzt, aber bisher werfe der Laden einfach keine ordentlichen Gewinne ab. Also statt Radioprogramme nun Affen und Krokodile vermarkten? Was soll's; Geschäft ist Geschäft, sagt sich Powerfrau Wanda und nimmt den Job an. Daß McCain seinen Sohn Vince zu ihrer Unterstützung mit nach Englang schicken will, stimmt sie allerdings nicht gerade heiter. Schließlich ist der Typ ein ausgemachter Einfaltspinsel und Schmalspur-Casanova, der seinem Vater endlich beweisen will, daß ein ganzer Mann in ihm steckt.
Derweil ist Rollo Lee, der amtierenden Manager des Zoos, gerade dabei, sein revolutionäres Marketingkonzept durchzuziehen. Danach soll der Zoo künftig nur noch wirklich gefährliche Tiere beherbergen, die den Besuchern für ihr Eintrittsgeld wenigstens einen ordentlichen Nervenkitzel bieten können. Schließlich hat Rollo vorher für Octopus einen Fernsehsender in Hongkong geleitet. Von daher weiß er, daß sich mit Gewalt und Action die Einschaltquote steigern läßt. Ein Konzept, daß jedoch nicht nur bei den Tierpflegern auf wenig Begeisterung stößt. Auch Wanda und Vince haben, als sie in England eintreffen, gänzlich andere Pläne.
John Cleese, Jamie Lee Curtis, Kevin Kline und Michael Palin, die bereits "Ein Fish namens Wanda" (fd 27 388) zur Erfolgskomödie machten, nehmen diesmal in bewährter Manier die Freizeitindustrie aufs Korn. Dabei ziehen sie von "Erlebniswelt" bis "Themenpark" so ziemlich alle blumigen Etiketten durch den Kakao, die den Managern der Branche auch im wirklichen Leben ständig aus dem Mund perlen. Eine turbulente Satire mit viel schwarzem Humor, die vor grotesken Einfällen nur so strotzt. Da wird ein Leopard mit Wodka-Werbung dekoriert, läßt Vince in einigen Gehegen Tafeln mit den Konterfeis von Sponsoren (u.a. Bruce Springsteen und Saddam Hussein!) aufstellen oder laufen die Pfleger schließlich in albernen Kostümen à la Disneyland herum. Und wenn ein Pfleger alle möglichen Argumente aus dem Hut zieht, um Rollo zu beweisen, was so ein Streifenhörnchen doch für ein gefährliches Raubtier ist, ist das eine wunderbare Glanznummer. Wie der Film überhaupt seine stärksten Momente hat, wo das aberwitzige Geschehen von leisen, tragikomischen Momenten unterbrochen wird. So etwa, wenn der nach außen knallharte Manager Rollo (von John Cleese mit anrührendem Dackelblick gespielt) abends einsam in seiner Wohnung sitzt und jene unrentablen Tiere streichelt, die er - so läßt zumindest er seine Mitarbeiter glauben - doch eigentlich längst erschossen hat. Für solche Szenen nimmt man dann auch in Kauf, daß die rasante Action manchmal in nur noch albernen Slapstick umkippt und sich in den satirischen Biß manch plumpe Zote mischt. Den grunsätzlichen Spaß an dieser unterhaltsamen Form von Unternehmenskritik vermögen diese kleinen Mängel letztlich jedoch kaum zu trüben. Und ob für die Figur des Medienmoguls McCain (Kevin Kline in einer Doppelrolle als Vater und Sohn) nun Rupert Murdoch, CNN-Boss Ted Turner (Firmensitz in Atlanta) oder gar Leo Kirch und Sohn Thomas Pate gestanden haben, kann einem dabei als Zuschauer letztlich egal sein. (Filmdienst, Reinhard Lüke)
"Ich muß dich warnen, Wanda", verspricht sich Zoodirektor Rollo (John Cleese), als er seine Partnerin aus "Ein Fisch namens Wanda" (Jamie Lee Curtis) happyendlich in die Arme schließen darf.
