Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 16. Oktober 1998 neu angelaufene Kinofilme


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SOLO FÜR KLARINETTE

D 1998. 95 Min.
Regie: Nico Hofmann, Buch: Susanne Schneider, nach einem Roman von Elsa Lewin, Musik: Nikolaus Glowna, Kamera: Hans-Günther Bücking, Schnitt: Inge Behrens, Darsteller: Götz George (Bernhard Kominka), Corinna Harfouch (Anna Weller), Tim Bergmann (Freddie Bahlo), Barbara Auer (Lydia Kominka), Tobias Schenke (Theo), Christian Redl (Thomas Hecht)
Kinostart: 16/10/1998

In einem anonymen Hochhaus in Berlin findet man die grausam zugerichtete Leiche eines Mannes. Offenbar wurde ihm ein Stück seiner Genitalien abgebissen. Die Ermittlungen werden von Hauptkommissar Bernie Kominka und seinem jungen Kollegen Freddie geführt. Sie stoßen auf die junge Anna in einem roten Ledermantel. Und obwohl sie als Hauptverdächtige gelten muß, verliebt sich Kominka in sie. Seine Ehe und seine Beziehung zu Vorgesetzten leiden zusehends. Doch er kommt nicht los von ihr.
Der Film ist mehr eine Psychoanalyse als ein spannender Thriller. Diese leidet jedoch darunter, daß Götz George in seinem neuesten Film nicht an die schauspielerischen Leistungen der vorangegangenen Filme, wie etwa "Der Totmacher", heranreichen kann. Dies gelingt eher Corinna Harfouch, die den Gesamteindruck jedoch auch nicht wesentlich verbessern kann. (film.de)

Ein Kriminalkommissar verliebt sich in eine Mordverdächtige, um seiner klaustrophobischen Einsamkeit zu entfliehen, beugt Recht und Gesetz, um der Geliebten nahe zu sein und führt zwangsläufig das tragische Ende herbei. Kein Genrefilm im eigentlichen Sinn, der zwar Vorgaben des Kriminalfilms nutzt, um seine Geschichte transportieren zu können, dessen eigentliches Thema jedoch das existentielle Drama zweier Menschen ist, die ihrer inneren Isolation zu entkommen suchen. Schauspielerisch etwas zu forciert, bietet der klug durchdachte Film Unterhaltung auf beachtlichem Niveau.
Kommissar Bernhard Kominka, genannt Bernie, ist seinen Beruf leid: zu viele Mordermittlungen in zu vielen Jahren, hinzu kommt ein marodes Eheleben, und ferner hat Bernie weder Kraft noch Willen, dem verhaltensgestörten Sohn Theo ein guter Vater zu sein. Keine Bösartigkeit, schiere Erschöpfung. Plötzlich gibt es aber einen Mordfall mehr. Ein Mann wird mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden, das Mordinstrument, eine blutbesudelte Klarinette, liegt neben der nackten Leiche auf dem Boden. Die makabre Besonderheit der Tat: Dem Opfer wurde ein Teil des Penis abgebissen. Eigentlich sollten alle Beteiligten im dunkeln tappen, auch Bernies Kollege Freddie, der sich während der Ermittlungen eine polnische Prostituierte anlacht, doch ein gelber Schirm, der vom Tatort verschwindet und im Gewahrsam einer einsamen, verblühenden Schönheit landet, bringt Bernie auf die richtige Spur. Und diese ist gleich in mehrfacher Hinsicht richtig, denn der einsame Bernie verliebt sich in Anna, die einsame Tatverdächtige, eine geschiedene Frau Mitte 40. Beide lernen sich in obskuren Single-Treffs kennen und verlieben sich. Bernie vertuscht in der Folgezeit Indizien, läßt Beweismaterial verschwinden und die Frau des Toten ohne rechten Grund verhaften. Er steigert sich in eine unmögliche Liebe hinein, der nur ein denkbar böses Ende beschert sein kann.
Ende August 1998 wurde diesem kleinen, leisen Film die Aufmerksamkeit der großen Boulevard-Presse zuteil: Die "BILD"-Zeitung mutmaßte Pornografie in Nico Hofmanns "Solo für Klarinette" und hatte auch flugs ein entsprechendes Aufmacherfoto mit Götz George und Corinna Harfouch parat. Große Aufregung um einen grundsoliden und ernsthaften Film, der in der Tat mit einigen erotischen Liebesszenen aufwartet, in denen die Hauptdarsteller zwar Grenzen ausloten, sie jedoch keineswegs überschreiten. "Solo für Klarinette" ist alles andere als ein gewöhnlicher Krimi; zu wenig ist verrätselt, zu offensichtlich wird der Mörder als eigentlich einziger Tatverdächtiger ein- und vorgeführt. Hofmann nutzt das Sujet, um ein Drama voranzutreiben, das die existentiellen Nöte zweier Menschen beschreibt, die in ihren klaustrophobischen Leben befangen sind und eine letzte Chance wittern, um endlich auf der Sonnenseite zu stehen. Götz Georges Bernie ist deutlich gegen sein Image als "Schimanski" inszeniert, ohne dabei freilich andere Klischees ungenutzt zu lassen: Bernie ist der klassische Verlierer, der sich verbissen an seine letzte Chance klammert und in Corinna Harfouchs Anna den Gegenpart findet. Psychologisch sind die Figuren der New Yorker Romanschriftstellerin Elsa Lewin durchaus stimmig, doch gerade hier tritt auch ein Manko zutage: Die beiden Charaktere vermitteln wenig von der sie abkapselnden Stille, treiben schauspielerisch ein übersteigertes Doppelspiel - als Einzelgänger graue Mäuse, im Duett Vulkane kurz vor dem Ausbruch. Für Bernie mag dies zutreffen, doch bei Anna, die sich schon so weit vom Leben zurückgezogen hat, daß sie ihren Anrufbeantworter bespricht, um Nachrichten von der "Außenwelt" zu erhalten, wirkt solches Verhalten nicht aus dem Charakter heraus entwickelt, sondern als Vorgabe der Regie. Schauspielerisch umgesetzt heißt das: Götz George, der häufig eine starke Regiehand braucht, die ihm Einhalt gebietet, darf in den intimen Szenen - gemeint sind nicht die Sexszenen - dem affe Zucker geben, während Corinna Harfouch instinktiv dagegenhält, um nicht an die Wand gespielt zu werden. Dies verhindert eine emotionale Annäherung an die Personen, schafft Distanz, wo Nähe erforderlich gewesen wäre, und stellt das Genre etwas auf den Kopf: Stille und Langsamkeit, wo Spannung zu erwarten wäre, bis zur Hysterie gesteigerte Aktivität bei der Beschreibung von inneren Nöten und Seelenzuständen. Dazu paßt allerdings auch die Farbgebung des Films, die durch triste und kalte Grau-Blau-Töne eine Berliner "Herbststimmung" erzeugt, die die Befindlichkeit der Protagonisten spiegelt. Gegen diese hilft auch Annas verzweifelt-rotes Kostüm nicht, das nicht so recht zu ihr passen will. Bleibt als einzig wirklicher Farbtupfer der gelbe Schirm, der nur eine trügerische Hoffnung signalisiert. Hofmann gelang ein gewiß nicht rundum gelungener, aber klug durchdachter Film, der sich von all jenen Produktionen absetzt, die glauben, auf gleicher Erfolgswelle schwimmen zu müssen, und mit Speck nach Mäusen werfen. (Hans Messias, film-dienst)

Ein Mordfall als Hintergrund für die kaum mehr verwirklichbare Erfüllung einer uneingeschränkten Liebe und Geborgenheit in einer apokalyptischen Großstadt zwischen dem Kriminalbeamten und der Hauptverdächtigen.
21 Dienstjahre bei der Kripo haben Bernhard Kominka ermüdet. Die Beziehung zu seiner Ehefrau Lydia wurde von ihr aufgekündigt, er hätte wohl noch irgendwie weitergemacht. Sein psychisch angeschlagener 14-jähriger Sohn Theo hasst seinen Vater mit größerer Leidenschaft als dieser ihn liebt. Mitten in Bernies Lebensroutine soll der 652. Mordfall seiner Karriere seine eingerostete Existenz aufrütteln. Georg Steinmann, Mieter eines urbanen Wohnmoloches, wurde der Schwanz zur Hälfte durchgebissen und mit der Klarinette lebensverkürzend ein paarmal eins übergezogen.
Noch während der unmittelbaren Tatortbegehung gelingt es einer mysteriösen Frau unbemerkt von allen mit Ausnahme Bernies einen gelben Regenschirm aus der Wohnung zu entfernen. Bernie stöbert seine Verdächtige, Anna Weller, auf, beschattet sie auch jenseits der Arbeitszeiten und fasziniert sich zunehmend an der Fremden. Während sein Familien- und Berufsleben mit zulegendem Tempo den Bach runterschnellt, arrangiert Bernie die private Bekanntschaft mit Anna. Für sein mäßig erleichtertes Seelenheil macht sich die Ex-Frau des Opfers, Johanna Steinmann, ebenso verdächtig. Ihr gemeinsamer jugendlicher und drogenabhängiger Sohn wurde offenbar vom Vater für Päderasten sexuell ausgebeutet.
Mittlerweile schlingern Anna und Bernie in einer Beziehungsähnlichkeit herum. Doch die Fähigkeit, Liebe und Geborgenheit zu finden, auszudrücken und zu empfangen scheint für beide bereits lange verlorengegangen zu sein. Was bleibt, ist die Sexualität. Aber diese allein kann die Großstadtmenschen nicht dauerhaft miteinander verbinden...
Nachdem ich heftig in unserem eigenen Filmmagazin gesurft und meine Gehirnwindungen entwirrt habe, muss ich feststellen, dass Solo für Klarinette tatsächlich der beste deutsche Spielfilm ist, der bisher in diesem bereits fortgeschrittenen Jahr regulär im Kino läuft. Mit einer gelungen Mischung aus den Redaktionsfavoriten Der Blade Runner und Bad Lieutenant, sowie einem Schuss Jeanne Dielman setzt sich Regisseur Nico Hofmann nicht nur wohltuend vom deutschen Komödientum ab, sondern erweckt eine in diesem Land selten gewordene in sich stimmige Kino-Atmosphäre und bietet einen hohen Produktionswert an. Darüberhinaus begeistert der Film nach Elsa Lewins Roman I, Anna durch intensive Charakterstudien, alles andere wie der Kriminalfall dient nur der Rahmenhandlung, in der sich das eigentliche Drama zuträgt.
Was mich mindestens gleichrangig beeindruckt, ist die Virtuosität im Umgang mit Filminhalten, die ich ständig mehr oder weniger streng ahnde. Hofmann scheint das übelste Klischee aufgreifen und es derart bearbeiten zu können, dass dabei nicht nur etwas vollkommen Eigenständiges, sondern regelrecht Genüssliches herauskommt. Das Gros seiner KollegInnen vollbringt eher das Gegenteil. Allein dieser Umstand katapultierte Hofmann in die kurze Liste deutscher RegisseurInnen, auf die wir von nun an beide Augen werfen werden.
Unter diesen normalerweise beanstandeten Filmelementen befinden sich Berlin-Klischees und die oben erwähnte Anlehnung an den Sci-Fi Klassiker Der Blade Runner. An letzterem versuchen sich pro Jahr Dutzende hoch wie niedrig budgetierte Filme. Das Faszinierende an Solo für Klarinette ist der Umstand, dass es sich bei diesem Film überhaupt nicht um einen Science Fiction Film handelt. Vielmehr als mit einfallslos kopierten futuristischen Skylines erinnert Solo für Klarinette mit seiner apokalyptischen Stadtatmosphäre, visuellen Anreizen einzelner Szenen und der Geschichte der beiden Hauptcharaktere an Ridley Scotts Meisterwerk. Das überwiegend nächtliche oder hinter nicht mehr durchzusehenden Scheiben versteckte Berlin versinkt, gehüllt in anderen - dreckig-blauen - unwirtlichen Farbwerten, in einem Sumpf aus Verbrechen einer allumfassend verarmten Großstadt. Während brennende Metalltonnen vor Tom's Bar, Berlins international wohl bekanntester Schwulenbar, zur Erheiterung unserer unmittelbar ansässigen Redaktion führte, scheint dies alles in diesem Falle nichts mit Bonner oder CSU-geprägter Hauptstadtpolemik zu tun zu haben, sondern als Stimmung für die Charaktere zu dienen. Die Geschichte wurde dementsprechend nicht etwa speziell für Berlin entworfen, sondern von der New Yorker Romanvorlage lediglich umgeschrieben. (Mit Direktimport der brennenden Tonnen?) Damit wird gleich ein weiterer Ahndungspunkt, das oberflächliche Greifen nach amerikanischem Know-how, bzw. feeling negiert. Nicht ein typisch amerikanisches, kommerziell verwertbares Drehbuch wurde gesucht (Stadtgespräch), sondern die gelungene Story eines Romans ließ Produzentin Regina Ziegler bereits 1991 die Filmrechte sichern. Während Das Kondom des Grauens etwa die Innenräume - übrigens auch von Tom's Bar - von Berlin nutzte aber das Stadtbild für den Erfolg an der internationalen Kinokasse von New York, so sind Amerikanismen hier nicht notwendig. Als Anhaltspunkt für einen eher stimmungsmotivierten als polemischen Umgang mit Berlin sind beispielsweise die von der Zeit losgelösten im Hintergrund im Regen mit Hüten vorbeieilenden Passanten, etwas, was - wieder ganz Blade Runner - den noirischen Stil unterstreicht.
Andere Anlehnungen an den zwei Jahre vor der Romanvorlage entstandenen Cop Film der Zukunft entstehen nicht nur durch diverse Bildeinstellungen wie dem Erschaffen des berühmten Chinatowns - in Berlin derzeit nicht vorhanden - durch die wunderbare Zoom-Fahrt von einem traditionell geschmückten China-Imbiss, sondern auch durch die Geschichte eines moralisch nicht ganz unbedenklichen Polizisten als Protagonisten, der sich in eine Frau verliebt, die er eigentlich überführen sollte, stattdessen gegen den Polizeiapparat mit dem Flug aus der Urbanität zu retten sucht. Wie in Blade Runner scheint es auch hier für die Liebe, aus freilich anderen Gründen, zu spät zu sein. So mag die Zukunft der Blade Runner Welt in Berlin ihren Ursprung finden.
Zwei weitere typische Ahndungspunkte unseres Queer Watchlions sind für gewöhnlich sexistische Sprüche und gewalttätige Männer, auf deren Fokus der Film liegt. In der Tat geht Solo für Klarinette sogar so weit, Bernie unmittelbar nach der begonnenen Vergewaltigung einer Prostituierten erzählen zu lassen, er fühle sich so unendlich verletzt. Nein, ich saß nicht senkrecht im Sitz, wie sich annehmen ließe. Auch ohne speziell auf die Gefühle der Frau einzugehen, ist während dieser Szene, wie den gesamten Film über, klar, wie abgefuckt der Mann von der Kripo ist. Keine Verdrehung der Tatbestände wird hier erzwungen, sondern in die Psyche eines Mannes geblickt, der sich selbst und andere verletzt, bei der Suche nach Geborgenheit und selbst bezahltem Sex scheitert.
"Frauen haben nun mal 'n' Verfallsdatum.", ist eine der frauenfeindlichsten Behauptungen schlechthin, die sich zudem viele Frauen internalisiert haben. Im Kontext des Filmes, in der eine Frau nach 20 Jahren von ihrem Ehemann für eine jüngere Frau verlassen wurde und nun versucht mit ungesunden, ja geradezu vernichtenden sexuellen Begegnungen ihr Gleichgewicht wiederzufinden, während apokalyptische Gedanken ihr Wesen quälen, wird diese allgemeine Einschätzung geradezu wichtig und auf diese Weise nicht für gültig erklärt. Dass Anna ausgerechnet eine Beziehung mit Bernie eingeht, passt ins Muster, und frau möchte sie ebenso schütteln, von ihm loszukommen, wie später für die Gründe, als sie es dann tatsächlich vorhat: weil sie an die Liebe allgemein nicht glauben kann, auch wenn speziell für Bernie ausformuliert, und sie jede Liebesbekundung als Angriff empfindet. Damit mag sich Anna für unsere Reihe Won't tell, please ask qualifizieren, in der auf im Film nicht eingegangene frühe Missbrauchserfahrungen möglich sind. In diesem Fall erscheint eine derartige Schlussfolgerung allerdings keineswegs zwingend. Die allgemeine Rolle der Frau, wie sie auch Anna durchlebt hat, mag für ihr Empfinden und ihre Handlungen ausreichen. "In jeder Frau schlummern Dinge unter der Hautoberfläche, die plötzlich hervorbrechen können.", weiß Hauptdarstellerin Corinna Harfouch, wie Götz George als Bernie übrigens genial besetzt. Mit der Darstellung Annas Verzweiflung als tragende und tragische Filmhandlung lässt Solo für Klarinette demnach eher im feministischen Lichte glänzen als etwa umgekehrt.
Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Solo für Klarinette ist der rohste und ehrlichste deutsche Film der letzten Jahre um die im Moloch Großstadt leicht verloren gehende und unter Umständen nicht mehr wiederzufindene Liebe und Geborgenheit mit erstklassigen HauptdarstellerInnen.

