A 1997, 103 Min.
Regie: Michael Haneke,
Buch: Michael Haneke,
Kamera: Jürgen Jürges,
Schnitt: Andreas Prochaska,
Darsteller: Susanne Lothar (Anna), Ulrich Mühe (Georg), Arno Frisch (Paul), Frank Giering (Peter), Stefan Clapczynski (Schorschi)
Kinostart: 12/9/1997
Das Kino des österreichischen Regisseurs Michael Haneke kennt keine "Zuschauer". Der Schock, der einem angesichts der radikalen Zuspitzung von Filmen wie "Der siebente Kontinent" (fd 31 936) oder "Benny`s Video" (fd 30 298) in die Glieder fährt, zwingt den Betrachter unweigerlich zur Stellungnahme, verwandelt ihn, ob er will oder nicht, vom passiven Rezipienten in einen, der sich gezwungenermaßen mit den provokativen Bildern herumschlagen muß. Neben Bewunderung und kritischer Beschäftigung hat diese Verstörung, die Hanekes Filmen regelmäßig folgt, ihm aber auch manche Anfeindung eingebracht, wie sie beispielsweise in den Kontroversen nach der Cannes-Premiere seines neuesten Films ihren Niederschlag gefunden haben: Während viele mit den Tabubrüchen seiner Dekonstruktion des Thriller-Genres zu kämpfen hatten und nicht recht wußten, wohin mit der Ahnung, als Voyeur der Gewalt entlarvt worden zu sein, verweigerten sich andere kategorisch der Auseinandersetzung, indem sie auf die schlichte Versuchsanordnung hinwiesen oder sich den moralisch-pädagogischen Impetus grundsätzlich verbaten.
In der Tat ist das kammerspielartige Drama schwer zu ertragen, obwohl bereits der Vorspann in aller Deutlichkeit ankündigt, welches Ende die Handlung nehmen wird. Auf der Fahrt zu ihrem Ferienhaus am See vertreiben sich Anna, Georg und ihr kleiner Sohn Schorschi die Zeit, indem sie Werke und Komponisten klassischer Musik erraten, die aus den Autolautsprechern tönt. Eine friedliche, gelöste Szenerie, bis plötzlich ohrenbetäubendes Heavy-Metal-Dröhnen losbricht und sich der Filmtitel in schweren, blutroten Lettern leinwandfüllend über die Einstellung legt. Um welche Art von Spielen es sich dabei handelt, bleibt zunächst offen. Vater und Sohn lassen das Segelboot zu Wasser, Anna bereitet das Abendbrot vor. Als Peter, ein jugendlicher Gast der Nachbarn, in ihrer Tür steht und um ein paar Eier bittet, macht sich Anna keine Gedanken. Unsicherheit streift sie erst, als er kurz darauf wieder aufkreuzt und höflich, aber bestimmt, neue Eier verlangt, weil ihm die ersten aus der Hand gefallen seien. In den devot-trotzigen Worten des Unbekannten schwingt Gefahr mit. Ein zweiter Fremder erscheint, Paul, der - ebenfalls in wohlgesetzten Worten - offen zum Machtkampf übergeht. Georg, inzwischen von Anna gerufen, soll einen Ball vom Boden aufheben. Als er sich weigert, saust ein schwerer Golfschläger auf sein Schienbein herab: Terror total. Die beiden Eindringlinge, die auf nichts anderes als sadistische Quälereien aus zu sein scheinen, schlagen eine makabre Wette vor: Binnen zwölf Stunden hätten sich die drei Familienmitglieder befreit oder seien alle tot. Wie ernst es ihnen damit ist, ahnt der Zuschauer, als dem Jungen die Flucht gelingt und er bei den Nachbarn Hilfe holen will. Lange ehe Schorschi einen lebenlosen Kinderfuß durch einen Türspalt entdeckt, weiß man, daß im Haus nebenan niemand mehr am Leben ist. Trotzdem gefriert das Blut in den Adern, als das ganz in Weiß gekleidete Duo den gescheiterten Ausbruch bestraft und ein Schuß durch das Anwesen halt: Auf dem Fernsehschirm kleben die blutigen Überreste des Kindes.
"Ich versuche Wege zu finden, um Gewalt als das darzustellen, was sie immer ist, als nicht konsumierbar. Ich gebe der Gewalt zurück, was sie ist: Schmerz, eine Verletzung anderer", umschreibt Haneke im Presseheft seine Absichten. Auf den Schock folgt eine lastende, minutenlange Stille, eingefangen in einer einzigen Totalen, in der Ulrich Mühe nach unerträglichem Schweigen in markerschütterndes Schluchzen ausbricht und Susanne Lothar sich zum Fernseher schleift, um die Übertragung eines Autorennens abzuschalten. Die grenzenlose Ohnmacht der Gefesselten hallt im Betrachter wider, der nicht zum ersten Mal in diesem Film seine Wut nur schwer kontrollieren kann und am liebsten auf der Leinwand eingreifen möchte. So sehr drängt sich das auf wenige elementare Situationen und Gefühle reduzierte Geschehen auf, daß mancher während des Münchner Filmfestes die Pressevorführung verließ und sich dem Grauen entzog. In diesem Augenblick aber, wenn man sich gegen die Gewalt des Films innerlich zur Wehr setzt, hebt Hanekes eigentliches Attentat auf unsere Sehgewohnheiten an: auf die Frage nämlich, warum man die beiden Erwachsenen nicht gleich über die Klinge springen lasse, wendet sich der Wortführer direkt ans Publikum und erinnert daran, daß noch keine Spielfilmlänge erreicht sei und die Zuschauer außerdem ein Recht auf eine plausible und stringente Story hätten. Schon zuvor hatten gelegentliche Blicke oder ein Augenblinzeln dunkel angedeutet, daß auch die im Kinosaal diesmal nicht ungeschoren davonkommen, sondern eine aktive, in gewissem Sinne sogar interaktive Rolle spielen: als Komplize der Täter und heimlicher Auftraggeber dieser gnadenlosen Quälerei. Wenig später, wenn auch Anna zuerst die Flucht gelungen, dann aber ebenfalls wieder eingefangenen worden ist, treibt Haneke sein luzides Spiel mit dem "Zuschauer" auf den Gipfel: Mitten im Film wird die Handlung zurückgespult, weil Anna eine Waffe in die Hand bekam und einen der Mörder erschoß. Diese dramaturgische Entlastung aber, die jeden Thriller konstituiert und "als kontrollierte Beschwörung des Bösen die Hoffnung auf seine Kontrollierbarkeit in der Realität erlaubt", verweigert Haneke, weshalb der Film im zweiten Anlauf ungestört seinem tödlichen Ende entgegen strebt.
Das Resultat dieser erschütternden Medienreflxion ist weniger die Anatomie eines Genres, dessen Konstruktionsprinzipien detailreich offengelegt werden, als vielmehr eine ernüchternde, irritierende Erkenntnis: Die der moralischen Mittäterschaft des "Zuschauers", der mit verborgener Lust durch die Schauer der Thrills geführt werden will und all die Grausamkeiten "verlangt", um mit dem Sieg über das "Böse" am Ende doch ein Gefühl von Sicherheit und Selbstrechtfertigung genießen zu können. Aus diesem Grund ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß sich Haneke keine Sekunde um eine psychologische oder soziologische Erklärung des mörderischen Handelns interessiert, sondern den beiden beliebig variierbare Sätze in den Mund legt. Die Mordbuben bleiben erkennbar synthetische Figuren, die Opfer gequälte, über jedes Maß des Erträglichen hinaus malträtierte Leidensgestalten; suspekt und in tieferen Sinne sich fraglich aber wird, vor dessen Auge sich das makabre Spiel entfaltet hat. Wer dies als ästhetischen Moralismus oder menschenunwürdige Schlachterei abtut, muß sich des Verdachts erwehren, die Brisanz der Fragen, die Haneke in diesem grausamen Spiel anschneidet, nicht ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen. (Josef Lederle, film-dienst)
Der entscheidende Satz zu "Funny Games" kommt vom Regisseur: Ich versuche Wege zu finden, um Gewalt als das darzustellen, was sie immer ist, als nicht konsumierbar. Ich gebe der Gewalt zurück, was sie ist: Schmerz, eine Verletzung anderer."
"Funny Games" ist ein unerträglicher Alptraum. Deshalb müßte man allen Horror- und Gewaltfans zumindest eine Sichtung des Film verschreiben - ohne Chance zur Flucht. Ein Familie fährt in Urlaub, alles ganz normal, außer daß ihr Urlaubshäuschen anderswo als üppige Villa durchgehen würde. In den Alltag mit nervigen Details und Routinen brechen zwei klebrig freundliche Jungens mit weißen Handschuhen (a la "Clockwork Orange"?) ein, die irgendwann den Spaß an der latenten Gewalt verlieren und die Familie in ihrem eigenen Ferienhaus kidnappen. Sie kann noch bis zum Morgen überleben - wenn sie sich gut benimmt.
Die Bestandteile des Thrillers - Messer, Golfschläger, Handy, Beil, abgeschlossener Raum - sind deutlich im Bild. Doch mit der Form des Genres unterläuft "Funny Games" dessen simplifizierende Mechanismen. Die sadistischen und sarkastischen Drecksschweine Peter und Paul (oder wie auch immer sie heißen mögen) wenden sich direkt ans Publikum: "Sie sind doch auf ihrer Seite?" und "Ist es schon genug? Wir sind noch unter Spielfilmlänge. Sie wollen doch ein richtiges Ende mit plausibler Entwicklung?" Michael Hanekes schockierende "Funny Games" sind nicht unerträglich spannend. Das träfe auf den üblichen Thriller zu. Sie sind spannend, unerträglich und gnadenlos. Nach dem Tod der Jungen läßt Haneke das schreiende Grauen minutenlang im Bild stehen. Hilflos müssen Eltern und Publikum den Tod des Sohnes vor ihren Augen ertragen. Eine Chance auf Rettung spult Paul mit einer herumliegenden Fernbedienung für den Videorecorder wieder zurück. Die Frage "Warum tut ihr das?" wird mit den üblichen soziologischen Klischees verhöhnt und bleibt im ganzen Film unbeantwortet. Hinzu kommt eine gnadenlose Musik von John Zorn und Bone Head.
Cineastisch bietet der Horror, den mehrere österreichische Urlaubsfamilien nicht überleben, wenig. Doch das hochintensive Spiel von Susanne Lothar und Ulrich Mühe als Eltern bereitete das intensivste Filmerlebnis im Wettbewerb von Cannes 1997. Eine kluge, unerträgliche und rettungslose Gewaltdemonstration mit ungewöhnlichen Mitteln. Regisseur und Hauptdarsteller bilden ein eingespieltes Team: Zuletzt versuchten sie gemeinsam, "Das Schloß" von Kafka zu erreichen, mit dem mörderischen "Benny's Video" mußte sich Mühe als Vater des moralisch haltlosen Benny auseinandersetzen.
Aufwühlen und die Gewalt in den Medien thematisieren konnte der Österreichers Michael Haneke schon mit Meisterwerken wie "Der siebente Kontinent" (1988), "Benny's Video" (1991) und "71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls" (1993). Neben dieser Trilogie drehte er auch die Literaturverfilmungen "Die Rebellion" (1992, nach Joseph Roth) und "Das Schloß" (1997, nach Kafka). (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)
Gewalttätig gegen Gewalt: Michael Hanekes Skandalfilm "Funny Games"
Es ist Frieden. Auf dem Betonband der Autobahn rollt ein panzergroßer Jeep, im Schlepp ein himmelblaues Segelboot. Die bürgerliche Familie reist in die Sommerfrische, an einen sterbenslangweiligen See. Roll-out des oberen Mittelstandes, der sich die Strapazen erst einreden muß, von denen er dann Urlaub macht. Kühl sind die Enddreißiger mit dem unkindlichen Kind, und langsam kommt die ewige Jugend in die Jahre. Knapp grüßt man die Nachbarn; sie haben netten Besuch, zwei Wohlstandsflegel, wie sie in den Countryclubs dieser Welt aus- und abhängen, wenn Papi die Goldcard lockert.
Dann ist es wie immer. Die einsame Frau steht in der Küche, der einsame Mann setzt die Segel. Plötzlich, hinter dem weißen Fliegengitter, die freundlichen Fremden mit weißen Handschuhen. Fortan ist Krieg und das Idyll, das nie eines war, dem Tod geweiht. Wenn der Film endet, sind Vater, Mutter und Sohn nicht mehr am Leben, exekutiert von den höflichen Fremden, gefoltert an Leib und Seele, getötet mit experimenteller Bestialität und sachlicher Lust. Die Opfer hatten, funny games, nicht die geringste Chance. Nach vollbrachter Tat ziehen die kultivierten Mörder weiter und bitten eine andere Familie um eine kleine Gabe. Denn die Gewalt ist unter den Menschen, und sie bleibt es auch. Keine Macht der Welt hält sie auf. Nichts wird wieder gut.
Michael Hanekes ungeheurer Film über den sadistischen Voyeurismus zweier Jugendlicher hat bei den Filmfestspielen in Cannes den Skandal entfacht, der er ist (siehe ZEIT Nr. 22/1997 und ZEITmagazin Nr. 37/1997). Möglich, daß Zeitgenossen ihr Ressentiment nachladen und ein staatserhaltendes Verbot in Anschlag bringen. Es wäre ein Vorwand. Nichts, kein Indiz beweist die visuelle Komplizenschaft mit dem Faschismus der Mörder; Haneke, der rigorose Moralist, quält den Zuschauer nicht mit der Effektgewalt des Fernsehens, sondern mit der Imagination des Bösen. Er nimmt, wenn sich die Kamera in die Gesichter der Geschlagenen versenkt, den ohnmächtigen Zuschauer als Geisel, damit dessen voyeuristischer Blick schuldig wird - so lange, bis das Kino von ihm abläßt.