Das ist (außer einem Gutteil der Besetzung und der Wiedergutmachung an den im genannten Film rüde behandelten tierischen Mitspielern) das einzige Gemeinsame mit dem schon klassischen Welterfolg der Monty-Python-Truppe. Deswegen sollte das geneigte Publikum nicht enttäuscht sein. Das Kapitalismus-Grusical ist dennoch eine geballte Ladung Fitneß für unterforderte Lachmuskeln. Böser Ami (Kevin Kline) kauft britischen Kuschelzoo, um aus der Immobilie einen überteuerten Golfplatz für Japaner zu machen, schickt einen untalentierten Ex-Polizisten (John Cleese), dann eine geile Blondine (Jamie Lee Curtis), schließlich auch noch seinen mißratenen Sohn (Kevin Kline spielt auch ihn) zur globalen Abwicklung aus. Als die Tiere ausgerottet werden sollen, rotten sich die Tierwärter gegen den Brutalkapitalisten zusammen. Ein aberwitziges Pointenfeuerwerk nimmt seinen umwerfenden Lauf. (Hansjörg Spies, Kleine Zeitung, 21/6/1997)
Eine heilsame Roßkur mit tierischem Wirk- bzw. Würgstoff. Der setzt in der menschlichen Hirnanhangdrüse Lachlusthormone frei, reizt den Sensus humoribus, legt die Kicherader bloß, juckt das Zwerchfell, streckt die Lachmuskeln und löst chronische Nonsensationen aus. Wobei auch leidige Langzeitwirkungen zu befürchten sind. Blödes Vorsichhingrinsen, unmotiviertes Auflachen und spasmisches Zerkugeln. Dagegen helfen auch keinerlei lachdienliche Hinweise.
Auch nicht dieser, daß das Zeug aus der Alchimistenküche jener zu jeder Spaßtat entschlossenen Komödiantenbande Cleese, Lee, Kline und Palint stammt, die als Monty Python's boshafte Erben schon den "Fisch namens Wanda" in Sintfluten subversiven Humors absaufen ließ. Nicht, daß letztgenannter absoluter Höchstgipfel intelligentesten Blödelns im Kino wieder erreicht worden wäre. Aber viel fehlt nicht.
Dafür wird auch kein Zierfisch verschluckt. Vielmehr nur versucht, sämtliche süßesten Tiere eines Zoos auszurotten. Dessen neuer Besitzer, der menschenschindende geldgeile Supermachtmensch, Medienmogul und Konzernmulti McCain, will um jeden Preis den Tierpark rentabel (return of investment) machen. Worauf sein ebenfalls neuer Zoodirektor die Theorie aufstellt, nur menschenfressende Bestien wären für Besucher interessant und prompt ein Massaker im Streichelzoo anordnet.
McCains ungeliebter Sohn und aufbegehrender Junior - Kevin allein in grandioser Doppelrolle - sieht wiederum die Zukunft des Zoos als gigantischen Werbeträger, was etwa dem Tiger die wodkafördernde Aufschrift "absolut wild" einträgt. Zwischen diesen Fronten versucht sich auch eine Powerwoman zu beweisen und verfällt völlig dem Charme der Kreaturen . . . Geld und andere Geilheiten, Managerdünkel, Werbetorheit und vorauseilender Gehorsam, hier wird die Spezies Mensch in herrlich grotesken Situationen als dümmste aller Tiere verspottet und ausgeäfft.
Und wenn da einer behauptete, der Mensch unterscheide sich vom Tier - etwa durch die Fähigkeit des erheiterten Lachens? Warum lacht man dann über dieses Scherzbestiarium so herzlich animalisch? Antworten bitte an den Tiergarten Schönbrunn, Narrenkäfig. (Rudi John, KURIER)
USA 1997 Regie: Sidney Lumet,
Buch: Sidney Lumet, nach einem Roman von Robert Daley,
Musik: Mark Isham,
Kamera: David Watkin,
Schnitt: Sam O'Steen,
Darsteller: Andy Garcia (Sean Casey), Richard Dreyfuss (Abe Vigoda), Lena Olin (Peggy Lindstrom), Ian Holm (Liam Casey), Ron Leibman (Bezirksstaatsanwalt Morgenstern) Kinostart: 20/6/1997
Seinen besten Film seit Jahren legt US-Altmeister Sidney Lumet mit "Nacht über Manhattan" vor: Andy Garcia gerät darin als New Yorker Staatsanwalt in Konflikt zwischen dem Gesetz und seinem Vater, einem alten Polizisten.
Ein Leben, eine Karriere, eine Beziehung zwischen Vater und Sohn auf der Kippe: Ein junger Mann (Andy Garcia), kürzlich erst nach einer atemberaubenden Karriere zum Bezirksstaatsanwalt von New York gewählt, sitzt vor einem Papierwolf und muß sich entscheiden. Sekunden später gleitet ein blutbeflecktes Protokoll, das sein Vater (Ian Holm) gefälscht hat, in Streifen aus dem Apparat. Leicht unscharf ist die Endgültigkeit der Beseitigung des Beweisstücks wahrzunehmen. Straßenlärm von außen lädt das brütende Schweigen des Protagonisten weiter auf, während auf dessen Schreibtisch ein Telefon enervierend schrill zu läuten beginnt.
Nacht über Manhattan ist voll von solchen kargen und zugleich überaus durchdachten Einstellungen. Zwei Polizisten (Holm und James Gandolfini) kurz vor einem blutigen Gefecht in lähmender Warteposition in ihrem Streifenwagen; dagegen Juristen (Garcia und Richard Dreyfuß) bei Saunasitzungen, die in Handtücher gehüllt zu altrömischen, eloquenten Senatoren werden: Solche Szenen dürften eigentlich nur in ein großes Epos münden.
Sidney Lumet, von dem man derartige Epen über Gerechtigkeit und Korruption auch gewohnt ist (man denke an Serpico, Prince of the City oder das völlig unterschätzte Q & A), läßt hier aber eine höchst eigenwillige Zeitökonomie walten. Der Aufstieg und eine Liebesgeschichte des Newcomers sind ihm lediglich Short Cuts von Erfolgserlebnissen wert. Dagegen werden Plädoyers über Grauzonen zwischen Recht und Gerechtigkeit in allen Einzelheiten ausgespielt, als wäre jede dieser mächtigen Suadas, die hier formuliert werden, ein Schlußakkord.
Wie schon Prince of the City basiert auch Nacht über Manhattan auf einem semidokumentarischen Roman des ehemaligen New Yorker Polizeichefs Robert Daley. Dies verpflichtet förmlich zu einem realen Umfeld, das sich nicht in gediegener Gerichtssaal-Atmosphäre verklären läßt. Lumet setzt denn auch weitgehend auf verhaltene Gesten in schmucklosen Büros. Auf natürlichen Raumhall, durchtränkt von Tosen, so unorganisierbar wie jene Lebenszusammenhänge, denen entlang von Paragraphen nicht immer beizukommen ist. Schon lange ist keine Hollywood-Produktion mehr so sparsam und bedacht mit Filmmusik umgegangen – Mark Isham bläst leider mitunter allzu süßlich in die Trompete.
Wenn der Film dann am Ende über der Botschaft, doch weiter an das Gesetz zu glauben, etwas didaktisch wird, so mindert das ein außergewöhnliches Filmerlebnis nur unwesentlich. Allein schon, wie Andy Garcia sich selbst dabei zusieht, wie er mehr und mehr in Widersprüche verwickelt wird, läßt wünschen, daß dieser Schauspieler mit mehr guten Rollen bedacht würde. Und Ian Holm, demnächst auch in Atom Egoyans The Sweet Hereafter zu sehen, ist ohnehin eine der großen späten Entdeckungen des Jahres. (Claus Philipp, DER STANDARD, 20/6/1997)
40 Filme in 40 Jahren Regietätigkeit, 29 davon sind in New York entstanden, der Stadt, in der er bereits im Alter von vier Jahren erste Bühnenerfahrung sammeln konnte. Sidney Lumet gilt als ausgesprochener New York-Spezialist, als jemand, der wie kein zweiter der Stadt ihre visuellen Reize abgewinnen kann. Obwohl weite Teile der Handlung sich in klaustrophobisch anmutenden Räumen entwickeln, gelingt ihm dies auch in seinem neuesten Film, der in einer Mischung aus Polizeithriller und Gerichtsdrama jene zentralen Themen aufgreift, die Lumets Schaffen seit den 70er Jahren immer wieder beeinflußt haben ("Serpico", "Prince of the City", "The Verdict - Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit). Dabei dient das Genre einmal mehr als Vehikel, zu einer ebenso klugen wir spannenden Reflexion über Macht und Machtmißbrauch, Korruption und Korrumpierbarkeit, Recht und Gerechtigkeit und die verschiedenen Wahrheiten, die einer Sache innewohnen und die sich entsprechend dem Endpunkt des Betrachters erschließen.
