Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 6. März 1998 neu angelaufene Kinofilme


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REPRISE (REPRISE)

F 1996. 192 Min
Regie: Hervé Le Roux, Kamera: Dominique Perrier, Schnitt: Anne Séguin, Nadine Tarbouriech, Darsteller: Pierre Bonneau, Jacques Willemont
Kinostart: 6/3/1998

Von einem Stück Agitationsfilm aus dem Jahr 1968 ließ sich der französische Filmemacher Hervé le Roux zu einem der bedeutendsten Dokumentarepen der letzten Jahre inspirieren: Aufgebrachte Arbeiter diskutieren vor den Toren einer Batteriefabrik, während im Hintergrund die Streikbrecher in die Fabrik schlüpfen. „Ich gehe da nicht mehr hinein“, ruft eine junge Frau leidenschaftlich. Die Suche nach dieser Frau 30 Jahre später erzählt der Film „Reprise“, zugleich die sozialen Veränderungen, die wirtschaftlichen Transformationen, den Untergang einer Arbeiterkultur. (Bert Rebhandl, DER STANDARD)

Hervé Le Roux, französischer Filmemacher, recherchiert Geschichte - in einem verblüffenden, überragenden Dokumentarfilm, der ab heute im Stadtkino läuft.
Geschichte ereignet sich selten dort, wo man glaubt, ihrer ansichtig zu werden. So vermitteln Filmbilder oder Fotos nicht die Geschichte, die sie scheinbar "abbilden"; vielmehr ist das Abgebildete selbst erst das Medium, das Geschichte vorstellbar - im besten Fall: vorstellig - werden läßt. Nur selten macht dies ein Film so deutlich wie Hervé Le Roux' Reprise. Und zwar nicht als formulierte "Erkenntnis", sondern in einer vom Zufall geleiteten Erzählbewegung.
Ein Foto steht am Beginn dieser Geschichte: das Bild einer weinenden jungen Frau, das Le Roux zufällig in einer Kinozeitschrift entdeckt hat. Es stammt aus einem kurzen Film, den ein Student der Pariser Filmhochschule während der Arbeiterunruhen im Jahr 1968 gedreht hat. Le Roux läßt Reprise mit diesem Bild, mit der alten Filmaufnahme beginnen. Dem Zufall der Entdeckung folgt eine eigenartige Faszination für die Frau, eine aufgebrachte Arbeiterin, die den Beschwichtigungsversuchen der umstehenden Männer trotzt und sich weigert, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Le Roux wollte diese Frau finden, ihre Geschichte erfahren, sie weitererzählen.
Schließlich aber führt ihn die Suche nach der Geschichte zum Bild immer weiter: zu anderen Geschichten, zu anderen Blicken auf das (in der Filmaufnahme von einst festgehaltene) Fragment dieser einen Geschichte. Zwei von Le Roux ausfindig gemachte Männer, die an der Aufnahme im Juni 1968 für Ton und Kamera zuständig waren, informieren zunächst über den Rahmen des abgebildeten Geschehens: Mit nur einer Filmrolle ausgerüstet, filmten sie eine Streikversammlung vor dem Werkgebäude des Batterienherstellers "Wonder". Die Frau im Bild gehörte zu jener "Wonder"-Minderheit, die sich (aufgrund der miserablen Arbeitsbedingungen im Werk) lautstark, aber chancenlos gegen den Abbruch des Streiks wehrten.
Le Roux' nächster Schritt ist die Kontaktaufnahme zu Personen, die auf dem '68 gedrehten Film auch zu sehen sind. Von ihnen erhofft er sich Informationen über den Verbleib der Frau. Die Auskünfte sind zwar meist mager, dafür aber werden ihm ausführliche Erzählungen über die Arbeit bei "Wonder" geliefert, über Vorfälle und Hintergründe des 68er-Streiks, über Leute, die in der Fabrik gearbeitet haben.
Auf diese Weise weitet sich der Personenkreis, den Le Roux für seine Recherche konsultiert - und es ist längst klar, daß Reprise (ohne das Recherche-Ziel aus den Augen zu verlieren) zum Film dieser Leute geworden ist: zu einem Sprachrohr von Menschen, die bei "Wonder" in miserablen Verhältnissen gearbeitet haben - und sich zum Teil doch wieder mit Nostalgie an die Zeit damals erinnern. Sie alle sehen sich (auf einem kleinen Monitor) die "Wonder"-Dokumentation an - und mit ihnen sieht auch der Zuseher von Reprise immer wieder Ausschnitte desselben Films. Die Paarung der Filmsplitter mit den Blicken, Kommentaren und Erzählungen der inzwischen gealterten Darsteller scheint diese Bilder aber ständig zu verändern.
In Wahrheit sind es die gleichen Bilder, die unterschiedliche Geschichten zu "erzählen" beginnen. Daß diese Geschichten sich unentwegt eigene Wege bahnen (etwa wenn einer der Hauptakteure des "Wonder"-Films heute mehr über seine Algerien-Erlebnisse als über den Streik von damals erzählt) und zu Personen führt, die mit der Frau auf dem Bild nichts mehr zu tun haben, stört dabei keineswegs. Vielmehr macht Reprise deutlich, daß man der Vergangenheit über Umwege schneller nahekommt als über Abkürzungen. Dem entspricht auch Le Roux' Entscheidung, die Erzählungen der Personen nicht ineinander zu schneiden (und damit in einem scheinbar objektivierenden Wahrheitsfindungs-Verfahren gegeneinander zu stellen), sondern sie gewissermaßen ausreden zu lassen.
Es sind lange, eindringliche Reden, die Le Roux filmt, und man könnte ihnen noch viel länger zuhören. Drei Stunden sind für die Entfaltung des in einem einzigen Bild steckenden Geschichte(n)-Potentials eben eine bescheidene Dauer. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 10/3/1998)

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DAS SÜSSE JENSEITS (THE SWEET HEREAFTER)

CAN 1997. 110 Min
Regie: Atom Egoyan, Buch: Atom Egoyan nach dem gleichnamigen Roman von Russell Banks, Musik: Mychael Danna, Kamera: Paul Sarossy, Schnitt: Susan Shipton, Darsteller: Ian Holm (Mitchell Stephens), Sarah Polley (Nicole Burnell), Bruce Greenwood (Billy Ansell), Tom McCamus (Sam Burnell), Arisnee Khanjian (Wanda Otto), Alberta Watson (Risa Walker), Gabrielle Rose (Dolores Driscoll), Maury Chaykin (Wendell Walker)
Kinostart: 6/3/1998

Großer Preis der Jury Cannes 1997, Preis der internationalen Filmkritik, Preis der ökumenischen Jury, Nominiert für 2 Oscars (beste Regie, bestes adaptiertes Drehbuch)

Ein Schulbus verunfallt, fast alle Kinder eines Provinzortes in British Columbia sind tot. Ein Anwalt will die Eltern zu einer Klage überreden. Einige hoffen, die Tragödie dadurch rationalisieren zu können, andere sind dagegen. Formal bestechend und auf verschiedenen Zeitebenen spielend, thematisiert der Film die Verletzlichkeit einer Gemeinschaft, erzählt auf sensible Art vom Umgang mit persönlichen Katastrophen und gewinnt durch eine Mythologisierung des Alltags Gleichnischarakter. (Zoom, 1/98)

Einem Ort widerfährt ein tragisches Unglück. Der Schulbus bricht bei einem Unfall ins Eis ein - bis auf ein junges Mädchen sterben alle Kinder des Ortes. Der Jurist Mitchell Stephens (Ian Holm) versucht den betroffenen Familien zu helfen. Doch diese sind nicht an Schadenersatz interessiert, vielmehr scheint es so, als ob sie die furchtbare Geschichte lieber ungeschehen verschweigen wollen. Erst langsam gelingt es ihm, zwei Familien auf seine Seite zu bekommen.
In geschickten Zeitsprüngen gelingt es Regisseur und Drehbuchautor Atom Egoyan die Verbindungen zwischen den Überlebenden und den Toten aufzudecken. In der zentralen Figur des Anwaltes, der zuvor ebenfalls seine Tochter verloren hatte, gelingt es Ian Holm glaubwürdig, die komplexen Gefühle in dieser Situation darzustellen. (film.de)

Ein kleiner Ort in British Columbia verfällt in Agonie, als 14 Kinder bei einem Busunglück ihr Leben verlieren. Ein aus der Stadt angereister Anwalt versucht, das Leid der Eltern durch einen Musterprozeß in bare Münze zu verwandeln. Durch unermüdliche Überzeugungsarbeit gelingt es im, die meisten Betroffenen auf seine Seite zu bringen, doch bei der Vorbereitung des Prozesses scheitert er an der Lüge eines überlebenden Mädchens. Ein Film über Verlust und Leid, der als Lehrbuch in Sachen überlebenswichtiger Trauerarbeit verstanden werden kann. Trotz des bewegenden Themas hält die sehr artifizielle Machart den Zuschauer auf Distanz und ermöglicht ihm so eine weitgehend emotionsfreie Auseinandersetzung mit existentiellen Sinnfragen.
Das Leben wartet ebenso wie die Kunst mit Zufällen auf, die sich jedem Erklärungsversuch entziehen. So kommt es, daß nahezu zeitgleich zwei Filme nach Romanen des amerikanischen Ausnahmeautors Russell Banks, der in Deutschland kaum verlegt wird, in die Kinos kommen. Beide handeln von Menschen in größter Not, beschreiben existentielle Ausnahmesituationen, und obwohl beiden die primäre erzählerische Exposition gleich ist - eine vereiste Schneelandschaft als Metapher für eine vereiste Seelenlandschaft - , sind sie doch grundverschieden. Während Paul Schraders "Der Gejagte" (fd 32 978) von den Seelenqualen eines Dorfpolizisten handelt, der unmerklich in die Fußstapfen seines gewalttätigen Vaters tritt und dessen "Erbe" antritt, erzählt "Das süße Jenseits" die Geschichte von einfachen Menschen, denen größtes Unglück widerfahren ist und die lernen müssen, mit dieser (Lebens-)Hypothek zu leben. Beides also sind Filme über allzu großes Leid.
Ein kleiner Ort in British Columbia. Agonie hat sich über dem Flecken ausgebreitet. Der Ort ist praktisch kinderlos, seit der Schulbus auf schneeglatter Straße von der Fahrbahn abkam und 14 kleine Menschen ihr Leben verloren. Diese Situation will Anwalt Mitchell Stephens nutzen, um einen Musterprozeß zu führen, den verwaisten Eltern einen scheinbar berechtigten Schadensersatz einzuklagen und selbst kräftig zu verdienen. Er reist aus der fernen Stadt an und versucht, die Eltern auf seine Seite zu bringen und auf seine Prozeßbedingungen einzuschwören. Zwar stößt sein kommerzielles Interesse zunächst auf Wiederstand, doch nach und nach gelingt es ihm, die glaubwürdigsten Eltern auf seine Seite zu ziehen. Wie wenig den "Menschenfreund" Stephens die Trauer und die Nöte seiner Klienten scheren, wird spätestens immer dann deutlich, wenn seine Tochter Zoe (Leben) aus der fernen Stadt anruft. Sie ist dem Vater entfremdet, drogenabhängig und - wie sich später herausstellen wird - AIDS-infiziert. Seine Hilflosigkeit hat den Anwalt zum Zyniker gemacht, der ihm Materiellen sein Heil sucht. Und irgendwie scheint sein Spiel aufzugehen. Die meisten Eltern der verunglückten Kinder schwenken in sein Lager über, nur Billy, der seine Frau vor zwei Jahren und seine Zwillinge vor wenigen Wochen verlor, leistet Widerstand. Er will zumindest den Geist des Dorfes erhalten und mit ihm die kollektive Erinnerung an die Kinder, die er durch einen Prozeß bedroht sieht, der unweigerlich zur Schlammschlacht ausarten muß. Doch als Stephens die Eltern von Nicole hinter sich bringt - sie überlebte als eine der wenigen den Unfall querschnittsgelähmt - , scheint sein Plan aufzugehen. Zwietracht ist längst gesät, die Trauer ist geschäftlichem Kalkül gewichen. Alles scheint bestens, eine Anhörung der Zeugen soll den Prozeß vorbereiten. Alle sagen in Stephens' Sinn aus, nur Nicole schießt als Hauptzeugin quer: Durch eine bewußte Falschaussage beschuldigt sie die Busfahrerin, mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren zu sein. Der geplante Musterprozeß gegen die Herstellerfirma zerplatzt wie eine Seifenblase. Später trifft Stephens bei einem Inlandflug zufällig eine frühere Freundin Zoes. Sie fragt nach seiner Tochter, neugierig und beharrlich, und endlich kann er sich, nach vielen Notlügen und Abwiegelungsversuchen, seiner Tochter Zoe - seinem Leben - stellen.
"Das süße Jenseits" ist ein ungeheuer trauriger Film über trauernde Menschen, denen der Grund ihrer Trauer verlustig zu gehen droht. Während Paul Schrader sein durchaus vergleichbares Thema sehr emotional und emotionalisierend angelegt hat, legt Egoyen einen äußerst artifiziellen Film vor, der auf Grund seiner Machart und seines Themas in den Bann schlägt, den Zuschauer bei aller Emotionalität aber bewußt außen vor halten will. Dadurch verstellen nie Tränen den Blick auf den sachlichen Kern der Geschichte, sondern man wohnt einem Film bei, der sich als Lehrbuch in Sachen Trauerarbeit verstehen läßt. Vielleicht ist es sogar gerade diese Distanziertheit, die den Film so traurig macht und die Nähe und Anteilnahme einfordert? Wann hat man im Kino schon einmal Gelegenheit, an wirklichen, die Existenz bedrohenden Problemen teilzunehmen? Wann wird wirkliches Leben gezeigt, das zum Stillstand gekommen ist, nur noch um die eigentliche Sinnfrage kreist und zu dem Schluß kommen muß, daß Leben so eigenlich keinen Sinn mehr hat, trotzdem aber gelebt werden muß? Egoyan macht es dem Zuschauer nicht leicht. Es bedarf schon einer regen geistigen Mitarbeit, um der ebenso komplexen wie komplizirierten Erzählstruktur auf die Schliche zu kommen. Zunächst scheint die Geschichte linear erzählt, später deuten sich zeitliche und räumliche Sprünge an; viel später kristallisiert sich heraus, daß Egoyan Zeit und Raum geschickt verschachtelt und verwebt, Gleichzeitigkeiten schafft, die von der eigentlichen Fabel nicht vorgegeben sind. Dabei schafft er sich einen erzählerischen (Frei-)Raum, der die Schicksale aller Betroffener zu fokusieren vermag. Reißschwenks in den freien Raum - in den Himmel (!) - verbinden häufig die verschiedenen Ebenen und schaffen mehr als eine filmische Überbrückung, sondern ordnen sich in den spirituellen Gehalt der Geschichte ein, schaffen eine Einheit zwischen den hinterbliebenen Eltern und den Kindern (im Himmel).
Gerahmt und immer wieder unterbrochen ist die Filmerzählung von der Geschichte des Rattenfängers von Hameln, ein Einfall, der in Banks Roman keine Entsprechung findet, sondern zum Film hinzuaddiert wurde. Dieser mittelalterliche Mythos aus den Westfälischen legt gleich zwei Lesarten nahe: Zum einen überhöht sie immer wieder das Verschwinden (den Tod der Kinder) ins Reich der erbaulichen Volksmärchen, zum andern bringt sie die Figur des Rattenfängers ins Spiel, der die Verführbarkeit der Menschen thematisiert und eine latente Geldgier subtil bloßlegt. Vor dem Hintergrund dieses Märchens erhält auch die Figur der gelähmten Nicole besonderes Gewicht: sie ist das lahme Kind aus Hameln, das den anderen Kindern nicht folgen konnte und als Chronistin der Geschichte dient, im Märchen wie im Film. Durch seine subtile Erzählweise und durch eine Vorlage, die die eigentlichen Wesensmerkmale des Menschseins unter dem Vorzeichen von Trauer und Verlust offenlegen will, ist Egoyan ein höchst intensiver Film gelungen, der in aller Ruhe gesehen und gelesen werden will. Bei aller scheinbaren Entrückheit erzählt er dabei letztlich die Geschichten ganz einfacher Menschen, die lernen müssen, sich mit dem Verlust geliebter Menschen abzufinden, um trotz des lebenslangen Kummers im Herzen im eigenen (Weiter-)Leben einzurichten und ihm eine sinnvolle Ausrichtung zu geben. Das liebevolle Andenken ist wertvoller als das scheinbar lukrative Geschäft. Da ist eine einfache Botschaft, die aber anscheinend immer mehr in Vergessenheit gerät. (Hans Messias, film-dienst)

Atom Egoyans bedrückendes "The sweet Hereafter" schildert eindringlich die Psychostimmung eines Dorfes, dem ein Schulbus-Crash fast alle seine Kinder raubte. Privater Hintergrund dieser außergewöhnlichen Geschichte: Atom Egoyan teilt seit drei Jahren Elternfreud und -leid mit seiner persönlichen Hauptdarstellerin Arsinée Khanjian.
Gewinner vom "Großen Preis der Jury" und heimlicher Sieger in Cannes '97 wurde "The Sweet Hereafter". Der Kanadier Atom Egoyan schildert darin eindringlich die Psychostimmung eines Dorfes, dem ein Schulbus-Crash fast alle seine Kinder raubte. "The Sweet Hereafter" erhielt auch den Preis der Internationalen Filmkritik und den der ökumenischen Jury. (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)

Auf der Suche nach dem eigenen Urteil: Atom Egoyans „The Sweet Hereafter“. Familie und Gewalt in den Zeiten der Vernachlässigung. Erwachen aus einem Trauma, langsame Aufarbeitung von Schmerz und Schuld: Atom Egoyans meisterhafte Verfilmung von Russell Banks’ Roman „The Sweet Hereafter“
Einsame Vertreter von Recht oder Gerechtigkeit, die bei Investigationen in kleinen Ortschaften ihre ureigensten Ängste und Verletzungen aufarbeiten: Sie haben im angloamerikanischen Erzählkino eine lange Tradition. Egal, ob man Westernhelden herbeizitiert, die im Showdown auch für sich selbst abrechnen, oder, in jüngster Vergangenheit, David Lynchs Agenten Dale Cooper, der in Twin Peaks alttestamentarische Schuld und Naturgewalt freilegte: Vor der Macht des Zufalls sind diese Tragöden in letzter Sekunde machtlos, wenn auch von ihr fasziniert. Die Dämonen oder Verwundungen, die sie freilegen, spiegeln ja den eigenen Zustand wider.
Der Anwalt (Ian Holm), der in The Sweet Hereafter nach einem Busunglück für die Angehörigen von 14 toten Kindern sehr viel Schmerzensgeld aushandeln möchte, ringt vor allem mit einem (Traum-) Bild aus der Vergangenheit: Er und seine Frau im Ehebett, mit jener Tochter, die als Erwachsene mit ihm über ihre Probleme nicht mehr reden kann und will. Während er für die Opfer einer Katastrophe um Kompensation kämpft, strebt doch für ihn und rund um ihn alles in Richtung einer Eigenverantwortung, von der gefällige Begriffe wie „Unschuld“ und „Täterschaft“ abgelenkt haben.
Wie schon in früheren Arbeiten (von Der Schätzer über Calendar bis zu Exotica) verfällt der kanadische Regisseur Atom Egoyan bei der Schilderung dieses Erwachens immer wieder auf rückläufige Erzählbewegungen. Die Rückblenden der Erinnerung sind dabei noch relativ offensichtlich. Wesentlich komplexer und raffinierter ist Egoyans Strategie, die maximale Zerstörungen wieder heil werden läßt – nicht in konservativer Restauration, sondern angereichert um ein Bekenntnis zu Schuld und Gedächtnis.
Ein Beispiel dazu aus Exotica, einem Gegenfilm zu Blue Velvet. Während David Lynch aus kitschigen Vorstadt-Idyllen konsequent in alptraumhafte Gewalt und Sexualität vorstieß, begann Egoyan beim Bild eines Schulmädchens in einer Stripshow, um dieses am Ende vor einem intakten Heim abzusetzen. The Sweet Hereafter, basierend auf einem Roman von Russell Banks, funktioniert ähnlich: Das neue Miteinander, das sich auf dem Weg aus dem Trauma entwickelt, entsteht über das Eingestehen von Inzest und anderen Abgründen als Gegenbewegung zum Absturz in Horror und Bizarrerie bei Twin Peaks.
Hier Lynch, der den Spiegel, den uns das Kino vorhält, zerschlägt, bis uns die Splitter um die Ohren fliegen. Dort Egoyan, der diesen zersprungenen Spiegel wieder zu einer Fläche werden läßt, in der sich der Betrachter in den Protagonisten erkennen und daraus aktiv Konsequenzen ziehen kann. An diesen beiden Polen erreicht der Umgang des Gegenwartskinos mit devastierten Lebenswelten überaus brisante Eindringlichkeit.
In einem Aufsatz hat Russell Banks einmal betont, ihm und Atom Egoyan gehe es darum, wie „unsere Kultur ihre Kinder vernachlässigt – das ist ein tiefes, sich langsam vollziehendes, anthropologisches Geschehen, also nichts spektakulär Soziologisches oder Psychologisches, das man den gestrigen Schlagzeilen entnommen hätte.“
Egoyan sucht für diesen Prozeß denn auch eine Zeitlosigkeit, in der zu mittelalterlich anmutender Musik eine in verschneiten Weiten zersprengte Haufensiedlung eher als Kolonie von Vereinzelten anmutet. Billige Solidaritätserklärungen kann der Anwalt hier nicht erreichen: Es geht zuerst um Versöhnung in den eigenen vier Wänden. Und so wird auch The Sweet Hereafter zu einem Film, den man für sich studiert, wie man für sich ein Buch liest, um dann vielleicht nachher neuen Gemeinsinn zu pflegen. (Claus Philipp, DER STANDARD, 6/3/1998)

Irritierend verhalten gibt sich inmitten von so viel lärmender Emphase der kanadische Regisseur Atom Egoyan, wenn er Russell Banks' Roman The Sweet Hereafter adaptiert und dabei eigentlich eine denkbar drastische Katastrophe umkreist. Ein Bus mit Schulkindern verunglückt.
Ein Anwalt (Ian Holm) strengt für die Überlebenden und die Familien der Toten ein Verfahren auf Schadenersatzzahlungen an. In aggressiven Beschwörungen zerstörter Familienidylle verdrängt er aber, daß seine eigene Tochter, an Aids erkrankt, seiner Hilfe bedürfte. Egoyan erzählt diese Geschichte in melancholischen, winterlichen Breitwandaufnahmen und zerhackt die Handlung und ihre verschiedenen Zeitebenen in jene Art von Scherben, wie sie ein großes Unglück hinterläßt. Tonlosem Verharren angesichts von Verlust und Schmerz hält er Beschwörungen eines Bedürfnisses nach Schutz entgegen – nicht in billiger Verklärung, sondern einem Suchen mit wachen Sinnen, mit Interesse an der Welt, das man auch für diesen bisher schönsten Wettbewerbsbeitrag braucht, will man seine Ruhe nicht mit Unentschlossenheit oder gar Mangel an Mut verwechseln.
Nie zuvor war Egoyan (Exotica) so treffsicher im Einsatz der ihm zur Verfügung stehenden Mittel. Es kann nicht ausschließlich darum gehen, immer lauter die Verrücktheiten eines lärmenden Zeitalters und seine etwaigen Alternativen heraufzubeschwören. Es gilt für Egoyan, im Kino wieder einen Ort zu finden, an dem man sich selbst und andere atmen, weiteratmen hört, ein "süßes Danach", in dem es mit ein wenig mehr Erfahrung weitergeht. (Claus Philipp, DER STANDARD, 16/5/1997)

Egoyan schaut die Dinge und Menschen, die er zeigt, so durchdringend an, daß ihre Maske aufreißt und dahinter eine zweite, unheimlichere Wirklich keit zum Vorschein kommt. The sweet hereafter handelt von einer alltäglichen Katastrophe: Ein Schulbus gerät auf eisglatter Straße ins Schleudern und stürzt in einen zugefrorenen See; die meisten Kinder des Ortes kommen dabei ums Leben. Ein Anwalt (Ian Holm) versucht die Eltern der Toten für eine Zivilklage zu gewinnen. Doch die Antworten, die er von den Erwachsenen bekommt, führen zu immer neuen Fragen: Wer hat sein Kind geliebt? Wer hat es vernachlässigt, mißbraucht? Und was treibt den Anwalt selbst dazu, den "Fall" zu übernehmen?
So entsteht wie unabsichtlich das Portrait einer Welt aus den Skizzen ihrer Bewohner. Dabei ist es weniger die Konstruktion einzelner Szenen, welche die fast irreale Helligkeit dieses Films bewirkt, als die Art ihrer Montage: dieses unaufhörliche Ineinander von Vor- und Rückblenden, die sich vermischen, trüben, überlagern, widersprechen, dieser Zusammenfall aller Ereignisse in der Gleichzeitigkeit des Kinos. In seinen früheren Filmen hat Egoyan dieses Erzählprinzip ausprobiert; hier handhabt er es mit routinierter Perfektion. Vielleicht ist Egoyan auch schon eine Spur zu virtuos. Aber das soll ihm erst einmal einer nachmachen. (Andreas Kilb, Die Zeit)

Dies ist der ultimative Alptraum-Film für alle Eltern. Und zugleich eines der schillerndsten Kino-Kunstwerke des Jahres 1997. Atom Egoyans „Das süße Jenseits“ erhielt beim Festival Cannes den Großen Preis der Jury sowie den Preis der Internationalen Filmkritik. Die Szene: Ein Dorf in den kanadischen Rocky Mountains.
Die Menschen gehen ihrem Leben nach - zwischen erblühenden und verblassenden Träumen, zwischen Spießer- und Künstlertum. Eines Tages bricht die Katastrophe los. Der Schulbus hat einen Unfall und versinkt in einem See. 14 Kinder sterben. Der Film erzählt, wie die Eltern versuchen, die Tragödie zu bewältigen.
Fassungslose Trauer steht neben der Halt-Suche nach neuem Lebensmut. Und - es geht ums Geld. Ein Rechtsanwalt kommt ins Dorf, der nach Schuldzuweisungen sucht und millionenschweren Schadenersatz verspricht. Nicole, ein Teenagermädchen, das den Unfall (querschnittgelähmt) überlebte, wird zur Schlüsselfigur.
Sie erkennt in dem Anwalt eine Rattenfänger-Figur und macht ihm - durch eine bewußte Lüge über den Hergang der Katastrophe - einen Strich durch die Rechnung. Denn sie spürt: Das Gift der Frage nach der Schuld hindert die Menschen daran, wieder Frieden zu finden. Der Film ist - von unbekannten Darstellern - grandios gespielt. Er hält Distanz zu seinen Figuren und legt vielleicht gerade deshalb selbst die feinsten Emotionen frei: Eine Tragödie, ein Meisterwerk. (Gunther Baumann, KURIER)

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MILK

A / JAP 1997. 102 Min
Regie: Edgar Honetschläger, Buch: Leza Lowitz, Edgar Honetschläger, Kamera: Miyano Hiroki, Schnitt: Kurt Hennrich, Darsteller: Serge Pinkus (Simon), Kudo Yukika (Rika), Sherri Weiner (Helen)
Kinostart: 6/3/1998

Was passiert, wenn grüner Tee auf Milch trifft ? Finden Sie heraus wie vier junge urbane Nomaden einander in Tokyo finden - einer Stadt in der sich Pop Kultur und Tradition vermischen. Folgen Sie dem zerissenen europäischen Künstler, der, angezogen von einer ungewöhnlichen Japanerin, welche er im New Yorker Chelsea Hotel kennengelernt hat, ein mysteriöses Monument in Tokyo entdeckt. Die privilegierte junge Japanerin findet ihre Freiheit in der Rolle des Aufzugmädchens, wo alle ihr offenstehenden Möglichkeiten auf simples Auf und Ab reduziert sind. Dazu noch eine Radiosprecherin aus New York, die einem japanischen Büroangestellten in die Arme fällt. Charaktere und Kulturen prallen aufeinander und die Pole finden zueinander in diesem atmosphärischen und wirklich originellen Film.
MILK ist der erste Spielfilm des rund um den Globus beheimateten österreichischen Künstlers Edgar Honetschläger. 1989 brach er nach New York auf, um nach drei Jahren Aufenthalt 1992 nach Tokyo zu übersiedeln. Wenn er von seinen Stützpunkten Tokyo, Kalifornien, New York und Wien spricht, dann klingt es nicht so, als würde hier ein ewig Gejagter durch die Welt vagabundieren, sondern als hätte er es schon, bevor alle Zukunftsvisionen vom Phantom der Globalisierung heimgesucht wurden, geschafft, die Phantasie vom globalen Dorf in die Tat umzusetzten und mit "MILK" der totalen Grenzenlosigkeit ein unbeschwert leichtes Manifest zu widmen.
Im vorigen Jahr präsentierte Honetschläger bei der documenta X eine Dokumentation seiner Arbeit "97-(13+1)". Für das Performance Projekt nahm er 14 der 97 Stühle, die von der Wiener Architektengruppe Poor Boys Enterprise als Teil des Projektes 97 Stühle in den Strassen New York's aufgelesen und nach Wien gebracht worden waren, nach Tokyo mit. In Tokyo band er sie in ein Performance ein, mit der er versuchte - wie in vorangegangenen Aktionen - eine Definition für Individualismus im japanischen Kontext zu finden. Die Stuehle der Performance sind auch in MILK zu sehen.

DER REGISSEUR zum FILM:
Der Titel "MILK" steht für die Verwestlichung Japans, denn es waren die Europäer, die die Milchprodukte auf das japanische Archipel brachten. In einer fremden Kultur zu leben und sie zu reflektieren erlaubt niemals den Blick des in die Kultur hineingeborenen, dies zu erwarten wäre naiv und gebunden an die Dichotomie zwischen "den anderen" und "uns". Diese Unterscheidung wollte ich in MILK vermeiden. Wir sind einander alle Fremde und die traditionelle Unterscheidung zwischen "Außen" und "Innen" wird aufgelöst. Japan soll in diesem Film nicht erklärt, sondern erfahrbar gemacht werden. Ich wollte keinen japanischen Film machen, sondern einen den man in beiden Hemisphären verstehen kann. Das Drehbuch entstand in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Schriftstellerin Leza Lowitz, die mehr als fünf Jahre in Tokyo gelebt hat.

Ein verrückter Film, ein verrückter Künstler und ein realistischer Bildbogen über die Auflösung aller Grenzen. Wahrscheinlich sind die Grenzen verrückt. Grenzen zwischen Kulturen und Zeiten, zwischen unseren Vorstellungen von Phantasie und von Realität, zwischen der Realität, die der Film abbildet und der Fiktion, in der Zuschauer leben, die immer noch nach einer Ordnung suchen. Simon lebt die Dekonstruktion und zugleich eine vielleicht realistische Konstruktion im Zwischenraum. Dem Film gelingt es die Übergänge zwischen Simulation und Sinn, Geschichte und Gegenwart in Bildern einzufangen, die zwischen Auflösung, Chaos und Tradition flirren. (HAZEL ROSENSTRAUCH)
„Beethoven war Deutscher“, sagt einmal eine US-Radiosprecherin zu einem österreichischen Performance-Künstler, den es wie sie nach Tokio verschlagen hat: „Aber er hat den Großteil seines Lebens in Wien verbracht.“ In Edgar Honetschlägers Kinodebüt Milk ist solches Geplänkel über nationale Herkünfte und Zugehörigkeiten eine ironische Fußnote: In einem Japan nämlich, das sich für den Linzer Filmemacher „selbst kolonisiert“ und „eine verworrene Identität“ hat, können die Protagonisten bestenfalls versuchen, private Individualität freizulegen.
Honetschläger zitiert dabei das Projekt 97–(13+1), mit dem er im Vorjahr auch zur documenta eingeladen worden war: Für eine Video- und Foto-Performance bat er in Tokio 14 Menschen, nackt auf Stühlen Platz zu nehmen, die eine Architektengruppe in New York gesammelt hatte. Das Resultat war ein äußerst komisches, anrührendes Dokument mühsam entlockter Unmittelbarkeiten.
So, wie diese „Models“ oft erst in eigenwilligen Verrenkungen auf dem fremden Mobiliar vor dem westlichen Kameraauge zu sich selbst fanden, suchen auch die Charaktere in Milk ihr Heil in kleinen verqueren Abweichungen. Der Künstler (Serge Pinkus) füllt zwischen Shogun-Gräbern einen Koffer mit Kieselsteinen, seine japanische Geliebte (Yukika Kudo) findet zunehmend Gefallen am Auf und Ab von Aufzügen, und jene Passanten, die in Tokio Wittgenstein zitieren, legen auch sehr schnell die Masken der Verbindlichkeit ab.
Milk ist, was die Wahl der Bildmotive und der Farben betrifft, außerordentlich sorgfältig gestaltet. Von hoher Suggestivkraft ist etwa jene Anfangs-Einstellung, in der „europäische“ Milch die rote Sonne des traditionellen Nippon langsam überdeckt.
Gleichzeitig ist auch der Schritt hinaus in andere Lebens- und Gedankenräume, den Honetschläger hier wagt, im österreichischen Kino eher selten. All der Mut zu Ausgesetztheit und der Wille zu vollendeter Form täuscht aber nicht darüber hinweg, daß Milk letztlich nur ein Environment bleibt, in dem die Figuren – anders als in Honetschlägers documenta-Arbeit – nicht Eigenschaften, sondern launig überdrehte Eigenheiten präsentieren müssen.
Der Künstler inszeniert sie etwas geschmäcklerisch, wenn unter anderem ein österreichisches Einkaufssackerl in einer Tokioter U-Bahn plastischer wird als der unterforderte Darsteller dahinter. Milk ist mehr Arrangement von Blickfängen und Weltanschauungen als ein Film, der das Leben, das hinter diesen Konzepten geführt wird, faßbar macht. (Claus Philipp, DER STANDARD, 5/3/1998)

Was macht ein Österreicher in New York? Er sammelt Stühle. Was macht eine Amerikanerin in Tokyo? Sie wäscht sich in einer Badeanstalt. Was sonst noch in Edgar Honetschlägers satirischer Filmgroteske getan wird, außer Japaner in Aufzügen und Konkubinen in Grabmälern vorzuführen? Vor allem angenehm krampflos mit der Vielfältigkeit von Kulturen und Traditionen umgegangen.Und wir lernen: Je fremder man sich überall fühlt, desto zuhauser ist man dort. (KURIER)

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PARANORMAL

A 1997. 50 Min
Regie: Gerda Lampalzer, Manfred Oppermann, Buch: Gerda Lampalzer, Manfred Oppermann, Kamera: Manfred Neuwirth, Manfred Oppermann, Darsteller: Christian Reiterer, Willibald Holzhuber, Max Kvacsik, Dr. Dr. Pater Andreas Resch, Bernhard Wälti, Ingrid Haufe, Astrid Lampalzer, Hermann Lampalzer, Andreas Löschner Gornau, Elisabeth Schöfer, Gerhard Walcher
Kinostart: 6/3/1998

In paranormalen Phänomenen manifestiert sich ein unaufgeklärter Rest in der faktischen Wirklichkeit, eine andere Dimension, die nur durch "Medien" (menschlicher oder technischer Natur) zugänglich ist. Der Film PARANORMAL gestaltet eine Recherche im Milieu der Grenzwissenschaften als Parallelaktion. Die Filmemacher suchen Experten und Amateure des Übersinnlichen auf und lassen sich die Methoden, mit dem "kosmischen Informationsfeld" in Kontakt zu treten, erläutern. Die dazu notwendigen Apparaturen bilden einen wesentlichen Bestandteil der Erzählung. Daneben unternehmen Lampalzer/Oppermann auch Selbstversuche mit verschiedensten filmischen Mitteln (von der Einzelbildfotografie bis zur manipulierten Super-8-Kamera), in denen sich das Scheitern dieser Kontaktaufnahme zum Teil ironisch, zum Teil lapidar zeigt. Das Ende bleibt offen: Unbelichtetes Fotomaterial hängt in einem Baum und wird zu einem vieldeutigen Zeichen. (Bert Rebhandl)

Science-Fiction-Settings sind stets ein bestimmter Rahmen, innerhalb dessen die jeweiligen Ereignisse stattfinden können. Die spezifischen Parameter dieser Szenarios setzen naturgemäß Abweichungen vom Bekannten, "besondere" Eigenschaften, voraus: Gerne werden Zeit und Raum, Energie und Materie als überwunden abgehakt. Voraussetzung zum Einsteigen, Mitfahren und Dabeisein in dieser Achterbahn fiktiver Daseinsorganisation ist nicht, diese veränderten Paradigmen zu glauben, sondern sie zu akzeptieren. Wer sich nicht darauf einlassen möchte, daß Scotties einen Kollegen von der Enterprise durch den Raum beamen kann, wird an StarTrek keine Freude finden.

Bei der Beschäftigung mit paranormalen Phänomenen verhält es sich ähnlich: Zu sagen, daß man nicht daran glaubt, mag möglicherweise in den meisten Fällen der Wahrheit entsprechen, aber es führt zu nichts weiter als dem schnellen Ende einer wundersamen Bekanntschaft. Bleiben noch zwei weitere Möglichkeiten: Man kann von einer distanzierten Beobachterperspektive die Schrulligkeit dieser gar nicht so alltäglichen Geschichten und ihrer Protagonisten dokumentieren - was schnell auf billigen Voyeurismus hinausläuft. Oder man tut es wie Lampalzer/Oppermann, die mit ihrer Videoproduktion PARANORMAL eine solche hierarchische Anordnung dadurch unterlaufen haben, indem sie selbst Tonbandstimmenforscher und Paranormalisten zu werden versuchten. (Markus Wailand)

Was treibt nun FilmemacherInnen dazu, dieses spröde Thema anzugehen. Und warum dieser Hang zum Experiment, zum Verlassen des Pfades des seriösen Dokumentarfilms, warum diese Vorliebe für den Platz zwischen den Stühlen. Es geht bei unserem Film ausschließlich um die Faszination am Unglaublichen und Komischen und was uns dazu einfällt. In unserer Reinszenierung des Dokumentarischen (gestellte Versuche) werden nicht nur Methoden und Techniken des Dokumentarfilms (könnten Sie das bitte noch mal für unsere Kamera wiederholen) ironisiert, sondern zugleich unsere Vorstellung davon, wie wir paranormale Versuche gerne sehen würden, präsentiert. Nicht, weil wir es nicht geschafft haben sie zu finden, sondern weil es sie so nicht gibt bzw. nur mit uns gibt. Hier werden spezifische filmästhetische Vorstellungen, die schließlich die Inspiration für das gesamte Projekt waren, in den Film eingefügt. (Gerda Lampalzer/Manfred Oppermann)

Die Geister, die man hier rief... sind nicht erschienen. Das wäre, kurz gesagt, der Inhalt dieser Persiflage auf diverse Esoterikdokus, die man sattsam und zur Genüge kennt. Wer dennoch wissen will, wie er am schnellsten Schwiegermutters Mitgiftbesteck verbiegt, Geister in sein TV-Gerät verbannt oder immer mal hören wollte, wie es ist, wenn Schweizer lachen, der sollte "Paranormal" nicht versäumen! (Kurier)

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DENN ZUM KÜSSEN SIND SIE DA (KISS THE GIRLS)

USA 1997
Regie: Gary Fleder, Buch: David Klass. nach James Patterson, Musik: Mark Isham, Kamera: Aaron Schneider, Schnitt: Harvey Rosenstock, William Steinkamp, Darsteller: Morgan Freeman (Alex Cross), Ashley Judd (Kate McTiernan), Cary Elwes (Nick Ruskin), Tony Goldwyn (Will Rudolph), Jay O. Sanders (Kyle Craig), Bill Nunn (Sampson), Brian Cox (Chief Hatfield), Alex McArthur (Sikes), Richard T. Jones (Seth Samuel), Jeremy Piven (Henry Castillo)
Kinostart: 6/3/1998

Morgan Freeman ist in Washington Polizeipsychologe und Kriminalkommissar zugleich, und als in den Südstaaten seine Nichte zusammen mit anderen jungen Frauen von einem Lustmörder entführt wird, macht er sich auf die Socken, um die in einem unterirdischen Versteck gefangengehaltenen Mädchen zu befreien und dem aus der örtlichen Polizeitruppe stammenden Wüstling den Garaus zu machen. Abgesehen von manchen Unwahrscheinlichkeiten, die sich das Kino aber immer leisten kann, weil es eben Kino ist und nicht Realität, sind Handlung und Montage gut aufbereitet, spannend erzählt und routiniert inszeniert. (...) (Thomas Engel, Der Gildendienst, Jan. 98)

Alex Cross ist abgebrüht. Ein Cop und Psychologe, den das Leben nicht mehr überraschen kann. Dachte er. Dann verschwindet seine Nichte spurlos. Er beginnt eine Recherche, die ihn an die Abgründe menschlicher Existenz und Zivilisation führt. Und plötzlich weiß Cross wieder, was Todesangst, Wut und Verzweiflung sind. (Verleihprogramm)

Durham, eine kleine Stadt in North Carolina: Hier werden in kurzem Zeitraum sieben Frauen entführt. Zwei werden tot aufgefunden, ihr Mörder hinterließ eine Nachricht: Casanova. Der Polizeipsychologe und Autor Alex Cross (Morgan Freeman) nimmt sich den Fall vor, da auch seine Nichte Naomi (Gina Ravera) verschwunden ist. Er bekommt Unterstützung von der jungen Ärztin Kate McTiernan (Ashley Judd), die ebenfalls entführt wurde, jedoch im letzten Moment entfliehen konnte. Sie ist die einzige, die ihn gesehen haben könnte. Cross erkennt, daß Casanova in einem Wettstreit mit einem anderen Serienkiller in L.A. steht - der Gentleman Killer. Die beiden tauschen sich via Computer aus. Letztlich gelingt es ihm, einen zu fassen, doch was ist mit dem Konkurrenten?
In der Folge von Filmen wie "Das Schweigen der Lämmer" und "Sieben" ist "Denn zum Küssen sind sie da" ein würdiger Nachfolger, in dem die Geschichte zweier Killer zu hochspannenden Momenten führt. Morgan Freeman überzeugt erneut als charismatischer Hauptdarsteller. (film.de)

Gerade schien die Welle der Serienkiller-Filme endlich abgeebbt, da taucht eine weitere Variation über das Thema auf. Nach einem Bestseller-Roman des Thriller-Autors James Patterson entstand ein Film, der so tut, als habe es die stilprägenden Ausformungen des Subgenres nie gegeben, als müßten "Das Schweigen der Lämmer" (fd 28 838), "Sieben" (fd 31 642) und, als extremste Ausuferung, "Copykill" (fd 31 739) erst noch erfunden werden. Stattdessen begnügt sich der Film mit einer natürlich sehr komplizierten Aufklärungsarbeit, mit Gruselszenen wie aus der deutschen Edgar-Wallace-Reihe sowie mit den emotionalen Effekten eines billigen Melodrams. Persönlich involviert ist der Held, ein Polizeipsychologe, dadurch, daß seine Nichte entführt wurde. Lang und breit wird seine Trauer sowie die ihrer kinderreichen schwarzen Familie vorgeführt, um jenen Alex Cross als guten Menschen zu etablieren. Gleiches gilt für seine aufopferungsvolle Rolle als Jugendarbeiter im Boxring; eine Szene, die ansonsten gänzlich sinn- und folgenlos bleibt. Dann taucht in einer ersten Parallelhandlung ein weißes Mädchen auf, das sich im Wald und in der Gewalt eines nur umrißartig dargestellten Entführers und Mörders befindet; und in einer zweiten eine schöne Frau, die alsbald in die Fänge offenbar desselben Mannes gerät. Der Polizist begibt sich nunmehr, natürlich allein, an den Schauplatz der Entführungen in ein Provinznest in North Carolina, wo zwielichtige Ermittler am Werk sind. Ein großer Apparat zumal, aber aus fadenscheinigen Gründen ist Alex Cross auch weiterhin auf eigene Faust unterwegs und bringt sich und seine Begleiter in lebensgefährliche Situationen. Darunter ist auch bald die schöne Frau vom Anfang, eine Ärztin, die sich aus ihrer Gefangenschaft im Kellergewölbe des Psychopathen befreien konnte - wo weitere Mädchen einsitzen, darunter auch die Nichte des Polizisten, die also noch lebt. Nach und nach kommt ans Licht, wieso der Täter seine Bekennerbriefe mit "Casanova" unterschreibt (wieso wohl?), weshalb er manche seiner Opfer tötet und andere nicht, was er mit ihnen vorhat, und sogar wo in seiner Kindheit die Wurzel oder wenigstens der Beginn seiner Störung zu suchen ist.
So vordergründig, spekulativ und kurzatmig die Handlungsführung bis dahin erscheint, so ausführlich und vollkommen lächerlich ist die Auflösung. Man wartet, wie gesagt, nur noch auf Heinz Drache, der Klaus Kinski endlich die Handschellen anlegt. Regisseur Gary Fleder hatte mit "Das Leben nach dem Tod in Denver" (fd 31 870) ein verstörendes und höchst eigenwilliges, jedenfalls vielversprechendes Regiedebüt abgeliefert. Von den darin verwandten experimentellen Ansätzen in Erzählweise, Lichtsetzung und Besetzung ist jetzt keine Spur mehr. Die hanebüchene Geschichte läßt keinerlei Einsichten in Leben und Lebensraum ihrer Figuren zu; das CinemaScope-Format wirkt schlicht verschenkt, und Morgan Freemans Charakter Alex Cross zeigt keinerlei Konturen, Vergangenheit oder Tiefe, so daß sein faltiges Gesicht als einziges Anzeichen für eine Persönlichkeit herhalten muß. Eigentlich ist der Film reine Videothekenware, die wahrscheinlich kaum ein Kinopublikum findet und möglicherweise das Genre des Serienkillerfilms ungewollt selbst zu seinem verdienten Ende bringt. (Oliver Rahayel, film-dienst)

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BUTCHER BOY - DER SCHLÄCHTERBURSCHE (THE BUTCHER BOY)

USA /IRL 1997. 106 Min
Regie: Neil Jordan, Buch: Neil Jordan, Patrick McCabe, nach einem Roman von Patrick McCabe, Musik: Elliot Goldenthal, Kamera: Adrian Biddle, Schnitt: Tony Lawson, Darsteller: Stephen Rea (Benny Brady), Fiona Shaw (Mrs. Nugent), Eamonn Owens (Francie Brady), Alan Boyle (Joe Purcell), Aisling O'Sullivan (Annie Brody)
Kinostart: 6/3/1998

Das schauerliche Leben des Francie Brady: Seiner Mutter verspricht er als kleiner Junge, für sie zu sorgen, als sie einen Selbstmordversuch unternimmt; der Vater ist ein hilfloser, zu Tobsucht neigender Alkoholiker; die Nachbarin Mrs. Nugent nervt schlicht - und wird von Francie deshalb umgebracht. Zusammenfassend ein schlechter Anfang für ein Leben in Schieflage, das im Rückblick betrachtet wird.
Basierend auf dem Bestseller "Der Schlächterbursche" des irischen Autors Patrick McCabe zeigt Regisseur Neil Jordan ("Interview mit einem Vampir") ein drastisches Bild eines Geistesgestörten in seiner irischen Heimat. (film.de)

Er selbst habe sich an "Zeit der Wölfe" (fd 25 000) erinnert gefühlt, sagt Neil Jordan über seinen neuesten Film. Und tatsächlich hat man eine so finstere Kindheitsgeschichte seit den Tagen jenes bittersüßen Märchenfilms, mit dem Jordan 1984 zu einem Protagonisten des Neuen Britischen Kinos avancierte, nicht mehr auf der Leinwand gesehen. Selbst Peter Jacksons romantisch-fantastische Variation über ein ähnliches Thema, "Heavently Creatures" (fd 31 127), bot dem Zuschauer noch manche komfortable Nische als Fluchtmöglichkeit vor der unlösbaren Tristesse. Die Bonbon-Farben der frühen 60er dekorieren die irische Kleinstadt Clones wie lieblos verteilte Zuckerstreusel einen Teller trockener Weihnachtsplätzchen, und wenn es ein eindrückliches Bild für die manische Depression der Mutter des 12jährigen Joe gibt, so ist es ein obsessiver Anfall von Backsucht. Schon klebt ein Törtchen auf der Mattscheibe des Fernsehers, dem einzigen Fenster zu Fantasie und Abenteuer der alten Western-Serials mit John Wayne und den "Three Mesqueteers". Teller mit Sahnekringel stapeln sich in der Küche lieblos übereinander. Der Priester, heißt es, würde sie schon gerne essen, und hierin erschöpft sich dann auch sein Dienst am allgemeinen Seelenheil. So ist alles, was für gewöhnlich mit häuslicher Liebe assoziiert wird, ein erdrückender Zwang in Joes Elternhaus. Als er dann doch einmal fortläuft, wie es Walter Benjamin dringend allen Pubertierenden geraten hat, kommt es noch schlimmer. Bei seiner Rückkehr platzt er geradewegs in die Beerdigung der Mutter, die ihre ständigen Suizidabsichten endlich verwirklichen konnte. Natürlich gibt man Joe die Schuld, doch der hat längst ein anderes Feindbild, das er hegt und pflegt. Es ist die in seinen Augen ebenso neugierige wie gehässige Nachbarin: Diese Mrs. Nugent ist verantwortlich für alles Übel, und so trifft sie die Verwüstung ihres Hauses gerade recht, die Joe wiederum in die Besserungsanstalt katapultiert. Hier wird aus ihm dann doch noch so eine Art "working class hero", doch auch damit kann sich der aufs Anderssein gepolte, überaus intelligente Junge nicht abfinden. Als ihm dann unvermittelt die Jungfrau Maria erscheint, wird er zum Liebling eines pädophilen Paters. Die anderen Zöglinge nehmen es mit Befremden zur Kenntnis.
"In gewisser Weise ähnelt das Ambiente dem Märchenreich, das wir für 'Zeit der Wölfe' erschaffen haben," erklärt Jordan den Zusammenhang der beiden Filme, "denn es handelt sich um ernste Filme, die zufällig auch lustig sind." Wäre nicht alles auch immer irgendwie lustig, man müßte in dieser Welt verzweifeln oder sie gar für das realistisch beschriebene Milieu eines jugendlichen Straftäters halten - nutzt doch der aus dem Heim entlassene Joe einen neuen Job als Schlachtergehilfe bald zu einer blutigen Tat im Hause Nugent. Doch Jordans Film, und das macht ihn gerade in der gegenwärtigen Diskussion um etwaige mediale Einflußsphären kindlicher Gewaltverbrechen so bedeutend, geht es um etwas ganz anderes. Wie Peter Jackson in "Heavenly Creatures" zeigt er die Umgebung seines tragischen Helden weniger als sozialen, denn als emotionalen Umraum. Andererseits interessieren ihn diese inneren Projektionsflächen nicht als poetische Schauräume, in die man als Zuschauer herzlich eingeladen wird. Jeder Spaß, den sein schlagfertiger Held dem Zuschauer bereitet, jeder Ausbruch von Schadenfreude, muß vom Betrachter bitter bezahlt werden. "Pay for your pleasures", hieß einmal eine Arbeit des Künstlers Mike Kelley, die der Fantasie eines Serienmörders gewidmet war: "Zahle für deine Freuden." Dieser Satz meinte das alte katholische System von Schuld und Ablaß, dem schließlich auch die Schaulust ihre Legitimation verdankt. Wie "Zeit der Wölfe" führt "The Butcher Boy" in ein mittelalterliches und doch ganz nahes Märchenreich, eine Welt der Spießigkeit und der erstickten Fantasie. Wenn in Großbritannien gegenwärtig wieder Kinder ins Gefängnis wandern, ist Neil Jordans Film ein Plädoyer gegen das wahre Medienübel. Und das liegt bekanntlich weniger in der Vorliebe für Gewalt als in der für die einfachen Erklärungen. (Daniel Kothenschulte, film-dienst)

Der Schlächterbursche beginnt seine Lebensgeschichte als kleiner, frecher Francie Brady (Eamonn Owens). Seine Mutter kommt immer wieder in psychiatrische Behandlung, sein Vater (Stephen Rea) säuft sein musikalisches Talent kaputt. Zusammen mit seinem Freund Joe (Alan Boyle) genießt Francie ein Jungenversteck am Fluß, sie pflegen ihre eigene Fantasiesprache, spielen Indianerhelden und werden irgendwann auch Blutsbrüder. (Haben die Iren nicht sowieso eine ideelle Verbindung mit den Indianern?) Dann klauen sie dem verhaßten Phillip Nugent einen Stapel Comics, doch das Comichafte des Films war schon im Vorspann nicht zu übersehen. Vor allem die originellen Zwiegespräche Francies mit sich selber als Off-Erzähler geben dem Geschehen einen albernen bis absurden Klang.
Eine ganze Weile lachen wir mit den Jungens über die seltsamen Bewohner des Städtchens. Irgendwann wird der Wahnsinn Francies trotz aller ironischer Überzeichnung unübersehbar und das Lachen klingt belegter. Im Hintergrund läuft der Kalte Krieg auf die Kubakrise zu, die Angst vor "den Kommunisten" verschmilzt mit der Bedrohung durch Außerirdische. Nukleare Katastrophenszenarien beherrschen die Köpfe. Doch auch Francie ist eine kleine rothaarige Atombombe, bösartig, gehässig, gemein und kurz vor dem Explodieren.
Aus Wut über eine frühe Gemeinheit Francies beschimpft Mrs. Nugent seinen Vater als "Schwein". Mrs. Nugent war eine Zeit in England und seitdem hat sie schnippische Allüren, zumindest vermittelt uns das die Perspektive Francies. Die Schweine sauen von nun an durch den Film. Nachdem der cholerische Junge die Wohnung seiner verhaßten Gegnerin vollschmiert und -scheißt, landet er in genau dem Waisenhaus, das auch schon seinen Vater und seinen Onkel erzog. Doch Francie war nie dumm. Schnell tanzen alle Trottel nach seiner Pfeife - egal ob Schüler oder Leiter der Anstalt. Geschickt macht er sich zum Musterschüler, Ministranten und hat dann noch eine Marienerscheinung. Selbst einen Angriff auf den alten Pater, der sich an Francies Erzählungen und den von ihm gestellten Mädchenverkleidungen aufgeilt, übersteht der gerissene Junge mit Glanz und Gloria.
Tatsächlich sehen auch wir irgendwann Maria (Sinead O'Connor) und haben Teil an ihren scheinbar sehr banalen Gesprächen. Francie macht sich Sorgen, daß sein Freund Joe einen Goldfisch von dem alten Feind Phillip angenommen hat. Die so verletzte Freundschaft läßt den Wahnsinn des Jungen aufflammen. Eine Weile lebt er mit seinem toten Vater und sehr vielen Fliegen in der Wohnung, bevor man ihn in eine Nervenheilanstalt verfrachtet, die er seit den frühen Krankenaufenthalten der Mutter "Werkstatt" nennt. Auch hier erlangt er das "Diplom-für-Francie-der-kein-Schwein-mehr-ist". Und längst hat sich der Film vom Komischen ins Tragische gewendet.
Der gebürtige Nordire Neil Jordan war von Patrick MacCabes Roman "The Butcher Boy" begeistert, weil er neben einer zerstörten Kindheit vom Irland der 50er Jahre, der Paranoia und Lähmung, dem Wahnsinn und dem Mystizismus erzählt. Das ist allerdings im Film nicht unbedingt nachvollziehbar. Der irritiert als eine leicht bewundernde Schilderung eines Wahnsinnigen und löst sein Lachen angesichts eines unfaßbaren Jungen aus. Der beste Scherz des Films ist übrigens Sinead O'Connors Auftritt als schon mal fluchende Maria. Die irische Sängerin hatte früher mit ihren kahlen Dickschädel heftigst Mißstände in der katholischen Kirche angeprangert. (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)

"Der Schlächterbursche", Patrick McCabes irischer Mörderroman, wurde nun von Landsmann Neil Jordan als bunte Studie der Gewalt verfilmt. Aufzeichnungen zu einem problematischen Film, kommentiert von Jordan und McCabe selbst.
Mackie Messer steht ja schon in der Tür, am Eingang dieser Geschichte. Das alte Lied der Herren Brecht & Weill gibt, in aller Schärfe, den Ton vor: So kann er klingen, der Soundtrack zur Mördererzählung. Der Tonfall dieses Films, der sich sarkastisch The Butcher Boy / Der Schlächterbursche nennt, bleibt den einleitenden Klängen jedenfalls treu: Seltsam lustig, wo der Spaß eigentlich ein Ende haben müßte, und eigenartig farbenprächtig, wo nur noch der Grauschleier der Tristesse regieren müßte.
Der zwischen Hollywood und seiner irischen Heimat pendelnde Filmemacher Neil Jordan hat mit The Butcher Boy, wieder daheim in Irland, den gleichnamigen Roman Pat McCabes verfilmt: die Geschichte einer kindlichen Verrohung, die Story eines von der Welt vergessenen Zwölfjährigen, der in den frühen sechziger Jahren, irgendwo in der Provinz, seine Angst und die Gewalt seiner Familie mit der Gewalt zu exorzieren lernt.
Das erste Problem ergibt sich aus dem Medium selbst. McCabes Text verfolgt den Bewußtseinsstrom seines kindlichen Helden - und läßt dabei die Grenzen zwischen Innen und Außen, zwischen ausufernder Phantasie und tatsächlichen Handlungen nicht selten offen. In Jordans Film ist gewissermaßen alles außen, und wo der Kindskopf seine Visionen produziert, da setzt der Filmemacher Märchenbilder, Kitsch-Marienstatuen wie aus einem schlechten Devotionalien-Laden dagegen. Das Explizite des Kinos zieht die Grenzen zwischen Hirngespinst und Fakt sehr klar: Diesem Problem kann das Unterhaltungskino, scheint es, nicht entgehen.
"Das Kino", sagt Neil Jordan im "Presse"-Gespräch, "macht die Dinge direkt, das stimmt. Ich mußte erst die Story finden in einem Buch, das sich auf eine Geschichte gar nicht sehr stützt. Was ich aber erhalten konnte, ist dieser Genre-Übergriff. The Butcher Boy ist vieles zugleich, aber nichts ganz: Komödie, Tragödie, Horrorfilm, und doch auch nichts von alldem."
Der Film zum Roman sieht dennoch, kann man sagen, eher Jordan ähnlich als McCabe. Dabei stand anfangs gar nicht fest, ob Jordan überhaupt selbst inszenieren würde. "Die Drehbuchentwürfe, die McCabe zunächst lieferte, entfernten sich sehr von der Vorlage, er schrieb da eigentlich jeweils neue Romane, als wollte er seinem eigenen Buch aus dem Weg gehen. Also nahm ich mir The Butcher Boy selbst vor und schrieb den letzten Entwurf selbst."
Zweitausend Kinder testete man, dann wählte man Eamonn Owens zum Star. Er leistet tatsächlich Erstaunliches: In seinem Spiel finden sich kindlicher Überdruck, naive Aggression, brutale Verzweiflung. Jordan wußte, daß ohne einen Schauspieler wie diesen nichts zu machen war. "Es ist die Geschichte eines Buben, der, auf furchtbare Art, etwas lernt, der von der Unschuld zur Erfahrung schreitet. Er wird in eine Welt absoluter Versprechen geboren, die sich bald als Welt der gebrochenen Freundschaften und verlorenen Elternliebe erweist. Also paßt er sich an eine kompromittierte Welt an. Darüber wird er zum Psychopathen, aber jeder, glaube ich, versteht diese Erfahrung."
Über Tony Blair will Jordan, Regisseur des tendenziösen Michael Collins, nicht reden, über Nordirland und Politik im allgemeinen schon gar nicht. Was er gern bespricht, ist der Pop-Anteil seines Films: " Sinead O'Connor als fluchende Maria zu besetzen, lag nahe. Für mich sieht sie wirklich aus wie eine Marienstatue, mit diesem dünnen Gesicht und ihrem klassischen Profil. Eigentlich wollte ich ja Marilyn Monroe für die Rolle, im Ernst, das wäre digital zu machen gewesen, aber juristisch nicht durchzusetzen."
Autor McCabe hat in The Butcher Boy als trinkfester, polternder Ire eine folkloristische Nebenrolle. Das habe ihm schon Spaß gemacht, sagt er im Interview, aber das grundsätzliche Mißtrauen gegen das "literarische Kino" teile er. "Daß der Film den Text nicht ganz fassen kann, ist wahrscheinlich wahr. Es ist eine Invasion der Imagination. Schon deswegen würde ich mich nie als Drehbuchschreiber bezeichnen. Das Kino ist ein so manipulatives Medium, man muß dabei so viele Dinge berücksichtigen, planen, gegeneinander abwägen. Das alles muß man nicht, wenn man etwa einen Song schreibt. Mit Romanen ist das ähnlich. Wenn ich ein Buch so sehr planen würde, wie man das beim Film macht, garantiere ich Ihnen, daß es nicht wert wäre, das Buch zu lesen."
McCabes Butcher Boy zeigt sich von allem beeinflußt, von Comics und seriellen TV-Western, von der Natur und der Verödung seiner Verwandten. Darin läge doch präzise das Gefühl des Aufwachsens, sagt McCabe: "Jedes kleine Detail um einen herum ist, wie bei Joyce, signifikant." Die Erzählerstimme aus dem Off erinnert McCabe ein wenig an A Clockwork Orange, wo das Erzählte ja auch ständig mit dem Sichtbaren kollidiert, Lücken aufreißt. "Im Kino startet ja alles mit dem Autor, mit dem Text", sagt McCabe, "das wird gern übersehen. Film ist ein attraktives Medium, aber es ist unberechenbar. Man arbeitet gegen so vieles, gegen das Wetter, bisweilen auch gegen die Schauspieler."
Witz ist McCabe, das kann man nachlesen, wichtig - gerade auch in der Vermittlung blutigen Ernstes: "Man wird mit dem Alter immer weniger seriös, muß ich feststellen. Im Butcher Boy spreche ich zwar ernste Dinge an. Aber die ganze Sache mit den Menschen ist doch in Wirklichkeit auch nur eine Art Komische Oper." (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

Ist Francie Brady ein Irrer, ein Seher, ein Rotzjunge oder ein Verlierer? - Für die Darstellung des irischen Schlächterburschen bekam der zwölfjährige Eamonn Owens einen Silbernen Bären.
Wenn Francie Brady träumt, gehen Atombomben über friedlichen irischen Seen hoch, und apokalyptische Reiter traben durch die Landschaft. Er ist ein gefährlicher Träumer, dieser Francie (Eamonn Owens), denn irgendwann kann der Zwölfjährige Wahn und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten. Und dann erschießt er die verhaßte Nachbarin. Ob Francie eigentlich ein Irrer ist oder ein Seher, ein Rotzjunge oder nur ein Verlierer aus einem kaputten Elternhaus - diese Verunsicherung mutet die irritierende Literaturverfilmung Neil Jordans ("Michael Collins") ihren Zuschauern zu. Zwischen surrealen Bildern und derbem Witz lauert die Schwärze einer sehr irischen Verzweiflung. Aber das würde Francie nie zugeben. (DER SPIEGEL 9/1998) Weitere Kritiken der IMDb

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GROSSE ERWARTUNGEN (GREAT EXPECTATIONS)

USA 1997. 110 Min
Regie: Alfonso Cuaron, Buch: Mitch Glazer, nach Charles Dickens, Musik: Patrick Doyle, Kamera: Emmanuel Lubezki, Schnitt: Steven Weisberg, Darsteller: Ethan Hawke (Finnegan Bell), Gwyneth Paltrow (Estella), Hans Azaria (Walter Plane), Chris Cooper (Joe), Anne Bancroft (Miss Dinsmoor), Robert De Niro (Gefangener Lustig), Josh Mostel (Jerry Ragno), Kim Dickens (Maggie), Nell Campbell (Erica Thrall), Gabriel Mick (Owen), Jeremy James Kissner (Finnegan mit 10 Jahren), Raquel Beaudene (Estella mit 10 Jahren)
Kinostart: 6/3/1998

Finnegan Bell (Ethan Hawke) lebt in einem kleinen Fischerdorf bei seinem Onkel Joe. Er ist bis über beide Ohren verliebt in Estella (Gwyneth Paltrow), die Nichte der reichen Miss Dinsmoor. Doch sie verlieren sich aus den Augen. Jahre später treffen sie sich in New York wieder. Aus Finnegan ist in der Zwischenzeit ein Künstler geworden, der gerade seine erste Ausstellung vorbereitet. Ihre Liebe entflammt erneut.
Der Charles Dickens Roman wird von Alfonso Cuaron erfolgreich in die Neuzeit transferiert, wobei insbesondere die beiden Hauptdarsteller gut miteinander harmonieren. (film.de)

Charles Dickens Roman "Great Expectations" erschien 1860/61 und handelt in der Gestalt des Waisenkindes Pip vom Verlust der Unschuld durch Geld, Macht und gesellschaftlichen Aufstieg. Obwohl Charaktere, Motive und Erzählstrukturen tief im Viktorianismus wurzeln, hat der Stoff seit der Stummfilmzeit auf das Filmschaffen eine nachhaltige Anziehung ausgeübt. Unter den diversen Adaptionen ragt David Leans epischer Klassiker "Geheimnisvolle Erbschaft" (fd 14) aus dem Jahr 1946 hervor, an dessen hoher Qualität seither jede Neuinszenierung gemessen wird. Wohl auch deshalb haben die Produzenten der jüngsten Version auf eine radikale Transformation gesetzt, die den historischen Ballast des 19. Jahrhunderts zugunsten einer tiefgreifenden Modernisierung über Bord wirft. Pip heißt jetzt Finn und streift nicht mehr an der nebelgrauen Themse entlang, sondern vagabundiert unter der Sonne Floridas durch die amerikanische Gegenwart. Ähnlich wie im Roman gerät der träumerische Junge in die Fänge einer verbitterten Frau, die ihn und ihre Nichte Estella als Werkzeug ihrer Rache an den Männer mißbraucht. Das Mädchen erzieht sie zur gefühllosen Verführerin, den Knaben ködert sie mit Komplimenten für sein malerisches Talent. In ihrer märchenhaften Villa, in der die Zeit stehen geblieben ist, seit Miss Dinsmoor vor Jahrzehnten von ihrem Bräutigam verschmäht wurde, webt sie an einem grausamen Band. Während der Knabe die herablassende Estella porträtiert und Tanzstunden erhält, verliert er sein Herz, ohne auf Gegenliebe zu stoßen. Den Schmerz verspürt der Jugendliche erst, als Estella zum Studium nach Paris verschwindet. Jahre gehen ins Land, in denen Finn mit Block und Malkreide auch jede Erinnerung an die spröde Schöne abgelegt hat. Bis ihm eines Tages von einem unbekannten Wohltäter ein Kunststipendium in New York nebst einer Ausstellung in einer renommierten Galerie angeboten wird. Dort läuft ihm Estella wieder über den Weg, die bedenkenlos das alte Spiel neu beginnt. Finn stürzt sich voller Elan in die Arbeit, genießt die Anerkennung der Kunstszene, verkennt aber die wahren Umstände. Während seine Bilder bei der Vernissage umjubelt werden, steigt ein Flugzeug mit Estella und ihrem Verlobten in den nächtlichen Himmel.
Man muß Dickens und Lean vergessen, um für Alfonso Cuaróns Film schwärmen zu können. Als Literaturverfilmung scheitert das Werk des mexikanischen Regisseurs auf der ganzen Linie, weil er und Buchautor Mitch Glazer sich weder für eine werkgetreue Interpretation entscheiden noch eine wirkliche Übersetzung in ein anderes Zeitalter wagen. So taucht das zentrale Motiv der moralischen Korruption erst kurz vor Schluß und reichlich unvermittelt auf. Das für Dickens so bedeutende, der Gegenwart allerdings kaum vermittelbare Geheimnis des anonymen Mäzens wird hingegen beibehalten, ohne aus seiner Auflösung dramaturgischen Nutzen zu ziehen. Nicht die verrückte Alte, sondern ein Schwerverbrecher, dem der kleine Finn während der Flucht geholfen hatte, gibt sich am Ende als der zu erkennen, der die Fäden zog. Statt Finns Erschütterung zu thematisieren oder in eine Klage zu verwandeln, sein Leben lang Spielball anderer gewesen zu sein, stiehlt sich der Film einem unspektakulären, versöhnlichen Ende entgegen.
Der traumhaften Atmosphäre der magischen Szenerien wird man eher gerecht, wenn man den Film als märchenhafte Romanze betrachtet, deren Qualität vor allem in einer berauschenden Bildersprache liegt. Goldenes Licht flirrt durch den verwilderten Park von Miss Dinsmoors "Verlorenes Paradies", in dem noch immer die Reste des einstigen Hochzeitsbanketts stehen; die Fußböden der weiten Hallen sind von raschelndem Laub überdeckt, in den Ritzen der Mauern und Ballustraden nistet alte Südstaaten-Größe. Finns Eingangssentenzen aus dem Off, Dinge nicht so zu erinnern, wie sie sich ereigneten, sondern wie er sie behalten habe, gibt Cuarón alle Freiheit, mit realistischen Konventionen nach Belieben umzugehen. Die Verwandtschaft seiner Inszenierung mit der Fähigkeit seines Helden, sich Wirklichkeit primär im Akt des Malens anzueignen, wird in der stärksten Szene des Films überdeutlich: als Estella zu Finn aufs Hotelzimmer kommt, um sich porträtieren zu lassen. Mit dem Auge eines Adlers tastet sich die Kamera Schnitt für Schnitt über Gwyneths Paltrows Körper, liebkost eine Augenbraue, streichelt übers Schulterblatt, springt in eine leicht verwinkelte Halbtotale, wenn der schwarze BH auf dem Rücken gelöst wird, gleitet die Beine hinab und hinüber zu Finn, der nur noch fiebrig malende Hand und gebannter Blick ist. In den Skizzen und Bildern, die dabei entstehen - und Werken von Modigliani bis Picasso und Schiele nachempfunden sind - schwingt die Erregung und Sinnlichkeit lange nach. Daß die Frau dann plötzlich ihre Kleider zusammenrafft und den Maler erschöpft und enttäuscht seinem Schicksal überläßt, hat nicht nur erzählerische Gründe: es bleibt die Erinnerung, eine virulente, weil imaginäre Größe, aus der sich so viele weitere Geschichten spinnen lassen wie Porträts der Verschwundenen. (Josef Lederle, film-dienst)

Kunststoff & heiße Luft. Wie man Robert De Niro als Darsteller einsetzt und ihm trotzdem keine Rolle gibt, führt derzeit eindrucksvoll ein US-Filmdrama vor, dem Charles Dickens offenbar zu hoch ist. "Große Erwartungen", kleine Resultate.
Wo im Kino die Ideen enden, beginnt üblicherweise die Exzentrik. Die populäre Fluchtbewegung ins Absurde und grell Geschminkte, ins Überlebensgroße läßt in dem vorliegenden Film auch nicht lange auf sich warten: Great Expectations/Große Erwartungen ist randvoll mit grandiosen Posen und wissenden Blicken, mit angedeuteten Zwielichtigkeiten und prophezeiten Unheimlichkeiten. Daß dennoch jedes Versprechen, das einem dieser Film macht, im Sand verlaufen muß, sieht man der Inszenierung schon von weitem an: Der sich Hollywood andienende Mexikaner Alfonso Cuarón orientiert sich weniger am gegenwärtigen Kino als an den gängigen Sprechweisen von Jeans-Fernsehwerbespots.
Große Erwartungen scheitert, ohne viel zu tun, gleich zweimal an seinen Vorgaben: Charles Dickens' berühmten Roman transplantiert Cuarón in die amerikanische Gegenwart, wo die Geschichte vom kindlichen Blick auf das mythisch-angsterfüllte Landleben überhaupt keinen Sinn mehr ergibt; und über David Leans souveräne Version des Jahres 1946 blickt der Regisseur so leger hinweg, daß man meinen könnte, Cuarón habe möglicherweise gar keine Ahnung, daß diesen Stoff schon Filmemacher vor ihm in den Händen hatten.
Cuaróns Große Erwartungen , das ist Szene für Szene null und nichtig: die Definition des an sich selbst kaputt gegangenen Modespielfilms. Alles hier klingt nach Konzept, und nichts davon geht auch nur annähernd auf: Ein Teenagerschwarm (boy: Ethan Hawke) trifft auf einen zweiten (girl: Gwyneth Paltrow), verstört von einer durchgeknallten alten Dame (Filmstar 1: Anne Bancroft) und verfolgt von einem einschüchternden Kriminellen (Filmstar 2: Robert De Niro), der über die Jahre das Leben des Buben, der ihm einst in einer Notsituation geholfen hat, heimlich lenkt. Durch seine Initiative wird aus dem armen jungen Provinz-Hobbymaler ein shooting star der reichen Kunstszene New Yorks.
Es ist bemerkenswert, wie wenig Cuarón aus seinem romantisch-erotischen Drama macht: Kunststoff bis in die Fingerspitzen, das Trauerspiel des reinen Ornaments. Die Figuren, wie aus jeweils einer einzigen Idee destilliert, bleiben leblos, bloße Marionetten, die nichts zu sagen und unter keinen realen Problemen zu leiden haben - von De Niros verbissenem Sträfling (mit Weihnachtsmann-Bart ins melodramatische Grande Finale!) über Paltrows schmallippige femme fatale (nackt!) bis hin zu Hawkes ahnungslosem Künstler, der sich selbst nicht mehr kennt und durch die weitläufigen Lofts, die düsteren Märchenschlösser und champagner-prickelnden Galerien stolpert, ohne je irgendwo anzukommen: ein Schicksal, das er mit diesem Film teilt. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 12/3/1998)

Finn (bitter arm) und Estella (stinkreich) werden per Beschluß der exzentrischen Tante der höheren Tochter zu Spielkameraden: vorwiegend aus Rache von Tantchen am eigenen Lebens- und Liebesleid. Ihr ist es also zu verdanken, daß es so an die 15 Jahre bzw. 110 Minuten dauert, bis die zwei Jungen sich endlich kriegen. Die mit merkbarer Anstrengung in die Gegenwart sowie die New Yorker hippe Kunstszene transferierte Story basiert auf einer eigentlich wunderschön altmodischen Erzählung Charles Dickens'. Der würde an diesem langweiligen Machwerk wohl nur zwei Dinge lieben: Anne Bancroft als verschrobene Tante und Robert De Niro als der liebe Gott - äh ...nein, als entflohener Sträfling natürlich - er sieht hier nur aus wie der liebe Gott... (KURIER)

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