Worin besteht die Provokation dieses Films, der physische Widerstände auslöst wie momentan kein zweiter? Nicht allein die Hinrichtung einer Familie ist unerträglich, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der sie geschieht. Haneke zeigt Gewalt sans phrase, ohne Motiv, ohne Anlaß, ohne Erklärung: als Akt absoluter Freiheit. Peter und Paul, die adretten, gebildeten, wohlerzogenen Bürgerskinder (Frank Giering und Arno Frisch), schlagen, weil sie schlagen, und sie töten, weil sie töten. Das Entsetzliche an ihrem Exzeß ist die Kausalität in sich selbst. Ich morde, also bin ich. Der sadistische Voyeur schlägt die Zeit mit einem Mord tot, bis Ruhe herrscht in den funny games seiner Tage.
Wo es keine Wahrheiten mehr gibt, gilt die Wette. Anna (Susanne Lothar) und Georg (Ulrich Mühe) wetten auf der Fahrt; und die Mörder, im Mund die verdrehten Sätze Pascals, wetten auch, aber nicht auf die Existenz Gottes, sondern auf den Teufel und die eigene Allmacht, also auf sich selbst. "Wollen wir wetten, daß ihr morgen früh um neun alle kaputt seid?" Plaudernd zertrümmert Paul dem windelweichen, blassen und feigen Familienvater mit einem Golfschläger das Knie. Kein Flehen erreicht die Täter; ständig verspotten sie die alte Hoffnung, das Gesicht und der Blick eines Menschen seien die definitive Grenze der Freiheit, eine unvordenkliche Hemmung, sich gegenseitig ans Messer zu liefern. Mit unfaßbarer Perfidie zwingen die Fremden Anna zu einem Kindergebet an ihren persönlichen Gott, damit sie die Todesart "frei" wählen kann, die Steigerung ihrer Qual. Versessen sind die Mörder dabei nur auf das richtige Timing; nichts hindert die reine Vernunft am Totschlag. "Warum tun wir das? Ja warum?"
"Warum?" Der österreichische Regisseur Michael Haneke ist kein denkfauler Ontologe, der sich mit der kläglichen Zeitgeistweisheit vergnügt, das Böse sei immerdar und ewig. Er legt eine ganz andere Fährte, und vielleicht verbirgt sich in den unmenschlichen Dialogen das gut gehütete Geheimnis des Films und das Fundament seiner Gewalt. Mit unglaublicher Suggestion zerrt Haneke das Publikum in eine semiotische Hölle, die Gut und Böse, Tod und Leben, Sprechen und Handeln pervertiert. Am Anfang bitten die mit göttlicher Allmacht experimentierenden Teufel um eine Gabe, und aus der einen Gabe leiten sie das Recht auf eine andere ab, doch als sie nicht bekommen, worauf sie kein Recht haben, nehmen sie Rache und richten zu Tode. Dabei bieten die Mörder, und das ist das eigentlich Quälende des Films, alle Kasuistik auf, um die Schuld der Schuldlosen zu beweisen. Sie argumentieren moralisch. Wörter geben Wörter, und unversehens produzieren die Angeklagten in ihrer Verzweiflung die "Schuld", für die sie dann erniedrigt, geschlagen und getötet werden. Und nur die Scham soll sie überleben.
Doch erst dann, wenn der Schock des Endes auch den Anfang schwärzt, sieht man, daß die Gewalt nicht einfach hereinbricht und die Menschen verhext. "Funny Games" ist kein Thriller, kein "Kap der Angst", wo das Außeralltägliche jäh eine Idylle zerstört oder einen irdischen Frieden in Stücke reißt. Längst ist die Gewalt in der Schwebe; sie kommt aus dem Hellen, übergangslos, mit beiläufiger Ruhe, und sie wird körperlich, wenn der Fremde die Küche zum zweiten Mal betritt und das Mobiltelephon linkisch ins Spülbecken rutschen läßt. Von Anfang an ist "Funny Games" von dämonischer Transparenz, als niste das Unheilsgeschehen schon lange im Alltag der Menschen, in den Routinen des Paares, ihrem unhörbaren Mißverstehen und mechanischen Sprechen. Traumlos sind die modernen Subjekte, die nichts mehr erwarten und nichts mehr fürchten; eingeschlossen im Auto, eingeschlossen im Ferienknast, ausgeschlossen von sich selbst. Und wie die Nachbarn unter Todesangst miteinander sprechen, wie unter einem Bann: in nichts unterscheidet es sich vom Alltag der gewöhnlichen, müden und undurchsichtigen Existenz, von wenig berührt, von wenig bewegt. Später schwört das halb totgeschlagene Paar ewige Liebe, aber wenn der Mann und die Frau nicht längst von der Entfremdung ereilt worden wären, dann hätten sie die Fremden zum Teufel gejagt.
Unheimlich ist, daß die Gewalt nicht aus der Fremde kommt, sondern aus dem Innersten der Sachlichkeit. "Funny Games" sagt es ganz einfach: Dem Mord ging der Tod der Imagination voraus, das Absterben humaner Phantasie im Gedächtnis der Sprache, ein tödlicher Prozeß in den Tiefenschichten von Mit-Leidenschaft und Emotion. Die Täter sind eloquent, aber von faschistoider Neutralität; die Teilnahmsferne haust im Kapitalismus ihrer Sätze, in der sich Sinn und Zeichen vertauschen, weil Wörter mal nichts, mal alles bedeuten, mal Hölle, mal Auferstehung. Dann ist der babylonische Mörder, der mit dem eigenen Namen spielt, in seinen Worten dem Opfer gnädig, edel und hilfreich und gut, um sofort barbarisch zuzuschlagen, bis sich seine Wette erfüllt.
"Ein Loch ist im Zaun", heißt es immer wieder; ein Riß ist in der modernen Welt, in den Weisen ihrer Wahrnehmung und den Geheimnissen ihrer Kommunikation - ein "Riß", durch den die Gewalt eindringt, das Böse in Gestalt einer unbegreiflichen Entwertung des moralischen Bewußtseins. Doch Hanekes musikalische Konfrontation - Mozart gegen John Zorn, die humane Welt des alten Europa gegen die fragmentierte Moderne - führt auf die falsche Spur, und ebenso die metaphysische Spekulation über das Schweigen der Räume und die Ortlosigkeit der Vernunft, wenn es zwischen Himmel und Erde keine göttliche Verbindung gibt.
Weitreichender ist seine Medienkritik. Wie in seinem Meisterwerk "Benny's Video" zeigt Haneke mit entsetzlicher Genauigkeit, daß eine mediale Pseudowelt Menschen zu manipulierbaren Sachverhalten macht und die Erfahrung des Anderen zerstört. Dem Medientypen wird der leibhaftig Andere zu einem flüchtigen Objekt, und umgekehrt erkennt ihn niemand, kein fremder Blick, als reale Person. Wer keinem Du begegnet, der virtualisiert das eigene Ich - und am Ende sein Gewissen. Die Stimme des Anderen verstummt; das mediale Subjekt kennt alles, nur keine Empathie, kein Leiden. Weil nicht die Blicke der Eltern, sondern die kalten Augen der Bildschirme auf ihm ruhen, wird Benny zu einem sadistischen Voyeur, der, wenn er in seiner höllisch unwirklichen Kinderstube mit dem Bolzenschußgerät seine Freundin erschießt wie der Bauer das Schwein, bloß Effekte studiert, als zappe er durch seine sekundäre Welt.
"Funny Games". Auch diesmal siegt der sadistische Voyeurismus als größter Triumph einer dehumanisierten, vom "Du" gereinigten Phantasie, und auch ihr liquidatorisches Verlangen besteht darin, alles widerständig Lebendige, alles Nichtmediale zu vernichten, damit die tödliche Leere der virtuellen Welt ins Soziale expandieren kann. Der heilige Fernseher läuft und läuft, und unablässig zeigt er Autorennen als Massenreligion.
Weil "Funny Games" aber Teil der obszönen Welt der Medien bleibt, ist der Film gewalttätig gegen Gewalt. Er bricht, um nicht mit visueller Pornographie verwechselt zu werden, die eigene Medialität, und dann wendet sich der mörderische Paul an den Kinozuschauer und bittet mit sardonischer Geste, beim Todesspiel mitzuwetten. Und doch ist es der Regisseur, der in diesem Augenblick die Kamera mit aller Gewalt ins Publikum dreht, um ihm die Leiden der Opfer ins Gewissen zu schreien, ganz so, als sei die Kamera in der schrecklichsten aller Welten, in der es weder Sühne noch Erlösung gibt, ein göttliches Auge, der absolute Blick der Gerechtigkeit. Vielleicht. Und vielleicht ist es nur die Angst des Kinos, daß auch eine Ästhetik des Grauens immer noch eines ist: ästhetisch.(Thomas Assheuer, DIE ZEIT 12.09.1997 Nr.38)
Ein Spiel bleibt immer ein Spiel.und selbst wenn der österreichische Filmregisseur Michael Haneke die "Funny Games" zweier jugendlicher Sadisten mit selbstreflexiven Kommentaren begleitet, gelingt ihm nicht mehr als ein weiterer, "gutgemachter" grausamer Thriller, der sich vortrefflich vermarkten läßt.
Ein Jutesack über einem Kinderkopf: Funny Games. Ein Alptraum. Selten wurde ein heimischer Spielfilm mit einem so böse verlockenden Plakat beworben: Wenn alles gutgeht, müßten die heimischen Thriller-Freunde die Kinos stürmen. Ein bürgerliches Urlaubsdomizil wird zur Spielwiese folternder Eindringlinge. Warum hat der Hund dort drüben hinter dem Haus plötzlich so schmerzvoll aufgejault? Mit solchem Suspense macht man im Genrekino seit Jahrzehnten große Kasse.
Aber nein. Ein gewalttätiger Thriller – das war es eigentlich überhaupt nicht, was den österreichischen Regisseur und Autor Michael Haneke interessiert hat. Gewalt, wie sie seiner Ansicht nach im Mainstream-Film gemeinhin salonfähig gemacht wird, findet er "gefährlich": Wenn er den gemeinen Kinogeher mit üblichen Wendungen und Werbungen in den Saal lockt, dann will er ihn sehr bald darauf hinweisen, daß das Publikum "mitspielt" beim Massenverkauf leichtfertiger Laufbilder.
"Wir sind jetzt eigentlich noch nicht auf Spielfilmlänge", wird einer der Totschläger (Arno Frisch) irgendwann einmal direkt in den Zuschauerraum hinein sagen: Ihr da unten habt also sicher noch nicht genug. Vielleicht wollt Ihr auch noch psychologische Erklärungen? Egal: Irgendwann wird der junge Mann den Film selbst sogar per Rücklauftaste manipulieren, um die "lustigen Spiele" zu einem für ihn erfolgreichen Ende bringen zu können: Mit derartigen Verfremdungseffekten glaubt Haneke aus der Partie, auf die er sich erstmals voll und ganz eingelassen hat, aussteigen zu können. Hier, liebe Leute, endet der Spaß und beginnt das große Lernen. Er irrt gewaltig.
Es bedarf vermutlich keiner großen Theorien mehr, um zu beweisen, daß eigentlich jeder Film, der sich erfolgreich innerhalb eines Genres bewegen will, dessen (Spiel-)Regeln zugleich erfüllt und unterwandert: Wenn etwa David Fincher zuletzt in Seven die Logik eines Serienmörders bis zu einem verheerenden Ende fortspann und dieser gleichzeitig die Ideale verschrobener Polizisten tragisch entgegenstellte, gegen alle Hoffnungen des Publikums, dann trug genau diese Konsequenz vehement zum Erfolg des Films bei – ohne im übrigen das sogenannte "Böse" zu glorifizieren. Und wenn William Wyler in An einem Tag wie jeder andere sehr ambivalent bürgerliche Selbstverteidigung gegen die Versteckspiele von Aussenseitern stellte, gewährleistete gerade die Sympathie des Publikums für den Gangsterboß Humphrey Bogart eine ambivalente Spannung.
Es ist unwahrscheinlich, daß Haneke solche Filme jemals gesehen hat. Für ihn sind Genrefilme bloße Mechanismen, denen man am ehesten mit einer Reduktion auf Schaltpläne und gleichzeitiger Ausstellung von eingespielten Tabuzonen beikommt. Hunde und Kinder zu schonen kommt für ihn nicht in Frage – was so mancher Trash-Fan vermutlich sogar begrüßen wird.
Haneke hat recht, wenn er manche Verherrlichungen von Gewalt eng mit der gegenwärtigen Praxis der Massenmedien zusammendenkt – aber sein polemischer Ingrimm, mit dem er Grausamkeiten noch zuspitzt, beliefert letztlich nur einen Markt, der tatsächlich immer härteren "Stoff" sucht. Ein bißchen erinnern die Kontroversen rund um Funny Games an die Natural Born Killers von Oliver Stone. Auch dort gab jemand vor, mediale Gewalt zu dekonstruieren. Auch das wurde letztlich nur modisch begrüßt – für schwere Denke bei kulturpessimistischen Selbstgeißlern bzw. als Schauwert für MTV-Freunde.
