USA 1998. 168 Min.
Regie: Steven Spielberg,
Buch: Robert Rodat,
Musik: John Williams,
Kamera: Janusz Kaminski,
Schnitt: Michael Kahn,
Darsteller: Tom Hanks (Captain Miller), Edward Burns (Private Reiben), Tom Sizemore (Sergeant Horvath), Matt Damon (Private Ryan), Barry Pepper (Pivate Jackson)
Kinostart: 18/9/1998
06. Juni 1944: Die amerikanischen Truppen erobern im Sturm die Normandie - der D-Day, einer der wichtigsten Tage in der amerikanischen, aber natürlich auch deutschen und europäischen Geschichte. Der Sturm ist mit vielen Verlusten verbunden, da die deutschen Truppen das letzte geben und ihre Stellungen schwer verteidigen. Der Trupp von Captain Miller erhält daraufhin die schwere Aufgabe, hinter den feindlichen Linien nach dem vermißten Fallschirmjäger James Ryan zu suchen. Sie sollen ihm die traurige Nachricht übermitteln, daß seine drei Brüder umgekommen sind und er nach Hause fahren darf.
Steven Spielberg (zuletzt mit "Amistad" und natürlich "Schindlers Liste") ist es erneut gelungen, ein bedeutendes geschichtliches Ereignis im großen Stil zu verfilmen. Dazu gehören packende Kameraaufnahmen, eine Riege an Topstars (allen voran Tom Hanks) und eine spannende Geschichte. Rundherum großes Hollywood-Kino. Da dürften die Oscars bei der folgenden Verleihung garantiert sein. (film.de)
Nach der Landung der alliierten Truppen in der Normandie erhalten acht Mann den Befehl, einen amerikanischen Soldaten ausfindig zu machen und unverletzt nach Hause zu bringen, weil dessen Mutter schon drei ihrer vier Söhne im Krieg verloren hat. Steven Spielbergs Film entwirft ein gnadenloses Bild des Kampfgeschehens und beeindruckt durch seine strikte Weigerung, Krieg als Stätte menschlicher Bewährung darzustellen. Abgesehen von einer unnötigen pathetischen Rahmenhandlung hat Spielberg des große Können aller Beteiligten dazu eingesetzt, ein realistisches Umfeld zu schaffen, das fast dokumentarischen Charakter annimmt. Das Drehbuch vermag zwar nicht die geistige Dimension beizusteuern, die der Film verdient hätte, aber die konsequente und erschütternde Rekonstruktion des Krieges als Schreckensbild des kollektiven Todes verleiht dem Film einen hohen humanitären Rang. - Ab 16.
Noch im Jahr 1990 habe ich in einem Porträt des Regisseurs und Produzenten Steven Spielberg dessen Werk als eine Verzettelung zwischen Kindheitsträumen und mißlungenem Erwachsenwerden charakterisiert ("Hollywoods Wunderkind - Magie und Einfalt des Steven Spielberg", fd 9/1990). Seit "Schindlers Liste" (fd 30 663) weiß man, daß es inzwischen auch einen anderen Steven Spielberg gibt. Der Mann, der weiterhin Saurierfilme fürs Millionenpublikum macht, versteht sich an der Wende zu seiner zweiten Lebenshälfte auch als eine Art filmischer Historiker und Humanist. Seine Filme haben das Geschichtenerzählen nicht aufgegeben, aber die Inhalte der Geschichten haben sich gewandelt - und mit ihnen die Blickrichtung und das innere Engagement. Konnte die New Yorker Kritikerin Pauline Kael bei Spielbergs "Das Reich der Sonne" (fd 26 701) noch von einer "Kombination aus guter Handwerksarbeit und nahezu unglaublicher Geschmacklosigkeit" reden, so rieben sich selbst die harschesten Kritiker von "Schindlers Liste" und "Amistad" (fd 33 014) vornehmlich an der Konsumierbarmachung des Grauenhaften und an der Dialektik von "Kunstwahrheit" und "Faktenwahrheit". Meist war von einer "persönlichen Rehabilitierung" und von einem "Erwachen" Spielbergs die Rede (Georg Seeßlen).
Das Erwachen Steven Spielbergs setzt sich fort. Schon als 13jähriger hat ihn der Krieg beschäftigt ("Escape to Nowhere"), und mit Krieg hatten seitdem - auf oft sehr naive Weise - fast alle seine Filme etwas zu tun, auch wenn es Kriege gegen Haie und Dinosaurier waren. Wie sehr ihn Kriege fasziniert haben, demonstrieren die mißglückte Komödie "1941" (fd 22 415) und die abenteuerlichen "Indiana Jones"-Filme (fd 23 185/fd 24 708/fd 27 831) ebenso wie seine erste scheinrealistische Einlassung mit einem Stück historischen Krieges in "Das Reich der Sonne". Doch präpariert für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema hat ihn offenbar erst seine "Trauerarbeit" über den Holocaust. Wird Spielberg nach "Schindlers Liste" in einer filmischen Rekapitulation des Kampfes der "Befreier" gegen die "Mörder und Unterdrücker" dem Krieg gegen das Deutschland Adolf Hitlers anders begegnen können als einem "heiligen Krieg"? Muß nicht in seiner Vorstellung der Pazifismus etwa eines Erich Maria Remarque hinter dem Schreckensbild der Millionen getöteter Juden zurücktreten? Fragen, die sich unweigerlich vor dem Besuch von "Der Soldat James Ryan" stellen. "Nur die Toten haben den Krieg ganz erlebt", hat Remarque sinngemäß geschrieben. "Die Überlebenden neigen dazu, ihn in fürchterlicher Überheblichkeit zu einem glücklich überstandenen Abenteuer zu erklären" (Nachwort zur jüngsten deutschen Auflage von "Arc de Triomphe"). Spielberg hat die "Abenteuerphase" hinter sich. Aus "Der Soldat James Ryan" sprechen nur noch die Toten.
Die Story, der er sich annimmt, hat Allegoriecharakter. Die acht Mann, die unter der Führung von Captain Miller nach der Landung der alliierten Truppen in der Normandie einen Sonderbefehl auszuführen haben, sind nicht abgestellt, um gegen den Feind zu kämpfen, sondern um einen der ihren in den Wirren der Invasion aufzustöbern und unverletzt nach Hause zu bringen. Eine humane Tat inmitten sich austobender Inhumanität. Für Spielberg, wenn man will, auch eine Parallele zu Oskar Schindler. Grund des außergewöhnlichen Befehls: Im Oberkommando ist bekannt geworden, daß drei von vier Söhnen einer Farmerswitwe bereits im Kampf gefallen sind; den vierten will man retten. Was menschlich aussieht, wird durch die Perversion des Krieges aber sogleich ins Gegenteil verkehrt: Ist es ein Menschenleben wert, acht andere aufs Spiel zu setzen? Die Story von dem "wie eine Stecknadel in einem Haufen Stecknadeln" (Dialog) gesuchten Private Ryan läßt sich für den Zuschauer unschwer auf den Krieg als solchen übertragen. Der Film sucht Antworten, aber im Angesicht des Todes verblaßt jede Antwort zum hilflosen Rechtfertigungsversuch. Noch bevor überhaupt der Name des Gesuchten erwähnt wird, eröffnet Spielberg seinen Film mit einer 20minütigen Sequenz, die alles in den Schatten stellt, was bisher im amerikanischen Kino versucht worden ist, um Krieg darzustellen. Später, wenn man das Grauen dieser Bilder ein wenig abgeschüttelt hat, drängt sich der Gedanke auf, daß all die technischen Raffinessen früherer Spielberg-Filme nicht umsonst waren: Ohne die dort erworbene Souveränität wäre Spielberg wohl kaum in der Lage gewesen, dieses Inferno auf eine Weise zu inszenieren, die das Publikum mit hineinreißt in eine Dokumentation des Massentodes, der nichts Artifizielles mehr anhaftet, sondern die sich ausnimmt wie ein bisher unentdeckt gebliebenes Stück Film eines Kriegsberichterstatters. Daß nur die Toten den Krieg ganz erlebt haben, steht damit gleichsam als Präambel über diesem Film und über der Wiederbelebung eines Genres, bevor noch der erste Dialogsatz gefallen ist.
