F 1997. 113 Min
Regie: Claude Chabrol,
Buch: Aurore Chabrol, Claude Chabrol,
Musik: Matthieu Chabrol,
Kamera: Eduardo Serra,
Schnitt: Monique Fardoulis,
Darsteller: Isabelle Huppert (Betty), Michel Serrault (Victor), François Cluzet (Maurice), Jean-François Balmer (Monsieur K.), Jackie Berroyer (Châtillon), Jean Benguigui (Fourbe)
Kinostart: 6/6/1998
MICHEL SERRAULT nimmt sich der Rolle des blitzgescheiten Gentleman-Gangsters Victor an, dessen stets perfekte Pläne und makellose Manieren jedoch verdrießlichen Schaden nehmen, als ihn seine verehrte Kollegin Betty in einen allzu riskanten Raubzug verwickelt. Victor läßt sich auf ein Katz-und-Maus-Spiel mit Mafiosi und Millionen ein, das ihn entweder zum sehr reichen Rentner oder zum sehr toten Trickbetrüger machen wird...
Mit erheblichem Vergnügen an der Maskerade und noch mehr Erfindungsreichtum beim subtilen Entblößen männlicher Eitelkeiten verkörpert ISABELLE HUPPERT die professionelle Betrügerin Betty, die zunächst nur die raffinierten Pläne ihres distinguierten Partners Victor auszuführen scheint - bis sie eher aus Langeweile denn Kalkül überraschend selbst einen Coup in Gang setzt, in dem es um zuviel Geld, eifersüchtige Gockel und nicht zuletzt um Bettys bevorzugtes Spiel mit der Gefahr geht...
FRANÇOIS CLUZET stellt den undurchsichtigen Geldkurier Maurice dar, der die gesellschaftliche Rolle des Gentlemans und Bonvivants einfach zu gut spielt. Seine Liebschaft mit Betty erweist sich aus kriminologischer Sicht bald als höchst verdächtig, denn Maurice hält sich offenbar für gescheit genug, gleich zwei Betrüger-Fraktionen betrügen zu können. Hochstaplerischer Hochmut, der leicht ins Auge gehen kann ... (Verleihprogramm
Ein Betrügerpärchen, das sich das tägliche Brot am Rande der großen Hotels und Spielcasinos mit kleinen, sicheren Gaunereien verdient, muß Lehrgeld zahlen, als es sich in der Schweiz an den großen Coup wagt und der Mafia ins Gehege kommt. Ein unbeschwerter, leichter Film, der von der Gegensätzlichkeit seiner Protagonisten und ihrem ambivalenten Spannungsverhältnis, das auch den Zuschauer in der Schwebe hält, lebt. Eine als Versteckspiel um Geld, Liebe und falsche Identität inszenierte liebenswerte Fingerübung, die viele Versatzstücke des Genres zitiert, zugleich aber auch als selbstironische Replik verstanden werden will.
"Rien ne va plus", keine Einsätze mehr, ruft der Croupier. Das Roulette dreht sich, die Entscheidung fällt. Betty spielt mit, spricht mit einem betuchten Handlungsreisenden. Sie nehmen einen Drink an der Hotelbar, dann gehen sie auf sein Zimmer. Doch vor dem greifbar nahen Schäferstündchen schläft der Mann ein. Claude Chabrols 50. Film dreht sich um ein Betrügerpärchen, das sich das tägliche Brot am Rande der großen Hotels und Spielcasinos mit kleinen Einsätzen und sicheren Gaunereien verdient. Betty nähert sich als Lockvogel den Herren mit den gefüllten Brieftaschen und versetzt ihren Drink mit einigen Schlaftropfen, während ihr Partner Victor dann dem schlafenden Opfer das Geld abnimmt. Ganz Gentleman, läßt er immer einen Teil der Beute zurück. Das genaue Verhältnis von Victor und Betty bleibt ungeklärt: Vater-Tochter? Lehrer-Schülerin? Geliebter-Geliebte? Die ungeklärte Beziehung des eigenartigen Paares - er ein älterer Herr, sie fast 30 Jahre jünger - prägt auch den ebenso geheimnisvollen wie heiteren Grundton des Films. Was verbindet die beiden? Die Blutsbande, das Bett, das Verbrechen oder alles zusammen? Auch die Schauspieler, so Chabrol, sollten ihre genaue gefühlsmäßige oder verwandschaftliche Beziehung nicht kennen. Deutlich wird nur, daß der Seniorpartner den Ton vorgibt. "Paß