Es geht aber schon verrückt zu im österreichischen Kino: Gerade in einem Jahr, in dem oft eine Verstärkung der sogenannten wirtschaftlichen Filmförderung gefordert wird, beweist eines der wenigen künstlerischen Aushängeschilder des Landes, daß sich konsequente Arbeit an kinematographischer Vision, so abstrus die auch immer sein mag, lohnt. Nach der Einladung in den Wettbewerb von Cannes wurde Funny Games in über 20 Länder verkauft. Kurzfristig wurde vom US-Produzenten Miramax sogar erwogen, Rechte für ein Remake zu erwerben: Das fährt!
Und bereits während der Filmfestspiele am Lido zeichnete sich ab, daß Funny Games für die internationale Kritik zu einem der meistdiskutierten Kinoereignisse dieses Jahres werden würde. Haneke, der sich zuletzt schon mit Der siebente Kontinent, Bennys Video und 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls als Porträtist "emotionaler Vergletscherung" versuchte, scheint jetzt endgültig als Filmautor von internationaler Bedeutung etabliert. Die Härte von Funny Games kommt offenkundig einem allgemeinen Bedürfnis nach "Extremen", das nicht nur auf das Autorenkino beschränkt ist, entgegen. Es fragt sich, ob Haneke damit den für ihn so bösen Industrie-Filmemachern nicht näher kommt, als ihm lieb ist. (Claus Philipp, DER STANDARD, 12/9/1997)
Ihr Film ist in gewisser Weise dafür gemacht, nicht angesehen zu werden: Immer wieder wird Funny Games durch direkte Anreden der sadistischen Folterer an das Publikum unterbrochen, in denen jene, die "immer noch nicht genug" haben, verhöhnt werden. Ein verantwortungsvoller Zuschauer müßte, wenn es nach Ihnen ginge, wohl spätestens an diesen Stellen das Kino verlassen?
Haneke: Richtig! Der Film versucht einen Balanceakt, indem er – im Gegensatz zu meinen früheren Arbeiten, die das Phänomen der medialen Gewalt von aussen betrachten – im Genre des Thrillers drinnenbleibt. Ich versuche so, dem Betrachter mehr Kenntnisse über seine eigene Position in dem Spiel zu vermitteln. Und wenn es jetzt mehrere solcher Filme gäbe, wäre ein allgemeines Fernbleiben die logische Konsequenz. Da dieser Film aber eine kleine, sehr radikale Minderheit darstellt, ist der Vorschlag, sich selbst abzuschaffen, wohl Teil einer allgemeinen Polemik gegen das herrschende Mainstream-Kino.
Der Witz beim Thriller ist, daß der Zuschauer bereit ist, sich wirklich alles anzusehen, wenn er nur nachher beruhigt aus dem Kino gehen darf. Im Actionfilm wird das Entsetzen ja durch Ästhetik und Humor immer wieder entschärft. Und das findet halt bei mir nicht statt.
Im diesjährigen Wettbewerb von Cannes, in dem Ihr Film so viel Aufsehen erregte, tauchte das Thema "Medien und Gewalt" immer wieder auf. Wim Wenders etwa hoffte inständig auf ein Ende der Gewalt.
Haneke: Es ist wohl normal, wenn das Mainstream-Kino sich zu 90 Prozent mit Gewalt schmückt, daß Leute, die Kino als Kunstform sehen, sich auch mit dem Thema und seiner medialen Realisation befassen.
Wie würden Sie Gewalt definieren?
Haneke: Für mich ist es ausgeübte Macht gegen den Willen anderer. Das erleben wir ja alle täglich, und diese permanente Präsenz der Gewalt führt zu Abstumpfung. Wenn man mir unterstellt, daß ich glaube, dagegen etwas ausrichten zu können, dann ist das entweder böswillig oder naiv. Ich bin kein Missionar oder Sozialarbeiter. Ich nehme nur das, was ich sagen will, ernst. Wir werden zwar alle die Gewalt nicht abschaffen und die Medien auch nicht, aber man kann versuchen, die Leute ein wenig wacher zu machen.
Was halten Sie also etwa von Quentin Tarantinos Pulp Fiction?
Haneke: Ich rede nur ungern über Kollegen. Pulp Fiction halte ich für brilliant gemacht. Ich habe den Film aber in einer Vorführung gesehen, in der vorwiegend junge Leute saßen, die sich halb totgelacht haben. Ich fand das dann doch ein bißchen gefährlich: Die Art von Humor, die der Film verbreitet im Zusammenhang mit der Gewalt, das ist nicht das, was ich mir unter verantwortungsvoller Auseinandersetzung vorstelle.
Aber ist dieser Humor nicht eine Art Schutzmechanismus?
Haneke: Ja, das ist eine alte Interpretation. Es wird aber zum Problem: Die Masse der sogenannten „Schutzmechanismen“ hat mittlerweile eine derartige Präsenz – die Leute und vor allem die Jugendlichen können nicht mehr unterscheiden zwischen der fiktiven und der realen Gewalt. Die Verhaltensweisen der beiden jungen Täter in Funny Games ist unter anderem ein Resultat einer medialen Umgebung, die uns Gewalt nur noch als Spiel darstellt. Und das ist gefährlich.
In den letzten Wochen sind mir schon wieder drei Zeitungsberichte in die Hände gekommen: Immer wieder Jugendliche, die wildfremde Leute einfach abgeschlachtet haben. In Spanien etwa haben ein junger hochintelligenter Student und sein nicht ganz so intelligenter Freund willkürlich jemand Unbekannten ausgesucht, den besucht und auf unglaublichste Weise gefoltert. Unvorstellbar. Sie wären auch nicht entdeckt worden, haben aber einen dritten Freund zum nächsten Abenteuer eingeladen, und der ist beichten gegangen. Man fragt sich natürlich: Woher kommt das?
Aber dieses Morden aus Spaß, diese perverse Lust an der Gewalt gibt es doch nicht erst seit der Erfindung von Kino und Fernsehen!
Haneke: Mag sein, aber jeder versucht, sich einen Aspekt zu suchen, zu dem er etwas zu sagen hat. Und nicht nur für mich hat die mediale Präsenz von Gewalt eindeutig zu einem Wandel des Gewaltbildes beigetragen. Wir stumpfen ab. Und ich verweigere mich den Beruhigungsstrategien, die dagegen aufgebaut werden. Psychologie und Soziologie interessieren mich nicht. Ich denke, in unserer hochindustriellen Welt ist es egal, ob jemand aus einer wohlsituierten Familie oder aus dem Arbeitermilieu kommt. Und es geht mir nicht darum zu zeigen, daß jemand einmal von seiner Mama nicht gestreichelt wurde.
Im Film führt das aber schon mitunter zu Holzhammer-Verweisen, wenn etwa ein blutbeschmierter Fernseher im Raum steht.
Haneke: Angesichts der unglaublichen Präsenz der anderen Seite ist man heute gewungen, selbst die Stilmittel zu forcieren, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Im Actionfilm werden die Mittel ja auch immer grober. Früher sind die Leute bei der Einfahrt eines Stummfilm-Zuges davongelaufen. Heute können hunderte Liter Blut niemanden mehr erschüttern. Gegen diese "Leistungssteigerung", die wie in einer Schraube nach oben passiert, muß man sich einiges einfallen lassen, um gehört zu werden.
Das Interview führte Claus Philipp (DER STANDARD, 12/9/1997)
"Du willst nicht mehr weiterspielen?" Diese Frage eines jugendlichen Sadisten an sein Opfer ist in Michael Hanekes neuem Spielfilm Funny Games rein rhetorisch. Sarkastisch der Nachsatz des Täters, direkt an das Kinopublikum: "Wir sind doch noch nicht auf Spielfilmlänge."
Bei der ersten (Presse-)Vorführung des österreichischen Wettbewerbsbeitrags in Cannes hatten zu diesem Zeitpunkt einige Besucher das Kino längst verlassen. Praktisch ohne Vorwissen – der Inhalt war bis zur letzten Minute vor der Projektion geheim – war der ganze Saal binnen kürzester Zeit in eine schauderhafte Tortur geraten: Mit dem Besuch zweier junger Männer wird der erste Urlaubstag einer Kleinfamilie an einem Badesee zum Alptraum.
Wesentlich mehr vom Inhalt zu verraten, wäre vermutlich nicht in Hanekes Sinn. Die Betroffenheit und den Ekel, den Funny Games beim Publikum auslöste, zu analysieren: Dafür ist es nach einer ersten Sicht wahrlich zu früh – sofern diese erste Konfrontation bis zum bitteren Ende nicht selbst schon ebenso unmoralisch war wie jene Formen von Gewalt, die der Regisseur in den audiovisuellen Medien implizit verurteilt und auf die Spitze treibt. "War das schon alles? Das ist noch nicht genug!", verhöhnt ein Mörder auch die Zuschauer, während Ulrich Mühe und Susanne Lothar zu retten versuchen, was nicht mehr zu retten ist. Wahrscheinlich will Haneke, daß man seinem grausamsten Werk den Rücken kehrt. Andernfalls müßte man sich nämlich fragen, ob es Hoffnung auf ein Happy-end ist oder eigener Sadismus oder schlicht Überwältigung, die einen noch im Kino hält. Als dieser Versuch eines allerletzten Thrillers in den Nachspann überging, machte ein superlautes Lärmstakkato von John Zorn die Reaktionen der Leute unhörbar. Vielleicht ist Funny Games als Überwältigungs-Maschine Hollywoods Gewaltspektakeln gar nicht so unähnlich, auch wenn er sich gegen diese richtet. Für Anlässe zu Kontroversen bei der Pressekonferenz, über die hier morgen berichtet werden soll, war jedenfalls gesorgt. (Claus Philipp, DER STANDARD, 15/5/1997)
Eine Familie auf der Fahrt in den Urlaub: Man stimmt sich (und den Zuseher) mit Barock-Musik ein. Plötzlich fährt aggressive Hardcore-Rockmusik in dieses Stimmungsbild, verleiht ihm einen groben Riß. Als auditiver Schock-Effekt im Vorspann von Funny Games läßt er, auf noch harmlose Weise, etwas von dem anklingen, was an inszeniertem Schrecken folgen wird. Der Terror aber baut sich im neuesten Film Michael Hanekes diesmal nicht über die gezielt aufgebaute Distanz zu den Gefühlen der Protagonisten auf. Funny Games ist ein Thriller, der zunächst nach den Regeln des Genre-Kinos funktioniert und als solcher emotionale Anteilnahme fordert.
Die Familie (Ulrich Mühe, Susanne Lothar und Stefan Clapczynski) richtet sich in ihrem Ferienhaus am See ein. Das gutbürgerliche Urlaubs-Ritual beginnt: eine wohlvertraute Mischung aus gepflegter Fadesse und Heiterkeit. Man ist nett zueinander - und natürlich auch zu den Nachbarn: zu den jungen Männern (Arno Frisch, Frank Giering) etwa, die im Ferienhaus auftauchen, um die kurz alleingelassene Frau höflich um ein paar Eier zu bitten. Die beiden Männer werden auch dann noch höflich sein, als sie die ganze Familie in ihrer Gewalt haben und erbarmungslos quälen. Sie werden ihren unbegründeten Terror als "Spiel" bezeichnen, werden mit der Familie eine Wette abschließen: Wetten, daß ihr in zwölf Stunden nicht mehr am Leben seid? So unterhält man ein Publikum, das einen Gutteil seiner Schaulust an inszenierter Gewalt befriedigt. Und Haneke inszeniert geschickt: Funny Games ist die aus dramaturgischen Begründungszusammenhängen gelöste Essenz des Unterhaltungs-Gewaltkinos, die konsequente Erfüllung der geschürten Erwartung, daß die größte anzunehmende Brutalität sich zwangsläufig ereignen wird.
Die bösen Buben in Funny Games sind keine Horror-Monster, sondern die zynische Apologie des "Coolen" (während der eine im Wohnzimmer ein grausiges Blutbad anrichtet, steht der andere seelenruhig in der Küche und streicht sich sein Brot fertig); ihr Morden ist durch nichts begründet als durch die Gesetze des Genre-Kinos ("wir sind noch nicht auf Spielfilmlänge", sagt einer der Mörder). Von Michael Haneke erwartet man sich keine Unterhaltung, sondern künstlerisch-diagnostische Exempel einer sich totspielenden Gesellschaft. Anders jedoch als in seinen bisherigen Filmen formuliert er in Funny Games keine Lehre über den Zustand des Menschen in der Zwangsjacke der Medien-Kultur. In Funny Games wird der Zuseher in eine Reiz-Reaktionskette verstrickt: Seine eigenen Reaktionen sollen das Maß der Reflexion (über strukturell bedingte Gewaltbereitschaft) vorgeben.
Das gelingt Haneke sowohl im Ansatz als auch über weite Teile der Inszenierung hervorragend. So läßt er uns etwa nur hören, wie einer der beiden Mörder vor den Augen der Eltern deren Sohn erschießt, dann zeigt er uns den Schauplatz - ein blutbespritztes Wohnzimmer mit einer Kinderleiche vor laufendem Fernseher - und läßt uns mit diesem Schlachtfeld, der stummen Verzweiflung der Eltern und dem unerbittlich röhrenden Fernsehton (die Übertragung eines Autorennens) eine endlos scheinende Einstellung lang allein: eine Schreckens-Inszenierung, die schmerzhaft ausgekostet sein will.
