Kein Pardon
Der eZine-Kritiker und seine Opfer

Ich muß diesen Beitrag so beginnen: mit mir. Denn es wäre unehrlich zu behaupten, es ginge dem Rezensenten eines eZines um etwas anderes als um das eigene Ego und dessen Darstellung. Oder sollte es andere Gründe geben, Fanzines (ganz gleich ob mit oder ohne "e" davor) zu besprechen?

Man kann es so sehen wie jener Leser, der neulich mahnte, man solle nicht vergessen, daß Fanzines aus der Lust zum Hobby entstünden. Und damit meinte: Wenn schon eine eZine-Kritik, dann aber mit Nachsicht. Naturgemäß wandern solche Einwände per Mausklick sogleich in die TRASH-Ablage meines Mailprogramms - so könnte man denken. Aber dem ist ja gar nicht so. Auch Rezensenten haben nämlich schwache Momente. Und dann fallen andere Zuschriften ähnlichen Inhalts ein. Natürlich, keines der Zines, um das es ging, war durchweg positiv weggekommen. Wer hätte denn auch je erlebt, daß sich jemand über eine enthusiastische Besprechung seines Projektes beschwert hätte? "Bitte, bitte, lobt uns nicht mehr, denn wir sind nur ein Fanzine und machen die Arbeit nur als Hobby!" Solche Briefe gibt es nicht. Wer um Nachsicht bittet oder sich gar empört, dessen Zine wurde gerade in Grund und Boden gemacht. Zumindest hat er das so empfunden und kann das meistens auch mit einem anstößigen Satz oder ungerechten Adjektiv aus der Rezension belegen. Fanzinemacher sind eben eitel, und das macht sie dem Rezensenten, also mir, sympathisch.

Warum nun Fanzines besprechen? Und weshalb Mist, wo er mir unterkommt, als solchen bezeichnen, statt ihn in irgendeiner Weise zum Symbol einer ländlichen Idylle zu verklären? Polemisch gesagt: Weil sie, die Fanzinemacher, es selbst so gewollt haben. Ich habe einmal geschrieben: "Die einen onanieren, die anderen machen Fanzines." Ein Satz, der mir damals auch deshalb so gelungen erschien und deshalb vor Jahren eine meiner Besprechungen einleitete, weil ich anschließend für ein Jahr nach China fuhr und mir kritische Einwände von daher ziemlich egal sein konnten. Der Satz verballhornte eine Wahrheit auf rüde Weise: Manche Fanzinemacher machen's (das Fanzine, um es zu betonen) offenbar nur für sich und bestenfalls (hier fällt das Bild aus dem Rahmen) für Freunde und Bekannte. Ein Fanzine zu machen heißt aber, aus dem Einsiedlerstübchen, aus dem kleinen Kreis Verschworener in die Öffentlichkeit hinauszutreten. Die ist nun, da die Fanzines das WWW entdecken, ungleich größer, ja, weltweit geworden. Es bedeutet, sich - oder vielmehr sein Zine - der Welt zur Schau zu stellen. Und da fühlt man sich plötzlich an Monty Pythons Brian erinnert, wie er nach einem Schäferstündchen nackt die Fensterläden aufstößt, worauf die unter dem Fenster wartenden Menschen in Jubelrufe ausbrechen. Wie Brian schauen manche Fanzinemacher ob der so unvermittelt ansichtig gewordenen Menge verdutzt und fragen sich erschrocken, warum die denn so gafft. Offenbar dauert es manchmal einige Zeit zu begreifen: Die Aufmerksamkeit, die man nun ungefragt erfährt, wurde von einem selbst provoziert. Der Rezensent, um auf ihn zurückzukommen, der ist nicht der Freund, der aus Gutmütigkeit (oder Unwissen) brav die Schulter klopft. Er vertritt das anonyme Publikum, das (mehr oder weniger gezielt) die Seiten des eZines entdeckt und beileibe nicht immer so enthusiastisch ist, wie das Volk drunten im Hofe, als besagte Fensterläden auffliegen und Brian im grellen Licht steht. Der Rezensent schaut von außen auf das Zine. Was er darüber zu sagen hat, sagt er nicht aus Freundschaft und Loyalität. Meistens hat er keinerlei persönlichen Bezug zu den Fanzinemachern. Wenn Brian vergessen hat, die Hosen anzuziehen, wird er es ihm daher deutlich sagen und mit der ihm eigenen Arroganz ganz selbstverständlich erwarten, .daß der gute Rat nicht unbeachtet bleibt.

Weil der Rezensent im Grunde nur seinem Ego frönt (und im Stillen hofft, sein Publikum damit zu erfreuen), wird er seine Kritik hübsch verpacken. Er wird sich empören, wo ihm das angeraten, wird ironisch oder sarkastisch, wo ihm das als geeignetes Mittel erscheint. Er wird seine Geschichte erzählen. Pardon braucht er dabei nicht zu geben. Natürlich ist der Rezensent nicht nur der unbarmherzige Kritiker. Ein solches Bild ginge an der Wirklichkeit vorbei. Eigentlich ist er sogar ein guter Samariter, wie ich mir gerne einrede. Denn wer anders würdigt all die Mühen, die hinter einem Fanzine stecken mit solchen Anstrengungen, wie der Rezensent das tut? Und: Gäbe es nicht auch seine kritischen Verrisse, mal ehrlich, was wäre dann ein Lob aus seinem Mund eigentlich wert?

 

Thomas Schmitz
Bochum, 17. September 1997


 

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