auf, das ist alles eine Nummer zu groß für uns, wir sind doch nur kleine Betrüger", warnt Victor die jüngere vor ehrgeizigen Projekten. Doch dann rückt im Schweizer Kurort Sils-Maria der ganz große Coup in greifbare Nähe: 500.000 Schweizer Franken in einem Koffer. Es entwickelt sich ein Spiel um Lügen und Halbwahrheiten, eine Charade, bei der man nicht mehr weiß, wer wen betrügt, denn ganz offensichtlich hat Betty bereits vorher ihre Fäden zum attraktiven Geldboten Maurice gesponnen. Vor dem Postkarten-Panorama der schneebedeckten Schweizer Alpen ereignet sich in einem luxuriösen Berghotel dieses Versteckspiel um Geld, Liebe und falsche Identität, bei dem man nicht weiß, ob Betty gemeinsame Sache mit dem jungen Mann gegen ihren Kompagnon macht, oder ob es gar umgekehrt ist. Die Dreiecksgeschichte endet schließlich für die Protagonisten in der Karibik in tödlicher Gefahr. Begleitet vom Finale aus Puccinis "Tosca" läßt der Mafia-Chef Monsieur K. die Falle zuschnappen.
Claude Chabrol benennt sowohl Lubitsch als auch Hitchcock als Paten seines jüngsten Films, und tatsächlich vermischen sich Spannung und schwarzer Humor besonders in den ausgefeilten Dialogen. Für den Altmeister ist Humor eine wesentliche Konstante seiner Arbeit: "Ich kann nicht verstehen, wie ein geistig klarer Mensch in dieser Welt ohne Humor überleben kann. Das Gesündeste ist doch zu lachen, auch über sich selbst." "Das Leben ist ein Spiel" ist in der Tat von Anfang bis Ende ein artifizielles Spiel - ein Glücksspiel, bei dem selbst die Momente der höchsten Spannung heiter wirken. Chabrol glückte ein ausgesprochen liebenswerter Film, besonders im Vergleich zu den bierernsten Thrillern und Kriminalfilmen anderer europäischer Filmemacher. Dabei spielt er mit den Versatzstücken des Genres - die Welt der Reichen, der große Coup, die Mafia - und ironisiert genüßlich die blutige Verstrickung und die Theatralik der Filme à la Quentin Tarantino. So etwa, als Betty ihren Liebhaber, den Geldkurier Maurice, tot in der Badewanne findet, mit einem Messer durch die Augen gestochen: dies ist ein "choque-image", gleichzeitig aber auch ironische Replik auf die Blutarien mancher Epigonen von "Pulp Fiction" (fd 31 041). Seine Plots und Subplots entwickelt Chabrol beiläufig, an manchen Stellen geradezu selbstironisch, etwa wenn die Kamera zeigefingerartig den Zuschauer auf eine zurückgebliebene Tasche aufmerksam macht. Am Ende ist es Victors routinierte Meisterschaft, die ihn und Betty aus dem karibischen Palast des Herrn K. entkommen läßt. Mit der gleichen Methode hat er um einen viel höheren Einsatz gespielt - und gewonnen. Völlig zu Recht bezeichnete Chabrol den Film als seinen bisher leichtesten, unbeschwertesten: "Spielerisch wie eine Seifenblase". Und diese Linie will er fortsetzen: "Ich habe viel gelernt in diesem Bereich. Ich habe immer noch viele Fragen und keine Antworten. (...) Früher war ich nur sarkastisch und nicht mehr. Heute mache ich leichtere, freundlichere Filme." (Wolfgang M. Hamdorf, film-dienst)
«Ich glaube nicht an Meisterwerke» - Gespräch mit Claude Chabrol
Am 24. Juni feierte Claude Chabrol seinen 67. Geburtstag. Und in diesem Monat kommt sein 50. Film, die verhaltene Krimikomödie «Rien ne va plus», in unsere Kinos. Vom innovativen Vertreter der «Nouvelle vague» hat sich Chabrol seit seinen Anfängen Ende der fünfziger Jahre zu einem routinierten Altmeister entwickelt. Seine Arbeiten sind von unterschiedlichem Niveau, zeichnen sich aber meist durch eine nicht leicht zu fassende, hintergründige Qualität aus. Gerhart Waeger hat sich mit dem Regisseur anlässlich eines Besuchs in Zürich unterhalten.