Doch gerade weil der Film auf diese Weise funktioniert, hätte Haneke auf all die Hinweise verzichten können, mit denen der Zuseher seiner Komplizenschaft mit diesen Marionetten des Bösen überführt wird: das Blinzeln der Mörder in die Kamera oder auch die Korrektur der Handlung (als einer von ihnen vorzeitig getötet wird) durch Druck auf die Schnellrücklauf-Taste der TV-Fernbedienung. So geht Michael Haneke doch wieder als Prediger (mit einer paradoxen Mission) aus dem Rennen: als einer, der Filme für ein Publikum macht, das diese Filme eigentlich gar nicht verstehen dürfte, sobald sie wirklich funktionieren. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 12/9/1997)
Die Folter ist das Spiel: Der heilige Zorn in Cannes
Michael Haneke zeigte im Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes seine "Funny Games": eine kleine Stilübung in Sachen Sadismus.
Am Anfang delektieren sich die Helden dieses Filmes im Auto noch an Händel, eine knappe Minute später schon, im Vorspann, setzt es eine der metallisch lärmenden Chaos-Dekonstruktionen des US-Musikers John Zorn: In der Welt Hanekes kann vieles passieren (vor allem, was Moral & Körperverletzung betrifft), da paßte das Anything-can-happen der Improvisationen Zorns gar nicht schlecht dazu. Michael Hanekes Funny Games, seit 35 Jahren Österreichs erster Teilnehmer im Wettbewerb des renommierten Filmfestivals in Cannes, erlebte am Mittwoch seine Weltpremiere.
Ein Thriller - und eine Geschichte, die ganz neu nicht ist: Eine urlaubende Familie wird, ähnlich wie in William Wylers The Desperate Hours, zum Ziel zweier fremder Sadisten, die sich an der Pein ihrer ahnungslosen Opfer berauschen. Es gibt kein anderes Motiv: Die Folter ist das Spiel. Zwar behandelt Haneke sein Thema, die Grenzenlosigkeit realer Gewalt, gewohnt implizit (und daher schmerzhaft), aber ein paar neue Töne im Werk dieses Filmemachers vereiteln diese Funny Games: Von Humor war bisher - mit gutem Grund - nicht die Rede in den Filmen Hanekes, diesbezüglich darf Funny Games als Erstversuch betrachtet werden. Aber die Regel ist nicht zu brechen: Ironie tötet die Wirkung. Und Haneke bleibt seltsam äußerlich, lindert seine blutige Geschichte zum formalen Spiel herab.
Schließlich fällt das bisweilen forcierte Schauspiel auf, weil Haneke seinen Übeltätern zu viel Raum überläßt, die den versierteren Mimen (Ulrich Mühe, Susanne Lothar) wenig entgegenzusetzen haben. Daß dann auch das Ende dieser selbstreflexiven Funny Games deutlich näher lag als (vermutlich) geplant, konnte im doppelten Sinn nicht überraschen. Zu leichtes Spiel, vielleicht: Die - auf den Eintrittskarten gewarnte - Zuschauerschaft reagierte auf all das bei der ersten Vorführung jedenfalls ziemlich friedlich. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 15/5/1997)
"Lustige Spiele" treiben zwei Jugendliche mit einer Familie in deren Ferienhaus. Gar nicht lustig fand das ein Teil des Publikums bei der Premiere in Cannes: ausweglose Brutalität werde dem Zuschauer da aufgezwungen. Aber selbst wenn einer schreiend aus dem Kino renne, habe der gewalttätige Anti-Gewalt-Film was bewegt, findet der österreichische Regisseur Michael Haneke.
So wünscht man sich das Leben in zehn Jahren: einen lieben Mann, einen lieben Sohn, ein wunderschönes Landhaus am Gebirgssee, ein nettes Segelboot. Und alle drei - Mutter, Vater, Kind - sind furchtbar intelligent und nett und trotz des guten Einkommens irgendwie auf dem Boden geblieben. Der Urlaub wird harmonisch, gleich morgen vormittag geht's mit den netten Nachbarn raus zur Golfpartie.
Man weiß schon zu Beginn des neuen Films von Michael Haneke, daß die heile Luxuswelt eine gemeine Falle ist, in die der Zuschauer tappen soll und daß am Ende der 103 Minuten nichts mehr so sein wird, wie es am Anfang war. Man weiß es seit Cannes. Dort hat der österreichische Wettbewerbsbeitrag "Funny Games" das Publikum polarisiert: Zwischen Lob und heftiger Ablehnung gab's nicht viel. Was einen deutschsprachigen Beitrag ja fast schon adelt. Was aber auch viel über die Leute in Cannes aussagt. Denn in diesem Film wird Gewalt gezeigt auf eine so unerbittliche Weise, daß man sich förmlich im Kinosessel verkriechen und am liebsten nach Mama schreien möchte, auf daß sie einen aus diesem Alptraum erwecken möge.
Also: Man lehnt freilich heftig ab, was in diesem Film passiert. Selbst Sadisten dürfte der Anblick eines blutenden gebrochenen Beines, auf dem ständig herumgeschlagen wird, eines zerschossenen Körpers und einer völlig in Angst, Panik und Tränen zerflossenen Susanne Lothar (als Anna) Unbehagen bereiten. Diese Ohnmacht. Entsetzlich. Nur ist doch interessant, wie Autor und Regisseur Haneke dieses Unbehagen hervorruft. Die Machart des Films kann man schwer ablehnen. Denn seit wann ist ein Psychothriller nicht gut, wenn er derartige Gefühle beim Zuschauer hervorruft?
Anna, Georg und Schorschi richten sich in ihrem edlen Landhaus ein: Sie packt die Lebensmittel in den Kühlschrank, Vater (Ulrich Mühe) und Sohn (Stefan Clapczynski) lassen das frisch überholte Boot zu Wasser. Kameramann Jürgen Jürges fotografiert die banalen Verrichtungen teils ganz nah. Man ahnt, daß er später auch ganz andere Dinge ganz nah zeigen wird.
Anna bekommt Besuch von Peter, einem fremden, feisten, leicht tolpatschigen Jüngling. Wohlerzogen bittet er um ein paar Eier für die Nachbarn, die Freunde der gerade angereisten Familie sind. Anna gibt sie ihm, aber er läßt sie "aus Versehen" fallen - die lustigen Spielchen haben begonnen. Denn Peter alias Frank Giering will nicht wirklich Eier, und er ist nicht allein. Paul heißt sein Freund, der sich als ekelhaft klugschwätzender Wortführer eines brutalen Duos herausstellt. Binnen weniger Minuten ist die heile Familie eine Geisel der zwei Jungmänner, die als Inkarnation des Bösen über sie gekommen sind.
Die Schläge, Schüsse und Stiche sind fast nicht das Schlimmste. Sie werden auch kaum gezeigt. Viel schlimmer sind die Schmerzensschreie der Opfer, ihr hyperventilierender Atem, der Angstschweiß, diese Panik in den Augen (hervorragend gespielt von Mühe und Lothar, aber auch vom jungen Clapczynski). Haneke macht es dem Zuschauer unbequem. Zwar gibt er seinen Opfern auch die Chance, ihre Haut zu retten. Aber die "Bösen" vereiteln alles. Harmoniesüchtige Kinogänger müssen diese Story hassen.
Haneke hat in seine lustigen Spiele allerdings auch einen pädagogischen Ansatz eingeflochten, der das intim-brutal konzipierte Kammerspiel beinahe so aufbricht, daß seine Wirkung verpufft. Am Anfang geht es noch: Da spricht Paul (Arno Frisch) hin und wieder direkt in die Kamera. Subtiler gelingt ein kleiner Disput von Peter und Paul, als Papa Georg sie fragt: "Warum tun Sie das?" Die beiden beten in unwahrscheinlich arrogantem Ton alle Klischees daher, die man aus realen Mordprozessen so kennt: Mutterkomplex, Scheidungskind, Kind armer kinderreicher Leute, Sozialneid. Nichts stimmt. Die Motivation der bösen Buben bleibt im Dunkeln.
Ganz und gar nicht subtil und wenig gelungen ist dagegen eine Unterbrechung des Films: Da gelingt es Anna, ein Gewehr hochzureißen und einen der beiden Bösen zu erschießen. Der andere Böse ist entsetzt, schnappt sich die Fernbedienung und spult den Film zurück. Die ganze Szene wird noch einmal wiederholt - natürlich mit anderem Ausgang. Hanekes Ansinnen war es wohl, dem Zuschauer kurz Genugtuung zu verschaffen, ß la: Endlich kann eines der Opfer denen was heimzahlen. Mit Gewalt. Auge um Auge. Doch die Szene richtet anderes an - sie bläst die ganze Spannung weg. Die Moral hat Hallo gesagt. Dabei wollte man sie gar nicht begrüßen. Der Zuschauer ist ja nicht mehr wirklich in dem Alter, wo er in einem Alptraum nach Mama ruft. Er hat sich seinen Reim schon gemacht und Haneke sein Ziel längst erreicht: "Gewalt als das zu zeigen, was sie ist, als nicht konsumierbar." (Dorit Kowitz, DER SPIEGEL)
INTERVIEW: "Kino ist immer Vergewaltigung". Regisseur Michael Haneke über Zuschauer als Opfer, die Obszönität brutaler Bilder und seinen neuen Thriller "Funny Games"
SPIEGEL: Herr Haneke, "Funny Games" zeigt eine Reihe von Folterszenen: die psychische und physische Vernichtung einer Familie. Dadurch zwingt der Film den Zuschauer in die Rolle des Folterknechts. Was soll das bewirken?
Haneke: So einfach ist es nicht. Ich zwinge den Zuschauer abwechselnd in den Part des Folterknechts und in die Rolle des Beobachters seiner eigenen Rolle. Der Film fordert nicht in erster Linie zur Identifikation mit den Tätern heraus. Im Gegenteil: Der Zuschauer ist immer auch unter den Gefolterten. Ich will ihn in ein Wechselbad stürzen und zu der Frage treiben: Warum gehe ich nicht raus?
SPIEGEL: Um sich diesem Wechselbad auszusetzen, braucht man einen ziemlich selbstquälerischen Zug. "Funny Games" geht dem Betrachter mächtig auf die Nerven. Wollen Sie den Zuschauer dafür bestrafen, daß er sitzen bleibt?
Haneke: Wenn Sie so wollen.
SPIEGEL: Und diese Strafe ereilt ihn, weil er - solange er nicht aufsteht und weggeht - mitschuldig wird: als Voyeur, der eine grausame Tat mit Schaulust verfolgt?
Haneke: Genau das ist es. Letztlich geht es um die Frage der schuldlosen Mittäterschaft beim Betrachten von Gewalt als Konsumgut. Die Hauptfigur in meinem Film ist der Zuschauer.
SPIEGEL: Wie kann es denn, bitte sehr, eine "schuldlose Mittäterschaft" geben?
Haneke: Na, die wird jedenfalls immer vom Mainstream-Film suggeriert. Dafür zahlt der Zuschauer ja auch sein Geld: Er kann seine Aggressionen ausleben und muß kein schlechtes Gewissen haben. Wir schießen in "Apocalypse Now" mit aus dem Hubschrauber, erleben den Rausch, brauchen uns aber nicht verantwortlich zu fühlen. Mein Film untersucht genau dieses Phänomen.
SPIEGEL: Im Gegensatz zu Ihren früheren Filmen, die oft sehr hermetisch wirkten, arbeitet "Funny Games" mit den Mitteln des klassischen Thrillers: dem Einbruch des Schreckens in die Normalität, dem Suspense. Wollten Sie die Gruppe Ihrer zahlenden Zuschauer erweitern?
Haneke: Um zu vermitteln, was ich denke, bediene ich mich hier des Thrillers - und nutze die Erwartung des Zuschauers ans Genre: Dort darf das Furchtbare geschehen, solange nur am Ende die Ordnung wiederhergestellt ist. Der Abgrund, der aufgerissen wird, nur um letztlich wieder zugeschüttet zu werden: Mit dieser Verlogenheit machen Genrefilme ihr Geld.
SPIEGEL: In Hitchcock-Thrillern wie "Psycho" etwa gibt es Abgründe, die kein noch so beruhigender Schluß wieder zuschütten kann. Und das merken auch die Zuschauer.
Haneke: Abgesehen davon, daß ich Hitchcock für einen der großen formalen Innovatoren des Kinos halte, glaube ich, daß diese Genre-Mystifizierung eine Kopfgeburt der Intellektuellen ist. Der normale Zuschauer kann ganz beruhigt aus einem Genrefilm hinausgehen. "Funny Games" ist der erklärte Versuch, diese Beruhigung zu durchbrechen. Ich benutze zwar den Suspense, die Spannung, als Leim, auf dem der Zuschauer kleben bleibt - aber dann versuche ich, ihn an einen gedanklichen Ort zu führen, an den er sonst vermutlich nicht gehen würde.
SPIEGEL: In "Funny Games" vergegenwärtigen Sie die Gewalt pausenlos, aber die direkte physische Gewalthandlung selbst wird meistens übersprungen. Man sieht das Vorher und das Nachher. Machen Sie dadurch die Gewalt nicht besonders spannend und geheimnisvoll?
Haneke: Das glaube ich nicht. Der Zuschauer ist so abgestumpft durch Gewaltdarstellungen, daß ich ihn nur noch mit einem Mittel dazu bringen kann, Gewalt als schockierende Realität zu begreifen: nämlich indem ich seine Phantasie aktiviere. Und das tue ich, indem ich den eigentlichen Gewaltakt nicht zeige. Das ist auch eine Frage der ästhetischen Keuschheit. Wenn ich auf bestimmte Dinge die Kamera draufhalte, werden sie obszön.