Handelt dieser Anfang vom namenlosen Massensterben, so konzentriert sich der Hauptteil auf das Sterben des Einzelnen. Captain Miller und seine Männer, obwohl gelegentlich von Zweifeln an ihrer Aufgabe heimgesucht, tun ihre Pflicht. Für Heldentaten bleibt kein Platz. Die Stationen ihrer Suche nach dem im Kampfgeschehen verschollenen Private Ryan sind Variationen des Sterbens, von denen keine das Zeug zum heroischen Tod besitzt. Spielberg spart auch die psychischen Folgen des Kriegs nicht aus, das Aufflammen von Haßgefühlen und die elementare Angst um das eigene Leben. Die Frage nach dem Sinn der Suchaktion und mit ihr die Frage nach dem Sinn des Krieges, zu Beginn noch von Bedeutung, stellt sich immer weniger; sie wird im Widersinn der Ereignisse ad absurdum geführt. Aber da Spielberg nicht nur einen Film über die Toten, sondern auch einen Film für die Lebenden machen wollte, hat er der Rekonstruktion des Kriegsgeschehens einen Rahmen gegeben, der sich mit Gefühlen und Reaktionen beschäftigt, die nach dem Schreckensbild des kollektiven Todes seltsam deplaziert wirken, obwohl auch sie in der Realität begründet sind. Schon 1972, während einer Promotionsreise für seinen Fernsehfilm "Duell" (fd 18 419), hatte Spielberg die Grabstätten der Gefallenen in der Normandie besucht und einen alten Mann beobachtet, der mit seiner ganzen Familie gekommen und vor den endlosen Reihen von Kreuzen und Davidssternen auf die Knie gesunken war. Das Bild ist in seinem Kopf geblieben und wird nun im Film mit dem gealterten Private Ryan gleichgesetzt. Wirkt die Szene zu Beginn des Films noch relativ neutral, so erscheint sie in der Wiederaufnahme zum Schluß geradezu pathetisch, sentimental und mit einer die Leinwand füllenden amerikanischen Flagge auch unangebracht patriotisch. Nachdem er 150 Minuten lang demonstriert hat, daß der moderne Krieg für solchen Gefühle keinen Raum läßt, fällt Spielberg der unpopulären Konsequenz seines Films gleichermaßen in den Rücken und gestattet dem Kinopublikum doch noch jenen Augenblick der billigen Rührung, auf den es so lange verzichten mußte.
"Der Soldat James Ryan" wäre ohne den amerikanischen Kriegsfilm früherer Jahrzehnte nicht denkbar. Spielberg selbst beruft sich auf den starken Einfluß, den William Wellmans "Kesselschlacht" (fd 6 871) und Allan Dwans "Todeskommando Iwo Jima" (fd 19 119) auf ihn ausgeübt hätten. Vergleicht man "Der Soldat James Ryan" mit thematisch ähnlichen Kriegsfilmen, etwa auch mit John Fords "Schnellboote vor Bataan" (fd 4 974) oder dem von vier Regisseuren inszenierten Invasionsdrama "Der längste Tag" (fd 11 524), so ist Spielbergs fast dokumentarisch anmutender Realismus eher den erschütternden Bildern des "LIFE" -Fotografen Robert Capa verwandt als der Tradition des Kriegsfilms Marke Hollywood. Spielbergs Film ließe sich in einem Atemzug mit G.W. Pabsts "Westfront 1918" (fd 8 051), Lewis Milestones "Im Westen nichts Neues" (fd 1 684) und Kon Ichikawas "Nobi" (fd 10 476) nennen, hätte er sich nicht mit einem in der Detailarbeit allzu schwachen Drehbuch begnügt, dessen Defizite die Regie zwar über weite Strecken optisch wettzumachen versucht, das aber einfach nicht die zeitliche Dimension beisteuern kann, die dieser Film eigentlich verdient. Dadurch zerflattert die Story gelegentlich in episodischer Zufälligkeit und die Hinterfragung des Krieges in Gedankenfragmente, deren historischer Kontext als ungenügend spürbar wird. Um so bemerkenswerter tritt Spielbergs Talent in Erscheinung, seine strikte Verweigerung, Krieg als Stätte menschlicher Bewährung zu sehen, allein durch die kalkulierte Organisation filmischer Mittel bis zum Punkt des totalen Desasters sichtbar und nachempfindbar zu machen. Daß die nach einer Blume ausgestreckte Hand des Gefreiten Bäumler (in Milestones "Im Westen nichts Neues") dem Zuschauer letztlich mehr zu Herzen geht als alles Getöse und blutiges Chaos von Omaha Beach, hat nicht nur etwas mit Spielberg zu tun, sondern auch mit der zunehmenden Anonymität moderner Materialschlachten. (vgl. auch Artikel zu "Der Soldat James Ryan" in dieser Ausgabe.) (Franz Everschor, film-dienst)
Der legendäre D-Day 1944: US-Truppen stürmen den Strand der Normandie, auf dem sie in einer fast halb-stündigen Tour de Force von deutscher Artellerie buchstäblich zerfetzt werden. Mit diesem hyperrealistischen Schock eröffnet Steven Spielberg (SCHINDLER´S LIST) seinen neuen Film, der - wie auch EMPIRE OF THE SUN oder 1941 - im Zweiten Weltkrieg angesiedelt ist. Nachdem er den Zuschauer erfolgreich um Fassung ringen läßt, beginnt die eigentliche Geschichte:
Ein Platoon (Edward Burns, Tom Sizemore, Jeremy Davies, Giovanni Ribisi, Barry Pepper, Vin Diesel und Adam Godberg) unter dem Kommando von Tom Hanks (FORREST GUMP) soll den verschollenen Fallschirmjäger James Ryan (Matt Damon) finden. Die Operation ist als PR-Gag der Army gedacht, die Ryans Mutter wenigstens einen Sohn zurückbringen will - ihre anderen drei sind bereits gefallen. Auf der Suche nach ihm muß sich die Gruppe nicht nur im Gefecht gegen die unpersönlich dargestellten Deutschen durchsetzen, auch die Frage von Moral und Aufrichtigkeit ist ein weiteres zentrales Thema in diesem von Patriotismus und aufrechtem Gottesglauben geprägten Kriegsfilm.
Zwar schockiert SAVING PRIVATE RYAN bewußt durch überharte, technisch perfekte Schlachtendarstellungen, die durch den dokumentarischen Stil der wackeligen Handkamera ein maximales Chaos entstehen lassen, doch wie in ähnlichen Werken bleibt die Betrachtung einseitig. Nur ein toter Deutscher ist ein guter Deutscher, zeigt uns Spielberg. Soviel steht auf jeden Fall fest: mit den härtesten und schockierendsten Kampfszenen, die es je gab, weiß Spielberg umzugehen, mit der klischeehaften Story nicht. Es entsteht eine Art Realsatire mit einigen humoresken Einlagen, die in einer abschließenden Moralpredigt von Abraham Lincoln persönlich gipfelt. Die Klasse von SCHINDLER´S LIST wird dadurch weit verfehlt, so bleibt ein äußerst zwiespältiger Eindruck. Doch das authentische Design mit grollendem Stahlgewitter-Sound, aggressiv pfeifenden Kugeln und dezenter Farbschwäche, durch die das Blut noch stärker kontrastiert, fesselt zweifellos von Anfang bis Ende.