Queer Watchlion: Wie die Aufregung um meine Kritik von Alles was ich mag belegt, bin ich eher schnell als spät bei einer Verurteilung von nackten Jugendlichen im Film. Abgesehen davon, dass der jugendliche Darsteller in Solo für Klarinette entscheidend älter ist als einst Jakub Ursíny, so ist von ausbeuterischen Elementen keine Spur zu finden. Im Gegenteil, diese werden angeklagt. Ebenso roh wie der Sex und die sexuelle Gewalt der Berliner Erwachsenen untereinander, wird auch mit der Ausnutzung Steinmann, Jr.s umgegangen. Zwar erleben wir ihn nur auf Fotos unten ohne, aber diese werden dem Publikum mehrfach direkt unter die Augen gerieben. Eine wohl kontroverse aber wie ich finde wirkungsvolle Entscheidung. Andernfalls möglich gewesene Phantasien der ZuschauerInnen werden ob des billigen, direkten Charakters der Schnappschüsse aus Vaters Wohnung gnadenlos frustiert. Effektvoll, wenn uns ebenso gezeigt wird, was im selben Moment der Mutter im Verhör aufgezwungen wird sich anzuschauen.
Dies birgt natürlich ein wenig Homophobie, wenn auch nicht in sich selbst. Je nach Einschätzung der jeweiligen ZuschauerIn wird die Mutter wegen der sexuellen Ausbeutung ihres Sohnes leiden oder dass es sich dabei um Männer handelt oder auch wegen der Kombination aus beidem. Das Klischee schwuler älterer Männer, die sich an Knaben vergreifen mag bei vielen ZuschauerInnen noch einmal mit Allgemeingültigkeit verfestigt werden. Ebenso der korrekte Einsatz der derogativ benutzten Bezeichnung des Päderasten an anderer Stelle des Filmes, welche von nicht wenigen nach wie vor unglücklicherweise mit der des Schwulen gleichgesetzt wird. Ein positives schwules Gegengewicht wäre demnach politisch korrekt und auch möglich gewesen, allerdings inkonsequent im Rahmen der sonstigen Charaktere. Schließlich schneiden die Heteros auch nicht sonderlich glücklich ab, was allerdings in Verbindung mit der Sexualität nicht im Gedächtnis der meisten Heteros hängen bleiben wird, da dies nun nicht gerade ein Klischee ist.
In diesem Film schwierig anders zu gestalten wäre die Gleichsetzung multikultureller Gesellschaften mit Kriminalität und sozialem Verfall. Während im oben herangezogenen Blade Runner beispielsweise die Kriminellen wenigstens auch weiß-deutscher, also westlicher Herkunft gewesen sind (besonders deutlich in der Originalfassung), so erweckt alles Fremd(kriminell)e hier den Anschein einer osteuropäischen, bzw. nicht-weißen Herkunft. (quer-view)

Das Leben ist eine Beziehungstragödie. Was vor zweitausend Jahren so hoffnungsvoll zölibatär begann, steckt heute fest im Sumpf der geschlechtlichen Krise. Nach österreichischen und amerikanischen Präsidenten ergreift das sexuelle Globalisierungs-Phänomen nun auch den letzten Vertreter unbescholtener Männlichkeit: den deutschen Kommissar.
Vorbei die Zeit der polizeilichen Keuschheit, da wohlfrisierte Herren wie Eric Ode ihr Leben nur dem einen widmeten: der seriösen Jagd nach dem Bösen - der Anderen, wohlgemerkt. Erstes Anzeichen für den aufmerksamen Beobachter: der Tatort, immer auf der Höhe unserer Zeit, spannt seinen schwäbischen Kommissar Bienzle seit Jahren in die Zwickmühle aus Pflicht und ehelichem Frust.
Jetzt scheint der endgültige Schlußpunkt einer Ära kriminalistischer Unbeflecktheit erreicht. Nachdem im Fernsehen Derrick ein letztes Mal den Täter bloßstellte, entblößt auf der Kinoleinwand ein anderer Vertreter seiner Zunft vornehmlich sich selbst: Kommissar Bernhard Kominka alias Götz George steckt bis zum Hals im Beziehungssumpf der neunziger Jahre. Kopfabwärts betrachtet.
Die Bild-Zeitung, Deutschlands Hilfskommissar Nummer eins, erkannte den Skandal sofort: "Sex-Schock: Götz George total nackt!" titelte das Blatt. Wo der Leib esktatisch schwitzt, bleibt auch der Kopf nicht kühl. Prompt tappt Kominka in die Falle: statt die Mörderin zu entlarven, verliebt er sich und sucht, moralisch nun aber wirklich nicht sauber, eine offensichtlich Unschuldige statt ihrer dingfest zu machen.
Was Bild in ihrer Aufregung übersah: Nico Hofmanns Thriller Solo für Klarinette ist in Wahrheit weder Kriminal-noch Kinofilm. Unter dem polizeilichen Tarnmantel verbirgt er ein anderes Genre: das gute deutsche Fernsehspiel, Abteilung: Beziehungstragödie. Kommissar, Täterin, Opfer und unschuldig Verdächtigte haben eines gemeinsam: den tödlichen Frust der Midlifecrisis nach katastrophal gescheiterten Beziehungen. Einsamkeit, Orgasmusstörungen, Verzweiflung und die krampfhafte Suche nach Nähe dienen dem Film als ausschließlicher dramaturgischer Antriebsmotor und treiben die Protagonisten einander in die klammernden Arme.
Götz George, Corinna Harfouch, Barbara Rudnik und Katharina Thalbach: ausdrucksvolle Gesichter als Panorama trister deutscher Single-Befindlichkeit. Nackt auf dem zerwühlten Bett lag eingangs der Tote. An seinem Körper das Mal des sexuellen Hungers: ein kräftiger Biß verdünnte seine Männlichkeit. Die Klarinette ist ein einsames, solistisches Instrument. Und deutsche Kommissare schwitzen nicht. (cia, DER STANDARD, 21/10/1998)

Mit Prominenz allein ist auch kein Staat zu machen, das zeigt zum Beispiel Solo für Klarinette (mit Götz George und Corinna Harfouch), der Versuch eines düsteren deutschen Erotikthrillers um einen heruntergekommenen Cop und seine liebste Mordverdächtige. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 15/10/1998)

Das Milieu macht, nebst anderen Qualitäten, diesen Krimi so einschneidend scharf. Wie er intelligent, rabiat, perfide und sehr wahr damit umgeht. Im zweiten Leben einer Frau wird sie oft zum Spielzeug von Männern, auf die sie im ersten Leben nicht einmal seitengeblickt hätte (außer sie hat Glück). Das zweite Leben: nach der Scheidung. Der fortamputierte männliche Teil ließ im Regelfall gemeinsame Kinder da, Verpflichtungen. Die Frau nun allein gegen wachsende Frustrationen, Einsamkeit, Verzweiflung. Sie kann nicht mehr so wählerisch sein, beweisen Kupplerfreundinnen, Single-Bars und -Parties, Kontaktanzeigen. Die Frauen suchen dort zumeist ewige Liebe, die Männer vorwiegend schnellen Sex - das ewige Mißverständnis der Geschlechter.
In diesem Umfeld bläst eine Klarinette den Mörderblues. Das Blasinstrument ist die Tatwaffe einer grausigen Bluttat, bei dem ein Blow Job zum Kastrationsmassaker eskalierte. TäterIn unbekannt. Fahndungshilfe: Gebißabdruck. Ermittelnder Kommissar ausgerechnet jener illusionsmüde Polizeiworkaholic, dessen schwererziehbarer, 14jähriger Sohn seiner nur noch zu Schlagabtauschritualen abgestumpften Ehe jetzt den Rest gegeben hat. Frauenhaß steigt ihm auf wie Sodbrennen nach unbekömmlichem Essen, Rachegelüste irrlichtern. Kann es sein, fragt er sich bald, daß der gesuchte Killer von den selben Empfindungen genötigt, angetrieben wurde?
Der deutsche Filmkrimi, bis zuletzt mit dem graufad vernebelten Fluch Edgar Wallace' beladen, will nun ein fremdes, amerikanisiertes Image annehmen. Die deutschen Kameraleute haben zudem das Zwielicht entdeckt, die Regisseure das Entlarven gelernt. Dieser Soft-Psycho mit mehr aktiver Gehirnmasse als hochgestapeltes Dialogpapier zeigt das mustergültig. Erinnerungen an "Sea of love", "Der Kommissar und die Hure" und anderen Vorzeigern werden einem dabei nicht peinlich. Daß sich die Handlung an wenig Spielregeln hält, macht auch nicht ärgerlich. "Ich bin nicht Polizist geworden, um mir beim Aktenwälzen eine Staublunge zu holen," knurrt Götz George, in diesem Fall ein Kriminalist als Straßenköter. Er ist nur ein As im Ärmel des auf Designertriller hoch zockenden Films.
Das zweite As die Dame: Corinna Harfouch als Traumfrau unter Verdacht zeigt keinen Zentimeter deutscher Zickigkeit, aber Sensibilität und Courage. Wer nur wegen der von Schundjournalismus skandalisierten Sexszenen ins Kino geht, kommt aber auch auf seine Rechnung. Geld stinkt nicht, vor allem, wenn es dafür verwendet werden sollte, einen weiteren Thriller von solcher Klasse, Spannung, Instinktsicherheit und Erkenntnis zu drehen. (Rudi John, KURIER)