Nach «Violette Nozière», «Une affaire de femmes», «Madame Bovary» und «La cérémonie» spielt Isabelle Huppert als Betty in «Rien ne va plus» zum fünftenmal in einem Chabrol-Film. Auf die Feststellung, dass dies im Vergleich zu den vorherigen ihre unverbindlichste Rolle geworden sei, entgegnet Chabrol, «Rien ne va plus» sei eben kein dramatischer Film. Isabelle Hupperts Arbeit habe gerade darin bestanden, eine gewisse Leichtigkeit zu finden. Wie er dies schon an anderer Stelle gesagt habe, betrachte er diesen Film als eine Art Seifenblase. «Ich hatte einfach Lust, einmal herauszufinden, ob es möglich ist, einen fröhlichen Film zu machen, ohne dabei vulgär oder verlogen zu werden.»
Den Hinweis auf die im Film unklar bleibende Beziehung zwischen Betty und dem viel älteren, von Michel Serrault gespielten Gentleman-Gauner Victor quittiert Chabrol mit dem Geständnis, hier seien verschiedene autobiographische Elemente zusammengeflossen: «Die Beziehung zwischen Victor und Betty gleicht denjenigen, die ich einerseits zu meiner Frau und anderseits zu meiner Tochter habe. Im Film habe ich diese beiden Beziehungen miteinander vermischt. Was zählt ist nicht der soziale Status dieses Verhältnisses, sondern dessen Intensität.» Dieser Hinweis ist insofern besonders witzig, als Chabrols Tochter Cécile bei den Dreharbeiten zu «Rien ne va plus» als Regieassistentin tätig war, während seine (dritte) Frau Aurore das Script betreute. Zieht man noch in Betracht, dass Chabrols Sohn Matthieu (wie bereits in neun andern Filmen seines Vaters) die Musik schrieb und sein anderer Sohn Thomas in einer Nebenrolle auftaucht, so kann man bei der Produktion dieses Films (einmal mehr) getrost von einem Familienunternehmen sprechen.
1992 hat Chabrol nach einem Roman von Simenon einen Film mit dem Titel «Betty» gedreht. Wie kommt es, dass dieser Name nun in «Rien ne va plus» wieder auftaucht? «Das ist kein Zufall», betont der Regisseur. «Es geht um einen andern Lebensentwurf für die gleiche Art von Frau. Die Betty von Isabelle Huppert und jene andere, die von Marie Trintignant gespielt wurde, könnten dieselbe Person sein.» Für ihn gehe die Verwandtschaft so weit, fügt er bei, dass er die beiden Filme mit einem Chanson des gleichen Komponisten (Michel Jonasz) ausklingen lasse. Namen seien für ihn nie etwas Zufälliges gewesen. So heisse die männliche Hauptfigur von «Rien ne va plus» deshalb Victor (von «victoire»), weil sie die Situationen stets überblicke und im Griff habe. - Wie fühlt man sich, wenn man vierzig Jahre französischer Filmgeschichte nicht nur mitverfolgt, sondern auch mitgeprägt hat? Wie beurteilt der Altmeister das junge französische Kino von heute? «Die Entwicklung der andern ist mir bewusster als meine eigene», sagt Chabrol. Er schätze die Arbeiten seiner jungen Kollegen, auch wenn er sie gelegentlich etwas zu intellektuell finde. «Aber das wird mit der Zeit vorübergehen. Ich glaube, es ist eine Art von Selbstschutz», meint er begütigend. Zur Stellung seines 50. Films im Rahmen seines Gesamtwerks erklärt er: «Ich glaube nicht an Meisterwerke, ich glaube nicht an Filme, die besser sind als die andern. Ich glaube an eine Art von Gesamtheit meiner Arbeiten.» Wohl habe er Vorlieben für diesen oder jenen Film, doch diese würden sich ändern. Was für ihn zähle, sei die gute Arbeit. Wenn das Resultat einmal schlecht herauskomme, verteidige er es trotzdem - als eine Art Huldigung ans schlechte Kino: «Ich versuche, wenigstens den bestmöglichen schlechten Film zu machen», sagt er maliziös.
