Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 21. November 1997 neu angelaufene Kinofilme


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MEIN LEBEN IN ROSAROT (MA VIE EN ROSE)

B / F / GB 1997. 89 Min
Regie: Alain Berliner, Buch: Chris van der Stappen, Alain Berliner, Musik: Dominique Dalcan, Kamera: Yves Cape, Schnitt: Sandrine Deegen, Darsteller: Michèle Laroque (Hanna), Jean-Philippe Écoffey (Pierre), George du Fresne (Ludovic), Hélène Vincent (Élisabeth)
Kinostart: 21/11/1997

Der kleine Ludovic ist als Junge geboren, tief in seinem Inneren aber davon überzeugt, daß er ein Mädchen ist. Er spielt mit Puppen, zieht Kleider statt Hosen an. Doch was Ludovic für völlig normal hält, stößt bei den Eltern und Nachbarskindern auf Ablehnung. „Ich erinnerte mich an den Satz von Picasso: ‚Wo immer ich auf Grau treffe, werde ich Rosa dagegensetzen.’” (FALTER)

Warum sind kleine Jungen immer in blau, Mädchen dagegen immer in rosa gekleidet? Der kleine 7jährige Ludovic verhält sich anders, als die hergebrachten Regeln es ihm und seiner Familie diktieren. Er will unbedingt ein Mädchen sein und läuft fortan in Kleidern umher, schminkt sich und spielt mit Puppen. Die Eltern tolerieren das merkwürdige Verhalten, halten es für vorübergehend. Bei der Einweihungsfeier ihres neuen Hauses erscheint der Kleine ebenfalls in Mädchenkleidern, sie können es gerade noch überspielen. Doch als er ankündigt, den Sohn vom Chef seines Vaters zu heiraten, und die beiden Kleinen gar eine kleine Hochzeitsfeier abhalten, bringt er seine Familie in ernsthafte Schwierigkeiten. Sie werden isoliert, der Vater verliert letztendlich den Job.
Die kindliche Frage nach der Geschlechteridentität wird gut aufgenommen und gefühlvoll umgesetzt. Eine Antwort auf die obige Frage kann jedoch nicht gegeben werden. (film de)

Das sexuelle Leben der Belgier, diese freche, leicht dadaistische Komödie von Jan Bucquoy, erhält endlich eine gleichermaßen originelle und ernsthafte Fortsetzung: In einer genormten, kitschigen Vorstadtsiedlung gleichen Autos, Häuser und Familien einander - nur der kleine Ludovic ist anders. Er denkt, er sei ein Mädchen. Ganz selbstverständlich verspricht der Siebenjährige einem Freund: "Wir heiraten, wenn ich kein Junge mehr bin!" Während der Vater den Schock mit besonders männlichen Klimmzügen bewältigen muß, nimmt die moderne, eigenwillige Mutter alles "super-locker". (Hervorragend in allen Schattierungen: Hélène Vincent). Auch Ludovics unbekümmerte Freundschaft mit dem Nachbarssohn Jerome führt noch zu spaßig-anzusehenden Ausbrüchen bei Jeromes erz-katholischen Eltern. Da es die Umgebung scheinbar nicht so einfach hat mit dem "garconfille" Ludovic, flüchtet er sich mit Hilfe der guten Fee Pam immer wieder in eine kitschige Traumwelt aus bunten Barbie-Häusern. Als Ludovics Vater allerdings seinen Job verliert und die ganze Familie von den Nachbarn geschnitten wird, beginnt die wahre Hölle. Die bislang tolle Familiengemeinschaft zerbricht unter den extremen Belastungen. Der große Bruder läßt Ludovic allein unter der Prügel von Mitschülern. Auch zuhause gibt es erstmals Schläge. Mutters Toleranz ist am Ende. Der Gang zum Psychiater kehrt sich allerdings wieder originell gegen die Eltern. Als "Beautiful Thing" Ludovic bei der Schulaufführung sich die Rolle des Schneewittchens erschleicht, gibt es keine Rettung mehr ...
Das Wunderbare an diesem Film in Rosarot ist sein leichter Humor im Zusammenspiel mit einer ungewöhnlich differenzierten Darstellung seines ernsten Themas. Es gibt keine einfache Lösung, also gaukelt der Film auch keine vor und endet in Ludovics bonbon-bunter Traumwelt. (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)

Alain Berliner, belgischer Filmemacher, erzählt in seinem charmanten Kinodebüt von einem Buben, der lieber ein Mädchen wäre. Und die heile familiäre Welt droht zu zerbrechen. Neu im Kino.
Geschichten von der Ambivalenz der sexuellen Identität sind ja gemeinhin nicht der Stoff, aus dem das Unterhaltungskino ist. Das Crossdressing, der Textilientausch zwischen den Geschlechtern, ist bisweilen im Kino wohl ein Thema, wenn auch allzu selten eines, das mit formaler Leichtigkeit betrieben wird. Ma vie en rose / Mein Leben in Rosarot, das vielbeachtete Filmdebüt des Belgiers Alain Berliner, versucht den Brückenschlag zwischen problematisch und unterhaltsam, stets bemüht, reale soziale Nöte in die Sprache des Pop-Kinos zu übersetzen.
Ma vie en rose macht seinem Namen alle Ehre: Der siebenjährige Ludovic, der weiß, daß er als Mädchen leben will, flieht vor seiner Umgebung in eine Phantasiewelt, die er sich als Kreuzung aus plüschiger Seifenoper und rosa Prinzessinnen-Puppenhaus zusammenreimt. Wo Barbie wohnt, sind die Seelen rein, die Menschen gut und nur die Zweifler deplaziert. In dem kleinen Georges du Fresne hat Berliner einen idealen Helden gefunden, der mit Charme und ohne große Worte den introvertierten Buben spielt, der sich in Mädchenkleidern und friedlichen Phantasien eben wohler fühlt als in der moralisch streng abgezirkelten Welt seiner Familie. Manchmal scheint es, als wäre Ma vie en rose zur Gänze um das entwaffnende Lächeln seines Helden herum gebaut.
Das erste künstlerische Problem, in das sich dieser Film manövriert, liegt in der Tatsache, daß Berliner beide Welten, die süße imaginierte und die herbe "reale", märchenhaft färbt - und sich so die eigenen Argumente nimmt: Zwischen Ludovics Traumwelt und dem Fantasy-Bürgertum, das sich hier in einer bunten Plastik-Vorstadt hinter fein ziselierten Kulissen-Hecken verschanzt, gibt es (wenigstens stilistisch) nicht den geringsten Konflikt. So taucht Ma vie en rose von der schaumig geschlagenen Tragikomödie bald vollends ab in jenes verminte Gebiet, das man Thesenkino nennt: Mit sozialen Thesen ist man schnell zur Hand, wenn formale Thesen daraus nicht zu folgen haben. Berliner macht es sich - vor allem, was die Resultate des kindlichen Nonkonformismus betrifft - erstaunlich leicht: Die intoleranten Nachbarn kreisen, plötzlich sehr gefährlich, das Kind und seine Familie ein, wie das einst auch der Mob in Frankenstein mit dem geächteten, schuldlosen Monster gemacht hat. Und diese Assoziation kann Berliner nicht mehr recht sein: Wäre es darum gegangen, die Verwirrungen in geschlechtlichen Identitätsfragen mit Mitleidserregung und Verbrechen in Verbindung zu bringen, er hätte seinen Film gar nicht erst drehen müssen. Wo das Kino die Welt nur verdoppelt, macht es sich selbst (künstlerisch) überflüssig. Aber wer weiß: Vielleicht ist es ihm ja doch nur darum gegangen, einen kleinen bunten Unterhaltungsfilm herzustellen, dessen Ansprüche kleiner sind als die Lust an der Farbe. Der Lockruf des Kunstgewerbes tönt eben lauter als der der Kunst. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 21/11/1997)

Ludovic ist erst sieben Jahre alt, doch er weiß bereits genau Bescheid über sein Lebensproblem. Bei seiner Zeugung wurde ein X mit einem Y vertauscht. Weil irgendetwas mit den Chromosomen schiefging, kam er als Junge zur Welt. Doch ihm ist klar: Er ist ein Mädchen. Wenn die äußere Realität nicht der inneren entspricht, muß man halt eine neue Wirklichkeit schaffen. Fußball und andere rauhe Spiele sind Ludovics Sache nicht; an Buben ist er nur insoweit interessiert, als man sie später heiraten könnte.
Mit eiserner Beharrlichkeit kehrt der Knabe seine weibliche Seite hervor. Er trägt lieber Röcke als Hosen. Er mag nicht im Stehen pinkeln. Und als seine ältere Schwester die erste Regel hat, bekommt auch der Siebenjährige Bauchweh. Er spürt die Schmerzen der Menstruation. Umwelt und Familie reagieren erst erheitert, dann irritiert und schließlich abweisend auf den sanften Sonderling. Man spottet ihn aus, verhöhnt ihn als Schwulen und irgendwann ist der Eklat da.
Als Ludovic in einer Kinderaufführung im Schneewittchen-Kostüm auftritt und von einem Buben wachgeküßt werden will, fliegt er von der Schule. Der Film ist ein leicht surreales Sittenbild zwischen Komödie und Sozialdrama. Er wirbt um (und erzielt) Verständnis für die Phantasiewelt des mädchenhaften Knaben, an der sich die Vorurteile der Erwachsenen in hartem Kontrast spiegeln.
Logisch, daß die Alten letztlich als die Angeschmierten überbleiben. Mit dicken Brettern vorm Kopf sitzen sie in ihrem kleinen Spießer-Idyll und können individuelle Lebensentwürfe nicht ertragen. (Rudi John, KURIER)

Derzeit im Filmcasino, siehe IMDb

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MOSSANE - DIE SCHÖNSTE FRAU VON AFRIKA (MOSSANE)

SENEGAL 1996. 105 Min
Regie: Safi Faye, Buch: Safi Faye, Musik: Yandé Codou Sène, Kamera: Jürgen Jürges, Schnitt: Andrée Davanture, Darsteller: Abou Camara (Onkel Baak), Alpha Diouf (Ngor), Alioune Konare (Fara), Isseu Niang (Mere Mingue Diouf), Magou Seck (Mossane), Moustapha Yade (Samba)
Kinostart: 21/11/1997

Mossane, eine sehr junge Frau, soll mit einem reichen Emlgranten verheiratet werden, sie aber liebt einen mittellosen Studenten. Ein schönes, schlichtes Melodram, in schönen. schlichten Bildern und Bewegungen erzählt. (FALTER)

Die Afrikanerin Safi Faye erzählt in "Mossane" von der Auflehnung eines senegalesischen Mädchens gegen die menschenfeindlichen Konventionen ihres Dorfes: ein sanftes, semidokumentarisches Melodram, derzeit im Kino.
Die Filme, die aus Afrika zu uns gelangen, sind in fast allen Fällen klar, linear, schlicht erzählt. Elementares Kino: Die afrikanischen Filmemacher vertrauen sich gewöhnlich ganz dem Tageslicht und den Farben der Erde an, sehen den Menschen entspannt bei der Arbeit und ihren Zeremonien zu - und bleiben auch da noch (ganz im Gegensatz zu ihren westlichen Pendants) sehr ruhig, wo die Liebe, die Moderne oder der Tod zuschlagen.
Das ist so in den Filmen Idrissa Ouedraogos und Gaston Kaborés aus Burkina Faso, und es ist in den Arbeiten Souleymane Cissés aus Mali so. Mossane, ein neuer Film aus Senegal, macht da keine Ausnahme. Safi Faye, eine der wenigen Frauen, die in Afrika hinter der Kamera arbeiten, bleibt beim einfachen Stil, den die Filme ihres Kontinents (wenigstens westlichen Augen) bieten: eine lichtdurchflutete, realistische Fabel vom Widerstand einer Vierzehnjährigen gegen die traditionelle Zwangsverheiratung aus wirtschaftlichen Gründen.
Mossane, ein Film, der - europäisch finanziert - schon 1990 gedreht wurde, nach Konflikten mit dem französischen Produzenten aber erst 1996 fertiggestellt werden konnte, faßt die Wirklichkeit Senegals ebenso ins Auge wie die alten dörflichen Gepflogenheiten: Ein Arzt praktiziert seinen Beruf als Mischung aus Wissenschaft und Aberglauben; die Dorfbewohner beten und singen am Baum der Ahnen, opfern Milch, Reis und das Blut eines Stieres, das sich langsam seinen Weg durch die Erde ins Wasser eines Flusses bahnt; und ein Fest findet statt, mit ekstatischem Tanz, reichen Geschenken und feierlichen Ansprachen, zu Ehren einer Hochzeit, die von der geschmückten, in einem Hinterzimmer deprimiert wartenden Braut abgelehnt wird. "Ehre kommt vor Gefühl", belehrt man die Unwillige. Und das Geld, könnte man hinzufügen, kommt eben vor der Liebe.
Safi Faye, die Autorin dieses Films, behandelt die großen Entscheidungen des Lebens, das Lieben, Hassen und Sterben, mit der gleichen Gelassenheit wie das Lachen, Essen, die Sexualität ihrer Helden.
Unterstützt von der sachlichen Kamera Jürgen Jürges', einer zentralen Figur des Neuen Deutschen Films (in den Filmen Fassbinders und van Ackerens etwa), dringt Faye in die Lebensgewohnheiten der Menschen mit ethnographischer Präzision ein. Viele der grausam anmutenden Riten hier scheinen nicht inszeniert, scheinen vielmehr realen Anlässen jenseits der Geschichte von Mossane zu gelten.
Während viele Filme aus Afrika eher im Privaten bleiben und von der Politik nur sehr implizit berichten, wird Faye bemerkenswert explizit. Die konkrete Bindung ihrer Erzählung an die politische und wirtschaftliche Realität des Landes bleibt erstaunlich: Ein Studentenstreik in der fernen Stadt begleitet die Handlung, und die ökonomische Abhängigkeit von Frankreich wird mehrmals, wenn auch am Rande nur, berührt. Und daß Mossane als stilles Plädoyer für die weibliche Selbstbestimmung zu lesen ist, auch wenn diese Geschichte - in der Nacht, im Wasser, in der Angst - ein durchaus finsteres Ende findet, ist offensichtlich. Nur in der Verbundenheit mit der Natur, die das Leben gibt und das Leben nimmt, können die Heldin und die Erzählerin letztlich noch Trost finden: Wo die Menschen im Zusammenleben nicht mehr weiterkommen, bleibt nur noch der Tod. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 27/11/1997)