SPIEGEL: Was finden Sie am Abbilden obszön?
Haneke: Die Spekulation mit dem Verkaufswert von Dingen, die für den Verkauf nicht gedacht sind: Intimität, Schmerz, Leid. Alles, was unsere tiefsten Gefühle berührt, bedarf einer besonderen Sprache. Das plumpe Zeigen kann nicht die adäquate Form sein.
SPIEGEL: Aber das Weglassen?
Haneke: Das bewußte Aussparen - ja! Unter anderem. Außerdem glaube ich, daß man die Zuschauer über den Ton packen kann. Das Ohr ist - trotz aller akustischen Umweltverschmutzung - weniger von Reizen zugeschüttet, weniger abgenutzt als das Auge. Darum ist es aufnahmefähiger und hat auch einen direkteren Zugang zur Psyche des Zuschauers. Schon im Horrorfilm ist das rätselhafte Knarren der Dielen spannender als literweise verspritztes Blut.
SPIEGEL: Aber auch bei Ihnen läuft ja nicht nur der Ton, sondern zugleich ein Kontinuum der Bilder. Suchen Sie nicht eigentlich, bei aller Keuschheit, nur andere, weniger verbrauchte Bilder für Ihre Filme?
Haneke: Jein. Es ist mein moralisches Prinzip, den Moment der Tat nicht zu zeigen.
SPIEGEL: Regisseure wie Oliver Stone, Quentin Tarantino oder David Lynch, Martin Scorsese oder auch die Hongkong-Actionfilmer bieten doch durchaus Finessen, die man genießen kann.
Haneke: Sicher interessiert mich, wie gut einzelne Filme gemacht sind. Und ich sehe riesige Unterschiede zwischen der intellektuellen Frechheit Tarantinos und dem faschistoiden Holzhammer Stones. Aber solche Filme schaue ich mir nicht freiwillig an, sondern um den Stand der Dinge zu kennen, ich erledige meine Hausaufgaben. Ich habe nie gern gewalttätige Filme gesehen. Die einzige Ausnahme war Pier Paolo Pasolinis Meisterwerk "Die 120 Tage von Sodom", der mich vor 20 Jahren zutiefst bewegt hat - und vermutlich mehr geprägt als irgendein anderer Film.
SPIEGEL: Was war das Besondere an Pasolinis Film?
Haneke: Er zeigte Gewalt als das, was sie ist: nämlich als das Leiden der Opfer. Und das war unerträglich. Damals habe ich mich ununterbrochen gefragt: Halte ich das noch aus? Gehe ich raus? Muß ich jetzt kotzen? Alle anderen Gewaltfilme finde ich einfach degoutant. Meine Filme wie "Funny Games" oder "Benny's Video" reagieren ja auf eine Medienlandschaft, in der Gewalt auf tausend verschiedene Arten zum Konsum hergerichtet wird. Ich glaube wirklich, daß wir - und gerade die Jugendlichen in unserer Gesellschaft - durch die permanente Gegenwart von Gewalttätigkeiten in den Medien mittlerweile eine Vorstellung von Gewalt haben, die der Realität überhaupt nicht mehr entspricht. Selbst für Erwachsene wird es ja sehr schwierig, den Realitätscharakter bestimmter Ereignisse heute überhaupt noch zu erfassen - ich meine: nicht so sehr mit dem Kopf, der "Wirklichkeit" und "Erfindung" ganz gut auseinanderhalten kann, sondern mit dem Bauch.
SPIEGEL: Kann ein Film denn erklären, warum es Gewalt gibt?
Haneke: Nein, er kann nur die Frage nach den Ursachen von Gewalt stellen. Jede Antwort muß zu kurz greifen, weil das Thema so komplex ist. Außerdem wird durch die Vorgabe von Antworten der Zuschauer daran gehindert, selber zu fragen. Ich will den Zuschauer als Partner ernst nehmen, und da kann ich ihm nicht wie ein Oberlehrer erklären, wie die Welt ausschaut.
SPIEGEL: Gelegentlich wirken Ihre Filme aber so, als ob Sie, der Intellektuelle, den unmündigen Durchschnittsmenschen zeigen wollen, wo es langgeht. Halten Sie den Zuschauer nicht doch eher für ein Opfer als für einen gleichberechtigten Partner?
Haneke: Natürlich sind wir alle auch Opfer der Medien. Dafür brauche ich nicht mal mit Adornos Begriff der Kulturindustrie zu wedeln. Aber ich glaube auch, daß jeder Zuschauer zu einem Partner werden kann. Diese Partnerschaft wird im Mainstream bloß nicht gefordert.
SPIEGEL: Sie haben gesagt, daß Sie den Zuschauer zur "Selbständigkeit vergewaltigen" wollen. Das klingt nicht sehr partnerschaftlich.
Haneke: Jeder Film vergewaltigt seine Zuschauer. Ich sitze unten, und von oben prasseln überlebensgroße Bilder auf mich ein. Meine Filme vergewaltigen den Zuschauer immerhin dazu, selbst nachzudenken.
SPIEGEL: Aber jeder Kinobesuch ist eine freiwillige Entscheidung. Wieso reden Sie dann von Vergewaltigung?
Haneke: Kino ist eine willentlich akzeptierte Vergewaltigung.
SPIEGEL: Dann ist es keine.
Haneke: Wir wollen uns doch nicht haarspalterisch um Worte streiten. Was ich meine, ist, daß meine Kritikfähigkeit vor der Leinwand außer Kraft gesetzt wird. Während ich in einem Buch blättern und bestimmte Stellen immer wieder lesen kann, bin ich beim Film durch das Tempo, das er mir vorgibt, dazu verdammt, ununterbrochen zu reagieren.
SPIEGEL: Auch wenn Sie es leugnen: Wir vermuten, daß jemand, der sich so obsessiv mit Gewalt auseinandersetzt wie Sie, auch eine geheime Lust an ihr haben muß.
Haneke: Da unterstellen Sie mir etwas, was wirklich nicht zutrifft. Gewalt ist einfach ein zentrales Thema unserer Zeit, und ich muß mich diesem Thema stellen. Was soll ich statt dessen tun? Mich blind stellen und Liebesfilme drehen? Das wäre doch feige. Wenn Sie einen privaten Grund suchen: Ich bin ein sehr ängstlicher Mensch. Schon als Kind bin ich in keine Geisterbahn gegangen. Aus dem allerersten Film, den ich je gesehen habe, "Hamlet" von Sir Laurence Olivier, mußte mich meine Großmutter nach ein paar Minuten hinausschleppen, weil ich vor Angst laut geschrien habe.
SPIEGEL: Herr Haneke, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führten die Redakteure Urs Jenny und Susanne Weingarten. (DER SPIEGEL 38/1997)
Eine Familie macht Urlaub am See. Zwei Burschen, Gäste (?) einer Nachbarvilla, bitten um Eier. Man läßt sie ins Haus.
Ein Horrorthriller beginnt. Ein Schlag mit dem Golfschläger, der Hausherr ist außer Gefecht. "Wetten, daß ihr die nächsten zwölf Stunden nicht überlebt?" zwinkert einer der jugendlichen Delinquenten Geiseln und Publikum zu. Die Gewalttaten sieht man nicht, nur Folgen (ein Blutspritzer auf dem Bildschirm) und Reaktionen der Opfer. Die Killer machen kein Ende: "Wir sind noch nicht auf Spielfilmlänge."
Michael Haneke destilliert in seinem Meisterwerk die Essenz der "unterhaltenden Gewaltkinos" und hofft, daß Zuschauer erkennen, wie sie dessen Manipulationstechniken zu Komplizen des Bösen machen. Die Form des Thrillers transportiert ein moralisches Pamphlet, das als "besonders wertvoll" erkannt oder als spekulative Perfidie verkannt werden kann. Inszenierung, Musikeinsatz und Darsteller bieten Sonderklasse (siehe "Hintergrund" in der Kleinen Zeitung v. 12. 9.). (Hansjörg Spies, Kleine Zeitung, 13/9/1997)
FUNNY GAMES - Das Hoffnungsprinzip in der Falle
Wieder geht es um die abendfüllende Hinrichtung Unschuldiger. Michael Hanekes notorisches Thema zur Publikumsverstörung. Der Regisseur mit dem tierischen Instinkt eines Killers und dem berechnenden Kalkül eines Intellektuellen verfilmte diesmal das Martyrium einer Kleinfamilie durch zwei harmlos wirkende Jugendliche. Präziser als der Österreicher hat im Kino bisher keiner das mehr oder weniger unbewußte Hoffnungsprinzip des Zuschauers für sich arbeiten lassen, um mit seiner Umkehrung nur noch auswegloseres Entsetzen zu erzielen.
Jede Atempause für die Opfer, jede Fluchtchance, jede Möglichkeit von Hilfe und Rettung wird sorgfältig hochgepäppelt, um ihre Vereitelung desto sadistischer zu genießen. In diesem Sinn ist Haneke hier ein Meisterstück gelungen. Ein bestreitbares. Einzelschicksal geht bei ihm so nahe als möglich und Haneke insofern zu weit, als er mit dem billigen Trick direkten Anredens den Zuschauer selbst zum hilflosen Komplizen macht, zum ohnmächtigen Augenzeugen eines blutrünstigen Doppelspiels ohne wirkliche Moral.
"Funny Games" spart zwar nicht mit Andeutungen, die auf Medienkritik hinweisen sollen. Unverzichtbar dabei der Fernseher im Wohnzimmer als Ort laufend inszenierter Gewalt und authentischen Todes. Was sind schon gegen reale Greuelszenen augenzwinkernde Leinwandmörder, ist gefragt, die einmal sogar den schnellen Vorlauf einer Fernbedienung benutzen müssen, um den Handlungsverlauf in ihrem Sinn zu korrigieren? Offenbar merkt Haneke nicht, wie sehr er im Widerspruch dazu den Eindruck eines humorlosen, jeglicher Komik baren Woody Allen erweckt, der seinen Hader mit Gott statt wie jener durch persiflierende Komödiantik in grausamen Folterszenen auslebt.
Gewalt als Wille und Vorstellung. Gerade die Motivlosigkeit seiner Täter vergleicht sich ja wie von selbst mit Naturkatastrophen oder Seuchen, die auch ohne sich entwickelndes Bewußtsein töten. Dort, wo filmisches Handwerk statt Pseudophilosophie greift, kann und darf man Haneke die Bewunderung nicht verweigern. Optimal allein die Wahl der beiden Täter. Deren offene, sympathische Gesichter und weiße Handschuhe, die an Butler oder Clowns erinnern statt an Präventivmaßnahmen gegen Fingerabdrücke.
Die Opfer, das gehört wiederum zum Dauerkonzept von Haneke-Dramen, haben erfolgsbürgerlichen Hintergrund; Schauplatz folglich Wochenendhaus am See mit Yacht und Golf. Ihr Verhalten macht sie zur idealen Zielscheibe und führt nebenbei zur Frage, wie sehr die Opferbereitschaft der Gequälten selbst den Tätern zuarbeitet. Haneke muß spätestens mit dieser wie ein Uhrwerk Verhängnis ablaufenden Tragödie zweifellos als Österreichs bedeutendster Filmemacher gelten. Wobei er weniger als Medienphilosoph überzeugt denn als kunstfertiger Schockerzeuger, der im heutigen Kino seine Marktnische gefunden hat: Suspence mit Unhappyend. (Rudi John, KURIER)
Weitere Kritiken der IMDb
F / GUINEA-BISSAU /TUN / PTG 1996
Regie: Flora Gomes,
Buch: Anita Fernandez, Flora Gomes,
Musik: Pablo Cueco,
Kamera: Vincenzo Marano,
Schnitt: Christiane Lack,
Darsteller: Dulcenia Bidjanque (Luana), Djuco Bodjan (N'te), Dadu Cisse (Puntcha), Edna Evora (Saly), Bia Gomes (Antonia), Adama Kouyate (Calacalado), Ramiro Naka (Dou)
Kinostart: 12/9/1997
Es ist Sitte in Aanah Lundju, bei jeder Geburt einen Baum zu pflanzen, der nach dem Ableben zur Seele seines Schützlings wird. Der Nomade Dou kehrt in das Dorf zurück, um an die SDtelle seines verstorbenen Bruders Hami zu treten - doch wäherend dessen Baum sprießt, ist sein eigener verdorrt. Ein schöner, sehr langsamer, freilich auch mystizistisch angehauchter Film. (FALTER)
"Po di Sangui", ein bildstarker neuer Film aus Westafrika, wirft ungewohnte Blicke auf die Welt. Zu sehen ab sofort im Top-Kino.
