Irreführende Propaganda der Presse am Dienstag, 3.April
2001. |
Sachlicher Kommentar |
"Minderwertige Krankheiten",
über die man lieber schweigt (von Claudia
Richter)
Psychische Leiden nehmen weltweit überdimensional
zu: Depressionen, Alzheimer, Schizophrenie, Alkoholismus, Hauptproblem
ist die gesellschaftliche Ächtung und Tabuisierung dieser
Leiden, die Diagnose und Behandlung erschwert. Die Weltgesundheitsorganisation
will die Welt nun wachrütteln. |
"In gewisser Hinsicht war Psychiatrie
nie so geachtet und respektabel wie in der Gegenwart. In der
50er und 60er Jahren eine pharmakologische Revolution produziert
eine Reihe von Drogen zum Gebrauch bei "Ordnungswidrigkeiten"
wie Schizophrenie, Depression und Angst, welche die Psychiatrie
befähigte näher an das Paradigma physischer Medizin,
das Verordnen spezieller Kuren für besondere Bedingungen.
Beginnend in dieser Periode auch, psychiatrische Obhut verlagerte
sich physisch weg von den diskreditierten Asylen in die Allgemeinkrankenhäuser,
in engere Nachbarschaft zum Rest der medizinischen Gemeinschaft.
Dieser Schachzug verkörperte die Versuche der psychiatrischen
Berufsstandes sich selbst herauszuentwirren vom Stigma des Aufpassens
auf chronisch Verrückte und stattdessen sich das Image zu
geben akut verwirrte zu heilen. Kommunale SozialFürsorge
ist die Konzession an die chronische und rezidivierende Notdurft
psychiatrischer Arbeitsbedingungen. " (Joanna Moncrieff) |
Schon Robert Musil sprach von "minderwertigen
Krankheiten" und meinte damit psychische Leiden. Auch heut
noch werden psychisch Kranke ausgegrenzt, stigmatisiert, isoliert.
"Wer einmal in Gugging war, der braucht keine Feinde mehr",
meint Univ.-Prof Dr. Heinz Katschnig, Vorstand der Wiener Universtitätsklinik
für Psychiatrie. Der sprichwörtliche Finger, mit dem
Leute auf Kranke zeigen, die einmal in einem psychiatrischen
Spital gelandet sind, ist mit der Grund, warum etwa die niederösterreichische
Landesnervenklinik Gugging nun sukzessive geschlossen und in
andere Kankenhäuser integriert wird. |
Apropos Wissen: Bei einer Umfrage in Österreich über
die Schizophrenie kamen die absonderlichsten Antworten von Allgemeinärzten.
Katschnig: "Die irrige Meinung, daß Schizophrene eine
gespaltene Persönlichkeit haben und daß dies Krankheit
unheilbar sei, wurde am häufigsten von den Ärzten vertreten."
Wahr ist hingegen: Bei Schizophrenie handelt es sich um eine
gelegentliche Einschränkung des Realitätssinnes, rund
ein Drittel aller an Schizophrenie Erkrankten wird wieder gesund.... |
Volksaufklärung und Propaganda |
Psychische Krankheiten enden häufig auch in Selbstmord.
Die WHO geht davon aus, daß sich etwa alle 40 Sekunden
ein Mensch auf unserem Globus das Leben nimmt. In Österreich,
an sich traditionell ganz oben in der Selbsmord-Statistik, ist
derzeit allerdings die Situation einigermaßen zufriedenstellend:
"Wir hatten noch nie eine so geringe Selbstmordrate wie
jetzt", vermerkt der Psychiater Univ.-Prof. Gernot Sonneck
vom Wiener Kriseninterventionszentrum.
Erstmals seit 1945 liege die Suizidrate seit drei Jahren unter
20 je 100.000 Einwohner. Bei Männern über 80 betrage
sie indes mehr als 100.... |
|
An Depressionen leiden in Österreich etwa 17
Prozent der Bevölkerung. Etwa jeder dreißigste
wird von Angstattacken und Panikstörungen geplagt, je ein
Prozent sind manisch-depressiv oder schizophren. "Es stimmt
nicht, daß psychisch Kranke gefährlicher oder gewalttätiger
als gesunden Rest der Bevölkerung sind", betont Katschnig. |
"Die 'Besiege-die-Depression-Kampagne'
("Defeat Depression Campaign" =DDC), gestartet 1992
wurde organisiert vom Königlichen Kolleg der Psychiater
im Verbund mit dem Königlichen Kolleg von AllgemeinÄrzten
mit Gelder von der pharmazeutischen Industrie. Die Literatur
dieser Kampagne behauptet, etwa 10% der Bevölkerung
leide an depressiver Gestörtheit irgendwann, ein Drittel
werde leiden irgendwann während des Lebens und antidepressive
Drogen werden empfohlen für all jene mit mäßigen
bis ernsten Symptomen. Diese Behauptungen sollen nahelegen, daß
ein großer Prozentsatz menschlichen Elends biologisch bedingt
ist und ebenso korrigiert werden kann. Die Publizität umgebend
das neue Antidepressivum Fluoxetine (prozac) ist nur unwesentlich
extremer, was persönlichkeitsverandernde Ansprüche
und lebensqualitätverbessernde Eigenschaften angeht."
(Joanna Moncrieff) |