Romeo und Julia in Afrika: Eine schöne junge Frau zerbricht am Leben, weil die Familie verbietet, daß sie mit dem Mann lebt, den sie liebt. Der senegalesischen Regisseurin Safi Faye ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Qualität des afrikanischen Kinos gelungen. Ihr Film sprüht vor Temperament und Sinnlichkeit; zugleich trägt er ein gesellschaftspolitisches Anliegen - den Protest gegen überkommene Traditionen - punktgenau vor. Erstklassiges Kino aus der Dritten Welt. (KURIER)

Siehe IMDb

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DAS JAHR NACH DAYTON

A 1997
Regie: Nikolaus Geyrhalter
Kinostart: 21/11/1997

Bosnien im ersten Friedensjahr. „Wir versuchen keine politischen Erklärungen über Ursache oder Verlauf des Krieges zu geben, sondern einen Momentanzustand zu dokumentieren. In langen, unkommentierten Interviews und Plansequenzen bleibt dem Zuschauer Zeit, den Menschen näherzu kommen und sich seine eigene Meinung zu bilden." (N Geyrhalter) (FALTER)

Es ist wohl angebracht, von einem Experiment zu sprechen: Ein gerade erst 24jähriger Filmemacher dokumentiert Leben und Arbeit in Ex-Jugoslawien. Er riskiert die epische Form, obwohl er weder der fremden Sprachen mächtig ist noch über einen herausragenden Überblick über die politische Lage verfügt. Er beschließt, dennoch bzw. gerade deshalb auf die üblichen Nachrichtenbilder zu verzichten und vertraut über Das Jahr nach Dayton hinweg auf die Kraft penibel kadrierter Einstellungen.
Nikolaus Geyrhalter hätte kräftig ins Fettnäpfchen treten können. Der öffentliche Diskurs, der auf Nachrichten und Bildern aus den ehemaligen Kriegsgebieten meist eher rüde reagierte – man denke nur an die Eklats rund um Kusturica, Handke und Levy – scheint seine Form der apolitischen Betrachtung vorläufig aber zu goutieren. Es ist, als hätte der junge Österreicher das großes Verstummen nach den vielen vorschnellen Erklärungen nicht nur intuitiv erfaßt, sondern auch eine Form gefunden, die aus diesem Schweigen eine eigene Qualität generiert.
50 Minuten pro Jahreszeit: Genaue, lange Blicke auf kleine Schritte in eine langsam fortschreitenden Normalisierung. Während Kinder in den Ruinen der Bibliothek von Sarajewo mit UNO-Soldaten Fußball spielen, finden Städter und Bauern kaum Worte für die Umstände, unter denen sie überlebten. Selbst ein Untersuchungsrichter, der mit neu entdeckten Massengräbern konfrontiert ist, wählt eine pragmatische Kürze in seinen Beurteilungen.
Wo die Bilder und die Montage keine „Themen“ illustrieren, „sprechen“ unvermutete Ausbrüche aus der ruhigen Inszenierung: Ausgleiten auf glattem Eis, jähes Stammeln, Probleme, einen Rollstuhl durch enge Gänge zu manövrieren: In diesen Momenten wird lähmende Mühsal bewußt, die sogar den Haß immer mehr in den Hintergrund drängt. Die Liebe (gleich in der ersten Einstellung ist davon die Rede) steht erst recht auf verlorenem Posten.
Daß Geyrhalter einen altersweisen Schafshirten zum Gewissen seines Films stilisiert, mag man einem Übermaß an Harmonisierungsbedürfnis zuschreiben. Ansonsten ist der zärtliche Respekt, mit dem er sich dem Trauma nähert, schlicht (und) ergreifend. (cp, DER STANDARD, 25/11/1997)

Ein Nachbild vom Krieg: Angst/Traum - "Das Jahr nach Dayton", der unlängst mit dem Wiener Filmpreis ausgezeichnete monumentale Dokumentarfilm des jungen Österreichers Nikolaus Geyrhalters, läuft endlich regulär im Kino.
Auch wenn die Menschen, die hier vor der Kamera über ihre Erfahrungen sprechen, den brisanten Themen bisweilen geradezu aus dem Weg zu gehen scheinen: Das Jahr nach Dayton, die zweite große Arbeit des jungen Dokumentaristen Nikolaus Geyrhalter (nach angeschwemmt), ist alles andere als nicht explizit. Die Dinge, von denen der Film erzählt, liegen nur weniger in den langen Monologen der Interviewpartner als in den Orten, den Gesichtern, den Körpern - oft auch: zwischen den Bildern.
In viermal fünfzig Minuten, den Jahreszeiten folgend, entrollt Geyrhalter seine Spurensuche nach dem Leben, das der Krieg in dem, was man einmal Jugoslawien genannt hat, hinterlassen hat. Er findet, unter anderem: einen schelmischen Schafhirten, dezimierte Familien, einen querschnittgelähmten Schauspieler, ein Kind, das in den Trümmern seiner Stadt Fußball spielt, einen Mann, der geduldig nach unversehrten Ziegeln sucht, und einen Beamten, der für die Aushebung von Massengräbern zuständig ist. Ihnen allen rückt Geyrhalter, der stets sein eigener (und außerordentlicher) Kameramann ist, keineswegs auf den Leib: Er läßt die Menschen sprechen, gegebenenfalls auch nur schweigen, er folgt ihnen an jene Orte, die sie aufsuchen wollen. Er zwingt und verpflichtet sie zu nichts. Darin liegt eine Erklärung für die Größe dieses Films.
Das Jahr nach Dayton kommt, zweihundert spannende Minuten lang, ohne Kommentar aus und, was noch erstaunlicher ist, ohne politische Polemiken und ethnische Zuweisungen: Geyrhalter erklärt sich den Krieg und seine Folgen nicht durch Schuldzuweisungen und Mitleid mit den Opfern; statt dessen blickt er einfach in die Gesichter der Menschen und hört sich gelassen ihre Geschichten an, in denen alles, der Humor und die Tragödie, der Alltag und der Ausnahmezustand zugleich liegen.
Die Arbeit, die die Menschen tagtäglich verrichten, das Hantieren mit Stein, Holz und Erde gehört zu den vordringlichen Interessen des Blicks Geyrhalters: weil in der Arbeit, so scheint es, ein Gegengift zur Lethargie liegt, ein Hilfsmittel, dem (so naheliegenden) Aufgeben entgegenzutreten. Und in der Arbeit, die dieser Film so akribisch aufzeichnet, wird etwas sichtbar: wie die Menschen mit ihrer Vergangenheit leben lernen, und wie sie sie hinter sich lassen, um wieder, vielleicht, eine Zukunft haben zu können.
Geyrhalter sieht (und läßt sehen), wie die Angst noch präsent ist in dem zerstörten Land und in den Augen der Menschen, aber er zeigt auch, daß es immer, selbst dann noch, wenn der Tod und die Zerstörung gesiegt haben, die Hoffnung bleibt. Sein Film, Das Jahr nach Dayton, macht daher zwischen beidem, der Angst und den Träumen, keinen Unterschied: Zum Überleben gehören beide - und Geyrhalters Film gehört sehr entschieden den Überlebenden, nicht den Toten. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 22/11/1997)

Erst wer lange genug zu- sieht, wie ein zerbombtes Haus mühsam geflickt wird, ist zu Visionen über die Schrecken seiner Zerstörung fähig. Wer lange genug erträgt, wie ein Massengrab in Sisyphusarbeit mühsam ausgehoben wird, die Leichen der Massakrierten freigelegt und in erschütternden Szenen identifiziert werden, hat das Gesicht der Bestie Krieg gesehen. Sehenswert, der 210-minütige Bosnienreport des begabten 25jährigen Österreichers Nikolaus Geyrhalter. (KURIER)

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HERCULES (HERCULES)

USA 1996. 93 Min
Regie: John Musker, Ron Clements, Buch: Ron Clements, John Musker, Donald McEnery, Bob Shaw, Irene Mecchi, Musik: Alan Menken, Schnitt: Tom Finan
Kinostart: 21/11/1997

Die Abenteuer des Hercules oder: „Pocahontas" meets „Asterix erobert Rom": Der 35. abendfüllende Zeichentrickfilm, der unter dem Label „Walt Disney's" entstand. (FALTER)

Selbstverständlich kennt jeder die Sagen von Herkules - und sollte sie schnellstens vergessen, denn Disney gibt der alten Geschichte neuen Schwung und eine ganz neue Story. Schon zu Anfang sorgt ein flotter Damen-Chor mit Gospels für die nötigen und sehr bissigen Kommentare. Der Held heißt jetzt amerikanisch verkürzt Herc und muß sich wie alle US-Filmhelden bewähren. Zwar ist er Sohn des Zeus, aber eine ganze Filmlänge wird er schuften und siegen, um sich würdig zu erweisen.
Da die neuen Zeichentricks von Disney immer mehr ältere Kinder und Erwachsene begeistern sollen, darf eine scharf gezeichnete Frau nicht fehlen: Megara - kurz: Meg - wird Herc begleiten, auch weil sie im Dienste des Oberschurken Hades steht. Die Hauptakteure sind zwar toll und griechisch markant gezeichnet, der richtige Spaß fängt allerdings erst bei den Nebenfiguren an: Treuer Freund von Herc ist Pegasus, ein bemerkenswertes Pferd mit den Flügeln und dem Hirn eines Spatzen. Die albernen Gegner mit teuflischen Krallen, Zähnen und Ohren heißen Pech und Schwefel, könnten aber auch Jux und Dollerei genannt werden.
Mit seinem schnellen Witz, mit den vielen Wortspielen und modernen Querverweisen erweist sich "Hercules" als alter Kumpel von Disneys "Aladdin". Fetzige Lieder, exzellente Übergänge wie die anfängliche von der Vasenzeichnung zum Zeichentrick machen "Hercules" zum prallen Spaß. Es wirkt zwar etwas seltsam, daß die Duelle des Helden mit anderen sagenhaften Geschöpfen stark nach staubigem Western riechen. Und auch der große böse (nicht unbedingt kindgerechte) Drache paßt in seiner digitalen Gestaltung kaum zu den sonstigen, sorgfältigen Zeichnungen. Aber insgesamt stören diese Kleinigkeiten nicht. (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)