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FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS (FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS)

USA 1998. 128 Min.
Regie: Terry Gilliam, Buch: Terry Gilliam, Tony Grisoni, Tod Davies, Alex Cox, nach dem gleichnamigen Roman von Hunter S. Thompson, Musik: Ray Cooper, Jefferson Airplane, Bob Dylan, Janis Joplin, The Yardbirds, Buffalo Springfield, Kamera: Nicola Pecorini, Schnitt: Lesley Walker, Darsteller: Johnny Depp (Raoul Duke), Benicio Del Toro (Dr. Gonzo), Tobey Maguire (Tramper), Craig Bierko (Lacerda), Katherine Helmond, Cameron Diaz, Lyle Lovett, Harry Dean Stanton, Ellen Barkin
Kinostart: 16/10/1998

Der Journalist Hunter Thompson und sein Freund Dr. Gonzo schaffen es durch ihre Coolness und Dreistigkeit, trotz exzessivem Drogen- und Alkoholkonsum eine Reportage über das Motorrad-Event des Jahres an das Rolling Stone Magazin zu verkaufen. Die Wüste Nevadas und die Glitzerwelt von Las Vegas bieten den perfekten Hintergrund für dieses kultige Roadmovie. (Verleihprogramm)

Der Journalist Hunter Thompson (Johnny Depp) und sein Freund Dr. Gonzo (Benicio del Toro) schaffen es durch ihre Coolness und Dreistigkeit, trotz exzessivem Drogen- und Alkoholkonsum eine Reportage über das Motorrad-Event des Jahres an das Rolling Stone Magazin zu verkaufen. Die Wüste Nevadas und die Glitzerwelt von Las Vegas bieten den perfekten Hintergrund für dieses kultige Roadmovie mit fetzigem Soundtrack.
Eng angelehnt an den Kultroman von Hunter S. Thompson aus dem Jahre 1971 verfilmte Terry Gilliam das Roadmovie mit dem bekannten Johnny Depp und dem noch unbekannten, aber als durchgeknallter Anwalt brillierenden Benicio Del Toro. Einfach abgefahren. (film.de)

Verfilmung eines lange als unverfilmbar apostrophierten "Kultromans": Ein Starreporter fährt in Begleitung seines Freundes und Anwaltes von Los Angeles nach Las Vegas, um über ein spektakuläres Sandpistenrennen zu berichten. Doch ihr Auftrag spielt nur eine nebensächliche Rolle - viel wichtiger sind jene Ereignisse, die sich im Kopf der Protagonisten abspielen, ausgelöst durch eine Lawine verschiedenster "bewußtseinserweiternder Drogen". Der Film bietet außergewöhnlich innovatives Kino, das von der überbordenden Fantasie seines Regisseurs sowie der Spiellust des Hauptdarstellers getragen wird.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die letzten, als unverfilmbar apostrophierten "Kultbücher" ihrer Verfilmung anheimfallen. Bei Hunter S. Thompsons "Fear and Loathing in Las Vegas" mischte sich in die Skepsis jedoch Erleichterung - mit einem Mann wie Terry Gilliam hinter der Kamera weiß man das Werk in jenen guten Händen, die eigentlich nur das Beste daraus machen können. Es spricht für den Ex-Monty-Python-Pionier, sich nach dem Kassenerfolg von "Twelve Monkeys" (fd 31 828) einem derart sperrigen Gegenstand zugewandt zu haben - er hätte ohne Zweifel jeden anderen Stoff mit sehr viel Geld und großen Namen realisieren können. Doch Gilliams Vorliebe gilt nach wie vor dem Bizarren. Seine Entscheidung, einen ausschließlich auf literarischen bzw. psychedelischen Phantasmagorien beruhenden Film zu drehen, kann deshalb auch als Akt der Verweigerung gegenüber den großen Studios und ihren Markstrategien verstanden werden: Gilliam postuliert mit "Fear and Loathing in Las Vegas" seine künstlerische Integrität - eine seltene Eigenschaft im Filmgeschäft.
Als Shooting Star eines Anfang der 70er Jahre kurzzeitig modischen, extrem subjektiven Journalismus - dem "Gonzo-Journalismus" - erhält Raoul Duke den Auftrag, von Los Angeles nach Las Vegas zu reisen, um für ein großes Magazin über ein Sandpistenrennen zu berichten. Gemeinsam mit seinem Freund und Anwalt Dr. Gonzo (!) macht er sich auf den Weg - den Kofferraum des knallroten Cabriolets vollgepackt mit Drogen jeglicher Spielart. Daß sie unter dem Einfluß von Alkohol, Mescalin, LSD, Marihuana, Kokain usw. die synthetische Wüstenstadt überhaupt erreichen, gleicht einem Wunder. Unter den halluzinatorischen Explosionen wird das Einchecken im Hotel zur schier unlösbaren Aufgabe. Dukes Job, die Berichterstattung vom Bikerrennen "Mint 400", rückt schnell an den Rand seines Interesses; nur mit großer Mühe gelingt es ihm, einige bruchstückhafte Impressionen einzufangen. Weitaus wichtiger sind ihm die inneren Erlebnisse, die unter dem Einfluß diverser Chemikalien exzessiv voran getrieben werden. Da Innen und Außen immer weiter auseinander driften, bleibt eine Eskalation der Situation nicht aus. Ihr in Schutt und Asche liegendes Hotelzimmer hinter sich lassend, brechen Duke und Gonzo Hals über Kopf ins heimische Los Angeles auf. Doch auf halbem Wege erreicht sie ein erneuter Ruf an den Ort ihrer Untaten: Ausgerechnet von einer Polizeikonferenz über Drogenmißbrauch soll der stark derangierte Starreporter nun berichten. Das Karussell der Halluzinationen beginnt sich erneut - und noch rasanter - zu drehen: Die nächste Luxussuite harrt ihrer Verwüstung.
"Fear and Loathing in Las Vegas" verkörpert innovatives Kino, das von der überbordenden Fantasie seines Regisseurs und der Spiellust des Hauptdarstellers Johnny Depp getragen wird. Gelegentliche Wiederholungen wird der sympathisierende Zuschauer gern in Kauf nehmen. Am wenigsten gelungen scheinen dabei jene Szenen, die mit Computertechnologie aufgeblasen wurden - ihnen fehlt schlicht die Seele. Zum Glück verläßt sich Gilliam über weite Strecken auf konventionelle Methoden. In seinen stärksten Momenten, etwa jenen im "Bazooka Circus", erinnert der Film an die karnevalesken Aufmärsche eines Alejandro Jodorowsky. Zahlreiche Selbstzitate (z.B. aus "Brazil", fd 25 074) und Anspielungen auf Arbeiten von Kollegen (z.B. auf Coppolas "Apocalypse Now", fd 22 192) machen den Film zum unaufdringlichen kinematografischen Vexierbild. Das Grundproblem des erzählerischen Standpunktes geht die Inszenierung dabei unter Zuhilfenahme einer an den Roman angelehnten Off-Stimme an. Dieses Vehikel verrät eine gewisse dramaturgische Hilflosigkeit und birgt die Schwierigkeit, daß sich der "Point of View" nicht immer nachvollziehen läßt, vor allem bei jenen Sequenzen, in denen Realität und Halluzination auf programmatische Weise verschwimmen. Doch hierbei handelt es sich um mehr oder weniger notwendige Zugeständnisse an das Medium. Denn von einem Plot im herkömmlichen Sinne läßt sich noch weniger sprechen als bei Cronenbergs "Naked Lunch" (fd 29 515) nach William S. Burroughs Klassiker, der ebenfalls als unverfilmbar galt. Wie Cronenberg unternimmt Gilliam gar nicht erst den Versuch, einen Pfad erzählerischer Rationalität durch den Dschungel absurder Situationen und überschäumender Bilder zu schlagen. So zu filmen, wie man träumt, war von jeher sein filmisches Ideal. Dieser Vision vom absoluten Kino dürfte er nun ein ganzes Stück näher gekommen sein. Es bedarf allerdings einer gewissen Aufgeschlossenheit, um diese Qualitäten goutieren zu können. Sehr amerikanisch geht es zu bei dieser Mythenbewältigung (Bob Hope, Frank Sinatra oder Debbie Reynolds erleben Referenzen); auch Las Vegas selbst ist nur im Kontext uramerikanischer Phänomene zu begreifen. Die beiden Drogendesperados Duke und Gonzo verhalten sich zu dieser Stadt mit ihrem vergnügungssüchtigen Personal wie die "Dead Kennedys" mit ihrer Adaption des Hits "Viva Las Vegas" zum schnulzigen Original von Elvis Presley. Diese bitterböse Parodie ist nicht ohne Grund im Abspann des Films zu hören (obwohl sie historisch ja überhaupt nicht dazu paßt). "Eine wilde Reise in das Herz des amerikanischen Traumes", heißt es erklärend im Untertitel der 1977 erschienenen deutschen Ausgabe von Hunter S. Thompsons Roman. Angesichts des anhaltenden Vietnam-Krieges und ausufernder innenpolitischer Skandale vollzog sich unübersehbar die Entfremdung einer ganzen Generation von den stets hochgehaltenen nationalen Werten. Was noch schwerer wiegt: 1971 war auch das Hoffnungspotential eines utopischen Gegenentwurfs bereits aufgezehrt, die Heimatlosigkeit somit doppelt geworden. In einer retrospektiven Passage des Films wird dieser Utopieverlust mit dokumentarischen Aufnahmen und Dukes kommentierender Stimme beschworen, der sich im Roman nur andeutete: Anfang der 70er Jahre war der Hippie-Traum längst ausgeträumt, Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison waren an Drogen zugrundegegangen, die tödlichen Gefahren der bewußtseinserweiternden Euphorie nicht mehr zu übersehen. Vor allem aber hatte die Ermordung Sharon Tates durch Anhänger Charles Mansons 1969 eine schockierende Perversion des Kommunegedankens geliefert - "Love & Peace" waren in Satanismus und Mord umgeschlagen. Diese Jugend konnte weder in den traditionellen Werten noch in den vermeintlichen Gegenentwürfen ein Zuhause finden. Die selbstzerstörerische Energie der beiden Protagonisten erklärt sich aus diesem Umstand. Es setzte sich in ihnen die Ahnung fest, daß es vielleicht doch keinen "Hüter des Lichts am Ende des Tunnels gibt", wie es im Film heißt. Und doch wartet Gilliam bei allem Zorn und aller Bitterkeit mit einer großen Portion Melancholie auf; er trauert der Offenheit und Dynamik einer Epoche nach, die heute kaum mehr möglich scheint: "Als Hunter das Buch schrieb, gab es den Kosmos der politischen Korrektheit noch nicht - und ich hoffe, daß das auch wieder so sein wird, nachdem der Film in den Kinos war." Ein ebenso sympathischer wie naiver Wunsch. (Claus Löser, film-dienst)

Sie kommen in die Jahre, die 68er. Auch auf dem Regiestuhl und es scheint, in den USA hat sich ein ganzer Haufen Alt-Hippies aufgemacht, ihre berauschendsten Zeiten zu verfilmen. Jung-Spunt Tarantino huldigte "Jackie Brown" im Koks-Gestöber, die Coens präsentierten "Big Lebowski", den coolsten noch lebenden Hippie. Doch der immer noch "Ex-Monty Python" genannte Terry Gilliam fährt sie mit seinem durchgeknallten Vegas-Trip alle über den Haufen.
Vollgeladen mit Drogen vielfältigster Art brechen der Journalist Raoul Duke (Johnny Depp) und sein Anwalt Dr. Gonzo (Benicio del Toro) über Las Vegas her. (Man könnte auch schreiben "fallen... ein" oder "...hin", aber dann wäre die ausgekotzte Metapher hin.) Die zu berichtende Wüstenrally ist völlig verstaubt, macht aber nichts, denn auch der Blick des subjektiven Reporters ist farbenreich vernebelt. Mit dem Ernst einer berauschten Steuerprüfung startet ein Kleinkrieg gegen virtuelle Geheimagenten, das Establishment, Monster vom Mars und reinigungswütige Zimmermädchen. Die Suite der beiden wandelnden Epizentren Duke und Gonzo erinnert an Bombeneinschläge in Feinkostabteilungen. Das Alltagsverhalten an die mißglückte Paarung eines kleinen Trickbetrügers mit Mussolini. Handlung? Ganz schwach kann ich mich zwischen den Kopfschmerzen an einen fluchtartigen Wechsel des Hotels erinnern. An eine Verfolgungsjagd mit einem seeehr seltsamen Polizisten. Und da war noch das nationale Polizeitreffen gegen Drogenmißbrauch in der Lobby - witzig! Aber es fragt ja auch niemand eine leere Whisky-Flasche nach ihren Erlebnissen der letzten Nacht, also vergessen wir die Handlung...
Verzerrte Perspektive? Sie sind nicht wiederzuerkennen: Weder Star Johnny Depp noch Terry Gilliam, der Regisseur mit einem großen Fankreis. Benicio del Toro, dieser junge Mann mit dem scharfen Blick aus "Die üblichen Verdächtigen" und "Das Begräbnis", fraß sich gnadenlos fett. Depp verunstaltete sich, indem er ... nein, dieser Schockeffekt soll erhalten bleiben. Und Gilliams Mischung aus Fantasie, Romantik und Satire? Die faszinierenden Welten von "Time Bandits", "Brazil", "König der Fischer" oder "12 Monkeys"? Keine Spur davon in diesem Acid-grellen Wahn ohne Pause oder Höhepunkt, ohne Handlung oder Hemmung.
Doch dieser Drogentrip einer anderen Art erschließt sich vielleicht nur den Lesern von Hunter S. Thompson. Der verschrobene Kultautor wurde in den Sechzigern mit seinem Beitrag zum "New Journalism" berühmt. "Man kann nur dann ehrlich über eine Szene schreiben, wenn man Teil von ihr ist," lautete die Philosophie einer wilden Zeit. Kurz gefaßt nannte Hunter S. Thompson die Sache Gonzo-Journalismus, "Angst und Schrecken in Las Vegas" gilt als Bibel dieses Stils und erschien wie auch William S. Burroughs ähnlich gelagertes "Naked Lunch" als unverfilmbar. Mittendrin in der Verfilmung steckt nun Johnny Depp - der "Fear and Loathing ..." selbstverständlich als eines seiner Lieblingsbücher bezeichnet - und gibt sein Idol Hunter S. Thompson.
"Fear and Loathing in Las Vegas" ist auch ein Historienfilm, die Aufnahme einer Zeit, in der die "Love and Peace"-Ideale schon deutlich den Bach runtergingen - wie eine Menge anderer Sachen im Amerika von Nixon und Vietnam. Raoul sucht in Vegas den Amerikanischen Traum und findet auf seinem Horrortrip - durch oder trotz Drogen - ein "6.Reich". Bewegend waren bei der Premiere des Films in Cannes die persönlichen Äußerungen Gilliams über den Niedergang so vieler Ideale - aber das kann der extrem überzogene Film nicht vermitteln. (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)