Filme aus Afrika erreichen Wien nur äußerst selten: Po di sangui, schon deswegen eine Art Kostbarkeit, stammt aus dem westafrikanischen Guinea-Bissau, inszeniert von einem Mann namens Flora Gomes. Sein Blick auf die Welt ist, wie er selbst sagt, weniger afrikanisch als: universell. Po di Sangui, Gomes' dritter Film, ein veritabler Festivalerfolg, behandelt, in einer Geschichte um Identität und Familie, vor allem auch ökologische Fragen. Diesmal steht die Wüste Tunesiens im Zentrum, in die Gomes der Story zuliebe auszuweichen hatte. Es geht um die Verwandlung, die Veränderung eines Dorfes, in dem man, einer Tradition folgend, bei der Geburt jedes Kindes einen Baum pflanzt, mit dem das Kind dann in spiritueller Verbindung bleibt. Ein Mann kehrt nach Jahren zurück in sein Dorf, der Zwillingsbruder eines Verstorbenen, dessen Familie nun den Bruder empfängt, sich weigernd, den Tod des anderen anzuerkennen. Gomes berichtet, die massive Abholzung in Afrika und Asien vor Augen, auch von der Bedeutung der Bäume für die Existenz der Menschen - in einer bildstarken, erdigen Inszenierung, die den Ritualen, dem traditionellen Denken und Handeln der Menschen viel Raum widmet: Der Mystizismus und die rauhe Wirklichkeit wird damit gleichsam verklammert, bis beides, die imaginäre und die wirkliche Welt in dem Blick, den dieser elliptisch erzählte Film auf das Land und die Leute richtet, annähernd ununterscheidbar geworden sind. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 13/9/1997)
Siehe IMDb
VRC, HONGKONG 1996
Regie: Kaige Chen,
Buch: Kaige Chen, Kei Shu, Anyi Wang,
Musik: Jiping Zhao,
Kamera: Christopher Doyle,
Schnitt: Xiaonan Pei,
Darsteller: Leslie Cheung (Yu Zhongliang), Li Gong (Pang Ruyi), Kevin Lin Jianhua (Pang Duanwu), Caifei He (Yu Xiuyi), Chang Shih (Li Niangjiu)
Kinostart: 12/9/1997
Der Waisenjunge Zhongliang kommt in das Haus seiner verheirateten Schwester und kommt dort in den Dunstkreis von Opium und Gangstertum. "Man kann 'Temptress Moon' als reines psychologisches Drama sehen, als Geschichte über Hierarchien und männlichen Chauvinismus, oder als einen Film über das Erwachsenwerden. " (Chen Kaige)
Temptress Moon, der sechste Spielfilm des chinesischen Regisseurs Chen Kaige (Adieu, meine Konkubine), endet mit dem Photogramm dreier Kinder. Das gleiche Bild, das zwei Jungen und ein Mädchen zeigt, hat zuvor im Film das Ende der Kindheit der Protagonisten markiert, die in den Dreier-Beziehungen verschiedener Charaktere immer wieder reflektiert wird.
Im feudalen Haushalt der Familie Pang gerät der junge Zhongliang (Leslie Cheung) zwischen seine Schwester und deren Ehemann; Jahre nach seiner plötzlichen Abreise findet er sich zwischen seiner Cousine Ruyi (Gong Li), dem neuen Familienoberhaupt und seiner Geliebten in der Stadt gefangen, während Ruyi ihrerseits in eine Affäre mit ihrem Diener verstrickt ist und dieser wiederum zwischen Ruyi und ihrem Verlobten steht, und so fort.
Dieser Reigen von "unmöglichen" Beziehungen und komplizierten Macht-Verhältnissen, die zusätzlich von außen (Familienkodex; Gangsterehre) reglementiert und gefährdet werden, steht im Mittelpunkt von Temptress Moon, der sehr deutlich auch die Handschrift eines Protagonisten des neueren Hongkong-Kinos trägt:
Wie schon bei Stanley Kwans Red Rose, White Rose adaptiert Kameramann Christopher Doyle seinen vor allem anhand von Wong Kar-Wais Großstadtgeschichten entwickelten, unverkennbaren visuellen Stil neuerlich für ein Melodram, das im Shanghai der 20er bzw. 30er Jahre angesiedelt ist. In Verführerischer Mond setzt Doyle die beiden Welten, die der Film behandelt – die traditionelle abgeschlossene Familienstadt in der Provinz und die moderne international ausgerichtete Großstadt Shanghai – in eine gemeinsame atmosphärische Ebene, in der alles zerfließt, wässrig und undurchsichtig wird.
So wirkt beispielsweise jene Sequenz, in der es zur Vereinigung von Gong Li und Leslie Cheung kommt, wie eine traumhafte Unterwasseraufnahme oder eine Bewegungsstudie; Dialoge werden nicht im Schnitt, sondern über Schärfe-Unschärfe-Relationen buchstäblich aufgelöst, in denen Personen im Hintergrund zu farbigen Schemen, verschwommenen Flecken werden. Der Blick der Kamera bleibt an Details hängen und an disparaten Momenten, die statt erzählerischer Übersichtlichkeit nur Ahnungen ermöglichen und sehr virtuos Sichtbarkeit gegen Sagbarkeit ausspielen: Sehenswert. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 13/9/1997)
"Was das Herz verbirgt, offenbart der Mond", lautet das Motto des Films. Der Slogan klingt hübsch, macht aber nicht wirklich Sinn. Damit ist er dem beworbenen Produkt angemessen. Chen Kaiges Familien-Saga aus dem China der Jahrhundertwende schaut verdammt gut aus. Der Film schwelgt in einer opulenten, sinnlichen Bildsprache. Doch die Geschichte, die er erzählt, kommt da nicht mit. Die Tragödie vom Clan der Pangs, der am Opium, an unglücklichen Leidenschaften und am Wandel der Zeiten zerbricht, versprüht vor allem gepflegte Langeweile.
Hongkongs Superstar Gong Li steht im Mittelpunkt des Films. Sie spielt eine opiumsüchtige Frau, die nach dem Tod des Vaters zur Clan-Chefin ernannt wird. Rund um sie wird voll Inbrunst gelitten, geraubt und gestorben. Chen Kaiges Absicht war es, "den Verlust der Träume von Menschen in umbrechenden Zeiten" zu schildern. Geht sich nicht ganz aus. Immerhin kann man 120 Minuten lang die oscarreife Arbeit von Kameramann Christopher Doyle bewundern. (Gunther Baumann, KURIER)
Weitere Kritiken der IMDb
USA 1997. Ca. 90 Min
Regie: David Mirkin,
Buch: Robin Schiff,
Kamera: Reynaldo Villalobos,
Schnitt: David Finfer,
Darsteller: Mira Sorvino (Romy White), Lisa Kudrow (Michele Weinberger), Janeane Garofalo (Heather Mooney), Alan Cumming (Sandy Frink), Julia Campbell (Christie Masters)
Kinostart: 12/9/1997
In der Mythologie des amerikanischen Teenagerfilms sind sie so ersehnt wie gefürchtet: die High-School-Abschlußbälle mit ihren strahlenden Königspaaren, den letzten Manifestationen der Beliebtheit unter den Mitschülern. Doch wo Könige sind, da sind auch Bettler, und wer möchte schon ernsthaft an die Verheißung glauben, daß auch ein Aschenputtel in dieser Leistungsgesellschaft noch eine Chance bekommt?
Romy und Michelle gehören zu den ewigen Verliererinnen auf der Popularitätsskala; das hat sich seit ihrem Abschluß nicht geändert, der zehn Jahre zurückliegt. Daß sie dafür eine dauerhafte Freundschaft verbindet, mag ihnen selbst nicht einmal bedeutsam erscheinen. Die Erfolgsleiter haben sie jedenfalls nach allgemeinem Dafürhalten nicht erklommen: Kassiererin ist die eine, arbeitslos die andere. Da ist die Einladung zur Reunion, zum Ehemaligentreffen, eine zwiespältige Angelegenheit, denn man kennt die allgegenwärtige Frage des "Was machst Du eigentlich" nur zu genau. Ohnehin hatte es niemand für nötig befunden, die unbeliebten Blondinen persönlich einzuladen, bis eine ebenfalls nicht gerade populäre ehemalige Mitschülerin ihnen vom Teffen erzählt. Der Weg in die provinzielle Heimat ist weit genug, um sich erlogene Erfolgsgeschichten auszudenken, die nur auf ihre Enttarnung warten. Tatsächlich ist die Wiedersehensfeier so spießig wie befürchtet, und es bedarf erst der Entdeckung durch einen überraschend zum VIP gereiften einstigen Outlaw der Schule: Es ist ein treuer Verehrer Michelles, der noch immer empfänglich ist für den ungekünstelten Charme der Freundinnen und sie aus der Biederkeit der Party in die noble Eleganz seiner Limousine rettet.
Schon in der Eröffnungsszene stellt sich der Film in die selbstgewählte Tradition moderner Aschenputtel-Utopien, wenn sich die Freundinnen zum wiederholten Mal "Pretty Woman" auf Video ansehen. Wenn beide schließlich am Ende tatsächlich ein Märchenprinz aus ihrer Alltagsmisere befreit, so ist dies lediglich der harmonische Schlußpunkt einer Reihe unmißverständlicher Attacken gegen jene bürgerlichen Ordnungsutopien, denen sich selbst "Pretty Woman" insgeheim verbunden fühlte.
Die Infantilisierung der amerikanischen Gesellschaft, vor der Kulturpessimisten gerne warnen, sie thematisiert diese Komödie in der Kontinuität zwischen Teenageroberflächlichkeit und einer den gleichen Werten verpflichteten Erwachsenenwelt. Auch wenn der alberne deutsche Untertitel "Alle Macht den Blonden" anderes befürchten läßt, wird die wenig gesellschaftsfähige Lebensart der Heldinnen nicht als schlechter Geschmack eines Lumpenproletariats der Lächerlichkeit preisgegeben. Romy und Michelle haben sich nahezu als einzige eine menschliche Ausstrahlung bewahrt, die sie - und darin ist die Märchenutopie ungebrochen - schließlich triumphieren läßt. In der Ironisierung gesellschaftlicher Werte liegt ein komisches Potential, das die Autoren ausschöpfen, und auch wenn aus dieser billig produzierten Komödie dadurch noch kein großer Film wird, versteht er es doch, über seine Laufzeit zu unterhalten. Hinzu kommt eine beachtliche Mira Sorvino, die der Figur der Romy zu überzeugender Vielschichtigkeit verhilft. (Daniel Kothenschulte, film-dienst)
"Romy und Michele": Zwei junge Damen, modebewußt und möchtegern-cool, wagen sich auf den Selbstbehauptungstrip, was eher tragisch als komisch ist - und letztlich doch zum Lachen.
Wieso sollen Glück und Erfolg nur den Schönen und Intelligenten vorbehalten sein? Wirklich häßlich sind Romy und Michele, die Heldinnen dieses Unterhaltungsfilms, zwar nicht (was man angesichts ihres Make-Ups allerdings kaum beurteilen kann), und auch wenn die beiden nicht gerade flinksten Geistes sind: guter Durchschnitt sind sie allemal. Seit ihrem Highschool-Abgang vor zehn Jahren leben Romy und Michele (Mira Sorvino und Lisa Kudrow) zusammen in einer kleinen Wohnung. Sie sehen zusammen (viel) Fernsehen und essen dabei (viele) Chips. Sie sind sich gegenseitig leidenschaftliche Modeberaterinnen, was für die häufigen Disco-Besuche nicht von Nachteil ist. Ohne sich ironisch von ihnen zu distanzieren, läßt Regisseur David Mirkin den eigenwillig naiven Stil der beiden Frauen das Timbre des Films vorgeben.
Bereits der Vorspann nimmt diesen Stil vorweg: Begleitet von einem schlichten, nervtötend heiteren Popsong montiert eine Hand in einer Trickfilm-Collage Stoffe, Bilder und diversen Tand zu einem bunt bewegten Allerlei. Und das setzt sich der Erzählung fort: Das Leben von Romy und Michele erscheint wie ein anspruchsloser Girlie-Popsong; Glamour ist angesagt, Kitsch das Ergebnis.
Irgendwann erfahren die beiden von einem Zehnjahrestreffen der Highschool-Abschlußklasse. Zunächst sind sie begeistert: Sie ziehen ein altes Photoalbum heraus und lassen einschlägige (in Rückblenden nachinszenierte) Ereignisse aus der Schulzeit Revue passieren. Doch irgendwie bekommen sie es jetzt mit der Angst zu tun: Was können sie den Kollegen von damals - in der Mehrzahl arrogante Schnösel - bieten? Sie haben nichts, was man groß herzeigen könnte: keine Karriere, keinen tollen Partner, keine Reichtümer.
Von hier an beginnt Romy & Michele tatsächlich amüsant zu werden: Man beobachtet die beiden bei ihrem Bemühen, cool zu wirken und beginnt mit ihnen zu überlegen, was (wann und wieso) " cool" oder eben gar nicht " cool" ist. Also fahren sie doch zum Treffen: als gefälschte Managerinnen. Nach einem höchst peinlichen Auftritt schlüpfen sie schließlich doch in ihre bunten Glitzer-Klamotten zurück und benehmen sich so ausgelassen wie eh und je. In diesen Kleidern, mit diesem Benehmen haben sie mehr Stil als ihre gesamte Umgebung.
"Sei einfach so, wie du bist", das mag wohl die banale Moral von Romy & Michele - und eines Gutteils des amerikanischen U-Kinos - sein. Aber es ist doch ein kleiner feiner Genuß, wenn man diese Moral zur Abwechslung nicht als schwere dramatische Pointe serviert, sondern dermaßen schrill verpackt ins filmische Unterhaltungsprogramm geschmuggelt bekommt. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 13/9/1997)
Was braucht man, um zwei gescheite Damen zum doppelten Blondinen-Witz umzugestalten? Einen Eimer Schminke, einen Schrank voll grellbunter Glitzerkleidchen und (so es sich um einen Film handelt) ein an Blödheiten reiches Drehbuch. Mira Sorvino, Oscar-Preisträgerin und (in Harvard) promovierte Sinologin, sowie Lisa Kudrow, Schauspielerin und studierte Biologin, verkleiden sich für "Romy und Michelle" in Romy und Michelle. Die sind zwei Tussis von erlesener Qualität. Geistesmäßig herrscht bei ihnen gähnende Leere, doch dafür geht ihnen das Herz über vor Lieschen-Müller-Träumen von Reichtum und Liebe.
Ihre Jagdzüge nach dem Idealmann, der ihnen außer Zuneigung vielleicht auch noch eine dicke Limousine schenkt, enden aber stets ohne Beute. Ihr Dasein als Doppel-Null bereitet den Damen naturgemäß wenig Freude, und als sie eines Tages zu einem Klassentreffen eingeladen werden, verfallen sie auf eine hirnrissige Idee. Sie stapeln hoch. Sie schlüpfen ins dunkle Tuch von Business-Ladies und teilen den Ex-Schulkolleginnen mit, sie hätten die in aller Welt verbreiteten "Post it"-Klebe-Etiketten erfunden. Was den anderen Mädels natürlich Lachkrämpfe entlockt und das Faß der Peinlichkeiten endgültig zum Überlaufen bringt. Stopp.
"Romy und Michelle" ist zweifellos eine Komödie - rätselhaft bleibt nur, was für eine. Einmal präsentiert sich der Film als Märchen, dann versucht er den Sprung zur Satire oder zur Farce, doch stets bleibt er in den Untiefen ultraflachen Humors stecken. Die meisten Pointen sind genauso dumm wie die Titelfiguren. Eine Nichtigkeit also - bei der dem Filmfreund nur die wehmütige Erinnerung bleibt, mit welch schwebender Leichtigkeit Mira Sorvino als gutmütige Porno-Queen in Woody Allens "Geliebte Aphrodite" in die erste Liga der Filmstars aufstieg. (Gunther Baumann, KURIER)
Weitere Kritiken der IMDb
USA 1997. 98 min
Regie: Barry Sonnenfeld,
Buch: Ed Solomon, nach dem "Malibu"-Comic von Lowell Cunningham,
Musik: Danny Elfman,
Kamera: Donald Peterman,
Schnitt: Jim Miller,
Darsteller: Tommy Lee Jones (Agent K), Will Smith (Agent J (James Edwards)), Linda Fiorentino (Agent L (Dr. Laurel Weaver)), Vincent D'Onofrio (Edgar), Rip Torn (Agent Zed), Tony Shalhoub (Jack Jeebs), Siobhan Fallon (Beatrice)
Kinostart: 12/9/1997
Den Hang zur grotesken Persiflage hat Barry Sonnenfeld schon öfters genüßlich unter Beweis gestellt. War es in den beiden "Addams Family"-Teilen noch die Verkehrung des "American way of life" und in der Gangsterposse "Schnappt Shorty" (fd 31 818) die grassierende "Tarantinomania", so holt er jetzt zum ironisch-ausgelassenen Rundumschlag gegen das Science-Fiction-Genre aus. Sein "MIB", wie der Film erfolgsträchtig vermarktet wird, versammelt so ziemlich alles, was seit der ersten Hochblüte des Genres in den 50er Jahren das Licht der Leinwand erblickte: friedliche wie kriegerische Außerirdische, intergalaktische Zwistigkeiten, Untertassen und Raumkreuzer, Invasionsängste - und natürlich eine Reihe von Wesen, die wie Menschen aussehen, aber deswegen noch lange keine sind.
Erzählt wird die aktionareiche Farce aus der Perspektive zweier US-Bundesbeamten, die einer streng geheimen Behörde angehören, von deren Existenz selbst Washington nichts weiß. Die Abteilung für außerirdische Angelegenheiten soll 1956 gegründet worden sein, als Extraterrestrier die Radiobotschaften der Menschheit ins All zurückverfolgten und dabei den blauen Planeten als Zufluchtstätte für politisch Verfolgte entdeckten. Seitdem bevölkern rund 1500 "Aliens" den Erdball, die meisten davon in Manhatten, wo sie von den "Männern in Schwarz" in Allianz mit einem interstellaren Rat überwacht werden. Deren Zentrale befindet sich tief unter dem Hudson, ein Art galaktischer Großumschlagsplatz im Architekturgewand der 60er Jahre, wo nicht nur die täglichen Neuankömmlinge überprüft und registriert, sondern alle ihre Aktivitäten auch kontrolliert werden. Daß die Öffentlichkeit von dem regen Treiben nie etwas erfahren hat, liegt an technischen Innovationen der Besucher: an einem bleistiftgroßen Gerät beispielsweise, das mittels eines Lichtblitzes jede Erinnerung an sie aus Kurz- wie Langzeitgedächtnis löscht. In den Händen der Agenten K und J kommt dieser Neutralisator relativ häufig zum Einsatz, weil sie mißliebige Fremde zur Räson bringen, unerwünschte Gäste aber unter die Erde oder zurück ins All befördern sollen. Was der Umwelt nur selten verborgen bleibt, worauf das ungleiche Duo stereotyp schwarze Sonnenbrillen und den Zauberstab zückt. Als eine riesige Kakerlake auf der Erde landet und in der Haut des Farmers Edgar eine blutige Spur durch New York zieht, geraten die beiden MIB's unter Druck: Während "Edgar" hinter einem Königssproß der "Aquilianer" herjagt, um sich und seine Rasse in Besitz einer diamantgroßen Galaxie zu bringen, schiebt sich ein aquilianisches Kriegsschiff in Schußposition zur Erde, deren Vernichtung droht, wenn die "Men in Black" nicht binnen einer Stunde das Miniatur-Universum retten. Bis die beiden im New Yorker Leichenschauhaus unter tatkräftiger Mithilfe der Pathologin Laurel das Rätsel um die Galaxie "im Band des Orion" entschlüsseln, ist ihm auch die Schabe auf die Schliche gekommen, dessen mentale Schwierigkeiten verblassen, wenn er sich aus seinem "Edgar"-Kostüm befreit und in geballter Häßlichkeit nach den Sternen greift.
Aus diesem einer Comic-Serie entlehnten Gespinst ist ein wildes, überbordendes, augenzwinkerndes Fantasy-Märchen entstanden, das in seiner optischer Brillanz ebenso verblüfft wie seine stupende Zitierwut in Staunen versetzt. Kaum eine Szene, die nicht an andere Filme erinnert, kaum ein Dialog, der sich nicht als ironischer Seitenhieb auf die Zeitgeschichte oder populäre Kulturphänomene verstehen ließe. Es ist, als feierte die Fabulierenergie aus "Tausendundeiner Nacht" fröhliche Urstände, als wären Bänkelsänger und Hofnarren wiedererstanden: Elvis ist nicht tot, sondern bloß nach Hause zurückgekehrt, Steven Spielberg ebenso ein Alien wie O.J. Simpson, Silvester Stallone oder Michael Jackson, die zeugungsfreudige New Yorker Nacht ohne Strom ein kleiner Lapsus, und die stählernen Zeugnisse der 1964er Weltausstellung in Queens sind nichts anderes als eingemottete Raumschiffe der ersten Besucher. Wahrscheinlich ist es gar nicht verwunderlich, daß bei einem solchen Feuerwerk auf Stringenz oder inhaltliche Vertiefung weniger geachtet, dafür aber um so mehr auf zugkräftige Gags und brillante Special Effects gesetzt wurde. So bleibt die lakonische Bemerkung eines kleinen außerirdischen Hundes, daß die Menschen wohl nie begreifen, daß es nicht auf meßbare Größe, sondern auf das Wesen der Dinge ankomme, ebenso eine Marginalie wie die imposante Schlußsequenz, in der ein Rückwärtszoom in rasender Geschwindigkeit von Hauptquartier der MIB's in der Unendlichkeit des Alls verschwindet, bis Milchstraße und andere Galaxien sich in einer kleinen Kugel spiegeln, die einem blauen Wesen als Golfball dient. (Josef Lederle, film-dienst)
Wer wunderte sich nicht schon über extrem seltsame Mitmenschen? "Men in Black" erklärt alles! Während lächerliche Grenzbeamte in Bayern nach illegalen Albanern fahnden, kümmert sich eine amerikanische Spezialabteilung um all die circa 1500 außerirdischen Asylanten unter uns - wenn das Mulder und Scully wüßten! Die meisten von ihnen wohnen übrigens in Manhatten und Kalifornien. Einige wurden Filmstars, wie das Wesen mit Gesichtslähmung, das entweder boxt oder sich in Schlamm und Blut wälzt.
Die "Men in Black" fischen ihre verläßlichsten Informationen aus den unglaubwürdigsten Schundblättern, tragen eine Einheitsuniform aus schwarzem Anzug und Ray Ban-Sonnenbrille. Und sind vor allem unschlagbar komisch. Na, vielleicht kommen einige der Typen von Wega noch besser, oder die faulen Knilche, die in der Spezialabteilung den Kaffee vergießen ... Ein supersportlicher, ziemlich cleverer Polizist (Smith) schaut ziemlich doof aus der Wäsche, als er von Agent K (Tommy Lee Jones) in diese streng geheime Welt eingeführt wird. Und das Kino lacht sich schlapp.
Aber das neue Team aus K und J - genannt Junior - muß sofort - nachdem J mit außerirdischer Technologie für galaktisches Chaos sorgte - in Aktion treten: Eine Kakerlake mit Riesenkräften und miesem Charakter schlüpfte in eine schlecht sitzende Menschenhaut und will gleich die gesamte Galaxie entführen, was einige Leute auf der Wega gar nicht mögen. In einer trick- und actionreichen zweiten Hälfte erfüllen K und J ihren Auftrag: Die Erde vor dem Abschaum des Universums zu schützen!
Der angekündigte Superstar Will Smith zeigt neben dem Alt-Profi Tommy Lee Jones, was er wert ist. Die Computer-Trickser von Industrial Light & Magic legten bei der Erzeugung künstlicher Kreaturen neue Standards hin. (Regisseur Sonnenfeld hat nun allerdings keine Lust mehr auf die Rechner-Hilfe. Es sei so schwer gewesen, den Leuten damit Humor zu vermitteln.) Danny Elfman - wer sonst als der Hauskomponist von Tim Burton - komponierte die außerirdische Musik! Ein rasantes Vergnügen mit vielen neuen Ideen macht sich einen tollen Spaß mit der Rosewell- und Akte X-Manie. Aber genau das war ja von dem ehemaligen Kameramann Sonnenfeld zu erwarten, der schon der "Addams Family" seinen Stempel aufdrückte. So läßt sich gut mit Hollywood lachen. (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)
Als hätten man es nicht immer schon geahnt: Die Erde ist voll von Außerirdischen, die sich hier als Mensch getarnt herumtreiben. Um sie kümmert sich eine amerikanische Spezialeinheit, die Men in Black (MIB). Sie betreuen die friedlichen Besucher und jagen die bösartigen. Wer in ihre Aktivitäten verwickelt wird oder gar einen Blick auf die ungetarnten Aliens erhascht, bekommt mit einem Spezialgerät schnell das Kurzzeitgedächtnis gelöscht. Ein Veteran der MIB, Spezialagent K (Tommy Lee Jones), ist auf der Suche nach einem potentiellen Nachfolger in seinem Amt, das jeglichen näheren Kontakt zu anderen Menschen verbietet. Dabei stößt er auf einen aufgedrehten Polizisten (Will Smith), der schnell zum Agenten J wird. Gemeinsam treten sie eine wichtige Aufgabe an. Denn eine gefährliche Schwabe hat sich im Landwirt Edgar breit gemacht und bedroht nun die Welt. Sie muß zerstört werden, bevor es ihr gelingt, eine Mini-Galaxie von der Erde fortzubringen. Es kommt zu einem knalligen (und verschleimten) Finale.
Eine chaotische Mischung aus "Independence Day", "Blues Brothers", "Ghostbusters", "Mars Attacks" und sicher noch einigen anderen Versatzstücken. Das Ergebnis ist trotzdem zu einem gelungenen Ganzen zusammengestrickt und überzeugt insbesondere durch das perfekte Hauptdarstellerduo. (film.de)
Elvis Presley ist nicht von dieser Welt und gewisse sadistische Mathematiklehrer auch nicht: Der US-Kinohit "Men in Black" versorgt uns ab Freitag mit Informationen über längst erfolgte galaktische Invasionen. Und präsentiert erfreulich gelassene Agenten im Dienste friedlicher Koexistenz.
Eine knifflige Eignungsprobe für Spezialagenten: Es treiben sich, sagen wir, etwa zwanzig schleimige Aliens nächtens auf einer Straße in New York herum. Wie hält man sie sich vom Leib, und warum erschießt ein Auszubildender ausgerechnet ein kleines Mädchen, das schüchtern durch diese Monsterhorde durchmarschiert?
Antwort: "Die hier war wirklich gefährlich. Welches menschliche Kind würde um diese Zeit mit einem Buch über Quantenphysik unterwegs sein?" Men in Black, der erfolgreichste Film dieses US-Kinosommers, verhandelt jene Situationen, in denen der Paranoiker scharfsichtiger ist als jeder seriöse Analytiker.
Vergessen Sie also, was in den Qualitätszeitungen steht. Jene irrwitzigen "Unglaublich, aber wahr"-Magazine, in denen Ufos auf Kuhweiden landen, sind, wie man jetzt erfahren muß, ungleich besser informiert. Nur, wer könnte schon damit leben, daß dahingesagte Bemerkungen wie "Michael Jackson ist ein Außerirdischer" der Wahrheit entsprechen? Wie ginge die Menschheit damit um, daß sadistische Mathematiklehrer wirklich nicht von dieser Welt sind? Ja, und Elvis Presley ist nicht tot. Er ist "nur nach Hause zurückgekehrt".
Wenn derartige Wahrheiten in Men in Black gelassen ausgesprochen werden, dann entspricht die Haltung der beiden Protagonisten (Tommy Lee Jones und Will Smith) nicht selten der eines B-Picture-Genres, das endgültig auf den Kopf gestellt wurde. Mußte im Vorjahr noch ein US-Präsident am Independence Day topseriös gegen böse galaktische Eindringlinge auftreten, so ist heuer in Hochgeschwindigkeitsvehikeln, die kopfüber Tunneldecken entlangrasen, Melancholie angesagt.
Und Güte: Mehrere tausend Aliens leben schon seit Jahrzehnten unbemerkt vom Rest der Erdbevölkerung unter uns. Es geht nicht um Beseitigung von Fremden, sondern um Koexistenz. Eingeschmuggelte mexikanische Einwanderer werden also gleich zu Beginn des Films nicht in die Heimat zurückgeschickt. Dafür "entlarvt" Jones zwischen all den zitternden Flüchtlingen einen unangenehmen Gesellen, der deftige südamerikanische Beschimpfungen mit lächelndem Unverständnis quittiert. Resultat: hellblauer Schleim auf der Uniform eines bornierten, unsympathischen Grenzpolizisten.
Aber auch für derartige Notfälle ist der Agent in Schwarz bestens gerüstet: Ein Blitzlicht aus einem kugelschreiberartigen Gerät beseitigt die Erinnerungen des Beamten. Förmlich dauergelöscht wird das Gehirn einer Gerichtspathologin (Linda Fiorentino), die fast täglich mit Alien-Leichen konfrontiert ist – was immer wieder schöne Dialoge zwischen den Agenten zeitigt: "Was hältst du von dem Körper?" – "Echt in Ordnung!" – "Ich meine den Körper auf dem Tisch, du Narr."
Men in Black ist also politisch nicht immer unbedingt korrekt, aber es ist ein gewisser Anstand hinter den coolen Sprüchen spürbar: einfach großartig zum Beispiel eine jahrelang mißhandelte Farmersfrau, die bei der Beschreibung ihres sehr jäh verwandelten Mannes – "Es sah aus, als hätte sich jemand Elgar übergezogen!" – zu lachen beginnt. Es bleibt offen, ob das ein Lachen der Schauspielerin ist, die mit Jones und Smith auf dem Sofa gegenüber schon eine schwere Zwerchfellattacke verarbeiten mußte.
Es ist etwas angenehm Dahintrödelndes an diesem Film, so von einer lässig herausgeschobenen Pointe zur nächsten – Französisch parlierende, kettenrauchende Mini-Aliens an der Kaffeemaschine! –, und die Darsteller verstärken das noch durch einen lockeren Gestus von Nachtclubkomödianten. Men in Black hätte für den endgültigen Durchbruch zur Kultkomödie wohl nur noch mehr Schlankheit, noch mehr Reduktion auf die Schauspieler gebraucht.
Aber daran ist gegenwärtig bei US-Großproduktionen kaum noch zu denken: Auch Regisseur Barry Sonnenfeld (zuletzt etwa bei der Addams Family mit dem Normalen im Grotesken befaßt) muß die obligaten wuchtigen Tableaus und Computerdemonstrationen liefern. Dabei bedürfte es etwa im Hauptquartier der Men in Black nicht unbedingt der teuren futuristischen Dekors: Das fast stumme Spiel, auf das sich etwa Will Smith einmal mit einem höllisch laut quietschenden Tisch einläßt, wäre für die Parodie auf falschen Elitarismus im Dienst der Nation ausreichend.
Und wenn am Ende dann die Erde selbst zu einer digital generierten Murmel im Spielbeutel eines Tricktitanen wird, dann ist das weniger eine Schlußpointe im Spiel mit Größenverhältnissen und Prioritäten, das den Film durchzieht: "Klein ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit unwichtig." Man hat in diesem Moment, in dem endgültig die glatte Animation regiert, vielmehr das Gefühl, man hätte einem im Prinzip humanen Kino endgültig das Lebenslicht ausgeblasen. Ansonsten: feine Sache. Einer Fortsetzung steht ohnehin nichts im Wege. (Claus Philipp DER STANDARD, 11/9/1997)
Mit "Men in Black" legt die US-Filmindustrie nicht nur einen teuren neuen Welterfolg vor, sondern eine überraschend gezügelte und clever designte Action-Fantasy-Komödie vor. Zwei Herren in dunklen Anzügen sind eben seriöser als Luftterroristen und Saurier.
Die erste Spur führt gleich ins Leere: in den ersten Scherz nämlich, den man zwar bei Gary Larson geklaut hat, aber was macht das schon? In der Ideenmischmaschine Hollywood, wo man für populäre Einfälle selbst nahe Verwandte verkaufen würde, kommt keiner ungeschoren davon. Was gut aussieht, kommt ins Menü, und wenn es ein wenig noch nach persiflierender Umdrehung der Eröffnungsszene von Forrest Gump klingt, dann ist das hier selbstverständlich erwünscht: Also startet Men in Black mit einer computeranimierten grünen Libelle, die im Close-Up der Kamera durch die Nacht surrt und, von Danny Elfmans anspielungsreicher Trivialmusik umspielt, elegant um die Ecke biegt, bis sie recht jäh und recht unfeierlich an der Windschutzscheibe eines Lastwagens ihr Ende findet.
Hier geht die Geschichte, die Men in Black erzählt, aber erst los: Die heruntergekommenen Herrschaften im Innern des Wagens, illegale Einwanderer, treffen auf zwei Herren im schwarzen Anzug, die der rassistischen örtlichen Polizei das Heft aus der Hand nehmen und die Mexikaner in Amerika herzlich willkommen heißen. Nur einen von ihnen nehmen sie beiseite: Unter seiner irdischen Hülle verbirgt sich ein Alien.
Die Men in Black , so will es diese Geschichte, sind Außerirdischen auf der Spur, Spezialagenten im Dienst der Integration friedlicher und der Eliminierung kriegerischer Aliens. Man bedroht wieder die Welt, ein altes Sujet im US-Kino, und Man in Black Tommy Lee Jones wählt sich einen neuen Partner, den jungen Schwarzen Will Smith. Einen guten Teil der humoristischen Energie bezieht Regisseur Barry Sonnenfeld (The Addams Family) aus dem Zusammenspiel von Mr. Smith und Mr. Jones: Selten hat sich ein monumentaler Fantasyfilm aus dem neuen Hollywood auf dermaßen eingespieltes Understatement verlassen dürfen und auf Dialoge, die so ungezwungen klingen, daß man sie den Schauspielern fast schon glauben könnte.
Die Lust an der Zerstörung, seit langem untrennbar mit Hollywoods Unterhaltungstaktiken verbunden, schraubt Men in Black merklich zurück: Wenn da eine kleine außerirdische Kugel kurzfristig entgleitet und ein Großraumbüro in Höchstgeschwindigkeit zwanzig Sekunden lang verwüsten darf, dann geschieht das in diesem Film äußerst lakonisch, mit punktgenau gesetzten Demolierungen bei dennoch maximaler Überraschungswirkung. Gegen die pyromanisch entgrenzten Destruktionsorgien von Con Air, Independence Day oder Jurassic Park sieht Men in Black wie eine Flipper-Partie aus.
Tausend Ideen geistern durch Men in Black, und nicht alle sind sie genial. Aber etwa Steven Spielberg, den Executive Producer dieses Films, in einer Szene mit ernstem Gesicht ganz nebenbei zu einem Außerirdischen zu erklären, der aber insofern harmlos sei, da er unter ständiger Supervision stehe, darin steckt doch einiges an sublimer Frechheit.
Um Verschwörungen und Maskierungen (wie sie demnächst auch der beste Hollywoodfilm dieser Saison, John Woos Face / Off beschreiben wird) dreht sich Men in Black: Die Erde ist voll von Aliens, in jeder Kreatur könnte das Fremde lauern, in jeder Menschenhaut, hinter jedem Gesicht steckt ein ganz anderes Lebewesen. Einen Mops etwa, das lehrt dieser Film, muß man nur solange beuteln, bis er zu sprechen beginnt (vorausgesetzt, er ist ein Alien): Sonnenfeld akzentuiert die Groteske dieses Bildes, indem er mit seiner Kamera auf Distanz geht, um sich einen Blick zu leisten auf einen Oscar-Preisträger (Jones), der da, ausgesprochen ernst, einen Mops schüttelt.
Die Ghostbusters dieses Films arbeiten mit einem interessanten Spielzeug, das Erinnerungen löschen kann, wenn Menschen mit Aliens in Berührung gekommen sind: Um in Frieden leben zu können, scherzt Men in Black, muß man alles vergessen, was die Wirklichkeit ist. Nur in der totalen Fiktion kann es noch Entspannung geben. Hollywood, könnte das heißen, arbeitet nach genau dieser Methode. Und die sehr realen Zeitungen, Amerikas Boulevard- und Sensations-Gazetten, titeln hier alle weiterhin mit gesichteten Ufos und erspähten Außerirdischen: Sie haben alle recht, wenn es nach diesem Film geht, in ihnen ist die Wahrheit über Amerika nachzulesen. Ein maliziöser Gedanke, der weit über das hinausreicht, was Hollywood, jener erste Ort der gefälschten Sensationen und forcierten Panikmache, sonst zu bieten hat: Vielleicht ist Men in Black nur eine Art satirischer Dokumentarfilm über Amerikas Popkultur und all die US-Verschwörungstheorien, denen eben keine noch so absurde Komödie das Wasser reichen kann. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 13/9/1997)
Wir haben es ja geahnt: Die Außerirdischen sind mitten unter uns. Eine Spezies wie Michael Jackson ist noch dazu schlecht getarnt.
Zum Glück ist die Mehrheit der Aliens friedlich. Sie führen Schmuckgeschäfte und Zeitungskioske, rauchen Marlboro und saufen französischen Wein. "Unerwartet wenige arbeiten als Taxilenker", will der Agent einer offiziell natürlich nicht existierenden Organisation lustig sein. Diese Abteilung der US-Einwanderungsbehörde überwacht die auf der Erde lebenden Aliens und betreut Neuankömmlinge aus dem All.
"Ich gehe nicht zum Psychiater, ich mache Filme", sagt Regisseur Barry Sonnenfeld. Schön für ihn. Er ist das neue Liebkind Hollywoods. "Men In Black" konnte an den Kinokassen nämlich den lauen US-Sommer retten. Steven Spielbergs Dinosaurier-Spektakel hat er längst überrundet.
Was Sonnenfeld wirklich zugute gehalten werden kann: Er weiß um den Schwachsinn, den er da mit etlichen Seitenhieben verwurstet. (Christian Ude, Kleine Zeitung, 13/9/1997)
Es hat Tentakel von Lichtmastlänge, melonengroße Knopfaugen und ist mit Michael Jackson ebenso verwandt wie mit Sylvester Stallone... Unheimliche Begegnung der (mittlerweile jetzt schon) vierten Art. Deren Clou, daß uns diese vierte Art vor allem mit unheimlich viel Humor begegnet. Jux, Tollerei und lustige Spezialeffekte landen dabei mit größerer Dichte als Flieger am Frankfurter Airport. Allein darauf kommt's aber auch an bei dieser furios dahinwirbelnden Blödelparodie auf Ufo-Hysterie und Alien-Angst. Auch wenn darin sogar das Gegenteil behauptet wird...
Er wolle sich wohl über sie lustig machen, grantelt eine durch außerirdisches Unheil verwitwete Erdbewohnerin den ermittelnden Agenten vom Sonderdezernat für intergalaktische Immigranten an. Darauf der Mann in Schwarz: "Wir vom FBI haben keinerlei Humor, von dem wir wüßten." Zum Glück weiß es wenigstens der Film besser als die beiden ray-ban-beschatteten, ultracoolen Alienjäger Smith und Jones, der pockennarbige, weiße Oldie und der junge, freche Africanamerican. Die zwei outen und terminieren freilich nur die kriminellen unter den Außerterrestrischen, üben sich neben streng geheimer Investigation und exzessivem Waffengebrauch aber auch in offenem Spott, triefendem Hohn und genüßlicher Selbstverarschung.
Da wird amüsiert und amnesiert, daß selbst einem Marsmännchen das kreiselförmige Herz aufgeht. Wobei das Amnesieren selbst stark an jenen Vorgang erinnert, der Schüler knapp vor wichtigen Prüfungen heimzusuchen pflegt. Wie konnte unsereins nur so blind sein und glauben, wir Menschlinge wären noch immer unter uns! Endlich öffnet Hollywood unsere Augen und enttarnt das Innenleben halbseidener Pfandleiher, verfressener Möpse und mexikanischer Greise als Monster from Outaspace.
Dabei darf natürlich weder an Fantasie noch an Schleim gespart werden. Daß es sich bei Kakerlaken um besonders gefährliche Ungeheuer handelt, hat zwar schon meine Mutter vor Jahrzehnten entdeckt. Dieses geheimwissenschaftliche Bildungswerk von Science-fiction-Groteske hat nun aber sogar mich davon überzeugt. Übrigens: als Produzent zeichnet ausgerechnet jener Steven Spielberg, der einst die erste Begegnung der dritten Art verewigt hat. Was war das doch im Vergleich mit diesem Comic respektloser Alien-Hatz für ein weihräucherndes Salbungsgesäusel... (Rudi John, KURIER)
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