Als vor ein paar Jahren Disneys letzter mytholgischer Superheld, der orientalische Lampenbesitzer Aladdin, die Trickfilmleinwand eroberte, stellte er sich mit einem prägnanten Kalauer vor: "You can call me Al" - "Nenn' mich einfach Al". In Aladdins Jovialität schwang für Disney-Kritiker eine gute Portion jener für das Studio typischen Vereinnahmung und Amerikanisierung volkstümlicher Stoffe mit, für die sich die Wortschöpfung "Disneyfizierung" etabliert hat. Ein treffender Gag war es dennoch, und auch die darin enthaltene Ironie konnte man nicht verkennen: War nicht Paul Simons gleichnamiger Pop-Song wenig zuvor ebenfalls wegen seiner umstrittenen Haltung gegenüber einer anderen Kultur, der Südafrikas, ins Gerede gekommen?
Nun ist bereits Hercules, man erkennt es an der latinisierten Schreibweise, mehr als zwei Jahrtausende zuvor unfreiwillig von einer Mythologie in eine andere transportiert worden. Ausgemacht hat es ihm wenig: Der Himmel der römischen Götter unterschied sich vom griechischen Olymp kaum mehr als Euro-Disney von seinem kalifornischen Vorbild. Warum aber lacht niemand, wenn sich der junge, ungestüme, seiner Kräfte noch lange nicht Herr gewordene Jung-Hercules seinem Lehrer Philoktat vorstellt mit den Worten: "You can call me Herc"? Der Humor dieses Films ist flach und äußerst temporär. Voller Anachronismen wird es ihm ähnlich ergehen, wie es Robin Williams, die Stimme von Aladdins Genie, einst dem früheren Film prophezeit hatte: er wird altern und nie zu einem echten "Disney-Klassiker" reifen. Aber nichts für ungut - Herc und Phil bleiben bei ihrer vertraulichen Anrede und Göttervater Zeus kann sich ohnehin glücklich schätzen, auf einen einsilbigen Vornamen zu hören.
Er ist bekanntlich der Vater des Jungen, auch wenn die Mutter, anders als in der Mythologie, nicht die Sterbliche Alkmene, sondern Zeus' Angetraute, Hera, ist. Soviel Anstand (in den USA leidet der Disney-Konzern unter chronischen Boykott-Drohungen rechtskonservativer Sekten und Bürgerverbände) hat natürlich seinen Preis. Hercules ist nun kein Halbgott mehr, der schon daher seinen Platz im Olymp hart erkämpfen müßte. Dafür will ihm nun der eifersüchtige Hades an den Kragen: Der Herr der Unterwelt strebt nach Höherem, nd nichts ist bekanntlich höher als der Olymp. Doch seine Schergen Pech und Schwefel, die dem göttlichen Jungspund nach dem Leben trachten, scheitern auf halbem Wege: zwar können sie Baby-Herc sterblich machen (in diesem Lebensalter gleicht er übrigens einem Tamagotchi), doch er bleibt am Leben (was ihn wiederum von virtuellem japanischem Spielzeug unterscheidet). Das nächste Kapitel stammt eigentlich aus Disneys "Dornröschen": Kindheit und Adoleszenz verbringt der künftige Held sicherheitshalber bei einer Pflegemutter - Alkmene bleibt immerhin diese Nebenrolle. Um seine Unsterblichkeit wiederzuerlangen, muß Hercules nun doch die berühmten Prüfungen ablegen. Nicht alle zwar - auch die Ställe des Augias, die man sicher gern einmal von innen gesehen hätte, fielen den Saubermännern der Story-Abteilung zum Opfer - aber immerhin einige besonders spektakuläre. So besitzt die einstmals neunköpfige Hydra - der Digitaltechnik sei Dank - inzwischen sogar dreißig Köpfe. Es ist bekannt, daß die Nachdichter von Mythen oft zur Übertreibung neigen. Die lustigsten Szenen sind indes eher die vorausgehenden: Als ungelenker Kraftprotz bringt Hercules manches Viadukt und noch mehr dorische Tempelsäulen zum Einsturz. Seine großen Füße und marionettenhaft schlingernden Extremitäten verbinden ihn dabei mit einer anderen Figur des Disney-Studios, die sich gern in sportlichen Wettkämpfen versuchte - dem nicht minder tölpelhaften Goofy.
Auch auf Freiersfüßen ergeht es ihm nicht besser, als er einer attraktiven Frau namens Meg (= Megara) begegnet. Sie wird schließlich, als Hercules längst zum Helden von Theben gereift ist, seine Achillesferse sein und - von Hades dazu erpreßt - mithelfen, ihn vorübergehend in selbigen zu befördern. So erklärt sich Hercules, der Meg in Gefahr wähnt, sogar bereit, für die 24 Stunden des Showdowns auf seine Zauberkräfte zu verzichten. Bunt geht es zu im alten Griechenland. Schon vor ein paar Jahren hat man in der Trickfilmherstellung die "cels" abgeschafft und coloriert nun direkt im Computer; aber so synthetisch hat noch kein Disneyfilm ausgesehen. Megara wäscht ihre Haare in giftgrüner See und ein schwarzes Gesangsquintett, das im Gospelpop der frühen 70er das Geschehen kommentiert, verwandelt griechische Ornamentik in schrille Discobeleuchtung. Daß dies auch das Land von Platon gewesen sein soll, das ist hiermit vergessen (einmal beklagt sich immerhin jemand über das neueste Sokrates-Stück...).
Wilhelm Busch, der Urahn der Trickfilmkunst, zeichnete einmal eine Bildgeschichte, in der zwei Lausebengel Diogenes in der Tonne ärgerten. Der Philosoph zögerte nicht lange und walzte die Störenfriede mit seiner Schlafstätte platt. In dieser Welt flüchtiger Kalauer und Anachronismen sorgt leider niemand für Ruhe. Walt Disney fürchtete nichts mehr, als daß eine aktuelle Anspielung dem Langzeiterfolg seiner Filme schaden könnte, doch die Zeiten haben sich geändert. Ein Film muß sich heute gerade einmal bis zur Videoveröffentlichung halten. Natürlich ist die Charakter-Animation wieder einmal aller Konkurrenz haushoch überlegen, Andreas Dejas Hercules ist wahrlich nicht zu bändigen in seiner Vitalität. Gleichwohl sind die Figurenentwürfe erschreckend in ihrer grellen, leeren Expressivität. Hier liegt der Einfluß des britischen Karikaturisten Gerald Scarfe, der als Character Designer zum Film kam und schließlich das gesamte Design prägte. Scarfe wurde berühmt durch seine Pink-Floyd-Animationen, doch von der kafkaesken Strenge seiner marschierenden Hämmer und dämonischen Lehrer aus "The Wall" (fd 23 678) ist nichts mehr zu spüren. Die Form dieses Films ist so grell und laut wie sein Humor. Der gegenwärtige Disney-Stil könnte nicht weiter von den Idealen der Vergangenheit entfernt sein. Winsor McCa, der Pionier des Zeichentricks in der frühen Stummfilmzeit, fuhr einmal einige junge Animatoren an, die ihn zum Geburtstag gratulieren wollten. Als Kunstform habe er den Zeichentrick erfunden, sie aber hätten eine Ware daraus gemacht. "Keine Kunst, sondern eine Ware. Eine üble Sache." Künstler wie Disney haben diesen Widerspruch aufgelöst und eine Kunst geprägt, die beides war. "Hercules" mit seiner unbedachten Mischung von traditioneller Computeranimation, seiner Gigantomanie und Plakativität jedoch ist wenig mehr: Keine Kunst, eine Ware. (Daniel Kothenschulte, film-dienst)

Von allen Helden im alten Griechenland war Hercules derjenige, der sich am ehesten für einen Zeichentrickfilm eignet: Ein Mann der Tat, nicht der Reflexion; ein Mann zwischen Himmel und Erde – halb Gott, halb Mensch, halb Hollywood, halb Babylon; ein unbewegter Beweger, der den Mist der heroischen Epoche hinausschafft.
Mit einem Wort: „This kid is a genuine article.“ Herc, wie der Held in dem neuesten Disney-Spektakel leutselig genannt wird, ist ein Markenartikel, wie er im Buche steht, seit es Bücher gibt. Nicht gerade seit 3000 Jahren, wie es das Presseheft annimmt, das den römischen Dichter Ovid kühn um ein ganzes Säkulum vordatiert, aber doch deutlich länger, als das Kurzzeitgedächtnis der Filmindustrie die Kulturgeschichte überschaut.
Auf Hercules wartet keine kleine Aufgabe: Er soll das Animationsmonopol des Disney-Konzerns aufrechterhalten. Sowohl Rupert Murdochs Fox-Studio, das sich in dem Zeichentrickkünstler Don Bluth einen Prometheus gesichert hat, wie die neue DreamWorks-Fabrik von Steven Spielberg, David Geffen und Disney-Renegat Jeffrey Katzenberg schielen unverhohlen auf die sinkenden Einspielergebnisse der jüngeren Disney-Ära: Pocahontas und Der Glöckner von Notre-Dame konnten die sagenhaften Erfolge von Aladdin und König der Löwen nicht bestätigen.
Deswegen spekuliert Hercules auch recht unverhohlen mit dem Aladdin-Effekt: Eine (im weitesten Sinn) orientalische Kulisse, ein Märchenheld samt Satyr und Fotomodell und viel Brimborium vor allem aus dem Hades – es wurde inzwischen hinlänglich beschrieben, wie die Schurken in derlei Filmen schon dadurch böse sind, daß sie im Gegensatz zum Helden über Eigenschaften verfügen.
Das Interesse auch der seriöseren Kritik fand Aladdin, weil er – der Zweite Golfkrieg war noch lebhaft im Gedächtnis – auffällig deutlich politische Subtexte über Orient und Okzident, multikulturelle Ur-und Vorurteile und die allgemeine Weltlage mitlieferte. Die Kids mußten sich daran nicht stoßen, die Fans hatten einen Extraspaß. Diese Hauspolitik wurde bei Disney schon mit dem König der Löwen wieder aufgegeben, und in Hercules gibt es weniger Subtexte als offene Verweise auf jene Märkte, die Disney so professionell versorgt.
Der mythische Held als synthetischer Markenartikel, der sich Stimmen borgt, Lieder auf den Normleib schneidern läßt und die Aura eines Quasars entwickelt: Das alles bestätigt einmal mehr, daß Disney die Entwicklung der Unterhaltungsindustrie trotz aller Schwankungen spektakulär vorwegnimmt. Geschichten fungieren als Toy Stories, und sie ersetzen sukzessive die Überlieferungen, die nur mehr von Michael Köhlmeier hochgehalten werden.
Den Film Hercules kümmert der originale Mythos natürlich keinen Deut, er trumpft dafür originell auf– ein postmodernes Satyricon mit Reichweiten bis in den nächsten Supermarkt. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 21/11/1997)

Der Mann erfüllte in der Antike jene Funktion, die man in der Neuzeit Testosteron-Einmann-Sonderkommandos wie Arnold Schwarzenegger zuschreibt. Sie ist Walt Disney heute ein lapidares Statement wert: „Ein Mann. Ein Mythos. Ein Medienereignis.“
Zwar lief die mediale Verbreitung seiner sagenhaften Taten im Altertum noch etwas gemütlicher über Mundpropaganda ab. Als irdischer Sproß eines schändlichen Techtelmechtels von Göttervater Zeus mit der thebanischen Wuchtbrumme Alkmene, mit der das Mastermind vom Olymp in Gestalt von deren gerade auf Dienstreise befindlichen Ehegespons Amphitryon zur Sache kam, waren ihm allerdings schon damals Traumquoten sicher.
Der von den Römern später als Hercules eingemeindete, laut seinem griechischen Ursprung allerdings als Herakles titulierte Superheld mistet nämlich während seiner Reife zum erbarmungslosen Kammerjäger von diversen Familienmitgliedern und Monstren nicht nur die Ställe des Augias tüchtig aus. Auch schröckliche Fabelwesen wie die neunköpfige Hydra macht er terminatorisch Meier; ebenso wie dem Höllenhund Zerberus gezeigt wird, warum gerade Testosteron bei ganzen Kerlen immer so leicht das Geimpfte aufgehen läßt.
All dies geschieht, weil Zeus’ bessere Hälfte Hera frühzeitig Wind von den Freizeitaktivitäten ihres moralisch flexiblen Angetrauten bekommt. Sie gerät darüber derart in Rage, daß sie der alkmenischen Lendenfrucht gleich nach der Geburt mittels Giftschlangen ans Leder will – was Klein-Herc allerdings nur einige Würgegriffe wert ist.
Zeus, der dem Herakles als irdischem Enkel des Perseus zudem aus einem schlechten postkoitalen Gewissen heraus die Herrschaft über Mykene in Aussicht gestellt hat, geht also auf Tauchstation. Und Hera in die Vollen. Sie verzögert bei Alkmene schon die Geburtswehen, damit Eurystheus, ein anderer Perseusenkel, früher geboren und so der Erbfolge nach König von Mykene wird.
Diesem muß dann Herakles über zwölf Auftragsarbeiten dienen (darunter finden sich neben besagtem Stallausmisten auch schwerer Diebstahl, Raub und Mord), bevor er zu seiner nach Megara zweiten Frau Deianira zurückkehren darf, um gelegentlich noch bezüglich der Argonauten seine Muskeln spielen zu lassen.
Deianira schenkt ihm schließlich einen ihr vom gemeinen Kentauren Nessos untergejubelten „Liebeszauber“, der sich nach der Anprobe als fleischzerfressendes Gewand entpuppt. Diese Schmerzen mag Herakles nicht ertragen. Er verbrennt sich selbst und fährt in den Olymp auf. Dort hat sich Familie Zeus gerade versöhnt; und Heras plötzliche Milde kommt auch unserem Helden zugute. Er darf unsterblich werden.
"Hercules": Disney macht aus den Greatest Hits der griechischen Mythologie eine Schablonen-Komödie in High-Tech-Manier. Ab Freitag neu im Kino.
Wer wüßte auf Anhieb zu sagen, wie die Mutter oder die erste Frau des Herkules hießen? Welche Aufgaben der Halbgott zu erfüllen hatte, um göttliche Unsterblichkeit zu erlangen? Ohne klassisch-humanistische Bildung ist in solchen Fragen schon lange nichts mehr zu machen - vielmehr: war bisher nichts zu machen. Nun aber wird manches Kind, das seinen Namen noch nicht buchstabieren kann, wissen, daß "Herc", der aufgeweckte Sohnemann der Alkmene, sich in die coole "Meg" verliebte, nachdem er einen Zentauren k.o. geschlagen hatte. Offenbar hat bei Walt Disney das Zeitalter des Edutainment begonnen.
Anstelle der niedlichen Märchenfiguren und reaktionären Löwenclans wird jetzt die griechische Mythologie zur Unterhaltung freigegeben. Hercules beginnt mit einem Spaziergang durchs Museum - begleitet von einer Märchenonkel-Stimme, die einige auf antiken Vasen abgebildete Motive erklärt. Und schon beginnen die Figuren sich zu bewegen, zu tanzen, zu singen: Eine Handvoll Musen wird zur Girl-Group, die in einer Gospel-Darbietung vom Treiben der Götter singt. Dann wird man des Götter-Treibens ansichtig: Auf dem Olymp feiert Zeus nebst Hofstaat die Geburt des kleinen Herkules. Doch gleich ziehen Gewitter auf: Der böse Hades ist aus der Unterwelt geeilt, um der freundlichen Gesellschaft die Freude am Feiern zu verderben. Das putzige Kraftprötzchen "Herc" wird von Hades entführt, landet auf der Erde, wird von Zieheltern groß gezogen, wird größer und stärker als alle anderen Großen und Starken und kämpft wacker um die Wiedererlangung seines verlorenen Götterstatus. Dabei passiert ihm, von possierlichen Witzereißern und schamlosen Unterweltlern umgeben, Schreckliches.
Und immer, wenn man meint, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Liedchen her: vom Gospel (in dem angeblich "jedes Wort wahr" ist) bis zum Boy-Pop, in dem der junge Herkules zwischen "Shoo-doop, Sha-la-la"-Refrains noch das Mann-Werden besingt. Bereits mit dem Sound-Teppich des Disney-Stammkomponisten Alan Menken (The Litte Mermaid, Aladdin, Pocahontas etc.) wurde in Hercules dafür gesorgt, daß die wohlbekannte gute Laune aufkommt, wenn es brenzlig zu werden droht.
Nicht, daß die Kuschelmonster in Hercules Angst machen könnten - aber wer die Anpassung der griechischen Mythologie an Entenhausen-Standards vollständig haben will, wird nur ungern auf derlei Musikeinlagen verzichten wollen. Wie bereits in den letzten Disney-Produktionen (vor allem in Aladdin) haben sich die Texter von Hercules um reichlich poppige, gegen den (historischen) Strich gebürstete Witz-Einlagen bemüht und die Mythenfiguren zu all-american-guys mit (sehr zeitgemäßen) Schwächen und (sehr hollywoodesken) Stärken versehen.
Gegen diese Art des respektlosen Umgangs mit heiliggesprochenem Bildungsgut wäre grundsätzlich nichts einzuwenden - wenn in den Disney-Studios nicht alles grundsätzlich gleichgemacht würde. So ist die Pop-Version des Hercules nichts als eine ideenlos übermalte Kopie aller bisherigen Disney-Helden, Hades der archetypische Bösewicht und der Rest der Crew die neu gekleidete Komparserie aus tausendundeinem Disney-Märchen.
Wenn die Effekte in Hercules jene der letzten Disney-Produkte um ein weiteres Bißchen übertreffen, bleibt schließlich doch alles beim Altbekannten: Der Film ist eine in die Antike verpflanzte Legende über Aufstieg und Wertepflege des prototypischen US-amerikanischen Biedermanns. Und unzählige Kinder dieser Welt, das ist vorherzusehen, werden auch Hercules wieder unbedingt sehen wollen müssen. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 19/11/1997)

Die griechischen Götter als Kinderspielzeug unterm Christbaum. Olympisch Kolossales, fürs Weihnachtskino geschrumpft auf putziges Kleinformat mit Gesang. Willkommen beim Götterstadel. Das schwächste Glied in der gloriosen Disneymärchenkette, bei aller Routine im Mythologienplündern, vom Löwenkönig bis zum Notredamischen Glöckner: Die Taten des halbgöttlichen Herkules als Programmallerlei im lustigen Zeichentrick wurden nicht zur Götterspeise.
Kein Zerberus zum Entführen da. Kein Augiasstall zum Ausmisten. Keine Amazonenkönigin, um deren Gürtel zu rauben. Frivoles Treiben aus der Antike erhielt von den Disneyleuten jugendfreie Feigenblätter, die Story verblödelten sie zur krampfhaften Sagenklitterung, deren Sinn nicht einmal das Delphische Orakel deuten könnte.
Wenn man eine klassische Geschichte so mutwillig auf den Kopf stellt, fallen ihr die Wertsachen aus den Taschen. Hängen blieb dabei billiger Witz. Nur bei jenen, die Heraklit nur als Dachschindel kennen und Hydra als Namensgeber für Hydranten, wird das Entzücken keine Grenzen kennen. Normalerweise macht eine Parodie umso mehr Spaß, je besser man die klassische Vorlage kennt. Hier trauert man um jede Zeile des alten Euripides. Dessen für Kinderaugen kastrierter Held mit schwellenden Muskeln und standhaften Gefühlen für das intrigante Hascherl Megara: Schwarzenegger mit dem Gesicht von Hänschenklein, verliebt in Gänschenklein. Alles mit Musik, Tanz und Sang in deutscher Sprache. Wenn das kein Schlager ist. Die Rettung in Selbstironie ist noch das Beste am Kampf Herkules’ mit dem Bösewicht Hades (!) und dessen miesen Kreaturen Pech und Schwefel. Die alten Griechen praktisch wie neu. Der vergötterte Supermann des klassischen Altertums als grinsendes Strichmännchen. Jenes ziert zwar sogar eine Kreditkarte, aber selbst die kommt nur als Muster ohne Wert vor. (Rudi John, KURIER)

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PARADISE ROAD (PARADISE ROAD)

USA 1997. 121 Min
Regie: Bruce Beresford, Buch: Bruce Beresford, Musik: Ross Edwards, Kamera: Peter James, Schnitt: Tim Wellburn, Darsteller: Glenn Close (Adrienne Pargiter), Frances McDormand (Dr. Verstak), Pauline Collins (Margaret Drummond), Cate Blanchett (Susan Macarthy), Jennifer Ehle
Kinostart: 21/11/1997

Eine Gruppe von Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs von den Japanern in Südostasien interniert wird, organisiert - unter Führung von Glenn Close den Widerstand im Lager. True story, verlogener Film. (FALTER)

Nach der Bombardierung von Singapur (1941) sollen Frauen und Kinder der dort lebenden Europäer auf dem schnellsten Wege in Sicherheit gebracht werden. Doch ihr Schiff wird von Japanern angegriffen, es sinkt, die Überlebenden werden in einem japanischen Kriegsgefangenenlager interniert. Das Lagerleben ist äußerst hart für die Frauen. Doch Adrienne Pargiter (Glenn Close) gelingt es, einen Musikchor zu gründen, der mit seiner Musik den Inhaftierten neuen Mut einflößt - über Standesgrenzen hinweg. Die Beteilgten schöpfen neue Zuversicht, die für ihr Überleben sorgt.
Eine authentische Geschichte, die von den guten Darstellern getragen wird, jedoch auch einige Längen mitbringt. (film.de)

Opulent und siegessicher feiert eine feine englische Gesellschaft ein Fest, während draußen, im Singapur des Jahres 1941, der Zweite Weltkrieg tobt. Aber auch die Paläste der Kolonialisten bleiben vor den Bomben der Japaner nicht verschont. Explosionen stören die Idylle, Panik bricht aus, man trennt und verabredet sich in aller Eile; für die ausländischen Zivilisten ist plötzlich Flucht die einzige Perspektive. Auf einem kleinen Kanonenboot treffen die Frauen und Kinder erstmals in ungewohnter Umgebung aufeinander. Handwerkliches Geschick und Nervenstärke sind gefragt, nicht mehr gesellschaftliche Akkuratesse. Doch auch das Boot müssen die Flüchtlinge nach einem Luftangriff verlassen. Drei Frauen retten sich auf einem Stück Holz bis nach Sumatra, werden gefangengenommen und treffen anschließend auf die übrigen Überlebenden des Schiffbruchs - als Gefangene der Japaner.
Bis hierher leuchtet die Geschichte ein. Besonders nachdem die Exposition die Massenszenen verlassen hat und sich auf die drei Frauenfiguren konzentriert, die sich im Meer und im Dschungel zu behaupten haben, üben die Bilder eine beträchtliche Sogwirkung aus, die der Film aber danach nie mehr erreicht. Die eigentliche Handlung spielt fast ausschließlich in einem Gefangenenlager, das Frauen und Kindern vorbehalten ist und von japanischen Soldaten mit eiserner Hand geführt wird. Die Unterkunft ist eine einfache Holzhütte mit zahlreichen Feldbetten, das Essen besteht aus Küchenabfällen - erklärte Absicht der Japaner ist es, diejenigen zu demütigen, die ihrerseits jahrhundertelang als Besatzer die asiatischen Völker gedemütigt haben. Aber Regisseur Bruce Beresford liegt wenig daran, wirkliches Leiden und Elend zu zeigen. Er vermeidet drastische Darstellungsweisen und führt sämtliche Szenen, die Grausamkeit implizieren, im letzten Moment zu einem gütlichen Ende. Nicht die Schrecken des Krieges im Mikrokosmos eines Lagers will er zeigen, sondern die Kraft der Menschlichkeit, die sich ihm entgegensetzt, symbolisiert durch die Kraft der Musik. Die resoluteste und nervenstärkste unter den Frauen ist eine ausgebildete Musikerin, die es nach einigen Mühen schafft, die Mitgefangenen zur Gründung eines Chores zu überreden. Heimlich werden mehrstimmige Partituren geschrieben, Texte braucht es nicht, weil instrumentale Orchestermusik die Stärke der neuen Chorleiterin ist. Da aber Zusammenkünfte der Gefangenen verboten sind, geht das Üben heimlich vonstatten - bis den grimmigen Japanern eines Nachts ein Licht aufgeht angesichts des engelsgleichen Gesummes, die Gewehre sogleich beiseitegestellt und die Ohren voller Seligkeit gespitzt werden und alles gut zu werden verspricht.
Das Menschliche in der Tragödie auszuloten ist seit jeher ein Anliegen des gebürtigen Australiers Beresford. In "Miss Daisy und ihr Chauffeur" (fd 28 159) führte dies zu einer verklärenden Beschäftigung mit dem Problem des Rassismus, in "Last Dance" (fd 30 278) mit dem der Todesstrafe. Hier geht ein nicht minder ernstzunehmendes Thema in flachen Typenklischees und plakativ konstruierten Szenen unter. Keine der vielen Haupt- und Nebendarstellerinnen gewinnt an Profil: Glenn Close etwa zeigt sich arg unterfordert und gibt wie gewohnt die kalte Selbstbeherrschung, und die soeben "Oscar"-gekürte Frances McDormand spielt als deutsch-jüdische Schein-Ärztin mit hartem Akzent eine Rolle nahe an der Groteske. Kein Dialog erhellt je die Beziehungen der Figuren untereinander; der Film rettet sich bei solchen Gelegenheiten in den Austausch sentimentaler Erinnerungen. Kommt es einmal zu einer dramatischen Situation, und eine Frau fällt zu Boden, steht an dieser Stelle, inmitten weitläufiger Dürre, natürlich eine Pfütze. Unglücklich ist sogar die Musikauswahl: Nichts gegen Ravels "Bolero", aber dem Stück hängt nun einmal seit "Zehn - die Traumfrau" (fd 22 434) im (Hollywood-)Kino das Stigma an, vor allem der allmählichen Luststeigerung zu dienen. Daß es sich bei der Geschichte um eine authentische handelt, mag ein Grund für die betulich-risikolose Darstellung zu sein: Aus Rücksicht auf die Überlebenden wird das wahre Entsetzen vorenthalten. Einsam sticht, gerade in diesem Zusammenhang, eine Szene heraus, die die seelische Befindlichkeit der Frauen erahnen läßt: Als ihnen ein Leben in Luxus angeboten wird, nehmen einige sogleich an - um den Preis, fortan als Geishas der Offiziere gehalten zu werden.
Unwillkürlich denkt man, vor allem hierzulande, angesichts der Bilder des Films an die Gefangenenorchester in Theresienstadt, welche ja nicht nur halfen, den Lebenswillen der KZ-Insassen aufrechtzuerhalten, sondern auch von den Nazis zu Propagandazwecken ausgenutzt wurden. Im Vergleich dazu stellt sich der Schauplatz dieses Films, mit Verlaub, als ungemütliches Sommercamp dar; die sinnlosen, malerischen Landschaftsaufnahmen tun da ein übriges. Ernst wird es erst, als alle vor den herannahenden Amerikanern fliehen müssen, Bewachte wie Bewacher, wobei sich letztere am Ende auch noch für die schlechte Behandlung entschuldigen: sie hätten ja nicht anders gekonnt. Beresford aber ignoriert konsequent sämtliche im Film enthaltenen Konnotationen und Ambivalenzen; bei seiner pathetisch-sentimentalen Inszenierung hatte er womöglich eher den Gefangenenchor in Verdis "Nabucco" im Sinn. (Oliver Rahayel, film-dienst)

Die Musik im Lager: Froh zu sein bedarf es wenig - "Paradise Road": Glenn Close leitet, neu im Kino, einen Kriegsgefangenen-Frauenchor auf Sumatra. Ein "authentisches" Geschichtsmelodram über Lagerleben und Lebenskraft.
Die Geschichte dieses Films ist frei erfunden, aber sie basiert auf einer wahren Begebenheit. Das klingt zwar sehr nach Widerspruch, ist aber die übliche Strategie, mit der das große Historienkino seit jeher seine Schlachten-Spektakel und Melodramen "authentisch" macht.
Zu den historischen Fakten in Paradise Road: Noch während des zweiten Weltkriegs teilten sich Briten, Holländer und andere Kolonialisten die Macht über mehrere wichtige Handelsstützpunkte im fernen Osten; Ende 1941 eroberte die japanische Armee das von den feindlichen Briten besetzte Singapur, machte Gefangene und steckte diese kurzerhand in Internierungslager - darunter auch Frauen und Kinder.
Paradise Road beginnt mit einem beliebten Verfahren, das als Beleg für alles, was danach kommt, gelten soll: eine Reihe vergilbter Photographien, auf denen Europäer im Kolonialisten-Look (vor einem erlegten Tiger, auf einem Elefanten etc.) abgebildet sind. Damit ist in Wahrheit zwar noch nichts belegt, aber der Zuseher hat sich auf den Hinweis "Achtung: Geschichte" eingerichtet.
Es folgt das wohlbekannte alte Tanz-auf-dem-Vulkan-Szenario: die "Gute Gesellschaft" (die Offiziere, die Kriegsgewinnler und der übrige Kolonialadel) ist voll im Feiern, als die Japaner mit enormem Krach in Singapur einfallen und dem ausgelassenen Treiben ein jähes Ende bereiten. Und es soll alles noch viel schlimmer kommen: Die von ihren Männern getrennten Frauen und Kinder werden auf einem Schiff evakuiert, das Schiff wird gekapert und die hilflosen Wesen landen in einem japanischen Lager für weibliche Kriegsgefangene auf Sumatra.
In kurzen Akt-Einschüben liefert Regisseur Bruce Beresford (Miss Daisy und ihr Chauffeur) Kostproben von dem grausamen Lagerleben und dem Sadismus der japanischen Aufseher. Das Hauptaugenmerk schenkt er jedoch dem Mit- und Gegeneinander der Frauen, die unter den gegebenen Bedingungen zwar manchmal etwas geschunden wirken und reichlich Schmutz ansetzen, sonst aber in aller Frische und Humor den Alltag meistern. Das Kino weiß noch die schlimmsten Katastrophen aus den Gesichtern zu retuschieren.
Auf Anregung einer Ex-Missionarin (Pauline Collins) hin beschließt Adrienne (Glenn Close), eine Art Lager-Mutterfigur, ein Vokalorchester auf die Beine zu stellen. Abgesehen davon, daß die Lageraufseher die erste Probe als unerlaubte Versammlung ansehen und gewaltsam auflösen, geht alles wie geschmiert - und in kürzester Zeit werden im Internierungslager auf Sumatra nicht nur tadellose A-cappella-Versionen bekannter Orchesterstücke zum Besten gegeben, sondern auch das eine oder andere Japaner-Herz erweicht.
Paradise Road ist ein nach herkömmlichem Heldenepos-Schemata gefertigtes Und-es-geht-doch-Drama, bis ins letzte Detail berechenbar. Daß sich dieses Geschehen letztlich aus einer Abfolge (häufig nicht zusammenhängender) einzelner Lager-Episoden konstituiert, bleibt dabei nur ein umständliches Authentizitäts-Manöver, das dem Film alle Dynamik nimmt und die Handlung wie eine Leistungsschau diverser Leidens- und Kräfte-Posen aussehen läßt.
Das einzige, was einem von Paradise Road letztlich in Erinnerung bleibt, ist die doch schöne Landschaft auf Sumatra - und der allerdings etwas alberne Gesichtsausdruck, den Glenn Close beim Dirigieren trägt. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 22/11/1997)

Die Amerikaner hatten schon immer Schwierigkeiten damit, Kriegsgegner wie Indianer, Vietcong oder Japaner filmisch fair darzustellen. Es ist auch im Gefangenen-Epos "Paradise Road" nicht geglückt.
Hollywood, ständig auf der Suche nach filmreifen Stoffen, widmet sich zur Zeit verstärkt asiatischen Themen und Schauplätzen. Nach "Sieben Jahre in Tibet" folgt nun das auf Tatsachen beruhende Gefangenen-Epos "Paradise Road". Beide Streifen haben eins gemeinsam: Sie triefen von Klischees und falschen Gefühlen.
Als Überlebende eines Überraschungsangriffs der Japaner im Kriegsjahr 1941 auf Singapur ist eine Gruppe Frauen, Gattinnen der dortigen Kolonialherren, in einem der gefürchteten Camps der Japaner zuammengepfercht. Die resoluteste und nervenstärkste unter ihnen ist Adrienne Pargiter (Glenn Close), die einen weiblichen Gefangenenchor gründet, dessen Gesang einziger Trost inmitten von Schmutz, Hunger und Gewalt ist. Zuerst gehen die Japaner mit aller gebotenen Härte dazwischen, doch nach und nach überzeugen sich die Peiniger vom tieferen Gehalt der Musik und zeigen sich, auch angesichts der drohenden Befreiung durch die Amerikaner, generös. Weihnachten '44 feiern Japaner und Gefangene gemeinsam, die Gewehre werden beiseitegestellt und die Ohren voller Seligkeit gespitzt.
Die Amerikaner hatten schon immer Schwierigkeiten damit, ihre Kriegsgegner, seien es die Indianer, der Vietcong oder die Japaner, fair und vorurteilsfrei darzustellen. Dies ist auch in "Paradise Road" nicht geglückt. Holzschnittartig werden die Japaner als die bad guys entworfen, kein Blick ist zu grimmig, kein Gewehrkolben zu klobig. Auf der anderen Seite sind die Gefangenen immer leidend, die Pfützen, in die die Frauen hineingestoßen werden, nie zu flach, und das Beben auf Glenn Closes Gesicht beim Dirigieren ist stets stumm und flehend. Kein Wort jedoch über die erklärte Absicht der Japaner, diejenigen zu demütigen, die ihrerseits jahrhundertelang als Besatzer die asiatischen Völker gedemütigt haben - eine typisch westliche Sicht der noch immer zwiespältigen Ost-West-Beziehungen. Zu einem differenzierten Bild konnte sich Regisseur Bruce Beresford nicht entschließen, und so bleibt am Ende der zwiespältige Eindruck, der Westen allein habe die Humanität gepachtet. (Tom Fuchs, SPIEGEL ONLINE 47/1997)

Einen Film in den Sand zu setzen, in dem die Topstars Glenn Close und Frances McDormand die Hauptrollen spielen - das erinnert an einen Fußball-Torjäger, der aus einem Meter Entfernung das leere Tor nicht trifft. Autor/Regisseur Bruce Beresford („Driving Miss Daisy“) zählt aber seit Jahren zur Weltspitze der Filmemacher. Also ist „Paradise Road“ nicht einfach ein schlechter Film - sondern einer, an dem ein großer Mann exemplarisch gescheitert ist.
Die Szene: Singapur im 2. Weltkrieg. Eine Gruppe von Europäern spielt koloniales High Life. Doch die Japaner erobern die Stadt. Ein Schiff mit weiblichen Flüchtlingen wird von den Japanern versenkt. Jene Frauen, die sich ans Ufer retten können, kommen in ein Internierungslager, irgendwo im Dschungel. Ihr einziges Ziel: Diese Hölle bis zur Befreiung zu überleben. Das japanische Frauen-KZ ist der Haupt-Schauplatz des Films. Auf der einen Seite stehen sadistische Wärter, auf der anderen die Häftlinge; hungernd und von Krankheit geplagt. Viele von ihnen sterben.
Eine der Frauen hat eine Idee, die zumindest seelische Linderung verspricht. Sie gründet einen Chor, in dem die Damen ganze Symphonie-Sätze summend erklingen lassen. Solch eine Story ist von vornherein schwer wie ein Bleigewicht - bei Beresford wird sie ungenießbar.
Anstatt sich auf wenige Figuren zu konzentrieren, splittert er seine Geschichte in unzählige Episoden auf - mit der Folge, daß man die Einzelschicksale der Frauen bald kaum noch unterscheiden kann. Das einzige Bindeglied der auseinanderstrebenden Handlungsstränge ist triefendes Schmalz. Das Melodram geriet zur picksüßen Superschnulze.
Besonders die völlig fehlgeleitete Glenn Close tut sich hier hervor: Als leidende Schmerzensfrau mit traurigen Augen hat sie den schwächsten Auftritt ihrer Karriere. (Gunther Baumann, KURIER)

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THE GAME (THE GAME)

USA 1997. 128 Min
Regie: David Fincher, Buch: John Brancato, Michael Ferris, Musik: Howard Shore, Kamera: Harris Savides, Schnitt: Jim Haygood, Darsteller: Michael Douglas (Nicholas Van Orton), Sean Penn (Conrad Van Orton), Deborah Kara Unger (Christine), James Rebhorn (Jim Feingold), Peter Donat (Samuel Sutherland), Carroll Baker (Ilsa), Armin Mueller-Stahl (Anson Bear)
Kinostart: 21/11/1997

Spiel und Wirklichkeit, sie ununterscheidbar und zu „Games" für gelangweilte Multimillionäre zu machen, darauf hat die Firma CRS sich spezialisiert. Nick, d.i. Michael Douglas, bekornmt „The Game" zum Geburtstag: Er kennt die Regeln nicht, aber gibt's überhaupt welche? Ein würdiger Nachtrag zu „Se7en": prätentiöses, hirnloses Designer-Kino (dafür mit Überlänge) (FALTER)

Wenn das Kino ein Spiel ist, dann ist sein Regelwerk die Genre-Theorie. Sie erklärt Mitspielern und Zuschauern, was sie etwa in einem Thriller zu erwarten haben, doch dann ist es auch schon zu spät: Auch wenn der Theoretiker behaupten mag, er wisse, was dort gespielt werde (und vor allem, wie man ihn spielt), so kann er doch erst rückwirkend einen Film zum Thriller erklären - und damit das Spiel festlegen, nachdem es bereits gespielt ist. Mit dem Begriff des "film noir" etwa konnte man in den 50er Jahren das Kino der 40er benennen. Niemand in Hollywood indes kannte das Wort oder die geheimnisvolle Rezeptur, die sich dahinter verbergen mochte. Bedauerlich eigentlich - wieviel effizienter hätte man produzieren können, wenn man die Zutaten vorher gekannt hätte.
"The Game" führt Michael Douglas in ebendiese Situation: Er spielt ein Spiel, dessen Regeln er nicht kennt. Er ist der Hitchcocksche "unsichtbare Dritte", hineingestoßen in ein finsteres Ritual, dem er erst entrinnen kann, wenn er es durchschaut hat. Und wie bei Hitchcock ist der Held allein, denn auch der Zuschauer weiß nicht mehr als er, der Mann, der zu wenig weiß. Ein schönes Geschenk erhält der egoistische Spitzenmanager Nicholas Van Orton da von seinem Bruder zum 48. Geburtstag: Der Gutschein erlaubt ihm die Teilnahme an den Dienstleistungen einer unbekannten Firma namens "Consumer Recreation Services". Kein Teilnehmer dieses Luxusspiels habe bisher bestreiten können, daß es sein Leben verändert habe. Wenn sich allmählich die Dinge um Van Orton zu ändern beginnen, wenn Stück für Stück alle materiellen und ideellen Grundfesten seines Lebens dekonstruiert werden, ist es für einen Ausstieg längst zu spät. Beruflichen Niederlagen folgen private. Ein vandalisiertes Anwesen, ungültige Kreditkarten und leere Konten. Mordanschläge, denen sich nur mit knappster Not entweichen läßt. Das Erwachen in einer verlassenen sizilianischen Gruft. Schließlich die Erkenntnis, daß auch die engsten Freunde sich gegen ihn verschworen haben.
Man könnte die so veränderte Wirklichkeit für eine virtuelle halten, Van Orton zum User einer dieser sogenannten Interaktionen, die eigentlich nur reaktiv funktionieren. Wenn freilich jede Figur in die Regeln eingeweiht ist, zu den Kollaborateuren der geheimen Drahtzieher zählt, lohnt sich auch die Reaktion nicht mehr. In dieser filmischen Wirklichkeit ist der Albtraum real. Van Orton befindet sich nicht auf einem fremden Planeten, der nur zufällig aussieht wie die Erde. Es ist einfach so, daß er der letzte ist, den man nicht über die Regeln des Psycho-Spiels aufgeklärt hat - außer dem Zuschauer natürlich. Diesen letzten Beistand sollte man dem tragischen Helden lassen, der vom Unsympathischen zusehends zum Träger des Mitleids wird - weshalb ein Verraten der finalen Pointe auch das Filmerlebnis ruinieren würde.
Es fällt schwer, bei diesem Film nicht an einige Klassiker zu denken, die das Wort "Spiel" im Titel führten. In "The Most Dangerous Game" fand sich Joel McCrea im Jahre 1932 als lebendige Jagdbeute auf einer Insel wieder, die nicht von ungefähr für den Film "King Kong" erbaut worden war. Auch bei Renoir geht der Tod als Jagdunfall durch, sofern sich eine degenerierte Bourgeoisie auf diese "Spielregel" verständigt hat. Die Ausgegrenztheit des unfreiwilligen Mitspielers, der Jagdbeute einer verschworenen Gruppe, wirkt um so überzeugender, als es dem Kino gelingt, ein geschlossenes System zu entwerfen: Totalitär in Organisation und künstlerischer Ausgestaltung. David Fincher hat es bereits in seinem vorangegangenen Film "Sieben" (fd 31 642) verstanden, ein solches System zu entwerfen und zu stilisieren. Auch wenn "The Game" in seinem visuellen Design nicht die Originalität des Vorgängers besitzt, ist die Ausstattung noch immer spektakulär und in der künstlerischen Durchdringung des Gesamtkonzeptes bemerkenswert. Wenn etwa Van Ortons Wohnung vandalisiert wird, so geschieht dies von Hand des namhaften Graffiti-Künstlers Vince Moisden. Der Sog der Abgründe schließlich, die das Drehbuch stets aufs neue bereit hält, ist aberwitzig. Unter den wohlgeplanten Überrumpelungen und den Achterbahnfahrten des gegenwärtigen Effektkinos jedenfalls ist "The Game" das einzige Kunstwerk. (Daniel Kothenschulte, film-dienst)

Der Geschäftsmann und Multimillionär Nicholas Van Orton (Michael Douglas, Wall Street) hat alles, was man mit Geld kaufen kann: von einer Villa über ein teuer geschmacklos eingerichtetes Büro bis hin zu einem Auto, das mit allen möglichen technischen Spielereien ausgestattet ist. Leider hat er recht wenig Freizeit, was auch der Grund dafür ist, daß seine Frau ihn verlassen hat.
An seinem 48. Geburtstag schenkt sein Bruder Conrad (Sean Penn, Dead Man Walking) ihm daher etwas ganz besonderes: einen Gutschein für ein Spiel. Um den Gutschein einzulösen muß Nicholas sich mit der Firma Consumer Recreation Services in Verbindung setzen, was er einige Tage nach seinem Geburtstag auch tut und dorthin geht. Dort wird er von Kopf bis Fuß untersucht, damit in diesem "Spiel" auch nichts schiefgeht. Nach diesen Untersuchungen erfährt der Millionär, der Überraschungen hasst, daß das Spiel jetzt beginnt. Was das Spiel eigentlich ist bekommt er allerdings nicht mitgeteilt.
Bei seiner Ankunft zu Hause entdeckt er in der Auffahrt etwas ungewöhnliches: eine Puppe eines Clowns liegt vor dem Eingang. Das Makabere daran: sie hat die gleiche Kleidung an und liegt an der selben Stelle, an der Nicholas' Vater lag, nachdem er sich vom Dach des Hauses in den Tod gsetürzt hatte. Nicholas nimmt die Puppe mit ins Haus und findet in ihrem Mund einen Schlüssel mit dem Logo von CRS. Was es mit ihm auf sich hat, erfährt der Millionär nicht, und auch der Sprecher der Wirtschaftsnachrichten, der plötzlich mit ihm spricht, sagt ihm nur, daß er den Schlüssel immer bei sich haben soll, weil er ihn irgendwann brauchen wird.
Zu einem solchen Spiel gehört natürlich mehr als nur eine Person. In einem Restaurant bekommt er eine Nachricht zugespielt, in der steht, daß er die Kellnerin, die ihm vor wenigen Minuten ein Glas Rotwein über das Hemd geschüttet hat, nicht einfach so gehen lassen soll. Scheinbar spielt auch sie eine wichtige Rolle in diesem Spiel, aber sie scheint von nichts zu wissen...
Dieser Film hat micht echt vom Sessel gehauen; meiner Meinung nach ist "The Game" der beste Thriller seit "Die Üblichen Verdächtigen". Niemand, weder der Zuschauer noch der Schauspieler weiß, welche Geschehnisse zum Spiel und welche zur Realität gehören. Dadurch bekommt der Film eine ganz unheimliche, schon fast paranoide Stimmung. Stark erinnert hat mich der Film auch an George Orwells Buch "1984", nur war es dort der Staat, der die Menschen überwachte, hier ist es eine Firma. Vom Anfang bis zum Ende kommt es immer wieder zu äußerst überraschende Wendungen. Nicht nur für Thriller-Fans ist ein Besuch dieses Filmes Pflicht, er könnte zum Film dieses Winters werden. (heinz-online)

Der Film ist eine große Illusion. Der Zuschauer läßt sich auf ein Spiel ein, weiß nicht genau, was ihn erwartet. Ein verwandter Geist kümmert sich um die ganze Inszenierung. Und wenn es gefällt, teilt man die Kosten mit ihm.
"The Game" ist eine große Illusion. Nicholas Van Orten (Michael Douglas) läßt sich auf ein Spiel ein, ohne daß ihm jemand genau erklärt, worum es geht. Nicholas ist ein Investment-Banker, ein extrem erfolgreicher, ebenso gefürchteter wie geachteter Geschäftsmann.
Sonst ist er nichts und sonst hat er nichts: Sein sozialer Kontakt beschränkt sich auf die allernötigsten Höflichkeitsfloskeln. Unbedarfte, die ihm zum Geburtstag gratulieren, erhalten nur einen bösen Blick als Undank. Das Privatleben des Nicholas Van Orten beschränkt sich darauf, die freundlich sorgenden Anrufe seiner Ex-Frau Elizabeth abzuwimmeln. Nur mit seinem kleinen Bruder Conrad (Sean Penn) hält der verschlossene Mensch regelmäßig Kontakt.
Von Conrad kommt auch als Geburtstagsgeschenk die Einladung zum Consumer Recreation Service, kurz CRS. Der Mann, der alles hat, außer ein wenig Spaß im Leben, läßt sich auf "The Game" ein. Er macht das Spiel mit, obwohl er keine Ahnung hat, worum es geht und Überraschungen haßt. Zwar erhält Nicholas eine Ablehnung vom CRS, doch bald findet er eine lebensgroße Clownpuppe in seinem Garten und der Nachrichtensprecher wendet sich direkt an ihn. Schon am nächsten Tag sieht Nicholas die Umgebung mit anderen Augen, schaut sich genau um, ob nicht eine Überraschung oder ein Spion von CRS unter den Menschen lauert. "The Game", das Spiel, hat begonnen - auch für die Zuschauer.
Es passiert bald einiges, der Aktenkoffer läßt sich nicht mehr öffnen, die Kellnerin (Deborah Kara Unger) verschüttet das Getränk, ein alter Mann bricht auf der Straße zusammen. Sind dies zufällige Ereignisse? Oder alles Inszenierungen von "The Game"? Auf jeden Fall lassen sich verdächtig viele Firmen mit CRS abkürzen.
Inhaltlich-sentimental geht es um die Läuterung eines verkorksten Geschäfts-Mannes. "Die Reisen des Mr. Leary" in die Welt der Investment-Banker. Erstaunlicherweise kommt der Film sehr lange ganz ohne die üblichen Action- und Verfolgungseinlagen aus. Auch die Musik von Howard Shore drängt nicht, sie beunruhigt schwebend.
Das Spiel verläuft hochspannend, weil auch wir nicht wissen, was "echt" und was inszeniert ist. Gleichzeitig ist "The Game" spaßig, wenn der verwirrte Nicholas seine falschen Verdächtigungen austobt, seine unglaubliche Geschichte zu erklären versucht. Die Frage "Spaß oder Ernst" klärt sich allerdings, als das Spiel zum mörderischen Horrortrip wird. Nur die verschiedenen Schlüssel, die Nicholas immer wieder zugespielt werden, retten ihn aus atemberaubenden Situationen. Irgendwann sieht der Erfolgsmensch ziemlich derangiert aus und all seine Konten sind geplündert.
Die Wirkung des Films ist Erstaunen. Wenn man ihn nicht gleich noch einmal sieht, wundert und rätselt man noch Stunden nachher. Schon "Die üblichen Verdächtigen" boten einen raffinierten Bluff, auch "Zwielicht" überraschte am Ende - doch so einen gründlich eingezogenen, dauerhaften doppelten Boden habe ich selten gesehen. Wenn Michael Douglas behauptet, das Drehbuch von John Bracanto und Michael Ferris sei das Beste, das er seit Jahren gelesen hat, kann man diese Pressemitteilung ausnahmsweise glauben.
"The Game" wird nach seiner Videoveröffentlichung sicher ganz schnell als allgemeines Modell für das Spiel "Spielfilm" in die Filmseminare Einzug halten. "The Game" funktioniert wie ein Traum im Traum. Eine großartige Inszenierung, in der Zuschauer und Filmmacher wie Brüder zusammenarbeiten. Nach "The Game" wird jeder Kinobesucher diesen und alle anderen Filme anders sehen. (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)

Die Serie „Michael Douglas als Wohlstandsbürger in Nöten“ ist um eine Fortsetzung reicher: Nach mehreren „verhängnisvollen Affären“ und „Rosenkriegen“ verstrickt er sich diesmal in ein kathartisches Spiel, bei dem nie klar wird, ob der Protagonist rein zufällig von einer Falle in die nächste tappt, oder ob die Geschehnisse rund um ihn von einem Unterhaltungskonzern inszeniert werden.
The Game entwickelt sich über einigen aufwendigen, aber letztlich vorhersehbaren Spannungsmomenten vor allem zu einer Variation der Tatsache, daß Menschen, die reich und neurotisch sind, sich im Unterschied zu armen Psychopathen auch sehr teure Therapien leisten können. Der Held ist immer wieder dankbar, daß er sich spüren darf. Wirklich erstaunlich ist aber doch, daß im Rahmen der PR für den Film weniger Douglas als vielmehr der erst 34jährige Regisseur als „Ausnahmeerscheinung“ gepriesen wird.
„Meine Schule war, so viele Filme wie möglich studiert zu haben“, sagt David Fincher, und: „Mein Übungsplatz waren MTV und die Werbung.“ Nach einigen akklamierten Videos etwa für Madonna oder die Rolling Stones „sprang ich gewissermaßen ins kalte Wasser.“ Alien 3, produktionstechnisch ein Chaos und an den Kinokassen nur mäßig erfolgreich, verschaffte ihm zumindest genug Anerkennung bei Produzenten, die auf Styling Wert legen, auch wenn sie manchmal seltsame Vorstellungen davon haben, wie dem Grauen beizukommen sei.
Fincher erhielt ein Drehbuch, das ihm auf Anhieb gefiel: „Einem Polizisten, der vergebens hinter einem Serienkiller her ist, am Ende den Kopf seiner Frau in einer Schachtel zu überreichen – das machte Sinn.“ Er sagte also zu, Seven zu inszenieren – um wenig später noch einmal kontaktiert zu werden: „,Wir haben dir das falsche Drehbuch geschickt‘, sagten die. ,Es gibt jetzt ein Happy End. Wer würde schon einen Film mit einem Kopf in einer Schachtel sehen wollen!‘ Es war mühsam, die Produzenten von der ursprünglichen Version zu überzeugen. Heute sagt jeder: Seven, das ist der Kopf-in-der-Schachtel-Film.“
Seither wird an Finchers Arbeit auch immer ein exzessiver Hang zu Techniken des Avantgarde-Kinos hervorgehoben: Pat O’Neill, einer der gegenwärtig wichtigsten Found-Footage-Gestalter, habe an den Super-8-Kindheitserinnerungen des Helden von The Game gearbeitet. Die Dunkelheit wiederum, in die er schon Brad Pitt in Seven stieß und durch die jetzt auch Douglas taumelt, sieht Fincher gerne in Verbindung mit den Godfather-Filmen von Francis Ford Coppola.
„Coppola meint übrigens, daß The Game voll von Querverweisen zu seinem paranoiden Meisterwerk The Conversation sei. Die Madonna, in der Gene Hackman dort Abhörgeräte entdeckt, gibt es auch bei mir – aber das war mir als Zitat gar nicht bewußt.“
Versucht er also unbewußt, an die Regie-Heroen des New Hollywood der 70er Jahre anzuschließen? Fincher zuckt die Achseln: „Es wird schwieriger, dunkle Terrains auszuloten. Die Studios trauen den Zuschauern immer weniger zu – siehe Seven. Aber die Leute gehen auf Dauer doch ins Kino, um außerordentliche Dinge zu sehen, die sie nicht zu träumen wagen: Mein nächster Film wird eine Komödie sein – pechschwarz.“(Claus Philipp, DER STANDARD, 20/11/1997)

In "The Game" versucht US-Thriller-Hoffnung David Fincher offenbar zu klären, wieviel Unlogik das Unterhaltungskino verträgt. Weniger als er glaubt: Sein flach geratenes Action-Mysterium quält Michael Douglas - und verdoppelt Hollywoods Lust am hemmungslosen Inszenieren.
Es ist ja im Kino, speziell im aktionistischen Bereich, längst modern, den Helden deutlich mehr zuzumuten als dessen Feinden: Bruce Willis ließ sich in der Die-Hard- Trilogie inzwischen dreimal teeren und federn, bis weit über die Grenzen hinaus, die einem Organismus zuzumuten sind. Aber die superhumans des Actionkinos, von Stallone bis Van Damme und Schwarzenegger, sind eben, weil sie keine Menschen mehr sind, nicht totzukriegen. Und wirkliche Stärke scheint sich (in Hollywood) im Nehmen eher zu manifestieren als im Austeilen. Nun greift der Virus des Sadismus gegen den Protagonisten auch auf den Thriller, den gemeinen Krimi über, dem man ja bislang größere Realismuswerte (verglichen wenigstens mit dem Comics-Stil der Action-Vehikel) nachgesagt hat: Was Michael Douglas in The Game, dem jüngsten Film David Finchers, zustößt, ist nur noch vergleichbar mit jenen Attacken gegen die Helden-Physis, wie sie die Aktions-Reißer Amerikas oder Chinas bereithalten.
The Game ist bemüht, Action und Suspense zu fusionieren, der panischen Bewegung und der "Cleverness" der Konstruktion zugleich ein Forum zu bieten: Daß Finchers Idee nicht aufgeht, liegt vor allem auch daran, daß die Story ihre Logik-Fehlleistungen so demonstrativ vor sich herträgt, als wären sie eine Art Ziergegenstand. Und das Drehbuch erklärt zuerst zuviel und dann, wo die Lücken zu klaffen beginnen, gar nichts mehr.
Im Luxus, in einer dunklen Villa startet The Game seine Geschichte: Michael Douglas, der seit geraumer Zeit die immergleiche Rolle zu spielen scheint, führt darin eine schale, unglückliche Existenz im Geld, in der Einsamkeit, im Zynismus. Alles ist in diesem Film sofort zu erkennen, alles ist sichtbar: Fincher verfilmt in The Game ein Mysterium - und beseitigt dennoch, von Anfang an, die Geheimnisse.
An einem anderen luxuriösen Ort, einem teuren Restaurant, trifft Douglas auf Sean Penn, der da seinen Bruder spielt. Penn offeriert ein exzentrisches Geschenk: Ein Unternehmen namens "Consumer Recreation Services" verspricht Spaß, wie er ihn noch nie erlebt habe, eine unglaubliche Überraschung, für die er, Penn, alle Kosten übernehme. Er müsse sich nur bei CRS melden, dann ginge es los, das unbeschreibbare Spiel, das Ferien vom eigenen Leben bietet.
"I hate surprises", sagt Douglas noch, aber das stimmt natürlich nicht: Er inspiziert, ein Blick kann nicht schaden, das CRS -Büro. Und schon ist er mittendrin im bösen Spiel: Wie schon in Seven siedelt Fincher seine Story wieder in einer alptraumhaft gefärbten Welt an, in einem stilisierten, finster-urbanen Kosmos, der kaum noch Farben kennt - und dessen Räume überall nur aus Glas, kaltem Metall und scharfen Kanten gebaut sind.
The Game verwandelt das Leben seines Helden tatsächlich in einen Alptraum: Er sieht sich, wo immer er auch hintritt, von Schauspielern umgeben, von Deborah Unger (Crash) etwa und Armin Mueller-Stahl, die ihm ein Leben vorspielen, das es nicht gibt, die ihn verfolgen, bedrohen und beinahe umbringen. Was steckt dahinter? Ist das noch ein Spiel mit der Fiktion oder schon ein Mordversuch?
Die Paranoia dominiert Finchers Arbeit, in The Game mehr noch als in Seven : Damit scheint Fincher, in seinen Bildern und Erzählweisen fix in den dekorativen neunziger Jahren zementiert, auch auf das paranoide Kino der frühen Siebziger zurückzuverweisen. Aber aus dem Verfolgungswahn bei Fincher folgt nichts mehr, das Spiel bleibt, wie gewalttätig auch immer, nur ein Spiel: nichts Ernstes, nur eine Denkaufgabe, die man hier eben besonders physisch zu bewältigen versucht.
Finchers neuer Thriller zelebriert - wie so viele andere Hollywoodfilme derzeit (siehe etwa Contact) - die Lust am Schock und an der Inszenierung, erzählt also hundertvierzig gedehnte Minuten lang nur von sich selbst, begleitet vom mediokren, zähneknirschenden Schauspiel Michael Douglas' und einer Serie erstaunlich phantasiearmer Auto-Verfolgungsjagden. Und gegen Ende hin wird The Game immer bizarrer, immer breiter, als vertrauten die Autoren ihrer eigenen Geschichte nicht mehr: Der Film beginnt sich in seine Einzelteile aufzulösen - in "exotische" Schauplätze, "erotische" Anziehungspunkte und "tödliche" Bedrohungen. In The Game paßt, buchstäblich, kein Teil zum anderen.
Im Finale werden die Kino-Analogien dann immer noch deutlicher, bis auch sie schließlich explizit sind: Von "special effects, like in the movies" spricht am Ende noch einer, ehe Douglas mit einen letzten Sprung den klaffenden Löchern in der Logik (und sich selbst) zu entkommen sucht.
Consumer Recreation Services, darin scheint die Essenz der kommerziellen Kinoindustrie in Amerika zu liegen - all die falschen Schocks, die bösen Überraschungen und die ungebetenen Inszenierungen. Wie der Firmenname schon sagt - Konsum, Entspannung und Dienstleistungen: Hollywood hat tatsächlich nie konkreter über seinen desolaten Gesamtzustand Bericht erstattet als in The Game. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 22/11/1997)

"Über Arbeiter könnte ich keine Filme machen". David Fincher, Regisseur von "The Game", über doppelte Böden und das Leben im Kino. Ein Interview.
Der Mann ist jung, gerade erst 34, und gehört doch zu den gefragtesten Filmemachern Hollywoods. Als Regisseur des ornamentalen Serienkiller-Thrillers Seven hat er sich vor zwei Jahren einen Namen gemacht. Aber seit bereits elf Jahren ist er in der Branche aktiv: als Produzent (bei Propaganda Films), als Regisseur von Musikvideos (Madonnas Vogue etwa) oder als Werbefilmemacher. 1991 begann er seine Kinokarriere denkbar schwach, mit Alien 3 , einer theatralisch geratenen Fortsetzung der Außerirdischen-Saga.
"DIE PRESSE": Der Film sieht ziemlich geschrieben, konstruiert aus. Das Drehbuch scheint oft überarbeitet worden zu sein, denn es basiert auf dem Gedanken, daß Ihr Held bestimmte Schritte tun muß, ohne die die ganze Geschichte nicht mehr funktionieren würde.
David Fincher: Es ist halt schwierig: Man will diese unglaubliche Reise anbieten, die überall Haken schlägt, aber andererseits muß man die Sache total glaubhaft halten. Man kann nicht beide Seiten zeigen, die Drahtzieher und den, der ihr Opfer ist: Das würde dem Zuschauer die Freude verderben.
Viele Hollywoodfilme beschäftigen sich derzeit mit dem Filmemachen, sind selbstreflexiv gebaut. Haben Sie während der Arbeit an "The Game" daran gedacht?
Schon, das ist ja auch amüsant. Aber ich glaube nicht, daß das das Wichtigste an The Game ist; ich weiß eben eine Menge übers Filmemachen, da tauchen solche doppelten Böden wohl wie von selbst auf. Ich könnte keinen Film über, sagen wir, Hafenarbeiter machen, weil ich darüber nichts weiß. Mir gefiel einfach der Aspekt des "Was-wäre-wenn" an der Geschichte.
"The Game" ist ein Film über die Illusion, über den Konflikt zwischen dem Realen und der Fiktion. Und im Drehbuch finden sich ja ständig Verweise auf das Kino...
Na ja, der Film spricht über eine Art der Illusion, die wir kennen: Da sind keine falschen Waffen wie in einem Bühnenstück, sondern die Art von Waffen, wie wir sie aus dem Kino kennen. Und ja, Michael Douglas verfängt sich in einer Art Film, denn am Anfang hat er ja kein Leben, das man filmisch verwerten könnte: ein Typ, der allein in einem Raum fernsieht. Das ist kein Leben für das Kino. Und so wird er also in einen Thriller geworfen, aus dem er zu entkommen versucht.
Die drei Filme, die Sie bis jetzt gemacht haben, sind eigentlich alle dem Thriller- oder Horrorgenre zuzuordnen. Würden Sie auch andere Fächer bearbeiten?
Ja, ich arbeite derzeit an einer Art Comedy, die sich als Kommentar auf soziale Aspekte versteht, wie sie das Ende dieses Jahrtausends mitbringt. Es ist wohl wieder eine eher dunkle Komödie, aber doch realistisch angelegt. Es ist nicht so, daß ich zu Drehbuchautoren sage: Schickt mir keine Geschichten, die untertags spielen. Ich suche aktiv nach Filmen, die es noch nicht gibt, die ich gerne sehen würde. Für Seven und The Game gilt das, nicht für Alien 3 zwar, aber für die beiden letzten doch.
In Hollywood arbeiten derzeit gerade an extrem teuren Filmen oft Debütanten, siehe etwa "Con Air". Ist das die Ära des Produzentenfilms?
Ich glaube, das ist eine Symbiose: Die Jungen lieben es, gleich mit Superstars arbeiten zu können, und die Produzenten wollen natürlich ihre Macht erhalten. Alien 3 war ein Produzentenfilm, das war tatsächlich ein Fehler, den ich gemacht habe. In Hollywood gibt es eben die Jerry Bruckheimers und die Joel Silvers: Und es gibt eine Nachfrage nach ihren Filmen. Das muß man akzeptieren. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 22/11/1997)

Seit einem Jahrzehnt spielt der Hollywood-Star Michael Douglas immer dieselbe Rolle: den amerikanischen Mann in der Krise. Der Thriller "The Game" zieht ihm jetzt endgültig den Boden unter den Füßen weg.
Der weiße amerikanische Mann steckt in der Krise. Ehedem war er der Nabel der Wohlstandsgesellschaft, durfte als Herr des Hauses und als Retter der freien Welt auftreten, seiner Sekretärin ungestraft auf den Allerwertesten klatschen und nach getaner Schreibtischarbeit seine Baseball-Leidenschaft und seinen Bierbauch pflegen.
Heute kriegt er von der Sekretärin eine Klage wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz an den Hals; die Werbung macht ihm klar, daß er einen Waschbrettbauch und ein teures After-shave braucht, um Karriere zu machen; seine Firma kann ihn kurzfristig einsparen; und seine Gattin liest den Geschlechterratgeber "Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus", wenn sie nicht gleich die Scheidung einreicht und ihn mit den Unterhaltsforderungen in die roten Zahlen treibt. Und falls er im Fitness-Club eines Tages eine neue Geliebte aufreißt, wird die ihm den tausendsten Frauenzeitschriftsartikel über den Neuen Traummann unter die Nase halten: Zärtlich und geduldig, sexy und kraftvoll zugleich soll er sich geben.
Verunsicherung allerorten. Auf nichts ist mehr Verlaß. Die alten Rituale taugen nicht mehr, auch wenn sie noch so häufig wiedergekäut werden. Und da soll das Selbstbild des Mannes nicht ins Wackeln geraten?
In Washington trafen sich vorigen Monat mehrere Hunderttausende verwirrter fundamental-christlicher Mannen zu einer feierlichen "Promise Keepers"-Versammlung: Sie versprachen, ihren Familien wieder als gute Väter, Gatten und Versorger vorzustehen, den Rassismus aus ihren Herzen zu verbannen und überhaupt bessere Menschen zu werden. Es war die kollektive Reue eines Patriarchats, das nicht so recht weiß, wie es sich restaurieren soll.
Auf diese Identitätskrise hat Hollywood seit Anfang der achtziger Jahre vor allem mit einem Massenauftritt der Super-Machos reagiert. Wo in Wirklichkeit das Chaos einer heftig streitenden, zerfasernden Gesellschaft herrschte, in der Schwarze und Schwule und Frauen ihre Rechte einklagten, zelebrierten die Rambos und Schwarzeneggers mit dem Flammenwerfer die alten, patriotischen Gewißheiten. Aber selbst sie brauchten immer massigere Muskelpakete, um sich das Chaos von der Seele zu halten. Und schließlich wurden sie lächerlich: Auslaufmodelle, die "maskulin" ausschließlich als "muskulin" zu buchstabieren wußten.
Nur ein einziger Schauspieler hat rasch begriffen, daß sich aus der massiven Verunsicherung der weißen Mittelschicht auch viel geschickter Kapital schlagen läßt: Seit einem Jahrzehnt spielt Michael Douglas den amerikanischen Mann in der Krise - und zwar in allen Facetten. "Ich habe", sagt er, "wie viele Männer meines Alters das Gefühl, nicht mehr zu wissen, was es heißt, ein Mann zu sein."
Was es heißt, ein umstrittener Star zu sein, weiß der schmallippige Douglas, 53, dagegen sehr wohl. Er hat mehr Skandalwerke in seiner Filmografie versammelt als jeder andere. Spätestens seit seinem Oscar für "Wall Street" 1987 kann er sich aussuchen, was er dreht - und er setzt gezielt auf Provozierendes: "Menschen zwei Stunden zu unterhalten ist gut", sagt er. "Darüber hinaus aber eine internationale Debatte auszulösen - das ist wirklich aufregend. Das kann zum Hobby werden." Sein Hobby hat ihn nicht nur schwerreich gemacht, sondern auch zu einem der geachtetsten Trendsetter in Hollywood, als Schauspieler wie als Produzent.
Und er hat sich, gestraft mit dem Namen und dem Quadratkiefer seines Vaters, nach langen Gesellenjahren als netter Junge von nebenan (unter anderem auf den "Straßen von San Francisco") mit seinen spektakulären Parts auch aus dem Schatten des alten Haudegens Kirk herausgearbeitet.
In der Reihe der Mannsbild-Modelle, die Douglas im Lauf der Jahre durchgetestet hat, steht der charakterschwache Softie, der erst seine Durchsetzungskraft wiederentdecken muß ("Eine verhängnisvolle Affäre", 1987, und "Enthüllung", 1994), neben dem frustrierten Arbeitslosen, der mitten in der Großstadthektik Amok läuft ("Falling Down", 1993). Es gibt den Gatten und Versorger, den die Frau an seiner Seite unerwartet im Stich läßt und rundum fertigmacht ("Der Rosenkrieg", 1989); den verbohrten Patrioten, der sein rassistisches Weltbild korrigieren muß ("Black Rain", 1989); und den labilen, aber großmäuligen Macker, der nicht merkt, daß er die Maus in einem sexuellen Katz-und-Maus-Spiel ist ("Basic Instinct", 1992).
Selbst als amerikanischer Staatschef ("Hallo, Mr. President", 1995) mußte sich Douglas mit einer selbstsicheren, den Umweltschutz predigenden Karrieredame herumschlagen, die sich nicht ohne weiteres den Titel der First Lady überstreifen ließ.
Jetzt aber spielt er einen Part, der um nichts anderes kreist als den Schrecken einer existentiellen Verunsicherung. In dem Thriller "The Game" weiß Douglas bald nicht mehr, was Wirklichkeit ist und was Spiel, wem er trauen und was er glauben soll. Seine Figur erlebt einen solchen Ich-Verlust, daß sie am Schluß zum Selbstmord bereit ist. Alle Gewißheiten zerschellen, alle Regeln der Welt sind außer Kraft gesetzt. In solch metaphysische Sphären hat bisher kein US-Film die Krise gestemmt.
Aber der Regisseur von "The Game", David Fincher, 34, ist darauf spezialisiert, aus schlichten Gattungsprämissen die ganz großen Bilder und die ganz alten Fragen herauszupressen. Die Science-fiction-Serie "Alien" bereicherte er um eine finsterschmuddelige Fortsetzung, deren Geschichte sich aus christlichen Motiven wie Schuld und Erlösung speiste; und aus der Serienkiller-Mode der letzten Jahre ragte sein makabres Requiem "Sieben" heraus, weil es das Unbegreifliche des Mordens nicht aufzulösen suchte, sondern sich seinem Reiz in morbiden Bildern ergab.
Jetzt also ein Thriller: Der Held von "The Game" glaubt, daß er alle Spielregeln aus dem Effeff beherrscht. Nick (Douglas) ist ein menschenverachtender, eitler Unternehmer, dessen Welt einem Schließfach gleicht: hart, kalt, vierfach gesichert und verdammt kostspielig.
Nicht zufällig arbeitet er im Investment-Banking - wie etliche der Läuterung bedürftige Helden des amerikanischen Films, etwa Richard Gere in "Pretty Woman" und Douglas selbst in "Wall Street". Wer Dollars scheffelt, indem er Wertpapiere von einem Ort zum anderen baggert, anstatt durch schweißtreibende Arbeit selbst etwas aufzubauen, ist nach geltender Hollywood-Moral kein guter Kapitalist und Unternehmensvater, sondern ein narzißtischer Spieler. Er muß erst durch eine Krise "erwachsen" werden.
So auch Nick. Er begeht einen entscheidenden Fehler, indem er sich zu einem Spiel herausfordern läßt, dessen Regeln er nicht kennt. Das "Game" des Filmtitels wird von einem undurchsichtigen Unternehmen namens CRS angeboten, das nur eines verspricht: dem Spieler zu geben, was in seinem Leben fehlt. "Und wenn nichts fehlt?" fragt Nick verächtlich.
Bald fehlt ihm vor allem eines: die gewohnte tiefgefrorene Seelenruhe. Er wird gejagt, beschossen, in einem Taxi in der San Francisco Bay versenkt, betäubt, verschleppt und fast umgebracht. CRS verwickelt ihn in einen ausgefeilten, sadistischen Thriller, "Reality-TV" vom Feinsten, eine Art Film-im-Film: Nick ist der Hauptdarsteller, und sein Leben liefert die Handlung. Nur kennt er seinen Text nicht, und er muß alle Stunts selbst erledigen.
Zum Äußersten getrieben, wird Nick so gefährlich wie ein gereizter Bulle - und zappelt doch immer noch in der Falle.
Am Ende aber macht es "The Game" Nick - und den Zuschauern - allzu einfach. Waren sich "Alien 3" und "Sieben" bis zur letzten Einstellung treu, so verkauft sich der Thriller in den letzten Minuten an die Hoffnung, mit einem schulterklopfenden Happy-End Zuschauerzahlen zu schinden. Der heilige Ernst, der Finchers Filme auszeichnet, wird von einem wohlfeilen Hollywood-Grinsen durchbrochen.
Insofern ist "The Game" weniger konsequent als viele andere Douglas-Filme. Häufig leben seine Figuren, wie Nick, in einer Welt der Oberflächen: glatt, sicher, idyllisch, zivilisiert. Sie sind Anwälte, Banker, Computerfachleute, Angestellte. Und häufig bricht bei ihnen ein vages Unbehagen durch; unter den guten Sitten, den Flanell-Einreihern und dem falschen Kann-ich-Ihnen-helfen-Geschäftslächeln bahnen sich die Wut, der Frust und die Gewalttätigkeit ihren Weg, dazu die Geilheit und die Gier. Aber dann wird Ernst gemacht - in einem Douglas-Film gibt es häufig Tote, und nicht selten erwischt es auch ihn.
Einmal, in "Falling Down", rastet Douglas gleich am Anfang aus. Er hockt im Stau, Stoßstange an Stoßstange auf dem Freeway in Los Angeles, es ist heiß und laut, seine Klimaanlage ist defekt, und eine Fliege nervt ihn. Da läßt er einfach seine Karre mit dem Kennzeichen "D-FENS" stehen, und er, dieser gute Amerikaner mit weißem Kragen, Aktentasche und artig in der Brusttasche aufgereihten Kugelschreibern, macht sich zu Fuß auf den Weg durch eine Stadt, die nur für den Autoverkehr gedacht ist.
Sein Weg wird zum Vernichtungsfeldzug gegen alles, was fremd und häßlich und kaputt ist an Los Angeles und am System: Einer, der immer "alles getan hat, was man mir gesagt hat", rächt sich dafür, daß ihn seine Frau verlassen, sein Arbeitgeber entlassen und seine Regierung betrogen hat. Die lange Wirtschaftskrise, fast ein Tabu im amerikanischen Film, grundiert in "Falling Down" die ganze Handlung: Es tummeln sich Obdachlose, Gangs und Männer mit "Arbeite für eine Mahlzeit"-Schildern auf den Straßen der verwahrlosten Stadt.
Noch häufiger aber ist es die Krise zwischen Mann und Frau, welche die Douglasschen Figuren in die Verzweiflung treibt. Die bis heute andauernde Debatte um "politische Korrektheit", in der Amerikas Liberale und Konservative ja um nichts anderes als neue gesellschaftliche Normen ringen, ist zu großen Teilen eine Debatte um die soziale - und gesetzliche - Reglementierung von Sexualität. Die Standardthemen lauten Kindesmißbrauch, "date rape" (Vergewaltigung während eines Rendezvous), Belästigung am Arbeitsplatz, Gewalt in der Ehe. Auch hier werden wieder eherne Gesetze männlicher Vorherrschaft in Frage gestellt; die amerikanischen Herren erwischt es an ihrer empfindlichsten Stelle.
Douglas warf sich, skandalbewußt, ins sexuelle Handgemenge. In "Eine verhängnisvolle Affäre" spielte er zum erstenmal einen Yuppie-Familienvater, der sich von seiner Geilheit austricksen ließ und einen Seitensprung mit einer Karrierefrau (Glenn Close) riskierte. Die aber wollte sich nach ein paar Orgasmen nicht einfach abschieben lassen; sie wehrte sich, belagerte ihn und seine Familie. Die hilflose Douglas-Figur wurde der psychopathischen Geliebten kaum Herr - erst als er zur Waffe griff, gab das aggressive Weib ewige Ruhe.
War das nun eine Warnung vor nichtmonogamem Sex im Aids-Zeitalter? Eine Haßattacke gegen Karrierefrauen? Eine Entlarvung der patriarchalen Doppelmoral beim Ehebruch? Viele Douglas-Filme halten ihre Aussagen zu "sexual politics" vage; nur eines ist klar: Immer wieder machen Douglas selbstbewußte Frauen Ärger, weil er falsch einschätzt, wie die aktuellen Geschlechter-Spielregeln lauten.
Die Femme fatale mit dem Eispickel (Sharon Stone) war zweifellos das schlimmste Weib, dem sich Douglas als koksender, saufender Cop auslieferte. Aber auch in "Enthüllung", einem der ersten Filme, die sich explizit in die Debatte um sexuelle Belästigung einmischten, ging es ihm fast an den Kragen: Als harmloser Schlaffi mit Zahnpasta auf der Krawatte wurde er einer Quasi-Vergewaltigung bezichtigt, die in Wahrheit seine knallharte Vorgesetzte (Demi Moore) an ihm begangen hatte. Wieder mal: der Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Die Douglasschen Charaktere nagen an ihrem Verlust von Prestige, Privilegien und Selbstgewißheit, und sie trauern den Zeiten männlicher Herrlichkeit nach. Dieses Idealbild aber, das weiß auch Douglas, läßt sich allenfalls in mythische Vergangenheiten verlagern. Voriges Jahr spielte er, in der Kolonial-Saga "Der Geist und die Dunkelheit", einen edlen, tapferen Großwildjäger. Aber den haben, zu dumm, am Ende die wilden Tiere gefressen. (Susanne Weingarten, DER SPIEGEL 46/1997)

Also folgende Vorstellung: Ein Ordnungshysteriker und rechter Kotzbrocken (Michael Douglas), wie man ihn nennen muss, bekommt von seinem mehr zum Hedonistischen neigenden Bruder (Sean Penn) den Gutschein einer Firma für praktische Rekreation geschenkt, die einem vom Leben verwöhnten, aber mit Sensationen kurz gehaltenen Kunden ein realitätsechtes Spiel anbietet, dessen Regeln, Ablauf und Inhalt geheimgehalten werden, dessen Genuss- und Befreiungseffekt aber immens sein soll. Das reine Überraschungsabenteuer mit der Welt als Spielplatz. Es handelt sich dann um einen todgefährlichen Angriff auf die ganze Existenz bzw. um den Versuch einer unfreundlichen Übernahme von Bewusstsein und Vermögen bzw. eine kathartische Erziehungsmassnahme, die darauf hinausläuft, dass es am Ende jemandem auch einmal so schlecht gegangen sein soll, wie er seine Umwelt behandelt hat, bevor «das Spiel» ihn seiner selbst entäusserte. Moralisch gesehen ergibt sich daraus eine Mischung aus Dr. Kimbles Flucht, etwas martialischem Kafka und Dickens' «Weihnachtsmärchen». Das führt uns zu einer allgemeinen Bemerkung.
Lange geniesst man es, und lang noch erträgt man's gelassen, aber ab und zu kommt es zum Punkt, wo es aus Gründen der ästhetischen Hygiene einfach nicht mehr möglich ist, ein Kino zu verlassen, in dem das Durchschnittliche wieder mit der grossen Kelle angerichtet wurde, und zu sagen, das sei jetzt aber doch gute Unterhaltung gewesen und gewiss besser als dieses oder jenes, das man auch geschluckt habe, ohne zu reklamieren. Der Trost des Relativierens ist einem dann versagt. Es verfinstert sich die Laune, und das Urteil verschärft sich dahingehend, dass das Bessere eben noch nicht gut sei. Das tut auch einmal wohl in dieser Zeit der weitverbreiteten, überteuerten Blödmacherei. Und ein Film wie «The Game» von David Fincher, der sich mit dem Gestus psychologischer Intelligenz über zwei Stunden blufft, hat es nicht anders verdient.
«Mausi» pflegte nämlich Karl Kraus Dinge und Menschen zu nennen, die die Pose von etwas machen und denen bei jeder Bewegung etwas von der heissen Luft abgeht, mit der sie sich aufpusten. Das Mausihafte von «The Game» beruht auf der Vortäuschung von Raffinement. Der Film ist einer dieser dramatischen Fälle, in denen das Banale so tut, als sei es ein Abgrund von Absurdität und seelenkundlicher Erkenntnis. Es ist aber nur eine spieltheoretisch aufgeblasene Schiesserei und der Beweis dafür, dass eine gute Ausgangsidee wieder einmal zu fast gar nichts geführt hat. Die Geschichte des Spiels und des Nicholas Van Orton, der immer reich und von neurotischer Selbstdisziplin war und dessen Vater sich vom Dach seiner Villa gestürzt hat (wie man in körnigen Rückblenden erfährt: Nachtigall, ick hör' dir psychoanalytisch trapsen, wenn man so sagen darf), verläuft auch im Rahmen einer komplizierten Spielanlage durchaus geheimnislos. Natürlich lässt er sich verlocken von der Erotik des Überraschenden, natürlich dreht das Spiel sich gegen ihn (denn dass es sich gegen ihn dreht, ist das Spiel), und nichts geht jeweils so, wie er, und fast alles so, wie wir es erwarten. Man verwirrt den Mann durch Kontomanipulationen und Attentate, bis er das Spiel für die Wirklichkeit hält, die es vielleicht ist. Kaum hat er sich dran gewöhnt, schockiert man ihn durch die Enthüllung, es sei alles nur Theater gewesen. Glaubt er, es sei vorbei, schlägt ihm die Realität wieder eins vor den Kopf, und Geld und Existenz sind wirklich weg. Oder dann halt doch nicht.
Dramentechnisch kann man das ewig so weiter treiben. Während der Mühsal, uns von der unerhörten Gefinkeltheit der dramatischen Wendungen zu überzeugen (Drehbuch: John Brancato und Michael Ferris, von denen auch «The Net» stammt, wo Sandra Bullock schon die Identität verlor), muss der Begriff Originalität mit dem Gedanken verwechselt worden sein, es reiche, am logischen Mechanismus etwas mehr herumzuschräubeln als andere begabte Handwerker (aber der untalentierte Bastler weiss besser, was passiert, wenn man etwas überdreht; die Sache läuft leer, und man nimmt dann doch den Hammer).
Ganz ohne Spannung ist «The Game» auch wieder nicht. Die alten Tricks funktionieren immer wieder, und ein anständiger Kugelhagel hat seinen eigenen Wert. Andererseits darf sich darauf jeder filmische Hochstapler verlassen. Von einem wie David Fincher, der in «Seven» (1995) fast surreale existentielle Düsternisse schuf, hätte es schon gern ein bisschen sinnvollere Sinnlosigkeit sein dürfen und weniger prätentiöse Routine. Es herrscht in diesem Film ein Mangel an Bedrohlichkeit. So haben wir Michael Douglas zugeschaut, der im schauspielerischen Anspruch auf Gebrochenheit von Film zu Film ohnehin mehr versteinert und hier in eine Art eintönige Aufregung fällt. Wir haben gesehen, wie in einem Charakter nichts passiert zwischen dem einen erinnerungswürdigen Moment, in dem die Pein der Verlegenheit auf einem Gesicht spielt, während die Belegschaft eines Restaurants «Happy Birthday» singt, und jener schön inszenierten Szene, in der ein völlig enteigneter Mann aus einem mexikanischen Grab steigt. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass jemand ganz sentimental wird, nachdem er von einem Dach gefallen ist. Und es ist zum einen Auge herein gegangen und zum anderen wieder hinaus. (Christoph Schneider, Neue Zürcher Zeitung, 17/10/1997)

Jeder von uns kennt solche Schweinehunde, aber keinen Weg, sie zu läutern. Schickt sie ins Kino. In genau diesen Film. Auch wenn ihre Chance zu begreifen ungleich kleiner zur unsrigen sein wird, sich schadenfroh spannend zu unterhalten. Wirklich jeder kennt (und sei’s nur aus den Medien) emotionell eingesargte Menschenschinder und -verächter ganz oben in den Chefetagen, die ihren rücksichtslos und brutal zusammengerafften Reichtum ohnehin nicht genießen können.
Wie wär's, wenn ein solcher Typ eines Tages mit schwerem Schädel in einem Sarg aufwachen würde, begraben auf einem namenlosen Friedhof mit der furchtbaren Ahnung, ganz von unten anfangen zu müssen wie nach einer Gehirnwäsche? Wie Wallstreet-Krösus Van Orton, 48, geschieden, Einzelgänger im goldenen Käfig, an seinem Geburtstag? Was schenkt man jemandem, fragte er höhnisch, der schon alles besitzt?
Da forderte ihn sein jüngerer Bruder mit einem Präsent heraus: Van Orton, von innerer Leere angekränkelt, von Langeweile motiviert, läßt sich auf dessen seltsames Spiel ein, betrieben durch eine heimnisvolle Agentur. Bingo. Von einer Stunde zur anderen verwandelt sich der luxuriöse Alltag des Tycoons in einen infarktmäßigen Höllentrip, aus dem es kein Entrinnen gibt. Ein hübsches Serviermädchen wird zur teuflischen Falle. Geschäfte platzen. Schüsse fallen. Schwarzgeld wird zu roten Zahlen.
Unbekannte Gegner spielen tödliches Schach ohne Regeln - und er nur ein kleiner Läufer querbrett ohne Chance. Hat sich nicht auch schon sein Vater im gleichen Alter das Leben genommen? Die brillante Psychologie des Schockers, tiefes Schwarz ohne jedes Funkeln, macht ein paar wattebauschig plumpe Unwahrscheinlichkeiten mehr als wett. Wie die wüsten Ereignisse den hartgesottenen Busineßman vor sich her treiben, läßt einem ohnehin wenig Zeit für Querdenken.
Hut ab: Wieder hat sich Michael Douglas eine Verliererrolle ausgesucht, mit der er alles - inklusive Oscar - gewinnen kann. Ihm hat man schon „Eine verhängnisvolle Affäre“, den „Rosenkrieg“ und „Falling Down“ abgenommen, ihm glaubt man auch die hilflose Ohnmacht eines Mächtigen. Die Rettung einer verlorenen Seele. Mit Mammon, Buhlschaft, Tod. Aber ohne erhobener Nase und stocksteifem Pathos eines Jedermann vom Festspielplatz. (Rudi John, KURIER)

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