Die Geschichte ist simpel. Deren psychedelische Bilder aber setzen sich tückisch im Kopf fest. Wer sich nicht ganz stabil fühlt, für den kommen auch Magennerven ins Spiel - und das kann böse enden. Denn Terry Gilliam, einst der böseste Bube in der britischen Anarcho-Truppe "Monty Python", richtet ein Schlachtfest des absolut schlechten Geschmacks an mit seiner Adaption von Hunter S. Thompsons Erlebnisbericht und späterem Kultroman, der 27 Jahre lang unverfilmbar galt - bis Terry kam und zuschlug. (...) Beim Festival von Cannes und beim US-Start im Sommer sorgte Gilliams rigorose Trash-Orgie für Empörung. Die liberale "New York Times" warnte gar das Kinopublikum. Aber nun, im amerikanischen Herbst, ist ja die reale Welt noch viel irrer und häßlicher geworden, als Autor Thompson und Regisseur Gilliam sie sich in ihrer exzessiven Phantasie vorstellen konnten. Dennoch: Sensible Ästheten müssen draußen bleiben. (Angie Dullinger, AZ, 24.9.98)

Las Vegas ist ein Ort, an dem sich die amerikanische Befindlichkeit in hypertropher Form manifestiert. In Casino ließ Martin Scorsese fettärschige Männer die Spielhöllen stürmen und bedachte damit das gegenwärtige Amerika mit einem vulgären Schlußbild.
Hunter S. Thompson begab sich 1971 in das Mekka der Spieler, auf der Suche nach den Trümmern des amerikanischen Traums. Seine psychodelische Reportage, eine Art Tagebuch der Drogenexzesse wurde zur Kultbibel der Counter Culture: Der Gonzo-Journalismus war geboren.
Das Buch galt seitdem als unverfilmbar, mit Recht, läßt sich nun hinzufügen. Terry Gilliam, Spezialist für Helden mit ambivalentem Wirklickeitssinn, ging das Wagnis ein und ersetzte Alex Cox (Sid and Nancy) am Regiestuhl.
Das Martyrium beginnt bei den Darstellern: Johnny Depp spielt Duke, das Alter Ego Thompsons wie eine Karikatur des Method Acting. Fast kahlköpfig torkelt er mit rudernden Armen durch den Film und findet keinen Halt. An seiner Seite deliriert Benicio del Toro als sein Anwalt Dr. Gonzo. Zusammen erleiden sie die Sünden Amerikas, stopfen sich mit Drogen voll, erbrechen sie wieder und werden von paranoiden Wahnvorstellungen verfolgt.
Gilliams Strategie ist verblüffend uninspiriert: Er stopft die Bilder mit Abfall zu, läßt Teppiche und Tapeten im trendigen 70er - Design in subjektiven Visionen lebendig werden und computergenerierte Reptilien durchs Casino kriechen und erzeugt damit letztlich nichts als kreischende Leere. Fast vollkommen der politischer Referenzen beraubt, wirkt der Film wie ein Pastiche, dem jegliche gesellschaftliche Aussagekraft abhanden gekommen ist. Allein der Exzeß der Bilder bleibt, sonst nichts mehr.
In seinen anderen Filmen (Brazil, The Fisher King, Twelve Monkeys) gab es immer noch eine Grenze, die die Parallelwelten trennte, selbst wenn sie Münchhausen und die anderen Phantasten nicht mehr sehen konnten. Hier sind sie ununterscheidbar geworden, hier gibt es nur eine Welt, wahrgenommen von einem Junkie.
Einmal jedoch gelingt die Gleichsetzung von Las Vegas mit dem Rausch der Drogen, und sie läßt erahnen, welches Ziel Gilliam mit dem Film womöglich ansteuern wollte: Im Circus Circus, dem Kasino der Artisten und Clowns nähern sich die Welten wie Tangenten an und es bleibt offen, welche die irrsinnigere ist. Ansonsten behält die biedere Illustration von umwölkten Trips die Oberhand und hinterläßt nur eine unbestimmte Katerstimmung. Derzeit im Kino. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 20/10/1998)

Und selbst wo Hollywood bizarr wird, kann ein Superstar wie Johnny Depp nichts ausrichten, wenn der Geistreichtum gegen Null verflacht: Fear and Loathing in Las Vegas, Terry Gilliams Adaption eines Hunter-S.-Thompson-Traktats, ergeht sich in Rauschvisionen und Drogenphantasien, denen recht heftig die Inspiration abgeht. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 15/10/1998)

Dieser haiwaiihemdbunte, ungustiös angetrenzte, völlig zugedröhnte Irrwitz übt tatsächlich eine Art abstoßender Anziehung aus. Etwa wie der Kadaver eines giftigen Insekts, dessen prächtig schillernde Flügel noch nicht verwest sind. Oder eine schemenhaft schöne Geisterfahrerin mit hypnotischem Sexappeal, die dir strahlend eine Kußhand zuwirft, während sie auf dich zurast und du dir vor Schreck in die Hosen machst. Wobei auch diese zum Horrorkarussell verfilmte Alptraumfahrt zweier Superjunkies durch den Spucknapf Amerikas erst im letzten Augenblick einen Frontalzusammenstoß mit deinem (Ver)Stehvermögen vermeidet. Und dich sogar weiterleben läßt, ohne daß du zweimal im Monat einen Elektroschock brauchst. (Ein Schnaps hingegen könnte hinterher nicht schaden; Typen, die statt Schnäpse Joints inhalieren, werden dies allerdings nicht verstehen, dafür umso besser den Film).
"Ein Buch, das auf der Haut brennt," nannte Kollege Tom Wolfe den gleichnamigen Erlebnisbericht des Drogenfreaks und Starjournalisten Hunter S.Thompson. Der Film brennt aber eher in der Speiseröhre. Ein Reflux des guten Geschmacks, der hier schändlich beleidigt bzw. ignoriert wird. Im April des (Un)Heilsjahres 1971 machte sich Hunter mit seinem Freund, Anwalt und Chicano Zeta Acosta auf, über ein berüchtigtes Off-Road-Rennen in der Wüste bei Las Vegas zu berichten. Zwei Beutel Haschisch, 75 Mescalinpillen, ein Salzstreuer Kokain, fünf mit LSD getränkte Löschpapierblätter, ein Fläschchen Äther und einen Haufen Psychodrogen nebst einem Kasten Bier, Tequila, Rum als Marschgepäck.
Bei dieser Ausgangslage war der Selbstzerstörungs- trip des sich zum Schrecken von Zimmermädchen, Polizisten und Hotelmana- gern auswachsenden Duos vorgezeichnet. Regisseur Terry Gilliam verfilmte den autobiografischen Roman, sarkastische Abrechnung mit seiner Zeit, ohne dessen wahre Substanz. Was blieb, war die freischwebende U-Bootfahrt durch einen Tank aus erlesenen Zutaten - freilich größtenteils nur noch in Gestalt von Erbrochenem vorhanden. Die gelegentlich verblüffenden Specialeffects des in den USA zum Kult gehypten Grenzerfahrungsabsturzes bleiben ganz im Dienste psychedelischer Halluzinogene.
Mit Gallen- und Galgenhumor unterzogen, feiert hier Drogenmißbrauch ebenso Triumphe wie Publikums- und Darstellermißbrauch. Das betrifft vor allem Instinktschauspieler Johnny Depp, der hier in einer Nebenform von Weggetreten zu agieren scheint, verrückt gewordene Nadel eines Kompasses, der immerfort zum Abgrund weist. Dort warten weder Gott noch Teufel, und Stoßgebete wollen nicht helfen: kein Erlöse uns von dem Speiübel, Amen. Nur Verdammt in alle Blödigkeit. (Rudi John, KURIER)

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ICH HAB' DIR NIE EINEN ROSENGARTEN VERSPROCHEN (I NEVER PROMISED YOU A ROSE GARDEN)

USA 1977. 92 Min.
Regie: Anthony Page, Buch: Gavin Lambert, Lewis John Carlino, nach einem Roman von Joanne Greenberg, Musik: Paul Chihara, Kamera: Bruce Logan, Schnitt: Garth Craven, Darsteller: Bibi Andersson (Dr. Fried), Kathleen Quinlan (Deborah Blake), Ben Piazza (Mr. Blake), Lorraine Gary (Mrs. Blake), Darlene Craviotto (Carla), Reni Santoni (Hobbs), Susan Tyrrell (Lee)
Kinostart: 16/10/1998

Nach einem Selbstmordversuch wird eine 16jährige mit der Diagnose Schizophrenie in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, die sie erst nach zwei Jahren verlassen kann. Ein Film, der Verständnis für diese Art von geistiger Erkrankung wecken will, aber seiner Intention durch eine undifferenzierte Darstellung nicht gerecht wird. (Lexikon des Internationalen Films)

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EIN ZWILLING KOMMT SELTEN ALLEIN (THE PARENT TRAP)

USA 1998. 127 Min.
Regie: Nancy Meyers, Buch: Nancy Myers, Charles Shyer, nach einem Roman von Erich Kästner sowie einem Drehbuch von David Swift, Musik: Alan Silvestri, Kamera: Dean Cundey, Schnitt: Stephen A: Rotter, Darsteller: Dennis Quaid (Nick Parker), Natasha Richardson (Elizabeth James), Lindsay Lohan (Hallie Parker/Annie James), Elaine Hendrix (Meredith Blake), Lisa Ann Walter (Chessy), Simon Kunz (Martin), Polly Holliday (Marva), Maggie Wheeler (Marva Kulp Jr.), Joanna Barnes (Vickie Blake)
Kinostart: 16/10/1998

Erneut hat sich ein großes Hollywood-Studio dem altbekannten Erich-Kästner-Stoff des "Doppelten Lottchen" aus dem Jahre 1961 angenommen. Die Geschichte ist die alte geblieben: Zwei Mädchen treffen in einem Zeltlager aufeinander. Dabei stellen sie fest, daß sie bei ihrer Geburt von den Eltern getrennt wurden. Nun lebt die eine beim reichen Vater in Kalifornien, die andere bei der Mutter, eine Brautkleiddesignerin, in England. Sie tauschen ihre Rollen und versuchen, die Eltern wieder zusammenzubringen. Dabei gilt es, die attraktive Meredith loszuwerden, die sich an den wohlhabenden Vater heranmacht.
In der Verfilmung aus dem Hause Disney ist nicht wie zuvor mit einem Zwillingspaar gearbeitet worden, sondern mit der jungen Lindsay Lohan, die problemlos eine Doppelrolle bewältigt. Neben ihr gefallen aber auch die Eltern und sorgen für einen rundum gelungenen Familienspaß. (film.de)

Erich Kästners unverwüstlicher Klassiker "Das doppelte Lottchen" in einer neuerlichen US-Version: Zwei zehnjährige Mädchen entdecken, daß sie Zwillingsschwestern sind und die Eltern sie bei ihrer Scheidung "aufgeteilt" haben. Unbemerkt von den Erwachsenen tauschen sie ihre Rollen und sorgen dafür, daß Vater und Mutter wieder zusammenfinden. Eine allzu weitschweifig ausgebreitete Familiengeschichte, die sich ganz auf den Charme der quirligen Hauptdarstellerin in einer Doppelrolle verläßt. Ansonsten zelebriert der Film eine mondäne Welt der luxuriösen Oberflächenreize, die Kinder mehr an den Barbie-Puppen-Kult erinnern dürfte als daß er sie an die Substanz des reizvollen Stoffes heranführt.

