F 1997. 120 Min
Regie: Patrice Chéreau,
Buch: Danièle Thompson, Patrice Chéreau, Pierre Trividic,
Kamera: Eric Gautier,
Schnitt: François Gedigier,
Darsteller: Pascal Greggory (François), Valéria Bruni-Tedeschi (Claire), Charles Berling (Jean-Marie), Jean-Louis Trintignant (Jean-Baptiste/Lucien), Bruno Todeschini (Louis). Sylvain Jacques (Bruno), Vincent Perez (Viviane), Roschdy Zem (Thierry)
Kinostart: 4/9/1998
Jean-Baptiste Emmerich, der Maler, sagte gegen Ende seines Lebens, als er Paris verließ, "Wer mich liebt, nimmt den Zug". Wenig später starb er. So nehmen sie also alle an einem Frühlingsmorgen den Zug nach Limoges. Die wahren Freunde und die falschen; die Erben, die legitimen und die illegitimen; die Blutsverwandten und die Seelenverwandten. Manche Familien treffen sich eben nur auf Beerdigungen.
Ein Drama rund um Liebe, Hoffnungen und Erinnerungen. Nach "Die Bartholomäusnacht" hat Patrice Chéreau die Handlung diesmal jedoch in die Gegenwart verlagert. (film.de)
Ein mit 70 Jahren verstorbener homosexueller Maler hat verfügt, daß er in seiner Heimatstadt Limoges begraben wird und daß alle, die ihn lieben, mit dem Zug zu seiner Beerdigung reisen. Während der Fahrt und auf der Begräbnisfeier entspinnt sich unter den Hinterbliebenen eine komplexe Tragikomödie um Erinnerungen, zerplatzte Illusionen, zerstörerische Wahrheiten und Zukunftsängste - aber auch um Hoffnungen auf einen Neuanfang. Ein eindrucksvoller filmischer Reigen menschlicher Schicksale, geprägt von einer höchst intensiven Kameraarbeit sowie von grandiosen schauspielerischen Leistungen.
Die Dekadenz und der "Untergang" der Bourgeoisie haben französische Filmemacher schon immer fasziniert. Patrice Chéreau nimmt sich nun der (Lebens-)Krise unserer Tage an, den durcheinandergeratenen Geschlechter- und Beziehungsrollen, über denen die Krankheit AIDS wie ein Damoklesschwert schwebt. Wie Louis Malle in "Ein Komödie im Mai" (fd 28 193) wählt auch er eine Beerdigung als Ausgangspunkt, um für zwei Tage einige Menschen zusammenzuführen. Der homosexuelle Maler Jean-Baptiste ist mit 70 Jahren in Paris gestorben. Sein letzter Wille war die Anordnung, ihn in seiner Heimatstadt Limoges zu beerdigen, und der Wunsch, daß seine Freunde ihn dorthin mit dem Zug begleiten sollen. Während seine letzter Geliebter und Pfleger, der Dealer Thierry, dessen kleine Tochter Elodie Jean-Baptiste als Erbin eingesetzt hat, die Leiche mit einem Kombi nach Limoges überführt, steigen in Paris 15 Personen in den Zug. Da sind der 43jährige François, die große Liebe und der Lieblingsschüler des Künstlers, und sein Geliebter Louis. Louis verliebt sich auf der Zugfahrt in den jugendlichen Stricher Bruno, ohne zu ahnen, daß dieser ein Verhältnis mit François hatte. Mit von der Partie sind auch der Neffe des Malers, Jean-Marie, und seine getrennt von ihm lebende Frau Claire. Beide sind drogensüchtig. Aber während Claire, wenn auch unter starkem Tabletteneinsatz, den Entzug zu schaffen scheint, wartet Jean-Marie sehnsüchtig auf den Stoff-Lieferanten Thierry. Während der Fahrt brechen alte Konflikte auf, und Claire wagt es nicht, Jean-Marie zu sagen, daß sie ein Kind von ihm erwartet. Louis hingegen gesteht François sein Verhältnis zu Bruno, woraufhin dieser ihm eröffnet, daß Bruno HIV-positiv sei. Verwirrt verläßt Louis auf dem nächsten Bahnhof die Trauergesellschaft. Thierry ist mittlerweile wegen Übermüdung mit dem Leichenwagen im Graben gelandet und erreicht Limoges auf einem Abschleppwagen. Auf dem Friedhof trifft man mit der Familie des Toten zusammen. Jean-Marie sieht nach zehn Jahren seinen Vater Lucien wieder, den Zwillingsbruder Jean-Baptistes. Auch die schöne Viviane, offensichtlich eine frühere Geliebte des Verstorbenen, die eine Geschlechtsumwandlung hinter sich hat, stößt zur Trauergemeinde, die nach der Beerdigung im Haus der Familie zu einer Nacht der Aussprachen und Geständnisse zusammenfindet. Lucien versöhnt sich mit seinem Sohn, der eher Jean-Baptiste als seinen Vater akzeptiert hatte; Claire und Jean-Marie finden eine Übereinkunft, die vielleicht einen Neuanfang ermöglicht; Bruno entschließt sich, mit Louis zusammenzuleben; nur François bleibt einsam zurück und tritt allein die Heimreise nach Paris an.
"Wer mich liebt, nimmt den Zug", soll der Regisseur François Reichenbach kurz vor seinem Tod im Jahr 1993 gesagt haben, als er seinen Begräbnisort in Limoges bestimmte, auf Europas größtem Friedhof, dessen 185.000 Grabstätten die Einwohnerzahl der Stadt (140.000) übertreffen. In der Geschichte des Films mischen sich biografische Elemente seines Lebens mit dem von Patrice Chéreau, der sich schon in "Der verführte Mann" (fd 25 260) als jungen Homosexuellen porträtierte und nun in der Figur Francois' sein Dasein als gereifter Mann reflektiert. Frauen bilden dementsprechend nur einen kleinen Teil des filmischen Kosmos. Vom ersten Moment an bestimmt der "Übervater" Jean-Baptiste die Stimmmungen und Gedanken der Hinterbliebenen, dessen Stimme in Form eines letzten Interviews aus dem Off zu hören ist. Die CinemaScope-Handkamera fängt die Hektik des Bahnhoftreibens ein, folgt mal dieser, mal jener Figur, um sie im nächsten Augenblick wieder aus dem Auge zu verlieren. Geschickt nimmt sie dann den "fahrigen" Rhythmus der Zugfahrt auf, quetscht sich durch die überfüllten Abteile und umkreist die Gruppe wie ein Schäferhund seine Herde. Da alles in ständiger Bewegung ist, verliert man ab und an den Überblick. Hinzu kommt, daß Kameramann Eric Gautier ausschließlich mit natürlichem (Gegen-)Licht arbeitet: die Gesichter "zerfließen" manchmal im Dunkeln, so daß nur die Stimmen Orientierung verschaffen. Während der Fahrt und auf der Begräbnisfeier konzentriert sich der Film auf einige Personen, an deren Schicksal er teilhaben läßt, während er andere aus dem (Kamera-)Blick verliert. Im ersten Moment wirkt dieses "Fallenlassen" irritierend, dann aber bekommt dieser Inszenierungsstil doch Methode, weil er die realisistische Widerspiegelung einer Trauerfeier ist, auf der man auch nicht jeden kennt.
