USA 1997. 116 Min
Regie: Agnieszka Holland,
Buch: Carol Dolye, nach dem gleichnamigen Roman von Henry James,
Musik: Debra Zane,
Kamera: Jerzy Zielinski,
Schnitt: Jan A.P. Kaczmarek,
Darsteller: Jennifer Jason Leigh (Catherine Sloper), Albert Finney (Dr. Austin Sloper), Maggie Smith (Lavinia Penniman), Ben Chaplin (Morris Townsend), Judith Ivey (Elizabeth Almond), Arthur Laupus (Mr. Almond)
Kinostart: 24/4/1998
Literaturverfilmung nach einer Emanzipationsgeschichte von Henry James: Die unscheinbare Tochter eines wohlhabenden Arztes überwindet trotz einer unglücklichen Liebe die Konventionen ihres Standes und findet gegen alle Widerstände zu ihrer Selbstachtung. Ein stilsicher inszeniertes, atmosphärisch dichtes Sittengemälde in epischer Breite, das den psychologischen Konflikt der zentralen Frauengestalt zum universellen Drama ausweitet, das freilich mehr Züge zur Wirklichkeitsflucht als zur erhellenden Bestandsaufnahme aufweist.
Der Trend zu aufwendigen Adaptionen angelsächsischer Literaturklassiker dauert an. Nach den Forster-Verfilmungen von James Ivory, einer Jane-Austen-Welle und Virginia-Woolf-Stoffen ist jetzt Henry James mit gleich drei seiner Romane an der Reihe: Jane Campions "Portrait of a Lady" (fd 32 327), Iain Softleys "The Wings of the Dove" und Agnieszka Hollands "Washington Square" gleichen präzisen, scheinbar kühlen Fresken, in den das Leben der amerikanischen und britischen Upper Class vor dem Hintergrund subtiler Gefühle, verborgener Leidenschaften und nie zu Ende ausgesprochener individueller Dramen festgehalten wird. Am Oszilationspunkt der puritanischen Neuen Welt und des alten Kontinents beschreibt James vor dem stilisierten Dekor einer ritualisierten Epoche die in ein Korsett gezwängten Empfindungen von Frauen, die aus dem sie einschränkenden Wertesystem auszubrechen versuchen. Da die beiden letzten Henry-James-Adaptionen von Regisseurinnen stammen, spricht zudem einiges dafür, daß die starken, gegen alle Widerstände zu sich selbst findenden Heldinnen Henry James' eine besondere Faszination auf Frauen ausüben.
Auch der Triumph von Catherine Sloper, die keine Rebellin ist, besteht darin, im Akt innerer Befreiung von dem Terror ihres rechthaberischen Vaters und der Verblendung durch einen selbstsüchtigen Geliebten unabhängig und mit sich selbst identisch geworden zu sein. Ihre Metamorphose von einer unattraktiven, ungeschickten, mit Komplexen beladenen jungen Frau, die durch auffällige Kleider die Defizite kompensiert, zu einer selbstbestimmten Person, die nicht mehr anderer bedarf, um zu erfahren, wer sie ist, steht bei Agnieszka Holland im Zentrum. In der bravourösen Eingangssequenz, in der die Kamera aus der Vogelperspektive eine detailgetreue Beschreibung New Yorks um die Mitte des 19. Jahrhunderts vornimmt, um sich dann immer rasanter auf ein Haus am Washington Square zuzubewegen, spielt sich der Prolog des Dramas ab: Bei der Geburt ihres Kindes stirbt die Frau des wohlhabenden Arztes Dr. Sloper, der den Verlust nie verwinden und unterbewußt seiner Tochter Catherine anlasten wird. Daß sie in der Kindheit um die Liebe ihres strengen Vaters vergeblich ringen muß, illustriert eine Familienfeier, bei der sie im Wettbewerb mit anderen Kindern singt und sich aus Versagensangst naß macht. Was Wunder, daß in dieser lieblosen Atmosphäre der charmante, mittellose Morris Townsend wie eine Lichtgestalt in ihr Leben tritt, vom Vater aber sofort (und, wie sich später herausstellt, nicht zu Unrecht) als Mitgiftjäger denunziert wird, da Dr. Sloper nicht glauben mag, daß sich ein Mann für seine unbedarfte Tochter selbstlos interessieren könnte. Nach einer einjährigen Europareise, die ihre Gefühle abebben lassen und Klarheit über Townsends Absichten bringen sollte, kehrt Catherine nach New York zurück, entschlossen, ihre gesellschaftliche Stellung und das väterliche Erbe der Liebe zu opfern. Doch dieser Schritt fördert Morris' wahre Absichten ans Tageslicht. Verlassen und enterbt, nimmt sie, nicht unähnlich einer bedauenswerten Kreatur zu dem Zeitpunkt, als ihr Selbstbewußtsein und ihre Bereitschaft, sich selbst zu akzeptieren, durch die Liebe erwachten, später für ihre Selbstachtung den Preis eines verschütteten Lebens in Kauf.
Der Kampf um Selbstfindung und Emanzipation - nicht im klassischen Sinne der Gleichberechtigung, sondern als Überwindung überkommener Konventionen - weitet den psychologischen Konflikt von Catherine zu einem universellen Drama aus. Ganz anders als William Wyler in seiner Filmversion des Stoffes aus dem Jahr 1949 ("Die Erbin", fd 953), einem opulent ausgestatteten Melodram um eine enttäuschte Frau, deren Liebe in Gefühlskälte und Rachsucht umschlägt, zeichnet Agnieszka Holland den schmerzlichen Reifungsprozeß einer Frau, die auf ihrem Weg keine Unterstützung findet. Atmosphärisch dicht entwirft sie ein episches Sittengemälde des neuenglischen Großbürgertums, das die Kamera in verhaltenen Bildern mit sensibler Farbdramaturgie und in nahezu perfektionistischer Kalligrafie eines Milieus einfängt. Je mehr der innere Konflikt Catherines in den Mittelpunkt rückt, wechselt auch der Erzählfluß des Films zu einem dezenten Kammerspiel mit Nahaufnahmen, das dem hervorragend aufeinander eingespielten Darstellerquartett, allen voran der Hauptdarstellerin Jennifer Jason Leigh, die Plattform bietet, ihre Schauspielkunst unter Beweis zu stellen. Maggie Smith als überspannte Tante Lavinia, die die romantische "Romeo und Julia"-Geschichte bis zum gewissen Grad erfindet, um selbst darin eine wichtige Rolle zu spielen, sorgt dabei für stilistische Kontinuität, verkörperte sie doch die unvergessene Haushälterin Miss Medlock in Hollands "Der geheime Garten" (fd 30 703). Bei all dieser Perfektion und Stilsicherheit drängt sich jedoch die Frage auf, ob es heute bereits des Gewandes eines Kostümfilms bedarf, um eine eher konventionelle Emanzipationsgeschichte zu erzählen, die einer eskapistischen Alternative für das Unvermögen, die mentalen Befindlichkeiten und die Desorientierung des postfeministischen Zeitalters adäquat einfangen zu können, verdächtigt nahekommt. (Margarete Wach, film-dienst)
Von Anfang an, von der ersten, langen Fahrt zu der für Mutter und ein Kind tödlichen Geburt, ist es klar: Die als Halbwaise geborene Catherine wird kein leichtes Leben mit ihrem Vater haben und dies wird ein sehr schöner Film.