Das Sujet von Erich Kästners "klassischem" Kinderroman "Das doppelte Lottchen" scheint dank Hollywood längst auch ein Stück ureigenes amerikanisches Kulturgut geworden zu sein. Seit Walt Disney im Jahr 1960 Millionen von Amerikanern mit der US-Version "Die Vermählung ihrer Eltern geben bekannt" (fd 11 484) anrührte, scheint es zumindest in dortigen Sphären Joseph von Bakys weit ältere deutsche Kästner-Adaption ("Das doppelte Lottchen", fd 1004) nicht mehr zu geben. 1986 kehrte sogar Hayley Mills, die die Zwillinge in einer Doppelrolle verkörperte, nochmals in einer Paraphrase des Klassikers als erwachsene Mutter auf die Leinwand zurück ("Nikki und Mary - Die 5-Minuten-Ehe", fd 26 067), was Disney nicht daran hinderte, das Thema jetzt erneut aufzuwärmen. Wieder werden die zehnjährigen Zwillingsmädchen Hallie und Annie von ein und derselben Person gespielt: von der quirligen Lindsay Lohan, rothaarig, sommersprossig, immer zu einem strahlenden Lächeln aufgelegt, so, als würde sie eher in einem Werbespot als in einem Kinofilm auftreten. Dabei ist bemerkenswert, wie souverän das Mädchen fast im Alleingang die Szenerie beherrscht und außergewöhnlich pointiert die Wesensunterschiede der Zwillinge (im Original sogar bis in die Sprachmelodik und -akzentuierung) herausstellt; doch sein Charme und seine Natürlichkeit nutzen sich, nicht minder bemerkenswert, ausgesprochen schnell ab in einem Umfeld, das den Stoff auf die unverbindliche Nettigkeit einer mondänen Barbie-Welt-Kulisse reduziert.
Das Handlungsgerüst ist unverändert, allenfalls die Lokalitäten und das (soziale) Ambiente sind variiert. Zufällig lernen sich Hallie und Annie in einem Sommerferiencamp in Maine kennen und sind sich zunächst spinnefeind, weil sie sich äußerlich viel zu ähnlich sind. Nicht im entferntesten kommt ihnen in den Sinn, daß sie Zwillinge sein könnten: Annie wuchs bei ihrer Mutter in London auf, einer erfolgreichen Modedesignerin, Hallie lebt mit ihrem Vater, einem nicht minder reichen Winzer im schönen kalifornischen Nappa Valley. Daß die eine nie einen Vater, die andere nie eine Mutter hatte, macht sie stutzig und läßt sie endlich erkennen, daß sich ihre Eltern vor zehn Jahren scheiden ließen und die Mädchen bei der Geburt "aufteilten". Hallie und Annie beschließen nun, ihre Identität zu tauschen, was die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigen Erwachsenen auch nicht bemerken; heikel wird das turbulente Spiel, als der Vater eine attraktive, aber eiskalt-berechnende junge Frau heiraten will und die Mädchen alles daran setzen müssen, um Mom und Dad wieder zusammenzubringen.
Zugegeben: Kästners hintergründige Utopie vom harmonischen Lebensglück bleibt im Kern unverwüstlich und sichert auch dieser neuerlichen Adaption ein gewisses Maß an Sympathie. Dabei ist die "Amerikanisierung" des Stoffes freilich mehr als ernüchternd: Routiniert, aber glanzlos inszeniert, setzt der Film ganz auf den Charme der Zwillingsdarstellerin, vergräbt darüber hinaus aber jegliche Subtitilität, jede fein ersonnene Gefühlswelt des Sujets unter einem wahren Berg von glamourös aufgebauschten Äußerlichkeiten einer Upper-Class-Welt, die selbst sorglos lebende Mittelstandskinder unter den Zuschauern neidvoll erblassen lassen dürften. Es beginnt mit dem kitschigen Glanz einer mondänen Kreuzfahrt der Eltern auf dem Luxusliner "Queen Elizabeth II" und mündet in die detailreich ausgestatteten Privilegierten-Häuser in London bzw. Kalifornien, wo die Kinder ein mehr als sorgloses Dasein fristen und ihr Kampf um die Eltern eher wie ein beiläufig organisiertes Gesellschaftsspiel denn als existentieller Kampf ums kindliche Glück anmutet. Entsprechend werden die Erwachsenen vom Drehbuch hin- und hergeschoben, ohne Profil zu gewinnen: Keine tiefere Gefühlsregung der Eltern wird aufgefächert, vor allem Natasha Richardson als Mutter bleibt eine erschreckend leblose Gestalt ohne Herz und Seele, die nicht annähernd das Profil von Corinna Harfouch in Joseph Vilsmaiers deutscher Neuverfilmung von 1993 ("Charlie & Louise - Das doppelte Lottchen", fd 30 669) erreicht. Daß all dies zudem auf mehr als zwei Stunden Spielzeit ausgewalzt wurde, macht den Familienfilm auch nicht gerade kinderfreundlicher. (Horst Peter Koll, film-dienst)

...während Ein Zwilling kommt selten allein sich eher um den Kinderfilm bemüht. Nach Erich Kästners berühmtem Buch Das doppelte Lottchen versucht da ein gewitztes Zwillingspaar Dennis Quaid und Natasha Richardson, die geschiedenen Eltern, wieder zusammenzubringen. Daß Hollywood diesem Stoff nicht unbedingt Wesentliches hinzuzufügen hat, versteht sich irgendwie fast von selbst. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 15/10/1998)

Addierte Kinderschicksale. "Ein Zwilling kommt selten allein": Zum zweiten Mal fabriziert die Firma Disney aus Kästners Komödie "Das doppelte Lottchen" blanke US-Familien-Propaganda.
"Das doppelte Lottchen", von Erich Kästner 1949 verfaßt, gehört längst zu den Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur. Schon 1950 verfilmte der deutsche Regisseur Josef von Baky den Stoff (mit Kästner als Off-Kommentator), 45 Jahre danach machte sein Landsmann Joseph Vilsmaier daraus eine rührselige Familienromanze - und natürlich blieb Kästners Komödie auch dem Kinder-Fantasy-Konzern Disney nicht verborgen: Nach The Parent Trap (1961) folgt mit Ein Zwilling kommt selten allein nun der sich zeitgemäß gebende, amerikanisierte "Lottchen"-Neuaufguß.
Hallie, freche, selbstbewußte Göre aus Kalifornien, und Annie, wohlerzogenes Mädchen aus London, treffen in einem Ferienlager zufällig aufeinander. Daß die beiden einander zum Verwechseln ähnlich sehen (tatsächlich werden beide Rollen von derselben Darstellerin, Lindsay Lohan, gespielt), macht die gegenseitige Abneigung nur noch schlimmer. Nach einer Reihe böser Streiche aber entdecken die beiden, daß sie Zwillinge, Sprößlinge geschiedener Eltern sind. Kaum ist diese Entdeckung gemacht, peilen sie qua Rollentausch das Projekt der Eltern-Zusammenführung an.
So sehr Regisseurin Nancy Meyers sich auch bemüht, die Unterschiedlichkeit der Welten zu betonen, in denen die beiden (getrennt) aufgewachsen sind, fegt sie doch alles Trennende schon im Ansatz vom Tisch: beide Mädchen sind gewitzt, praktisch Genies, beide leben in schicken Lifestyle-Welten - und besonders die der Handlung zugrunde liegende Trennung ihrer Eltern (Dennis Quaid, Natasha Richardson) wird von Anfang an als kaum motivierter "Unfall" in den unsichtbaren Hintergrund gerückt. So geht in Ein Zwilling kommt selten allein alles so geschmiert, daß die in herbem Pathos geäußerten Gefühle ebenso wie all die vorgesehenen Überraschungen wie idiotensicher verfaßte Reime aufeinander folgen. Mit Ein Zwilling kommt selten allein hat Hollywood Kästners sensible Tragikomödie auf amerikanisches Mainstream-Niveau zurückgestutzt: eine geschniegelte Romanze, in der über den Umweg addierter Kinderschicksale nur gängiger Gefühlskitsch reproduziert wird. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 17/10/1998)

Der Autor Erich Kästner ist unsterblicher, als manche vielleicht gedacht haben mögen. Dieser Deutsche (1899 - 1974) hatte Romanideen von erheblichem Witz, Charme und Scharfsinn, für Erwachsene ebenso wie für Kinder. Und der Gebrauchswert ist von unglaublicher Unverwüstlichkeit. Das "Doppelte Lottchen" beispielsweise, geschrieben 1949: mehrfach verfilmt und nie abgenutzt. Daß nun Hollywood dem genialen Plot von den getrennt aufgewachsenen Zwillingen, die sich erst mit 11 zufällig kennenler- nen und das Glück ihrer geschiedenen Eltern neu stiften, noch ein zweites Mal verfilmte!
Nach der Luxusversion mit Billigtouch - "Zwei und zwei ist vier" - auch noch neue Facetten abgewinnen konnte! Zum Beispiel diese: Das eine Zwillingsgirl wächst in der noblen City of London, das andere im weinseligen Nappa Valley of California auf. Fazit: Lokalkolorit vom Feinsten. Um die köstlichen Akzentdifferenzen, besonders wenn beide spektakulär die Identität tauschen, bringt uns leider die Synchronisation. Verloren geht völlig Kästners sozialkritischer Aspekt; den opferte Hollywood gewissenlos billigeren Effekten. (Rudi John, KURIER)

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TÖDLICHE FREUNDSCHAFT - CITY OF INDUSTRY (CITY OF INDUSTRY)

USA 1997. 100 Min.
Regie: John Irvin, Buch: Ken Solarz, Musik: Stephen Endelman, Kamera: Thomas Burstyn, Schnitt: Mark Conte, Darsteller: Harvey Keitel (Roy), Stephen Dorff (Skip), Famke Janssen (Rachel), Timothy Hutton, Wade Dominguez, Michael Jai White
Kinostart: 16/10/1998

Der Gangster Egan plant einen Juwelendiebstahl gemeinsam mit seinem Bruder sowie mit der Unterstützung von Skip und Montana. Der Raub geht glatt über die Bühne. Doch im Anschluß dreht der junge Skip durch und tötet Montana sowie Egan`s Bruder. Egan selbst wird schwer verletzt. Die Witwe von Montana hilft ihm, wieder auf die Beine zu kommen. Sein einziges Ziel besteht nun darin, Skip zu finden und den Tod seines Bruders zu rächen.
Ein geradlinieger Verfolgungsfilm im heutigen Los Angeles, der von der Handlung her eher an einen Western denn an einen modernen Gangsterfilm erinnert. Geradeaus ohne Nebenschausplätze steuert er auf die Konfrontation hin. Daß dabei trotz guter Schauspieler der Überraschungseffekt auf der Strecke bleibt, ist nicht sehr erstaunlich. (fim.de)

Der Rachefeldzug eines introvertierten Ganoven gegen seinen ehemaligen Partner, der sich nach erfolgreichem Überfall auf ein Juweliergeschäft der Beute bemächtigt und sich der übrigen Beteiligten entledigt hatte. Gangsterfilm, der in seinen einzelnen formalen Bestandteilen professionell absolviert wird, dem aber jegliche persönliche Handschrift fehlt. Ein Produkt, das am Computer arrangiert zu worden scheint, seelenlos, mit dem "Charme" einer Steuerabschreibung.