Daß die kaleidoskopischen Charakterskizzen nicht zur zusammenhanglosen Aneinanderreihung verkommen, liegt zum einen an der Allgegenwart von Jean-Baptiste, der seine Freunde und Bekannten auch noch im Tod zu beherrschen scheint, zum anderen aber an dem großartigen Schauspieler-Ensemble. Hier merkt man die präzise, behutsame Hand des Theaterregisseurs, der selbst heikle Szenen wie Louis' und Brunos "Tête-a-tête" auf der Zugtoilette mit großer Behutsamkeit inszeniert. Chéreau scheut sich nicht, die Arroganz und den Zynismus des gealterten François als unmenschliches Spiel zu entlarven, wenngleich sie für diesen auch ein verzweifelter Schutzwall vor der Einsamkeit zu sein scheint. Pascal Greggory spielt eindringlich diesen Zwiespalt sowie die Verwundbarkeit, die zwischen Ablehnung und Verstehen schwanken läßt. Genauso ist einem der nicht erwachsen werden wollende Jean-Marie vertraut, den Charles Berling enervierend echt verkörpert, und die Hysterie, mit der Claire ihre Zukunftsängste überspielt, bekommt durch Valéria Bruni-Tedeschis natürliches Spiel eine eindrucksvolle "Alltagsnormalität". Ohne Star-Allüren fügt Jean-Louis Trintignant in das Ensemble ein. Wenn er als Schuhfabrikant mit Viviane in den Keller steigt, um ihr seine "stillgelegte" Kollektion zu zeigen, dann blitzt jener verführerische Charme auf, mit dem er einst Anouk Aimée in "Ein Mann und eine Frau" (fd 14 383) betörte. Aber auch die exzellenten Nebendarsteller tragen dazu bei, daß dieser Reigen menschlicher Irrungen und Wirrungen immer die Balance zwischen Komödie und Tragödie hält. So enden die Krisen des Lebens letztlich nie in einer Sackgasse, sondern immer wieder leuchtet auch ein Hoffnungsschimmer für einen Neuanfang auf. (Rolf Ruediger Hamacher, film-dienst)
70-jährig ist der in Paris wohnende Künstler Jean-Baptiste Emmerich verstorben, und als letzten Willen bittet er alle, die ihn geliebt haben, zu seiner Beisetzung in
die Stadt seiner Kindheit, Limoges.
15 Menschen machen sich zum preisgünstigeren Gruppentarif mit der Bahn auf eine Reise, die insgesamt zwei Tage andauern wird. Kaum eine freundliche Bindung gibt es in diesem Haufen. Der Sohn seines Zwillingsbruders Lucien, Jean-Marie und dessen Frau Claire haben sich unter dem Joch der Drogen nach einer langzerrütteten Ehe jüngst getrennt. François, des Malers ältester Schüler und einst Geliebter, reist mit seinem derzeitigen langjährigen Partner Louis an, deren Beziehung von Sarkasmus und emotionaler Belastung geprägt ist. Auf dem Bahnhof sieht Louis einen jungen Mann wieder, den er glaubt, dort vor drei Jahren bereits erspäht und hinterhergeträumt zu haben. Der Fremde stellt sich als Bruno vor, ein Ex-Lover von Jean-Baptiste – und François'. Ein weiterer Verflossener aus grauen Vortagen, Thierry, fährt mit dem Sarg im Auto nebenher. Er ist inzwischen verheiratet, Frau und Tochter sind ebenfalls im Zug. In Limoges erkennt niemand Viviane, denn sie hat sich seit den Jahren der letzten allgemeinen Zusammenkunft zur Frau gewandelt.70-jährig ist der in Paris wohnende Künstler Jean-Baptiste Emmerich verstorben, und als letzten Willen bittet er alle, die ihn geliebt haben, zu seiner Beisetzung in die Stadt seiner Kindheit, Limoges.
15 Menschen machen sich zum preisgünstigeren Gruppentarif mit der Bahn auf eine Reise, die insgesamt zwei Tage andauern wird. Kaum eine freundliche Bindung gibt es in diesem Haufen. Der Sohn seines Zwillingsbruders Lucien, Jean-Marie und dessen Frau Claire haben sich unter dem Joch der Drogen nach einer langzerrütteten Ehe jüngst getrennt. François, des Malers ältester Schüler und einst Geliebter, reist mit seinem derzeitigen langjährigen Partner Louis an, deren Beziehung von Sarkasmus und emotionaler Belastung geprägt ist. Auf dem Bahnhof sieht Louis einen jungen Mann wieder, den er glaubt, dort vor drei Jahren bereits erspäht und hinterhergeträumt zu haben. Der Fremde stellt sich als Bruno vor, ein Ex-Lover von Jean-Baptiste – und François'. Ein weiterer Verflossener aus grauen Vortagen, Thierry, fährt mit dem Sarg im Auto nebenher. Er ist inzwischen verheiratet, Frau und Tochter sind ebenfalls im Zug. In Limoges erkennt niemand Viviane, denn sie hat sich seit den Jahren der letzten allgemeinen Zusammenkunft zur Frau gewandelt.
Wer stand nun dem Verstorbenen am nächsten? Wer kann sich nicht ausstehen und weshalb? Dies sind nur wenige beantwortet werden wollende Fragen, die ein gehöriges Kaleidoskop an unausgegorenen zwischenmenschlichen Beziehungen repräsentieren.
Auch wenn die Untertitelung wieder einmal ahnen lässt, dass der Wortsinn nicht immer ganz getroffen wird ("Doofe Tussi."), so empfehlen wir ausnahmsweise für Nichtfranzösischsprechende den Gang in die synchronisierte Fassung, ansonsten besteht die Gefahr, dass sich die ZuschauerIn immer wieder in einer Hektik verliert, in der eine Handkamera nicht immer die Menschen einfängt, die tatsächlich gerade auch ihren Mund aufmachen - in der Einstiegsszene wird sogar eine Tonbandaufzeichnung des Verstorbenen in das Geschehen geschnitten, und die Mitlesenden müssen schnelle Synapsen vorweisen können, um das Gesprochene richtig zuordnen zu können, geschweige denn, den Inhalt zu den jeweils erwähnten Personen.
