Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 27. März 1998 neu angelaufene Kinofilme


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SUZIE WASHINGTON

A 1998. 87 Min
Regie: Florian Flicker, Buch: Florian Flicker, Musik: Andi Haller, Kamera: Robert Neumüller, Schnitt: Monika Willi, Darsteller: Birgit Doll (Nana Iaschwili), August Zirner (Herbert Korn), Karl Ferdinand Kratzl (Illegaler Grenzgänger), Wolfram Berger (Hüttenwirt), Nina Proll (Stewardeß), Carmen Loley (Polizistin), Merab Ninidze (Resa Madani), Liliana Nelska (Maria Holländer), Boris Eder (Reiseleiter), Brigitte Kren (Frau Haberl, Wirtin), Kathrin Pilz (Frau Holler, Urlauberin), Michael Kreihsl (Herr Holler), Johannes Nikolussi (LKW-Fahrer), Klaus Ortner (Tankwart), Andreas Lust (Schlepper), Bernadette Schneider (Jacqueline Duron), Goran Rebic (Jugoslawischer Flüchtling)
Kinostart: 27/3/1998

Eigentlich hätte der Flughafen Schwechat für Nana Iaschwili (Birgit Doll) nur eine kurze Station ihrer Reise sein sollen. Aus Georgien ist sie unterwegs in die USA - mit einem gefälschten Visum im Paß. Doch nun sitzt sie im Transitbereich fest und wartet auf ihre Abschiebung. Durch ihre Geistesgegenwart gelingt ihr die Flucht, und wenige Minuten später ist sie schon wieder unterwegs - westwärts in Richtung Deutschland. Zuerst ohne Paß, sehr bald ohne Geld und der Landessprache nicht mächtig, steht sie im Zentrum eines ungewöhnlichen Road Movies quer durch Österreich...

"Travelling is brutality. It forces you to trust strangers und to lose sight of all the familiar comfort of home and friends . . ." (Cesare Pavese)

"...Ein extrem spannender, berührender und auch komischer Film über eine Frau auf der Flucht; eine Frau, die Risken eingeht, um aus ihrer vom Bürgerkrieg zerstörten Heimat auszubrechen." (blimp: diagonale)

Schöne neue Welt. Kino über ein Land der begrenzten Möglichkeiten. Ein großes Ziel ist es, das die Grundlage dieses Films bildet – Los Angeles. Und doch nie in Reichweite.
Die moderne Heldin dieses Roadmovies ist Nana Iaschwili, Bürgerin der ehemaligen Sowjetunion. Als vermeintliche Touristin reist Nana illegal und ohne Paß durch das pseudo-idyllische Multikulti-Österreich der 90er. Sie bleibt während ihrer ganzen Flucht allein. Doch niemals verliert Nana ihr Ziel aus den Augen, ihre Handlungen und die Gespräche sind einzig und allein auf ein Weiterkommen ausgerichtet.
Erschwert wird die Reise zusätzlich durch den Umstand, daß Nana nicht die Landessprache, sondern lediglich ein begrenztes Englisch spricht. Diese Allerweltssprache scheint allerdings nicht gerade die Stärke der angeblich so weltoffenen Österreicher zu sein. Dadurch reduzieren sich die Dialoge auf ein Minimum. Oft herrscht peinliche Stille zwischen Nana und ihren Gesprächspartnern. In diesen Momenten tragen Mimik und Gestik die Handlung des Films. Der seltene, aber effektiv eingesetzte Wortwitz wird abgelöst von tragikomischen Pantomimeversuchen und zwingender Situationskomik. „Yes“ ist wohl eines der am häufigsten verwendeten Wörter in diesem Roadmovie.
Kommerzielle Stilmittel fehlen fast völlig. Auch der Musikeinsatz ist sehr beschränkt. Nicht die Musik ist es, die in diesem Fall die Handlung trägt, sondern umgekehrt. Die Kontraste, wie zum Beispiel der Blick aus dem Flugzeug über eine endlose Wolkendecke, unbegrenzte Freiheit versprechend, und das angstverzerrte Gesicht Nanas, reichen völlig aus, um die Situation zu beschreiben.
Unterstützend wirkt hierbei die Kameraführung mit der Hand, unruhig und aus dem Blickwinkel der Hauptdarstellerin – ein Mittel, welches dem Film Tempo und Spannung verleiht. Doch mehr ist auch nicht nötig. Die alltägliche Geschichte einer abgeschobenen Ausländerin und ihres mutigen, spontanen Ausbruchsversuches ist mitreißend genug. Flickers Film läßt vermuten, daß Nana ihr Ziel in absehbarer Zeit erreichen wird. Doch wie wird es ihr dort ergehen? Nanas Reise ist noch nicht zu Ende. (Barbara Rothschedl, DER STANDARD, 1/4/1998)

Wege an der Sprachgrenze. Querfeldein durch Österreich: „Suzie Washington“. „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, sagte Ludwig Wittgenstein. Daß dem nicht so sein muß, zeigt Florian Flicker mit seinem Film Suzie Washington.
Nana Iaschwili (Birgit Doll) will der politischen Situation in ihrer Heimat, der ehemaligen Sowjetunion entkommen. Ihr Ziel sind die Vereinigten Staaten. Doch ihre Reise wird am Flughafen vorläufig unterbrochen. Sie hat kein gültiges Visum, sie findet einen Weg aus der Transitzone, und so beginnt ihr abenteuerlicher Weg, der sie quer durch Österreich führt. Als die Polizei die Fahndung in Gange bringt, gibt sie sich als amerikanische Touristin aus: Suzie Washington.
Sie ist eine mutige, willensstarke Frau. Sie lebt sie nach dem Prinzip: „Wenn man dir gibt, nimm; wenn man dir nimmt, schrei.“ Ihre Stimmungswelt wird vor allem durch die Musik in Verbindung mit der Kameraführung deutlich. Der Film wurde teilweise mit einer Handkamera gedreht, wodurch die spontane Gefühle wie Panik oder Angst gut zum Ausdruck gebracht werden konnten. Die vielen Landschaftsaufnahmen zeigen eine idyllische, scheinbar grenzenlose Welt, die im Gegensatz zu Nanas tatsächlicher Situation steht. Unbewußt wird sie von ihrem eigenen Willen gefangen gehalten.
„Sobald ich Nana vor mir hatte, war mir klar, daß Birgit Doll sie spielen mußte“, meinte Flicker in einem Interview. Und wirklich, mit Birgit Doll gelang ihm ein Glücksgriff. Sie kann sich gut in die Rolle der Fremden hineinversetzen und versteht es, der Filmfigur eine natürliche Ausstrahlung zu verleihen. Florian Flicker gelingt es durch gezielte Verwendung der Fremdsprache Englisch im Drehbuch, den Zuschauer in die reale Situation zu versetzen, einem anderssprachigen Menschen zu begegnen.
Es bleibt die Frage nach Nanas wahrem Ziel. Wie Birgit Doll zu ihrer Rolle meint: „Vielleicht ist Nana ja überall fremd?“ Bei Karl Valentin heißt es: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde. Und jeder Fremde, der sich fremd fühlt, bleibt ein Fremder, und zwar so lange, bis er sich nicht mehr fremd fühlt, dann ist er kein Fremder mehr.“ (Kathi Löschl/Lea Halbwidl, DER STANDARD, 1/4/1998)

Heimat in den Augen einer Fremden. „Mit der Tasche in der Hand, kommt man durch das ganze Land; mit der Tasche voller Geld, kommt man durch die ganze Welt. Doch ohne Geld und ohne Paß – wohin führt das?“
Eine Antwort auf diese Frage versucht Florian Flicker in Suzie Washington. Eigentlich wollte der im Salzkammergut geborene Regisseur „nur“ einen Film über seine Heimat drehen, und diesen Schauplatz aus den Augen eines Fremden auf der Durchreise beobachten. Im Laufe der Zeit entstand dann die endgültige Handlung. Die Russin Nana Iaschwili (Birgit Doll) befindet sich auf der Flucht. Doch schon am Wiener Flughafen deckt man die Fälschung ihres Visums auf. Durch einen günstigen Zufall gelingt es Nana aber, die Transitzone des Flughafens zu verlassen („I’ve never been as far as now“).
Birgit Doll überzeugt in ihrer Rolle als Nana, auch Wolfram Berger, August Zimer und Karl Ferdinand Kratzl, die in weiteren Hauptrollen auf Nanas Odyssee zu sehen sind, spielen gut. Florian Flicker gibt an, beim Schreiben des Drehbuchs unter anderem auch von Alice im Wunderland inspiriert worden zu sein. „Wie Alice ist Nana eine Emigrantin, die sich in einer fremden Welt wiederfindet und die verschiedenen Dinge erst entdecken muß“.
Eine Frau verläßt ihre Heimat, um in der Fremde eine neue Chance zu suchen. Sie hat ein Ziel vor Augen, weil sie sich auch in der Fremde selbst zu helfen weiß und Chancen erkennt und wahrnimmt – so kommt Suzie Washington um die halbe Welt, auch ohne Visum und ohne Geld. (Christina Tretter, DER STANDARD, 1/4/1998)

"May I see your passport please?" Es hätte gar nicht mehr des trügerisch beruhigenden Lächelns der Stewardeß bedurft, um Nana Iaschwili (Birgit Doll) klarzumachen, daß sie in Schwierigkeiten ist. Eigentlich sollte der Flughafen Schwechat nur eine kurze Station ihrer Reise sein. Aus Georgien ist sie unterwegs in die USA - mit einem gefälschten Visum im Paß. Im Transitbereich des Flughafens wartet sie nun auf ihre unfreiwillige Rückreise. Als sich für einen kurzen Augenblick die Gelegenheit zur Flucht ergibt, nützt sie geistesgegenwärtig ihre Chance. Wenige Minuten später ist sie wieder unterwegs - westwärts in Richtung Deutschland.
Als vermeintliche Touristin im Fremdenverkehrsland Österreich wird sie zunächst mit professioneller Gastfreundschaft behandelt. Doch auf Dauer kann Nana immer schwerer verbergen, daß sie nicht zur Gruppe der hocherwünschten, zahlungskräftigen Fremden gehört. Sie ist eine "Illegale", zuerst ohne Paß, sehr bald ohne Geld und der Landessprache nicht mächtig. Was hilft es ihr, daß sie mehrere Fremdsprachen spricht, die die meisten ihrer Gesprächspartner nur unzulänglich verstehen? Dabei hat sie Glück, denn sie trifft auf keine aggressiven Ausländerfeinde. Unter all den Menschen, denen sie begegnet, ist jedoch niemand, der bereit oder imstande wäre, ihr wirklich zu helfen.
Das beginnt bereits am Flughafen mit der für sie "zuständigen" Sozialarbeiterin (Liliana Nelska) und findet seine Fortsetzung an einem idyllischen Salzkammergutsee, als sie sich mit einem gutmütigen, von der Situation aber völlig überforderten Feriengast (August Zirner) anfreundet. Ihr überstürzter Aufbruch katapultiert sie dann hinaus, aus jeglicher "Normalität" des Reisens, und von Etappe zu Etappe wird ihre Situation bedrohlicher. Doch Nana ist eine starke, kämpferische Frau, die einfach nicht bereit ist, aufzugeben...
SUZIE WASHINGTON ist, und das ist die große Stärke dieses Films, alles andere als ein sozialkritisch-wohlmeinender Film zum Thema "Ausländer". SUZIE WASHINGTON macht sich den wachsam geschärften Blick einer unfreiwillig Durchreisenden zu eigen und entwirft damit ein kurzweiliges, kaleidoskopartiges und sehr ungewöhnliches Bild dessen, was für uns "Heimat" bedeutet. Ein Road-Movie quer durch Österreich, das von sehr flüchtigen, sehr subtilen und notwendigerweise fragmentarischen Beobachtungen lebt, von Andeutungen, Blicken und Gesten. Von Begegnungen, in denen sich viel Hilflosigkeit und Kleinmütigkeit, aber auch unerwartete Momente der Hilfsbereitschaft und Solidarität offenbaren.
Nanas Reise durch Österreich ist vor allem deshalb so kurzweilig und so spannend, weil sie in keiner Sekunde dem Klischee des mitleiderregenden Flüchtlings entspricht, der sein Ungemach passiv erduldet. Nana kommt aus einem brügerkriegsgeschüttelten Land und ist ganz offensichtlich aus hartem Holz geschnitzt. Sie ist intelligent und polyglott, zielstrebig und raffiniert. Sentimentalitäten kann sie sich nicht leisten, und wenn es nicht anders geht, verstößt sie ohne großes Zögern gegen die Normen herkömmlicher "Anständigkeit". Birgit Doll gestaltet eine wunderbar vielschichtige Figur, die Härte zeigt und zugleich Verletzlichkeit, Gehetztheit und Gelassenheit, Mißtrauen und Offenheit. Doch auch die vielen kleinen Rollen im Film sind überzeugend besetzt. Oftmals in wenigen Augenblicken werden facettenreiche und überzeugende Charakterminiaturen skizziert.
Bereits mit seinem Erstling HALBE WELT hat sich Florian Flicker als eine der Zukunftshoffnungen des österreichischen Films empfohlen. Die "Diagonale", die Werkschau des österreichischen Films, steht heuer (wieder einmal) vor einem neuen Anfang, und SUZIE WASHINGTON bildet als Eröffnungsfilm den Auftakt zu diesem Neubeginn. Eine Entscheidung von durchaus programmatischer Bedeutung für das "junge", österreichische Kino...(Verleihprogramm)

Los Angeles Is Far Away and so Am I
Suzie Washington ist die Geschichte einer Grenzgängerin zwischen den Welten.
Eine illegale Touristin, auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit und der drohenden Verhaftung, wird konfrontiert mit einem fremden Land, einer fremden Mentalität. Es ist ein gastfreundliches Land, denn hier lebt man vom Tourismus, von den Fremden. Doch Nana, die Hauptfigur des Films, zählt nicht zu den erwünschten Fremden. Sie, die sich mit gefälschten Papieren aufmacht in die weite Welt, wird zur Illegalen gestempelt und entwickelt sich im Lauf des Films gezwungenermaßen zu einer Betrügerin, die am Schluß bereit ist für eine andere, eine "Neue Welt", von der wir uns fragen, ob es sie gibt.
Wie auch die kleine Plastikfigur, die Nana in einem Wald findet - ein Spielzeug-Marsmännchen -, scheinen alle Figuren des Films in eine fremde Welt gefallen zu sein, auf einen fremden Stern versetzt. Von der Sozialarbeiterin, die sich auf der Suche nach Menschlichkeit einem unmenschlichen System anpassen muß, bis zum liebenswürdigen Sommerfrischler, der lieber von Palatschinken, einer "österreichischen Spezialität aus Ungarn", spricht, als sich der realen Welt um ihn herum und Nanas Hilferuf zu stellen. Daß diese Menschen trotz ihrer Unzulänglichkeiten eine liebenswürdige Aura umgibt, liegt an der Nähe, aus der wir sie beobachten, an den vielen Facetten, die sie nicht verdecken können.
Auf die Frage, wo sie sich befinde, antwortet Nana: "I don't know . . . in Austria." Der Zufall führt sie in dieses Land, aber ganz gleich, wo Nana sich auch befände, sie bliebe eine Fremde, ungewollt und rastlos. Fremdsein ist das Thema dieses Films. (Florian Flicker)

Touristenidylle als Menschenfalle
"May I see your passport, please?" Das falsche Lächeln der Stewardeß gefriert auch dann nicht, als ihre Hand zum Hörer greift, um den Sicherheitsdienst anzurufen.
So strandet sie am Flughafen Wien und wartet hier auf die Abschiebung in eine fremd gewordene Heimat: Nana Iaschwili, Französischlehrerin aus der ehemaligen Sowjetunion. Der Traum von der Emigration in die USA, in das mythisch besetzte Märchenland, geht im Transitraum zu Ende. Doch dann schlüpft Nana im richtigen Moment durch eine sich öffnende Flughafentür und fällt - wie "Alice in Wonderland" durch den Spiegel - aus der Realität der gesperrten Grenze in die österreichische Tourismus-Wunderwelt: Luxus-Reisebus, Postkartenidylle am See samt blitzschnell verliebtem Ureinwohner . . . Während Nana einem Onkel in Amerika Briefe schickt, auf denen sie von ihrer baldigen Ankunft träumt, kämpft sie sich gen Westen - ein Mensch ohne Geld, Paß und damit ohne Existenzberechtigung, eine Störung der Glücksmaschine Österreich. Die Menschen begegnen Nana manchmal freundlich bis arglos, oft enerviert und überfordert, nicht selten berechnend. Immer wieder kippt die herzliche Maske des Landes und seiner Bewohner ins Bedrohliche; dennoch wird Nana nicht an die Behörden verraten. Ihre Odyssee setzt sich fort.
Florian Flicker zeigt mit Suzie Washington, daß das Paradies Österreich eine irreale Konstruktion ist - eine kleine Veränderung der Perspektive kann jede einsam gelegene Berghütte vom Sinnbild alpiner Glückserfüllung in eine ausweglose Falle verwandeln. Und an der Frage, ob eine Rezeptionistin auf dem Vorweisen des Reisepasses besteht, scheitern Liebschaften und Existenzen.
Der ästhetische und narrative Reiz des Films liegt im permanenten Spiel mit den zwei Welten, die Österreich in ein schizophrenes Land verwandelt haben, das zwischen guten und schlechten Gästen kraß unterscheidet; seine Stärke ist Flickers völliger Verzicht auf politische Zeigefinger-Rhetorik. Denn Suzie Washington ist vor allem ein extrem spannender, berührender, auch komischer Film über eine Frau auf der Flucht; eine Frau, die Risken eingeht und vor Gesetzesübertretungen nicht zurückschreckt, um aus ihrer vom Bürgerkrieg zerstörten Heimat auszubrechen.
Zerrissen zwischen bildschönen Landschaftsaufnahmen und den gehetzten Versuchen Nanas, dieser Landschaft zu entkommen, hofft der Zuschauer leidenschaftlich auf einen Ausweg aus der verzweifelten Lage. Mit seinen präzise agierenden Darstellern (allen voran: eine mitreißende Birgit Doll) und der absolut schlüssigen Dramaturgie erweist sich Suzie Washington jedenfalls schon lange vor Filmende als Lichtblick für das österreichische Kino. (Alexander Dumreicher-Ivanceanu, aus "blimp:diagonale" (März 1998))

Holidays Are Over
Suzie Washington erzählt die Geschichte einer Reise. Das Ziel, Los Angeles, liegt jenseits des Films. Der direkte Weg dorthin wird gleich zu Beginn unterbunden, Nana Iaschwili in der Transit-Zone eines Flughafens festgesetzt.(...)
"I'm not a criminal, I am a tourist." und "I do not want to stay in Austria." Unter diesen Bedingungen sind Aufmerksamkeit und Wendigkeit gefordert. Die Reise ist ein Lernprozeß, eine Übung in Unauffälligkeit, Vorsicht, beobachtender Teilnahme und schneller Reaktion. Nanas Fahrt ist weder ein spektakuläres noch ein romantisches Abenteuer (Action und Romantik sind in Suzie Washington weitgehend Männern vorbehalten und führen stets ins Leere). Nana hält sich illegal in einem fremden Land auf, sie hat keine Papiere, keine Ortskenntnisse, keine Bekannten, bald kein Geld mehr, und sie spricht auch nicht die Landessprache. Nana kann Englisch, die Gespräche, die sie führt, sind notwendige, taktische Manöver, häufig erschwert durch die mangelnden Fremdsprachenkenntnisse ihres Gegenübers. Es gibt wenig Dialog, keinen eingehenderen Austausch von Befindlichkeiten, die Kontakte bleiben flüchtig, Nana ist unterwegs. Den Totalen von offener Landschaft, scheinbar grenzenlosen Räumen, steht immer schon die Tatsache gegenüber, daß Nana darin gefangen ist.
In ihrer Heimat hat sie Russisch und Französisch unterrichtet, letzteres ein privilegiertes Wissen, das zu einem späteren Zeitpunkt des Films seinen finalen Schachzug einleitet, wenn Jacqueline Duron mit einer französischen Wandergruppe in der Berghütte halt macht, wo Nana nah an der deutschen Grenze auf eine Gelegenheit zum Weiterkommen wartet. (Isabella Reicher) Interview mit Florian Flicker, Regisseur & Drehbuchautor
Was hat Sie an Suzie Washington besonders interessiert?
Ausgangspunkt war die Idee, einen Film zu machen über die Gegend, in der ich aufgewachsen bin. Eine Gegend, die von ihrer schönen Oberfläche lebt und sehr geprägt ist vom Tourismus. Der Schauplatz des klassischen Heimatfilms: das Salzkammergut. Dieses Österreich der neunziger Jahre wollte ich mit den Augen eines Fremden betrachten. Ein Mensch verläßt seine zerstörte Heimat auf der Suche nach einer neuen, kommt zufällig in "mein" Österreich und muß sich dort unter widrigen Umständen zurechtfinden. Insofern ist Suzie Washington für mich ein Heimatfilm, im wörtlichen Sinn.
In einer sehr frühen Drehbuchfassung war die Hauptfigur ein ägyptischer Taxifahrer. Dann spielte ich mit der Idee, alle Figuren im Buch geschlechtlich umzuwandeln, ohne aber die Struktur des Drehbuchs zu ändern. Aus dem Taxifahrer wurde Nana. Über sie zu schreiben fiel mir leichter. Ich bin unter Frauen aufgewachsen. Männer gab es nur als Besucher. Alle Frauen in meiner Familie lebten alleine, nur fallweise und - im wörtlichen Sinn - vorübergehenderweise gab es Männer. Meine Großmutter, meine Tante, meine Mutter, meine Schwester. Sogar der Hund, mit dem ich aufgewachsen bin, war weiblich. Als ich beim Schreiben stockte, bat ich Michael Sturminger, mit dem ich Halbe Welt geschrieben hatte, um Hilfe, und gemeinsam entwickelten wir die Geschichte weiter, bis ich wieder Land sah und alleine weiterschreiben konnte. Ich wollte mich auf die Menschen konzentrieren, sie sind der Film, ihre Gesichter, ihre Gesten, ihre Dialoge. Deshalb drehten wir den Film mit einer Handkamera, die den Figuren so nah wie möglich zu folgen hatte.
Diese Frau, von der Sie erzählen, hat wenig Geschichte, der Zuschauer erfährt wenig von ihrer Vergangenheit.
Sie ist fremd, und das reicht, um es kurz zu sagen.
Für mich ist das realistische Flüchtlingsschicksal nur die Basis, auf der die Geschichte des Films aufbaut, die Zündung des Motors sozusagen. Nana, aus dem Osten kommend, betritt in dem Moment, in dem sich ihr am Flughafen die Tür zur Freiheit öffnet, ein Wunderland, wenn es auch nicht Amerika heißt.
Natürlich hat der Film einen gesellschaftspolitischen Bezug, vor allem was den Umgang mit unerwünschten - weil nicht zahlungsfähigen - Fremden betrifft. Hier war mir wichtig, daß Nana auf keine a priori ausländerfeindlich gestimmten Menschen trifft, das wäre zu einfach gewesen. Der Fischer, die Wirtin, der Fernfahrer, der Hüttenwirt - alle sind sie in politischer Hinsicht liberal, aber sie können Nana nicht helfen, weil sie nicht aus ihrer Haut heraus, nicht über ihren Schatten springen können. Auch der Hüttenwirt - so sehr er sich zu Nana hingezogen fühlt - treibt ein doppeltes Spiel, spielt mit verdeckten Karten. Dieser Wesenszug im Menschen ist in gewisser Hinsicht Motor der Geschichte. Im Laufe der Recherchen stieß ich auf einen Ausspruch Stalins, der mich sehr beeindruckt hat und in zynischer Weise eine Wahrheit ausspricht: "There is a man. There is a problem. There is no man. There is no problem."
Gab es Vorbilder für Suzie Washington?
Es gab so etwas wie Eckpfeiler, innerhalb derer ich mich bewegen wollte. Ein abgegrenztes Spielfeld. Zu diesen Eckpfeilern gehört auf jeden Fall der Film Wanda von Barbara Loden aus den frühen siebziger Jahren. Das Portrait einer amerikanischen Frau, die Heim und Familie verläßt und sich auf eine Suche begibt - ohne Ziel. Obwohl Wanda und meine Protagonistin Nana keine Ähnlichkeiten haben, weder im Charakter noch in ihrer Geschichte, haben mir Machart und Stimmung des Films sehr gefallen.
Eine zweite Quelle, die für die Atmosphäre des Films wichtig war, ist Alice im Wunderland. Wie Suzie Washington ist es die Geschichte einer Emigrantin. Vielleicht könnte man sogar einige Figuren aus Alice - den eiligen Hasen, den Eierschädel Humpty-Dumpty oder auch die unsichtbar werdende Katze, von der nur das Lächeln zurückbleibt - bestimmten Figuren meines Films zuordnen.
Der Film The Sound of Music ist thematisch gesehen, könnte man sagen, die Großmutter von Suzie Washington. Dort, wo vor 30 Jahren The Sound of Music gedreht wurde, suchen auch heute noch Menschen wie Nana einen Fluchtweg in die "Neue Welt". In Suzie Washington findet sich dazu ein Zitat: Der Bus, mit dem Nana zum Sessellift gebracht wird, trägt die Aufschrift The Sound-of-Music-Tour. Es ist einer jener Busse, die heute noch Scharen von Touristen an die Drehorte von The Sound of Music bringen. Da schließt sich ein Themenkreis. - Letztlich geht es bei fast allen Figuren des Films um eine Art von Einsamkeit. Das zeigt sich auch in den Dialogen. Die Sprachlosigkeit, mit der die Menschen aufeinandertreffen, das babylonische Wirrwarr der verwendeten Sprachen spiegelt ihr Gefangensein in sich selbst, ihre Schwierigkeit, sich mitzuteilen.
Nach welchen Kriterien besetzten Sie den Film?
Sobald ich Nana vor mir hatte, war mir klar, daß Birgit Doll sie spielen mußte. Ich war immer schon ein großer Bewunderer ihrer Arbeit und war sehr froh, als sie sich interessiert zeigte. Sie hat dann über ein Jahr lang die Entwicklung des Drehbuchs verfolgt und auch beeinflußt, indem sie jeweils aktuelle Fassungen gelesen hat. Erst kurz vor Drehbeginn begannen wir konkret mit der Arbeit an der Figur der Nana.
August Zirner dreht viel in Deutschland. Ich fand ihn immer so seltsam in diesen Filmen, verhangen in einer Komik, als wäre sie ihm gar nicht bewußt. Das wollte ich bei der Figur des Herbert Korn haben. Ich schickte ihm das Drehbuch, er rief mich an und sagte, er würde sehr gern mitarbeiten, allerdings würde er gerne die Nana spielen. Die Rolle sei bereits besetzt, erwiderte ich. Ja, dann würde er gern den Herbert Korn und den Hüttenwirt spielen. Eine Doppelrolle sei doch dramaturgisch sehr interessant, zumal man maskentechnisch sehr phantasievoll arbeiten könne. - Da war schon diese Komik, und wir einigten uns. Wolfram Berger fand ich in Max Linders Stille Wasser sehr gut und hoffte auf diese Intensität. Wir trafen uns in einem Café, nach drei Sätzen war alles klar, und wir gingen wieder heim.
Wohin wird Sie Ihre Suche als Filmemacher führen?
Zum nächsten Film, hoffentlich. Und hoffentlich bald.

Wer aufbricht, kommt verändert an: Dieses alte Versprechen der Reise wird in der Gegenwart oft in sein Gegenteil verkehrt, wenn Menschen mit falschen Ausweisen über Grenzen möchten, die ihnen versperrt sind.
Nirgends wird die kalte, funktionelle Dramatik dieser Zusammenhänge besser anschaulich als auf Flughäfen, die über weitläufige Areale perfekte Binnenmärkte organisieren, durch die man auf Einbahnstraßen geschleust wird, von denen es keine Abzweigung gibt.
Der Auftakt von Florian Flickers zweitem Spielfilm Suzie Washington (nach dem Science-fiction-Film Halbe Welt) ereignet sich folgerichtig in Wien-Schwechat: Nana, eine Frau aus einem ehemals sowjetischen Land, „das gerade Selbstmord begeht“, will nach Los Angeles. Ihr Visum ist gefälscht, das entgeht dem geübten Blick der Schalterbeamtin nicht. Nana wird in den Transitbereich gebracht, ihre Flucht aus dem Flughafen inszeniert Flicker als einen kleinen Thriller, sehr filmisch, wenn etwa Nana aus einer Tür tritt, kurz läuft, von einer Touristengruppe aufgehalten wird, die sie dann aber gerade mit der Gleichgültigkeit moderner Passanten einfach mitschwemmt. Nana ist frei.
Im Verlauf des Films durchquert sie Österreich von Osten nach Westen, vom Flachland bis in die Alpen. Sie wechselt ihre Namen, aber sie behält ihr Ziel bei: Deutschland, denn Los Angeles ist unerreichbar.
Die Stationen auf Nanas Reise in die Freiheit: Autobahnparkplätze, Sessellifte, Hütten nahe der grünen Grenze. Birgit Doll spielt die Frau so, wie sie uns die Umgebung zeigt: Skeptisch, sehr konzentriert auf Gelegenheiten wartend, die sich ergeben. Dazu ein Rest Staunen darüber, daß auch in dieser Situation noch kleine, komische Intermezzi die grundsätzliche Irritation unterbrechen.
Einer der besten Momente gelingt Flicker dort, wo ein wenig souveräner Mann die schutzbedürftige Frau zum Essen einlädt: Weit davon entfernt, die Situation auszunützen, spielt er den Kavalier, der er nicht ist, und als er über den Unterschied zwischen Palatschinken und Kaiserschmarren einen Witz machen will, zerfetzt er die Süßspeise mit einer so ungelenken Dramatik, daß Nana, die kein Wort versteht, wohl nur sein Lebensungeschick versteht.
Nicht nur hier, sondern auch in den Hüttenszenen mit dem großartigen Wolfram Berger zeigt der Film Suzie Washington, daß mit guten (und gut geführten) Schauspielern sich sogar Surrealismus und Humanismus vertragen: Durch eine milde Gabe bleibt es Nana erspart, daß sie Suzie Washington bleiben muß. Ab Freitag auch regulär im Kino. Bert Rebhandl, DER STANDARD, 25/3/1998)

In der Geschichte des österreichischen Films haben Verlorene ihren festen Platz. Florian Flickers Suzie Washington ist ein Heimatfilm, der die Geschichte einer Verlorenen erzählt, ein Film aber, der das Genre neu zu lesen versucht und dabei zwischen politischer Stellungnahme und Unterhaltung keine klare Trennlinie mehr zieht. Nicht nur deswegen ist Suzie Washington ein sinniger Eröffnungsfilm für die Diagonale '98, für ein Filmfestival, das Kultur, Geschichte, Politik und Heimatkunde betreiben will: Flicker erzählt von der Flucht einer Illegalen, gespielt von Birgit Doll, quer durch ein Österreich, dessen Grenzen dicht und dessen Menschen, zwischen Querulantentum und Anteilnahme, nicht leicht einzuschätzen sind. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 24/3/1998)

Die stillen Momente auf der Flucht. "Suzie Washington", Florian Flickers schöner neuer Film, beweist, daß es für das große österreichische Kino ein Leben nach dem Tod gibt.
Nichts paßt besser ins Kino als Fluchtgeschichten. Nicht nur das US-Actionkino profitiert von den Bewegungsmöglichkeiten der ständigen Ortsveränderungen und close escapes, auch Europas Filmemacher wissen die alten Spiele vom Verfolgen, Verstecken, Entkommen zu nutzen. Im Wort Laufbilder läuft, buchstäblich, vieles zusammen: Das Erzählkino und die Bewegung gehören definitiv zueinander. Suzie Washington, der (nach Halbe Welt) zweite Spielfilm des jungen Regisseurs Florian Flicker, ist aber mehr als ein Film, dem die reine Bewegung am Herzen liegt. In Österreich lassen Fluchtgeschichten eben stets auch an Geschichte und Politik, an historisches Leid und aktuelle Einwanderungsrestriktionen denken.
In Suzie Washington ist eine Frau in Österreich unterwegs, verfolgt von den Behörden, die sie eine Illegale nennen, weil sie aus der ehemaligen Sowjetunion stammt und ihr Amerikavisum gefälscht hat. Sie will nicht bleiben, aber noch weniger zurück in ihr Land geschoben werden. Sie werde in ihrer Heimat nicht getötet werden, sagt ihr ohne besondere Regungen die Frau, die ihre Daten in einem Büro in der Transitzone am Flughafen Wien-Schwechat aufnimmt. Ob sie denn da sicher sei, entgegnet die Reisende. Sie erhält keine Antwort. Ein Zufall, ein paar unbeobachtete Sekunden ermöglichen ihr wenig später die Flucht: Sie nimmt einen Bus, irgendeinen, und blufft sich mit gebrochenem Englisch, geborgtem Namen und ein paar hundert Dollar ins Freie, in einen Wald, in den Wagen eines Schiebers, ins Gebirge, hinter dem, gleich drüben, wie man ihr sagt, ein anderes Land liegt, in dem man ihr vielleicht nicht auf den Fersen sein wird.
Suzie Washington ist eine sehr klare, sehr einfache Erzählung, die ihren Unterhaltungswert einer politischen Botschaft keineswegs unterordnet. Flicker bezieht sich, ohne eine große Sache daraus zu machen, auf Österreichs filmische Traditionen, auf den alten Berg- und Heimatfilm, der sein Amüsement, Suzie Washington gar nicht unähnlich, ja auch oft aus Verwechslungen unter freiem Himmel, aus heimatlichen Schauwerten und österreichischen Zuständen destillierte.
Was Flickers Film allerdings grundlegend von den Wegwerffilmen der fünfziger und sechziger Jahre unterscheidet, ist sein Verzicht auf billigen Slapstick und sein grundsätzlich genauer Umgang mit den Akteuren. Birgit Doll trägt als Titelheldin, in einer couragiert zurückhaltenden Performance, den größten Teil der Last dieser Geschichte. Aber ihr stehen kongeniale Mimen zur Seite, die man so differenziert schon lange nicht mehr im Kino gesehen hat: August Zirner als linkisch verliebter Urlauber; Wolfram Berger als rauher Hüttenwirt; Karl Ferdinand Kratzl als flüchtiger Kleinkrimineller. Suzie Washington ist, was man einen großen Schauspielerfilm nennen könnte. Dieser Tatsache ist es zu danken, daß Flicker der Groteske, der Freak-Show, auf die sich so viele österreichische Spielfilme, der angeblichen heimatlichen Skurrilität zuliebe, gern zurückziehen, konsequent aus dem Weg zu gehen versteht.
Flickers Heldin ist eine Figur, die sich von der realen Existenzbedrohung - ein wenig wie der Filmemacher selbst - ihren Hang zur lyrischen Weltsicht nicht austreiben läßt: Sie hält, auf der Flucht vor der Fremdenpolizei, immer wieder an und bringt die Geschichte für ein paar schöne Momente zum Erliegen. Im Wald, im Laufen etwa findet sie eine kleine Figur, ein Marsmännchen aus buntem Plastik. Sie betrachtet das Spielzeug lange, als sähe sie auf sich selbst: auf eine Fremde, einen verlorenen, deplazierten Körper, den nur der Zufall vor dem Verschwinden retten kann. Die kluge, verhaltene Inszenierung spielt, parallel zur Erzählung, mit Parodoxien: Suzies weitgehende Sprachlosigkeit (in Österreich) trifft auf die Tatsache, daß sie eigentlich Sprachlehrerin ist, in deren Repertoire nur leider Deutsch nicht zu finden ist. Und wie man sich im weiten ländlichen Raum, im Vollbesitz seiner Bewegungsfreiheit trotz allem eingesperrt fühlen kann, demonstriert Flicker mit der ihm eigenen Sanftheit.
Neben Goran Rebics Jugofilm scheint Suzie Washington eine unerwartete neue Stille im heimischen Spielfilm möglich zu machen, der so lange von hysterischem Kabarett und peinigender Depression geprägt war. Die Fluchtbewegung dieses Films führt nicht nur Suzie in eine bessere Zukunft, sondern am Ende auch sein Publikum in eine schöne Utopie von einem kommenden anderen erzählerischen Kino. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 28/3/1998)

In Brigit Dolls Gesicht kreuzen sich zwei Züge; die stellen nach Bedarf die Weichen zum erforderlichen Stimmungswechsel. Einerseits der Leidenszug zarter Verhärmung. Andererseits jene Grübchen und Falten, die noch im Ernst verräterische Spuren ihres bezaubernden Lächelns zurücklassen. Dieses wunderwandelbare Gesicht trägt hier diese Erzählung kleiner Episoden einer großen Flucht oft ganz allein. Ohne die Doll wäre das Unternehmen vernachlässigbar wie viele einerseits gutgemeinten und andrerseits nicht gut genug gemachten Austrofilme vor ihm, etwa so läßlich wie die gleichnamige Sünde.
Nur weil ein Produkt politisch korrekt ist, muß man es nicht gleich als von Greenpeace weltweit geschützt betrachten. Also wollen wir doch nicht so tun, als hätten wir die etwas lächerliche Naivität nicht bemerkt, die bei dieser Österreich-Odyssee einer illegalen russischen Emigrantin auf dem Weg nach den USA vergebens mit Anstand um Glaubwürdigkeit kämpft. Immer der rosa Markierung vorsätzlicher Sozialromantik nachwandernd, die in den Konzepten für eine Filmförderung und Jurybegründungen für Festivalpreise so viel verspricht und an den Kinokassen so wenig hält. Krüppel haben etwas Rührendes und deshalb mag man von diesem treuherzigen Flüchtlingsroadmovie durchaus bewegt werden: Regisseur Flicker verstümmelte hier Heimatfilm, Flüchtlingsdrama und Ballade zum zwitter- bzw. dritterhaften Kunstprodukt ohne definierten Charakter, aber mit Emotionswert.
Die Nebulosität mildern Unverkampfheit, salzkammergute Naturschönheiten und glaubwürdige Charakterstudien wie Bergers einsamkeitskranker Hüttenwirt. Am Ende steht dennoch nur die eine, schwerwiegende Frage: wer flüchtet hier schneller, Suzie oder das Publikum. (Rudi John, KURIER)

Siehe IMDb

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UN AIR DE FAMILLE (UN AIR DE FAMILLE)

F 1996. 110 Min
Regie: Cédric Klapisch, Buch: Agnès Jaoui, Jean-Pierre Bacri, Cédric Klapisch nach dem Stück von Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri, Kamera: Benoit Delhomme, Schnitt: Francine Sandberg, Darsteller: Jean-Pierre Bacri (Henri), Agnès Jaoui (Betty), Jean-Pierre Darroussin (Denis), Catherine Frot (Yolande), Claire Maurier (Die Mutter), Wladimir Yordanoff (Philippe)
Kinostart: 27/3/1998

UN AIR DE FAMILLE ist ein Film über die Gesellschaft, auf mehreren Ebenen. Das, was an diesem Abend in Henris Bistrot passiert ist ein Abbild der Gesellschaftsstrukturen im Allgemeinen. Man sieht, wie eine Familie gleichzeitig aus Zugehörigkeit und aus Unabhängigkeit besteht. Die Aufgabe der Eltern ist es, den Kindern Selbständigkeit beizubringen, also fortzugehen. Der Film behandelt wesentliche Ereignisse, die jeder kennt und erstreckt sich in einfacher Weise über die ganze Gesellschaft. Die Leute erkennen sich jenseits des Lachens wieder.
Als ich dieses Projekt begonnen habe, hat man mir gesagt, ich sei verrückt, ein Theaterstück verfilmen zu wollen, das könne doch nur abgefilmtes Theater ergeben. Ich bin mit dieser Ansicht nicht einverstanden. Ein Theaterstück ist für einen Regisseur wie ein musikalisches Werk für einen Dirigenten: die Partitur muß respektiert werden, aber es gibt unendlich viele Arten, sie zu interpretieren. Für mich war bei einem Stück von dieser hohen Qualität der wichtigste Anspruch, Kino zu erzeugen. Auch wenn oftmals die Tatsache einer fertigen Textvorlage eine Einschränkung darstellte, hat mir das paradoxerweise viel mehr Freiheiten gegeben, als ich mir am Anfang vorgestellt hatte. Es gab nicht mehr das Problem des Texts, also konnte ich meine ganze Energie auf die Arbeit des Regisseurs konzentrieren: den Schnitt, das Licht, die Bildausschnitte, die Arbeit mit den Schauspielern, ... Jede Szene mußte mit größtem Erfindergeist angegangen werden. Das Kino erlaubt es, kleinste Details herauszuarbeiten, die beim Theater meistens unbemerkt bleiben. Mit den Schauspielern mußten wir jede Bewegung, jeden Blick auf beinahe chirurgische Weise neu definieren und die Automatismen brechen, die sich während neun Monaten Spielzeit ergeben hatten. Zu Beginn des Drehens mußte diese Methode wohl für sie sehr verunsichernd sein, aber ab dem Zeitpunkt, wo sie sie akzeptiert hatten, war ihre Bühnenerfahrung sicher ein Atout. Die Schwierigkeiten des Texterlernens hinter sich, konnten sie mit bester Kenntnis der Personen in ihrer Interpretation viel weiter gehen. Ich glaube, daß es Dank dieser genauesten Arbeit dem Film gelingt, genauso witzig wie das Stück zu sein und dabei gleichzeitig noch ergreifender. Und das Gefühl ist schließlich die Essenz des Kinos. (Cédric Klapisch)

"UN AIR DE FAMILLE handelt von der überaus durchschnittlichen Familie Ménard und ihrem allwöchentlichen Familienabend mit Muttern. Kaum sind die Begrüßungsrituale verbraucht, werden die in jahrelangem Stellungskrieg erprobten Positionen eingenommen. Zwar gibt es im Verlauf des Abends wechselnde Allianzen, aber grundsätzlich kämpft jede und jeder für sich. Die Mutter verschanzt sich hinter ihrem Vorzeigesohn Philippe, der es zu Karriere und Familie gebracht hat. Einsam ficht Sohn Henri, ein notorischer Griesgram, der mehr schlecht als recht die Quartierkneipe "Au père tran- quile" betreibt. Töchterchen Betty verspielt ihren Nesthäkchen-Bonus, indem sie, ihren dreißig Jahren zum Trotz, die pubertäre Querulantin markiert. Yoyo, das naive, überangepaßte Ding an Philippes Seite, stöckelt, einmal von der Leine gelassen, zielsicher in jedes Fettnäpfchen. Und der zurückhaltende Kellner Denis, der sich über Betty um Familienanschluß bewirbt, übt sich schon mal im Einstecken der Hiebe. So richtig in Fahrt kommt die Runde doch erst, als sie erfährt, daß Henri von seiner Frau verlassen wurde, Betty sich mit ihrem Chef verkracht hat und Philippe seinenFernsehauftritt für die Firma gründlich vermasselte. ..." (Matthias Rüttiman, Berner Zeitung)

"Mit Familiengeschichten ist es so eine Sache: Niemand möchte sie hören, weil alle sie kennen, und doch ist man erleichtert zu wissen, daß sie überall in ähnlich apokalyptischen Bahnen verlaufen. Cédric Klapischs UN AIR DE FAMILLE setzt auf den Wiedererkennungseffekt. Und er gewinnt. Der vierte Film des französischen Regisseurs ist eine Phänomenologie familiärer Verstrickungen, die mit viel Elan und Häme daherkommt. Trotz Ironie verrät Klapisch seine Protagonisten aber nicht, sondern nimmt sie ernst - so ernst, daß er ihnen am Ende eines langen Familienfolter-Abends schließlich doch noch die Hoffnung auf eine kleine Veränderung läßt.
Die Ménards sind eine ganz normale Familie. Jeden Freitagabend treffen sie sich in Henris verstaubter Provinz-Kneipe, um anschließend gemeinsam essen zu gehen: Eine mondäne Mutter (Claire Maurier), die sich nur um Philippe (Wladimir Yordanoff), den braven Aufsteiger-Sohn kümmert; Henri (Jean-Pierre Bacri),das schwarze Schaf der Familie; Betty (Agnès Jaoui), die Rebellin des Clans, die ein Verhältnis mit dem rehäugigen Barkeeper Denis (Jean-Pierre Darroussin) hat, sowie Philippes Frau Yolande (Catherine Frot), die mit nölender Stimme an den Nerven aller Anwesenden sägt. Sie verbringen einen schrecklich netten Abend miteinander. Aber irgendwann einmal sackt das schwache Gerüst an Respekt in sich zusammen. Zurück bleiben die Trümmer einer Zusammenkunft und eine bescheidene Weisheit, mit der Klapisch schon in Chacun cherche son chat bezaubert hat: daß auch in der tiefsten Verzweiflung viel Zärtlichkeit für die kleinen Dinge stecken kann." (Basler Zeitung)

Die Ménards sind eine ganz normale Familie. Jeden Freitagabend treffen sie sich in Henris verstaubter Provinz-Kneipe, um anschließend gemeinsam essen zu gehen: Eine mondäne Mutter (Claire Maurier), die sich nur um Philippe (Wladimir Yordanoff), den braven Aufsteiger-Sohn kümmert; Henri (Jean-Pierre Bacri),das schwarze Schaf der Familie; Betty (Agnès Jaoui), die Rebellin des Clans, die ein Verhältnis mit dem rehäugigen Barkeeper Denis (Jean-Pierre Darroussin) hat, sowie Philippes Frau Yolande (Catherine Frot), die mit nölender Stimme an den Nerven aller Anwesenden sägt. Sie verbringen einen schrecklich netten Abend miteinander. Aber irgendwann einmal sackt das schwache Gerüst an Respekt in sich zusammen. Zurück bleiben die Trümmer einer Zusammenkunft und eine bescheidene Weisheit, mit der Klapisch schon in Chacun cherche son chat bezaubert hat: daß auch in der tiefsten Verzweiflung viel Zärtlichkeit für die kleinen Dinge stecken kann." (Basler Zeitung)

"So unterschiedlich der improvisierte und teilweise mit Laien auf den Straßen von Paris realisierte Chacun cherche son chat und der im Studio mit der Theaterbesetzung streng nach Storyboard umgesetzte UN AIR DE FAMILLE auch sein mögen, gibt es doch auch Gemeinsamkeiten.
Die auffallendste: Daß beide Filme von einem Regisseur gemacht worden sind, der die Schauspielerinnen und Schauspieler hervorragend zu führen weiß. In beiden Filmen sind die darstellerischen Leistungen nahezu perfekt, in beiden Filmen wirken die Figuren überaus plastisch und realistisch. In UN AIR DE FAMILLE tritt Cédric Klapisch übrigens selber auch als Schauspieler auf. Er ist der verstorbene Vater, der in den Erinnerungen der Familienmitglieder weiterlebt. Auch er, so spürt man, hat gerne unter seiner Regie gespielt." (Thomas Allenbach)

Normaler Wahnsinn unter Verwandten - Cédric Klapischs Film „Un air de famille“
People have the power. Ausgerechnet Patti Smith singt zu Anfang ausgerechnet dieses Lied aus der defekten CD-Jukebox. Später im Verlauf des Films wird der Kellner, der zunächst zu dieser Nummer noch den Besen schwingt, die verhaltene Yolande, Schwägerin seines Patrons, zum Tanz auffordern, dabei wunderbar entspannt eine andere Seite ihres Wesens ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken und den Groll ihres dominanten Ehemannes einfach ignorieren.
Auf insgesamt sechs Personen konzentriert sich Un air de famille, der dritte Kinofilm des Franzosen Cédric Klapisch (Jeder sucht sein Kätzchen): Henri (Jean-Pierre Bacri) führt ein kleines Vorstadt-Bistro, das bessere Tage gesehen hat. Gemeinsam mit seinem Angestellten Denis (Jean-Pierre Darroussin) bereitet er sich wie jeden Freitag auf die Ankunft seiner Familie vor: Mutter, Schwester und Bruder samt Ehefrau. Am Ende des Abends wird nicht allzuviel passiert sein. Un air de famille handelt gerade nicht von einem alles entscheidenden, sondern von einem ganz gewöhnlichen Familientreffen.
Demgemäß gibt es kein großes Psychodrama, sondern viel kleine Dramolette, die von feiner Beobachtung zeugen. Der Film basiert auf einem Bühnenstück von Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri. Klapisch hat im Team mit den beiden, die unter anderem bereits Smoking/No Smoking für Alain Resnais adaptierten, das Drehbuch verfaßt und sie auch gleich als Bruder und Schwester besetzt.
Der Film verleugnet seine theatrale Herkunft nicht. Im Mittelpunkt stehen die Figuren und ihre hervorragenden Darsteller. Die familiäre Begegnung findet nach bekannten Mustern statt, innerhalb derer jede Person ihre Rolle erfüllt oder eben nicht, und dann gibt es ein Problem. Kleine Scharmützel zwischen Mutter und Tochter, diverse Scheinallianzen, das Überhören Henris oder das Übergehen Yolandes ereignen sich wie nach stiller Übereinkunft.
Der Inszenierung gelingt es die meiste Zeit über, das Geschehen im Lokal mittels Spiegel- oder Durchblickkonstruktionen in filmischer Bewegung zu halten. Bemerkenswert in Timing und Beiläufigkeit sind dabei nicht zuletzt die wenigen, kurzen Szenen, in denen dieser Schauplatz verlassen wird: Henri tritt vor die Tür, geht über die Straße und kommt nach einem Innehalten wieder zurück; seine Mutter macht mit Gefolge eine kleine kritische Runde durch den Garten hinterm Haus. Alles ganz alltäglich, alles ganz bekannt – die „gewisse Familienähnlichkeit“ beschwört der Titel nicht nur in bezug auf seine Filmfamilie. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 31/3/1997)

Krawattensorgen, Eheurlaub: Verflixter Freitag im Schoß der Familie. "Un air de famille": Nach dem einzigartigen Alltags-Märchen "... und jeder sucht sein Kätzchen" inszenierte Cédric Klapisch ein herzzerreißend komisches Familien-Dramolett.
Der Freitag ist ein besonderer Tag. Denn am Freitag schließt Henri (Jean-Pierre Bacri) sein kleines Wirtshaus früher als sonst und zieht seinen "Freitags-Pulli" an. Am Freitag ist Familienabend, der Abend, an dem Henri mit Mutter, Bruder und Schwester zum Essen ausgeht - jeder natürlich mit Anhang (sofern vorhanden).
Un air de famille beginnt am späten Nachmittag eines dieser Freitage. Nichts deutet darauf hin, daß der Abend anders verlaufen wird als all die Familienabende davor (von denen man keinen einzigen gesehen haben muß, um sie allesamt zu kennen). Ein wenig Aufregung vielleicht, weil Denis (Jean-Pierre Darroussin), der Wohlgeratene der beiden Brüder, einen Zwei-Minuten-Auftritt in einem TV-Interview hat. Oder weil Betty (Agnes Jaoui), die vorlaute Schwester, ihrem Vorgesetzten endlich die Meinung gesagt hat. Oder weil Henris Frau noch immer nicht da ist, als der Rest der Familie schon in dessen Wirtshaus eingetrudelt ist und des üblichen Lokalwechsels harrt...
Dem gemütlichen Abend allerdings, dem die Familie große Bedeutung zuzumessen scheint, und von dem sie sichtlich doch auch alle ein bißchen genervt sind, sollte nichts mehr im Wege stehen. Während ihres etwas ungeduldigen Wartens auf Henris Frau beginnen sich die vorher skizzierten Personen - der laute, mürrische Henri, der selbstgefällig joviale Denis, die dickköpfige Betty, die matronenhaft hektische Mutter - im Licht ihres familienspezifischen Rollenspiels facettenreich zu verfärben.
Mit treffsicherem Blick für Details beobachtet Cédric Klapisch vertraute Formen familiärer Kommunikation: die subtilen Nörgeleien und Vertrauensbekundungen; die Scherzchen, die jeder schon zu kennen scheint; die mit argloser Geste plazierten Beleidigungen. Als Zentrum des familiären Zusammenhalts, zugleich als Schnittstelle des familiären Nervensystems agiert dabei die Mutter: Sie teilt die kleinen und großen Hiebe aus, die von den anderen entgegengenommen, weitergegeben und - seltener - souverän aufgefangen oder zurückgegeben werden: Denis muß sich zum x-ten Mal anhören, daß die Krawatte nicht paßt; Betty, daß sie mit 30 noch immer keinen Mann hat; und Henri - ach ja, Henri - , der hat schon als Kind alles falsch gemacht.
Eigentlich war Henris Wirtshaus nur als Durchgangs-Station auf dem Weg zum Abendessen gedacht. Doch es entwickelt es sich mehr und mehr zur Bühne, auf der sich die Wartenden in ihren eingespielten Rollen als Familienzugehörige zu bewähren bzw. aus ihnen auszubrechen versuchen.
Tatsächlich wurde das Szenario von Un air de famille für die Theaterbühne geschrieben - von Agnés Jaoui und Jean-Pierre Bacri, einem Duo, dessen schonungslos gesellschaftsanalytischen Humor und Gespür für Alltags-Dramatik Frankreichs Filmregisseure längst zu schätzen gelernt haben. Für das von Alain Resnais' verfilmte Drehbuch von Smoking/No Smoking erhielten sie vor vier Jahren den französischen Oscar-Bruder César; für die Verfilmung eines weiteren Jaoui-Bacri-Drehbuchs - On connait la chanson - bekam Resnais bei der Berlinale den Silbernen Bären. In Un air de famille sezieren die Autoren nun Familien-"Normalität" durch die pointenreiche Zuspitzung von Ausnahme-Situationen.
Da ist dieser Fernsehauftritt von Mutters Liebling, über den den ganzen Abend geredet wird, weil Denis die in leere Lobesfloskeln gepackte Kritik seiner Familienmitglieder nicht aus dem Kopf geht. Dann die peinliche Sache mit Henris Frau, die ihrem Gatten ausgerechnet an diesem Abend per Telefon eröffnet, daß sie sich von ihm eine Zeitlang zu beurlauben gedenkt - was Henri der Familien verschweigt, weil er sich vor ihrem "Mitgefühl" fürchtet.
Und schließlich der als lästige Formsache abgehakte Geburtstag von Denis' Frau Yolande (Catherine Frot), die am Ende dieses Abends (ziemlich beschwipst) ihre Schwägerin Betty um deren in den Augen der Familie bisher nicht existenten Mann beneiden wird: Henris zurückhaltenden Kellner Philippe (Wladimir Yordanoff), der sich in seiner Rolle als stiller Beobachter weit mehr als beabsichtigt ins Geschehen zu mischen - und das Selbstverständnis der Familie aufzumischen beginnt.
Die Figur des Philippe schließlich ist die Verkörperung jener delikaten Mischung aus Involvement und Distanz, die Klapischs vergnügt analytischen Blick auf die Freitags-Familie prägt. Die beste Familie, sagt Cédric Klepisch mit seinem Philippe augenzwinkernd, ist eben immer die, die einem auf Anhieb vertraut ist, mit der man aber nicht unbedingt etwas zu tun haben muß. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 28/3/1998)

"Konflikt ist Drama", lautet die erste Regel des Drehbuchschreibens. Hier wird sie gnadenlos befolgt. Eine Großfamilie trifft sich im Restaurant zu Schmaus und Tratsch, doch rasch wird ein rabiater Streit draus. 110 Minuten Konflikt pur, und das ist ein Drama - allerdings nicht von der Art, die Kino zum Erlebnis macht. Denn während es zur Kunstform Film gehört, die Realität aus einem Zerrspiegel zu betrachten, wird hier das wirkliche Leben quasi in Echtzeit abgepaust. Beziehungs-Knatsch, Jobprobleme, Reibereien zwischen Jung und Alt - all das, was den Leuten den Alltag verbiestert, kommt hier konzentriert zur Sprache. Der Film des Franzosen Cedric Klapisch ist professionell gemacht und ordentlich gespielt. Der sittliche, sinnliche oder sonstige Nährwert bleibt allerdings gering. (Gunther Baumann, KURIER)

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MÄUSEJAGD (MOUSEHUNT)

USA 1997. 97 Min
Regie: Gore Verbinski, Buch: Adam Rifkin, Musik: Alan Silvestri, Kamera: Phedon Papamichael, Schnitt: Craig Wood, Darsteller: Nathan Lane (Ernie Smuntz), Lee Evans (Lars Smuntz), Vicki Lewis (April Smuntz), Maury Chaykin (Alexander Falko), Eric Christmas (Anwalt), Michael Jeter (Quincy Thorpe)
Kinostart: 27/3/1998

Nathan Lane ("Birdcage") erbt eine alte Schnurfabrik und ein altes Haus mit einer schweren Hypothek. Die Firma darf er nicht verkaufen, das mußte er seinem Vater versprechen. Als er das unter Denkmalschutz stehende und sehr wertvolle Haus verkaufen will, funkt ein bislang nicht in Erscheinung getretener Untermieter vehement dazwischen: Eine kleine Maus mit klaren Vorstellungen über die Zukunft ihrer vier Wände. Und die verteidigt sie mit allen Mitteln. Da muß Nathan durch.
Die kleine Maus (der Star des Films) wird von echten, in einigen Szenen jedoch auch von computeranimierten Trickeffekten dargestellt. Rundherum ein köstlicher Spaß für die ganze Familie.

Die beiden Erben eines verkommenen Anwesens, das sich als ein architektonisches Meisterwerk erweist, haben die Rechnung ohne einen widersprenstigen Mieter in Gestalt einer hartnäckigen Maus gemacht. Ein stilvoller, grundehrlicher Unterhaltungsfilm für Kinder, der erfolgreich die Verfolgungsdramaturgien des Trickfilms in den Realfilm überführt.
Was mag den Zuschauer an einem unscheinbaren Familienfilm namens "Mäusejagd" reizen? Wohl kaum der Name des Regisseurs Gore Verbinski, einem jungen Filmemacher, der bislang nur durch einen Werbespot für die Brauerei "Budweiser" hervorgetreten ist. Dann wohl doch eher der Name der Produktionsfirma, denn noch immer wird mit Spannung erwartet, was aus dem Hause Dreamworks stammt. Unter diesem Aspekt könnte eine Mäusegeschichte durchaus ein gutes Omen sein - hat nicht Steven Spielbergs Vorbild Walt Disney auch auf einem solchen Nagetier sein Imperium begründet? Der niedliche Vierbeiner dieses Films besitzt durchaus jene Wesensszüge, die auch Mickey Mouse in seiner Jugend besaß, als er sich noch durch die schwere Depressionszeit nagen mußte. Frech, unverfroren und von unbeugsamem Überlebenswillen ist der Bewohner eines verkommenen Anwesens, das durch Erbschaft in den Besitz zweier vom Leben nicht eben verwöhnter Brüder gelangt. Zunächst scheint der Winzling eine zu vernachlässigende Größe in der Kalkulation, als es darum geht, die Immobilie zwecks Verkaufs auf Vordermann zu bringen. Immobil ist der kleine Nager hingegen freilich nicht gerade, als seine angestammten Wohnverhältnisse auf dem Spiel stehen. Daß die Eingriffe der Brüder behutsam mit der historischen Bausubstanz umgehen - sie haben erfahren, daß es sich um das vergessene Meisterwerk eines Klassikers der architektonischen Moderne handelt - , schätzt man aus der Perspektive eines gemütlich eingerichteten Mäuselochs nur wenig. Als die Versteigerung schon fast für einen zweistelligen Millionenbetrag unter Dach und Fach ist, erweist sich die Statik des Gebäudes als wenig resistent gegenüber einem Netzwerk von Mäusebauten - und der namenlose Bewohner als der wahre Dekonstruktivist.
Drehbuchautor Adam Rifkin macht keinen Hehl aus seinen Einflüssen, wenn er weit ins filmhistorische Tierreich schweift: "Die Maus ist eine Kreuzung aus Tom und Jerry, Road Runner und Bugs Bunny..." Dieser Einschätzung hätte es nicht bedurft, doch unter den zahlreichen, meist nervigen Versuchen, Cartoon-Dramaturgien in den Realfilm zu überführen, zählt diese Variante zu den bei weitem glücklichsten Beispielen. Das liegt nicht nur an der hinreißenden Tierdressur in Verbindung mit undurchschaubaren Puppen- und Digitalanimationen; entscheidender noch ist der unprätentiöse Grundton der Konzeption. Wie in den Trickfilmvorbildern geht es nie um mehr als die stete Variation eines Handlungsmotivs von der Winzigkeit seines eigenen Protagonisten. Man mag einwenden, was einen siebenminütigen Cartoon hindurch tragfähig ist, reiche kaum für einen Spielfilm. Aber haben nicht Tom und Jerry ihre Jagdszenen über viele Dutzend Filme hindurch fortgesponnen, ohne Ermüdungserscheinungen davon zu tragen? In diesem Sinne besitzt dieser Film eine fast abstrakte, überindividuelle Qualität - den gefoppten Brüdern namens Smuntz geht es dabei nicht anders als dem mythologischen Sisyphos. Einige Seitenhiebe auf den Kunstmarkt - in Kalifornien sind echte Frank-Lloyd-Wright-Häuser längst zu einem Statussymbol der Schickeria geworden - sind eine dem Vergnügen nicht abträgliche Zugabe. Schließlich sind die stilvolle Ausstattung und eine stimmungsvoll-schwummrige Lichtführung positiv zu vermerken. So ist diese Mäusejagd ein grundehrlicher, ungewöhnlich liebevoll gestalteter Unterhaltungsfilm für Kinder. (Daniel Kothenschulte, film-dienst)

Die Brüder Schmuntz (Nathan Lane und Lee Evans) haben ein Problem. Sie sind restlos pleite. Außerdem ist noch ihr seeliger Vater verschieden. Sein Erbe besteht nur aus einer alten Fabrik für Nähgarn und einem Haus. Die Fabrik könnte man vielleicht billig verramschen, ein Interessent wäre vorhanden, doch sie mussten ihrem Vater am Sterbebett versprechen, dies nie zu tun. Also das Haus: Leider ist es in einem völlig heruntergekommenen, renovierungsbedürftigen Zustand. Doch wie der Zufall so spielt, stellt sich heraus, dass die Gemäuer von einem berühmten Baumeister des letzten Jahrhunderts errichtet wurden. Auf einmal reißen sich die (reichen) Leute um das Haus. Es müsste halt nur noch kurz auf Vordermann gebracht werden. Frohgemuts machen sich die beiden ans Werk.
Doch sie haben leider einen kleinen Untermieter im Haus übersehen. Eine süße putzige Maus. Alle Anstrengungen, dieses kleinen Nagers Herr zu werden, schlagen fehl (selbst eine Katze und ein Kammerjäger geben klein bei).
Ihrerseits setzt die kleine Maus alles daran, die Renovierungsarbeiten zu torpedieren, wo sie nur kann. Und so wird sich noch zeigen, wer am Ende der Herr im Hause ist...
Die neuste Produktion aus dem Hause Spielberg (Dreamworks) ist eine herrliche Slapstickansammlung. Häufig kann man sich herzhaft auf die Schenkel klopfen ob der hilflosen Bemühungen unserer Titelhelden gegen die kleine Maus. Leider ist Mäusejagd, wie die meisten amerikanischen Familienfilme, manchmal etwas zu schmalzig geraten, aber dafür wird die ZuschauerIn durch etliche skurile Einfälle entschädigt. Für den leichten Filmgenuss zwischendurch durchaus anzuraten. (Queer View)

Eine lebendige Maus besiegt auch Diplomjäger. "Mäusejagd": Ein kleiner Nager jagt seine Jäger - in einer Slapstick-Komödie, die ihren Witz in erster Linie dem tierisch gewitzten Hauptdarsteller verdankt.
Wer Schmuntz heißt, sollte sich nicht allzuviel erwarten vom Leben. Das lernen die Brüder Ernie und Lars Schmuntz erst so richtig nach dem Tod ihres Vaters: zuerst ein peinliches Fiasko bei der Beerdigung, dann die Nachricht, daß sie von ihrem exzentrischen Alten eine unrentable, hypothekenbelastete Garn-Fabrik geerbt haben - sowie diese verfallene Villa, wo das größte aller erwartbaren Debakel sie erst noch erwartet: und zwar in der "Person" einer Maus.
Bis zum Beginn des Maus-Spektakels hält Regisseur Gore Verbinski sich unnötig lange damit auf, seine zwei Hauptfiguren in all ihrer (von mäßig originellen Einfällen unterstützten) Lustigkeit zu präsentieren: den gutmütigen Tolpatsch Lars, dargestellt vom britischen Blödelgenie Lee Evans (Funny Bones) den rücksichtslos selbstgefälligen Ernie (Nathan Lane). Die Schlachten gegen die Maus, die in der alten Villa ihre Wohnrechte verteidigt, geben dann aber tatsächlich eine Serie aberwitzig rasanter Lachnummern.
In Spielbergs "DreamWorldPictures" produziert, zeigt sich Mäusejagd überraschender Weise weniger der special-effect - als der special-event -Kunst verpflichtet: Wie nämlich die nunmehr vollends ins Absurde kippende (und im übrigen vollständig auf Computeranimationen verzichtende) Handlung auf die Live-Action einer lebendigen Maus aufbaut, ist tatsächlich ein Ereignis der besonderen Art.
Und es scheint, als würden auch die beiden Hauptdarsteller Evans und Lane angesichts eines so starken Gegners sich vom Dick-und-Doof-Imitat zu einem formidablen Slapstick-Duo entwickeln. Ein Film schließlich, in dem Christopher Walken mit dem Ernst eines richtigen Profikillers als diplomgeprüfter Mäuse-Terminator auftritt (um von der Maus schmählich ausgetrickst zu werden), hat sich wohl schon einen gewissen Vertrauensvorschuß in Sachen grotesker Humor verdient. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 28/3/1998)

Von Mäusen und Menschen. Genauer gesagt vom Kampf um ein häßliches, aber wertvolles Haus, der zwischen einem süßen, schlauen Mäuschen und einem ungleichen Brüderpaar ausgetragen wird. Das ist auch schon die ganze Story, denn dieser Kampf geht bis zum feuchten Ende. Daß uns trotz der Bärte, die manche Gags schon tragen, nicht fad wird, dafür sorgen viele gut gecoachte, echte Mäuseathleten und ein paar Nager aus der Dose, Nathan Lane und Lee Evans als Brüder (featuring Stan & Ollie).
Und nicht zuletzt in einer Miniminirolle Christopher Walken, der sich hier als gnadenloser Komödiant outet. Das Herz verkrampft sich nur, wenn man William Hickey in der Rolle des sterbenden Vaters sieht: diese Legende Hollywoods starb wirklich - kurz nach Fertigstellung des lustigen Filmabenteuers... (Heike Obermeier, KURIER)

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WAG THE DOG (WAG THE DOG)

USA 1997. 100 Min
Regie: Barry Levinson, Buch: David Mamet, Hilary Henkin, nach einem Roman von Larry Beinhart, Musik: Mark Knopfler, Willie Nelson, Kamera: Robert Richardson, Schnitt: Stu Linder, Darsteller: Robert De Niro (Conrad Brean), Dustin Hoffman (Stanley Motss), Anne Heche (Winifred Ames), Woody Harrelson (Sgt. William Schuman), Denis Leary (Fad King)
Kinostart: 27/3/1998

Kurz vor der Neuwahl des amerikanischen Präsidenten erschüttert ein Skandal das Weiße Haus: Der Präsident soll eine Sexaffäre mit einer minderjährigen Besucherin des Oval Office gehabt haben. Da hilft nur noch eins: Politprofi Conrad Brean (Robert DeNiro) empfiehlt einen Krieg anzuzetteln, um die Öffentlichkeit abzulenken. Nur blöd, daß gerade kein passender Irak zur Verfügung steht. Also wird der Krieg einfach erfunden. Das gegnerische land ist Albanien (ohne speziellen Grund). Der Feldzug wird plangerecht im Studio abgedreht und mit einem passenden Song via TV und Medien-Show präsentiert. Nur steht dummerweise der Präsident mehr denn je im Rampenlicht.
Von Barry Levinson in nur vier Wochen für das Hollywood-Mini-Budget von 15 Millionen Dollar (und das mit diesen Stars) abgedreht, ist Wag the Dog ein überaus witziger, aber durchaus auch kritischer Spiegel der amerikanischen Wirklichkeit von heute. Die beiden Hauptdarsteller können ihr Können voll zur Geltung bringen. (film.de)

Um von einer Sexaffäre des US-amerikanischen Präsidenten abzulenken, inszeniert ein dubioser Berater mit Hilfe eines Filmproduzenten elf Tage vor der erhofften Wiederwahl einen Krieg mit Albanien, der die Medien auf Trab hält und von den eigentlichen Problemen ablenkt. Eine sehr vergnügliche schwarze Komödie, die sich mit der Macht der Medien und der Manipulierbarkeit der Öffentlichkeit auseinandersetzt, deren fiktionaler Gehalt von der Realität eingeholt wurde. Getragen von guten Darstellern, regt sie zum Nachdenken über die Machtmechanismen der Gegenwart und eine noch verstärkt mediengesteuerte Zukunft ein.
"Wedel den Hund" bedeutet der enigmatische Titel des Films, denn "wenn der Schwanz cleverer als der Hund wäre, würde er mit ihm wedeln". Um umgekehrte Verhältnisse geht es also, um eine auf den Kopf gestellte Welt. Es geht um Macht und die Frage, wer letztlich am längeren Hebel sitzt, wer der Realität seine eigene Wirklichkeit diktieren darf. Als Barry Levinsons Projekt Anfang 1997 in Angriff genommen und in nur 29 Drehtagen realisiert wurde, mag den meisten Beteiligten die Geschichte wie ein zynisches Planspiel mit einem ahnungsvollen Blick hinter die Kulissen der politischen Macht vorgekommen sein. Knapp ein Jahr später, angesichts der Sexaffäre um US-Präsident Clinton und des drohenden Irak-Konflikts, haben sich Wirklichkeit und Fiktion zu eben jener Melange verbunden, die in "Wag the Dog" lustvoll angeprangert und vorgeführt wird.
Elf Tage vor der Wiederwahl steckt der amerikanische Präsident in der Klemme. Eine Affäre mit einer Schülerin - ihm wird ein dreiminütiges Tête-à-tête in Oval Office nachgesagt, sorgt für Schlagzeilen und mindert seine Chancen. Der Krisenstab ist wie gelähmt, doch als Conrad Brean zum Berater der Mannschaft berufen wird, ändert sich die Sachlage ebenso wie die Stimmung im Präsidentenlager. Zeitgewinn und Ablenkung sind nötig, und was würde besser von den kleinen Schmuddelgeschichten ablenken als eine wirklich schmutzige Geschichte: ein Krieg etwa. Brean ist in seinem Element, erfindet einen geheimnisvollen B-3-Bomber, eine albanische Kofferatombombe, eine albanische Kommandoeinheit in Kanada, die es auf Washington abgesehen hat. Geschickt werden die Meldungen an die nachrichtenlüsternen Medien lanciert, und angesichts solch existenzbedrohener Lage hat der Präsident natürlich Besseres zu tun, als der Öffentlichkeit über Sexaffären Rede und Antwort zu stehen. Er, der über die ganze Geschichte telefonisch auf dem Laufenden gehalten wird, erklärt Albanien den Krieg. Doch ein Krieg ohne Bilder ist seit dem Golfkrieg undenkbar, und so geht Breans Plan in die zweite Phase. Mit Stanley Motss ist rasch ein ebenso hilfsbereiter wie von sich eingenommener Hollywood-Produzent gefunden, der eine Medienkampagne entwickelt und die ersten Bilder eines vor dem mordenen Mob fliehenden albanischen Mädchens nebst Kätzchen liefert. Winifred Ames, die Präsidentenberaterin, die dem Ränkespiel anfänglich verständnislos gegenüber stand, kommt nun auf den Geschmack, und die drei Verschwörer wittern, daß sie in der Lage sind, Weltgeschichte zu schreiben, ohne daß überhaupt etwas passiert wäre. Der Haken ist allerdings, daß die CIA den Krieg wenige Tage vor der Präsidentenwahl für beendet erklärt und nun wieder die lästigen Fragen auf den Spickzetteln der Journalisten stehen. Die Geschichte scheint verfahren, aber nicht aussichtslos, wenn man Motss an seiner Seite weiß. Der legt nach, erfindet einen hinter den feindlichen Linien versprengten Kriegshelden, setzt dessen Befreiung medienwirksam in Szene und will die Ankunft des Helden als nationales Schauspiel inszenieren. Fast würde die Realität dem Spektakel einen Strich durch die Rechnung machen, doch da stellt sich einmal mehr heraus, daß der beste Held ein toter Held ist. Ende gut, alles gut - wäre da nicht die Geltungssucht des Produzenten, der endlich einmal so etwas wie den "Oscar" gewinnen will.
Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob der Film oder die Clinton-Affäre zuerst da war. Ein glücklicher oder unglücklicher Zufall, je nach Betrachtungsweise, hat die beiden Ereignisse zusammengeführt, und doch ist nicht von der Hand zu weisen, daß in der Postproduktionsphase die Fiktion von der Wirklichkeit inspiriert wurde. Aber eigentlich geht es in dem sarkastischen Spiel um den Zynismus der Medien und eine nachrichtengläubige Öffentlichkeit, um Manipulierbarkeit der Realität und deren Vermittlung durch unkontrollierbar gewordene Mediennetzwerke. Selbst der vorgeblich mächtigste Mann der Welt ist vor diesem weltumspannenden Hintergrund nur ein kleines Licht. So ist nicht verwunderlich, daß Oberstratege Brean (wunderbar abgebrüht gespielt von Robert De Niro) immer wieder die Erinnerung an den Golfkrieg heraufbeschwört, der als erster Krieg rund um die Uhr weltweit übertragen wurde - freilich erst nach Freigabe der Bilder durch das Pentagon, quasi als Planspiel der Militärs. Wenn sich zu diesem zynisch-ideologischen Hintergrund technisches Know-how gesellt, dann ist alles mach- und vermittelbar, so die zum Nachdenken anregende Botschaft. Wie Bilder manipuliert und Realitäten hergestellt werden können, dazu liefert "Wag the Dog" anschauliche Bespiele. Da wird aus einem leeren, blauen Studio eine albanische Trümmerlandschaft, deren Dramatik per Computer gesteigert werden kann, und die Kartoffelchip-Tüte in den Händen einer Schauspielerin wird zum verstörten Kätzchen. Eine (Schein-)Welt von Gnaden eines ebenso infantilen wie machtbesessenen Impresarios, den Dustin Hoffman überzeugend als einerseits lächerlichen, andererseits genialen Zeremonienmeister darstellt. Trotz aller Pluspunkte, die den Film auszeichnen - die Darsteller, die zum Teil furiose Inszenierung, die elegante Kameraführung - , kann der Film aber nicht halten, was er verspricht. Am Ende scheint es, als wäre er selbst seiner Überfülle an Gags und Einfällen müde geworden, die Inszenierung verliert an Tempo, der Schluß wirkt ein wenig abgehackt, bewußt kurz gehalten. Dennoch bietet Levinson intelligente Unterhaltung, die mit ihrem schwarzen Humor immer wieder darauf hinweist, wer die eigentliche Macht in unserem "globalen Dorf" hat, und wie eine vollends mediengesteuerte Zukunft aussehen könnte, wenn die richtigen/falschen Interessen zusammenfinden. (Hans Messias, film-dienst)

Künstlerisches Genie ist seiner Zeit um 20 Jahre voraus (sagt angeblich Kafka). Der prophetische Witz dieser herrlichen Politsatire hatte zwar nur die Nasenlänge von kaum mehr als einem Jahr vorn. Genialität kann man ihm dennoch nicht absprechen. Da bezichtigt eine junge Praktikantin im Weißen Haus den US-Präsidenten der sexuellen Belästigung. Als Ablenkung von und Ausweg aus der peinlichen Misere fällt den Präsiberatern daraufhin prompt ein Kriegsszenario ein.
Soweit die Fantasie der Autoren. Als diese von der Wirklichkeit und dem Fall Monica Lewinsky fast bis aufs Haar eingeholt wurden, waren die Dreharbeiten längst beendet. Einer jener grandiosen Zufälle also, die in Wahrheit den Offenbarungen zuzurechnen sind. Nun kann man der Meinung sein, daß der wirkliche Skandal bei den Vorwürfen gegen Clinton darin liegt, daß die betroffenen Damen allesamt reizlos sind. Zumindest der Grusel der Vorausahnung besitzt mehr Finesse: wird er doch aus jenen atemberaubenden Täuschungsmöglichkeiten gespeist, deren sich ein paar böse Kreative an den Schalthebeln der elektronischen Medien bedienen.
Ein Knopfdruck auf einem Regiepult, und aus einer Packung Cornflakes wird eine Katze, aus einer drittklassigen Hollywoodblondine eine erschütternde Flüchtlingstragödin usw. Der Fundus der Traumfabrik hat genug Tricks auf Lager, um jede faustdicke Lüge in heroische Wahrheit zu verdrehen. David Mamet, derzeit Amerikas scharfsichtigster Dramatiker, schwelgte - nach stark veränderter literarischer Vorlage - sichtlich im angewandten Zynismus seiner Figuren. Verführt zum begeisterten Mitwissen eines Intrigengespinsts, gegen das die legendären Ränke des Machiavelli harmlos dastehen wie Omas Hausmittel gegen die Atomphysik.
Potentiert durch eine Besetzung zum Niederknien: Robert DeNiro versieht als Berater mit dem verräterischen Spitznamen „Alleskleber“ gemeine Heimtücke mit einem vergnügt-ausgelassenen Lausbubengesicht. Sein ebenso gewissenloser Bundesgenosse ist Dustin Hoffmans Hollywoodproduzent mit Allesmacherqualität, der die verzweifeltsten Probleme nur als spielerische Herausforderung ansieht, um sie schleunigst zu lösen. Meinungsmanipulation und Infotainment, Politik und stimmviehische Wählergunst als Wolkenzusammenballung, die ein äußerst erhellendes Blitz- und Donnerwetter über die amerikanische Wirklichkeit zeitigt.
Ein echtes Bravourstück über die immer perfektere Kunst der Regierenden, den Naiven dieser Welt immer bunteren Sand in die Augen zu streuen zu können, ohne daß es die auch nur juckt. (Rudi John, KURIER)

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DÄMON - TRAU KEINER SEELE (FALLEN)

USA 1998. 124 Min
Regie: Gregory Hoblit, Buch: Nicholas Kazan, Musik: Tan Dun, Kamera: Newton Thomas Sigel, Schnitt: Lawrence Jordan, Darsteller: Denzel Washington (Dt. John Hobbes), John Goodman (Jonesy), Donald Sutherland (Lt. Stanton), Embeth Davidtz (Gretta Milano), James Gandolfini (Lou), Elias Koteas (Edgar Reese)
Kinostart: 27/3/1998

Ein brutaler Serienkiller wird gefaßt, verurteilt und hingerichtet. Aber selbst danach geht die Mordserie weiter. Für den ermittelnden Detective wird der Fall zu einem Horrotrip. Die Wahrheit ist schlimmer als sein furchtbarster Alptraum. Denn schlicht der Teufel Azazel hatte die Macht über den Killer. Nun ist er aber nicht vernichtet, sondern sucht sich den nächsten Körper, in und mit dem er sein Unwesen treiben kann. Da er in jede Person einfach per Handauflegen eintreten kann, nimmt er so schließlich auch Kontakt mit seinem Verfolger auf. Dies geht bis zum Äußersten und einem überaus spannenden und packenden Finale.
Regisseur Gregory Hoblit ("Zwielicht") verfilmte mit einer Reihe Superstars einen megaspannenden Thriller, der in der Tradition von "Sieben" bis zu einem teuflisch guten Ende führt. (film.de)

Ein Polizeidetektiv versucht eine Mordserie aufzuklären, die die Handschrift eines hingerichteten Serienkillers trägt. Dabei stößt er auf die Spuren eines körperlosen Dämons, der mit ihm ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt und auf eine Art Zweikampf drängt. Ein als Rückblick erzählter Horror- und Mystery-Thriller, dessen stilistische Versiertheit so sehr beeindruckt wie das überraschende Ende die Zuschauerperspektive auf den Kopf stellt. Die Anleihen beim "Übernatürlichen" bleiben ohne inhaltliche Reflexion und dienen nur als diabolisch imprägniertes Material einer Mordgeschichte.
Ein Mensch keucht panisch durch eine fahle Schneelandschaft. Das grobkörnige Bild zittert wie besessen, hetzt in fahrigen Bewegungen hin und her. Noch vor den Credits hört man die Stimme Denzel Washingtons aus dem Off: "Habe ich Ihnen schon erzählt, wie ich einmal beinahe umgebracht worden wäre?" Dann erst glimmt der Titel auf und wechselt der Film als lange Rückblende zwar nicht die Atmosphäre, aber den Rhythmus. Mit dem vom Washington gespielten Polizeidetektiv John Hobbes betritt man die düstere Gaskammer eines amerikanischen Gefängnisses, wo der Serienkiller Edgar Reese auf seine Hinrichtung wartet. Ein Kamerateam filmt seine letzten Minuten und den höhnischen Sing-Sang-Dialog mit Hobbes, der voller wirrer Gesten und unverständlicher Brocken mit dem Stones-Song "Time is on my side" endet. Während die gelben Giftschwaden einschießen und der Delinquent krampfhaft zu zucken beginnt, trübt sich das Bild. Für wenige Augenblicke sieht man von oben auf die Szenerie. Ein offensichtlich subjektiver Blick streift über die ungerührten Zeugen und stürzt sich dann auf den Henker hinab.
Als Zuschauer glaubt man, dem Polizisten lange Zeit voraus zu sein, der schon wenig später bei einem neuen Mordfall eindeutig auf Reeses Handschrift stößt. Die Zahl "18" auf der Brust des Opfers sowie andere Hinweise lassen Hobbes über die seltsamen Andeutungen nachgrübeln, die ihm der Psychopath in der Todeszelle zuraunte. Noch bevor weitere Toten mit neuen "Nachrichten" folgen, stößt der penible Ermittler auf die Akten eines Ex-Cops namens Milano, der vor Jahrzehnten unter Mordverdacht geraten war und sich in einer Waldhütte das Leben nahm. Milanos Tochter Gretta, eine zierliche Theologieprofessorin, beschwört Hobbes, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Wovor sich die eingeschüchterte Frau mit Engelsbildern zu schützen sucht, läßt Hobbes das Blut in den Adern gefrieren, als er seiner endlich ansichtig wird: einen körperlosen Dämon namens Azazel, der durch bloße Berührung seine jeweiligen Träger wechselt. Seine "Visitenkarte", die er als blutiges Hauptpuzzle hinterlassen hatte, bezog sich auf "Apocalypse 18,2", wo davon die Rede ist, daß nach dem Fall der großen Stadt Babylon die Welt zur Behausung der Teufel wurde.
Der Originaltitel benennt präzise, worum es in diesem gnostischen Thriller geht: um den dualistischen Kampf des Bösen gegen das Gute. Mit der Mordserie wollte der Dämon den integren Cop auf sich aufmerksam machen und zu einer Art Zweikampf herausfordern. Mitten im Polizeirevier summt ihm sein Partner plötzlich "Time is on my side" ins Ohr, ohne sich Sekunden später daran erinnern zu können, während jemand anderer die Melodie kurz weitersingt, bis sie von Mund zu Mund durch die Tür verschwunden ist. In der eindringlichsten Szene hat Gregory Hoblit aus dieser gespenstischen Passage einen wahren Staffellauf des Schreckens gemacht, wenn der Dämon in einer dichtbevölkerten Einkaufspassage durch die Reihen schießt und die leichenblasse Gretta verfolgt. Wie das Böse dabei in die Menschen fährt und ihre Gesichter zu Fratzen entstellt, bleibt als bedrängende Metapher für Massenhysterie und kollektiven Wahn auch dann im Gedächtnis hängen, wenn der überraschende Schluß alles bisherige auf den Kopf stellt.
Hoblits Horrortrip erinnert in vielem an "Sieben" (fd 31 642), mit dem er die düstere Endzeitstimmung und die Ausweglosigkeit teilt, ohne aber an dessen stilistische Geschlossenheit anknüpfen zu können. Statt dessen treibt er ein irritierendes Spiel mit der Zuschauerperspektive, aus der die Fallen wahrgenommen werden können, die Azazel für seinen Verfolger aufstellt. Wie sich die Schlinge um Hobbes' Hals unerbittlich zusammenzieht und die latent anklingende Parallele zum Milanos Schicksal immer wahrscheinlicher macht, löst eine nachhaltige Beklemmung aus, die keine Auflösung erfährt. Wie bei vielen Filmen, die vom "Übernatürlichen" handeln, sind auch hier die Anleihen aus dem Fundus der Religionen dürftig. Das bezieht sich weniger auf faktische Details wie Namen oder Bibelstellen, die korrekt zitiert werden oder wie bei "Azazel" auch eine gründliche Recherche verraten: in den apokryphen biblischen Schriften wird er als Anführer der gefallenen Engel genannt. Auf eine schlüssige Deutung oder filmimmanente Interpretation aber wartet man meist vergeblich. Was die apokalyptische Dämonenfigur treibt, sich auf eine Art Duell mit Menschen einzulassen, bleibt ebenso ungeklärt wie die Frage, was Hobbes als "guten" Gegenspieler qualifiziert. Daß eine Theologielehrerin Auskunft erteilen kann, liegt in der Logik ihres Berufes. Warum sie sich aber Schutz von Engeln verspricht, über deren Existenz der Film keinerlei Spekulationen anstellt, stellt vor Rätsel. Über die eigentlichen Leerstellen - das Verhältnis von Freiheit, Schuld, Verführung und dem Willen zum Bösen - täuscht die kunstvoll beschworene Unheilsatmosphäre hinweg, die morbide Endzeitstimmung als emotionales Vehikel für einen "Mystery"-Krimi nützt. Während in "Sieben" die Religionstopoi als symbolische Chiffren zur Illumination einer wirklich gefallenen Welt entfaltet werden, dienen sie hier lediglich als diabolisch imprägniertes Material einer raffiniert ausgedachten Mordgeschichte. (Josef Lederle, film-dienst)

Niemand will mehr an den Teufel glauben. Unter anderem auch deshalb (und nicht nur der Groers und Krenns wegen) die vielen Kirchenaustritte. Durchaus möglich, daß deshalb der St. Pöltner Bischof um satanische Werke geradezu betet: um einschlägige Filme wie diesen, in denen mit braven Menschen ein teuflisches Spiel getrieben wird. Von der Höllenbrut persönlich. In dem Fall scheinen Gebete insofern erhört, als sogar Hollywood-Elite in Gestalt von Denzel Washington, John Goodman und Donald Sutherland als Polizeibeamte in einer unexorzierten Serienmordserie ermitteln, bis man die (gefallenen) Engel singen hört (dies als Metapher; Copyright zu „Sympathy For The Devil“ bei den Stones).
Bald läuft alles auf so eine Art Stafettenlauf der Killer und Dämonen hinaus, bei dem auch rote Katzen und adrette Teenager als missing links fungieren können. Zwischendurch läßt Hysterimus Bosch unschön grüßen. Ein wahrer Segen, daß dieser Enthüllungsthriller einer aktiven Antichristenheit sich das offenbar unverzichtbare Brimborium und allen pseudomystischen Krampf bis zum allerletzten Schluß aufhebt. Da kann man fast so tun, als wär«s ein ganz normaler Psycho gewesen - und zur Hölle mit der Logik. (Rudi John, KURIER)

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