Setzt man die Handlung des Films mit seinem Titel ins Verhältnis, so stellt sich Ratlosigkeit ein. Sicher ließe sich im Metabereich noch eine Erklärung finden - doch damit wäre "City of Industry" eindeutig überinterpretiert. Viel naheliegender wäre die Spekulation, daß es in Hollywood inzwischen Agenturen gibt, die ratlosen Produzenten gegen Entgelt notariell geschützte Titel anbieten. Aber auch dies ist schon wieder eine theoretische Konstruktion, die übers Ziel hinausschießt. Denn die vorliegende Produktion hat äußerst wenig mit ökonomischen, sozialen oder urbanen Problemen zu tun: es handelt sich um einen Gangsterfilm - und dabei keineswegs um eine Zierde des Genres. Wild Palms nahe Los Angeles: der introvertierte Verbrecher Roy hat den perfekten Überfall auf ein Juweliergeschäft geplant. Tatsächlich läuft das Unterfangen aalglatt ab. Doch als er sich mit seinen Partnern an die Aufteilung der Beute macht, schert einer von ihnen aus, schießt wild um sich und reißt die Sore an sich. Roy überlebt als einziger das Massaker und hat fortan nichts anderes im Sinn, als den Verräter zu bestrafen und das Diebesgut zurückzuerlangen. Dank seines unvermittelt-martialischen Gebarens und auch unter Mithilfe der frischgebackenen, numehr alleinerziehenden Ganovenwitwe Rachel gelingt es ihm schließlich, dem skrupellosen Skip sein verwerfliches Handwerk zu legen. Nach einem verheerenden Schlagabtausch überläßt er schwer verletzt, doch siegreich, jener Rachel die inzwischen in Bargeld umgerubelte Beute, entzieht sich einer Einweisung ins Krankenhaus und verschwindet dorthin, woher er gekommen ist: im Nichts. Im zuckersüßen Epilog erfährt man, daß Roy auch nach einigen Jahren noch lebt, Rachel hingegen das Vermögen in eine Villa am Strand und in die Ausbildung ihrer vaterlosen Söhne gesteckt hat.
Ohne Zweifel agiert das Darstellertrio optimal; auch Kameraarbeit, Soundtrack und Montage sind höchst professionell. Doch hat man spätestens bei Harvey Keitels obligatorischen Wutausbrüchen den Eindruck, als richteten sich dessen Zerstörungsattacken und wutstammelnden Laute gegen das Filmprojekt selbst. Als würde er hilflos, da durch Verträge gebunden, begreifen, daß er sich in die falsche Produktion verirrt hat. Denn hier stimmt zwar einerseits alles, nichts fügt sich aber zu einem authentischen Werk; einmal ganz davon abgesehen, daß, man wagt es kaum zu formuieren, der moralische Gestus des Geschehens höchst fragwürdig ist, daß auch die Handlungslogik eine ganze Reihe von Fragezeichen hinterläßt. "City Of Industry" wirkt wie komplett am Computer arrangiert: vom Casting über die Dramaturgie bis hin zum Product Placement - ein Patchwork loser Bestandteile ohne persönliche Handschrift. Der Film erweist sich als seelenlos und kommt mit dem "Charme" einer Steuerabschreibung daher - ihn zynisch zu nennen, wäre zuviel des Guten und lediglich der Romantik des Rezensenten geschuldet. (Claus Löser, film-dienst)

Es beginnt wie "Reservoir Dogs", sehr bekannte Schauspieler - Harvey Keitel, Timothy Hutton, Stephen Dorff - machen sich als Gangster auf einen Raubzug. Der gelingt im Film und auch in seiner professionellen Umsetzung von Kamera, Ton und Styling. Während die Handarbeit weiter an einem glatten Produkt strickt, rastet einer der Gangster aus, mordet und haut mit der Beute ab. Der Senior Roy (Keitel) macht sich nun auf, seinen Bruder zu rächen. Seine Begleiterin wird Rachel (Famke Janssen), eine Witwe des mißglückten Raubes.
"City of Industry" sieht sich sehr bekannt an, nur die Frage "Was soll das alles?" stellte sich selten so laut. Es ist eines dieser gewaltreichen Gangsterstücke, angereichert mit einigen Szenen gewaltfreier, intensiver Beziehungen. In letzteren steht die Sehnsucht nach Befreiung aus dem Gewaltkreislauf zentral, aber die Lösung bedarf wiederum einer besonderen Portion der Gewalt. Ein unnötiger Film und in seiner Sinnlosigkeit rätselhaft wie der Titel. (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)

Rachel Montana ist verzweifelt: Da wartet auf den Vater ihrer Kinder bereits eine kleinere Gefängnisstrafe, da setzt er sich erneut für ein paar Tage ab. Grund dafür ist eine weitere illegale Aktion, diesmal wurde er von seinem Freund Lee Egan angeheuert, einen Juwelier auszurauben. Zusammen mit dessen Bruder, dem Verbrecher-Veteranen Roy und dem zynischen Jüngling Skip räumen sie den Laden schließlich auch leer. Nur einer von ihnen mag nicht teilen, was den Tag unfein enden lässt und einen sehr persönlichen Rachefeld auf den Plan ruft, von dem es für alle Parteien kein Entrinnen zu geben scheint...
Famke Janssen satt. Oder sprechen wir lieber von einem Famke Janssen Overkill? Die Schauspielerin mit dem Schuss Klassik, egal was sie spielt, war bei uns seit dem zweieinhalb Jahre zurückliegendem Bond-Abenteuer Golden Eye nicht mehr zu sehen, da werfen innerhalb von acht Tagen die deutschen Verleihe gleich drei Janssen-Werke auf den Markt. Nach The Gingerbread Man und Octalus – Der Tod aus der Tiefe gibt es sie nun in ihrer besten der drei Rollen zu sehen. Selbst wenn sie diesmal am wenigsten zu sagen hat. Denn Frauen sind in diesem Film allenthalben die Nervensägen, die versuchen ihre Männer von der Arbeit abzuhalten, also Menschen zu berauben, oder, solange die Chemie noch halbwegs hinhaut, die durch Brutalitäten untereinander verletzten Kerle wieder gesundzupflegen.
Schauen wir also höflich auf die eigentliche Story des Filmes, die viel Rache verheißt und nicht weniger Blut einlöst. An dieser Stelle wollen wir noch nicht verraten, wer wen jagen wird, aber so viel sei gesagt: Unser Verfolger überlässt die verdeckte Arbeit lieber den Behörden. "Ich bin meine eigene Polizei.", stellt er denn auch trocken fest und duldet keine vertane Zeit, wenn er aus seinen stets unfreiwilligen InformantInnen etwas heraus...ehem...locken möchte. Gradlinig folgt der Film mit seinem Protagonisten das Ziel, dass es selbst einer GenreliebhaberIn unheimelt. Und wie es das amerikanische Originalplakat schon treffend auszudrücken wusste, kann der Wunsch einen Mann zu töten, Grund genug sein, bis dahin zu überleben. Denn der Verfolgte ist sich seiner Lage recht bald bewusst und stellt ein paar Fallen für seinen einstigen Geschäftspartner. Ein derber Look auf den white trash inmitten des multikulturellen Amerikas, dessen Soundtrack, Bildkomposition und schlenkerfreie Darstellung des Protagonisten zu überzeugen versteht. Wer mehr Wert auf die Geschichte eines Filmes legt, als deren Flair, sollte diesen Film eher meiden.
Recht komisch wirkt es schon, wenn sich zwei kaukasische Männer in einer Spelunke treffen und jeder seine Horde Beschützer mit sich führt: der eine Afro-Amerikaner, der andere Asio-Amerikaner. Nun soll der Film betont den Schmelzpott LA widerspiegeln, diese Szene allerdings kann ihren stigmatisierenden Flair nicht vollends abschütteln.
Ausgesprochen merkwürdig kommt mir als möglicherweise ahnungsloser Europäer eine Szene in einer asio-amerikanischen Ganggemeinschaft vor. Während für uns lediglich das Telefonat eines Kriminellen wichtig sein soll, rennt dieser mit dem Schnurlosen durch die Räume, in denen wir bis auf zwei Frauen ausschließlich Dutzende halbnackter Männer sehen. Die Sonne scheint zwar wolkenlos hernieder, aber was der genaue Grund für diese gleichgeschlechtliche Kleiderscheu sein mag, mögen selbst wir nicht interpretieren. (quer-view)

Tatort Los Angeles: Der Gangster Lee Egan raubt zusammen mit seinem Freund Jorge Montana und seinem Bruder Roy einen Juwelierladen aus. Als Fahrer des Fluchtautos engagiert Lee einen gewissen Skip. Ein fataler Fehler. Denn Skip entpuppt sich - nach erfolgreich abgewickeltem Coup - als gewaltverliebter, zynischer Killer, der seine partner-in-crime kaltlächelnd hinrichtet - bis auf Roy, der der hausgemachten Exekution entkommen kann. Was folgt, ist ein brutaler Rachefeldzug.
Regisseur John Irvin inszenierte Roys Vendetta als schnörkellose Gangsterballade und mit einer lakonischen Direktheit, die in ihren besten Momenten an Melville erinnert. Zielsicher wie ein Stahlmantelgeschoß trifft dieser testosterongeladene Thriller denn auch mit seinem nihilistischen Finale ins Schwarze. Der Film ist aber vor allem auch ein atemberaubendes Duell zweier Ausnahmeschauspieler - gekonnt auf postmodernes Film-Noir-Flair gestylt. Und als erotisches Sahnehäubchen gibt es noch ein Wiedersehen mit "Bond-Girl" Famke Janssen. (Katalog Fantasy Filmfest 1997)

Eine schwarze Gangster-Story aus Los Angeles. Harvey Keitel nimmt das Gesetz in die eigenen Hände, um den Mörder seines Bruders zur Strecke zu bringen und einer schönen Witwe einen dicken Batzen Geld zu verschaffen.
Der Rachefeldzug eines introvertierten Ganoven gegen seinen ehemaligen Partner, der sich nach erfolgreichem Überfall auf ein Juweliergeschäft der Beute bemächtigt und sich der übrigen Beteiligten entledigt hatte. Gangsterfilm, der in seinen einzelnen formalen Bestandteilen professionell absolviert wird, dem aber jegliche persönliche Handschrift fehlt. Ein Produkt, das am Computer arrangiert worden zu sein scheint, seelenlos, mit dem "Charme" einer Steuerabschreibung. (Zoom, 8/98)

Vier Einbrecher landen den großen Coup, als sie das Diamantenlager der russischen Mafia in Palm Springs ausrauben. Doch dann entscheidet Skip, die Beute nicht mit seinen Kumpanen zu teilen. Zwei kann er abknallen, doch der dritte flieht und wird zu seiner Nemesis. Ein Duell nicht nur zweier knallharter Gangster, sondern auch zweier Schauspieler: der junge Stephen Dorff, cool, sexy und blondiert, gegen Harvey Keitel, der alt und müde wirkt und nur in manchen Momenten sein Genie offenbart. (Annette Kilzer, tip, 18/98)

(...) Stilsicher genug, um keinen Moment spekulative Gewalt aufkommen zu lassen, gelingt dem vielseitigen John Irvin ein souverän atmoshärischer Genre-Thriller. (Frauke Hanck, AZ, 28.5.98)

(...) Insgesamt wirkt dieser von John Irvin inszenierte Film - wie so viele Filme dieses Regisseurs - als wäre er aus zweiter Hand. Eine schlechte Kopie anderer Filme. Und weil "City of Industry" nichts eigenes zu bieten hat, übertreibt er halt, läßt eine Schwarzen-Gang und die Chinesen-Mafia mitschießen, führt sich überhaupt recht halbstark auf und protzt mit unmotivierten Brutalitäten. (...) (Rupert Koppold, Rheinische Post, 13/6/1998) Tödliche Freundschaft - City of Industry repetiert Gewalt- und Gangsterfilmmythen im neumodischen Gewand (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 15/10/1998)

Harvey Keitel raucht und schlägt zu. Zeitgleich. Harvey raucht und legt sich die Karten. Detto. Keitel raucht und weint. Kein Zweifel - Harvey Keitel ist starker Raucher. Zumindest in John Irvins Gangsterepos, dessen Vorzüge schnell auf einen Nenner gebracht sind: Harvey "sexiest more than forty year old man of the century" Keitel. Der gute Mann spielt darin - nein, falsch geraten, nicht den Marlboro-Mann - einen Verbrecher mit Herz, der den Mörder seines Bruders samt entwendeter Beute jagt. Und dies in L.A., das hier von der Kulisse beinahe zum Darsteller wird. Leider wird die Sache nach einem interessanten Beginn ziemlich bald ziemlich fad, obwohl sich Keitel ziemlich bemüht. Doch sogar Schauspiel-Ikonen können - von Regisseur und Drehbuchautor verlassen - manchen Film nicht retten. (Heike Obermeier, KURIER)

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SMALL SOLDIERS

USA 1998. 108 Min.
Regie: Joe Dante, Buch: Ted Elliott, Zak Penn, Adam Rifkin, Terry Rossio, Gavin Scott, Musik: Jerry Goldsmith, Kamera: Jamie Anderson, Schnitt: Mashall Harvey, Darsteller: David Cross (Irwin Wayfair), Kirsten Dunst (Christy Fimple), Jay Mohr (Larry Benson), Gregory Smith (Alan Abernathy), Phil Hartman (Phil Fimple), Kevin Dunn (Stuart Abernathy), Denis Leary (Gil Mars), Ann Magnuson (Irene Abernathy), Wendy Schaal (Marion Fimple), Alexandra Wilson (Ms. Kegel), Dick Miller (Joe), Robert Picardo (Ralph), Tommy Lee Jones (Major Chip Hazard), Frank Langella (Archer), Ernest Borgnine (Kip Killagin)
Kinostart: 16/10/1998

In der kleinen Provinzstadt Winslow Corners in Ohio geht das Leben seinen ganz normalen, gemächlichen Gang. Die Menschen sind freundlich, alles ist friedlich. "Action"? Das steht hier lediglich auf der Verpackung von Plastikfiguren. Nur Spielzeug. Wirklich nur Spielzeug? Ein außer Kontrolle geratenes Computer-System läßt die scheinbar leblosen Minifiguren plötzlich zur Gefahr für die verschlafene Vorstadt werden. Die Typen sind zwar ziemlich klein, aber sie schießen scharf!
Besonders heimtückisch ist die schwerbewaffnete "Commando Elite" - denn für diese kleinen Figuren ist alles andere nur Spielzeug, einschließlich der ahnungslosen Einwohner von Winslow Corners. Pech für die Provinzmenschen, daß sie zu den unfreiwilligen Alliierten der "Gorgonites" werden, den Spielzeug-Erzfeinden der "Commandos". So martialisch die "Gorgonites" auch aussehen, sind sie vollkommen friedliebend und wollen sich vor ihren Gegnern nur lange genug verstecken, bis sie die geheime Insel von Gorgon gefunden haben. Der "Commando Elite" hingegen liegt weniger am Frieden. Sie ist auf Kämpfen programmiert. Und: sie macht keine Gefangenen.
"Gremlins"-Macher Joe Dante inszenierte dieses mit raffinierten Spezialeffekten und Computer-Animation gespickte Action-Spektakel. Für die Perfektion der Illusion sorgten der vierfache Oscar-Gewinner Stan Winston ("Jurassic Park") und die Effekt-Spezialisten von Industrial Light & Magic. Das ganze ist zwar reichlich an den Haaren herbeigezogen und durchaus auch gewalttätig, die Effekte können dafür jedoch entschädigen. (film.de)

In einem Geschäft werden computergesteuere Spielzeugsoldaten lebendig und erklären friedlich-chaotischen Actionfiguren den Krieg: Eine liebevoll animierte Satire auf militaristisches Gebahren, rasant inszeniert und voller komischer Einfälle.