Das Thema des Spielens durchzieht seine Filme in mannigfaltiger Weise. In «Rien ne va plus» lernt man die Hauptfiguren am Spieltisch kennen. Das Leben als ein Spiel zu betrachten, sei tatsächlich ein zentrales Thema des Films, bestätigt er. In rund zehn andern seiner Filme ist es das Schachspiel, das eine solche Signalwirkung hat. Chabrol, selbst ein leidenschaftlicher Schachspieler, erklärte vor Jahren einmal, Schach sei für ihn eine Metapher für das Leben schlechthin. Bei der Frage, ob er diese Ansicht immer noch vertrete, nachdem der Computer «Deep Blue» Kasparow besiegt habe, ereifert er sich: «Das war kein wirklicher Sieg von ‹Deep Blue›, sondern einer von Kasparows Angst. Das Programm von ‹Deep Blue› wurde von Leuten entwickelt, die schlechter sind als Kasparow. Hätte er keine Angst gehabt, hätte er gewonnen.»
Über seine weiteren Pläne spricht Chabrol nur in Andeutungen. Was er als nächstes vorhabe, sei ein schwieriger Film, keine «Seifenblase» mehr. Und zwischen den Zeilen glaubt man herauszuhören, dass ihm bisher eben doch nicht alle seine Filme gleichermassen am Herzen lagen. «Mit der Zeit hat man keine Zeit mehr, die Sachen zu machen, die man nicht machen will», sagt er dezidiert. «Jetzt drehe ich, was ich wirklich drehen will. Ich habe das Glück, mit Marin Karmitz einen Produzenten zu haben, der hierfür Verständnis hat.»
Was Isabelle Huppert und Michel Serrault als von Alter und Temperament her höchst unterschiedliches Betrügerpaar ausser ihrer Komplizenschaft verbindet, lässt der Film mehr oder weniger im ungewissen. Am ehesten würde man wohl auf eine verflossene Liebschaft tippen, die sich in ein Vater-Tochter-Verhältnis gewandelt hat. Der Coup, mit dem sie an einem Fachkongress in einem Nobelhotel den Film eröffnen, enthält die wesentlichen Elemente ihres Vorgehens: Betty macht unter einem falschen Namen am Spieltisch wie zufällig die Bekanntschaft eines vermögenden Kongressteilnehmers, verabredet sich mit ihm in seinem Hotelzimmer, verabreicht ihm ein Schlafmittel und lässt, wenn dieses seine Wirkung tut, ihren Komplizen Victor ins Zimmer. Die beiden erleichtern das Opfer um einen Teil seiner Barschaft und einige Checks, die sie mit gefälschten Unterschriften versehen.
Entscheidend ist dabei Victors Prinzip, die Beute stets so klein zu halten, dass der Betroffene es nicht der Mühe wert findet, die Polizei zu holen - sofern er den Raub überhaupt bemerkt. Als Betty die Bekanntschaft von Maurice (François Cluzet) macht, signalisiert Victor Eifersucht. In der genussvoll entwickelten Ungewissheit, ob sich Betty nun mit Maurice gegen Victor verbündet oder ob sie den alten Spielregeln folgt, gelingen Chabrol die überzeugendsten Szenen. Ein Geldtransport für die Mafia aus der Schweiz in die Karibik verwickelt die drei schliesslich in einen prekären Überlebenskampf, bei dem einer mit dem Leben bezahlt und die zwei andern gerade noch mit einem blauen Auge davonkommen.