Mit eher bodenständigen Leistungen der Schauspieler, allen voran Tom Hanks, und der absehbaren Inszenierung eines vorsichtigen, aber stark patriotischen Spielbergs, weist SAVING PRIVATE RYAN einige Längen auf, wird aber bei den nächsten Oscarverleihungen mit Sicherheit die besten Chancen haben. Tja, und wer schon immer mal wissen wollte, was FUBAR bedeutet, oder wozu man Socken sonst noch verwenden kann, findet hier die Antwort. (Thorsten Krüger, Artechock
Normandie, wo ein erbitterter Kampf zwischen den Amerikanern und den deutschen Besatzern tobt. Viele Amerikaner verlieren bereits ihr Leben, bevor sie überhaupt am blutgetränkten Strand sind, dennoch schaffen sie es, trotz hoher Verluste an menschlichem Leben, die Schlacht zu gewinnen, und die Stellungen der Nazis zu überrennen.
Der nächste Auftrag, den der erfahrene Soldat Miller ausführen muß, ist etwas ganz anderes: er soll, gemeinsam mit einem kleinen Trupp, einen ganz bestimmten Soldaten im Kampfgebiet aufspüren, und ihn zurück nach Hause bringen. Dieser Soldat James Ryan (Matt Damon, Good Will Hunting) ist nämlich der einzige von vier Brüdern, der im Kampf gegen die Deutschen sein Leben noch nicht verloren hat.
Einen einzelnen Soldaten im Krieg zu finden, das ist leichter gesagt als getan. Niemand hat eine Liste, auf der man nachlesen könnte, wer sich wo aufhält. Zwar finden Captain Miller und seine Leute einen Mann namens James Ryan, als dieser jedoch in seiner Trauer um seine Brüder verlauten läßt, sie seien doch erst auf der Grundschule, bemerken sie, daß sie den Falschen gefunden haben. Auch wächst so langsam der Unmut in der Truppe: warum sollen sie ihre acht Leben gefährden, um einen einzigen Soldaten zu retten? Die Trauer der Mutter alleine ist für sie keine ausreichende Begründung, schließlich haben auch sie Mütter, die um sie trauern würden, wenn ihnen etwas zustößt. Dennoch schafft der Anführer es, seine kleine Truppe zu besänftigen, damit die Suche nach dem richtigen Ryan weitergehen kann.
Okay, ich gebe ja zu, daß ich skeptisch war, als ich zum ersten Mal gehört habe, daß Spielberg ein solch heikles Thema verfilmen wollte. Bei "Schindlers Liste" hat er das zwar ganz gut hinbekommen, aber trotzdem hatte ich befürchtet, daß "Der Soldat James Ryan" zu seicht und melodramatisch werden würde. Zum Glück sind meine Erwartungen nicht eingetreten, nicht im geringsten! So lange Spielberg die Finger von kommerziellen Sachen wie "Jurassic Park" läßt, versteht er sein Handwerk.
Der Film ist kein Loblied auf das amerikanische Militär - auch sie haben ihre Fehler - und es wurde auch nicht versucht, mit Gewalt eine politische Antikriegsaussage hineinzupacken, die Bilder sprechen einfach für sich. Viele Aufnahmen wurden mit subjektiver Kamera aus der Sicht der Soldaten gedreht, aber man sieht nicht nur das, was sie sehen, man hört es auch, ob im Wasser, oder nachdem eine Granate direkt neben einem von ihnen explodiert ist, und man auch als Zuschauer eine halbe Minute deswegen unter Taubheit leidet. Vielleicht wollte Spielberg mit diesem Effekt die Tatsache ausnutzen, daß man die Bilder wesentlich besser sieht, wenn man nichts hört, auf jeden Fall fühlt man sich fast als Teilnehmer an der Invasion in der Normandie.
Auch die Kulissen, Kostüme und Geräte sind perfekt und verstärken den Eindruck, mitten im Krieg mit dabei zu sein. Der Kamera werden auch bei blutigen Szenen keine Scheuklappen angelegt, die Grausamkeit des Krieges wird mit voller Härte gezeigt. Der Blutgehalt dürfte sogar den von "Starship Troopers" noch übertreffen. Allerdings sind die Szenen diesmal weitaus schockierender, weil man weiß, daß das, was man sieht, wirklich passiert ist.
Bereits in "Schindlers Liste" hat Steven Spielberg sich einem Thema angenommen, daß mit dem zweiten Weltkrieg zu tun hat, und auch dort hat er sich auf Einzelschicksale beschränkt. Ansonsten ist eigentlich die einzige Parallele zu diesem Film das Symbol des Friedhofs für den Tod: bei "Schindlers Liste" ist dieses Symbol lediglich am Ende des Filmes zu sehen, hier ist es die Rahmengeschichte des alten James Ryan in der Gegenwart, der sich an das Jahr 1944 zurückerinnert. Ansonsten ist der Film wohl am ehesten mit dem Remarque-Klassiker "Im Westen nichts Neues" aus dem Jahre 1930 zu vergleichen. (heinz-online)
Der Weltmeister in gutem Gewissen
Nur der Krieg selbst soll grausamer gewesen sein als das, was Steven Spielberg von der Alliierten-Invasion in der Normandie zeigt. Seit "Schindlers Liste" hat er nicht mehr so viele Superlative strapaziert wie jetzt mit seinem Soldaten-Epos "Saving Private Ryan". Claus Philipp sah den Film, hält ihn bestenfalls für handwerklich gut gemacht und fragt: Wer braucht einen "besten Kriegsfilm aller Zeiten"?
Immer diese Weltmeisterschaften: Wer dreht den besten Film über Gewalt (und was sie aus Menschen machen kann, ach ja) oder einfach über den Krieg? Wer schafft das ultimative Mahnmal, das von Opfermut und Täterschaft zugleich zu künden weiß? War jetzt Peckinpah verwerflicher als Sam Fuller, wenn er Männer durch Blut- und Stahlbäder waten ließ? Hat Oliver Stone mit Natural Born Killers das Wesen der Gewalt nicht begriffen, Michael Haneke mit Funny Games aber schon?
Fragen über Fragen. Und immer wieder das Hoffen auf das ultimative Werk, als ginge es darum, einen Stabhochsprung-Rekord zu brechen. Hat schon irgendwann einmal jemand nach dem besten Film über die Liebe oder gar das Leben oder über Hunger gefragt? Ja? Da haben wir aber alle gelacht. Nein, selig wird im Reich der staats- bzw. welttragenden Kunst nur der, der am meisten Last und Pflicht und Gewissen auf sich zu bürden weiß. Einer, der sich nicht scheut, schwierige Themen anzupacken, und diese dann in ergreifenden Bildern ganz vortrefflich zu vermarkten.
Sagen wir, Steven Spielberg ist der Weltmeister. Kann alles, darf alles, will alles - immer größer und besser als alle vor ihm. Echtere Dinosaurier, strahlendere UFOs, teurere Technik, noch erfolgreichere Filme. Hier Oscars im Multipack, dort das deutsche Bundesverdienstkreuz. Das gibt dem Mann eine gewisse durchgeistigte Aura, die irgendwann im Friedensnobelpreis gipfeln könnte. Was nicht ist, kann ja noch werden. Bis dahin beschäftigen wir uns mit Aussagen wie diesen:
"Daß ich das Gesicht der einzigen Frau, die in meinem neuen Film vorkommt, nicht gezeigt habe, liegt daran, daß sie als Mutter von vier gefallenen US-Soldaten Stellvertreterin aller amerikanischen Mütter ist." Wir sehen jetzt also in Saving Private Ryan, wie alle amerikanischen Mütter zuerst an der Abwasch stehen, während von auratischen Lichtstrahlen umflorte Generäle losfahren, um die harte Wahrheit zu übermitteln.