Ein nächtlicher Polizeieinsatz in Manhattan. Auf der Jagd nach einem Drogendealer fordern die beiden leitenden Cops Verstärkung an. Plötzlich wimmelt die Gegend von Polizeiautos, da die Mannschaften von drei verschiedenen Polizeirevieren anrücken. Trotzdem geht der Schlag fehl. Vier Polizisten verlieren ihr Leben, der Dealer kann entkommen. Unter den Schwerverletzten befindet sich der altgediente Cop Liam Casey. Ausgerechnet sein Sohn Sean, der den normalen Polizeidienst an den Nagel gehängt hat und nun für die Staatsanwaltschaft arbeitet, wird mit den Ermittlungen und der Anklage beauftragt. Er sieht sich mit dem liberalen Anwalt Abe Vigoda konfrontiert, der seinen Mandanten überreden konnte, sich freiwillig zu stellen. Vigoda hat eine eigenwillige, aber effektive Verteidigung aufgebaut. Er geht von einer Notwehrsituation seines Mandanten aus, da dieser von der angerückten Polizistenschar liquiduiert werden sollte. Plötzlich steht die New Yorker Polizei vor Gericht, und ein Sumpf von Korruption tut sich auf, da die meisten Polizisten auf der Gehaltsliste des Dealers stehen sollen, es jedoch in den letzten Wochen wegen einer "Gehaltserhöhung" zum Streit zwischen den bis dahin gar nicht so verfeindeten Parteien gekommen sein soll. Diesen Verdacht kann Sean jedoch durch das geschickte Kreuzverhör seines Vaters zerstreuen.
Der Erfolg im Prozeß ebnet ihm den beruflichen Weg. Als der Bezirksstaatsanwalt erkrankt, rückt Sean nach, der idealistische Streiter für Gerechtigkeit ist plötzlich mit einem Posten konfrontiert, in dem in erster Linie Opportunismus gefragt ist. Hinzu kommt, daß der gewonnene Prozeß bei Sean schon seine Spuren hinterlassen hat. Neue Verdachtsmomente tauchen auf, als der Polizist, der beschuldigt wurde, die Geldverteilung in den Revieren organisiert zu haben, ermordet aufgefunden wird. Die Untersuchungen in diesem Mordfall lassen keinen anderen Schluß als den der Polizistenkorruption mehr zu. Ein Untersuchungsausschuß wird ins Leben gerufen, der rasch das ganze Ausmaß der Affäre ans Tageslicht fördert und plötzlich fallen auch wieder Verdachtsmomente auf Seans Vater und dessen langjährigen Partner. Der junge Staatsanwalt steckt in der Klemme, fühlt sich allen verpflichtet und kann es niemanden recht machen. Es ist so eine Sache mit Recht und Gerechtigkeit.
Bereits zum zweiten Mal verfilmt Sidney Lumet einen Roman von Robert Daley ("Prince of the City"), der wiederum sein ureigenstes Milieu reflektiert und als Inspirationsquelle nutzt - schließlich war der Autor bis 1972 der nicht gerade unumstrittene stellvertretende Polizeichef von New York. Einmal mehr wird die Innenansicht eines Polizeiapparates aufgefächert, dessen Mitglieder angesichts der chaotischen Zustände von der Verhinderung von Verbrechen längst zur Schadensbegrenzung übergegangen sind und dessen schwarze Schafe sich mit den Verhältnissen zu ihren Gunsten arrangiert haben. Idealismus und Loyalität müssen da auf der Strecke bleiben, und die wenigen, die ihrem Ehrenkodex die Treue zu halten versuchen, müssen notgedrungen diejenigen sein, die noch mehr Sand ins Getriebe einer ohnehin schlecht laufenden Polizei-Maschinerie werfen. Lumet zeigt seinen Protagonisten bei dieser schwierigen Gratwanderung, in deren Verlauf sich Gut und Böse längst nicht mehr als klar getrennt erweisen, sondern einer Grauzone gewichen sind, durch die alle Beteiligten mehr oder weniger hilflos stolpern.
Die souveräne, meist kammerspielartige Inszenierung kann auf eine exzellente Darstellerriege vertrauen, deren nuanciertes Spiel stets überzeugend und glaubhaft wirkt und die die innere Zerrissenheit ihrer Figuren durch kleine Gesten ebenso zum Ausdruck bringt, wie durch wortreiche Abwehrschlachten. Von den wenigen Massenszenen abgesehen, konzentriert sich Lumet ganz auf das Wesen der einzelnen Person, und so gelingt es ihm, auch in minutenlangen Verhörszenen eine ungeheuere Spannung aufzubauen, ihr Ringen um- und miteinander physisch erlebbar zu machen. Dieser Eindruck wird durch die kluge, unaufdringliche Ausstattung verstärkt, die den einzelnen Sequenzen jeweils das Tüpfelchen aufsetzt. So finden die Verhöre, die zur Aufdeckung des korrupten Sumpfes beitragen, in unglaublich schäbigen, kargen Räumen statt, Besenkammern in denen die eigentliche Schmutzarbeit erledigt wird. Ein wunderbarer kleiner Film, der nicht die Klischees des Genre-Mainstreams bedient, sondern der die Handschrift eines Regisseurs verrät, der sich nicht dem Massengeschmack, sondern seinem Gesamtwerk und seinen Themen verpflichtet fühlt. Zum Gelingen trägt auch Mark Ishams sparsam eingesetzte Musik bei, die gezielt und behutsam wichtige Akzente setzt. (Filmdienst, Hans Messias)
Sidney Lumet, ein alter Mann. Seit Jahren macht er mit jedem weiteren Film ein neues Testament. Und es steht immer dasselbe drin. Dennoch lohnt auch in diesem Fall das Hinsehen wieder, wenn er Skrupel zum menschlichen Pflichtprinzip verklärt. Wie in seinem exemplarischen Gerichtsthriller und dauergespielten Everclean "Die zwölf Geschworenen" (1957) rankt sich die knorrige Story um Gerechtigkeit, Integrität, Zivilcourage.
Geht's zusätzlich aber auch darum, daß beim Säubern schmutziger Wäsche und Aufräumen von blutigem Abschaum die weißeste Weste Flecken abkriegt. Selbst Antikorruption ist ohne unsaubere Deals nicht möglich, weiß die Weisheit des Altmeisters. Doch so bittersäuerlich, wie es klingt, hat Lumet sein eigenes Drehbuch - nach Robert Daleys Justizkrimi - nicht belassen. Gut und Böse sind bei ihm grandios personifiziert und um Klassen subtiler als im Kasperltheater.
Das heißt aber keineswegs, daß sich seine Helden nicht auch zu Narren machen würden. Wie etwa der junge, idealistische Anwärter auf die Staatsanwaltschaft, Casey. Dessen Gutgläubigkeit wird bis an die Grenzen der Naivität strapaziert, bevor man ihm die Erkenntnis beibringt, daß sich auch väterliche Freunde als monströse Schweinehunde entlarven können. Gefinkelt die Porträts um ihn herum.
Ein jüdischer Generalstaatsanwalt mit cholerischen Wortauswürfen, ein eiskalt killender schwarzer Drogenbaron mit Anspruch auf Menschenrechte, der aalglatte Wasp-Ankläger von der Eliteuniversität mit antisemitischem Akzent, der verkappte Sozialkritiker als eifernder Verteidiger. Plattes Klischee nur dessen Assistentin, der die Liebe natürlich doch über die verdammte Pflicht geht. Auch in dieser 40. Nachricht aus seinem Gewissensrepertoire setzt Lumet statt Zeichen der Zeit lieber Charaktere ewiggültigen Werten aus. "Gespür für den wunden Punkt und eine grenzenlose Wahrheitsliebe" läßt er als Maxime für Staatsanwälte verkünden. Nach seinem Vorbild sollte für Filmemacher Gleiches gelten. (Rudi John, KURIER)
IND 1996 Regie: Mira Nair,
Buch: Helena Kriel, Mira Nair,
Musik: Mychael Danna,
Kamera: Declan Quinn,
Schnitt: Kristina Boden,
Darsteller: Indira Varma (Maya), Sarita Choudhury (Tara), Ramon Tikaram (Jai Kumar), Naveen Andrews (Raj Singh, The King) Kinostart: 20/6/1997
Indien im 16. Jahrhundert. Seit ihrer Kindheit sind die Prinzessin Tara und die Dienerin Maya einander durch Freundschaft und Rivalität verbunden. Die eine besitzt Macht und Privilegien; die andere Anmut und Sinnlichkeit. Am Abend der Hochzeit Taras mit dem König Ray Singh gelingt es Maya, den König aus Rache an Tara zu verführen. Sie wird verbannt. Doch wenig später holt der König, Tara leidenschaftlich verfallen, sie wieder in den Palast zurück. In der Zwischenzeit hat Tara aber den Bildhauer Jai kennengelernt. Ein Kampf um Gefühle, Macht und sexuelle Begierden enffacht.
KAMA SUTRA ist der neue Film der 39jährigen, unangepaßten indischen Regisseurin Mira Nair, die für ihr überzeugendes Spielfilmdebüt SALAAM BOMBAY 1988 in Cannes ausgezeichnet wurde, eine Oscar-Nominierung und zahlreiche weitere Preise erhielt. (kinoweb)
Mira Nair konnte mit ihrem ersten Spielfilm Salaam Bombay (1988) international reüssieren. Ihre anschließenden Filme entstanden in den USA: Mississippi Masala war hierzulande kein Erfolg beschieden, The Perez Family kam bei uns gar nicht erst ins Kino, sondern gleich in die Videothek.
Mit Kama Sutra kehrt die Regisseurin in ihr Geburtsland Indien zurück – und das ist sicher (neben all den Spekulationen, die das Sujet auslöst) auch vermarktungstechnisch kein unüberlegter Schritt. Vollständig lautet der Titel allerdings Kama Sutra – Eine Liebesgeschichte, und ein solches, relativ konventionelles Liebesdrama erzählt er auch – inklusive einiger sexueller Vereinigungen, die in Darstellung und Häufigkeit dem im Kino inzwischen üblichen Standard entsprechen.
Im Indien des 16.Jahrhunderts wachsen zwei Mädchen unterschiedlichen sozialen Ranges gemeinsam auf. Tara (Sarita Choudherry) ist die Tochter des Fürsten, Maya (Indira Varma) gehört zur Dienerschaft. Ihre Freundschaft wird zunehmend von Rivalität überschattet, und in der Nacht vor deren Hochzeit läßt sich Maya vom zukünftigen königlichen Gemahl Taras verführen. Als ihr Vergehen entdeckt wird, jagt man sie fort. Sie gelangt in ein Haus, wo sie sich in die Liebeslehre des Kama Sutra einweisen läßt. Später wird Maya als Kurtisane an den Hof ihrer Freundin kommen, sich unglücklich verlieben und schließlich ihren Weg in Freiheit gehen.
Auch wenn Nair betont, daß es ihr in erster Linie um die Darstellung freier, in ihrer Sexualität unabhängiger Frauen geht, bedient sie doch ausgiebig alle Erwartungen an Farbenpracht und Opulenz, die im Westen gemeinhin mit dem feudalen Indien verbunden werden. Leider wird ihr Anliegen so bis zur zeitweiligen Unkenntlichkeit in märchenhaften Exotismus entrückt. (Isabella Reicher, STANDARD, 26/6/1997)
"Die Kunst der Liebe ist mehr als der Akt selbst", heißt es in Mira Nairs "Kama Sutra". So handelt der Film weniger von dem, was manche mit diesem Thema assozieren, sondern vielmehr von Eifersucht, Macht und eben der Liebe. Erzählt wird die Geschichte der Dienerin Maya, die im Laufe der Jahre in ein Wechselspiel der (seichten) Leidenschaft gerät. Mira Nair präsentiert "Kama Sutra" in schönen, aber kitschigen Bildern, was den Streifen oberflächlich erscheinen läßt. (Witold Pryjda, Kleine Zeitung, 21/6/1997)
USA 1996 Regie: Jim Wilson,
Buch: Geir Eriksen (script Hodet over vannet), Eirik Ildahl (script Hodet over vannet), Theresa Marie
Musik: Christopher Young,
Kamera: Richard Bowen,
Schnitt: Michael R. Miller,
Darsteller: Harvey Keitel (George), Cameron Diaz (Nathalie), Craig Sheffer (Lance), Billy Zane (Kent), Shay Duffin (Policeman) Kinostart: 20/6/1997
Eine unerklärliche Anhäufung von "Schwarzen Komödien" durchzieht derzeit das Kinorepertoire. Filme dieser Art beruhen üblicherweise auf einer ausgeklügelten Suspense-Dramaturgie; auf permanenten Versteckspielen, großem Zeitdruck, einer Doppeldeutigkeit, die aus dem ungleichen Wissensstand der Protagonisten (sowie des Publikums) resultiert, und ähnlichen Elementen konventioneller Filmerzählung.
Auch der jüngste Vertreter wirkt nicht zuletzt in dieser Hinsicht völlig zeitlos (und leider auch ein bißchen fade): In Kopf über Wasser (Regie: Jim Wilson) entwickeln sich Folgeprobleme bzw. Variationen um die Haupt-Unannehmlichkeit "wie wird man eine Leiche wieder los". Etwas verhaltener als sonst üblich bietet der Film auf dem begrenzten Terrain einer kleinen Insel ein elegantes Planspiel mit vier Figuren. Vor allem im ersten Drittel verläuft er ziemlich rasant und leistet sich – ein sehr angenehmer Zug – makabre Scherze eher nebenbei.
Cameron Diaz (die gerade erst in Last Supper, einem sehr ärgerlichen Exemplar der besagten Gattung mitwirkte) ist während eines Angelausflugs ihres Gatten (Harvey Keitel, jenseits eingefahrener Rollenklischees hier hysterisch, bösartig und ein bißchen dumm) mit dem unerwarteten Auftauchen eines Ex-Liebhabers (Billy Zane) und dessen jähem Ableben konfrontiert. Ihr bleibt keine andere Wahl, als ihren Mann einzuweihen.
Eine Serie von mehr oder weniger schlüssigen Handlungen ist die Folge, in deren Verlauf der Verblichene zusehends ramponiert wird und damit auch der Beweis für seinen natürlichen Tod bald nicht mehr zu erbringen wäre. Zudem beginnt sich Mißtrauen zwischen den Eheleuten auch auf einen Jugendfreund und einzigen Nachbarn (Craig Scheffer) ausweiten. Der Film büßt spätestens dabei an Tempo ein und verstrickt sich hoffnungslos in unerquicklichen Bastel- und Entfesselungsspiele. Ab Freitag im Kino. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 18/6/1997)
Das ist immer lästig: die unangemeldete Leiche im Haus. Wenn das Haus dann noch auf einer abgeschiedenen Insel liegt und auf dieser Insel diverse Merkwürdigkeiten zugange sind, kann sie (die Leiche) zumindest Zentrum eines spannenden Films werden. Kann. Jim Wilsons "Head Above Water" ist nur mäßig spannend geworden. Und auch nur mäßig lustig.
Inspiriert (möglicherweise) von Hitchcocks schwarzer Komödie "Immer Ärger mit Harry" haben George (Harvey Keitel) und seine Frau Nat (Cameron Diaz) ihn (den Ärger) diesfalls mit Kent (Billy Zane). Mitspieler im mörderischen Quartett ist auch Lance (Craig Sheffer), der hilfsbereite Fischer. Wo allerdings Hitchcock in eleganter Ironie seine Fußangeln auslegt, greift Wilson gerne zum Holzhammer. Vor allem im Finale vergreift er sich unnötig plakativ an seinem Personal. Schade. (Walter Titz, Kleine Zeitung)