Es liegt schon eine gewisse Ironie darin, daß Joe Dantes Spielzeigsoldaten zur selben Zeit in die Kinos kommen, in der sich ihre großen Vettern an die ehrwürdige Rettung des Gefreiten Ryan begeben ("Der Soldat James Ryan", fd 33 341). Doch so harmlos der Aufruhr im Spielzeugladen auf den ersten Blick scheint - dies ist der bei weitem pietätlosere, antimilitaristischere und provokantere Film von beiden. Als ein Spielzeugunternehmen mit einem Rüstungskonzern fusioniert, kommen zwei liebenswerte Tüftler an neues Werkzeug: Ein lernfähiger Computerchip, für militärische Zwecke entwickelt, läßt sie ihre Actionfiguren zu ungekannter Lebensnähe auflaufen. Sechs Mini-Soldaten entstehen auf diese Weise, und auch deren Gegner, friedliche Gestalten aus dem Weltraum, sogenannte "Gorgonites", erhalten ein solches Innenleben. Derweil geht es in einem idyllischen Spielzeugladen beschaulich zu. Zu beschaulich für Alan, den Sohn des Ladenbesitzers, der als Verkäufer auch nicht viel zum Umsatz beitragen kann. Dies soll sich ändern, als er dem Fahrer eines Lieferwagens die ersten Prototypen der neuen Spielzeug-Generation abschwatzen kann. Von deren Besonderheit aber erhält er erst eine Ahnung, als sich ihm des nachts höflich der "Gorgonite"-Anführer Archer vorstellt - gerade hat er den Inalt einer Geschichts-CD-Rom auswendig gelernt. Zu diesem Zeitpunkt aber haben sich längst die Soldaten aus ihren Verpackungen befreit und auf der Suche nach ihren Gegnern den Laden verwüstet.
Joe Dante läßt in seiner Darstellung der Soldaten keinen Zweifel daran, daß man es hier mit US-Marines zu tun hat, denen er faschistische Riten und eine nationalistische Ideologie zuordnet. Selbst das Stars-and-Stripes-Banner, das gerade Spielbergs Film so würdig eröffnet und beendet, muß sich eine geradezu blasphemische Behandlung gefallen lassen. Mit allem, was diese Spielzeugsoldaten im Namen der Nation unternehmen, stehen sie für Imperialismus und Unterdrückung. Allein auf Grund ihrer Andersartigkeit erklären sie den chaotischen "Gorgonites" den Krieg. Schon der Name "Gorgon" steht für einen B-Film-Klassiker aus der Zeit, als sich der "Kalte Krieg" in der Angst vor den Außerirdischen austobte. Doch auch wenn sich im Verlauf dieses rasanten Actionfilms die finstere, aber lernfähige Truppe an die Belagerung von Alans Elternhaus macht, stößt Dante nie direkt in die Ebene des Kriegsfilms vor. Noch immer sind die Figuren Spielzeug (eine außerordentlich liebevolle Puppenanimation wird ergänzt durch 3D-Computertricks), und auch ihr despotischer Einfallsreichtum bleibt in für Kinder überschaubaren Grenzen: Ein Werkzeugkasten wird zum Waffenarsenal, die Barbie-Puppen von Alans Freundin werden zur Hilfsarme. "Small Soldiers" ist eine direkte Weiterentwicklung von John Lasseters meisterhaftem Film "Toy Story" (fd 31 830), der vor drei Jahren dem Trickfilm eine neue Wirkungssphäre eröffnete; zugleich aber bleibt Dante in der Tradition des Puppenfilms und den verlebendigten Spielzeugen der Märchen von Hans Christian Andersen verbunden. Ergänzt freilich um die Moral, daß man Kriegsspielzeug auch dann boykottieren sollte, wenn es sich um "tapfere Zinnsoldaten" handelt. (Daniel Kothenschulte, film-dienst)

Eine ehemalige Waffenfabrik bringt ihr neuestes Spielzeug auf den Markt: hochtechnisierte und mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Puppen, die Krieg spielen und ihre Besitzer, sprich: Kinder, interaktiv einbeziehen: Die Soldaten sollen auf die Befehle der Kiddies hören. Auf der einen Seite des Schlachtfeldes im Wohnzimmer stehen dabei die tumben, leicht faschistischen Soldaten, angeführt von Major Chip Hazard, auf der anderen die Gorgonites, eine Gruppe gruselig aussehender, aber friedliebender Monster vom Planeten Gorgon. Was wie ein Verkaufsschlager klingt und ein ganz nettes Spiel sein könnte, entwickelt sich aber bald anders als vorgesehen und verwandelt eine Kleinstadt in ein Kriegsgebiet. Denn Chip Hazard sieht die Kinder und deren Eltern nicht als Spielpartner an, sondern als Feinde, als sie versuchen, die Gorgons zu beschützen. Es kommt zur entscheidenden Nacht, in der keine Gefangen gemacht werden.
Joe Dante kehrt nach vier Jahren voller Enttäuschungen (ihm wurden mehrere Projekte entzogen, u.a. THE PHANTOM und THE MUMMY) wieder zurück zu seinen Wurzeln: Dem Kleine-Monster-Film. Unverkennbare Dante-Ingredienzen: eine Kleinstadt-Idylle, die wortwörtlich zerlegt wird, Kinder als Hauptakteure, Filmzitate und parodistische Querverweise en masse, Sarkasmus und schwarzer Humor bis zum Abwinken. Insgesamt aber enttäuscht auch SMALL SOLDIERS, denn nach einem herrlich geschmacklosen Start (in einem Werbespot preist die Firma ihr Spielzeug an: "Wir haben schon im Golfkrieg unsere Soldaten mit bester Qualität ausgestattet, die wir auch Ihren Kindern garantieren!") zerfällt der Film in seine Elemente: Kriegssatire, Kinderabenteuerfilm, Horrorfilm, Komödie. Angesichts des mittlerweile fast schon üblichen Produktionschaos (man drehte alle F/X-Szenen ohne Storyboard!) überrascht es allerdings nicht, daß SMALL SOLDIERS so zerfahren wirkt. Es scheint, als habe man sich jeden Tag ein neues Konzept überlegt und eine andere Richtung eingeschlagen, wobei Joe Dante nicht allzuviel zu entscheiden hatte: Der Film schwankt unentschlossen hin und her. Hier bietet er harten, zynischen Humor für Erwachsene, der Kindern entweder abgeht oder sie selbst heutzutage schockieren dürfte, dort reitet er herum auf Themen, die jeden Zuschauer jenseits der Pubertät bald nerven werden, einmal gibt es zuckersüßes Gorgonites-Gekitsche für die ganz Kleinen, ein anderes Mal grausame Spielzeugmetzeleien; ganz abgesehen von herrlichen Filmzitaten (sehr nett: FRANKENSTEIN CREATED WOMAN, IT CONQUERED THE WORLD, TITANIC), wie man sie von Joe Dante gewohnt ist - sie werden sich dem Gros des Publikums sicher nicht erschließen. Darüber hinaus ist der Film zu langatmig.
Besonders enervierend sind wieder einmal die so sorglos wie unpassend in den Film geworfenen Rocksongs. Aber auch das scheint nicht von Joe Dante gewollt gewesen zu sein, sondern eher von irgendwelchen Vermarktungsstrategen, die unbedingt eine CD verkaufen wollten (die in den Staaten mehr angepriesen wurde als der Film selbst). Einzig WANNABE von den Spice Girls macht inhaltlich Sinn: Er wird als psychologische Kriegswaffe von den Soldiers benützt, um die Belagerten zur Aufgabe zu bewegen.
Die Trickeffekte sind, besonders in den Actionszenen, technisch perfekt, obwohl sie teilweise unter einer müden Inszenierung und tranigem Schnitt (und gelegentlich den Rocksongs) leiden, was auch auf das Chaos hinter den Kulissen zurückzuführen sein dürfte.
Die Schauspieler sind okay, auch wenn sich Kirsten Dunst, wie schon in JUMANJI, unter Wert verkauft und Denis Leary wieder einmal den schnell faselnden Arsch mimt; aber das kann er ja auch am Besten, Nach dem Abspann gibt es übrigens eine kleine Huldigung an Phil Hartman, ein beliebter TV-Komiker (THIRD ROCK FROM THE SUN), der kurz nach den Dreharbeiten von seiner Frau unter Drogeneinfluß im Schlaf erschossen wurde. Jerry Goldsmith gab sich wie immer für Joe Dante wieder etwas Mühe, und so ist seine Musik auch wieder für einige Lacher gut.
Insgesamt enttäuscht der SMALL SOLDIERS, wenn man ihn mit Dantes besseren Werken vergleicht. Ignoriert man diesen Bezug, bleibt günstigstenfalls ein netter Kinderfilm, der seine Zielgruppe im Alter von unter 12 Jahren allerdings aufgrund seiner bisweilen krassen Gags häufig verfehlt. Ach ja, daß die Idee bei TOY STORY geklaut ist, versuchen die Macher gar nicht erst zu leugnen - sie haben sogar frech eine ganze Szene übernommen; im Gegensatz zu GODZILLA und Co. wirkt es in diesem Fall jedoch legitim und ausgesprochen lustig. (rd, The Limited Edition ONLINE)

Eine Spielzeugfirma bekommt einen neuen Besitzer: die Firma Globotech, die bisher ihre Gewinne aus der Rüstungsproduktion schöpfte, will nun auch in einen friedlichen Markt einsteigen. Die Spielzeugerfinder Irwin Wayfair (David Cross) und Larry Benson (Jay Mohr, der gebuchte Mann) schlagen ihrem neuen Chef vor, mit einer neuen Art von Plastiksoldaten und den zugehörigen Feinden den Markt zu erobern. Der Chef ist von ihrem Vorschlag angetan, allerdings nicht von der Idee alleine, sondern hauptsächlich von dem Werbespot, in dem die Soldaten alleine handeln und wirklich reden können.
Irvin und Larry sehen trotz dieser hohen Ansprüche eine Möglichkeit dieses Ziel zu erreichen, immerhin können sie auf alle Bereiche der Firma Globotech zurückgreifen, und die sind in der Entwicklung "intelligenter" Microchips schon wesentlich weiter als die Spielwarenindustrie. Da sie aber nur drei Monate Zeit haben, um die "Commando Elite" und die "Gorgonites" in die Läden zu bringen, müssen Soldaten und Feinde nahezu ungetestet ihren Weg in die Kinderzimmer antreten.
Und das ist auch der Haken an der Sache: die Spielzeuge können weit mehr als sie sollen. Alan Abernathy (Gregory Smith), der seinen Vater in dessen Spielzeugladen vertritt, kauft je ein Sortiment Soldaten und Gorgonites, obwohl er genau weiß, daß sein Vater kein Kriegspielzeug mag. Am nächsten Morgen ist das Chaos dann perfekt: die Commando Elite ist aus ihren Verpackungen ausgebrochen und auf der Jagd nach ihren programmierten Feinden, den Gorgonites. Auch die sind nicht mehr da, und der Laden des Vaters steht Kopf; es muß hier schon eine heiße Schlacht stattgefunden haben. Nur ein Gorgonite ist übrig: Archer, der noble Anführer, und er ist traurig, da seiner Meinung nach all seine Verbündeten tot sind. Die Soldaten sind jedoch weiter auf der Suche nach ihren Feinden, und was das schlimme ist: sie sehen alle Menschen, die den Gorgonites helfen, als deren Verbündete und somit Feinde an. Da sie mittlerweile auch nicht mehr nur mit ihren mitgelieferten Waffen bestückt sind, sondern sich, wie eins das A-Team, aus allen möglichen Dingen richtige Waffen bauen, stellen sie auch eine echte Gefahr für die Menschen dar, vor allem für Alan und seine Familie, da er Archer mit zu sich nach hause genommen hat. Alan hingegen hat vorerst einmal andere Sorgen: er hat sich in Christy Fimple (Kirsten Dunst, einst Vampirmädchen in "Interview mit einem Vampir"), ein Mädchen aus der Nachbarschaft verliebt...
Es gibt mit Sicherheit bessere Filme, die dem Zuschauer die Gefahren selbständiger Computer vor Augen halten, als Paradebeispiel hierfür möchte ich einmal "Wargames" aus dem Jahr 1983 nennen, der mittlerweile ein Klassiker ist. Auch wenn es zwischen diesem Film und "Small Soldiers" einige Parallelen gibt, wird der neue Film wohl kaum diesen Status erreichen können. Der Hauptgrund hierfür ist die Kernaussage: während der Computer in "Wargames" am Ende einsieht, daß Krieg nicht die Lösung aller Probleme sein kann, lernen hier sogar die friedlichen Gorgonites, daß sie nur mit Waffengewalt und der Zerstörung ihrer Feinde zum Ziel gelangen können.
So ist leider nicht viel mehr als ein - wenn auch recht ungewöhnlicher - Actionfilm herausgekommen, denn für einen Thriller ist der Film viel zu flach, vor allem die Darsteller entwickeln sich äußerst oberflächlich, und als Kinderfilm ist er wegen seiner Brutalität und Aussage überhaupt nicht zu empfehlen, vielleicht ist sogar die Altersfreigabe für Jugendliche ab 12 Jahren zu niedrig angesetzt. Aber Kompromisse ist der Regisseur Joe Dante ja noch nie eingegangen, wie man auch an "Gremlins" sehen kann. (heinz-online)

Strategien eines Filmhandwerkers. Beim Filmfestival in Locarno erlebte "Small Soldiers" von Joe Dante heuer seine Europa-Premiere. Der amerikanische Regisseur wurde mit einem Ehrenleoparden ausgezeichnet und äußerte sich im Interview mit Isabella Reicher zu den Produktionsbedingungen in Hollywood. Sein Film kommt jetzt in unsere Kinos.
Joe Dante, Kinogeher, Sammler und Filmliebhaber, hat sich als Regisseur schon immer für "Dinge, die denken können" interessiert, für kleine, scheinbar harmlose Wesen oder Vorkommnisse, die große Wirkungen zeitigen.
Beeinflußt von frühen Kinoerlebnissen ("Meine Lieblingsfilme waren Horrorfilme von James Whale, der Bride of Frankenstein gemacht hat."), stellt Dante dabei stets die Verbindung zwischen Horror und absurder Komik und Satire her. Zuletzt in Second Civil War, vorher schuf er unter anderem mit Gremlins eine Science-Fiction-Komödie, an die sein neuer Film Small Soldiers ein wenig erinnert.
Die wildgewordenen Miniatur-Soldaten, die in diesem Film eine Kleinstadt in Ohio heimsuchen, sind das jüngste Produkt des Konzernmultis Globotech, der stolz damit wirbt, die technischen Standards der Rüstungsindustrie endlich dem Normalverbraucher zugänglich zu machen.
"Schwerter zu Pflugscharen" lautet der Slogan der findigen Werbestrategen. Ein ehrgeiziger Spielzeug-Designer baut also kurzerhand einen intelligenten Raketenchip in die Kriegsspielfiguren ein, die ihr Angriffsziel in Gestalt der "Gorgonites", einer bunten Horde von Mutanten, gleich mitgeliefert kriegen.
Nach Aktivierung des ersten Sets der "Commando Elite" nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Involviert werden darin zwei benachbarte Familien, deren Teenager emphatisch an vorderster Front zum Gegenangriff auf die kleinen, mit brennenden Tennisbällen, Nagelgeschoßen und perfiden Taktiken gerüsteten Aggressoren ausholen.
Das klingt vielleicht reichlich kindisch und haarsträubend. Small Soldiers ist jedoch eine intelligente Satire auf Combat Movies und auf amerikanischen Lifestyle. Er unterscheidet sich von anderen US-Hits durch seine Komplexität und den für Dante typischen Detailreichtum.
Jeder Name, jedes Logo, jedes Symbol (das Sternenbanner als Riesenpuzzle im Alternativ-Spielzeugladen "The Inner Child", usf.) ist mit Bedacht und Vergnügen gesetzt.
Die Stimmen der animierten Kampftruppe kommen im Original von den "Überlebenden des Dreckigen Dutzend", George Kennedy, Ernest Borgnine u. a. Nur der Witz "Size doesn't matter" wurde von Godzilla-Regisseur Emmerich leider unterbunden.
Dante hat die Idee zu Small Soldiers nicht selbst entwickelt. Die Vorlage war vorhanden, aber erst der Vertrag der Filmproduzenten mit einem Spielwarenhersteller brachte das Projekt zum Laufen:
"Plötzlich mußte dieser Film am 10. Juli starten, obwohl das endgültige Drehbuch noch nicht fertig war." Dante ist ein Filmarbeiter alten Stils, "die Frank-Tashlin-Art von Regisseur", dem daran gelegen ist, seinen Auftragsproduktionen eine eigene Note zu geben: "Ich nehme gern Einfluß auf das Material, ich will es nicht einfach ,für sich selbst' sprechen lassen."
Das ist das einzige, was Mainstream-Filme seiner Ansicht nach noch unterscheidbar macht. "Die Studios haben ihre kleinen Graphiken und Statistiken. Sie wollen sicherstellen, daß es nichts gibt, was das Publikum verwirrt, keine Haltung, die die Leute nicht gutheißen und so produzieren sie eben ,höfliche' Filme. Sie machen letztlich alle den gleichen Film... Der Film ist nur ein Produkt, das andere Produkte verkauft."
Dante hat sein Handwerk in den 70ern bei Roger Corman erlernt ("kein Geld, keine Zeit, man war ganz auf sich allein gestellt"). Aus dieser Zeit datieren jene Verbindungslinie und jene Strategie, die sich bis zu Small Soldiers, dessen Produktionsfirma, Steven Spielbergs Dreamworks und dem unangenehmem Film-Alter-ego, Spielbergs Kriegsfilm Saving Private Ryan fortsetzt: Spielberg feierte 1975 seinen ersten großen Erfolg mit Jaws. Piranha hieß 1978 Joe Dantes erster Film. Ein Schwarm von kleinen bösen Fischen als satirische exploitative Antwort auf einen großen. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 15/10/1998)

Aufrüstung? Gewalt? Action! Joe Dantes "Small Soldiers" erklärt Amerikas Heldenpathos hinterhältig den Krieg. Eine neue Ausnahme-Komödie aus Hollywood.
Wenn in Komödien Tragisches verhandelt wird, ist die Verkleinerung ein exzellentes Mittel. Small Soldiers zum Beispiel, Joe Dantes neue Satire, erzählt von Krieg und Kapitalismus, von der Absurdität des Heldentums und davon, was es den Menschen antut. Weil der Film sich aber, aus Gründen der Subversion, als Komödie tarnt, verkleinert Dante den Krieg, ganz buchstäblich: Bei ihm laufen Spielzeugsoldaten Amok, denen ein durchgedrehter toy designer hochentwickelte Militär-Computerchips in die Köpfe gesetzt hat.
Das Vorspiel zum Krieg ist in Small Soldiers eine Szene aus der freien Marktwirtschaft. Die Karikatur eines Konzernleiters (stand-up comedian Denis Leary) beauftragt zwei nervöse Spielzeug-Erfinder, ihre Produkte doch ein wenig kriegerischer zu gestalten. Entertainment ist Geld in Amerika, nicht nur in Hollywood, und wo Geld ist, erübrigt sich die Frage nach der Moral: Er möge es bitte nicht Gewalt nennen, weist der Boß noch einen moralischen Mitarbeiter zurecht, sondern einfach Action. Klingt besser, liebt jeder, verkauft sich prächtig.
Small Soldiers, ein Film über Produktionszusammenhänge, ist logisch gebaut. Vom Angebot, der Fabrikation von neuem, noch "wirklicherem" Kriegsspielzeug, schreitet Dantes Erzählung direkt zur Nachfrage: Ein durchschnittlicher amerikanischer Teenager (Gregory Smith), in irgendeinem ereignislosen Winkel Amerikas daheim, kommt durch einen Zufall an die Erstauslieferung der kleinen Soldaten, die sich "Commandos" nennen, und ihrer Spielzeugfeinde, der monströs dreinblickenden "Gorgonites". Der Bub stellt so als erster fest, was kaum zu glauben ist: daß seine Spielsachen nicht nur sprechen, sondern auch wider sprechen können, daß sie denk- und lernfähig sind - und daß sie auf Krieg programmiert sind. Das macht sie gefährlich.
Joe Dante ist ein Filmemacher, der die Industrie, in der (und für die) er arbeitet, von innen demontiert. Sein böser Second Civil War hat sich, erstaunlich aggressiv, über Medien-Voyeurismus und die Verschränkung von Vernichtungslust und Idiotie in der US-Innenpolitik lustig gemacht, nun ist noch einmal Amerikas Liebe zum Krieg dran. Und Dante läßt die Frage nicht offen, auf welcher Seite er steht: Seine Kriegshelden werden am Fließband zusammengestellt. Anstelle eines Gehirns tragen sie einen Chip im Kopf, und ihre gesamte Phantasie beschränkt sich auf das Aufrüsten, das Anvisieren und das Abfackeln. Die Sympathien des Filmemachers gehören den Feinden der nationalen Helden, den "Gorgonites", jenen friedlichen Freaks und Monstren, denen keine Uniform ihre Individualität raubt.
Small Soldiers, produziert übrigens von Spielbergs DreamWorks- Studio, dreht das alte Heldenlied, das Hollywoods Kriegsfilme stets anstimmen - da ist auch Saving Private Ryan keine Ausnahme - , ins Gegenteil um. Amerikas Kriegslust ist nicht nur nicht zu legitimieren, sie beginnt auch schon dort, wo keiner sie vermuten würde: im Kinderzimmer.
So eskaliert Small Soldiers bald, mitten hinein in eine kleine Schlacht, bei der dann doch auch scharf geschossen wird - und ein amerikanisches Eigenheim belagert wird wie einst auch in Romeros Night of the Living Dead. Die kleinen Helden spielen gnadenlos Krieg, mit Schlaftabletten im Gin-Tonic (chemische Kriegsführung) und Feindbeschallung mit den Spice Girls (psychologische Kriegsführung). Hinter dem Harmlosen steckt die Gewalt, aus Spiel wird Ernst, so schnell kann man gar nicht schauen: Der Schein trügt in diesem Film, nichts ist, was es zu sein vorgibt. Darin ist Dante, der genau weiß, daß das Kino ununterbrochen lügt, tatsächlich ein Gegen-Spielberg.
Aber die Lügen dieses Films, seine makellosen Computeranimationen und seine kühnen Vermischungen von Trick- und Realfilm, sind bestechend, vor allem auch, weil sie einer höheren Wahrheit dienen als der bloßen Simulation von Wirklichkeit: der satirisch getönten politischen Elementarbildung. An Dantes Inferno kann die Firma Disney noch lernen, wie das geht, über der Unterhaltung das selbständige Denken nicht zu vergessen. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 16/10/1998)

Jean-Luc Godards Kleiner Soldat (Le petit soldat , 1960), das war einst noch die Tragödie eines rechtsextremen Agenten und Mörders. In Hollywood, achtunddreißig Jahre später, sehen politische Dinge (und kleine Soldaten) durchaus simpler aus, aber - könnte man sagen - auch schärfer: Small Soldiers steht 1998 für einen Spielzeugkrieg, für durchdrehende und selbständig (kriegs)handelnde Industrieware. Joe Dantes gleichnamige Satire, der beste Film dieser Woche - detaillierte Rezension übrigens im Kulturteil dieser Ausgabe - , führt US-Heroismus lustvoll ad absurdum, nicht ohne nebenbei auch eine Serie schallender Ohrfeigen für entertainment paradise Amerika parat zu haben. Ein Gewinn, definitiv. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 15/10/1998)

Barbie, der Barbar. Das ist die eine wesentliche Assoziation zu diesem kriegerischen Puppenhexentanztheater. Die zweite: Heute noch Science-fiction-Movie, morgen vielleicht schon Tatsachenbericht. Selten sind Kinderfilme so erwachsen wie dieser. Und sophisticated. Niemals wird zwar die Hardware eines Abenteuerspektakels verlassen. Aber die Software an pfiffigen Details macht es zu einem hochintelligenten Produkt. Was passiert, wenn ein skrupelloser Konzerndiktator vom Pentagon verschmähte Militär-Chips in Action-Spielzeug einbauen läßt, als ahnungsvoll bange Zukunftsvision ohne jeden Klugschiß.
Die Ballade vom Zauberlehrling für die Computergeneration von morgen, aber augenzwinkernd mit Humor. "Nennen sie's nicht Gewalt. Nennen Sie's Action" und "Alles andere ist nur Spielzeug" sind die Werbeslogans für jene Zwergroboter in Minisoldatengestalt, die durch Mikroprozessoren zum Sprechen, Lernen und selbständigen Handeln befähigt werden.
Und auf der Jagd nach dem programmierten Gegner - friedliebende Fantasiefiguren - zwei harmlose Kleinstadtfamilien mit gnadenlosem Kriegsterror überziehen. Zitate vom Gulliver in Liliput und Kevin allein zu Hause mit jenen von Platoon und Rambo verquickt: das machen geniale Computeranimation und Spezialeffektivität möglich. Regisseur Joe Dante und Industrial Light and Magic bleiben dabei immer kindgerecht: nicht nur die Puppen, ihr ganzer antifaschistischer Gutfilm besitzt Spielzeugformat. (Rudi John, KURIER)

weitere Kritiken der IMDb, offizielle Site: http://www.freezone.com/small-soldiers/








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