Was in Frankreich und im winterlichen Sils Maria als stilvolle Krimikomödie seinen Anfang nimmt, gewinnt im tropischen Guadeloupe reisserische, mit unschönen Schockelementen durchsetzte Züge. Damit zerfällt der Film in zwei Teile, die nicht zusammenpassen wollen. Der Standardsatz beim Roulette, dass nichts mehr gesetzt werden kann, hat dem Film nicht nur den Titel gegeben, er wird im wörtlichen Sinn auch ungewollt zum Leitbild seiner Schwächen: Nichts geht mehr. Der profunde Hitchcock-Kenner, der in so vielen seiner Filme mit unbestechlichem Röntgenblick die Lebenslügen der französischen Provinzbourgeoisie entlarvte, verheddert sich im unverbindlichen Niemandsland zwischen Komödie und Thriller. Beeindruckend bleiben jedoch das handwerkliche Können, mit dem Chabrol die disparaten Fäden der Geschichte zusammenhält, und die liebevolle Sorgfalt, mit der auch kleinste Details durchdacht sind - etwa die ausgeklügelten Decknamen, die sich Victor und Betty zuzulegen pflegen. (Gerhart Waeger, Neue Zürcher Zeitung, 18/10/1997)
«Rien ne va plus» - Spiel mit hohen Einsätzen
Was Isabelle Huppert und Michel Serrault als von Alter und Temperament her höchst unterschiedliches Betrügerpaar ausser ihrer Komplizenschaft verbindet, lässt der Film mehr oder weniger im ungewissen. Am ehesten würde man wohl auf eine verflossene Liebschaft tippen, die sich in ein Vater-Tochter-Verhältnis gewandelt hat. Der Coup, mit dem sie an einem Fachkongress in einem Nobelhotel den Film eröffnen, enthält die wesentlichen Elemente ihres Vorgehens: Betty macht unter einem falschen Namen am Spieltisch wie zufällig die Bekanntschaft eines vermögenden Kongressteilnehmers, verabredet sich mit ihm in seinem Hotelzimmer, verabreicht ihm ein Schlafmittel und lässt, wenn dieses seine Wirkung tut, ihren Komplizen Victor ins Zimmer. Die beiden erleichtern das Opfer um einen Teil seiner Barschaft und einige Checks, die sie mit gefälschten Unterschriften versehen.
Entscheidend ist dabei Victors Prinzip, die Beute stets so klein zu halten, dass der Betroffene es nicht der Mühe wert findet, die Polizei zu holen - sofern er den Raub überhaupt bemerkt. Als Betty die Bekanntschaft von Maurice (François Cluzet) macht, signalisiert Victor Eifersucht. In der genussvoll entwickelten Ungewissheit, ob sich Betty nun mit Maurice gegen Victor verbündet oder ob sie den alten Spielregeln folgt, gelingen Chabrol die überzeugendsten Szenen. Ein Geldtransport für die Mafia aus der Schweiz in die Karibik verwickelt die drei schliesslich in einen prekären Überlebenskampf, bei dem einer mit dem Leben bezahlt und die zwei andern gerade noch mit einem blauen Auge davonkommen.
Was in Frankreich und im winterlichen Sils Maria als stilvolle Krimikomödie seinen Anfang nimmt, gewinnt im tropischen Guadeloupe reisserische, mit unschönen Schockelementen durchsetzte Züge. Damit zerfällt der Film in zwei Teile, die nicht zusammenpassen wollen. Der Standardsatz beim Roulette, dass nichts mehr gesetzt werden kann, hat dem Film nicht nur den Titel gegeben, er wird im wörtlichen Sinn auch ungewollt zum Leitbild seiner Schwächen: Nichts geht mehr. Der profunde Hitchcock-Kenner, der in so vielen seiner Filme mit unbestechlichem Röntgenblick die Lebenslügen der französischen Provinzbourgeoisie entlarvte, verheddert sich im unverbindlichen Niemandsland zwischen Komödie und Thriller. Beeindruckend bleiben jedoch das handwerkliche Können, mit dem Chabrol die disparaten Fäden der Geschichte zusammenhält, und die liebevolle Sorgfalt, mit der auch kleinste Details durchdacht sind - etwa die ausgeklügelten Decknamen, die sich Victor und Betty zuzulegen pflegen. (Gerhart Waeger, Neue Zürcher Zeitung, 18/10/1997)
Betty und der etwas ältere Victor verdingen sich ihren Lebensunterhalt als bescheidenes GaunerInnenpärchen. Meistens ziehen sie von Kongress zu Kongress, um dort mit den weiblichen Reizen Bettys untreuewillige Ehemänner aufs Hotelzimmer zu locken, mit KO-Tropfen außer Gefecht zu setzen und die Herren um ein paar Scheine (Geld und Schecks) zu erleichtern. Just hat Betty sich allerdings einen Konkurrenten für Victor geangelt, den etwas naiven Maurice. Dessen Vorteil: Geldüberbringer von 5 Millionen Schweizer Franken. Während sich die Kerle um das Geld – und Betty – streiten, sind Maurices zwielichtige Arbeitgeber herzlich wenig von den neuesten Entwicklungen amüsiert...