Eine Szene wie aus einem Propagandafilm. Aber Spielberg ist ja auch ein Propagandist des Guten, ja und auch des Nationalen, der sehr besorgt abbildet, wie dünn und ausgewaschen so ein Star Spangled Banner sein kann. Und wie alle guten Propagandisten ist Spielberg zuallererst ein hervorragender Designer. Gehen wir, wenn wir schon einmal dabei sind und Meisterschaften ausrufen müßen, soweit und sagen wir: Saving Private Ryan ist die Mutter aller Designer-Filme und als solcher wirklich außerordentlich gut gemacht.
Janusz Kaminskis ausgebleichten Handkamera-Bilder; das ruckartige Vorwärtspreschen der bis an den Rand der Anonymität getriebenen Soldaten am Strand der Normandie: Beides bedient zugleich Erinnerungen an Wochenschauen und alte Kriegs-Fotografien - und schon diese Erinnerung, die eine vermittelte ist, eint das Publikum. Außerdem ist dies ja auch ein "Mahnmal für alle Soldaten", also müssen alle Zuschauer (und das sind in Amerika bis dato ziemlich viele) auch ein wenig darauf warten, bis Tom Hanks sich als Star ein wenig herauskonturieren darf aus dem grausigen Getümmel.
Was erzählen uns diese Gefechte? Ginge es darum, eine teuflische Willkür der Gewalt zu bebildern, dann hätte Spielberg auf diese fulminanten ersten 20 Minuten wohl kaum eine Uralt-Geschichte von Moral und Tapferkeit und Selbstaufopferung folgen lassen: Er tut das, in dem er Hanks und einen kleinen Trupp sämtliche Klischees von Männerfreundschaft durchexerzieren läßt. He Mann, die Hand von unserem Alten zittert bereits, aber nein, so fertig ist unser Käptn doch noch nicht. Wir folgen ihm.
Was erzählen diese Gefechte, durch die wir ihm folgen? Eigentlich genau dasselbe wie jeder Spielberg-Film bisher: Perfekte Nachahmung ist möglich, egal ob das jetzt eine Urzeitechse ist, die da möglichst "echt" wirken soll, oder ein Comicabenteurer wie Indiana Jones. Wenn ich etwas mache, dann mache ich es besser als alle anderen, sagt der Weltmeister. Und dafür, daß das auch jeder glaubt, sorgen schon die Werbeabteilungen, die uns diesen mächtigsten Filmkünstler der Welt als hypersensibles Gewissen der Welt verkaufen. Es grenzte schon an ein Sakrileg, als Hanks Spielberg in Venedig als "künstlerischen Industriellen" bezeichnete.
Zerfließen Sie also in Tränen, wenn "gute" Jungs im "sinnlosen Krieg" sterben, weil Saving Private Ryan so gut gemacht ist, wie Landser-Romane gemacht sein können. Weinen Sie, weil dieses Überrumpelungskino ihnen keine andere Chance läßt. Aber vergessen Sie das mit dem "besten Kriegsfilm". Wie schrieb der Kritiker Louis Menand: "Wenn Spielberg weniger Respekt vor seinen Sujets und mehr Respekt vor seinem Publikum hätte, würde er bessere Filme machen." (Claus Philipp, DER STANDARD, 6/101998)
Saving Private Hanks
Zerrissene Gliedmaßen. Austretende Eingeweide. Punktgroße Löcher in verdutzten Gesichtern. Steven "The Patriot" Spielberg erspart uns nichts. Er hat in Saving Private Ryan den Zweiten Weltkrieg beendet. Der Weg führt durch "Omaha Beach", 1944. Er endet im Heil.
Spielberg steht mit beiden Beinen auf dem Dünensand der Geschichte. Erst Patton, dann Gorbatschow. Jetzt nichts mehr.
Spielbergs Hauptdarsteller ist der berühmte Tom "Forrest Gump" Hanks. Dieser Hanks behauptete jüngst, daß man "sogar den Fall des Kommunismus als letzte Schlacht des Zweiten Weltkriegs bezeichnen" könnte. Das erinnert an die Tiefsinnigkeiten von Heiner Müller ("Stalingrad, der programmierte Fall der Berliner Mauer!")
Wie viele Kriege hat Spielberg im Kino nicht stellvertretend für uns alle geführt. Und hat er sie nicht alle gewonnen? Ahabs Kampf mit Moby Dick: Der Weiße Hai hat ihn gebüßt. Aber wie!
Ein anderer Spielberg-Erfolg war die symbolische Beendigung der Punischen Kriege. Erst überquerte Hannibal auf einem Saurier (?) die Alpen. Rom rächte sich. Spielberg räumte mit den Echsen später toll auf.
Und Die Farbe Lila? Spielberg hat auch den US-Civil-War beendet. Missy, Missy, noch eine Schale Tee? Da zog Behagen ein in die Südstaaten-Häuser. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 9/10/1998)
Krieg ist Nervensache, Geschichte nur eine Frage des Gefühls. Neu im Kino: ein einziger, einsamer (und zweifelhafter) Film. Wer hat Angst vor Steven Spielberg? Oder: Diese Woche hat es kein heimischer Verleiher gewagt, sich mit Spielbergs "Der Soldat James Ryan" anzulegen.
Was ist wirklich passiert damals, im Zweiten Weltkrieg, 1944 an der Küste der Normandie? Wie hat sich das wirklich angefühlt, unter Beschuß zu sein, ganz nah dran am Tod? Solchen Fragen geht Steven Spielberg in seinem jüngsten Film nach, in Saving Private Ryan / Der Soldat James Ryan, einem neuen Versuch (nach Schindlers Liste), im Kino "seriös", geschichtlich "wertvoll" zu arbeiten. Dabei ist die Frage nach der Wirklichkeit mit dem Kinoapparat kaum zu beantworten, schon gar nicht von einem, dem das Entertainment so sehr ins Fleisch gewachsen ist wie Spielberg. Wo beim Filmemachen die Unterhaltung endet und die Verantwortung beginnt, weiß dieser Mann schon längst nicht mehr.
Der Soldat James Ryan interessiert sich nicht für Politik und nicht für Zeitgeschichte, auch wenn die Erzählung mit dem D-Day, der blutigen Rückeroberung der nazifizierten Normandie beginnt. Spielberg geht es vielmehr darum, die schockierenden Wirkungen des Krieges an menschlichen Körpern zu zeigen: wie das aussieht, wenn ein Schädel zerfetzt wird, wenn eine Granate einen Soldaten zerreißt, wenn ein Leben brutal zu Ende geht. So weit kann man Spielberg ja folgen (auch wenn der Krieg im Kino - in dieser Form - nie real, sondern immer inszeniert aussehen wird): Es ist schön, wenn Hollywood Wege wenigstens sucht, die gängige Perversion des Krieges zur action zu meiden.
Das Problem beginnt mit der totalen Emotionalisierung der Historie: Spielberg schreibt Geschichte mit seinem Gefühl (nicht mit seinem Verstand), und er betrauert die Toten vor allem als Amerikaner und als Helden, in einem Melodram, das die Rettung eines verlorenen Sohnes (Matt Damon) durch einen opferbereiten Vater (Tom Hanks) vorsieht. Ohne Heldenverklärung ist in Hollywood der Krieg (noch immer) nicht denkbar: Vom Gutgemeinten zum Gemeinen ist es nicht weit. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 8/10/1998)
Dröhnende Traumarbeit: High Noon im Heldenland. In "Der Soldat James Ryan" rekonstruiert Filmemacher Steven Spielberg den Krieg als Blutbad, das aus Durchschnittsamerikanern Helden macht. Ein Schlachtengemälde, eine Wanderung auf Messers Schneide.
Am grauen Morgen des 6. Juni 1944 gehen sie an Land. Einer nimmt, noch im Boot, einen letzten Schluck aus der Flasche, seine Hand zittert, zwei Soldaten in seiner Nähe übergeben sich. Danach bricht die Hölle über sie alle herein: Im Kugel- und Granatenhagel zerreißt es die Leiber, Gesichter werden weggeschossen, Eingeweide hängen aus den Körpern noch lebender Menschen. Die erste halbe Stunde dieses Films, der mit der historischen Invasion der alliierten Streitkräfte in der Normandie am D-Day, im nazibesetzten Frankreich beginnt, diese erste halbe Stunde ist eine Simulation des Gefühls Krieg, verfolgt von einer wackeligen Kamera, hart am Rande der Erträglichkeit. In Saving Private Ryan / Der Soldat James Ryan rekonstruiert Regisseur Steven Spielberg die Wirklichkeit des Sterbens mit Hollywoods Arsenal des Lügens, mit Stars, Make-Up und visual effects, in Zeitlupe und Dolby-Stereo, in Schlammgrün und Blaßgrau.
Und der Krieg erhält Gesichter, hochbezahlte sogar: Tom Hanks heißt (im wirklichen Leben) jener Mann, der den Einsatz hier leitet, Matt Damon der, nach dem man den Film benannt hat. In Hollywood muß man auch das Grauen erst einmal verkaufen können. Sechs weitere US-Filme - darunter Terrence Malicks dritte Regiearbeit, The Thin Red Line - werden übrigens demnächst ebenfalls vom Krieg erzählen. Inzwischen dichtet Spielberg der Historie ein Rührstück an: Ein junger Soldat, dessen drei Brüder gefallen sind, soll als letzter Überlebender - so die Order von ganz oben - gefunden, aus Frankreich abgezogen und nach Hause zur verzweifelten Mutter, ins stille Iowa gebracht werden.
"We will get him the hell out of there", spricht eine Respektsperson noch leinwandfüllend - und gibt diesem Film, der sonst drei Stunden lang nur das Töten (und das Warten darauf) zeigen würde, eine Story. Der junge Mann, den es zu finden gilt, trägt einen Allerweltsnamen, welcher Hanks' lebensgefährliche Suche, hinein ins Herz der Finsternis, erschwert: In welcher Ecke des zerbombten Landes steckt Soldat James Ryan?
Man merkt, daß die Angelegenheit Spielberg am Herzen liegt. Er inszeniert anders als sonst, weniger geistesabwesend und manchmal gar nicht ungeschickt: Seine Bilder orientieren sich an der Kriegsphotographie Robert Capas, und er betont, in leisen Verfremdungen, das Irreale des Krieges, den Hanks im Feld wie eine andere, dumpf dröhnende Welt, wie einen Alptraum wahrnimmt. Daß Spielbergs eigenes Filmstudio DreamWorks heißt, ist kein Zufall: Kino ist für diesen Filmemacher nichts anderes als Traumarbeit.
Zur besseren Überschaubarkeit der Erzählung hält Spielberg die Truppe klein, läßt wenige für alle stehen. Wenn die Welt schon so farblos ist, muß wenigstens die Mannschaft bunt sein: So setzt er, zwischen die tough guys und die Nervenschwachen, die Choleriker und die Sensiblen, einen versunkenen Tom Hanks, seinen besten Helden, der nicht nur alles zu ertragen weiß, sondern sich dabei auch noch ganz ruhig, ganz souverän verhält. Mit der Brandmarkung der Figuren schwenkt auch der Film auf einen gängigen, einen allzu gängigen Kurs: spannende Heldendezimierung, rührende Heldenverehrung.
Dazwischen kann man dem Tod im Close-Up bei der Arbeit zusehen, darf erleben, wie ein deutsches Messer im Nahkampf ganz langsam in eine amerikanische Brust dringt, und wie die Nerven, wenn sie in der Extremsituation versagen, selbst gute Männer böse Dinge tun lassen.
In seinem Wesen ist Saving Private Ryan aber ein buddy movie, ein Männerfreundschafts - und Gruppendynamiksfilm. Dabei decouvriert Spielberg seine eigenen Motive. Der gefundene Ryan weigert sich standhaft, seine Freunde ("the only brothers I have left") und seinen Platz im Feld zu verlassen. Private Ryan läßt sich nicht so einfach retten: Nichts bewundert Spielberg, bei allem Horror vor dem Krieg, mehr als Professionalismus und Pflichterfüllung. So springt Saving Private Ryan behende vom Schockfilm zurück ins Genre: Wie in High Noon warten die Helden schließlich auf die Ankunft der Übermacht, auf den fast sicheren Tod. Und ein altes Grammophon spielt in den Trümmern noch ein Lied von Edith Piaf, ehe Staub, Feuer und Blut wiederkehren. Aber Spielberg kann nicht anders: Aus dem Naturalismus seiner Schlachtdarstellung kippt er um ins Verehrende, läßt seine Kämpfer im Gegenlicht stolz über einen Hügel schreiten - unbeugsame Alltagshelden, größer als das Leben selbst, auf gleicher Höhe mit dem Mythenkino.
Als wäre er genau das seinem Publikum und seinen Figuren schuldig, verstärkt Spielberg den Geschmack des Krieges mit dem Aroma des Unauslöschlichen, des Grandiosen: Darin verkehrt sich seine Ambition - die "schonungslose" Darstellung des Krieges - ins blanke Gegenteil. Auf anderer Ebene hat Spielberg genau das auch schon in Schindlers Liste praktiziert: Wer vom Antisemitismus anhand eines guten Deutschen erzählen will, wer das Gefühlsfinale seines Films mit einem optimistischen Breitwandbild lächelnder Holocaust-Überlebender dekoriert, muß sich den Vorwurf des Beschwichtigens gefallen lassen.
In seinen "seriösen" Filmen, die - von Die Farbe Lila bis hin zu Amistad und Saving Private Ryan - allesamt Geschichtsstunden sind, geht Spielberg einen schizophrenen Weg: tief gespalten zwischen Irritation und Opportunismus, zwischen Aufklärung und Publikumsbedienung.
Die Unmenschen, das sind immer die anderen bei Spielberg, all jene, die nur am Rande vorkommen, denen er wenig Interesse schenkt. Ein deutscher Soldat winselt in gebrochenem Englisch um sein Leben, demütigt sich wie sonst keiner in diesem Film. Man läßt ihn laufen - und natürlich taucht genau er am Ende in den Linien des Feindes wieder auf: als gnadenloser Killer, der dieser Erzählung noch den Star nimmt. Selbst der Friedfertigste weiß jetzt, was zu tun ist: Töte im Krieg besser auch dort, wo du eigentlich Gnade walten lassen wolltest. Mit einem militärischen Gruß am Friedhof, mit vergossenen Tränen und einem bestärkenden Blick auf die alte US-Flagge geht der Film zu Ende, meilenweit von der (schon an sich falschen) "Objektivität" seiner ersten halben Stunde entfernt. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 10/10/1998)
Wollt ihr den totalen Film?. "Saving Private Ryan" zeigt den Krieg, wie man ihn noch nie auf der Leinwand gesehen hat. Wird Regisseur Steven Spielberg von der US–Kritik zu Recht als "Messias" gefeiert?
Wer ist James Ryan? Warum interessiert sich der Generalstab der Vereinigten Staaten für ihn, und warum werden acht verdiente Soldaten nach der erfolgreichen Landung der alliierten Truppen in der Normandie abgestellt, um ihn im feindlichen Gebiet ausfindig zu machen und heil aus der Gefahrenzone zu schaffen? Kurz: Was hebt den Soldaten James Ryan über den Rang von Zehntausenden Kameraden hinaus? Nichts, bis auf die Tatsache, daß seine drei Brüder im Kampf gefallen sind und die Army Ryans Mutter den Schmerz ersparen möchte, auch ihren letzten Sohn zu verlieren.
Captain Miller (Tom Hanks) wird mit der heiklen Mission betraut. Er weiß, daß ihr Sinn ausschließlich symbolisch begründet ist, und kann nur hoffen, daß der, dem der ganze Aufwand gilt, ihn auch verdient: "He`d better be worth it." Als die Männer Ryan schließlich in einem von Nazis belagerten Nest aufspüren, weigert der sich, seine Stellung zu verlassen. Das wäre, meint er, ganz redlicher Soldat, Verrat an seinen Kameraden. Miller besteht auf der Erfüllung seines Auftrags – nicht weil ihm persönlich daran liegt, doch Befehl ist Befehl, selbst wenn es nur um PR back home geht und acht gestandene Männer dafür ihr Leben aufs Spiel setzen müssen.
Die Geschichte von der dramatischen Rettung des Soldaten Ryan dauert knapp hundertvierzig Minuten, etwas länger, als Filme gemeinhin dauern, die von der dramatischen Rettung eines Soldaten handeln. Man hat sie unzählige Male gesehen, und sie laufen fast immer nach demselben Grundmuster ab: Eine Handvoll Kämpen, die nichts gemeinsam haben als eine Mission, von Naturell, Herkunft und Weltsicht her aber nicht unterschiedlicher sein könnten, werden durch die Macht der Umstände zusammengeschweißt. Es lebe der klassische Topos von Krieg und Kameradschaft, angereichert mit viel Blut und Schweiß und ein paar trockenen Männertränen.
Das Kino ist in seiner Geschichte oft bei diesem Topos gelandet, weil es nicht wußte, wie man eine so monströse Grenzerfahrung wie den Krieg anders bewältigen kann, als sie gnadenlos zu vermenschlichen. Hollywood hat sich dabei meist blindlings dem vierschrötigen Helden (Phänotypus: John Wayne!) verschrieben, und selbst so rabiate Freigeister wie Francis Ford Coppola ("Apocalypse Now"), Oliver Stone ("Platoon") und Stanley Kubrick ("Full Metal Jacket") haben dem überlebensgroßen Grauen ein menschliches (wenn auch nicht unbedingt humanes) Gesicht gegeben.
Kann man den elementaren Wahnsinn eines Krieges im Kino überhaupt authentisch vermitteln? Man kann zumindest versuchen, ihn glaubhaft darzustellen, hat sich Steven Spielberg gesagt und ist ihm nach einhelliger Meinung – nicht nur von Kritikern, sondern auch von Historikern und Veteranen – nähergekommen als jeder andere Regisseur vor ihm. An den Anfang seines WW2–Epos nämlich hat Spielberg eine Sequenz gerückt, die den D–Day nachstellt und die in ihrer elementaren, erratischen Wucht nicht nur im Mainstream–Kino ihresgleichen sucht. 25 Minuten lang herrscht Krieg im Kino – kein dramaturgisch gestraffter und ästhetisch geglätteter allerdings: Die Kamera agiert nicht neben oder über dem Geschehen, sondern mittendrin. Sie ist das Auge des unbekannten Soldaten. Sie sieht, wie die Kameraden vor Angst zittern und kotzen; sie sieht, wie einer fassungslos den Helm abnimmt, an dem gerade eine Kugel abgeprallt ist, und von einem Kopfschuß niedergestreckt wird; sie sieht, wie ein anderer mit schreckensweit aufgerissenen Augen eine herrenlose Hand vom Boden aufklaubt – seine eigene; sie sieht, wie ein dritter in seinen herausquellenden Eingeweiden wühlt und nach seiner Mutter schreit. Sie sieht, was einer, der die Invasion selbst miterlebt hat, gesehen haben könnte, und sie sieht es offenbar mit so kalter, brutaler Präzision, daß Veteranen, die den Horror seinerzeit tatsächlich miterlebt haben, fluchtartig das Kino verlassen mußten, weil sie den Anblick nicht ertrugen.
Sperrfeuer. Spielberg mutet seinem Publikum das äußerste zu. Sein Prolog wird durch keines der genreüblichen Stilmittel entschärft. Er kommt ohne Dramaturgie aus und ohne Soundtrack, denn der Gefechtslärm überdröhnt alles. "Wollt ihr den totalen Film?" scheint Spielberg frei nach Goebbels zu fragen und die Antwort gleich selbst zu geben. Nach spätestens zehn Minuten kapituliert man, liefert sich ohnmächtig dem Sperrfeuer von der Leinwand aus und ist damit vielleicht gar nicht so weit entfernt von der Realität des gemeinen Soldaten anno 1944, nur daß dessen Leben auf dem Spiel stand, während der Zuschauer sich betäubt in den Kinosessel ducken kann.
Im Grunde könnte der Film nach diesen 25 Minuten zu Ende sein, und es wäre damit in gewisser Weise alles gesagt, was im Kino zu diesem Thema gesagt – bzw. gezeigt – werden kann. Doch dann beginnt ein zweiter Film, in dem sich der Aberwitz, der gerade in seiner abstrakten, mechanischen Gewalt ausgelotet worden ist, im Menschlich–Konkreten spiegelt. Dieser Film kündigt sich schon vorher an, wenn die Kamera im Schlachtgetümmel immer wieder kurz bei Tom Hanks verweilt. Hanks spielt Captain Miller, den Leiter der Ryan–Mission, und er spielt ihn mit jener konzentrierten Beiläufigkeit, die ihn zum idealtypischen Jedermann im amerikanischen Gegenwartskino geadelt hat. Statt den heroischen Hurrapatrioten à la Wayne wiederzubeleben, agiert Hanks den ganzen Film lang seltsam zurückgenommen, fast apathisch, so als könnte nur eine alles betäubende Trance ihn vor dem Wahnsinn retten, der rund um ihn tobt. Forrest Gump an der Front.
"Saving Private Ryan" wurde von der amerikanischen Kritik nahezu einmütig als Meisterwerk bejubelt. Schon mit "The Colour Purple", "Schindler`s List" und "Amistad" habe Spielberg dem Popcorn–Kino abgeschworen, und nach "Schindler`s List" sei ihm das zum zweiten Mal überzeugend gelungen. Und wie schon das vielfach Oscar–prämierte Holocaust–Drama erweist sich auch "Saving Private Ryan", obschon von seiner Länge und der Drastik seiner Bilder her alles andere als Mainstream–tauglich, als fulminanter Kassenschlager: 190 Millionen Dollar hat der Film allein in den USA bisher eingespielt. Hollywoods Midas kann offenbar nichts falsch machen, egal, ob er sich Außerirdische oder Saurier vornimmt, den Holocaust oder den Zweiten Weltkrieg. Freigebig werden schon Oscars verteilt, für den besten Film, die beste Regie, den besten Hauptdarsteller und die beste Kamera (Janusz Kaminski). "Sankt Stevens großer Kreuzzug", titelte der "Spiegel" schwelgerisch. Die Heiligsprechung des erfolgreichsten Regisseurs aller Zeiten ist in vollem Gang.
Klischees. Warum also ist "Saving Private Ryan" trotzdem kein perfekter Film? Nicht erst seit "Schindler`s List" versucht Spielberg immer wieder, über seinen Hollywood–Schatten zu springen. Dabei schreckt er allerdings regelmäßig vor seinem eigenen Mut zurück. Daß er noch nie so radikal war wie in der eröffnenden Schlachtsequenz von "Saving Private Ryan" (und einer korrespondierenden am Ende), muß man Spielberg anstandslos zugestehen; ebenso, daß er seinen Film nicht nach einer halben Stunde als quasidokumentarischen Torso stehenlassen kann – nicht aber, daß er sich in der Folge wieder ausgiebig all jener dramaturgischen, emotionalen und musikalischen Klischees bedient, die er zuvor so souverän ignoriert hat. Es ist Spielberg hoch anzurechnen, wenn er seine beträchtliche Macht in Hollywood nutzt, um Stoffe aufzugreifen, die vordergründig keinerlei Mainstream–Potential bergen, nur bleibt er letztlich immer auf halbem Weg stehen und verkleistert die Brüche, die er mutwillig erzeugt, reflexartig durch Pathos, Pomp und pseudophilosophische Verkürzungen.
Wie "Schindler`s List" und das Sklavenepos "Amistad" offenbart "Saving Private Ryan" einen eminent didaktischen Gestus. Spielberg wird, wenn er nicht mit Bildern und Effekten jonglieren kann, zum Missionar. Er will gewichtige Beiträge zu zentralen Kapiteln der Weltgeschichte leisten und, seinem perfektionistischen Anspruch gemäß, in endgültige Filmkunstwerke meißeln. So wie vielen "Schindler`s List" als der ultimative Film zum Holocaust galt, so preisen vor allem US–Kritiker "Saving Private Ryan" als "the ultimate war movie" – jeder weitere Film zum Thema erübrige sich. Selbst seriöse und sonst kühl argumentierende Blätter wie die "New York Times" oder das "Time Magazine" vertraten die bemerkenswerte These, wer "Saving Private Ryan" gesehen habe, sei gleichsam für alle Zeiten "bekehrt".
Propaganda. Aber braucht man wirklich Spielberg, um zu erahnen, daß Krieg die Hölle auf Erden sein könnte? Ist das tatsächlich die Conclusio, die "Saving Private Ryan" nahelegt, und nicht vielmehr die einzige Prämisse, von der jeder halbwegs zivilisierte Mensch auszugehen hat, und zwar bevor er ins Kino geht?
"Saving Private Ryan" ist kein kathartischer Film. Er wird keine Kriegstreiber bekehren, sowenig wie er Pazifisten in ihrer Meinung bestärken muß. Die aufklärerische Energie, die Spielberg aufwendet, wenn er mehr will, als die Massen zu bezaubern, ist vergeudet, weil ihm die intellektuelle Ader dafür fehlt und weil er das System, dem er alles verdankt, letztlich nie würde sprengen wollen. Spielberg beweist, vor allem mit den ersten 25 Minuten von "Saving Private Ryan", daß er ein großer Visionär ist und wahrscheinlich mehr von der suggestiven Kraft von Bildern versteht als jeder andere lebende Regisseur.
Wenn Spielberg aber zu Beginn und zum Schluß seines Films die US–Flagge hißt und in Interviews seiner Hoffnung Ausdruck gibt, daß "die Jüngeren am Ende die Stars and Stripes mit einem Respekt sehen, den sie so noch nie empfunden haben"; wenn die "New York Times" in Spielberg einen "Messias" für die amerikanische Nation sieht, weil er "unser Gewissen nach dem Trauma von Vietnam" reinige und "dieser großen Nation" zeige, daß sie "doch ein gutes Herz habe", dann rückt das Spielberg in den Rang eines Propaganda–Filmers. Und von Leni Riefenstahl, einer anderen visionären Gestalt der Kinogeschichte, unterscheidet ihn dann womöglich nur noch der Umstand, daß er ein guter Mensch ist. (Sven Gächter, profil, 5/10/1998)
"Die Leute aufwecken" - Steven Spielberg über sein Weltkriegsdrama "Saving Private Ryan", Authentizität und Gewalt im Kino.
profil: Wenn man den Kinosaal verläßt, fühlt man sich, als hätte man gerade einen Autounfall überlebt. Wie haben Sie das während der Dreharbeiten empfunden?
Spielberg: Genauso entsetzlich, aber sicher nicht annähernd so schrecklich wie all die Soldaten, die den Zweiten Weltkrieg mitgemacht haben und mit dieser Erinnerung seit über fünfzig Jahren leben müssen. Es ist mir völlig bewußt, daß alles, was ich in diesem Film zu zeigen versucht habe, niemals an die Wirklichkeit herankommen kann.
profil: Warum diese ungewöhnlich drastische Darstellung von Gewalt?
Spielberg: Weil es so passiert ist. Es ging mir um eine möglichst authentische Darstellung der Ereignisse des 6. Juni 1944. Ich hätte auch auf Nummer Sicher gehen und zeigen können, wie die Menschen in Zeitlupe sterben, wie Blut in Zeitlupe über die Leinwand spritzt. Wir sind daran gewöhnt, weil wir es ständig im Kino sehen. Solche Filme spielen eine Menge Geld ein. Aber Geld hat mich bei "Saving Private Ryan" nicht interessiert. Geld mache ich mit den "Jurassic Parks". Ich wollte einen Antikriegsfilm drehen, mit dem ich genau das Gegenteil erreiche: Ich wollte das Publikum wieder sensibilisieren.
profil: Muß man das Publikum also vor "Saving Private Ryan" warnen?
Spielberg: Natürlich. Jeder, der sich den Film ansieht, muß zumindest theoretisch wissen, worauf er sich einläßt: eine sehr frontale und ungeschönte Betrachtung des schrecklichsten Krieges dieses Jahrhunderts. Ich kann keinen Antikriegsfilm machen, ohne die Leute aufzuwecken. Auf Debatten über Brutalität auf der Leinwand lasse ich mich da gar nicht ein. Die Art von Brutalität, gegen die ich mich wehre, ist jene, die wir täglich auf den Bildschirmen sehen. Kinder, die andere Kinder in der Schule erschießen, sind Opfer dieser Art von Fernsehen. Was wir dagegen in "Saving Private Ryan" zeigen, kann niemand imitieren. Da müßte man schon eine ganze Armee zur Verfügung haben.
profil: Zum ersten Mal wird in einem Hollywood–Kriegsfilm gezeigt, daß auch Amerikaner Deutsche erschossen haben
Spielberg: Das war mir ein Anliegen, weil es wirklich passiert ist. Ich habe versucht, das allzu menschliche Gesicht dieses Krieges zu zeigen. Alle glauben immer, daß jeder einzelne Soldat in einem Krieg ein großes patriotisches Ziel vor Augen hat. Das ist natürlich Schwachsinn. In Wirklichkeit denkt jeder Soldat nur darüber nach, wie er die nächsten 24 Stunden überlebt.
profil: Sie haben darauf bestanden, daß sich Ihre acht Hauptdarsteller einem brutalen Wochentraining mit einem sadistischen Feldwebel unterziehen. Warum war das für Sie so wichtig?
Spielberg: Ich wollte, daß sie zumindest annähernd die Beschwerlichkeiten eines Soldatenlebens kennenlernen. Ich wollte keinen Haufen verwöhnter Hollywoodstars, die dann vorgeben, Krieg zu spielen. So hätte mein Film nie funktioniert. Captain Dale Dye, ein ehemaliger Soldat, hat sie eine Woche lang geschunden, und das hat ihnen gutgetan.
profil: Seit wann interessieren Sie sich für den Zweiten Weltkrieg?
Spielberg: Immer schon. Mein 81jähriger Vater hat in Burma gekämpft, und seine Geschichten hatten sehr großen Einfluß auf mich. Ich habe diesen Film auch gemacht, weil ich die Geschichte der Veteranen so erzählen wollte, wie sie wirklich passiert ist, aus ihrer Sicht, nicht aus derjenigen der Geschichtsbücher.
profil: Wenn Hollywood sich in den letzten Jahren für Krieg interessiert hat, war es in der Regel Vietnam. Woher kommt das plötzliche Interesse am Zweiten Weltkrieg?
Spielberg: Ich kann nur für mich selbst sprechen, und für mich ist der Zweite Weltkrieg das wichtigste Ereignis dieses Jahrhunderts. Hätten die Alliierten den Krieg nicht gewonnen, wäre alles, wofür wir seit 200 Jahren kämpfen, verloren gewesen. Außerdem hatte ich ständig die Worte meines Vaters in den Ohren, der sich gern darüber beklagt, daß Hollywood nur dann Filme über den Zweiten Weltkrieg macht, wenn es eine Ausrede braucht, um einen Action–Adventure–Film zu drehen und mit ein paar Explosionen junge Leute ins Kino zu locken. Das Militär wird in Hollywood meist glamourös dargestellt. Die Kriegsfilme der vierziger Jahre waren reine Propagandafilme, die gedreht wurden, um Kriegsaktien zu verkaufen und Soldaten anzuwerben, und vor allem, um davon abzulenken, was an der Front wirklich geschah.
profil: Was haben Sie aus Ihren zahlreichen Gesprächen mit Veteranen gelernt?
Spielberg: Sie haben mich fast alle um dasselbe gebeten: "Verwässern Sie das nicht, zeigen Sie die Wirklichkeit. Nicht Ihre Wirklichkeit, mit der Sie eine Menge Geld verdienen, sondern unsere, die uns eine Menge Familienmitglieder und Freunde gekostet und uns unglaubliches Leid gebracht hat."
profil: Sie haben den Film nicht an historischen Schauplätzen in der Normandie gedreht. Warum nicht?
Spielberg: Weil man uns dort nicht wollte und weil ich auch nicht bereit war, soviel Geld auszugeben, wie die Franzosen für die Drehrechte verlangten. Also sind wir nach England und Irland ausgewichen. In den USA konnte ich nicht drehen, weil es dort keinen Strand gibt, der dem Original nahekommt.
profil: Haben Sie mit dieser Epoche nun abgeschlossen, oder sind noch mehr Filme dieser Art von Ihnen zu erwarten?
Spielberg: Ich habe mit "Schindler`s List" den Holocaust abgehandelt und mit "Saving Private Ryan" den Zweiten Weltkrieg, was mir ein wirkliches Anliegen war. Ich trage keine Geschichten aus dieser Zeit mehr in mir. (Sven Gächter, Interview: Elisabeth Sereda; profil, 5/10/1998)
Denkzettel für Nachgeborene, emotioneller Overkill
Nacktes Grauen. Und dann den nackten Bauch des nackten Grauens aufgeschlitzt, die quellenden Eingeweide herausgezerrt, den ausgeweideten Leichnam entmannt, die Gliedmaßen im Vorwärtssprung bei lebendigem Leib amputiert, den Torso sodann zerfleischt und in Stücke gerissen. Das ist die erste halbe Stunde. Dreißig Minuten schieres Entsetzen, in denen uns Spielbergs erbarmungsloser Realismus in die brüllende Schlacht um Omaha Beach wirft, peinigt, verletzt, verkrüppelt. Die restlichen zwei Stunden und siebzehn Minuten singen dann nur noch das Heldenlied des braven amerikanischen Soldaten Miller (Titelheld Ryan kommt sozusagen nur im Refrain vor; sein Schicksal die Nachhut).
Wäre nicht der magenumstülpende, Ekel und Entsetzen auslösende, todesangstschreiende, rundum explodierende Beginn im Zielgebiet jenes mörderischen deutschen Kugelhagels, der die aliierten Invasionstruppen am 6. Juni 1944 in der Normandie empfing: der Kriegsfilm hätte durch Spielbergs geniale Fähigkeiten keinen neuen Maßstab erhalten. Aber diese Serie endlos scheinender Augenblicke, in denen uns Spielberg bewaffnet, in Uniform steckt und aus den Landungsbooten ohne Deckung gegen den Feind schickt, wird keiner mit Nerven und Herz so leicht vergessen, verdrängen können. Erinnerungsnarben könnten bleiben. Ein heilsamer Denkzettel auch für Nachgeborene.
Gemischte Gefühle dennoch angesichts der restlichen Erzählung der erschütternden Episode aus dem Weltkrieg II. In der sollen Captain John Miller und seine Truppe auf Befehl des Oberkommandos jenen Jungmann aus der Front zurückziehen und sein Leben retten, weil dessen drei ältere Brüder bereits im Kampf gefallen sind. Daß Spielberg so weit in die Vergangenheit zurückgriff, in die Hitlerzeit, um die Bestie Krieg einerseits, andrerseits aber auch die Glorie amerikanischer Helden zu beschwören...
Wenn schon immer noch Weltkrieg II, dann lieber Vergangenheitsbewältigung wie jene des Bayern Josef Vilsmaier. Dessen "Stalingrad" z. B. rührt in uns mindestens so viele Gefühl auf, löst ähnliches Entsetzen aus, detailliert Greuel und sinnloses Schlachten - ohne Spielbergs kitschigen Antiheroismus und pseudomoralische Rührungsmaschinerie strapazieren zu müssen.
Spielberg gelang eine ungemein bewegende, blutig realistische Phänomenologie soldatischer Schizophrenie - die aber mit allzu manipulativ-spekulativen Mitteln. Emotioneller Overkill. Die Bösen, das sind immer die anderen. Und vom Übel erlöst einst und immer noch die USA. Aus dem Vietnam-Desaster der eigenen Heimat hat Spielberg jedenfalls nichts lernen wollen. So wie jeder einzelne Soldat jeden Krieges nichts aus dem Schicksal der Lemminge, die ihren Leittieren immer noch vorbehaltlos in den Abgrund folgen. (Rudi John, KURIER)
Weitere Kritiken der IMDb, offizielle Site: http://www.rzm.com/pvt.ryan/
USA 1998. 38 Min.
Regie: Bruce Neibaur,
Darsteller: Omar Sharif (Großvater), Kate Maberly (Enkelin)
Kinostart: 9/10/1998
Der Bau der Pyramiden, die Entdeckung des Grabes von Tutanchamun, kurz: Ein Rundgang durch die "Mysteries of Egypt" (DER FALTER)
Mit Projektionslichtgeschwindigkeit zurück
Die kürzeste Distanz zwischen Wien und den Schätzen des ägyptischen Altertums ist jetzt das Kino. Mit Projektionslichtgeschwindigkeit Tausende Jahre hin und zurück... Ein kleiner Hirtenknabe im Burnus: eine nackte Glühbirne, an einen Ast gebunden, weist ihm den Weg zum Gold des sonnengöttlichen Tutanchamun. Priester balsamieren ihren toten König ein für ein ewiges Leben, das schließlich in einer Museumsvitrine endet; Feluken setzen Segel in den Sonnenuntergang auf dem Nil; Howard Carters Kanarienvogel wird von der Kobra getötet - erstes Opfer des Fluchs der Mumie?
Das Schau- und Raumwunder der IMAX-Kamera erzählt in rekonstruierten Szenen und authentischen Bildern, was kein Museum und keine Bildungsreise vermag. Als Ergänzung macht vielleicht doch die Ausstellung "Porträts aus dem Wüstensand - Mumienbildnisse aus dem Ägyptischen Nationalmuseum" im Wiener Kunsthistorischen (ab 20. Oktober) Sinn. Aber die Cheopspyramide exakt über ihrer Spitze in Draufsicht, der Ausblick zwischen den einzwängenden Felsen durch zu den Katarakten des Nil, die gigantischen Säulenmonster vom Tempel in Karnak wie im Lift hochfahrend...
Ägypten in atemberaubenden Perspektiven. Die Perspektive ist es, die unser Denken bestimmt. Mit dem Blick zu Boden lebt es sich anders als mit jenem in unendliche Weiten. Aber auch die gleiche Position birgt unterschiedliche Sehweisen: ehrfurchtsvoll aufblickend oder unbefangen himmelhoch himmelwärts ist nicht dasselbe. Die Perspektive macht auch IMAX-Kinos zum besonderen Erlebnis. Der Globus ein Augapfel. Und die riesige Kinoleinwand hüllt ihn ein. (Rudi John, KURIER)
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