Legte Valeria Bruni Tedeschi nicht wie gewohnt eine bravouröse Schauspielleistung hin, wir müssten uns schon arg an den Fingern saugen, um irgendetwas an dem Film empfehlen zu können. Ausgerechnet mimt Bruni Tedeschi als einzige wichtige eine leicht hysterische Frau, aber als Schwangere auf Drogenentzug kurz nach der Scheidung auf einer Beerdigung stehen wir dieser Rolle ein wenig ausgelebte Verzweiflung zu. Schließlich haben die Männer auch keine Ausgeglichenheit mit den Löffeln gefressen. Sie missbrauchen emotional, gehen zynisch mit ihren Mitmenschen um, dosieren sich die Drogen noch heute recht hoch und schlagen ihre Frauen. Der Haken an der Sache: So gut wie alle Männer in diesem Film sind schwul, bi- oder transsexuell. Eigentlich müsste dieser Trauerbearbeitungsfilm als Schwulenfilm gelten, dieses Feeling kommt trotz der nahen Verwandtschaft zu schwulen Aidsfilmen, die sich um Reisen und Marathons aller Art nach dem Tod eines Freundes befassen, nicht auf. Der Regisseur des schwulen Krimidramas Der verführte Mann - L'Homme Blessé krepelt an neurotischen schwulen Charakteren auf eine sehr heterosexuelle Weise herum (oder für ein Heteropublikum). Regelrecht ärgerlich, wenn Klischees statt interessante Charaktereigenschaften ihre Vertiefung finden.
In der schwulen Welt scheint es ausschließlich Beziehungen zwischen älteren Herren und jungen Spunden zu geben, ein Zustand, der in authentischen schwulen Filmen einmal angebracht wäre, hier aber wie in wohl keinem zweiten Film der über 100-jährigen Kinogeschichte von einer Homogeneration in die nächste getragen wird. Jean-Baptiste hatte gleich drei junge Männer als Lover, deren Alter anscheinend im Gegensatz zu seinem stets gleich blieb. Die Kette reiht sich über François, über Louis zu Bruno hinunter und stets verlässt der jüngere Partner den älteren für einen noch jüngeren. In der Tat ist das Verlassenwerden für Homos imminent: Louis teilt mehr Klappensex mit Bruno als zuvor Worte und wird seinen langjährigen Lover bereits am nächsten Tag für den kaum Erwachsenen verlassen. Dagegen wirkt Godzilla richtig glaubwürdig.
Bruno erhält den nie vertieften Beigeschmack eines (Ex-)Strichers, ein mit dem zuvorgenannten einhergehendes Klischee, mit besonderer Betonung auf der Örtlichkeit Bahnhof, an der Louis beide Male den Jüngling erspähte. Ein ironisches Kreischen meinerseits im Stile Hoopers aus Chasing Amy im Antlitz tiefer Betroffenheit heterosexueller Weltfremder in Momenten schwuler Alltäglichkeiten entglitt meinen Lippen in der bedrückend-schockiert inszenierten Szene, in der Louis von dem positiven HIV-Status Brunos erfährt (Nur wer ist hier hetero?). Dafür unterbricht sich sogar die nicht enden wollende Aneinanderreihung aller möglichen Hitparadensongs und ergreift das Publikum mit seiner schallenden Stille. Zu guter Letzt erfüllte Regisseur Patrice Chéreau seinem eigenen einstigen Schüler Vincent Perez den Traum einen Transsexuellen zu spielen. Nein wirklich, so ist's im Presseheft formuliert. Also für die Oscarnacht wurde Perez nicht von ungefähr gar nicht erst in Betracht gezogen, besonders in der ersten Hälfte ihres Auftretens erweckt Viviane den Eindruck, dauerverpeilt durch die Landschaft zu rennen und alles und jeden mit den wundernden Augen eines Aliens zu betrachten. Aber immerhin ist Viviane neben Kim in Der kleine Unterschied - Different for Girls die einzige von uns erlebte Filmtranse der 90er, die keine Prostituierte ist und wird allein deswegen in dieser unserer Redaktion als Heldin gefeiert. (Nichts gegen transsexuelle Prostituierte, aber wenn uns die Filmwelt weis machen will, es gäbe keine andere Beruf(ung) für Males to Females kommt mir der kalte Kaffee hoch.)
Manche stehen auf hektische Durcheinander in Bild und Ton, wer etwas mehr erwartet, sollte den Film, der tatsächlich zu zwei Dritteln im Zug spielt, eher meiden. (quer-view)
Heisse Luft über dem offenen Grab. «Ceux qui m'aiment prendront le train» von Patrice Chéreau
Es soll sein und nicht bestritten werden, dass ein zureichender Grund für die Herstellung eines Spielfilms darin gefunden werden kann, dass einer einen kannte, der auf dem Friedhof von Limoges beerdigt sein wollte als ein Toter unter hunderttausend anderen auf einem der grössten Gräberfelder Europas (denn was für eine Totale); und der, als man einwandte, für die Trauergäste aus Paris sei das ein bisschen weit, gesagt haben soll, wer ihn liebe, werde den Zug nehmen (denn was für ein Titel). Es weht aus dem Ort und dem Zitat doch gleich wie lebensumspannendes Rätseln und Gemurmel von jenseits der Gruft, und natürlich ist es auch sonst schon vorgekommen, dass ein Regisseur sich zur Pointe den Witz, den Sinn zur Form und zum Titel die Geschichte gesucht hat.
Eine solch gegenläufige Kreativität kann ihre experimentelle Sprengkraft haben. Aber was uns Patrice Chéreau in «Ceux qui m'aiment prendront le train» vorführt, nur weil er und seine Co-Autorin Danièle Thompson tatsächlich in Limoges an einer Beerdigung waren: Diese Kolportage aus Existenzkrisenklischees, dieses melodramatische Verkuppeln von Tod und Vitalität und Geschlechtsverkehr, dieser dröhnende Exzentrikerkitsch und polymorph perverse Small talk (alles, was wir schon lange über Sex wussten und uns auch jederzeit zu fragen getrauten) – das, kurz gesagt, hätte nicht sein müssen.
Nämlich: Der Film, in dem Verwandte und Freunde den geisterhaft präsenten Maler Jean- Baptiste Emmerich, einen Liebhaber des Analverkehrs und auch sonst so etwas wie ein Satyr, begraben, platzt fast von der heissen Luft einer grundsätzlich melodramatischen Intellektualität, die das hektische Aufeinanderhäufen halbdefinierter Probleme für Cinéma vérité hält. Es kommen vor zwischen der Gare d'Austerlitz und Limoges: die älteren Männer, die die jüngeren Männer an die ganz jungen verlieren; die ganz jungen Männer, die liebend an jenen jüngern Männern verzweifeln, die doch noch an den älteren hängen; das HI-Virus, das alle bedroht und manche befällt; ferner die Transsexualität; ferner die geradezu beispielhafte Ehehölle; ferner die über den Tod hinaus wirkende Gier eines Künstlers, die Wut derer, von denen sich sein Genie rücksichtslos ernährt hat, und schliesslich auch (was wirklich zu beklagen ist) Jean-Louis Trintignant als ein zum Fetischismus neigender Archivar hochhackiger Damenschuhe. Und wo alles zusammenkommt und alles mit allem zu tun hat, ist psychologischer Nebel und schamlose Spekulation.
Langweiliger geht es einfach nicht, wenn auch die Kamera (Eric Gautier) durch Bahnhof und Zug fuhrwerkt, als könne sie sich vor lauter Wirklichkeit auf nichts mehr konzentrieren. Man sagt es ungern von einem Meister des konzentrierten Theaterbildes und dem Regisseur eines Films wie «La Reine Margot» (1994), dessen Opernhaftigkeit immerhin diszipliniert anmutet: aber «Ceux qui m'aiment prendront le train» ist leider der reine, aufgesetzte Unsinn. Und wer Chéreau liebt, nimmt diesen Zug vielleicht lieber doch nicht. (Christoph Schneider, NZZ)
„Das Kino und das Theater, sie sollten nicht so strikt getrennt werden, obwohl es gerade in Mitteleuropa schwierig ist, solche Grenzen zu überschreiten. Wenn ich Leuten erzähle, daß ich soeben einen neuen Film fertiggestellt habe und schon wieder an einem anderen schreibe, heulen sie meist auf: ,Aber was ist mit dem Theater, der Oper?!‘ Ich kann diese Unterscheidungen für mich nicht nachvollziehen.“
Patrice Chéreau, der Unberechenbare, beehrt zum ersten Mal, seit seine Bartholomäusnacht 1994 den Wettbewerb von Cannes eröffnete, wieder die Croisette. Inzwischen hat der Regisseur und Autor für die Salzburger Festspiele seine Inszenierung des Don Giovanni wieder und wieder weitermodelliert. Er hat gemeinsam mit dem Schauspieler Pascal Greggory die rauheste, vitalste Version von Koltès’ Einsamkeit der Baumwollfelder inszeniert und selbst gespielt. Und das Thema des Todes will ihn, der vor vier Jahren in Cannes erklärte, angesichts von Aids verwandelten sich „unsere Adreßbücher in Grabsteinfelder“, nicht loslassen.
Eine Gruppe von Freunden und Familienangehörigen versammelt sich in Limoges zum Begräbnis eines Malers, der meinte: „Ceux qui m’aiment prendront le train – Die mich lieben, nehmen den Zug.“ Allein für diese Anfahrt haben Chéreau und sein Team vierzehn Tage lang auf engstem Raum mit Handkameras an Breitwandbildern gearbeitet, und schon diese extrem schnell geschnittenen Sequenzen, die immer wieder verfremdend von Songs überlagert werden, geben einen Duktus vor, der rein gar nichts mit einer vom Thema her erwartbaren nostalgischen Stimmung zu tun hat.
Durchaus in Anlehnung an seine Arbeiten mit und nach Bernard-Marie Koltès zerlegt Chéreau den aufkommenden Naturalismus im Lärmen der Kinomaschine bewußt in Ambientes, die ihm das Theater nie bieten könnte: Einen Speisewaggon etwa, der aus der Untersicht eines Kindes zu einem Inferno der Reizüberflutung wird. Ob solche Experimente „besser“ sind als Chéreaus Theater-Arbeit?
Die Frage, die natürlich auch dieses Jahr in Cannes oft gestellt wird, ist angesichts der Exponiertheit, in der Chéreau wieder einmal nicht auf Nummer Sicher geht, obsolet. Er denkt nicht „Theater“. Er denkt nicht „Kino“. Er lebt und gestaltet einfach mit aller Kraft und Intelligenz, die er aufbringen kann. (Claus Philipp, DER STANDARD, 15. Mai 1998)
Wie unter Strom: Die Stimme aus dem Jenseits. Patrice Chéreaus jüngster Film setzt Leben und Tod vorsichtig in Bewegung: "Wer mich liebt, nimmt den Zug", ein französisches Reise- und Konfliktdrama, eine Gruppenstudie zwischen Hysterie und Trauer.
Daß dieser Filmemacher das Theater liebt, kann man seiner Kinoarbeit ansehen. Nicht erst Die Bartholomäusnacht / La reine Margot (1994) hat vom Wagemut erzählt, mit dem Patrice Chéreau, renommierter Kino-, Theater- und Opernregisseur, stets auf das Bühnenhafte zurückverweist, ohne das Filmische darunter gleich zu ersticken. In Wer mich liebt, nimmt den Zug (im Original: Ceux qui m'aiment, prendront le train) lotet Chéreau nun eine Situation aus, die man sich (wenn auch nicht so) durchaus auch am Theater denken könnte, eine Situation, die vertraut erscheinen muß, weil sie alltäglich ist: Ein Begräbnis findet statt, überstürzt in jeder Hinsicht, weil sich so etwas nicht planen läßt, zeitlich nicht und emotionell schon gar nicht.
Die Hinterbliebenen, die Freunde und Bekannten, die Verwandten und die Erben sehen sich, im Rahmen einer gemeinsamen Ausfahrt, mit dem zusätzlichen Streß konfrontiert, den ein Ereignis wie dieses fordert: mit dieser Mischung aus Trauer und Gereiztheit, diesem Gefühl kurzfristiger Entwurzelung, eines schmerzhaften, kaum erklärlichen Einschnitts. Die Bestattung findet weit draußen statt, nicht dort, wo die meisten von ihnen leben, nicht in der großen Stadt, die nahe läge, sondern - in der Provinz.
Eine Reise wird also nötig, die unliebsame Zusammentreffen mit sich bringt, fast boshaft inszeniert von dem, der plötzlich nicht mehr unter ihnen weilt. Im Zug von Paris nach Limoges kommt man zusammen: die Eheleute (Valéria Bruni-Tedeschi, Charles Berling), die sich vor ein paar Wochen erst getrennt haben; lange verflossene Liebhaber des Verstorbenen (Pascal Greggory, Sylvain Jacques), die wieder neue, aktuelle Partner (unter ihnen: Bruno Todeschini) begleiten, Menschen, die sich angesichts der sich einstellenden Gruppendynamik fremd fühlen; Neffen und Kunstschüler finden sich ein, Drogenabhängige und Kranke, Depressive und einfach nur Entnervte; dazwischen Kinder und Fremde, die man, so gut es geht, von den allzu unerfreulichen Konflikten fernzuhalten sucht.
Aus dem Zugfenster kann man auf die Straße sehen, wo ein einsamer Peugeot in der Sonne gerade dieselbe Strecke fährt. Der Sarg des Mannes, dem sie sich alle verpflichtet fühlen, liegt hinten im Wagen. Er bleibt den Trauernden, wie ein Mahner über das Leben hinaus, nahe, begleitet sie in eine neue Phase ihrer Existenz.
Wer mich liebt, nimmt den Zug ist keine unkomplizierte Erzählung: Chéreau konfrontiert einen mit Figuren und Dramen, dann erst, rückwärtsgewandt, mit den Geschichten, die hinter den Figuren und ihren Dramen stehen. Der Verstorbene, so hört man, war Maler, ein sturer Bursche, aber exzessiv in seinen Krisen wie auch in seinen Romanzen. Der Exzeß hat auch Chéreaus Film infiziert, der lange in hektischer, fast panischer Bewegung bleibt, vorangetrieben von der Montage und der Musik, vom britischen TripHop der Massive Attack und den Meta-Melodramen Björks. Aber auch visuell läßt sich der Film von Unruhe treiben: Seine Bilder sind vorzugsweise aus der Hand geschossen, verwackelt, eine Erzählung wie unter Strom, immer ganz nah an den Körpern und den blassen Gesichtern seiner Mimen dran.
Die Geschichte des Films teilt sich in drei Episoden: die Fahrt im überfüllten Zug, die eigenartige Ruhe des Begräbnisses und die schlaflose Nacht im Haus der Familie des Verstorbenen. Chéreau drosselt das Tempo, den Überdruck seiner Inszenierung, nach dem langen ersten Teil, als wollte er die Müdigkeit, das Erlahmen der Figuren mit dem Nahen der Dunkelheit auch formal nachvollziehen: Wer mich liebt, nimmt den Zug ist tatsächlich physisches Kino, in seinen Auseinandersetzungen und seinen Bildern, ein sinnliches Unternehmen, das seine Story von den Körpern derer, die diese spielen, nicht trennen will.
Jean-Louis Trintignant taucht in diesem Film in Doppelfunktion auf, als Toter - im Off - und als dessen Zwillingsbruder, als Familienoberhaupt: In seiner Präsenz laufen die Erzähllinien zusammen, er hält das heterogene, ausufernde Filmtheater Chéreaus zusammen, das weniger um eine nacherzählbare Story kreist als um existentielle Fragen - um den Tod nämlich und um das unergründliche Wesen der Liebe, das in zwei geschenkten Tage des Zusammenseins in extenso diskutiert werden kann. Die Stimme des Toten begleitet den Film in Form eines letzten Monologes, den er posthum vom Band spricht, während alte Differenzen aufbrechen und unwahrscheinliche Allianzen entstehen, während der Zerfall der Gruppe, die unaufhaltbare Zerstreuung der Menschen sicht- und greifbar wird: Darin, nicht im Tod, findet Chéreau das eigentlich Tragische, das Melodram seines Films. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 5/9/1998)
Andere Formen des Realismus suchte der erste Wettbewerbsteilnehmer, der zwischen Bühne und Kino seit 1975 pendelnde Patrice ChÝreau. Sein neuer Film, genau vier Jahre nach seinem letzten, nach Die Bartholomäusnacht, veröffentlicht, trägt einen schönen Titel: Ceux qui m'aiment prendront le train - Die, die mich lieben, werden den Zug nehmen. Der Satz, sagt ChÝreau, geht zurück auf eine Bemerkung des Filmemachers FranÛois Reichenbach, der kurz vor seinem Tod beschlossen hat, sich neben seiner Mutter, weit weg von Paris, beerdigen zu lassen.
Eine Reise darf man von seinen Freunden verlangen, wenn man schon begraben wird. Ein alter Maler und Menschenfeind stirbt überraschend. Die Fahrt zum Begräbnis wird Drehpunkt der Geschichte: Im Zug treffen Verwandte und Freunde aufeinander, in schlechter Stimmung, um in der Folge alte Konflikte auszufechten und unwahrscheinliche neue Allianzen zu bilden.
ChÝreaus Erzählung, getragen von großen Schauspielern wie Jean-Louis Trintignant und ValÝria Bruni-Tedeschi, ist eine Gruppenstudie in Cinemascope, oft aus der Hand gedreht - an der Kamera einer der besten Frankreichs: Eric Gautier - , ein klug geschriebenes und vor allem im ersten Teil überaus sinnlich, drängend, musikalisch inszeniertes Alltagsdrama. In den vielen dazugestellten Songs (von Massive Attack bis Björk) scheint auch der Wunsch zu leben, die Geschichte einer familiären Auflösung so leicht und elegant wie möglich zu erzählen, ohne den Bildern und der Figurenzeichnung ihre Scharfkantigkeit nehmen zu müssen.
Ceux qui m'aiment ist nervöses, heterogenes Kino und droht auch als Erzählung immer wieder in seine Einzelteile zu zerfallen: Darin aber entspricht ChÝreau sehr genau auch seiner Story, die Wege sucht, eine schmerzhafte Zerstreuung zu formulieren.(Stefan Grissemann, Die Presse, 15/05/1998)
Von A wie Aids bis Z wie Zores
Mischimaschi spricht Wischiwaschi. Ein bunter Haufen hinter- triebener Hinterbliebener gibt aus letalem Anlaßfall das übliche überkandidelte Geschwätz französischer Filmgeschöpfe über Gott und die Kunst, Liebe, Geld und Kismet von sich. Das tönt weniger todtraurig als sterbenslangweilig. Drum würzt reichlich das Chili geballter Hundsgemeinheiten ihren Redebrei. Die Hölle, das sind die an- deren; was Frankreichs philosophischer Querdenker-, Seiten- und Überkreuzblicker Sartre immer schon wußte, jetzt hat es auch Patrice Chereau kapiert.
Dem irgendwie boshaften letzten Willen ihres verstorbenen Tyrannen folgend, stürmt eine Bande Bohemiens und Stadtneurotiker den Zug nach Limoges, um der Beisetzung des genialen Freundes, obsessiven Mentors und berühmten Malers in dessen Heimatstadt beizuwohnen. Grüner Neid, blanker Haß, krankhafte Eifersucht auf- und untereinander im Gepäck. Stricher, Transvestiten, Künstlergroupies, Junkies, Szeneperchten, gekleidet in Niedertracht. Ein Herbarium menschlicher Giftpflanzen, die einander in den Biomüll wünschen.
Emotionale Showdowns in Serie, von der Liege bis zur Bahre. Das leidige Leidensalphabet von A wie Aids bis Z wie Zores. Die letzten Dinge. Das Letzte. Jean Luis Trintignant, zum ehrwürdigen Greis gealtert, barmt einen in der Rolle von des Malers Bruder, in dessen Villa die geistigen Erbschleicher zwischen Betroffenheitsritualen und Beziehungskrisen taumeln. Sie hätten samt ihrem Regisseur besser statt dem Zug die Straßenbahn nehmen sollen. Nicht Endstation Sehnsucht. Nur dorthin, wo der Pfeffer wächst. (Rudi ”Keiner-schreibt-so-lustig” John, KURIER)
Weitere Kritiken der IMDb
USA 1998. 111 Min
Regie: Nicholas Hytner,
Buch: Wendy Wasserstein, nach einem Roman von Stephen McCauley,
Musik: George Fenton,
Kamera: Oliver Stapleton,
Schnitt: Tarig Anwar,
Darsteller: Jennifer Aniston (Nina Borowski), Paul Rudd (George Hanson), John Pankow (Vince McBride), Amo Gulinello (Paul James), Alan Alda (Sidney Miller) Nigel Hawthorne (Rodney Fraser)
Kinostart: 4/9/1998
Kann eine eheähnliche Beziehung ohne Sex auskommen? Die Sozialarbeiterin Nina (Jennifer Aniston) lernt den smarten Grundschullehrer George (Paul Rudd) kennen. Er ist schwul. Beide freunden sich an, und sie bietet ihm direkt an, bei ihr einzuziehen. Obwohl sie "mehr" von ihm will, hat sie gegenüber den gutaussehenden Männern natürlich keine Chance. Beide diskutieren die unterschiedlichsten Themen.
Eine schön erzählte Geschichte, deren Handlungsstrang manchmal etwas langatmig wirkt, die jedoch durchweg gute Unterhaltung bietet. (film.de)
Eine schwangere Sozialarbeiterin will das Kind lieber mit ihrem homosexuellen Untermieter, in den sie sich verliebt hat, aufziehen. Dieser aber pocht darauf, sein eigenes (Liebes-)Leben zu führen, so daß sich für die Zukunft andere Lösungen finden lassen müssen, die alle glücklich machen. Eine auf Toleranz und politische Korrektheit schielende Komödie, die bis auf wenige Augenblicke allzu banal daherkommt, um Interesse an den Personen zu wecken. Allein das sympathische Spiel der Hauptdarstellerin und einige leiser inszenierte ernste Momente polieren das schwache Drehbuch und die Besetzungsschwächen auf.
Nina ist Sozialarbeiterin, George Grundschullehrer und homosexuell. Auf einer Diner-Party von Ninas reichem Schwager Sidney und ihrer Schwester Constance lernen sich die beiden kennen und finden sich auf Anhieb sympathisch. Als Nina erfährt, daß sich Georges Geliebter von ihm trennen will, bietet sie George übergangsweise ein Zimmer in ihrer Wohnung an. George zieht ein, während sich Ninas Freund Vince verwundert fragt, warum er nicht mit ihr zusammenwohnen darf. Da Nina und George auch ihre Freizeit gemeinsam verbringen, regt sich erste Eifersucht. Nina beruhigt Vince, aber als sie erfährt, daß sie schwanger ist, wird ihr klar, daß sie das Kind eigentlich viel lieber mit dem sensibleren George aufziehen möchte. George kann sie zwar davon überzeugen, mit dem Vater des Kindes zusammenzuziehen, doch dieses "Experiment" scheitert. Jetzt erklärt er sich bereit, "Ersatzvater" zu spielen - auf freundschaftlicher Basis natürlich. Nina aber hat sich inzwischen in George verliebt und versucht, ihn zu verführen, was ihn völlig irritiert. Auf einer Tagung lernt er Paul kennen, den jungen Geliebten des renommierten Theaterkritikers Rodney Fraser. Darauf reagiert Nina mit Eifersucht und Hysterie, erkennt aber schließlich, daß Paul ein Recht hat, sein eigenes erfülltes (Liebes-)Leben zu führen. Sie bittet ihn auszuziehen, während Vince stolz die Vaterschaft für seine Tochter Molly anerkennt. Fünf Jahre später trifft man sich bei einer Schulaufführung wieder: George ist nun der Direktor der Schule, die kleine Molly hat ihren ersten Bühnenauftritt, und im Publikum sitzen Vince, Constance, Sidney, Rodney, Paul und Nina mit ihrem neuen Lebensgefährten Lewis, einem schwarzen Polizisten, der schon während der Schwangerschaft ihren Weg kreuzte.
Nach zwei filmisch kreativ umgesetzten Bühnenstücken ("King George - Ein Königreich für mehr Verstand", fd 31 593, und Arthur Millers "Hexenjagd", fd 32 403) ist der englische Theaterregisseur Nicholas Hytner nun an ein belangloses "Zeitgeist-Drehbuch" geraten, das vor lauter politischer Korrektheit seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt und alte Klischees eigentlich nur "seitenverkehrt" aufwärmt: Die einfühlsamen Homosexuellen, die auch mal weinen dürfen, wenn sie an ihren Verflossenen denken, sind jetzt die "Normalen", während die machohaften Heteros mit der Sensibilität einer Dampfwalze in die gesellschaftliche Außenseiterrolle abdriftet. Ganz zu schweigen von dem schwarzen Polizisten, der die nötige "Proporz-Farbe" ins banale Spiel um scheinbare Toleranz bringt. Das einzig Positive an Wendy Wassersteins Drehbuch ist, daß sie es sich verkneift, die lange durchgeführte Koketterie mit der möglichen "Umpolung" Georges zu vollziehen. Dann wäre die Seifenoper nämlich perfekt gewesen, gegen die sich Hytner hier immerhin noch mit einigen bitterbösen Seitenhieben auf den "American way of life" und die überkandidelte amerikanische Theaterszene wehrt. Auch in den Szenen, in denen der alternde Homosexuelle Rodney mit der Liebe zwischen George und Paul konfrontiert wird, zeigt sich das inszenatorische Geschick Hytners, der mit Nigel Hawthorne zudem einen kongenialen Schauspieler zur Verfügung hatte, der zutiefst berührend die Verletzlichkeit hinter Rodneys souveräner Fassade durchscheinen läßt. Ansonsten ist "Liebe in jeder Beziehung" ganz auf Jennifer Aniston, den Star der Sitcom "Friends", zugeschnitten, die das keimfreie Sauberfrau-Image einer Doris Day mit dem schnippischen Selbstbewußtsein einer Barbara Streisand mischt und zu einer sympathisch-quirligen Präsenz verbindet. Wenn man einmal von Alan Aldas eindrucksvoller Interpretation eines fahrigen Literaturagenten absieht, scheint Hytner diesmal nicht die "freie Auswahl" bei der Besetzung gehabt zu haben. Überzeugte in seinen früheren Filmen noch die präzise Typenauswahl bis in die kleinste Nebenrolle hinein, so muß er sich diesmal bei den Männerrollen mit durchschnittlichen Hollywood-Gesichtern begnügen, deren Austauschbarkeit jede Anteilnahme an ihrem (Film-)Schicksal verhindert. Während das Liebe und Nette bei Jennifer Aniston noch einen gewissen Reiz ausmacht, wirkt es bei ihren männlichen Partnern nur fade und auf Dauer langweilig. Auch wenn Hytner mit Komponist George Fenton und Cutter Tariq Anwar mittlerweile ein festes Team um sich geschart hat, kann deren Routine die Schwächen von Buch und Besetzung nicht vergessen machen. (Rolf-Ruediger Hamacher, film-dienst)
Im Schultheater wird lieblich die "Kleine Meerjungfrau" nach Disney aufgeführt. Dem ebenso netten Lehrer George (Paul Rudd) erwartet jedoch am Abend eine knallharte Entdeckung. Er von Dritten auf einer Party, daß ihn sein Geliebter verlassen hat. Die nette junge Zufallsbekanntschaft Nina (Jennifer Aniston) lädt ihn zur Untermiete nach Brooklyn ein. Während sie im Sozialcenter jungen Mädels kluge Beziehungstips verteilt, ist es mit dem eigenen Leben etwas schwieriger: Zwar steht eine Hochzeit bevor, doch Vince ist auf den ersten Blick niemals der Richtige. Dafür erfüllt sich erneut das Klischee, daß die schwulen Männer immer die besseren sind. Nach vielen Seufzern und Tränchen passiert es tatsächlich zwischen den Nur-guten-Freunden George und Nina. Die Rückkehr seines Liebhabers und eine Schwangerschaft verkomplizieren die unmögliche Beziehung. Das amerikanische Familienfest Thanksgiving zeigt Nina die Vergeblichkeit ihres Weges auf. Doch es gibt noch ein paar Überraschungen bis zum bitter-süßen Ende, das wir schon aus "Die Hochzeit meines besten Freundes" kennen.
Jennifer Aniston grinst erneut - nach "Der gebuchte Mann" - als Zugpferd herum und der Star aus der TV-Sitcom "Friends" ist auch Schuld, daß dem Film zu oft die Oberflächlichkeit einer Fernsehserie vorgeworfen wird. Das Ganze erinnert stellenweise an deutsche Beziehungskomödien, aber einige Szenen wurden exzellent inszeniert. So erleben George und Nina gemeinsam einen Tanzkurs mit formal sehr schönen Filmszenen. Nach der ersten Hälfte des Films konnte ich mich angesichts soviel ausgelatschter, mit Jennifer Aniston gekrönter Banalität kaum noch im Kino halten. Anistons urheberrechtlich geschütztes "Och-herrje-Gesicht" ist grausliger als der schlimmste Horror! Konnte das ein Film von Nicholas Hytner sein, dem Regisseur von "King George - ein Königreich für mehr Verstand"? (Allerdings hatte der Theaterregisseur Hytner danach mit der "Hexenjagd" bewiesen, daß er jeden Mist mitmacht.) Doch es ist ein (bewußter?) Trick des Films, daß er in seiner Hauptgeschichte so uninteressant wird, um damit den Blick auf die vielfältigen Beziehungsformen am Rande zu lenken.
Erstaunlich war zuerst der offene Umgang mit Homosexualität. "Bring' doch einfach deinen Freund mit," heißt es oft und nicht nur in Künstlerkreisen. Das Multikulti-Bild in der Religionsklasse bereitet auf breitgefächerte Lebensmöglichkeiten hin: Alles geht, die Sackgasse der Kernfamilie erhält fruchtbaren Zuwachs. So ist "Liebe in jeder Beziehung" (man lasse sich den Titel in jeder Betonung auf der Zunge zergehen) bei all seiner harmlosen Oberfläche gesellschaftspolitisch tatsächlich gewagter als etwa "In & Out" oder "Philadelphia", nur etwas komplexer als der durchschnittliche Hollywoodfilm und damit etwas lebensnaher und spannender. (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)
Kein Sex, aber viel Liebe. "Liebe in jeder Beziehung": So aussichtslos kann die Liebe zwischen einem Homo- und einer Heterosexuellen gar nicht sein, daß Hollywood sie nicht als konventionelle Romanze verbraten würde.
Der ungeschriebenen, aber von Hollywood penibel befolgte Code der political correctness gebietet möglichst zwanglosen Umgang mit Homosexualität. Doch obwohl Schwulsein schon seit längerem nicht mehr mit dem Stigma von "Gestörtsein" behaftet ist, überlebt es als Moment, das vorderhand stört, auch die rührigsten Akzeptanz-Bemühungen. Als solche nämlich darf man Liebe in jeder Beziehung bezeichnen: als Versuch, einen Homosexuellen als nahezu (!) tauglich für eine Musterromanze zu erklären.
Daß George (Paul Rudd) und Nina (Jennifer Aniston), zwei ausgesprochen gewinnende Wesen, zusammengehören, suggeriert Regisseur Nicholas Hytner bereits in einer ersten Parallelmontage: hier George, der herzliche Grundschullehrer, der eine Theateraufführung seiner kleinen Lieblinge betreut; dort Nina, die lebenslustige Sozialarbeiterin, die mit ihren Problem-Teenagern gut fertig wird.
Als sie auf einer Party zum ersten Mal zusammentreffen (und sich in ihrer "Natürlichkeit" von den Schnöseln um sie herum abheben), finden sie einander gleich sympathisch. Zu diesem Zeitpunkt ist freilich (Nina und dem Publikum) bereits klar, daß Georges Homosexualität einer richtigen Liebesbeziehung im Weg steht. So spielen die beiden unbekümmert Freund und Freundin - und Liebe in jeder Beziehung mit der Möglichkeit, daß aus den liebevoll umeinander Werbenden doch noch ein Liebespaar werden könnte.
Mit diesem Erzählverlauf aktiviert der Film jene Rezeptionsmotorik, der man sich in herkömmlichen Romanzen dieses Zuschnitts ausliefert. Allerdings erhält das bieder humoristische Liebesabenteuer eine bittere Note, als sich - noch dazu nach nach einem fast gelungenen sexuellen Kontakt mit Nina - herausstellt, daß an Georges sexuellen Neigungen für Männer nicht zur rütteln ist. Das Tückische dieser politisch wahrhaft korrekt anmutenden Wendung liegt vor allem darin, daß Georges Homosexualität zwar volle Akzeptanz beansprucht, in Dramaturgie und Motivik des Films allerdings nur als Problem fungiert. Mit der Liebe in jenen anderen, sprich: homosexuellen Beziehungen, von denen der Film auch zu handeln vorgibt, weiß man in Hollywood noch immer recht wenig anzufangen.
So bleibt Liebe in jeder Beziehung eine brave Beziehungskomödie, mit versöhnlerischem Kraftakt am Ende: George wird Wahlvater von Ninas (anderweitig empfangenem) Kind, über Sex braucht nicht mehr geredet zu werden - und der Stuhl hat seine drei Beine. So ähnlich hat das Glück am Ende von Hollywood-Romanzen doch schon immer ausgesehen. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 5/9/1998)
"Harry und Sally" haben's vorgemacht: Zwischen Männern und Frauen gibt es keine Freundschaft ohne Sex. Was aber, wenn einer der beiden Probanden schwul ist? Mit "Liebe in jeder Beziehung" riskiert Regisseur Nicholas Hytner ("King George") ein platonisches Experiment der komplexeren Art: Nina liebt George, George mag Nina, Paul wohnt bei Nigel, George liebt Paul, Vince verstößt Nina und Tim will George zurück...
An Komplikationen herrscht in dieser Beziehungskomödie kein Mangel, trotzdem braucht der 111 Minuten lange Streifen eine gute halbe Stunde, bis er auf Touren kommt. Dann aber erwartet den Zuschauer mehr als eine ansehnliche Ladung Komik: Streckenweise nimmt der Film das Phänomen Liebe wirklich ernst und entwickelt dabei allerlei tragikkomische Momente.
In Hollywood aber müssen alle glücklich werden, und so liefert Hytner zum Schluß ein dermaßen konstruiertes Happy-End, daß es sämtliche Beteiligten in einer politisch korrekten Welle verordneten Frohsinns von der Leinwand fegt.
Fazit: Ansehnliche Beziehungskomödie mit zahlreichen Komplikationen und hyperaktivem Happy-End (focus)
Liebessurferin in Schwulitäten
Nett perlender Romantikschaum aus parfümierter Seife und lauwarmem Spülwasser von der Traumfabrik Hollywood. Einzelschicksale im milden Glanz sonniger Scheinprobleme. Und TV-"Friends"-Freundin Jennifer Aniston bei ihrer Kinotauglichkeitsprüfung: mit Traumnote eins plus. Nina, süß, single, hält ihren Dauerlover auf Distanz. Auf einer Party dann der Traummann. Ein Softie, zutraulich und zuvorkommend. Kuscheltierisch sensibel. Haubenkochend. Kinderlieb (sie kriegt ein Baby; vom andern). Und dann sein vorbuildlicher Body! Der schwitzt pure Männlichkeit aus jeder Pore.
Sein einziges Minus: Leider tote Hose; bei ihr. Stockschwul, der Typ. Die geistschonende Variante des Märchens von der wunderbaren Freundschaft zwischen Männern und Frauen, wenn nur der Sex nicht wär'. Mit lockeren Pointen und palatschinkenplatten Sprüchen das Wechselspiel des unverbindlichen Paarungsverhaltens der sehnsüchtigen Liebessurferin. Feste Bindungen werden hier rasch instabil, eherne Wahrheiten sind in Minuten Blech, und selbst peinliche Sekunden dauern auch keine Ewigkeit.
Wenn eine Hetero-Nymphe in Schwulitäten gerät, wird wohl vielen bald warm ums Herz. Danach mildert ein kalter Drink die Rückkehr in coole Realitäten. (Rudi John, KURIER)
Weitere Kritiken der IMDb
A 1998. 92 Min.
Regie: Xaver Schwarzenberger,
Buch: Felix Mitterer nach der gleichnamigen Erzählung von Marie von Ebner-Eschenbach,
Darsteller: Gabriel Barylli, Nina Franoszek, Tobias Moretti, Christine Neubauer
Kinostart: 4/9/1998
Denn Hunde können nicht sprechen. Xaver Schwarzenberger hat "Krambambuli" für das Fernsehen neu verfilmt
Tierische Liebe, so heißt Ulrich Seidls Dokumentarfilm aus dem Jahr 1995, der die eigentümlichen Beziehungen zwischen Mensch und Haustier zum Inhalt hat. Seidl inszeniert sich sehr unverblümt die Realität, Xaver Schwarzenberger huldigt mit seiner Fernseh-Neuverfilmung von Krambambuli mehr dem Mythos von hündischer Treue, die auf Unterwerfung beruht.
Der Film spielt Ende des vorigen Jahrhunderts in Mähren. Ein neuer Oberjäger (Gabriel Barylli) kommt mit seiner Frau (Christine Neubauer), um den gräflichen Forstbesitz gegen Wilderer zu verteidigen. Er handelt einem Betrunkenen (Tobias Moretti) im Wirtshaus dessen Hund ab, der so heißt wie des Mannes Lieblingsschnaps: "Krambambuli".
Marie von Ebner-Eschenbachs berühmte Novelle datiert aus dieser Zeit. Auch die Geschichte, die der Film aus seiner Vorlage gewinnt, ist ziemlich alt: Zwischen zwei Männern tobt ein Kampf und alles ist darin Beiwerk oder Unterpfand. Es geht um den Hund, ums Revier, um die Frau - um die Ehre natürlich auch. Um die Liebe geht es zum Glück nicht so sehr, mehr um Besitz und Macht und darum, zum Hund sagen zu können: "Ich bin dein Herr." Die Frau, die keine Beziehung zum Hund hat, wird von den Männern irgendwann mit diesem gleichgesetzt. Das ist auch praktisch für den Film, denn Hunde können nicht sprechen, Hundeaugen in vielsagenden Großaufnahmen sind nur begrenzt einsetzbar, und es ist nur logisch, daß irgendwann das Buhlen um den Hund in den Hintergrund treten muß: Die Frau rückt ins Zentrum des Begehrens.
Krambambuli ist immerhin klarer konstruiert und wirkt nicht so dilettantisch wie Das Siegel, Schwarzenbergers letzter Film. Das liegt möglicherweise auch am Drehbuch von Felix Mitterer, der den Machtkampf immer wieder zuspitzt und manchmal erahnen läßt, daß ohne die vielen geschmäcklerischen Zugeständnisse, ohne gewisse schauspielerische Unzulänglichkeiten, die unverbindliche Musik, die unverbindliche Inszenierung und das scheußliche Bierwerbungs-Licht (die Patina der alten Zeit glänzt goldbraun), hier tatsächlich ein heftiges, rohes Drama möglich gewesen wäre. (irr, DER STANDARD, 8/9/1998)
Weitere Kritiken der IMDb
Besucher seit 11/1997: