Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 8. August 1997 neu angelaufene Kinofilme


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DREI LEBEN UND EIN EINZELNER TOD (TROIS VIES ET UNE SEULE MORT / TRÊS VIDAS E UMY SÓ MORTE)

F / PTG 1996
Regie: Raúl Ruiz, Buch: Pascal Bonitzer, Raúl Ruiz, Musik: Jorge Arriagada, Kamera: Laurent Machuel, Schnitt: Rudolfo Wedeles, Darsteller: Féodor Atkine (Andre), Pierre Bellemare (Radio Narrator), Lou Castel (Bum), Arielle Dombasle (Helene), Anna Galiena (Tania), Jean-Yves Gautier (Mario), Chiara Mastroianni (Cecile), Marcello Mastroianni (Mateo Strano/Georges Vickers/Butler/Luc Allamand), Nanni Moretti, Marisa Paredes (Maria), Jacques Pieller (Tania's Husband), Melvil Poupaud (Martin)
Kinostart: 8/8/1997

Mastroiannis vorletzter Film, episodisch inm der Struktur, überdeutlich in der Erzählung: der Star als multiple Persönkichkeit, in verschiedenen Masken auftretend und vier Geschichten durchlebend, verknüpfend, beendend. Geht so. (FALTER)

Die delirierenden Geisteszustände, von denen sich der Surrealismus so viel versprochen hat, sind von der neueren Psychologie recht schnöde profaniert und in die Klinik verwiesen worden. Umso überraschender kommt es also, wenn der altgediente Filmemacher Raul Ruiz, der zum Beispiel schon Texte von Pierre Klossowski verrätselt hat (was eine Kunst ist), jetzt die Geschichte eines verwirrten Mannes als multiple Psychose erzählt, also als Fallgeschichte und nicht als Lebensgeschick.
Marcello Mastroianni spielt den Mann, dessen Weg sich auf drei Leben und einen Tod zuspitzt. Drei Leben und ein einzelner Tod: Ruiz läßt uns diese merkwürdige Überlagerung von Geschichten von einem Nachrichtensprecher vortragen, taucht uns aber aus der Objektivität des Tonfalls gleich in die weichen Farben eines Pariser Bistros, wenn man dem Schaumwein schon ein wenig zugesprochen hat.
Mastroianni spielt hier exakt den Typus, als den ihn Fellini so treffend charakterisiert hat: einen Zwischenmenschen, einen Boten zwischen den realen und den surrealen Zuständen, am besten gefaßt in der Rolle eines Butlers, der langsam die Kontrolle über ein Schloß übernimmt, in dem sich die Hausherren bald mit allerlei metaphysischem Unfug konfrontiert sehen. Unverbindlichkeit und Ausflucht in die enigmatische Präsenz, die Mastroianni immer viel stärker ausgezeichnet hat als sein Image des lateinischen Liebhabers.
Der alte Mann will sich aussprechen, er will das Geheimnis eines rätselhaften Verschwindens lösen und bringt dadurch jene Szenerie in Aufruhr, die erst dadurch entstanden ist, daß er sich absentiert hat. Ein Filmgott aus der Kino-Maschine ist Mastroianni hier, der gottgleich und aus heiterem Himmel in die Geschichte, in die Geschicke eines jungen Paares eingreift (Achtung, wir sind bereits eine Erzählebene weiter) – wobei es eine Pointe ist, daß die junge Frau von Chiara Mastroianni gespielt wird, die den Film an der Seite des inzwischen verstorbenen Vaters endgültig zum Vermächtnis werden läßt.
Als solcher hat Drei Leben und ein einzelner Tod auch seine Berechtigung auf einen Kinostart. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 7/8/1997)

Regisseur Raúl Ruiz fabuliert in "Drei Leben und ein einzelner Tod" um das erzählerische Kino herum, zieht den Hut vor Buñuel und Cocteau - und verschafft nebenbei dem alten Marcello Mastroianni vier feine vorletzte Kinorollen.
Wieviel Wahrheit in der Lüge steckt und wie aus der Imagination die Wirklichkeit entsteigt (zumindest: eine Form der Wirklichkeit), davon erzählt Ra£l Ruiz, franko-chilenischer Filmemacher, in vielen seiner Arbeiten. In seinem bislang vorletzten, dem 1995 entworfenen Drei Leben und ein einzelner Tod / Trois vies et une seule mort, erzählt Ruiz vom Erzählen selbst, erstattet ironisch Bericht von der trügerischen Macht der Bilder: stories über das storytelling. In vier halbstündigen Episoden, deren Star jedesmal Marcello Mastroianni ist, konfrontiert Ruiz sein Publikum mit Geschichten und Subgeschichten, mit weitverzweigten Anekdoten und einem Finale, das die Illusion erzeugt, all die Erzählfäden wieder zusammenlaufen zu lassen. Im Kino wird wahr, so Ruiz' These, was eigentlich nie wahr sein kann.
Ein Märchenerzähler im Studio, im Dunklen, vor ihm ein Mikrophon. Er beginnt zu sprechen, kündigt die erste Episode an: die Geschichte eines angeschlagenen Mannes in Paris "gegen Ende des Jahrhunderts", der in irgendeiner Bar auf einen noch Angeschlageneren, auf den verwirrt-erheiterten Mastroianni trifft; ersterer wird von letzterem, einem völlig Fremden, auf Champagner und eine erste Dosis seltsamer Geschichten eingeladen. In diesen Erzählungen erfährt der Ahnungslose, daß seine Frau und seine Wohnung - angeblich - einst zu dem eigenartigen Fremden gehörten, der ihn nun dafür bezahlt, daß er ihm zuhört. Vor zwanzig Jahren hatte dieser, so sagt er wenigstens, Heim und Familie verlassen, um - wie Ruiz' Bilder auf der Stelle "beweisen" - unerkannt eine neue Wohnung, gleich nebenan, zu beziehen: eine Wohnung wie aus einem Alptraum, in der die Wände zurückzuweichen pflegen und ein Augenblick gute zwei Monate dauern kann.
Mit diesem kleinen Bekenntnis zur Demontage von Raum und Zeit beginnt der Film, gefolgt von einer drolligen Bluttat, nach der sich Opfer und Täter gleich deutlich besser unterhalten können, gefolgt von der Rückkehr Marcellos in die Wohnung seiner gar nicht besonders überraschten Ex-Frau. In etwa so vollzieht sich Episode 1 dieses Films, in der manches an Buñuels mildes surreales Alterswerk erinnert. Später wird man andere, immer neue Figuren treffen, die allesamt Doppelleben zu führen scheinen oder jedenfalls in drastischer Veränderung begriffen sind, bis die Geschichten schließlich - hochkompliziert - in eins laufen, hin zu einer Figur mit offenbar multipler Persönlichkeit: Mehrfachdarsteller Mastroianni. So einfach (und dabei doch so gewunden) kommentiert der Film nebenbei auch noch die Schauspielerei.
Daß Drei Leben und ein einzelner Tod gegen Ende hin zur Länge neigt, überfüllt mit surrealen Anekdoten und wohl auch ein wenig blutleer, zu clever in seiner Konstruktion, ist nicht zu übersehen: Pascal Bonitzer, Rivettes Komplize, hat mit Ruiz gemeinsam das Drehbuch geschrieben - eine die unzähligen Geschichten parallel führende und schließlich ineinander legende Konstruktion, so originell, daß das Leben darunter bisweilen Gefahr läuft, erdrückt zu werden.
Was aber übrig bleiben wird von diesem verspielten Film, typisch für das mysteriös-verschmitzte Manierismen-Kino Ruiz', das ist vor allem der späte Mastroianni, wie er schelmisch, mit zitternder Hand bereits, aber mit ungebrochener Lust am Infantilen das Kino noch einmal charakterstark füllt. Und zum Beispiel auch davon, wie sehr dieser Mann gerade in seinen letzten Lebensjahren das Experiment wieder gesucht hat - wenig später hat er noch bei Manoel de Oliveira, bemerkenswert albern, gespielt - , auch davon erzählt dieser Film mit Gewinn.
Und das ist dann keineswegs eine andere Geschichte: In einem Film, der so viele Erzählungen unter einen Hut zu bringen sucht, sind sogenannte andere Geschichten jeweils wieder nur, zwangsläufig, Teil des Ganzen. Ra£l Ruiz' Drei Leben und ein einzelner Tod ist ein Versuch über jene unendliche Geschichte, die man Kino nennt. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 9/8/1997)

Von Rene Magritte gibt es das berühmte Bild, auf dem eine Pfeife zu sehen ist und dazu die Aufschrift "Dies ist keine Pfeife". Das stimmt natürlich, weil ein Bild keine Pfeife ist, und es ist auch falsch, weil die Pfeife im Bild sehr wohl eine Pfeife ist. So gibt Magrittes fotorealistischer Surrealismus dem Betrachter spielerisch Rätsel auf über das Wesen der Wirklichkeit.
"Drei Leben & ein einzelner Tod" ist ein Film wie ein Bild von Magritte. Autor/Regisseur Raoul Ruiz zeichnet eine Realität auf (sagen wir: jene eines geheimnisvollen Vertreters, der nach Jahren der - inneren? wirklichen? - Abwesenheit wieder nach Hause zurückkehrt). Doch dann teilt er uns mit, der Mann sei in Wirklichkeit ein Professor der Philosophie, der wie ein Clochard lebt und eine kluge Hure zur Freundin hat.
Dieser geht schließlich in der Figur eines Geschäftsmanns auf oder er erscheint als serviler Butler in einem Schloß. Der Zuschauer darf staunen und rätseln - gewiß wird er sich verführen lassen von dieser Geschichte, die man als Märchen verstehen kann, als Traum und Alptraum oder auch als philosophisch versponnene Darstellung eines psychotischen Krankheitsbildes, der multiplen Persönlichkeit. Fazit: Ein faszinierender Film, getragen von Marcello Mastroianni. Er ist hier in einem seiner letzten Werke zu sehen, und der Film wirkt wie ein persönliches Resümee. Denn das Wechseln von einer Figur in die andere war ja sein (berufliches) Leben. (Gunther Baumann, KURIER)

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THE ADDICTION (THE ADDICTION)

USA 1995
Regie: Abel Ferrara, Buch: Nicholas St. John, Musik: Joe Delia, Kamera: Ken Kelsch, Schnitt: Mayin Lo, Darsteller: Lili Taylor (Kathleen Conklin), Christopher Walken (Peina), Annabella Sciorra (Casanova), Edie Falco (Jean), Paul Calderon (Professor)
Kinostart: 8/8/1997

Philosophiestudentin Taylor wird von Vampira Sciorra gebissen, was nicht ihren Körper, sondern auch ihre Seele in Mitleidenschaft zieht. Vampirismus als gleich Heroinsucht? Dracula, ein Drogendealer? Opak, reich an Metaphern, aber eben nicht leicht verdaulich: "The Addiction" setzt Bilder sonder Zahl in Bewegung. (Falter)

Ferraras "The Addiction" , bald drei Jahre alt, läuft endlich regulär in Wien: ein großer, todernster Vampirfilm.
Eine junge Philosophiestudentin zelebriert ihren universitären Erfolg. Sie lädt Professoren und Kollegen, Freunde und Zufallsbekanntschaften zu sich ein, man trinkt, unterhält sich kultiviert. Aber die Party schlägt schnell um, direkt in den blutigen Exzeß. Die Studentin ist - wie einige ihrer abendlichen Gäste - krank, getrieben, süchtig: Sie braucht Blut, und jeden, dem sie an die Schlagader geht, wird wie sie - ein Vampir. The Addiction heißt der Film, in dem solche Dinge passieren: ein Vampir-, also ein Genrefilm, in dem der Horror sich dennoch ganz anders vollzieht als man das in Erinnerung hatte. Regisseur Abel Ferrara geht mit The Addiction sehr offensichtlich über die bloße Genrefilmerei hinaus: Er erzählt, in schwarzweißen Bildern, von einer Sucht, die bei Ferrara nicht anders aussieht als jede reale Drogensucht, und von der kollektiven Schuld am Elend einer verendenden Welt.
In der introvertierten Lili Taylor hat Ferrara, das wilde Kind des US-Independentfilms, seine perfekte Darstellerin gefunden: ständig on the edge, sich selbst nur noch mühsam kontrollierend, immer - psychisch und physisch - am Abgrund. The Addiction wagt viel: ein Weltproblemfilm als Großstadtschocker, ein philosophischer Horrorfilm mit katholischer Erlösungsphantasie. Schon des Risikos wegen: der mit Abstand beste neue Film dieser Woche.
Seit The Addiction hat Ferrara zwei weitere Epen, den bleichen Gangsterfilm The Funeral sowie den im Mai in Cannes präsentierten (schwächeren) Blackout, fertiggestellt: Die produktiven Exzesse des Abel Ferrara schreiten voran, das instinktgetriebene Kino ist (noch) nicht tot.(Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 9/8/1997)

Der erste garantiert philosophisch abgesicherte Vampirfilm. Und doch der dümmste. Das Intellektuelle und das Blöde kommen ja häufig als siamesisches Zwillingspaar daher. Auch Religiosität und Aberglauben. So war es nur eine Frage der Zeit, bis Abel Ferrara, der Mystiker des amerikanischen Gewaltkinos, auf den Vampirismus kam. Daß er auf Reißzähne, Knoblauchkränze und Flattermäntel verzichten würde, war zu erwarten.
Aber statt dessen pausenlos Nietzsche, Feuerbach, Sartre und Heidegger zu zitieren - damit nur keiner auf die Idee kommt, sich in einer ordinären Blutsudelei zu befinden -, verblüfft. Leichenberge der KZs, Kriegsgreuel in Vietnam, Ferrara benutzt authentische Greuelbilder ebenso wie Fixerbestecke und Märtyrerbilder, um menschlichen Blutdurst als unheilbare Sucht zu erklären. Dem Denkansatz fehlt Pietät und Wahrhaftigkeit. Ferrara verrät sich pausenlos durch Eindruck schinden und Wirkung erzielen.
Die untote Philosophiestudentin, die sich bis zur Dissertation durch die Blutkreisläufe von Kommilitonen und Professoren säuft, wirkt zuletzt sogar lächerlich. Und ihr gelegentlich makaberettistischer Leidensweg weniger blut- als bluesrünstig. Immerhin hat Ferrara die Gefahr der Farbe für seine Pseudoparabel erkannt: Statt in Rot alles Blut in Schwarz und allen rosa Kitsch in Grau gemalt. Wenigstens dies beweist jene Zurückhaltung, die er in diesem gequälten Metaphernjammer schmerzlich vermissen läßt. (Rudi John, KURIER)

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ZWEI TAGE IN L.A. (TWO DAYS IN THE VALLEY)

USA 1996, 107 Min
Regie: John Herzfeld, Buch: John Herzfeld, Musik: Anthony Marinelli, Kamera: Oliver Wood, Schnitt: Jim Miller, Wayne Wahrman, Darsteller: Darsteller: Danny Aiello (Dosmo Pizzo), James Spader (Lee Woods), Paul Mazursky (Teddy Peppers), Eric Stoltz (Wes Taylor), Teri Hatcher (Becky Foxx), Jeff Daniels (Alvin Strayer), Marsha Mason (Audrey Hopper), Keith Carradine (Detective Creighton)
Kinostart: 8/8/1997

Man wird kaum behaupten können, daß diese schwarze Komödie mit einigen Thriller-Elementen keine Qualitäten haben. Ganz im Gegenteil: Das Drehbuch setzt bemerkenswert flüssig fast ein Dutzend Figuren à la Altmans "Short Cuts" (fd 30 588) in Beziehung, wobei der erweiterte Wahrscheinlichkeitsrahmen des Komödien-Genres, wo Plausibilität nicht immer zwingend erforderlich ist, weidlich ausgenutzt wird. Die Besetzung der zumeist skurrilen Charaktere beweist Sinn für Fingerspitzengefühl und Mut zum Risiko, und die Kamera spielt unprätentiös, aber wirkungsvoll ihre Möglichkeiten aus, um den extrem gegensätzlichen Stimmungsmomenten visuell zu entsprechen. John Herzfeld hat zudem diese Vorzüge clever zu einem in den Genre-Grenzen funktionierenden, unterhaltsamen Film-Cocktail vermixt. Auch der satirische Blick auf die Bewohner des San Fernando Valley bei Los Angeles, in Reichweite zum großen Ruhm, den vielleicht schon ein dummer Zufall herbeiführen oder wieder zunichte machen kann, mag dabei von Herzfields eigenen Erlebnissen als Darsteller der "zweiten Reihe", Drehbuchautor und Fernsehregisseur inspiriert worden sein.
Die Verwicklungen beginnen im Stil eines düster-makabren Kriminalfilms, wenn der sadistische Killer Lee zusammen mit einem Komplizen, dem Underdog Dosmo, ins Haus eines Mannes eindringt, um seinen Job zu erledigen. Dabei wird zunächst die Ex-Frau des Mannes zwischenzeitlich mittels Injektion außer Gefecht gesetzt - dann geht es dem Opfer nach einer ganz speziellen Prozedur, die Lee überlegen zelebriert (und nach Tarantino-Manier ausgereizt wird), an den Kragen. Anschließend soll auch Dosmo aus dem Verkehr gezogen werden, doch der kann sich im letzten Moment aus der Affäre ziehen. Das ist der zugegebenermaßen recht konventionelle Kern, um den herum irgendwie doch alle weiteren Teilgeschichten kreisen, um sich hier und da zu begegnen oder ganz zusammenzulaufen. Zwei einfache, betont gegensätzliche Streifenpolizisten, die ahnungslos (aber zu ihrer großen Genugtuung) in den Mordfall schlittern, gehören fortan ebenso zum Personeninventar wie ein Filmregisseur, der der Erfolgslosigkeit durch Selbstmord entkommen will, sobald er sein Hündchen in sicherer Verwahrung weiß. Dosmos Flucht in die Villa eines betuchten, von einer Nierenkolik geplagten Kunsthändlers bringt außerdem noch diesen samt Sekretärin ins Spiel. Um sein Abtauchen zu organisieren, nimmt Dosmo die beiden als Geisel, was sich aber als kontraproduktiv erweist. Jedenfalls mischen sich in die kriminalistische Story (die Aktion vom Anfang sorgt noch für einige Überraschungen) zunehmend humorvoll-überdrehte Szenen.
Herzfeld gewinnt dieser Konstruktion reichlich Situationskomik ab. Seine Kunst besteht vor allem darin, den Film weitgehend von schlichter Kalauerei freizuhalten, um stattdessen aus den eher grob skizzierten Figuren (die mehr als Typen funktionieren) und ihren jeweiligen Macken ironisch-witzige Funken zu schlagen. Dabei verschont sein schwarzer Humor weder allgemeinmenschliche Schwächen noch typische Modeerscheinungen, und auch das spezielle "L.A.-Feeling" bekommt sein Fett weg. "Zwei Tage L.A." ist - und darin unterscheidet es sich doch sehr von "Short Cuts" - Unterhaltungskino ohne tiefere hintersinnige Aussagekraft. Da nähert er sich eher einem anderen Film an, mit dem er in Verbindung gebracht wird, nämlich "Pulp Fiction" (fd 31 041). Hier wie dort dienen Figuren und Umstände eben doch "nur" der Konstruktion einer effektvollen Story mit möglichst vielen komischen Momenten und absurden Wendungen. Nichts anderes gibt der Film aber auch vor - und das, was er verspricht, hält er auch durch: über 100 kurzweilige Kinominuten. (Hans Jörg Marsilius, film-dienst)

Neugierde ist wie ein argloses Tier, das begehrlich auf ein Ziel - sagen wir, einen völlig Fremden - zugeht. Jener könnte nun ein Wohltäter sein mit Futternapf. Oder der Schlächter. Preist man eine schwarze Komödie wie diese an, erregt man die Neugier potentieller Zuschauer. Für die einen wird der possenhafte Irrwitz dieses Thrillerpuzzles zur Götterspeise, für den anderen Folter sein. Nicht jeder kann halt über jedes lachen, geschweige alles lustig finden. Genau das aber ist in diesem schweren Fall handfester Schicksalsschlägerei vonnöten.
Lachen ist Pflicht. Egal, ob es sich um Striptease, einen Friedhofsbesuch oder Bauchschuß handelt. Alle verfolgen hier alle bzw. die unterschiedlichsten Absichten bis hin zu Mord und Selbstmord. Dabei werden die betreffenden Klischees verhöhnt und Erwartungen düpiert. Helden verblassen zu naiven Versagern, Vollidioten brillieren auf höchstem Niveau, Kaltblütige verraten Herzenswärme. Ein Regisseur als lebensmüder Muntermacher für eine aufgeweckte Krankenschwester.
Eine Sportkanone erleidet einen Rohrkrepierer. Ein personifizierter Blondinenwitz stirbt an seiner tödlichen Pointe. "Ich bin vielleicht ein Arschloch", sagt ein Händler moderner Kunst. "Aber es war harte Arbeit, eins zu werden!" Allein dieses eine Zitat werden sich viele zuhause einrahmen wollen. Bis die Richtigen ihre Pizzeria eröffnen können, landen hier Lebensreisende aus allen Richtungen im großen Zufallsknotenpunkt, um aus dem bisherigen Gleis zu springen und sich dabei nach Kräften auslachen zu lassen.
Fast erscheint einem diese Perlenreihe absurder Episoden wie eine mutwillige Satire auf Altmans Meisterwerk "Shortcuts". Und selbst das ist ein Kompliment. (Rudi John, KURIER)

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SWINGERS (SWINGERS)

USA 1996, 96 min
Regie: Doug Liman, Buch: Jon Favreau, Musik: Justin Reinhardt, Kamera: Doug Liman, Schnitt: Stephen Mirrione, Darsteller: Jon Favreau (Mike), Vince Vaughn (Trent), Ron Livingston (Rob), Patrick van Horn (Sue), Alex Desert (Charles), Heather Graham (Lorraine)
Kinostart: 8/8/1997

"You're Nobody Til Someboby Loves You" schmalzt Dean Martin während der Credits - und genauso fühlt sich Mike, der seit sechs Monaten nichts von seiner großen Liebe Michelle gehört hat. Mike, der von New York nach Los Angeles gezogen ist, um als Schauspieler Fuß zu fassen, läßt sich nur widerwillig von seinen Freunden trösten. Am liebsten zieht er sich in seine Einsamkeit zurück und weidet sich an seinen Minderwertigkeitsgefühlen. Schließlich überredet ihn Trent zu einem Ausflug nach Las Vegas. Im Kasino lernen sie eine Kellnerin und deren Freundin kennen - aber das Schäferstündchen endet mit einem Desaster, weil Mike wieder einmal zur unpassendsten Zeit das Bedürfnis verspürt, seinen Anrufbeantworter nach einem Lebenszeichen von Michelle abzuhören. Zurück in L.A. eilen sie von einer In-Kneipe zur nächsten, von einer Party zur anderen, immer auf Brautschau. Schließlich gelingt es Mike, die Telefonnummer eines Mädchens zu ergattern. Aber als er mitten in der Nacht den Anrufbeantworter vollspricht, vergrätzt er sie. Als er schon die Hoffnung auf eine neue Bekanntschaft aufgegeben hat, lernt er Lorraine kennen, die die Initiative ergreift und ihn just in dem Moment anruft, als sich Michelle ebenfalls in der Leitung befindet, um ihn ihrer Liebe zu versichern. Nun steht Mike plötzlich vor der ungewohnten Situation, sich zwischen zwei Frauen entscheiden zu müssen...
Der Kinowelt-Verleih bringt zunehmend auch Independent-Produktionen auf den Markt. Diese sind oft "Fingerübungen" junger Regisseure, deren Talent noch nicht ausgereift, aber durchaus schon erkennbar ist. Daß sie dann trotz eigentlich sattsam bekannter Themen, wie das einer "Swinger"-Clique und ihrem spezifisch amerikanischen Lokalkolorit, eine Chance im Kino verdienen, liegt vor allem an ihrem oft erfrischend respektlosen Umgang mit filmischen Formen und Erzählstrukturen und an ihren unverbraucht wirkenden Darstellern.
Auch "Swingers" hat aus seiner (Produktions-)Not eine Tugend gemacht: Das kleine Team, in dem viele Doppelfunktionen übernommen haben, drehte ausschließlich mit der erstmals von Jean-Luc Godard eingesetzten superleichten Handkamera Aaton 35-III. Das gibt dem Film einen fast dokumentarischen Charakter, verwischt die Grenzen zwischen inszenierten und vor Ort eingefangenen Szenen. "Swingers" ist beileibe kein besonders originell entworfenes Stück Kino. Irgendwoher kennt man sie schon, diese Mäner-Cliquen auf der Suche nach dem weiblichen Geschlecht. Und doch leidet man mit dem äußerst sympathischen Hauptdarsteller Jon Favreau, wenn er wieder mal verzweifelt mit dem Anrufbeantworter Zwiesprache hält. Man möchte ihm helfen, die Richtige zu finden. So gesehen hat der Blick auf die "Swinger"-Kultur in Los Angeles und ihre In-Kneipen etwas Allgemeingültiges, auch wenn die Einblicke in den Alltag meist arbeitsloser Jung-Schauspieler etwas Ernüchterndes haben: Zwischen den machohaft zelebrierten Brautschauen trifft man sich zu stillosem Essen in Fast-Food-Kneipen oder hängt zu tumben Eishockey-Videospielen in ebenso stillos eingerichteten Wohnungen herum. Nur die Filmplakate von "Taxi Driver" und "Reservoir Dogs" an der Wand verraten etwas von dem Innenleben der Personen. Doug Liman kann es sich natürlich nicht versagen eine Szene aus Tarantinos Kultfilm zu zitieren, wie auch die Musik plötzlich ein paar Takte aus "Der weiße Hai" anstimmt, als sich Mike einem neuen (weiblichen) Opfer nähert. Nette Insider-Jokes, die genau wie die umgangssprachlichen Redewendungen auf ein Szene-Publikum anspielen. Die Synchronisation wird diesem Männer-Film, in dem Frauen nur an der Bar sitzen oder auf Parties herumstehen und darauf warten, angesprochen zu werden, sicherlich viel von seinem bescheidenen, aber charmanten Reiz nehmen. (Rolf-Rüdiger Hamacher, film-dienst)

Zu sehen ist etwas Alltägliches. Männer, die sich für Frauen zum Trottel machen. Entweder sie haben eine (oder zwei oder drei). Oder sie brauchen eine (oder eine andere). Da gockelt der notorische Aufreißer. Da wittert der typische Abstauber. Da raunzt der ewige Verlierer. Eine hämische Prototypologie der Lustprinzipienreiter, exekutiert an einer Bande arbeitsloser Schauspieler in Hollywood (gibt's davon jede Menge). Die vertreiben sich ihre reichliche Freizeit beim Probehüpfen vor dem Karrieresprung in Bars, In-Kneipen und Discos.
Sammeln dort vorrangig Telefonnummern von Girls und schleppen mit unendlicher Geduld den einen in Selbstmitleid schwimmenden Vollversager mit. Dessen Sex-Appeal kommt gleich nach dem eines Saurierknochens, und zum Leidwesen der anderen scheint der Dillo alle Chancen geradezu vorsätzlich zu vermasseln. Karikaturensammlung junger Männer, wie sie vor allem leiben statt leben. Jon Favreau schuf damit eine köstliche Selbstverarschung, die auch vor edleren Körperteilen nicht haltmacht.
Charmant, selbstironisch und trotz aller Blößen liebenswert. Denn der tragikomische Sinnbilderbogen des verzeihlich Mannsdümmlichen in der westlichen Welt war eigentlich eine Verzweiflungstat des erfolglosen Jungschauspielers. Der konnte das Skript in zwei Wochen heruntertippen, weil er die grausam entlarvende Lächerlichkeit der Dialoge sich und seinen Freunden von den Lippen abschreiben konnte. Heldenhaft widerstand er - der für den Film den antiheldischen Deppen sich selber auf den plumpen Leib schrieb - sogar dem Angebot, seinen autobiografisch und selbstherapeutisch wirksamen Film mit echten Hollywood-Stars zu verfilmen.
Brachte einen Regisseur zweiter Kategorie dazu, mit ihm selbst und seinen ebenso erfolglosen Kollegen zu drehen. Landete damit den Treffer seines Lebens. Seitdem das Trieblustspiel als Sonne des US-Kinosommers strahlte, reißen sich Hollywoods Topagenten um ihn und seine Spießgesellen, weitere Komödien der Art sollen folgen. Allein über die Dummheit der Männer den Frauen gegenüber wären ja noch etliche Fortsetzungen drin. (Rudi John, KURIER)

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VERGESSENE WELT: JURASSIC PARK (THE LOST WORLD: JURASSIC PARK)

USA 1997
Regie: Steven Spielberg, Buch: David Koepp, nach einem Roman von Michael Crichton, Musik: John Williams, Kamera: Janusz Kaminski, Schnitt: Michael Kahn, Darsteller: Jeff Goldblum (Ian Malcolm), Julianne Moore (Sarah Harding), Pete Postlethwaite (Roland Tembo), Arliss Howard (Peter Ludlow), Richard Attenborough (John Hammond), Vince Vaughn (Nick van Owen), Vanessa Lee Chester (Kelly Malcolm)
Kinostart: 8/8/1997

Am Ausgang des 20. Jahrhunderts kehrt Hollywood immer deutlicher wahrnehmbar zu seinen Anfängen zurück. Das Staunen des Publikums über die technischen Möglichkeiten des Mediums scheint die Erinnerung an die wirklich kreativen Aspekte des Filmemachens wieder zu verdrängen. Das Event-Movie amerikanischer Prägung, das die Massen zu Millionen in die Kinos lockt, ist im Grunde nichts anderes als eine Repetition der schon zur Stummfilmzeit produzierten Sensationsfilme - nur diesmal mit ausgereiften Mitteln. Es hat ähnliche Filme immer gegeben, doch zu keiner anderen Periode der Filmgeschichte mit so stark marktbeherrschendem Einfluß. Steven Spielbergs "The Lost World" stellt den bisherigen Höhepunkt dieser Rückentwicklung dar, denn er nimmt sich in weiten Teilen wie ein Remake des 1925 hergestellten Stummfilms gleichen Titels aus. Spielberg beruft sich nicht mehr auf Sir Arthur Conan Doyle, dessen Roman seinerzeit die Vorlage geliefert hatte. Aber er beruft sich auch nicht auf Howard Hawks' "Hatari" (fd 11 694) oder Inoshiro Hondas "Godzilla" (fd 5 160), obwohl deren Ideen in seinem Film ebenfalls eine beherrschende Rolle spielen. Spielberg ist ein glänzender Arrangeur filmischer Tricks und ein geschickter Konstrukteur exakt getimter Spannung. Den Spielberg von "Unheimliche Begegnung der dritten Art" (fd 20 719) und "Der weiße Hai" (fd 19 584), erst recht den Regisseur von "Schindlers Liste" (fd 30 663) sucht man in "The Lost World" allerdings vergeblich. Dies ist - perfekter noch als der erste "Jurassic Park"-Film (fd 30 396) - eine kalkulierte Schaubudenattraktion, eine gruselige Achterbahnfahrt durch minuziös realisierte Urweltabenteuer. Jede hintergründige Dimension wird peinlich vermieden. Wo immer sie sich aufzudrängen droht, läßt Spielberg sie sogleich von plumpen Dinosaurierfüßen zu Tode trampeln.
In "The Lost World" ist Film wieder Kintopp nach dem Filmverständnis unserer Großväter. Man zahlt dafür, den Atem anzuhalten und sein Herz schneller schlagen zu spüren. Verstand und Kunstverständnis mögen getrost zu Hause bleiben. Das Publikum, das zu Abermillionen auch in die Vergnügungsparks von Universal City und Disneyworld drängt, will es so. Und Spielberg ist sein Favorit. "Twister" (fd 32 099) und "Independence Day" (fd 32 118) in allen Ehren - aber es ist Spielberg, der alle paar Jahre wieder der Branche zeigt, was eine Harke ist. Gleich am ersten Wochende harkte "The Lost World" in den USA nahezu 100 Mio Dollar zusammen. Die Menschen kommen, weil es Spielberg ist; denn Spielberg weiß besser als jeder andere, wie man sie nicht enttäuscht. Was schert es die Massen, daß der ungekrönte König des Event-Movies die Bestandteile seiner Filme aus den Annalen der Filmgeschichte aufliest? Was stört es sie, daß seine Helden von Film zu Film immer weniger Profil, immer weniger Hintergrund besitzen? Die Spannung von "The Lost World" hat nichts mehr mit der Sympathie und Anteilnahme zu tun, die das Kinopublikum den Charakteren entgegenbringt. Es ist "Spannung an sich", die Spielberg erzeugt. Ob mit oder ohne Computer, ihre Auslöser sind präzise kalkuliert, gewogen, bemessen und auf die akkurate Länge zusammengestutzt. Es ist ein bravouröses Spiel mit menschlichen Elementarempfindungen, was da vor sich geht. Mit Filmkunst hat es rein gar nichts zu tun.
Die Handlung kann man - wie gesagt - im Grunde unter dem Titel des Stummfilms "The Lost World" in jeder Filmgeschichte nachlesen. Da uns Afrika nicht mehr so fern liegt wie damals, mußte der Ort der Handlung mit einer mysteriösen pazifischen Inselgruppe vertauscht werden. Und da unser aufgeklärtes Zeitalter nach "wissenschaftlichen" Erklärungen verlangt, wird auf die Genmanipulation verwiesen, die schon den Sauriern des ersten "Jurassic Park"-Films zur Existenz verholfen hat. Hier wie dort steht eine Gruppe von Forschern im Mittelpunkt, hier wie dort sind die beiden Hauptfiguren durch Liebesbande verbunden. Aus "Hatari" wird das Motiv der Großwildjagd szenengetreu beigesteuert und damit zur Effektsicherung gleichzeitig eine Nebenhandlung von egoistischen und boshaften Tierfängern eingeführt. So wie zu Stummfilmzeiten ein Dinosaurier aus der Wildnis nach London exportiert wurde und dort Amok lief, so läßt Spielberg schließlich sein dickhäutiges Monster durch die Straßen und Vorgärten von San Diego trampeln. Hätte er einen Sinn für Ironie, so könnte "The Lost World" vielleicht eine zweite, vergnügliche Ebene besitzen. Ansätze dafür sind vorhanden. Doch ähnlich wie Spielberg bereits bei "1941 - Wo bitte geht's nach Hollywood?" (fd 22 415) Komik und Selbstironie im Materialaufwand erstickte, so ergeht es auch den paar (schwerfälligen) Versuchen in "The Lost World". Urwelttiere haben bei Spielberg tierisch ernst zu sein. Er gönnt seinen Helden und seinem Publikum kein Entrinnen. So findet man sich - gewollt oder ungewollt - hineingerissen in den Strudel seiner technsichen Erfindungskraft und seines nahezu pausenlosen Nervenkitzels. Auf diese Ebene reduziert, ist "The Lost World" in der Tat ein Stück harter, verblüffend guter Arbeit. In den vier Jahren seit "Jurassic Park" hat sich die Technik erstaunlich weiter entwickelt, so daß Spielberg es nun zu einer wahren Meisterschaft der Integration von Miniaturmodellen und Computeranimation bringt. Die außerordentliche Geschicklichkeit, mit der sich inzwischen seine Crew der zum Leben erweckten Saurier bemächtigt, ermöglicht ihm viel mehr Interaktion zwischen Menschen und Monstern, deren größte übrigens nicht einmal die furchterregendsten sind.

Etwas hat überlebt: "Jurassic Park", der erfolgreichste Film in der Geschichte diesbezüglicher Statistiken, hat nun eine Fortsetzung gefunden. Wissenschaftler fahren in die "Vergessene Welt" der Dinosaurier und stellen fest, daß der Mensch immer noch das Maß aller Dinge ist.
Dekadenz wird bei Steven Spielberg immer bestraft. Wir erinnern uns an die junge Frau, die in einem der erfolgreichsten Filme aller Zeiten nachts nackt ins Meer ging. Der weiße Hai lehrte sie Mores, allerdings hatte sie nichts mehr davon. Die Familie, die zu Beginn von Vergessene Welt – Jurassic ParkII mit ihrer Jacht an einem idyllischen Eiland anlegt, um ein paar Häppchen zu speisen, eine Flasche Champagner zu entkorken und den Bediensteten ein wenig Auslauf zu gönnen, fällt allerdings einem so namenlosen Grauen anheim, daß sich Spielberg über ihr weiteres Schicksal auffällig ausschweigt.
Man mag das mit den Hollywood-Konventionen abtun, denen zufolge am Anfang eben ein nicht weiter wichtiger Anonymus stirbt. Man kann es aber, mit Blick auf den weiteren Film, auch als erste in einer Reihen von Schlampereien verstehen, die sich Spielberg hier – nach einer neuerlichen Vorlage des zivilisationskritischen Science-Fiction-Romanciers Michael Crichton – leistet.
Die Vorgeschichte ist bekannt: Jurassic Park, die Geschichte eines Gendefekts mit Tyrannosaurierfolgen, spielte in einem Ausmaß Geld ein, daß man als Einzelner ganze Erdzeitalter brauchen würde, um es wieder auszugeben. Da investiert man es besser in eine Fortsetzung, zumal die Computertechnik bei der digitalen Erstellung der Urzeitfauna maßlos viel Zeitaufwand erfordert – Kleinarbeit, die nicht einmal leinwandfüllend ist, denn Vergessene Welt verzichtet auf das mittlerweile klassische Cinema-Scope. Zuviele Zusatz-Pixel wären dazu notwendig.
Die täuschend echte Rekonstruktion einer ganzen Etappe aus dem Überlebenskampf der fittesten Gattungen ist auch hier wieder der Trumpf, den Spielberg detailverliebt ausspielt: Die Zähne des Tyrannosaurus Rex (deutlich größer als ein Handy), der Schweif der großen Pflanzenfresser (deutlich tödlicher als ein Tornado), die Rückenflossen der gemütlicheren Monster (das Ornament der Evolution), die Sprungkraft der kleinen Nervensägensaurier (die Moskitos unter den Echsen).
Bei soviel Realismus in der Abbildung des Phantastischen ließe sich ein bißchen Phantasie in der Abbildung des Tatsächlichen nur zu gut an. Eine interessante Geschichte, vielleicht sogar Figuren mit Charisma könnte man auch von einem Computerspektakel erwarten. Aber Jeff Goldblum und Julianne Moore als wissenschaftliche Expeditionsleiter sind die langweiligsten Abenteurer seit Jason Patric und Sandra Bullock in Speed 2 – Cruise Control. Sie belasten den Film nur mit einer Menge unnötiger Dialoge.
Dazu gibt es das bei Spielberg obligate Kind, dessen Ängste unser aller Urängste sind. Das Kind, ein schwarzes Mädchen mit einem weißen Vater, fährt als blinder Passagier mit auf die Insel der tausend Tode, geht dort aber irgendwo in der subtropischen Flora verloren, denn auf dem Rückweg ist der blinde Passagier ein Ingenieur: Er ist blind für das Desaster, das er mit dem Import der urzeitlichen Gattung in die Moderne der amerikanischen Freizeitgesellschaft anrichtet.
Ein Vergnügungspark in San Diego soll zur neuen Heimat für die Tiere werden, die sich zuvor ihren Garten Eden einträchtig in Reviere aufgeteilt hatten und nur durch den Menschen aus dem ökologischen Gleichgewicht gebracht wurden. Die Subtilität, mit der Spielberg sein Argument zückt, gleicht der eines Sauriers in einer Fußgängerzone.
Alle Bezüge auf alte, aber gute Schocker, die hier die Vorlage liefern (King Kong), bleiben so mechanisch wie das Verhalten der Reptilien, deren aggressives Verhalten den Gesetzen einer müden Action-Dramaturgie gehorcht. Witz, und sei es auch ein postmoderner, ist Spielbergs Sache noch nie gewesen. Aber die sture Ernsthaftigkeit von Vergessene Welt – Jurassic Park II entspringt der beschränkten Phantasie eines Filmemachers, der glaubt, daß man von Wunder (E.T.) bis Genozid (Schindlers Liste) alles abbilden kann, wenn man nur über die richtige Technologie verfügt. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 6/8/1997)

"Vergessene Welt": Steven Spielbergs neue "Jurassic-Park"-Prothese zelebriert leeren Actionismus und gedankenlosen Genre-Diebstahl. Und Hollywood bedankt sich herzlich: 367 Millionen Dollar in zehn Wochen. Eine Analyse zum Österreichstart am Freitag.
Etwas hat überlebt. Die Promotion-Maschine brüllt es in die Welt, über Plakatwände und Kinoleinwand draußen, über Annonce und Televisionsschirm daheim. Der Terror, den der Film vermitteln soll, steckt schon in der Methode seiner Verbreitung. Etwas lebt also: Auf einer einsamen Insel nahe Costa Rica, wo der Jurassic Park mit seinen DNA-rekonstruierten Dinosauriern vor wenigen Jahren scheiterte, hat man die Welt vergessen, was das Leben aber wuchern läßt. Die Saurier sind eben noch am Leben, in Harmonie mit der (menschenleeren) Natur. Aber die Menschen, so die Moral dieser Geschicht', können der Versuchung halt nicht widerstehen: Ein kleines Wissenschaftler-Team soll das ungeheure Leben videographieren, ein deutlich größeres, deutlich geschäftstüchtigeres will gleich einen lebenden Tyrannosaurus Rex nach San Diego abtransportieren, wo Jurassic Park 2 schon wartet.
Naturnahe Skrupel-Wissenschaftler versus berechnende Großstadt-Strategen: Diese schlichte Gut-Böse-Formel war schon in Twister handlungsbestimmend, nun rückt sie, in dieser Form, hautnah an die Stories des alten amerikanischen Horrorkinos heran, an King Kong (1933) etwa, wo haargenau dasselbe - nur besser inszeniert - passiert wie in The Lost World . Auch sonst ist das Produktionsrezept immer noch dasselbe (was sich erst ändern wird, wenn die Nachfrage sinkt): The Lost World , einem Text Michael Crichtons folgend, gehört zu jenen hochbudgetierten programmierten Erfolgen, die das Gros des Geldes in ihren effects lagern, die Schauspieler dafür eher aus dem B-Picture-Bereich rekrutieren. Zur Rezeptanwendung siehe etwa Independence Day, Twister oder eben auch Jurassic Park. Mr. Spielbergs neues weltfernes Saurier-Epos, sehr korrekt The Lost World genannt, legt dementsprechend weniger Wert auf profiliertes Schauspiel: Schnellsprecher Jeff Goldblum ist da schon der Headliner, flankiert von Julianne Moore, Pete Postlethwaite und Arliss Howard, denen man hier jederzeit ansieht, daß The Lost World nicht unbedingt ihr Herzensprojekt ist.
Der Reihe nach: Mit einer kleinen Geschichte aus dem Dschungel, mit einem von Minisauriern bedrohten Kind startet Vergessene Welt. Schnitt: Jeff Goldblum steht düster im Bild, im Hintergrund grellbunte Exotik, die sich als Ferienposter in New Yorks U-Bahn entpuppt. So leicht ist es, ironisch Dinge miteinander zu verbinden, die miteinander nichts zu tun haben. Goldblum, das wissen wir noch aus Teil 1, ist ein Ehrlicher, der einzige weit und breit, denn die Korrupten und die Vertuscher, wie man bald merkt, sind überall. Man zwingt ihn, zurück zur Bestien-Insel zu fahren, wo Girlfriend Moore schon wartet und ihr süßes Adoptivkind als blinder Passagier dabei ist: Familie bedroht, Gefahr im Verzug.
Bald dröhnen schon die Schritte nachts, daß alles leise wackelt: Die Untiere sind auf dem Weg, als wollten sie den papierenen Gags und dem holzgeschnitzten Schauspiel entgegentreten. Und die böse Crew ist auch schon da, um Geld an der Natur zu verdienen und leere Spektakel auszustellen, gerade so wie auch Regisseur Steven Spielberg, der - ein Demiurg des Kapitals - über all den Lärm und all die Bilder aus Hollywoods Schwarzem Loch wacht.
Ein erster, mechanisch korrekt inszenierter cliffhanger mit Saurierattacke und Bus am Abgrund folgt. The Lost World läßt sich am besten über seine strukturelle Monotonie beschreiben, über den Effekt des erzählerischen Zerfalls in eine Serie konventioneller Spannungsszenen mit buchstäblich nichts dazwischen. Die Anpassung an einen Markt, der neben Independence Day und Con Air nichts mehr gelten läßt, ist Spielberg definitiv anzusehen.
Schließlich fällt auch der Sadismus auf an diesem Film, die Lust am Zuschauen beim Menschenzerreißen oder auch dabei, wie das Dschungelwasser nach einer blutigen Tötung ansprechend errötet. Neben semi-imaginativen Ermordungspraktiken hat Spielberg aber nichts zu bieten: Lost World bleibt haarsträubend ideenlos, einem Regisseur folgend, der die Risse und Sprünge in der Erzählung längst schon nicht mehr kitten kann. Remix-Kino ohne Maß, Ziel, Form und Stil.
Einmal tritt jemand in diesem Film in einen Raum, in dem uralte, verrostete Werbetafeln lehnen: Undeutlich ist auf ihnen das Jurassic-Park- Logo von 1993 zu erkennen. So schnell geht das in Hollywood: Vier Jahre danach blickt man zurück auf die eigene Arbeit wie auf ein Relikt aus dem Neolithikum. Man darf sich freuen auf die Zeit, in der The Lost World dann als das allerletzte, frühvergreiste Ding von vorgestern angesehen wird.
Wie in Speed 2 kollidiert im Finale dann noch ein Schiff mit dem Festland, nach einem Massaker, das der gefangene Saurier an der Mannschaft angerichtet hat. "Where's the crew?", fragt einer, das Schiff betretend. "All over the place", sagt ein anderer. Lustig, aktionsreich, katastrophal: The Lost World bietet eben für fast jeden etwas. Dann läuft die Bestie noch einmal Amok in San Diego wie weiland Japans Godzilla oder eben König Kong: Es pflückt sich eine Ampel, erschreckt ein Kind im Bett, killt, was in die Quere kommt (und nicht klein & herzig aussieht). Etwas hat überlebt. Die Kunst ist es nicht. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 7/8/1997)

Sie werden's nie lernen, die professionellen Naserümpfer, die sich für Kritiker halten. Suchen auch hier den künstlerischen Anspruch. Übersehen, daß in diesem Fall - wenn schon Kunst - dieselbe vor allem darin liegt, lückenlos in Atem zu halten. Und in unglaublichen Spezialeffekten. Wer sich Spielbergs Fortsetzung von "Jurassic Park" nicht mit Abenteuerlust und Spieltrieb eines Kindes nähert, mit bedingungsloser Bereitschaft zum Staunen, Verwundern, Fürchten... ...der hat nichts anderes als Frust verdient. Wer sich einfach nur eintauchen läßt in diesen Dschungel aus dressiertem High-Tech und Schaubudenhorror, kommt voll auf seine Kosten. Spielberg kennt offenbar menschliche Instinkte, die sich Verhaltensforscher nicht träumen lassen. Und er lockt sie heraus mit fetten Ködern, spielt mit ihnen wie Klein Oskar am Gameboy. Wenn auf der Zeltwand im Unterschlupf des Expeditionsteams die bisher nur vage bedrohlichen Schatten der Monster scharf ziehen. Wenn man in ihren cinemaskopisch gebleckten Dolchzähnen fast schon die Karies erkennen kann. Wenn Menschen wie du und ich als Gabelbissen häppchenweise zwischen den gewaltigen Kiefern der wutentbrannten Saurier verschwinden... ...dann ist die große Zeit der Lust an Angst und Schrecken gekommen. Dann fährt jedes heisere Brüllen der Killerviecher schrecklich schön durch Mark und Bein. Dann ist Spielberg-Time. Seinen Unsinn über wiederbelebte Dinosaurier, das öde Duell zwischen Idealisten (welche die Dinos beschützen) und Jägern (die sie er- und ausbeuten wollen). All das fällt nur auf, wenn man sich mit Gewalt aus dem kindlichen Gefühlsmix heraushält, mit dem einen Spielberg überrumpelt. (Rudi John, KURIER)

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