New York, Mitte des 19. Jahrhunderts, das Haus des angesehen Arztes Austin Sloper (Albert Finney): In der düsteren Wohnung thront das Gemälde der verstorbenen Mutter und die gefährlich gutmütige Tante Lavinia (Maggie Smith) kümmert sich um Catherines Erziehung. Das Ergebnis ist ein extrem unsicheres Mädchen (Jennifer Jason Leigh), das sein Gesicht am liebsten hinter ihrer Hand oder einem Fächer versteckt und immer wieder in Peinlichkeiten hereintapst. Aus der Wohnung heraus geht nur ihr Blick durch einen engen Fensterrahmen. Sobald der Vater auftaucht, stürmt die auf ihn fixierte Catherine überdreht die Treppe herunter, um seine kühle Zurechtweisung zu empfangen.
Beim ihrem ersten gesellschaftlichen Auftritt lernt Catherine den jungen Morris Townsend (Ben Chaplin) kennen. Ihre Herzen finden sich bald beim Pianospiel, dessen Reiz die ganze Dienerschaft herbeilockt. Nur der zynische Vater scheint blind für die Schönheit seiner Tochter, meint, sie sei unfähig, nach sich selber zu sehen. Aber das Selbstbewußtsein der Catherine wächst, sie küßt sich im Spiegel, legt sich liebevoll auf ihn. Nun beginnt der Vater, um seine Tochter zu kämpfen, die Eifersucht tritt offen zutage. Eine einjährige Reise nach Europa soll die Liebe des Bewerbers testen, soll zeigen, ob der mit einfachen Mitteln lebende, berufslose Mr. Townsend nicht nur auf das Erbe Catherine aus ist. Und irgendwann wirkt der bittere Samen des väterlichen Zweifels. Mr. Townsend versucht verbissen, Geld zu verdienen, die Beziehung wird belastet, die Liebe endet.
Gegen diese mühsame Liebesbeziehung und die reife Persönlichkeit Catherines stellt der Romanstoff von Henry James eine Ehe, die nur auf "dem Wichtigsten" basiert: Rein, dümmlich und zufrieden gebiert dort die Frau und kann nur einmal der mutigen Catherine ihre Bewunderung ausdrücken.
"Washington Square" zeigt ein feines, aber doch fesselndes Geflecht der Emotionen und Abhängigkeiten. Elegante Übergänge, lange, einfühlsame Kamerafahrten gehören zu den Reizen des Films, gekonntes Spiel mit Licht und Spiegeln und vor allem: Jennifer Jason Leigh! Da staunt man einen halben Film: Man, ist die gut, was spielt diese Frau hervorragend, was macht die bloß alles mit ihrem Gesicht, welch ein wirr verlorener Blick ... Und dann wird einem klar, dies hat man bei Jennifer Jason Leigh schon öfter gedacht. Als sie in den Abgrund der Figur "Mrs. Parker" hinabstieg, die Entführung von "Kansas City" startete oder in "Weiblich, ledig, jung sucht..." ihre Mitbewohnerin terrorisierte.
Das alles macht "Washington Square" so glaubwürdig, so jetzt, daß ich als eine Figur im Dunkeln zu einem Gegenstand griff und ihn ans Ohr führte, ein Handy erwartete - es war eine Muschel.
Nach "Portrait of a Lady" mit Nicole Kidman wird bald als nächste Henry James-Verfilmung "Die Flügel der Taube" mit Helena Bonham Carter ins Kino kommen. (Günter H. Jekubzik)
Der US-Klassiker erlebt eine Renaissance. Agnieska Hollands Romanadaption steht in einer Reihe bemerkenswerter Henry-James-Verfilmungen.
Jennifer Jason Leigh hätte die Hauptrolle fast nicht bekommen: Nach all den Huren, Junkies, Alkoholikerinnen, Inzestopfern und Psychopathinnen, die sie in ihrer Karriere dargestellt hat, konnte sich die Regisseurin von "Washington Square" nicht recht vorstellen, daß Leigh ins Korsett einer jungen Dame aus den besten New Yorker Kreisen anno 1850 paßt. Noch dazu einer Dame, die vom Autor der Romanvorlage als zwar "ausnehmend und unbeirrbar gut", aber auch als "Allerweltskind" geschildert wird: träge, verhuscht, verschüchtert und mausgrau.
Dabei gefiel der Extrem-Darstellerin Leigh, 36, gerade die Schüchternheit, "die viel dichter an meinem eigenen Charakter dran ist als alle meine anderen Rollen".
Es sind in erster Linie Darstellerinnen und Regisseurinnen, die derzeit den amerikanischen Klassiker Henry James (1843 bis 1916) auf der Leinwand wieder zum Leben erwecken - weil sie in seinen Geschichten eine erstaunliche Aktualität entdecken oder weil sie sich, wie Leigh, mit seinen Frauenfiguren identifizieren. Drei von James' Romanen sind innerhalb weniger Jahre neu verfilmt worden: "Washington Square" von Agnieszka Holland startet gerade in Deutschland; "Wings of the Dove", der seine Hauptdarstellerin Helena Bonham Carter in die Oscar-Auswahl katapultierte, wird in einigen Monaten folgen; und "Portrait of a Lady" von Jane Campion war 1997 zu bewundern.
Dreimal geht es um junge, unerfahrene Erbinnen, die von geldgierigen Gewinnlern im Krieg der Geschlechter umgarnt werden. Dreimal schickt James seine verwundbaren Heldinnen durch eine Feuertaufe von Versuchung, Ekstase, Enttäuschung, Schmerz und Verrat - und dreimal lernen sie dadurch ihren eigenen Charakter kennen, Stärken wie Schwächen.
Es ist auffällig, daß gerade diese Henry-James-Romane derzeit en vogue sind, und deshalb wäre es falsch, die Adaptionen schlicht als angestaubte Salon-Romanzen abzutun. Denn die romantischen Augenblicke sind das letzte, worauf die Filmemacher in ihrer neuen Lesart der Vorlagen hinauswollen. Vielmehr wird James als Lieferant von Frauengeschichten entdeckt, die zwar von Emanzipation und dem Weg zu weiblicher Selbstachtung handeln - dies aber nicht um den Preis psychologischer und moralischer Einfalt. Im Gegenteil: Jeder Jamessche Roman webt ein meisterhaftes Geflecht aus Beziehungen, Motiven, Eigenschaften und Erfahrungen, in dem sich alle Charaktere verheddern. Bei James, der mit sarkastischem und moralischem Impuls zugleich schrieb, ist jede Figur schillernd, jede Tat vielfach motiviert.
Auch die Psyche seiner jungen Damen leuchtet er so subtil und präzise aus, daß ihnen ihre Abstammung aus dem späten 19. Jahrhundert kaum anzumerken ist, und selbst ihre Sorgen wirken erschreckend frisch: die Kommerzialisierung menschlicher Beziehungen, die Frage, ob Geld oder Leben - das kennen Frauen auch an diesem Fin de siècle. Beim "Allerweltskind" Catherine Sloper dauert es einige Zeit, bis sich die unterschätzten Eigenarten ihres Charakters offenbaren. Gerade 20 Jahre alt, ist sie auf dem besten Weg, eine alte Jungfer zu werden. Ihr Vater, ein angesehener Arzt, zeigt sich enttäuscht von dem ungeschickten, wenig geistreichen Nachwuchs. Dennoch hat sie durch sein Testament viel Geld zu erwarten: 30 000 Dollar pro Jahr.
Aber nur ein einziger Mann wirbt um die Mauerblume, der ausnehmend attraktive, narzißtische Nichtstuer Townsend (Ben Chaplin), der im Grunde nur eines will: Catherines Erbe. Ihr Vater (Albert Finney) wehrt sich deshalb von Anfang an gegen die Verbindung. Er ahnt den Mitgiftjäger. Er hat recht - und doch setzt er sich ins Unrecht: eine typisch Jamessche Volte. Sein Urteil erwächst aus Herzenskälte, aus Verachtung (und Fehleinschätzung) seiner Tochter und aus einer Ratio, die nur die Umstände des Werbens versteht, nicht aber das Sehnen Catherines. Sie will geheiratet werden von dem Mann, den sie liebt - egal, ob er ihre Leidenschaft erwidert.
Als Catherine einsieht, daß der Vater, den sie stets verehrt hat, sie für dumm und wertlos hält und daß ihr Geliebter nur ihr Erbe will, entscheidet sie sich bei James als innerlich gereifte, passiv-aggressive Rebellin gegen beide. Ohne Liebe fristet sie ihre Tage im geerbten Haus. Der Film hingegen schreibt ihr eine Selbstverwirklichung zu, die klar sein Entstehungsdatum verrät: Die verlassene, verschmähte Catherine richtet einen Privatkindergarten ein, in dem sie Freude und Bestärkung findet.
Die aus Polen stammende Agnieszka Holland ("Hitlerjunge Salomon"), 49, ist eine gewissenhafte, fast pedantische Filmemacherin, weit entfernt von den lyrischen Extravaganzen, die sich Jane Campion mit dem "Portrait of a Lady" erlaubt hatte. In diesem Fall erweist sich das als Vorzug, denn Holland zieht die Zuschauer beharrlich in das Beziehungschaos von Vater, Tochter und Verehrer hinein, bis die Zuschauer selbst kaum noch einen Ausweg sehen aus den engen, dunklen, viktorianisch überladenen Räumen am Washington Square.
Außerdem hat Holland mit Jennifer Jason Leigh (die den Part schließlich doch bekam) eine Darstellerin gefunden, die Catherine nur zu gut versteht - und die ganz genau weiß, warum diese stille junge Frau im Korsett das Recht hat, so bitter und so verzweifelt zu sein wie alle Huren und Junkies von Hollywood. (Susanne Weingarten, DER SPIEGEL 15/1998)
Einen Film über die Zeiten, da Frauen im doppelten Korsett ihr Leben fristen mußten: Das Kostüm-Gestell und das Familien-Kostüm ließen Autonomie zu einer literarischen Fiktion werden, wie sie Henry James so schön zu beschreiben wußte. Agnieszka Hollands Neuverfilmung von „Washington Square“ (mit Jennifer Jason Leigh) reicht an William Wylers grimmigen „The Heiress“ (mit Olivia de Havilland und Montgomery Clift) deutlich nicht heran. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 24/5/1998)
Frauengeschichten - Zur Neuverfilmung des Romans Washington Square von Henry James
Es ist schon lange her, daß ich im Kino den Bogdanovich-Film Daisy Miller gesehen habe, der auf einer Erzählung von Henry James beruht und in dem eine beinahe peinlich unbekümmerte junge Amerikanerin „tat, was immer sie wollte.“ Woran ich mich heute noch erinnern kann, sind sonnenhelle Bilder von Cybil Shepherd als Daisy, wie sie gutgelaunt mit Sonnenschirmchen und Cul de Paris, an jedem Arm einen Mann, in Rom spazieren geht. Sehr niedlich und harmlos, mag man da denken, aber sie wurde für mich zur Symbolfigur einer nachahmenswerten Art von Selbständigkeit, die sich für Frauen bis heute noch nicht schickt und die Frauen nur mit einem Augenzwinkern für sich nutzen können, wenn sie sich endlich dazu durchgerungen haben. Nach dem Film griff ich zum Buch und die Frauen von Henry James wurden zu treuen Begleiterinnen meines Lebens.
Henry James wurde 1843 in eine großbürgerliche New Yorker Familie geboren, pendelte viele Jahre zwischen Europa und Amerika, bis er sich schließlich in England niederließ, wo er 1916 verstarb. Er zählt zu den Hauptvertretern des amerikanischen Realismus und gilt als formal brillanter Erzähler, der psychologisch glaubwürdig in Roman und Erzählung die Auseinandersetzungen des Einzelnen mit gesellschaftlichen Zwängen variiert. Man müßte korrekterweise sagen: der Einzelnen, denn der Autor handelt diese Thematik bevorzugt an Frauenfiguren ab, die von gesellschaftlichen Konventionen genauso eingezwängt waren, wie vom Korsett, das sie trugen.
Diese Frauengestalten sind keine revolutionären Feministinnen, aber sie runden sich auch nicht zu jenem konventionellem Frauenbild, das zu allen Zeiten so wunderhübsch anzusehen ist. Sie verwirren vielmehr als schillernde Mischung aus typisch weiblicher emotionaler Stärke und einem schrankenlosen Freiheitsbedürfnis. Damit fügen sie sich zu keinem gefälligen Ganzen, sondern bleiben Fragment. In dieser Unbestimmbarkeit liegt aber gerade ihre Macht, denn die Männer, die mit ihnen zu tun haben, können sie nicht mehr einordnen und verlieren damit ihre männlich ordnende Dominanz.
Der weibliche Lebensweg war im 19. Jahrhundert sozial und gesellschaftlich vorausbestimmt und erzählte immer wieder die gleiche Geschichte nach: Eine junge Frau fand sich selbst, indem sie mit dem richtigen Mann den Weg zum Altar fand. In den Romanen von Henry James können und wollen sich die Frauen in dieser Lebensvorlage nicht wiederfinden, und so gibt ihnen der Autor neue Geschichten und begleitet sie auf ihrem oft dornigen Weg weg von den Konventionen hin zu einer neuen Identität und Selbstbestimmung.
Heute begegnen uns diese Frauengestalten im Kino wieder; sie tragen die Gesichter von Helena Bonham Carter (als Kate in Die Flügel der Taube, der ihre Darstellung eine Oscarnominierung einbrachte), Nicole Kidman (als Isabel in The Portrait of a Lady) und Jennifer Jason Leigh (als Catherine in Washington Square). 1949 bekam Olivia de Havilland einen Oscar für die Darstellung einer Henry-James-Figur: In der Regie von William Wyler verkörperte sie Catherine Sloper in Die Erbin. Diesem Film liegt Washington Square zugrunde, der jetzt in einer Neuverfilmung von Agnieszka Holland (Der geheime Garten) in unsere Kinos kommt.
Washington Square ist ein gnadenloser Kurzroman. Das Kernthema sind Gefühle, deren Vorhandensein und deren Mangel. Dort, wo sie fehlen, sind sie als Schein freilich noch vorhanden, dort, wo es sie gibt, werden sie zerstört, und das macht die Geschichte so erbarmungslos. Alles dreht sich um vier Figuren: Im Zentrum steht Catherine Sloper, die rührend schlichte Tochter eines reichen New Yorker Modearztes, deren Gefühle echt sind. Im Laufe des Romans wird ihr Herz allerdings zu Stein, um die Enttäuschungen dreier emotionaler Krüppel verkraften zu können. Sie muß lernen, daß ihr ein junger Mann nur ihres Geldes willen den Hof macht. Sie muß lernen, daß ihr Vater, dem sie treu und gehorsam ergeben ist, sie ihrer Schlichtheit willen verachtet. Sie muß lernen, daß ihre Tante, die sich ihr als Vermittlerin in Liebesdingen anbietet, dies nur tut, um ihren eigenen Hunger nach Romanzen zu stillen.
Catherine wandelt sich von einem treuherzig anhänglichen Hündchen zu einer selbständigen, unverheiratet bleibenden Frau voll Anstand und Würde. Dabei zerreißt es uns beinahe das Herz. Was uns hier vorgeführt wird, hat wenig mit Emanzipation oder Befreiung zu tun, sondern mit der zeitlosen Grausamkeit der Egoisten, die gar nicht merken, was alles an ihnen zerbricht.
Agnieszka Holland ist im großen und ganzen gnädiger mit uns als Henry James es war. Sie sieht für Catherine am Ende ein selbstbestimmtes Leben vor: Bei Henry James bleibt eine verhärtete Catherine zurück, die den Winter im Herzen trägt: Sie bleibt zwar eine ungebundene Frau, aber nach ihrer letzten Begegnung mit dem Liebhaber nimmt sie im Salon ihre Handarbeit wieder auf und läßt sich damit nieder - „gewissermaßen fürs Leben".
In den letzen Jahren wurden wir im Kino oft in die Vergangenheit geleitet. Man denke an A Room with a View (Merchant/Ivory; E.M. Forster) oder an The Portrait of a Lady (Jane Campion; Henry James). In allen diesen Filmen stehen Frauen im Vordergrund. Immer wieder geht es darum, wie sich Frauen selbständig machen und sich aus Konventionen lösen. Sie tun dies in einem aus heutiger Sicht unverfänglichen Ambiente, nämlich in der sicheren Distanz der Vergangenheit, und sie erreichen dabei etwas, was Frauen bis heute noch nicht sehr eindeutig gelungen ist: Sie erobern sich einen Bereich, über den sie selbst verfügen können, ja sogar eigene Macht. Das ist brisanter Inhalt und der wirkt in Reifröcken und Häubchen viel harmloser.
Die Hinwendung zu Frauenfragen gab bereits den Romanen von Henry James die Funktion einer moralischen Instanz, etwas, was auch die Filme von heute sein wollen. In diesem Punkt sind Roman und Verfilmung letztlich konservativ, wenn man den gesellschaftspolitischen Ansatz näher betrachtet: Es geht nicht darum, wie die Gesellschaft zu ändern wäre, sondern wie man es schafft, innerhalb der bestehenden Strukturen das beste daraus zu machen. Um in den Bildern des 19. Jahrhunderts zu bleiben: Henry James zieht den Frauen das Korsett zwar nicht aus, aber er schnürt es ihnen auf, und das war - und ist -immer noch sehr viel von den Händen eines Mannes.
In den detailverliebten, opulenten Bildern von damals kann man sich von den raschen Zwängen der zeitgeistigen Konsumgesellschaft ausruhen und über Wesentliches nachdenken. Washington Square lädt uns dazu ein. Nehmen wir die Einladung an, nicht um in Nostalgie zu schwelgen, sondern um im Spiegel der Vergangenheit zu entdecken, woran es heute im sogenannten Postfeminismus noch immer hapert, nämlich an der Selbstbestimmung der Frau.
Vielleicht geht es Ihnen wie mir seinerzeit mit Daisy Miller: Sie greifen zum Buch und entdecken in alten Tagen, daß es für Frauen einen Weg gibt, den sie beschreiten können, ohne sich wie Ripley in den Alien-Filmen oder wie G.I. Jane den Kopf zu rasieren und Mann zu werden.
Die Autorin ist Mitarbeiterin am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien. (Monika Seidl,DER STANDARD, 17/4/1998)
Im Salon: Der schnellste Weg ins Gefühlszentrum. In "Washington Square" probt Agnieszka Holland, Problemfilmemacherin, die neuerliche Adaption eines Henry-James-Textes. Das Resultat ist dürftig.
Die Perspektive ist klar, von allem Anfang an: Die Kamera läßt sich herab, steigt aus dem Himmel des europäischen Qualitätsfilms auf die Erde hinunter, gleich in der ersten Einstellung, hinein in eine amerikanische Erzählung, in ein traditionell gefälliges Kostüm-Melodram. Die Kamera dringt in die Geschichte vor, zu story und history: Hinter den Fenstern eines vornehmen New Yorker Stadthauses wartet die stille, erstickende Luxuswelt eines deprimierten Mädchens, der Heldin, die bereits in der ersten Minute ihres Lebens einen Tod verschuldet. Ihre Mutter stirbt bei der Geburt - und wird das Leben ihrer Tochter damit für immer prägen. Die Vergeltung für das Ableben der Mutter, wie unfair das auch immer sein mag, wird die Lieblosigkeit des Vaters sein.
Kinoliebhaber kennen die Geschichte. Eine junge New Yorkerin des 19. Jahrhunderts (Jennifer Jason Leigh), in ihrem goldenen Käfig streng bewacht vom angesehenen Vater (Albert Finney), wagt es, sich in einen ansehnlichen, aber mittellosen Mann (Ben Chaplin) zu verlieben, in einen, den ihr Vater ablehnt, weil nicht auszuschließen ist, daß der Heiratswillige nur an ihrem stattlichen Erbe interessiert ist. William Wyler hat dieselbe Story - nach Henry James' 1880 erstmals publiziertem Roman "Washington Square" - schon 1949 in The Heiress, mit Olivia de Havilland und Montgomery Clift adaptiert: in eisgrauen Bildern, in einer Inszenierung von kalter, fast schon gewalttätiger Ökonomie, den immensen Leidensdruck seiner Heldin immer im Visier.
Washington Square, der jüngste Film der zwischen Europa und Amerika pendelnden Agnieszka Holland, ist da anders: ein Schauspieler-Melodram in warmen, gedeckten Farben, ein Film, der sich für Rekonstruktion und Zeitkolorit, für historische Atmosphäre eher interessiert als für die Feinzeichnung der Innenwelten seiner Protagonistin. Jennifer Jason Leigh, die verzweifelte Liebessuchende, schleicht durch dunkle Räume, wie eingeschnürt in Korsetts, Reifröcke und die alles beherrschende Etikette. Wie sie sich durchs Haus bewegt, das sieht so aus, als suchte sie einen Ausweg, eine Geheimtür, die sie wegführen könnte von der eigenen Existenz.
Eine Eigentümlichkeit dieses Films ist das deplazierte Schauspiel seiner Heldin, die nervös, in gelben und blauen Kostümen, aber mit grauen Wangen die Erzählung durchquert. Nur durch zwanghaftes Zupfen - eine Mode der Zeit, die Holland offensichtlich fasziniert - sind die Mädchenwangen immer wieder mit Blut zu füllen. Das impulsive, sprunghafte Spiel Jennifer Jason Leighs fügt sich, wie diese Geste, nicht ins konservative Ganze, bleibt bis zuletzt den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts verpflichtet.
Washington Square, das ist zuwenig Imagination im Umgang mit Historie und Literatur - zugleich aber auch zuviel von allem, in der Inszenierung und im Spiel: Die basedow-äugige Herzlichkeit Maggie Smiths, die die mitfühlende Tante spielt, der theatralisch polternde Zynismus des kalten Vaters Albert Finney, schließlich die finstere Schüchternheit Jennifer Jason Leighs, all das, der ganze Furor seiner Spieler scheint nur der Ablenkung von der stilistischen und ideellen Leere des Films dienen zu wollen.
Und die Kamera tanzt und schlingert zwischen den Welten, übernimmt zunächst den Blick der leidenden Heldin, um sich bald abrupt und launisch von ihr abzuwenden - und stattdessen etwa Finney und Chaplin ins Herrenzimmer zu folgen, zu einem Glas Portwein und einer gepflegten Zigarre, zu einem Gespräch, das Bestehendes bestätigt und der bloßen tragischen Pose dient: Solche Augenblicke sind charakteristisch für Washington Square, diese seltsam phantasielose James-Annäherung, die nur an den Oberflächen des Urtextes rührt. Aus Hollands Inszenierung ergibt sich keine Haltung, kein klares Bild, nichts als ein nobel ausgestattetes, hochkultiviertes Salon-Melodram, das den schnellsten Weg ins Gefühlszentrum seiner Zuschauer sucht. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 25/4/1998)
"Washington Square" - Trotz gebauschter Kostüme pudelnackt
Verrät die Oberfläche eines Apfels etwas von der genauen Beschaffenheit des Kerngehäuses? Nicht doch! Auch kündigt seine gewachste Schale nicht immer faulige Stellen tief im Fleisch an. Ganz das Gegenteil dazu die Oberfläche genialer Schauspieler: Ein tückischer Blick kann bis an seinen Ursprung in schwarzer Seele zurückverfolgt werden. Ein zuckender Mundwinkel innerliches Amüsement, ein gekrümmter Rücken tiefsitzende Gemütsverletzungen offenbaren. Deshalb scheinen in diesem plüschigen Gefühlskrimi die handelnden bzw. mißhandelnden Personen allesamt pudelnackt. Dies, obwohl sie in unzählige Schichten aufbauschiger Röck, gefütterter Westen, reichem Spitzenbesatz und voluminösen Krägen geradezu vermummt sind.
Zugunsten der Protagonisten dieses exemplarischen Frauenmartyriums läßt sich vor allem einmal sagen, daß die archaisch schlichte Seelenkostüme alle aufwendig dekorative Gewänder übertrumpfen. Das übertreibt nur - schamlos outrierend wie immer - Jennifer Jason Lee als gefühllosen Männern und erbarmungsloser Zeitmoral ausgeliefertes Wesen. Was sie für manche Fans zur besten Schauspielerin ihrer Generation kürt.
In Henry James« herzhafter Anklage gegen Tierquälerei an einem wehrlosen Mauerblümchen herrschen das viktorianische Zeitalter, schnöde Geldgier und ein tyrannischer Vater über seine sensible, scheue, liebesbedürftige Tochter. Von der Kunstrichtung her dem späten Depressionismus zuzuordnen, hat der amerikanische Romancier dieses Werk herausgebracht, in dem eine gefühlsüberschwengliche Frau von kaltem, feigem männlichem Unverständnis geradezu schockgefroren wird. Wobei die Wahl des übelsten Bösewichts unter den Schicksalsspielern nicht leicht fällt.
Da ist der Hausherr der bestbürgerlichen Villa am New Yorker Washington Square, der seinem einzigen Kind den Heiratssegen verweigert, weil er in dem mittelosen Lover einen Mitgiftjäger wittert. Strafverschärfend schlägt sich dazu, daß der Alte seine Tochter auch noch total verkennt und verachtet. Doch auch der offenbar schwärmerisch liebende Jungmann verrät sich am Ende doch als verhindernder Erbschleicher und schnöder Materialist. Getreu nach des späteren Brechts zynischem Motto: Gibt ein Weib euch alles her, laßt es fahren, denn es hat nicht mehr...
Das Kalkül der großen polnischen Regiefrau Agnieszka Holland, für ihre erste Hollywoodproduktion eine emanzipatorische Leidensgeschichte zu wählen, ist aufgegangen. Auch wenn hier viele männliche Zuschauer trotz echten Interesses längst von einem Bier träumen werden, wenn ihre weibliche Begleitung noch längst nicht die letzte Träne zerdrückt hat. (Rudi John,.KURIER)
Weitere Kritiken der IMDb
USA 1997. 121 Min
Regie: Wes Craven,
Buch: Kevin Williamson,
Musik: Marco Beltrami, Danny Elfman,
Kamera: Peter Deming,
Schnitt: Patrick Lussier,
Darsteller: Neve Campbell (Sidney Prescott), David Arquette (Dewey Riley), Courtney Cox (Gale Weathers), Jamie Kennedy, Elise Neal, Jerry O'Connel, Timothy Olyphant
Kinostart: 3/4/1998
Der zweite Teil des überaus erfolgreichen ersten "Scream". Wieder wird eine Kleinstadt von einem Killer heimgesucht, der es auf Sidney Prescott (Neve Campbell) abgesehen hat. Er terrorisiert sie am Telefon und mordet vor sich hin. Buchstäblich jeder könnte der Killer sein. Bekannte Figuren aus dem ersten Teil tauchen erneut auf - die lokale Reporterin Debbie Salt, der ehemalige Deputy Sheriff Dewey Riley, Sidneys Freund Randy und ihre Zimmergenossin Hallie. Sidney traut keinem mehr, denn je mehr Freunde von ihr getötet werden, um so wahrscheinlicher wird, daß der Killer aus ihrem engsten Umkreis kommt.
Ein wiederum spannender und blutiger Horrorstreifen, der jedoch mit dem Das-gabs-doch-schonmal-Effekt versehen ist. Für eingefleischte Horror-Freaks natürlich sehenswert. (film.de)
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Fortsetzung des Horrorthrillers "Scream": Die wenigen Überlebenden des Vorläufers finden sich als Studenten einer Filmhochschule wieder und werden erneut von einem unberechenbaren Mörder heimgesucht. Weniger noch als im ersten Teil wird das Geschehen von Suspense-Momenten getragen, Spannung reduziert sich auf mit großem orchestralem Aufwand untermalte Schockeffekte, die sich beizeiten ebenso abnutzen wie filmische Zitate und Querverweise. Ein spekulatives, dabei um politische Korrektheit buhlendes Machwerk, das nur noch ärgerlich stimmt.
Irgendwie mag man Horrorveteran Wes Craven seinen Überraschungserfolg "Scream - Schrei!" (fd 32 822) gegönnt haben, auch wenn dieser Film in keiner Weise besser oder schlechter war als seine früheren Arbeiten. Unvermeidlich war wohl, daß der unerwartete Publikumszuspruch zu einer neuen Welle des "Teenage-Slasher"-Filmes führen würde, zu jenem Genre, auf das schon lange niemand mehr einen Blumentopf verwettet hätte. Obwohl Craven angekündigt hatte, nach dem Einspielrekord von "Scream" endlich einen "richtigen Film" drehen zu wollen, hat er der Versuchung eines Sequels nicht widerstehen können. Gemäß dem Motto, das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist, liegt nun die obligatorische Fortsetzung vor. Da nicht genug Protagonisten aus dem ersten Teil überlebt haben, um damit die Fortsetzung zu bestücken, mußte die Handlung an einen neuen Schauplatz verlegt werden. Die schöne Sidney und ihr ehemaliger Klassenkamerad Randy studieren nun gemeinsam; sinnigerweise an einer Filmhochschule - dies bietet z.B. Gelegenheit, ausführlich über Horrorfilme zu debattieren. Als das Morden wieder einsetzt, sind auch Sensationsreporterin Gale Weathers und der stark blessierte Dorfpolizist Riley wieder zur Stelle. Alles schart sich um Sidney, da sie als Hauptobjekt des neuaufgelegten Terrors prädestiniert scheint. Erneut beginnt sich das Karussell von Mord und Verdacht zu drehen, und erneut darf ausgewürfelt werden, wer als nächster vom unberechenbaren Killer hingeschlachtet wird bzw. wer als Urheber der Untaten in Frage kommt. Da es keine Handlung gibt, die die nun einsetzende Abfolge von Metzeleien aufbauend begleitet, kann auf eine Beschreibung dieser Bruchstücke verzichtet werden. Da jeder außer Sidney selbst der potentielle Mörder sein kann, reduziert sich das Beziehungsgeflecht zwischen den Personen auf diese eine Frage. Spekulationen über die Täterschaft werden durch das Drehbuch bevorzugt dadurch unterlaufen, dß der gerade am meisten Verdächtige als nächstes "Negerlein" zum Opfer wird. Vergessen wird dabei allerdings die Lernfähigkeit des Publikums, so daß sich das Prinzip bald umkehrt und schlicht Langeweile freisetzt.
Craven setzt zu fast ausschließlich auf "Surprise", auf das an Sherlock Holmes gemahnende altväterliche Who-done-it-Prinzip. Im Presseheft wird man sogar höflich gebeten, keine Hinweise auf die Auflösung zu geben. Dies erinnert ein wenig an die deutsche Erstausstrahlung von David Lynchs "Twin Peaks", als der private Konkurrenzsender durchblicken ließ, wer als Mörder von Laura Palmer in Frage kommen könnte. Allerdings war der Gesamtcharakter von Lynchs Serie über dieses Detail erhaben. Anders bei Craven. Weniger noch als im ersten Teil wird das Geschehen von Suspense-Momenten getragen,die ja einen intelligenten Thriller erst ausmachen. Spannung reduziert sich auf mit großem orchestralem Aufwand untermalte Schockeffekte - die sich ebenfalls beizeiten abnutzen. Bleiben noch die kinematografischen Insider-Jokes, die nach dem Prinzip russischer Holzpuppen verschachtelten Zitate und Querverweise - nicht genug für einen eigenständigen Film. Allzu aufgesetzt wirkt zudem der Umstand, als Schauplatz eine Filmschule zu bemühen, die noch dazu an einen englischen Landsitz erinnert (Sherlock Holmes läßt nochmals grüßen). Daß die endgültige Domestizierung des Horror-Genres ausgerechnet durch einen ihrer Pioniere vollstreckt wird, ist tragisch. Daß Craven sich nicht entblödet, ein derart spekulatives, dabei um politische Korrektheit buhlendes Machwerk abzuliefern, stimmt nur noch ärgerlich. War "Scream" nämlich ausschließlich ein Abschlagspiel innerhalb der weißen Mittelklasse, dürfen diesmal nach wenigen Minuten schon auch dunkelhäutige Mitbürger gekillt werden. Diese Quotenregelung ist überdeutlich und zieht sich durch den ganzen Film. Nein, hier ist rein gar nichts mehr subsersiv - eine pure Anbiederung an die Bigotterie des amerikanischen Lebensstils, an die Diktatur der tadellosen Gebisse, der gesunden Ernährung und ausrasierten Achselhöhlen. Sidney verdient sich ihr ewiges Überleben auch durch den Umstand, als einzige weder zu rauchen noch zu trinken, sie flucht nie und hat offensichtlich auch keinen Sex. Sie wirkt geradezu wie eine vorbildliche Komsomolzin. (Claus Löser, film-dienst)
"Scream 2" - Mehr Blut, weniger Humor. Der zweite Teil des humorigen Horrorfilms hat nur eine Steigerung: noch mehr Morde. Ein dritter Teil soll folgen.
Als erfolgreichster Genrefilm aller Zeiten gilt Wes Cravens "Scream". Die raffinierte Mischung aus selbstbezüglichem Humor und gradlinigem Horror verbuchte rekordträchtige Einspielergebnisse und machte den Film auch zum Gegenstand seriöser Feuilletons. Da lag es nahe, mit einem kurzentschlossenen Sequel nachzufassen. Aber der Eindruck täuscht. "Scream" war von Craven und Drehbuchautor Kevin Williamson von Anfang an als Trilogie geplant, und auch der zweite Teil ist eine virtuose Variationenfolge über das vorgelegte Thema.
Schon der Auftakt ist Programm. Im Kino steigt die Vorpremiere eines Horrorfilms, der die Ereignisse von "Scream 1" zum Inhalt hat. An das ausgelassene Publikum werden die Masken der Killer verteilt, die zwei Jahre zuvor Sidneys Freundeskreis im heimatlichen Woodsboro dezimiert haben. Die Stimmung ist aufgekratzt, doch unter einer der Masken verbirgt sich ein meuchelnder Killer, der im allgemeinen Begeisterungstaumel um das trashige Leinwandspektakel seiner blutigen Passion nachgeht.
Sidney (Neve Campbell) besucht mittlerweile eine Schauspielklasse am Windsor College, wo sie die Nachricht von der Greueltat erreicht. Während ihre Kommilitonen über die Frage streiten, ob es in der Filmgeschichte je ein gutes Sequel gegeben habe, wiederholt sich der Schrecken aus "Scream 1" auf dem verschlafenen Campus der kleinen Universität. Erneut machen Wes Craven und Drehbuchautor Kevin Williamson das Genre selbst zum Thema. Die Selbstbespiegelung des Films im Film und eine meisterhaft inszenierte Stilanleihe an die griechische Tragödie öffnen verwegene Perspektiven.
Aber während der Horror im ersten Teil ganz homogen und organisch aus den Gesetzen des Genres selbst entwickelt wurde, bleibt die Metaebene diesmal abstrakt und von der eigentlichen Mordgeschichte losgelöst. Das Ambiente aus Theaterbühne und Filmstudio schafft sinnfällige Verfremdungseffekte, ohne auf den Gang der Handlung wesentlich einzuwirken. Das hat auf den Spannungsverlauf der Geschichte keinen unmittelbaren Einfluß. Doch fehlt dem Film in der Schlußpointe die ironische Überspitzung, die "Scream" zum Kinoereignis machte. Ein intelligenter Genrefilm, aber nicht ganz die versprochenen Steigerung des Originals. "Scream 3" soll's richten. (Manfred Müller, SPIEGEL ONLINE 17/1998)
Nach allen Regeln der schrecklichen Unvernunft mußten in Wes Cravens Überraschungshit „Scream“ einige Jugendliche trotz jahrelangen Studiums der Überlebensspielregeln im Nachtfernsehen ihr melrosiges Leben lassen. Ein Hit darf nie allein bleiben, also hat sich Autor Kevin Williamson wieder hingesetzt und eine ebenbürtige, wieder sehr „postmoderne“ Fortsetzung verfaßt: Schlock und Tollerei und Witze über Sequels, von denen „Scream2“ keins der schlechteren ist. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 24/5/1998)
Eigentlich ist dieser Film mindestens drei Filme: Scream, der Überraschungserfolg des vergangenen Jahres; Scream2, dessen Fortsetzung; und Stab, jener Film, der am Anfang von Scream2 Premiere hat und auf den Ereignissen von Scream basiert. Im Publikum sitzt Maureen alias Jada Pinkett, auf der Leinand agiert Tori Spelling, die die Rolle von Sidney spielt, die wiederum im eigentlichen Film von Neve Campbell verkörpert wird.
Der Dramaturgie von Scream folgend, fällt einem von ihnen, dem richtigen Mörder unter den vielen falschen, zu Beginn natürlich gleich ein Star zum Opfer. Im Anschluß an diesen blutigen Prolog tritt dann nach und nach das Personal von Scream auf den Plan – respektive die Überlebenden – und erlebt neuerlich den Schrecken des messerstechenden Serienmörders mit Hang zu Telefonterror und Horrorfilmen.
Die „Selbstreflexivität“, die in Scream schon angelegt und dort noch relativ vergnüglich zelebriert wurde, quillt in Scream2 aus allen Fugen: Da wird in Filmseminaren über Sinn und Unsinn von Fortsetzungen diskutiert oder rasch die beliebte Debatte über die Folgen von Gewalt im Kino durchgespielt. Dazwischen wechselt der Film die Ebenen, und Beverly Hills 90210 wird ebenso durch den Kakao gezogen wie Twin Peaks.
Konzentriert man sich auf den Plot von Scream2, dann stellt man fest, daß die Mordsequenzen weniger fesselnd inszeniert, aber dafür in ihrer Stumpfheit um einiges ekelhafter sind, als dies beim Vorgänger der Fall war. Autor Kevin Williamson hat sich in einzelnen Szenen selbst plagiiert, und die Vermutung, die IKnow What You Did Last Summer nahelegte, daß Wes Cravens Beitrag Scream zum vergleichsweise interesssanteren Film machte, kann Scream2 nicht bestätigen.
Wie heißt doch der Werbespruch zum Film: „Jemand ist mit seiner Liebe zu Fortsetzungen einen Schritt zu weit gegangen.“ Jetzt überall im Kino. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 25/4/1998)
Zwei Jahre sind vergangen, seitdem zwei Killer die verschlafene Kleinstadt Woodsboro terrorisierten. Die Fernsehjouranlistin Gale Weathers (Courteney Cox) hat die Ereignisse von damals in Ihrem Bestseller “The Woodsboro Murders” festgehalten. Bei der Vorpremiere des Films zum Roman kommt es abermals zu einem blutigen Verbrechen. Schnell wird klar, daß es der dämonische Killer erneut auf Sidney Prescott (Neve Campell) abgesehen hat, die mittlerweile das College besucht. Wieder terrorisiert er die Studentin am Telefon, während er ein Opfer nach dem anderen fordert. Sidney weiß: Buchstäblich jeder könnte der Killer sein... Der erste Teil “Screm” spielte in den USA 100 Millionen Dollar ein und wurde in Deutschland von mehr als 1,5 Millionen Zuschauern im Kino gesehen. Auch der zweite Teil spielte in den USA auf Anhieb 32,9 Millionen Dollar am ersten Wochenende ein. (Expresso-Online )Fortsetzung des Horrorthrillers "Scream": Die wenigen Überlebenden des Vorläufers finden sich als Studenten einer Filmhochschule wieder und werden erneut von einem unberechenbaren Mörder heimgesucht. Weniger noch als im ersten Teil wird das Geschehen von Suspense-Momenten getragen, Spannung reduziert sich auf mit großem orchestralem Aufwand untermalte Schockeffekte, die sich beizeiten ebenso abnutzen wie filmische Zitate und Querverweise. Ein spekulatives, dabei um politische Korrektheit buhlendes Machwerk, das nur noch ärgerlich stimmt.
Die blutige Seifenoper: Von Beverly Hills nach Déjà-vu. Wes Cravens "Scream" -Trilogie nimmt Gestalt an: Seine jüngste filmische Bluttat, "Scream 2", analysiert, in Auflösung begriffen, wieder nur sich selbst.
Der amerikanische Horrorfilm ist ein in sich geschlossenes System, ein Spiel, das präzise abgesteckten Regeln folgt und den panischen Schreihals so sehr benötigt wie den durchgedrehten slasher, den Schlitzer wehrloser Opfer. Scream 2, Wes Cravens neuer Film, lebt von einer narrativen Verdrehung, weil in ihm von den Regeln eher die Rede als von den Mördern, Opfern und Motiven: Der fulminante Einstieg in die selbstreflexive Erzählung findet - selbstverständlich - im Kino statt und etabliert schnell beides, die Panik und die Gewalttat, den Schrei (scream) und den Stich (stab).
Die Tafeln über dem Kino-Eingang buchstabieren in Szene eins den Titel eines Schockers, den man, in einer sneak preview, erstmals zeigt. Schon der Name des fiktiven Films-im-Film sagt, wovon er handelt: Stab, eine Geschichte vom Erstechen. Drinnen ist eine Party, passend zur Kunst, im Gang - mit fliegenden Plastikmonstern wie bei B-King William Castle, mit Gummimessern und Täter-Masken, deren Design man sich bei Munch geliehen hat: Die Masken geben denen, die sie tragen, anonyme, wie zum Schrei verzogene Gesichter.
Scream 2 , der Mittelteil einer in Arbeit befindlichen Trilogie, ist eher ein Remake als eine Fortsetzung. Die Geschichte bleibt im wesentlichen dieselbe: Wie schon in Scream sieht sich die Dorfjugend eines kleinen amerikanischen Ortes von unbekannten Killern, die offensichtlich auch Horrorfilmliebhaber sind, terrorisiert.
Craven und sein Drehbuchautor Kevin Williamson beweisen die Liebe zu den Traditionen ihrer Erzählung in jedem Bild und jedem Detail; und sie konstruieren im an sich simplen Spiel eines Films, der unentwegt nur von sich selbst spricht, immer wieder bemerkenswerte Augenblicke: wenn etwa ein schwarzes Paar, längst Teil eines blutigen weißen Horrorfilms, vor dem Kino noch über Idiotie und Armut des US-Horrorfilms plaudert, der noch nicht einmal in der Lage sei, von afroamerikanischen Menschen zu erzählen. Wes Cravens Kino agitiert tatkräftig und sarkastisch gegen solche Ausgrenzungen.
Die Killer sind bei Craven überall, auf der Leinwand und im richtigen Leben, weil das eine vom anderen im Bewußtsein der Kids nicht mehr zu trennen ist: Amerika ist Gewalt plus Entertainment, die virtual reality bleibt die einzige noch denkbare Wirklichkeit.
Scream 2 ist, mehr noch als der erste Teil, ein Labyrinth, durch das der Betrachter unsanft geschleust wird, ein Netz der zitierten Zitate, der filmischen Niveaus und Metaebenen. Stab, der Film, den man parallel zu den ersten beiden Morden anfangs im Kino zeigt, will eine Dramatisierung der "realen Ereignisse" des ersten Teils von Scream sein: ein gewagtes erstes Selbstzitat mit Drew-Barrymore-Imitat und Hitchcock-Psycho- Dusche.
Später jagt der maskierte Killer sein Opfer durch ein Tonstudio, wo sich Morde technisch besser, schalldicht nämlich, verüben lassen. Craven, altgedienter Horrorstilist, kann sich nach drei Jahrzehnten Schockarbeit solch verdrehten Zynismus leisten.
Selbst in Cravens junge Schauspieler scheint sich die Geschichte des Horrorfilms eingeschrieben zu haben: Sonderling David Arquette kreuzt mit Ed-Wood-Oberlippenbärtchen durch den Film, während Craven immer wieder auf die Posen und Bilder der Fifties-B-Pictures rekurriert (Kamerablick von schräg unten auf verängstigtes Paar!). Daneben aber leben in Scream 2, einem Thriller der späten neunziger Jahre, auch die neue Drastik des Siebziger-splatter-movies und das Teenager-Killerkino der achtziger Jahre, das Wes Craven mit A Nightmare on Elm Street so sehr mitgeprägt hat: In Scream 2 stecken gut fünf Jahrzehnte Paranoia.
Amerikas Jugendkultur porträtiert Craven nebenbei - und erstaunlich präzise: Seine Stars (Neve Campbell, Jamie Kennedy, Elise Neal und Sarah Michelle Gellar) sehen zwar aus, als kämen sie direkt aus Beverly Hills 90210, ihre Mode, ihre Sprache und Probleme aber scheinen am alltäglichen Amerika näher dran zu sein als das US-Serienfernsehen. Und Craven läßt es sich nicht nehmen, sogar Tori Spelling, Beverly-Hills- Superstar, in einer Nebenrolle zu verheizen.
Ein Element, das Scream 2 seinem Vorgänger hinzufügt, ist das Theater, das neue doppelte Böden möglich macht: Cravens Finale vollzieht sich mit Theaterdonner, sein großer Film-Showdown findet ironischerweise als Bühnen -Inszenierung statt. Scream 2 geht über die Grenzen seines Genres nicht hinaus, aber das will Craven gar nicht. Er unterzieht das Material, mit dem er seit dreißig Jahren hantiert, einer großangelegten satirischen Psychoanalyse, die selbst das Zeug zur Show hat. Derangiert, blessiert und blutverschmiert entsteigen die Helden diesem Film: Beverly Kills 90210.
Und sogar lernen kann man etwas aus Scream 2: Daß der Tod im Horrorfilm nie endgültig ist, spricht ja am Ende auch für letzteren. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 25/4/1998)
"Das ist eine Warnung ans Publikum". Wes Craven, Horrorfilmer, über das Leben in der Phantom-Realität, Zufälle in der Regiekarriere und seinen erfolgreichen neuen Film, "Scream 2": Ein Interview.
Teenager stehen bei ihm auf der Abschußliste: Wes Cravens Horror-Arbeiten sind Eliminationsprozesse, phantasievolle und explizite Mordgeschichten unter angstvollen jungen Menschen - Filme, die nebenbei stets auch amerikanische Kultur, pop & politics vermessen. Cravens neuer Film, Scream 2, Teil zwei einer Trilogie über das Horrorfilmemachen, startete vor kurzem höchst erfolgreich in Amerika: Ab morgen kann man sich von ihm auch in Österreich erschrecken lassen.
"DIE PRESSE": In "Scream 2" imitieren Serienmörder andere Serienmörder, die ihrerseits Kino-Killer nachahmen. Eine Ihrer Figuren sagt: "Hier imitiert die Wirklichkeit eine Wirklichkeit, die Kunst imitiert." "Scream 2" sollte da noch eins draufsetzen?
Wes Craven: Man kann das schon so sehen. Das Thema ist ja, daß unsere Leben fast ohne Verzögerung in den verschiedensten Medien verarbeitet und gespiegelt werden. Das kann sehr befreiend oder verstörend sein. Die Heldin meines Films, Neve Campbell, ist gezwungen, ihr Leben durch diesen Filter zu betrachten.
Metzeln Sie in Ihren Filmen nicht eigentlich Ihr Publikum nieder?
Craven: Ich finde es spannend, wenn man sich als Zuschauer fragt: "Oh Gott, handelt dieser Film nicht von jemandem, der exakt so ist wie ich?" Das ist ja auch eine Warnung ans Publikum, die Wirklichkeit nach Filmklischees zu deuten. In Scream 2 überlebt man nicht, wenn man sich darauf verläßt, daß alles den Regeln des Horrorkinos folgt.
In "Scream 2" gibt es einen Streit, ob Fortsetzungen besser als das Original sein können. Ist Ihr Film denn ein Sequel?
Craven: Nein, er ist der zweite Teil einer Trilogie. Eine Fortsetzung folgt typischerweise dem Killer, es gibt mehr "Freddy", mehr "Jason". Die Opfer werden dabei von Film zu Film einfach ausgewechselt, jedesmal eine neue Gruppe. Die Scream- Filme interessieren sich nicht für das Böse, sondern für die menschliche Seite.
Sie kommen aus einer Familie strenger Baptisten. Durften Sie als Kind Filme sehen? Oder entdeckten Sie die erst im College, wie der Calvinist Paul Schrader?
Craven: Schrader und ich haben viel gemeinsam. Ich durfte im Kino nur Disney-Filme sehen, was mich ziemlich beeinflußt hat. Ich sah fern, wenn es ging. Und in meiner Schule in Cleveland zeigten sie jeden Tag mittags eine Filmrolle. Am Ende der Woche hatte man den Film dann ganz gesehen. Sie führten Kriegsdramen vor. Und Filme mit Dean Martin oder Esther Williams. Das waren meine verbotenen Früchte.
Anfang der siebziger Jahre in New York landeten Sie als Praktikant beim Dokumentarfilm.
Craven: Den ersten Job in New York bekam ich in einem Gebäude, in dem ein halbes Dutzend Dokumentarfilmer arbeiteten, darunter Richard Leacock und D. A. Pennebaker. Mein erster Film, Das letzte Haus links (1972), ist im Stil und in der Herstellungsweise von dieser Erfahrung geprägt.
In ihrem Debüt und später auch in "Shocker" (1989) integrierten Sie Filmschnipsel, die aus News- und Kriegsberichten stammen. Dringt da die Siebziger-Jahre-Erfahrung durch, Vietnam im eigenen Wohnzimmer zu erleben?
Craven: Ja, wahrscheinlich. Dieser Einbruch einer anderen Realität in die eigenen vier Wände hat mich immer beeindruckt. Das ist eine tiefgreifende, schockierende Erfahrung. Das wollte ich aus meinen Filmen nicht heraushalten.
In der "Scream"-Serie ersetzen Sie diese erste Wirklichkeit endgültig durch ein rein fiktives Bezugssystem, durch andere Filme.
Craven: Vieles in Scream dreht sich um diese Phantomrealität. Filme sind synthetisch hergestellte Realität, aber sie werden dennoch Teil der Wirklichkeit dieser Kids. Was sich in den Scream- Filmen zuträgt, ist wiederum Teil des Genres, das wir reflektieren. Es ist ein Spiel zwischen Fernsehschirmen und Leinwänden.
Wenn der Auftraggeber Ihres Debüts sein Geld nicht in die Story der Ermordung zweier Teenager, sondern in eine Komödie oder eine Romanze investiert hätte, wäre dann aus Ihnen ein ganz anderer Regisseur geworden?
Craven: Ich habe schon Komödien geschrieben. Ich mag Kinder, ich mag Tiere. Mein nächster Film wird auch aus meinem gewohnten Arbeitsfeld herausfallen, Fifty Violins mit Madonna, die Geschichte einer Violinlehrerin, die sich mit der Musik aus einer verzweifelten Lebenslage rettet. Das ist auch irgendwie mein Thema, ich liebe Musik, habe klassische Gitarre studiert.
Kommen Sie also dem autobiographischen Film ein Stück näher, den Sie aus Angst vor den Reaktionen Ihrer Familie nie in Angriff genommen haben?
Craven: Den würde ich immer noch gerne machen. Er kommt. Irgendwo da hinten. Ich kann ihn schon hören. (Robert Weixelbaumer, DIE PRESSE, 24/4/1998)
Zweite Teile sind Scheiße, heißt es gleich zu Beginn... dieses zweiten Teils. Aber dann kratzen einige Studenten des Seminars Filmtheorie doch noch ein paar mögliche Gegenbeispiele zusammen: „Alien 2“, „Terminator 2“, „Der Pate 2“, meinen die Auskenner, wären durchaus Steigerungen gewesen. Ab sofort, das ist gewiß, muß auch „Scream 2“ dazu gehören. Unverkrampft fröhlich mit frechen Anspielungen auf die Horrorfilmgeschichte und furchtloser Selbstironie spielerisch Humor und Schrecken zu verbreiten, war der durchschlagende Erfolg des erstes „Scream“.
Nun wird diese perfide Methode konsequent auch auf die eigene Vorgeschichte anwendet, welche die Fortsetzung samt fast allen bereits bekannten Figuren genüßlich zitiert, persifliert und karikiert. Um Schocks dazwischenzuschieben, bei denen unsere genervten Impulsgeber von Lachen und Entsetzen gelegentlich sogar gleichzeitig auslösen. Was zuschauerseits zu ungeahnten Empfindungen führt. Der Serienkiller mit dem Phallusmesser und der Idiotenmaske, die Edvard Munchs berühmtes Gemälde „Der Schrei“ in einen quälgeisterhaften Totenkopf umpolt, schlachtet jetzt einen Campus aus.
Sein erstes Opfer krepiert live im Kino - geradewegs in eine spannende Szene von „Scream 1“ hinein. Einmal wird Telefonsex von Telefonkill mühelos übertrumpft. Und die hermetische Verglasung eines Tonstudios macht Szenen möglich, die Hitchcocks berühmte Duschszene in „Psycho“ zu filmischer Babynahrung deklassieren. Etwa ungehörte Hilfeschreie eines vom Killer Bedrohten, dessen ahnungslose Geliebte einen Zentimeter weiter - wegsieht. Um dann mit hilflosem Entsetzen ansehen zu müssen, wie der Mörder zuschlägt...
Wer sich an die Fortsetzung eines Kultfilms macht, ist fast immer ein Sklave seines eigenen ersten Streichs. Regisseur Wes Craven und Autor Kevin Williamson können über derlei Vorurteile nur lachen. Reizend, uns mitlachen zu lassen. (Rudi John, KURIER)
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