Ein nicht todzukriegendes Kino-Thema sind die vielfältigen Lebensweisen cleverer TrickbetrügerInnen. Leider ist Das Leben ist ein Spiel weder so originell wie der britische Shooting Fish, noch so dramaturgisch wertvoll wie der russische Vor (Der Dieb), geschweige denn so packend wie der australische Kiss or Kill. Auch wenn Claude Chabrol auf dem San Sebastian International Film Festival unverständlicherweise ein paar Preise abräumen konnte, so ist sein 50. Film wahrlich kein Grund zum Feiern. So verschroben wie Michel Serrault als männliche Hauptfigur Victor, so schrullig ist leider auch die Regie. Die Tricks tragen Bärte, die Charakterisierungen sämtlicher Figuren wirken aufgesetzt und über lange Strecken werden die wahren Geschehnisse durch eher Monologe als Dialoge "enthüllt", wir würden sagen: kaputtgeredet.
Die Geschlechterrollen sind der Hauptdarstellerin Isabelle Huppert unwürdig (in Deutschland zuletzt in Biester): Während Victor die Pläne schmiedet und bis ins Detail die Entscheidungen fällt, setzt Betty die sogenannten "Waffen der Frauen" ein und bedankt sich brav für ihren Anteil. Manchmal gibt Victor ihr auch großzügig ein Taschengeld dazu. Wenn sie später eigene Pläne ausheckt, so ist das im Lichte des Territoriumsstreit zwischen Victor und Maurice zu sehen, die sich die Gunst des schönen Geschlechts erwerben, bzw. erhalten wollen. Betty gibt sich gelegentlich als Sissi aus und wird von Victor oft Betty Boop genannt, womit wir eine schreckliche Mischung aus kitschigen Märchenprinzessinnen und anrüchigen Comicfiguren hätten. Sich selbst schätzt Betty als frivol ein, ein Begriff, der wohl eher der schlüpfrigen Altherren-Phantasie eines Regisseurs entspringt als einer realen Frau.
Wieder einmal besonders hervorhebenswert sei die Verdrängung schwarzer Schauspieler in ihren eigenen Schatten. Kameramann Eduardo Serra legte offensichtlich keinen Wert darauf, mehr als nur einen schwarzen Fleck durchs Bild laufen zu lassen.
Das Leben ist ein Spiel wird auch in Deutschland sein Publikum finden, wer den Humor allerdings nicht absolut teilt, wird den nicht gerade kurzen Film wohl kaum bis zu seinem Ende durchsitzen wollen. (Queer View)
"Subtile Personenregie und überragende Darsteller..." (Der Spiegel)
"Ein selten gewordenes intellektuelles Kinovergnügen." (Zitty)
"...sarkastisch, frech und unbeschwert ... einmal mehr erweist sich Chabrol als Meister der Verwirrung." (Münchner Merkur)
"Chabrols Inszenierungskunst zeigt sich in diesem Film so souverän und elegant wie nur in seinen besten Werken . . ." (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Wo am Ende die Kugel hinfällt, dort liegt nie der Jeton. Mit Roulette ist noch selten jemand reich geworden, mit Verbrechen auch nicht, was aber daran liegt, daß das Zweitere nur Wenige versuchen. Dabei ginge es ganz leicht, wie Betty (Isabelle Huppert) und Victor (Michel Serrault) in Claude Chabrols neuem Film Das Leben ist ein Spiel (Rien ne va plus) demonstrieren. Ein einfältiger Mann, ein paar Schlaftropfen in den Whisky, und dann vor allem: Stehlen mit Maß, eine andere Form der Idiotenbesteuerung gewissermaßen. Nicht die ganze Börse, nur die Hälfte der Scheine. Und die Visa-Card.
Ein seltsames Paar, der distinguierte Herr und die auffällige Dame. Mondäne Orte sind ihre Arbeitsplätze, in Paris leben sie über den Dächern. Ihr Spiel ist abgekartet, zwischen den Coups nimmt sich die Frau auch manchmal frei vom Mann.
Es kommt also, wie es kommen muß: In Sils-Maria taucht sie mit einem Jüngeren auf. Um ihn auszunehmen, wie sie beschwört. Die Intrige wird kompliziert, sie reicht am Ende bis in die Karibik, und wie immer ist es hier auch so, daß am besten lacht, wer zuletzt lacht.
Der „neue Chabrol“ ist ein Spiel mit dem Offensichtlichen. Wenn Victor in einem Restaurant an seinen Tisch geführt wird, möglichst weit weg von der italienischen Baronessa, die ihn schon gesichtet hat und herüberwinkt, dann schwarwenzelt er so demonstrativ hinter dem Oberkellner her, daß der ganze Saal seine Absicht durchschaut.
Der Koffer mit den Millionen geht von Hand zu Hand, nach einem raffinierten Plan, dessen Sinn sich nie erschließt. Aber als es darauf ankommt, läßt Chabrol dem Publikum wenig Zweifel, wie die Sache steht. Wir sind Eingeweihte, Komplizen jeweils der Person, die gerade die Karten in der Hand hält. Das Spiel treibt Chabrol so weit, daß wir selbst den Liftwart belauschen, der in der Talstation über Funk drei „B’suffene“ ankündigt.
Entsprechend ist Rien ne va plus ein amüsanter Film, der sich das Lustige um jeden Preis verordnet hat. Selbst in der zentralen Szene, einer durch eine Tosca-Arie überhöhten Mafia-Abrechnung, herrscht schon physignomisch gesehen kein Zweifel, wer den intelligenteren Zug tätigen wird.
Der Unterschied zwischen Gauner und Ganove liegt weniger in der Wahl der Waffen als in der Wahl der Anzüge. Selbst ein Gentleman würde notfalls mit einer Stricknadel das Geständnis erzwingen, wo das Geld sich befindet. Er versucht nur, das brachiale Manöver nach Möglichkeit zu vermeiden. Serrault muß also seine Intelligenz unterspielen, was er bewerkstelligt, indem er seine Tics übertreibt.
Hartnäckig bleibt nur der Eindruck, daß Chabrol, der zuletzt mit La cérémonie einen hochkonzentrierten Film vorgelegt hat, hier die Zügel schießen läßt: Vor allem den Schauspielern, die sichtlich amüsiert zur Sache gehen, deutlich auf Boulevard-Komödie getrimmt. Die Anhänger der Autorentheorie haben für Filme wie diesen ein schönes Wort: Rien ne va plus ist ein Zwischenwerk. Ein lustiges. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 13/2/1998)
Weitere Kritiken der IMDb, offizielle Site: http://www.infocine.com/novamas (Spanisch)
USA 1998
Regie: James L. Brooks,
Buch: James L. Brooks; Mark Andrus, nach Mark Andrus
Musik: Hans Zimmer,
Kamera: John Bailey,
Schnitt: Richard Marks,
Darsteller: Jack Nicholson (Melvin Udall), Helen Hunt (Carol), Greg Kinnear (Simon Nye), Cuba Gooding jr. (Frank), Shirley Knight (Beverly), Skeet Ulrich (Randy), Jesse James (Spencer), Yeardley Smith, Lupe Ontiveros
Kinostart: 13/2/1998
Als Melvin, ein spitzzüngiger Autor von Liebesromanen, feststellen muß, daß seine Lieblingskellnerin Carol ihren Job in seinem Stammlokal gekündigt hat, ist der ebenso sture wie unhöfliche Neurotiker nur noch von einem einzigen Gedanken besessen: er will sie finden und zurückholen, um seine gewohnte Routine nicht aufgeben zu müssen. Aber Melvon muß bald einsehen, daß es im Leben Dinge gibt, die er nicht kontrollieren kann. Und dann ist da auch noch ein schwuler Künstler, der allerlei Sorgen hat. Das Schicksal dieser Drei verknüpft sich miteinander aufgrund eines vierten, sehr komplizierten Charakters: Verdell, einem Hund. (Verleihprogramm)
Wer Hunde haßt... Jack Nicholson zeigt in "Besser geht's nicht" als hinreißender Bösewicht, daß er zumindest in diesem Fach der Größte ist.
Jack Nicholson ist der perfekte Sunny Boy. Als betuchter Superstar kann er sich jeden Spaß erlauben und dabei sein Gesicht wahren: So ist er sich einerseits zu gut dafür, gegen Millionen-Gagen in dämlichen Werbeclips aufzutreten, läßt sich aber andererseits immer wieder herab, die Reporterscharen mit tollen Sprüchen und ausgefallenen Aktionen zu beglücken. Vor allem aber kann er nun unter seinem ansehnlichen (als Charakterdarsteller verdienstvoll erworbenen) Lorbeerkranz Grimassen schneiden, wie es ihm beliebt.
Besser geht's nicht lebt im wesentlichen von Nicholsons Grimassen; von seiner Fähigkeit, den Exzeß anzusteuern und ihn zugleich als Understatement zu tarnen. In der Rolle des paranoiden Schriftstellers Melvin Udall spielt er den von ihm selbst kreierten Typus des dämonischen Schlitzohrs nun virtuos an die Wand.
Udall gehört zu jener Sorte von Menschen, deren ziellos gegen alles und jeden gerichtete Bosheit einen in ohnmächtiges Erstaunen versetzt. Alles, was sich außerhalb der penibel aufgeräumten Wohnung dieses Misanthropen befindet, ist für ihn Feindesland. Dementsprechend behandelt werden von Udall auch die "außerhalb" lebenden Wesen: einen Hund, der ihm in die Quere kommt, wirft er kurzerhand in den Müllschlucker; den Menschen auf der Straße weicht er lächerlich tänzelnd aus. Ganz besonders aber eignen sich Schwule, Schwarze oder vermeintliche Juden als Zielscheiben seiner Verbalschikanen. Einen einzigen Menschen akzeptiert er in seiner Nähe: Carol (Helen Hunt), die Kellnerin des Coffee Shops, in dem er (mit mitgebrachtem Plastikbesteck) zu Mittag ißt und die seine Gift-Tiraden recht kühl wegzustecken gelernt hat.
Regisseur James L. Brooks hat das Drehbuch mitverfaßt, dessen treffsichere Dialoge eine Maßanfertigung für Nicholsons unerschöpfliches Mimik-Repertoire zu sein scheinen. Zu den Vorzügen dieses Drehbuchs gehört es im übrigen, daß es die Bösartigkeit der Hauptfigur weniger als ethisch bedingt, sondern als subtil skizziertes Krankheitsbild ausweist: Udall ist ein in seiner Vereinsamung zu intellektuellen Höchstleistungen gewachsener Mensch, dessen soziales Verhalten parallel dazu regrediert ist. Daher verkneifen es sich die Autoren auch, diese Figur mit der Brechstange der (aus dem Jenseits der Erzählung zugetragenen) Moral zum Guten zu bekehren.
Die einzige Kommunikationsform, die auf Udall zunächst Eindruck zu machen scheint, sind Drohungen. Als Carol ihrem Gast (nachdem er einen üblen Witz über ihren kranken Sohn gemacht hat) droht, ihn nie mehr zu bedienen, wird ihm doch etwas mulmig. Also läßt er seine Beziehungen spielen und eine stattliche Geldsumme springen, damit der Junge der mittellosen Frau zu kompetenter ärztlicher Betreuung kommt. Und noch eine andere Drohung zeigt Wirkung: Ausgerechnet vom schwarzen Freund (Cuba Gooding jr.) seines schwulen Nachbarn Simon (Greg Kinnear) wird Udall unter Androhung körperlicher Gewalt aufgetragen, das Hündchen des ins Krankenhaus eingelieferten Simon in Obhut zu nehmen.
Daß es so letztlich ein Hund und ein Kind sind, die Udalls Bekehrung einleiten, wirkt in diesem Film weniger wie eine Konzession an den Hollywood-Usus, Kinder- und Tierliebe als Meßlatte für humane Gesinnung zu benutzen. Vielmehr erlaubt sich Besser geht's nicht damit fast schon eine augenzwinkernde Replik auf H. G. Wells' sarkastische Feststellung, daß jemand, der Hunde und Kinder haßt, kein wirklich schlechter Mensch sein könne.
Schließlich wird die in ihrer Boshaftigkeit ebenso wie in ihrem langsam aufblühenden Charme unwiderstehliche Figur Udalls auch nicht zum Kinder- und Hundeliebhaber: Sie hat lediglich lernen müssen, daß in ihrer Gesellschaft kein Weg an Hunden und Kindern vorbeiführt, wenn man sich ins Herz von jemandem schleichen will. Die heilsame Zuneigung, die Udall am Ende von einigen seiner "Opfer" entgegengebracht wird, hat er sich jedenfalls nicht durch plötzliche Bekehrung, sondern durch sein stilvolles Bös-Sein (redlich) verdient. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 17/2/1998)
Siehe IMDb
Besucher seit 11/1997: